Fantasy & Horror
Die Archonten der Inneren Stadt - Komplettfassung

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"Die Archonten der Inneren Stadt - Komplettfassung"
Veröffentlicht am 28. Oktober 2014, 2242 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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...Was gibts über mich zu wissen ? Ich schreibe gerne, deshalb bin ich auf der Seite angemeldet. Muss man mehr wissen ?Ich freu mich natürlich immer über konstruktive Kritik und Kommentare zu meinen Texten.Sonst noch was über mich.. Malt und Metalhead und Laborheini mit einem Faible für Philosophie, Pfeifen und Fantasyliteratur. Erwarte also bitte niemand zu viel von mir :-) Oh und mich gibts auch bei ...
Die Archonten der Inneren Stadt - Komplettfassung

Die Archonten der Inneren Stadt - Komplettfassung

EInleitung


Nach der Zerstörung der fliegenden Stadt bleibt das Land weiterhin in Aufruhr. Kellvian muss sich nicht nur gegen den eigenen Adel durchsetzen, sondern nach wie vor mit den Abtrünnigen der Clans auseinandersetzen. Zwar besitzt er starke Verbündete auf allen Seiten, doch auch die Gegner des jungen Kaisers wappnen sich bereits zu einem großen Schlag. Und dann erreicht ihn ein Hilferuf von unerwarteter Seite, der das Schicksal des Kaiserreichs in die Hände anderer legt.

Bildquelle :Uta Herbert / pixelio.de


Part 1


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Prolog


Wie konnte alles so schrecklich schief gehen… Ich wünschte ich könnte sagen, ich weiß, das trotzdem noch alles gut werden wird. Ich wünschte es wirklich. Doch im Augenblick sehe ich wenn ich den Kopf hebe… Asche. Flammen, die eine ganze Stadt zu verzehren drohen. Geschürt durch unsere eigene Ignorant und würde mir der Gedanke nicht so bitter sein ich würde sagen, wir haben es verdient. Als sich unsere ältesten Prophezeiungen erfüllten, dachten wir da wirklich, es

gäbe Hoffnung? Am Ende war auch dies nur eine Lüge. Und nun Ich kann nicht einmal darauf hoffen mich lange zu halten, noch weniger hier wieder raus zu kommen, aber… ich werde tun was ich kann. Was vor uns liegt ist keine Schlacht mehr. Nur der Tod. Mit etwas Glück wird es eine Rettungsaktion. Aber eigentlich geht es jetzt nur noch um die Ehre. Jeder ist sterblich. Jeder ein Werkzeug. Und diese Worte wird niemand jemals lesen. Und wenn doch… Es tut mir leid. Es tut mir leid, dass ich die Waffe gegen jene erheben muss, die ich schützen sollte. Aber wir alle müssen uns irgendwann unserem Schicksal

stellen. - Halb verbrannte Notiz gefunden in den Straßen Helikes Nur die glimmenden Überreste erhellten die Dunkelheit, doch was sie enthüllten, reichte dem Gejarn Wys Carmine musterte das Chaos um ihn mit zunehmenden Misstrauen. Seine Hand legte sich an den Griff eines der zwei Schwerter, die er trug. Die Handvoll bewaffneter Männer, die ihm folgten wirkten nervös, aber die meisten

waren zu diszipliniert, um vor dem Anblick zurückzuweichen. Ein brennender Karren lag vor dem Zugang zu den Minen, die Ladung, die wohl einstmals aus Stroh bestanden hatte, als Asche über den Pfad verteilt. Die hölzerne Konstruktion eines Wachturms war wenige Schritte weiter in sich zusammengestürzt und lag als loses durcheinander aus Balken und Seilen da. Aus den Trümmern ragte eine blutüberströmte Hand. Mit der nüchternen Gelassenheit des Krieger stellte der sandfarbene Fuchs fest, dass hier draußen niemanden mehr zu helfen war. Weitere Leichen, zur Unkenntlichkeit verbrannt oder scheinbar

ohne Verletzungen gefällt, lagen über das Gelände verstreut. Sie waren hierher entsandt worden, als einige verstörte Minenarbeiter nach Helike zurückgekehrt waren. Viel war aus diesen verängstigten Gestalten nicht herauszubekommen gewesen, nur das irgendetwas die Mythrilminen im Süden der Stadt angegriffen hatte nachdem sie auf… etwas gestoßen waren, das es ihnen nicht mehr erlaubt hatte, tiefer in das Gestein vorzudringen. Wys sah rasch zum Himmel. Sie waren ziemlich weit draußen, überlegte er, während er zwischen den einzelnen am Himmel vorbeiziehenden Wolken nach einem verräterischen Schatten suchte.

Fast am Rande der Wüsten, die den Großteil von Laos einnahmen, gelegen, war dieser Ort schon früher Ziel von Angriffen gewesen… aber… ,,War das Drachenfeuer, Herr ?“ , fragte einer der Soldaten und sprach damit genau Wys Befürchtungen aus. Der Archont schüttelte jedoch den Kopf. Nein so weit würden sich diese Fanatiker dann doch nicht aus ihren Festungen im Sand wagen. Aber falls doch… Er warf einen Blick über seine kleine Truppe hinweg zu einer Gestalt, die etwa doppelt so groß war, wie er. Während die übrigen Mitglieder seiner Garde schwere Vollpanzer trugen, die selbst einer Kugel noch standhalten konnten

war der Riese der sie begleitete kaum geschützt. Allerdings war das auch kaum von Nöten. Niemand, der dem gewaltigen Kriegshammer dieses Monsters zu nahe kam, würde auch nur die Gelegenheit zum Angriff bekommen. Riesen waren vielleicht eher unzuverlässige Verbündete, aber im Augenblick war er froh den Mann an seiner Seite zu haben. Was immer hier vor ging, normal war eine solche Zerstörung nicht. Wys trat vorsichtig, die Hand am Schwertgriff, auf eine der Leichen zu. Der Körper schien äußerlich völlig unverletzt… nur das jede Spur von Leben daraus entwichen war. Und schlimmer noch, er

kannte den Mann. Er hatte einmal in der Garde der inneren Stadt Helikes gedient. Was konnte einen Schwertmeister so schnell töten, das er nicht einmal mehr dazu kam, die Waffe zu ziehen? Ihm fiel nur eine Erklärung dafür ein. Magie. Kurz überlegte Wys den anderen seine Vermutung mitzuteilen, aber das würde sie nur unnötig nervös machen. Anders als die meisten anderen hier hatte er keine Angst vor Zauberei. Auch wenn Laos Gesetze jeden zum Tode verurteilten, der mit der Gabe geboren wurde, es war auch nur eine andere Form von Waffe. Kein Grund, seine Leute deshalb noch nervöser zu machen, als sie

waren. ,,Kommt, wir werden nicht erfahren was hier geschehen ist, wenn wir rumstehen.“ , meinte er und winkte die anderen weiter. Auf den dunklen Eingang der Mine zu. Gewaltige Eichenbalken, die von Feuer schwarz gefärbt waren, stützten ein Tor, das den Eingang eigentlich verschließen sollte. Eigentlich. Nun lag das Portal in einzelne Teile zersplittert in den Schatten des Minenzugangs. Gefolgt vom Rest seiner Leibgarde trat er in die Dunkelheit. In einigen Wandhaltern waren, erloschene, Pechfackeln angebracht und Wys nahm eine davon an sich. Sobald er die

Öldurchtränkten Lumpen entzündet hatte, erhellte ein warmer Schein die von Wind, Sand und dem seltenen Regen glatt geschliffenen Felsen. Die anderen taten es ihm gleich und bald vertrieb ein halbes dutzend Feuer die Finsternis. Das Licht jedoch offenbarte nur noch mehr Tote, wenn auch nicht mehr so viele wie draußen. Die meisten hatte es wohl außerhalb der Minen erwischt. Langsam trat das halbe dutzend Kämpfer weiter in die Höhle hinein. Der Riese, der sie begleitete musste den Kopf einziehen um nicht mit dem Kopf gegen die Deckel zu stoßen. Glitzernd zeichneten sich Quarzadern im Gestein ab, während das spärliche Licht das den Eingang

markierte hinter ihnen zurück blieb. Am Ende waren sie allein in dem kleinen Lichtkreis, den ihre Fackeln erzeugten und der stillen Dunkelheit. Normalerweise hätte das Geräusch tausender Hämmer und Meißel einen fast ohrenbetäubenden Lärm erzeugen müssen, nun war nur noch das Tropfen von Wasser zu hören, das an der Höhlendecke kondensierte. Nachdem sie eine Weile einem leicht abschüssigen Tunnel gefolgt waren, öffnete sich der Fels zu einer großen natürlichen Halle. Wys sah sich staunend um. Er war noch nie selbst hier gewesen, hatte aber davon gehört. Die steinerne Halle war hoch genug, das selbst der Riese ohne

Probleme stehen konnte. Holzplattformen und spiralförmig nach unten verlaufende Felssimse, führten weiter in die Tiefe. ,,Hallo ?“ Wys zuckte zusammen, als der Ruf die Stille durchbrach. Einer seiner Leute hatte die Hände zu einem Trichtergeformt. ,,Ist hier irgendjemand ?“ Er musste sich zusammenreißen, dem Mann keinen Schlag ins Gesicht zu verpassen. Wenn irgendjemand oder etwas hier war, dann wusste es jetzt ganz sicher, dass sie unterwegs waren. ,,Solltet ihr das nächste mal vorhaben unsere Position zu verraten, sagt einfach Bescheid.“ , knurrte er ungehalten. ,,Ihr

könnt jetzt vorgehen, wo wir uns schon angekündigt haben.“ Dem Mann wurde offenbar selbst klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. ,,Ich dachte… Herr, wenn jemand hier ist…“ ,,Schon gut. Das ändert aber nichts. Ab jetzt geht ihr vor. Tragt die Folgen eures Handelns.“ ,,Ja Herr…“ Sie folgten dem gewundenen Felsgrat hinab in die Tiefen. Wys wusste mittlerweile nicht mehr, ob es eine so gute Idee gewesen war, mit nur fünf Mann hierher zu kommen. Er hatte mit einer Bande Räuber gerechnet, vielleicht ein Überfallkommando aus Canton, das sich zu weit vorgewagt hatte… Aber

nicht mit so etwas. Alles an diesem Ort war Tod. Als die Archonten die Berichte über die Vorkommnisse in den Minen erhalten hatte, hatte er jedoch nicht gezögert und sich freiwillig gemeldet. Hauptsächlich um der Politik zumindest kurz zu entfliehen. Seit er vor nun fast einem Jahr zum Archonten und damit zu einem der fünf Herrscher Helikes, aufgestiegen war gab es für ihn endlose Debatten, größere und kleinere Ärgernisse… und kaum eine Gelegenheit einmal Atem zu schöpfen. Während sie sich langsam der untersten Ebene der Mine näherten drang ein kaum wahrnehmbarer Lichtschimmer herauf.

Anfangs dachte Wys noch, es läge lediglich daran, dass sich seine Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten. Dann jedoch war er sich sicher. Die Felsen wurden von irgendetwas in ein sanftes, bläuliches Licht getaucht. Je tiefer sie kamen, desto deutlicher wurde das Leuchten. Rasch bedeutete er , den anderen kurz anzuhalten. Schwerter wurden gezückt und nun aufs äußerste Gespannt rückten die Krieger Laos etwas dichter zusammen. Ein Wall aus Stahl, den nichts so schnell durchbrechen würde. Wobei… Wys musste an den toten Schwertmeister denken, der am Mineneingang gelegen

hatte. Jetzt mach dir nicht noch selbst Angst, dachte er, während sie das Ende des Abstiegs erreichten. Mit einer Hand löste der Gejarn den Umhang von seinen Schultern. Wenn es zu einem Kampf kam, wäre der nur im Weg. Lose behauene Felsen und einige primitive Gerüste säumten den Boden der Grube. Aber der Lichtschimmer kam nicht von hier. Das Schwert mit einer Hand umklammert und in der anderen die Fackel sah er sich um. Ein weiterer Gang, der angesichts des davor angehäuften Schutts wohl erst kürzlich freigegraben worden war führte zu ihrer linken weiter. Und von genau

dort kam auch das Licht. Ohne zu zögern wendete er sich dorthin und winkte seine Begleiter weiter. Über achtlos liegengelassenes Werkzeug hinwegsteigend traten sie aus der Grube hinaus in den neuen Gang. Wys hatte mit viel gerechnet, was sie hier erwarten könnte. Die Angreifer, die für all dies verantwortlich waren. Eine Falle. Möglicherweise Überlebende… Doch das Objekt, vor dem sie nun standen war das letzte das er erwartet hätte. Es war eine Tür… So groß wie ein ganzes Gebäude ragte ein gewaltiges parabelförmiges Tor vor ihnen auf. Aus weißem Stein gemeißelt zogen sich dutzende von Adern aus

blauen Kristallen durch den Marmor. In scheinbar willkürlichen Mustern angeordnet waren diese Steine der Ursprung des schwachen Lichts, das er und die anderen gesehen hatten. An manchen Stellen waren die Kristallmuster auch komplett erloschen und dunkel. In der Mitte des seltsamen Artefakts, etwa dort wo bei einer Flügeltür wohl ein Türspalt sichtbar gewesen wäre, befand sich lediglich eine kreisrunde Öffnung in der ein einzelner Stein saß. Ab und an zuckten Lichtfunken durch das vollkommen klare Juwel. Doch die Tür war vielleicht noch nicht das seltsamste was sie

fanden. Links und Rechts daneben standen Statuen. Oder zumindest war es das einzige, das Sinn zu machen schien. Allerdings waren die seltsam menschlich anmutenden Konstrukte nicht aus Stein sondern aus schimmerndem Metall, dessen Glanz allerdings durch Steinstaub und die Jahrhunderte vermindert worden war. Wys trat an eine der Statuen heran und besah sie sich genauer. Etwa so groß wie ein durchschnittlicher Mann schien das Ding einem Menschen nachempfunden worden zu sein. Metallplatten bedeckten eine breite Brustpartie, doch durch einige Lücken im Panzer konnte der

Archont golden glänzende Zahnräder und das gleiche schwache blaue schimmern wie in der Tür erkennen. ,,Faszinierend nicht ?“ ,,Ja.“ , meinte er nur. ,,Irgendwie…“ Er fand dieses Teil eher äußerst beunruhigend. Wenn sie zurück in Helike waren würde er darum bitten, das jemand in den Archiven nachsah ob es irgendetwas Schriftliches über diese Statuen gab. Da die Stadt praktisch auf einer Siedlung des alten Volkes errichtet worden war mangelte es nicht an ganzen Schatzkammern voll mit ihrem magischen Artefakten und Bibliotheken an Schrifttafeln, die nur die wenigsten entziffern

konnten. ,,Wisst ihr, wie das alte Volk sie nannte ?“ Nur allmählich wurde Wys bewusst das etwas nicht stimmte. Wer da mit ihm sprach… Er wirbelte herum, die Klinge zum Schlag erhoben. Jemand stand hinter ihm und es war keiner seiner Männer. Der Archont konnte noch einen Blick auf eine komplett in schwarz gekleidete Gestalt erhaschen, doch bevor die Klinge diese erreichte, machte der Fremde nur eine kurze Geste mit der Hand. Der Gejarn wurde von den Füßen gerissen. Als hätte ihn die Faust eines Riesen getroffen flog Wys durch die Luft. Der

Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen, während er versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Die anderen hatten den plötzlichen Angriff genau so bemerkt und sich dem Gegner zugewandt, der plötzlich in einer Rauchwolke verschwand… nur um sich direkt vor der Tür wieder zu materialisieren. Wys richtete sich hustend auf und zum ersten Mal konnte er sich die Gestalt genauer besehen. Nur, das es nicht viel zu sehen gab. Eine schwarze Robe fiel ihrem Gegner über den gesamten Körper und ließ ihm im Halbdunkel selber wie einen Schatten erscheinen. ,,Wer seit ihr ?“ Wys richtete die Waffe

auf den fremden, genau wie seine übrigen Gefährten. Aber noch wagte es niemand näher zu kommen. ,,Seit ihr für das hier verantwortlich ?“ ,,Ein kleines Opfer.“ Der fremde Zauberer drehe sich nur halb zu ihnen um. Seine ganze Aufmerksamkeit galt offenbar der Tür, an der er sich zu schaffen machte. Als wären sie gar nicht da, dachte Wys verwirrt. Mit einer Handbewegung löste der Zauberer den klaren Stein aus der Aussparung in der Tür. Das Juwel fiel heraus und zersplitterte auf dem felsigen Grund. Im selben Moment wurde es schlagartig dunkel. Das blaue Glühen der Kristalle verlosch augenblicklich und ließ nur den

Lichtschein der Fackeln zurück, die Wys und die anderen trugen. Plötzlich hielt der Neuankömmling einen weiteren Stein in der Hand. Dieser jedoch von der Farbe getrockneten Harzes. Was immer hier vorging, sie konnten nicht einfach herumstehen, entschied Wys. ,,Stopp.“ Die Gestalt des Magiers ignorierte den Ruf, aber er hatte auch nicht wirklich damit gerechnet. Mit einer Bewegung holte er mit dem Schwert aus und schleuderte die Klinge nach dem Fremden. Der Zauberer wehrte die Klinge beinahe beiläufig ab und setzte im gleichen Moment den Stein in

die Aussparung. Nun geschahen mehrere Dinge zugleich. Die blauen Adern in der Marmorpforte leuchteten auf einen Schlag wieder auf, diesmal so grell, dass sie den gesamten Tunnel in unerträgliches Licht tauchten. Im selben Moment kam Leben in die Statuen auf beiden Seiten des Tunnels. Mit einem sirrenden Geräusch bewegten sich das dutzend Konstrukte ein Stück vorwärts. Scharfkantige Klingen erschienen an den Armen. Die Gestalt des Magiers drehte sich zu ihnen um. ,,Die sind jetzt euer Problem.“ Mit diesen Worten löste er sich in eine, Lichtblitz auf und hinterließ nur die sechs Krieger, die

Maschinen und das glühende Portal. Wys bemerkte grade noch rechtzeitig wie eines der Konstrukte auf ihn losging um der Attacke zu entgehen. Ein silberner Dorn schoss dicht an ihm vorbei. Sofort hatte er die verbliebene Waffe gezogen und schlug auf das Ding ein. Die Klinge prallte mit einem holen Klang am Panzer des Maschinenkriegers ab, der ohne jedes Bestreben für Selbstschutz auf Wys losging. Der Gejarn kam kaum dazu die blitzschnellen Angriffe abzuwehren und wurde rasch in die Defensive gedrängt. Den anderen erging es nicht besser und was er nicht für möglich gehalten hatte geschah. Der Riese der sie begleitet hatte

schlug mit dem Hammer nach einer der lebendigen Statuen, als wäre diese in lästiges Insekt. Der Uhrwerkmensch jedoch war schneller als Gedacht und sprang mit einem surrenden Geräusch über die Waffe hinweg, nur um auf dem Arm des Riesen zu landen und ihm die Klinge gezielt in den Hals zu rammen. Der Gigant brach zusammen, als sei er vom Blitz getroffen worden. Im gleichen Moment sah Wys einen seiner Männer stolpern, als ihm eine der Maschinen die Brust spaltete. Die silbrigen Klingen welche diese Wesen benutzten zerschnitten den Panzer des Kriegers wie Papier. Wys wich derweil vor seinem Gegner

zurück um sich etwas Luft zu verschaffen. Nicht nur waren diese Dinger schnell, sondern offenbar auch noch heimtückisch. Er sah sich rasch nach den anderen um, die ebenfalls von den lebenden Statuen zurückgedrängt wurden. Dann jedoch kippte eine der Maschinen um, als sich eine Klinge durch ihre Panzerung bohrte. Im selben Moment zog der dafür verantwortliche Krieger das Schwert zurück und trennte den flachen Kopf der Kreatur ab. Erneut war es keiner der Männer seiner Leibgarde, der vor Wys stand. ,,Enthauptet sie oder blockiert die Zahnräder, das funktioniert.“ , rief der

Neuankömmling. Noch ein Fremder, dachte Wys zunehmend verwirrt, als das Wesen zur Seite kippte und den Blick auf den ihn unbekannten Mann freigab. Er hatte einen sauber gestutzten Spitzbart und hell funkelnde graue Augen. Die an den Schläfen bereits ergrauten dunklen Haare hatte er im Nacken zu einem losen Zopfgebunden und in seiner Hand ruhte ein Katana. Auf dem Kopf trug er einen fast schlicht zu nennenden Strohhut, während der Rest seine Kleidung eine gewisse adelige Herkunft zu verraten schien. Gefärbte Stoffe, die das wiedererwachte Licht des Portals einfingen. Die Roben wirkten auf Wys

alles andere als praktisch, aber die Leichtigkeit mit der der Mann sich bewegte verriet einen erfahrenen Kämpfer. Wer immer der Kerl war, er hatte ihnen grade eine Chance eröffnet. Sie mussten hier raus. ,,Rückzug. Wir ziehen uns zurück, raus aus den Minen. “ , rief er, bevor ihn das Maschinenwesen erneut angriff. Diesmal jedoch war der Archont vorbereitet. Er tauchte unter dem Schlag durch, fand eine der Lücken in der Panzerung, durch die er Zahnräder und Kristalle schimmern sah und stieß zu. Mit metallischem Kreischen kamen die einzelnen Getriebeteile zum stehen und

das Wesen erstarrte wo es war. Ohne groß nachzudenken schnappte er sich die überraschend leichte Kreatur und warf sie sich über die Schulter. Vielleicht konnte ihm jemand sagen, was das für Dinger waren, wenn sie es hier raus schafften. Dann rannte er los, zurück in die Grube und die gewundenen Felsen herauf. Zum Glück schienen die Maschinen die seltsamen Wächter die Verfolgung aufzugeben, sobald das Portal außer Sicht war. Trotzdem hielt Wys erst an, als sie den Ausgang des Höhlensystems erreichten. Keuchend blieb er stehen und sah zurück in die Finsternis der Minen. In dem

Moment wo sich da drin irgendetwas bewegte, wäre er bereit zuzuschlagen. ,,Was bei allen Dämonen war das grade?“ , wollte einer seiner überlebenden Leute wissen. ,,Ich habe keine Ahnung.“ , meinte er und setzte den erschlagenen Uhrwerksoldaten ab. ,,Aber Ich habe das Gefühl, wir werden hier ein wenig Hilfe brauchen…“ Und vielleicht etwas mehr als das. Als er sich umsah war von dem fremden Krieger, der ihnen zur Hilfe gekommen war nichts mehr zu sehen. Oder war der Mann in der Tiefe

geblieben?

Kapitel 1 Eissturm


Kellvian Belfare sah aus dem Fenster um den Kopf freizubekommen. Draußen hatte leichter Schneeregen eingesetzt, der das Land unter einem schmutzig grauen Schleier begrub. Trotzdem spürte man in dem Zimmer in dem er sich befand nichts von der Kälte. In der Ferne schienen Himmel und Meer miteinander zu verschmelzen, während die Brandung beständig gegen die Küste Cantons schlug. Ab und an, wenn sich die Wellen zurückzogen konnte man die Umrisse von Gebäuden und Ruinen unter der Oberfläche des westlichen Meeres

erahnen. Kell wendete den Blick von den tobenden Elementen ab und wendete sich wieder dem Blatt Papier vor ihm zu. Seit nun mehr als einer halben Stunde versuchte er, einen Brief zu schreiben. Ein dutzend zerrissene oder zusammengeknüllte Pergamentfetzen lagen bereits auf dem Fußboden und dem Schreibtisch verteilt. Das Licht eines heruntergebrannten Feuers erhellte den Raum trotz des draußen aufziehenden Sturms und schuf eine behagliche Atmosphäre. Ihm jedoch war ganz und gar nicht wohl zu mute. Er stand auf und warf noch einige Holzscheite ins Feuer, die sofort hell aufloderten und die Kälte

abhalten würden. Das Haus in dem er sich befand war eines der wenigen, die den Absturz der fliegenden Stadt vor gut drei Monaten weitestgehend intakt Überstanden hatten, eine für die Verhältnisse der einstigen Hauptstadt Cantons fast schlichte Villa, die am Rand der Klippen aufgeschlagen war. Die Schäden an der Stadt waren gewaltig, eigentlich war kaum etwas übrig geblieben, dachte Kell. Seufzend setzte er sich zurück an den Schreibtisch, der den Großteil des Raumes einnahm, in dem er sich befand. Der Rest wurde von einem gläsernen Bücherschrank und einem dunklen Sessel

eingenommen. Kellvian überlegte erneut, wie er anfangen sollte. Vielleicht ja so. ,,An die Herren de Immerson, mit größten bedauern muss ich ihnen mitteilen, das Walter de Immerson sein Leben gab um…“ Er hielt inne, las die Zeile einmal und strich sie dann wieder durch. Kell versuchte es noch einmal. ,,Ich muss leider berichten, das Walter de Immerson in Ausübung seiner Pflicht...“ Schwachsinn, schon wieder. Er zerknüllte das Blatt und warf es achtlos hinter sich. Es gab keinen guten Beginn, nicht wenn er einer der mächtigsten

Adelsfamilien in Canton erklären wollte, wieso einer ihrer Söhne tot war. Kellvian lehnte sich auf seinem Platz zurück und schloss einen Moment die Augen. Tyrus hatte ihn gerettet, aber ob er ihm damit einen gefallen getan hatte… Der alte Magier hatte es wohl geglaubt. Er hörte, wie sich die Tür öffnete, achtete aber kaum darauf. Er konnte nur hoffen, dass es nicht Dagian war, der ihm einen weiteren Vortrag halten wollte. Kellvian hatte sich erst halb umgedreht, als er erkannte, dass es nicht der Hochgeneral war. Die Gestalt, die eintrat war zierlich zu nennen. Grüne Augen funkelten in einem

katzenartigen Gesicht, das mit grauem Pelz bedeckt war. Ein Kapuzenmantel in der gleichen Farbe viel ihr über die Schultern und Rock und Hemd schienen grade zu mit dem Fell der Gejarn zu verschmelzen. Sie sah sich einen Moment um, überrascht von dem Durcheinander aus tintenfleckigen Zetteln und Papier. ,,Hey, was machst du den ?“ Jiy hob einen der zerknitterten Papierfetzen vom Boden auf und strich ihn mit der Pfote glatt. Zum ersten Mal seit einer Weile war ihm wieder zum lächeln zumute. ,,Politik.“ , meinte Kellvian nur. ,,Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich schreiben

soll…“ Jiy beugte sich vor und sah ihm über die Schulter. ,,Wie wäre es damit : Schreib einfach die Wahrheit.“ ,,Die Wahrheit wollen sie aber sicher nicht hören.“ , erwiderte er. Die Gejarn strich sich die Kapuze aus dem Gesicht. Lange schwarze Haare fielen darunter hervor. Einige Schneeflocken hatten sich darin verfangen, die nun jedoch rasch schmolzen. ,,Das war dir früher doch auch schon egal.“ ,,Ja. Da musste ich mich aber auch noch nicht mit dem Adel Cantons anlegen.“ ,,Nein, aber mit einem Haufen Magier

und das haben wir auch überstanden, oder ?“ ,,Ehrlich gesagt, ein wahnsinniger Zauberer wäre mir im Moment lieber.“ ,,Hey, ganz , ruhig, die Versammlung ist erst in drei Wochen angesetzt.“ ,,Schlimm genug. Die halten mich alle immer noch für verrückt.“ Er stützte einen Moment den Kopf in die Hände. ,,Und dann sind da noch die Clans. Wir haben nichts Neues gehört, aber… Ich habe keine Ahnung, wie ich das schaffen soll.“ ,,Kell…“ Jiy wartete, bis er sich wieder zu ihr umdrehte und sah ihn besorgt an. ,,Wie lange sitzt du jetzt schon hier?“ ,,Keine Ahnung… drei Stunden

vielleicht ?“ Er sah aus dem Fenster, wo der Himmel zwischen den grauen Wolken orange schimmerte. ,,Die Sonne ist doch grade erst aufgegangen, oder?“ ,,Wir haben Abend. Du warst den ganzen Tag hier drinnen.“ , erwiderte sie streng nur um sanfte hinzuzufügen : ,,Du musst mal den Kopf freikriegen.“ Gerne hätte er Jiy gesagt, dass es keinen Grund gab, sich Sorgen zu machen, allerdings wusste er selber, dass das nicht ganz stimmte. Es gab sogar mehr als genug Gründe, dachte er. Noch war er zwar offiziell nicht Kaiser, aber Dagian hatte in den letzten Wochen einiges an Überzeugungsarbeit geleistet. Nun blieb es an der Adelsversammlung,

ob man ihn anerkennen würde. Was wäre eigentlich schlimmer, dachte Kellvian. Nicht gewählt zu werden oder tatsächlich zum Kaiser Cantons zu werden? Er hatte mal geglaubt, sich damit abgefunden zu haben… ,,Ich schätze, du hast recht. Etwas frische Luft wäre nicht verkehrt.“ Und vielleicht eine Gelegenheit allein mit ihr zu sein. Kellvian stand auf stützte sich dabei mit einer Hand an der Stuhllehne ab. Die Macht der Gewohnheit. Seine Verletzungen waren seit Wochen verheilt. Jiy folgte ihm, während er die Tür des kleinen Arbeitszimmers öffnete und auf einen langen Flur hinaustrat. Risse hatten sich in den weiß getünchten

Wänden gebildet, vermutlich auch eine Folge des Absturzes. Aber zu lange würden sie ohnehin nicht mehr hier bleiben. Türen reihten sich aneinander und Ein Stück den Gang entlang befand sich eine kleine Galerie, die hinab ins Untergeschoss des Gebäudes führte. Das Haus selber war groß genug um leicht einem dutzend Leuten Platz zu bieten Allerdings waren deutlich mehr als ein dutzend Personen anwesend. Allein den kurzen Weg den Gang hinab standen vier Gardisten der kaiserlichen Garde und hielten Wache. Egal wie oft Kellvian ihnen schon versichert hatte, das sei nicht nötig, jeder der Männer salutierte

kurz, als er vorbeging. Er war nicht der einzige, der nicht über Gewohnheiten hinweg kam. Die gewundene Treppe hinab erreichten er und Jiy einen großzügigen Eingangsbereich. Wie oben brannte in einem großen Kachelofen ein Holzfeuer, das die Kälte draußen hielt. Über den Flammen hatte jemand einen Wasserkessel aufgesetzt. Ein polierter Marmorboden spiegelte den Schein des Feuers wieder und warf ihn auf einige Pflanzenkübel und mehrere Möbelstücke, die wahllos zusammen gesucht wirkten. Das meiste war nicht mehr zu gebrauchen gewesen und so hatten sie erstmal hergenommen,

was da war. Ein schwerer Eichenholztisch, Stühle, die nicht zueinander passten und einige Bänke, die zwischen den Topfpflanzen verschwanden. Die Haustür bestand wiederum aus schwerem nietenbeschlagenen Holzbrettern, die in diesem Augenblick zur Seite schwangen. Der Gejarn der eintrat klopfte sich Schnee von Kleidung und Füßen. Als Schutz vor der Kälte trug er einen schweren dunklen Umhang, der ihm bis auf Kniehöhe fiel. Ein Schwertgriff zeichnete sich auf seiner linken Seite unter dem Mantel ab, allerdings keine Pistolen oder andere Schusswaffen. Zyle Carmine rührte fast nie Feuerwaffen an.

Eisige Luft wehte durch die Tür und ließ Kellvian frösteln. ,,Abend.“ , meinte der Neuankömmling mit dem Anflug eines Grinsens auf dem mit schmutzig hellem Fell bedecktem Gesicht. Für den ansonsten eher zynisch aufgelegten Mann war das schon fast außergewöhnlich. ,,Ich dachte einmal eure Sommer hier seien kalt“ , fuhr er fort, während er die Handschuhe abstreifte und auf den Kaminsims zum trocknen ablegte. ,,Offenbar habe ich mich da geirrt.“ Während er die Fäustlinge ablegte kam ein schmaler mit Schriftzeichen versehener Silberreif an seinem linken Handgelenk zum

Vorschein. Jiy kicherte. ,,Warts ab, das wird noch viel besser werden.“ ,,Wenn alles nach Plan geht Kleine, bleibt mir das zumindest erspart.“ ,,Ihr wollt uns also tatsächlich verlassen ?“ , fragte Kellvian. Zyle nickte. ,,Ich habe grade noch mit Cyrus gesprochen. Offenbar sind die Reparaturen an der Windrufer so gut wie abgeschlossen. Der Kahn war ja in Lasanta schon nicht im besten Zustand, wie es aussah. Jetzt jedoch ist wohl alles bereit. Eden ist angeblich ganz aus dem Häuschen über das, was eure Zimmermeister aus dem Wrack gemacht

haben.“ ,,Ihr wisst, das ihr hier willkommen wärt Zyle.“ ,,Ich weiß. Aber… es gibt Dinge um die ich mich kümmern muss. So wie ihr mein Freund. Vielleicht Dinge, die dazu führen, das wir uns nie wiedersehen.“ Kellvian nickte. ,,Dachte ich mir, aber… es war mir wichtig, das ihr das wisst. Solange wir leben wird es hier immer einen Platz für euch geben.“ ,,Geht nicht.“, meinte Jiy ernst und war dicht vor den anderen Gejarn getreten. ,,Wieso nicht ?“ Ohne Vorwarnung zog sie Zyle in eine kurze aber heftige Umarmung. ,,Ihr gehört einfach dazu.“ , meinte Jiy,

während der verdutzte Gejarn offenbar nach Worten suchte. ,,Hey, hey, wer wird den gleich… Es ist ja nicht so, das ich aus der Welt bin. Und ähm… ich weiß nicht ob Kellvian…“ Dieser lachte jedoch nur laut. Zyle einmal um Worte verlegen zu sehen… wer hätte damit gerechnet. Zyle klopfte sich unsichtbaren Staub vom Körper, sobald Jiy ihn losließ. ,,Aber meine Abreise verzögert sich wohl so oder so noch etwas.“ ,,Oh ?“ Jiy sah den Mann nun verlegen und überrascht zugleich an. ,,Offenbar friert das Meer jetzt schon stellenweise zu.“ , erklärte er. ,,Und

Eden meint, sie bräuchte mehr Leute um das Eis zu zerhacken, wenn das Wetter also nicht umschlägt… Nun wenn ich Pech habe, muss ich doch noch euren Winter ertragen.“ Zyle ging auf die Treppe zu, hielt aber noch einmal an, bevor er die Stufen hinauf verschwand. ,,Ach und bevor ich es vergesse, Dagian sucht nach euch Kell. Wissen eure Götter, was das Problem von dem Kerl ist, aber ich glaube fast er ist kurz davor einen Suchtrupp loszuschicken um euch zu finden.“ ,,Ich war die ganze Zeit hier.“ ,,Das hab ich ihm auch gesagt. Offenbar wartet er schon eine Weile auf euch.“ ,,Oh verdammt.“ Kellvian seufzte. Er

hatte die Zeit wirklich völlig aus den Augen verloren. Der General hatte sich am Mittag mit ihm treffen wollen. ,,Natürlich, das hatte ich völlig vergessen. Wo ist er ?“ ,,Ich glaube an den Klippen, wo die Gardisten untergebracht sind.“ Über den Verlauf der letzten Monate waren an der Küste mehrere Hütten entstanden oder Gebäude der fliegenden Stadt repariert worden, in denen der Hochgeneral zumindest eine kleine Garnison an Soldaten untergebracht hatte. Weniger als fünfzig Mann der Garde waren hier geblieben, nachdem der größte Teil der Truppen ohnehin in die Herzlande weiter im Inneren des Kontinents versetzt

worden war. ,,Dann lasse ich ihn besser nicht noch länger warten.“ ,,Tut das.“ , erwiderte Zyle und fügte hinzu : ,,Er hat sich nicht grade glücklich angehört. Allerdings habe ich den Mann bisher auch noch nicht gut Gelaunt erlebt.“ ,,Ich glaube er gibt sich die Schuld am Tod des Kaisers.“ Kellvian konnte sich nach wie vor nicht dazu überwinden, von dem Mann als Vater zu denken und vermutlich würde er das auch nicht mehr. Dazu verband ihn zu wenig mit dem Toten, dachte er. Er wusste nicht, ob er das für etwas Gutes halten sollte oder nicht. Mit einer Hand warf Kell

sich einen Pelzmantel über die Schultern, während er mit der anderen die Tür aufzog. Erneut wehte ihm schneidend kalte Luft entgegen. ,,Kommst du mit ?“ , fragte er an Jiy gerichtet. ,,Gleich da.“ , meinte die Gejarn nur und wenige Augenblicke später traten sie hinaus in die verschneite Landschaft. Aus dem Schneeregen waren endgültig schwere Flocken geworden, die in einem stetigen Schauer zu Boden fielen und die Welt in weiß tauchten. Es versprach in der Nacht noch kälter zu werden, dachte Kellvian, als er in Richtung Meer sah. Schwebten jetzt noch dunkle Wolken über ihren Köpfen, draußen auf dem

Ozean klarte das Wetter langsam auf. Das würde eher eine Nacht für Torffeuer und heißen Tee, nicht für langwierige Diskussionen über Kells, eigentlich gar nicht vorhandenen, Führungsstil, an dem Dagian trotzdem immer etwas auszusetzen fand. Aber was sein musste, musste sein.

Kapitel 2 Unterredung


Eine Handvoll primitiver Blockhäuser schmiegte sich gefährlich nahe an die Steil zum Meer hin abfallenden Klippen. Tiefe puren zogen sich durch den Schnee zwischen den einzelnen Gebäuden und markierten die Pfade, die die Gardisten regelmäßiger nahmen. Nun jedoch füllten sich die so entstandenen fast knietiefen Gruben erneut mit weißem Pulver. Rauch stieg aus den Schornsteinen der Häuser auf und erfüllte die ansonsten klare, fast geruchslose Luft mit einem Hauch von Asche. Als würde der

Eisregen alle Spuren auswaschen, dachte Jiy. Sie mochte den Winter nicht, nicht wegen der Kälte, aber er schien allem nicht nur den Geruch sondern auch die Farbe zu nehmen. Nördlich der Hütten lag ein Kleiner Wald aus Tannen und verkümmerten Eichen, die längst keine Blätter mehr trugen und ihre Gedanken nur noch recht zu geben schienen. Mehrere Baumstümpfe, halb im Schnee begraben, zeigten wo Bäume für den Bau neuer Häuser gefällt worden waren. Eisiger Wind peitschte über die Ebene zwischen Hütten und den ersten Bäumen und wirbelte Schnee auf, der sich hier und da zu kleinen Bergen

ansammelte. Die Gejarn stapfte weiter neben Kellvian durch den Schnee, auf ein Haus zu, das etwas größer als die übrigen war. Ein Stück Abseits von der restlichen Siedlung gelegen waren die verglasten Fenster des Blockhauses hell erleuchtet und warfen in der Dämmerung Lichtbahnen über die unberührte Schneedecke. Zwei Gardisten, zum Schutz vor der Kälte in schwere Mäntel gekleidet hielten vor der Tür Wache und nickten ihnen höflich zu, als sie sich näherten. Jeder der Männer war mit einem Gewehr bewaffnet, das diese aber hinter sich an die Wand gelehnt hatten. Mit Ärger

rechnete hier draußen kaum jemand. ,,Guten Abend Herr.“ , grüßte sie eine der Wachen, sobald sie Kellvian erkannten. ,,Abend. Ich schätze, Dagian wartet schon?“ , fragte dieser mit einem gequälten Ton in der Stimme, ,,Und ob. Keine Sorge, ich glaube er hat sich zwischenzeitlich etwas gefangen. “ Der Gardist lächelte breit, wofür ihm sein Kollege einen Stoß in die Rippen versetzte. Jiy musste selber ein grinsen unterdrücken. ,,So schlimm wird das nicht.“ , meinte sie, aber ihr etwas zu Schadenfroher Gesichtsausdruck musste sie verraten

haben. ,,Hey, du musst dir von ihm keine Vorträge darüber anhören, was du alles verkehrt machst. Das Problem ist, meistens glaube ich, dass er damit auch noch Recht hat.“ Er trat an den Wachen vorbei und zog die Tür auf, einer der Posten hielt jedoch Jiy auf, als diese ihm folgen wollte. ,,Tut mir leid, aber Dagian wollte nur mit euch sprechen.“ , meinte der Mann kleinlaut. ,,Und seit wann wiegt das Wort des Generals mehr als meines ?“ , wollte Kellvian wissen, der im Türrahmen stehen blieb. Irgendetwas in seinen Augen schien sich plötzlich zu

verändern, der warme grünblaue Ton in ein kälteres Spektrum zu wechseln .Aber nur einen Moment, dann war alles wieder normal. Einem flüchtigen Beobachter wäre es wohl erst gar nicht aufgefallen, dachte Jiy, aber sie hatte dieses Phänomen jetzt oft genug beobachten können. Es war vielleicht das einzige, das einem an dem Menschen Angst machen konnte, das Vermächtnis Simon Belfares in seinem Blut. Magie. ,,Sir… wir…“ , setzte der zweite Posten eingeschüchtert an. ,,Schon gut. Ihr habt Befehle, ich versehe und will auch nicht, dass ihr Ärger bekommt. Ich rede erstmal allein mit ihm.“ , meinte er versöhnlich, als

der Wachmann vor ihm zurückwich. ,,Sicher, lass mich hier in der Kälte.“ , protestierte die Gejarn, aber nur halb ernst. Sie konnte Kell kaum böse sein. Auch wenn es Zeiten gegeben hatte, wo das definitiv nicht der Fall gewesen war. Ihr Herz gehörte ihm Kellvian hatte es im Sturm Erobert ohne es Anfangs überhaupt zu wollen, so seltsam das schien. ,,Glaub mir, ich würde jederzeit tauschen.“ , rief er noch über die Schulter, bevor er durch die Tür trat, die sich hinter ihm wieder schloss. Jiy blieb einen Moment unentschlossen im Schnee stehen. Na warte, dachte sie. Sicher, der General konnte seine zwei

Wachleute dazu bringen, sie draußen zu halten, aber… sie würde sicher nicht hier herumstehen, entschied Jiy. Die zwei Gardisten schienen unsicher, ob sie die Gejarn ignorieren oder zum gehen auffordern sollten, was ihnen vielleicht den Zorn Kellvians einbringe könnte. ,,Ich denke ich mache mich dann einfach auf den Weg zurück zum Haus.“ , erklärte Jiy schließlich. Sie konnte den beiden ansehen, dass sie ihr keine Sekunde glaubten. ,,Sicher,“ , grinste der eine. ,,zum Haus. Passt nur auf, das euch niemand erwischt, wir sollen nur die Tür bewachen.“ Er zwinkere und bekam dafür von seinem Kollegenerneut einen

leichten Hieb in die Seite. Jiy erwiderte nichts, nickte jedoch kurz dankbar, bevor sie um die Hütte herumlief, bis die beiden Wachen nicht mehr zu sehen waren. Geduckt, damit man sie durch die Fenster nicht sehen konnte, schlich sie sich an der Fassade entlang und lauschte. Das Blockhaus hatte nur ein einziges Geschoss und war nicht zu groß. Wenn Kellvian und Dagian sich in einem der äußeren Räume trafen, könnte sie problemlos mithören, überlegte die Gejarn. Vorsichtig schlich sie sich näher an eines der Fenster heran und spähte hinein. Ihre nackten Füße verursachten auf dem pulvrigen Untergrund kaum einen Laut Auch wenn

es unangenehm war, zu lange stehenzubleiben. Der Schnee schmolz unter ihren Zehen und die Kälte drang rasch durch Fell und Haut. Durch die Scheibe konnte Jiy einen menschenleeren Raum erkennen. Eine Reihe grüner Teppiche an den Wänden isolierte gegen die Kälte von draußen. Die ein oder andere Jagdtrophäe hier ein Geweih, dort ein Pelz und eine Wandhalterung mit mehreren Waffen nahmen die restlichen freien Flächen ein. Für Jiy machte die kleine Halle einen überladenen Eindruck, als hätte man versucht die Einrichtung eines ganzen Hauses darin unter zu bringen. In der Mitte des Raums brannte eine

gemauerte Feuerstelle um die mehrere bunt zusammengewürfelte Sessel und Stühle standen. Jiy duckte sich grade noch rechtzeitig wieder in den Schnee, als auf der anderen Seite des Raums eine Tür geöffnet wurde und musste ein kichern unterdrücken. Das ganze hatte etwas von einem Spiel, es war nicht wirklich gefährlich, aber nach der ganzen zeit war es zumindest Abwechslung, dachte sie. Zu lange einfach herumzusitzen und auf den Sommer zu warten… das zehrte an den Nerven. Lange hielt ihre gute Laune jedoch nicht mehr an, als sie es erneut wagte, aufzutauchen. Dagian Enher, der Hochgeneral Cantons,

war sicher niemand, den man zum Feind haben wollte. Obwohl er die besten Jahre hinter sich hatte, strahlte er nach wie vor eine Entschlossenheit aus die einem Angst machen konnte. Lediglich einige Haarstoppel bedeckten den ansonsten kahlen Schädel des Mannes. Ein langer Bart fiel ihm bis auf die durch einen Kürass geschützte Brust. Einzelne Metallringe glitzerten in den Haaren, offenbar eine alte Tradition bei den Menschen des Nordens. Jeder Getötete Krieger bedeutete einen Ring und Dagian schien einen Eisenbart zu besitzen. Der Mann hatte eine finstere Mine aufgesetzt, allerdings hatte Jiy ihn bisher auch noch nicht wirklich

freundlich erlebt. Kellvian ließ sich von der Erscheinung des Generals jedoch offenbar nicht einschüchtern, als er ihm durch die Tür folgte. Auch wenn der junge Mann neben dem Kriegsherren fast unscheinbar wirkte, strahlte er eine Jiy gut bekannte Ruhe aus. ,,Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten.“ , meinte Dagian. ,,Wie es aussieht, sammeln sich die abtrünnigen Clans wieder. Sie haben bereits einige Dörfer in den Herzlanden überfallen, offenbar weil sie Nahrungsmittel brauchen.“ Kellvian sah überrascht auf. ,,Seltsam. Nach dem Schlag, den ihr ihnen letzten

Sommer verpasst habt… da riskieren sie jetzt wirklich einen Winterfeldzug?“ ,,Vielleicht haben sie keine Wahl. Die Gejarn sind nach ihren Verlusten sicher demoralisiert, vielleicht versuchen sie so, die Truppen zumindest bis zum Frühjahr zusammenzuhalten. Oder der Tod eures… Vaters hat sie ermutigt.“ Der General zuckte mit den Schultern. ,,So oder so Kellvian, mit den Truppen, die wir noch im Herzland haben, können wir sie mühelos vernichten. Es braucht nur einen Befehl und…“ Kell hob eine Hand und Dagian verstummte. ,,Nein. General, das soll kein Blutbad werden wie letztes mal. Wenn möglich, will ich mir selber ein

Bild machen.“ Er schien einen Moment nachzudenken, während er an die ummauerte Feuerstelle trat und die Hände an den Flammen wärmte. ,,Ich möchte erst mit ihnen reden wenn möglich. Wie schnell können wir in den Herzlanden sein?“ Dagian seufzte entnervt. ,,Götter, geht das schon wieder los, seit nicht so dumm wie euer Vater Junge. Er hat versucht mit diesen Tieren zu verhandeln und seht euch an, was wir davon haben…“ ,,Was habe wir den davon, Dagian ?“ , fragte Kellvian leise. ,,Die ganze Situation hier, Kellvian. Der Adel im Sattel, ein Kaiser ihrer Gnade ausgeliefert, eine Armee marodierender

Gejarn, die längst Staub fressen sollten, unsere Hauptstadt zerstört und dann erst eure…“ Der General schluckte die letzten Worte hinunter, weil ihm offenbar klar wurde, dass er zu weit ging.Kell sah den Kriegsherren einen Augenblick an, ohne etwas zu sagen. ,,Möchtet ihr mir mitteilen, das ihr ein Problem mit mir habt ? Dann raus damit, bitte.“ , fragte er schließlich. Dagian schwieg. ,,Hört zu, und das können auch ruhig alle hören, sagt offen was ihr denkt. Ich werde sicher niemanden dafür bestrafen oder böse sein, dass er mir seine Meinung sagt. Ob ich das nun hören will oder

nicht.“ ,,Wie wäre es damit. Eure Chance, als Kaiser anerkannt zu werden ist verschwindend gering. Ihr riskiert mehr als nur euer eigenes Leben, Kellvian. Ihr riskiert alles, was wir über ein Jahrtausend hinweg aufgebaut haben. Und wofür ?“ Und es scheint mir so, als würdet ihr wirklich alles tun um sie noch zu verkleinern. Und jetzt wollt ihr mit Worten erreichen, was längst nur noch das Schwert vermag.“ ,,Wofür ? Um das Blutvergießen zu beenden, Dagian, nicht es noch zu verschlimmern. Wenn ich nach eurem Willen handeln würd, würde das wirklich bedeuten, alles zu riskieren, vor allen

den Frieden innerhalb Cantons. Glaubt ihr wirklich, wir können einfach töten, wer sich gegen uns stellt und hoffen, das das ihren Hass auf uns nicht noch mehr anfacht? Das die Überlebenden uns dann nicht noch mehr und grade deshalb bis zum Ende bekämpfen würden?“ ,,Sicher, das das eure… einzigen Motive sind ?“ , fragte Kells gegenüber und sah dabei Richtung Fenster. Erneut gelang es Jiy, sich grade noch rechtzeitig wieder zu verstecken. Ihr Herz schlug bis zum Hals, während Dagian fortfuhr: ,,Ihr schlaft nicht nur sprichwörtlich mit dem Feind. Kommt schon, wie lange habt ihr geglaubt, das Geheimhalten zu können?“ ,,Tatsächlich habe ich das nie versucht.“

, erwiderte Kellvian ruhig.,,Ihr glaubt also ich bin voreingenommen, ja ?“ ,,Ich möchte sagen, das ihr gut darüber nachdenken solltet, ob ihr dieses Risiko eingehen könnt.“ ,,Vielleicht, General, bin ich aber nicht der einzige, der seine Motive überdenken muss. Meine Entscheidung steht. Wir reisen in die Herzlande. Was ich dann tun werde… wird sich zeigen. Dagian ich weiß, ihr macht euch Sorgen und zu Recht. Ich schätze euren Rat und habe um eure Meinung gebeten. Wenn… aber nur wenn sie sich nicht zur Vernunft bringen lassen, oder weiter Menschen gefährden, dann glaubt nicht das ich zögern

werde.“ Der General nickte versöhnlich, legte die harte Mine aber trotzdem nicht ab. ,,Ihr erinnert mich manchmal wirklich zu sehr an Konstantin.“ , murmelte er seufzend. ,,Und das meine ich nur teilweise positiv. Also gut. Erneut in die Herzlande, wie ? Ich denke, wenn ich die nötigen Befehle gebe, können wir morgen oder übermorgen abreisen. Wenigstens ist es im Osten etwas Wärmer.“ ,,Danke. Gibt es sonst noch etwas?“ ,,Es gefällt mir auch nicht, das ihr einer Gruppe Piraten vor der Küste Zuflucht und Unterstützung gewährt, aber ich schätze, ich kann euch kaum davon

abbringen, wie ?“ ,,Nein, ich schulde Eden und den anderen mein Leben, mindestens einmal.“ ,,Vielleicht könntet ihr aber wenigstens mit diesem Erik reden. Der Mann ist der reinste Waldschrat, Kell. Lichtblitze in der Nacht, Detonationen, als baue der Mann eine Kanone… Entweder ihr redet mit diesem Irren oder ich tue es.“ Kell lachte. ,,Ja, das klingt wirklich nach Erik. Wenn ich ihn sehe, rede ich mit ihm. Ihr wisst nicht, wo er grade ist, oder?“ ,,Keine Ahnung. Angeblich ist er heut Morgen im Wald verschwunden. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich muss

einiges vorbereiten.“ ,,Natürlich. Keine Sorge, alles wird gut.“ ,,Euer Wort möge gehör bei den Göttern finden…“ , erwiderte der General. Jiy hatte genug gehört und schlich sich Weg vom Fenster. Das Risiko jetzt doch noch erwischt zu werden, wollte sie lieber nicht eingehen. Und was sie gehört hatte, reichte ihr. Fast schien ihr, dass sich alles wiederholen wollte. Hatten sie den letztes Jahr irgendetwas erreicht?

Kapitel 3 Aufbruchsstimmung


Jiy musste sich beeilen um das Haus zurück zum Eingang zu gelangen, bevor Kell wieder herauskam. Leicht außer Atem erreichte sie die Tür grade noch rechtzeitig um zu sehen, wie der Mensch rückwärst heraustrat und sich von Dagian verabschiedete. Die zwei Wachen, die ihren Posten bisher nicht verlassen hatten wirkten erleichtert, als sie Jiy erkannten. Vermutlich wollte keiner die Verantwortung übernehmen, wenn sie jemand bemerkt hätte. Kellvian seinerseits wirkte niedergeschlagen.

Auch wenn er sich mit gespielter Selbstsicherheit gegen den General behauptet hatte, das verschwand, sobald er dessen Blick nicht mehr im Rücken spürte. ,,Entschuldige, das du warten musstest.“ , meinte er. ,,Aber…“ ,,Hey, schon gut. Ich weiß, das Dagian mich nicht leiden kann. “ ,,Das ist es nicht. Wirklich, er mag ja manchmal recht rau wirken, aber… “ Kell zuckte mit den Schultern. . ,,Dagian dient meiner Familie seit Jahren. Er ist in Ordnung Jiy, wirklich, nur etwas… überengagiert.“ ,,Was wollte er den eigentlich ?“ , fragte Jiy, obwohl sie die Antwort natürlich

schon kannte. ,,Ich fürchte, die Dinge werden langsam kompliziert.“ Kellvian drehte sich noch einmal kurz zur Hütte um, als könnte er durch die Wände noch den General sehen, der missgünstig vor sich hin starrte. ,,Wir brechen also auf , oder?“ Kell sah sie einen Moment verwirrt an. ,,Woher weist du das denn ?“ ,,Ich äh… habe möglicherweise etwas gelauscht.“ Kellvian schmunzelte ohne etwas zu erwidern. Eine Weile lang liefen sie schweigend durch den Schnee, der unter ihren Füßen leise knirschend in sich zusammenfiel. Die Sonne war

mittlerweile nur noch ein schmaler Streifen Licht am Horizont, der sich kaum noch gegen die hereinbrechende Nacht behaupten konnte. Die ersten schwach glimmenden Sterne zeigten sich am rasch dunkler werdenden Himmel. ,,Hast du das ernst gemeint, dass du… tun würdest was nötig ist…“ Kellvian blieb stehen, so plötzlich, das Jiy es erst gar nicht mitbekam. Als die Gejarn sich zu ihm umdrehte, hatte er die Augen geschlossen und sah zu Boden. ,,Jiy… Ich will nicht, das überhauet jemanden etwas geschieht. Nicht wenn ich es verhindern kann, das weist du, oder?“ Seine Stimme klang belegt, abwesend.

Er wich der Frage aus, stellte Jiy für sich fest. Glaubte Kell, sie hätte Angst vor einer ehrlichen Antwort? ,,Das beantwortet meine Frage nicht.“ , meinte sie. Die Gejarn fühlte sich unwohl, hätte sie doch nichts gesagt. Würdest du die Abtrünnigen … töten lassen?“ Kellvian seufzte schwer. ,,Welche Wahl habe ich den ? Die Gejarn töten Leute, Jiy und wenn sie sich nicht zur Vernunft bringen lassen töten sie noch mehr. Wenn ich dann nichts unternehme… Wenn ich dann zögere nur weil…“ Er brach ab. ,,Es gibt manchmal keine richtige Entscheidung, oder ?“ Jiy konnte ihm

ansehen, das er keine leichtfertige Entscheidung treffen würde. ,,Nein. Aber könntest du mir verzeihen?“ ,,Kellvian…“ Vielleicht konnte Kell keine leichte Entscheidung treffen. Aber das konnte sie auch nicht. ,,Schon gut, das war eine dumme Frage.“ Er legte einen Arm um sie. ,,Ich kann dich nur bitten, mir zu vertrauen.“ ,,Kell, ich vertraue dir mehr als jemand sonst. Aber… sei einfach vorsichtig, was immer auch passiert.“ Kellvian nickte. Das zumindest konnte er ihr mit Leichtigkeit versprechen. Langsam machten sie sich auf den Weg zurück zum Haus. Arm in Amr und den gleichen Gedanken

nachhängend. Syle schirmte seine Augen mit der Hand vor dem stärker werdenden Schneefall ab, während er kopfschüttelnd zu Erik sah. Der grauhaarige Arzt hatte ein silbernes Objekt in der Hand und schien die Entfernung zwischen ihnen und dem anderen Ende der Lichtung abzuschätzen, auf der sie sich befanden. Die Schneebedeckten Tannen bildeten einen Halbkreis, der erst an den Klippen endete. Unten, keine tausend Schritte vom felsigen Strand entfernt konnte er die Windrufer erkennen. Das Schiff tanzte in den Wellen auf und ab und in regelmäßigen Abständen schlugen

Eisschollen und kleinere Kristallberge gegen den Rumpf. Mit dem dichter werdenden Schneesturm jedoch, verschwand das Schiff zunehmend außer Sichtweite. ,,Wir sollten wirklich nicht mehr zu lange hier draußen bleiben.“ , rief der Gejarn dem grauhaarigen Mann zu. Trotz der Kälte trug dieser nur einen leichten blauen Mantel mit goldknöpfen, der der Uniform der kaiserlichen Garde nachempfunden war, wie die, die Syle selbst trug. Eine große Ledertasche, in der mehrere Werkzeuge klimperten hing an seinem Gürtel, während der Wind ihm die weiße Mähne um den Schädel peitschte. Erik Flemming winkte ab.

,,Schon gut, aber en Versuch noch.“ Er hob die Hand, in der etwas Zylinderförmiges, silbernes Glitzerte. Den Arm leicht angewinkelt, holte er aus und warf den Gegenstand so gut er konnte. Der Zylinder segelte durch die Luft und landete knapp hundert Schritte entfernt im Schnee. Wenige Augenblicke später stiegen einige Lichtfunken unter der Eisdecke auf und schmolzen rasch eine Lücke um den Zylinder frei. Syle erinnerte das ganze an billiges Feuerwerk, wie man es auf Jahrmärkten oder bei manchen Feierlichkeiten verwendete. ,,Ähm… das war nett.“ , kommentierte

der große Gejarn. Mit der Gestalt eines Bären, die die meisten Menschen um mehrere Köpfe überragte wäre es sicher niemanden eingefallen, Syle für harmlos zu halten. Die meisten machten auch keinen hehl daraus, das sie ihn fürchteten. Der Arzt der Windrufer hingegen nicht. ,,Ach was, das braucht nur noch ein wenig Feineinstellung.“ , konterte Erik, während er auf das im Schnee versunkene Objekt zuging um es zurückzuholen. Syle sah ihm ungerührt, auf den Griff seines Gewehrs gestützt, dabei zu. Wussten die Götter, wieso der Alte ihn mitgenommen hatte, aber irgendjemand

musste ja wohl auf ihn aufpassen, dachte er. Auch wenn Erik sicher kein schlechter Kerl war, ein paar lockere Schrauben hatte er garantiert. Bevor der Arzt jedoch dazu kam, den Zylinder aufzuheben, detonierte dieser in tausend Splitter. Statt einem Lichtfunken stieg ein kleiner Faustgroßer Ball aus Energie auf, der in eine Schockwelle überging. Erik wurde getroffen und von den Füßen geholt. Sich überschlagend rutschte er durch den Schnee und blieb schließlich am Fuß einer Tanne liegen. Die Explosion erschütterte die Zweige der umstehenden Bäume und Schnee und Eis regneten herab auf den Waldboden.

Syle rannte zu dem gestürzten Alten, der sich jedoch, scheinbar putzmunter, aufrappelte. Erik spuckte etwas Schnee aus, bevor er erklärte: ,,Seht ihr, funktioniert bestens.“ ,,Was bitte war das ?“ Der Mann klopfte sich Eis aus Kleidung und Haaren. ,,Nun ich glaube ich habe die Zündkristalle nicht richtig vorbereitet…“ , meinte er, während er zu dem jetzt in Fetzen liegenden Behälter sah. Kleinere, bunt funkelnde Juwelenüberreste waren im Schnee verteilt, zusammen mit einem seltsamen Gefühl in der Luft, das Syles Füße kribbeln ließ. ,,Zündkristalle…“ Der Gejarn wusste

nicht, ob er Verstand, worauf Erik überhaupt hinaus wollte. ,,Seht ihr, mir kam die Idee, eine normale Zündschnur lässt sich viel zu eicht löschen und auch Steinschlossgewehre sind nicht immer zuverlässig, also…“ ,,Magische Zünder, oder ?“ ,,Ihr habt’s begriffen. Oh… wobei mir einfällt…“ Der Mann griff plötzlich offenbar panisch in seine Taschen und förderte eine etwa Handflächengroße, blaue Scherbe zutage. Mit einer Bewegung warf er den Stein weg... , Nachdem die eben alle auf einmal losgegangen sind, will ich nicht, das der in meiner Tasche auslöst. Könnte

wehtun.“ ,,Ich dachte ihr seit Immun gegen Zauberei ?“ , fragte Syle um hinzuzufügen, ,,Wo Genau habt ihr eigentlich überhaupt die Kristalle dafür her ?“ ,,Oh ich habe mir ein paar vom Sangius-Orden geschnorrt, vielleicht, die haben so viele davon, das fällt nicht auf.“ ,,Ihr habt ernsthaft den Orden bestohlen ?“ Syle war jetzt ernsthaft beunruhigt. Die Magier zu bestehlen wäre für die meisten gewöhnlichen Menschen ein Todesurteil. Auch wenn die Hexer ohne ihren Ordensoberen wohl eine weile brauchen würden, sich wieder zu organisieren… Diese Männer und Frauen

konnten mit Gedanken töten. Allerdings war Erik auch nicht das, was er normal nennen würde, überlegte der Gejarn. ,,Warum stehlen ? Ich würde es mehr als ihren… Beitrag zur Schadenswiedergutmachung sehen. Ein paar habe ich auch aus den Ruinen der Stadt geborgen. Was das alte Volk uns hinterließ ist, nach wie vor besser, als alles, was der Orden erschaffen kann.“ Der Arzt klatschte in die Hände. ,,So, wo das erledigt wäre… es wird wirklich langsam kalt. Kommt, ich bin sicher, irgendjemand wartet schon mit dem Essen auf uns. Hoffe ich. Ich hab einen Bärenhunger. Nichts für ungut, der Herr.“ Weiter fröhlich mehr mit sich

selbst als irgendjemand bestimmten schwatzend lief Erik an Syle vorbei und verschwand zwischen den Bäumen in Richtung der Hütten. Im gleichen Moment detonierte der Splitter den er eben noch weggeworfen hatte und wirbelte Schnee und Eis hoch in den Himmel. Erneut erzitterten die Bäume in der entstehenden Schockwelle. Syle erstarrte einen Moment wo er war. Mit dem magisch erzeugten Wind war etwas an seine Nase gedrungen, das hier nichts zu suchen hatte. Nicht unvertraut aber… Vermutlich hatte er sich getäuscht. Der Gejarn drehte sich um und beeilte sich, den Arzt noch

einzuholen. Am Rand der Lichtung tauchte kopfschüttelnd eine Gestalt auf. Dagian Einher besah sich einen Moment das Chaos, das die magische Granate verursacht hatte, während er einen der Kristall-Splitter aufhob, die im Schnee verteilt lagen. Ein kleiner Lichtfunke stieg auf, sobald er den Stein in der Hand hielt. Kellvian hatte es also offenbar nicht für nötig befunden etwas gegen diesen Erik zu unternehmen. Was für ein Schwachsinn… Trotzdem ließ er das gefundene Fragment in der Tasche verschwinden. Vielleicht würde ihm der Irrsinn dieses Mannes ja irgendwann doch

nützlich. Eden stand an Deck der Windrufer und betrachtete Missmutig das mit Eisschollen übersäte Meer. Dichter Schneeregen viel vom Himmel löste sich in den Wellen auf, setzte sich auf Schiffsmasten und Kleider und überzog das ganze Schiff allmählich mit einer weisen Puderschicht. Wenn das so weiterging, fror der Ozean wirklich noch zu. Ihre mit hellem Fell bedeckten Ohren zuckten nervös, bei dem Gedanken festzusitzen. Als Schutz vor den eisigen Sturmböen hatte sie einen roten Mantel dicht um den Körper geschlungen. Irgendwo über ihr kreischten

Möwen. Neben ihr stand ein junger Mann und sah angestrengt zu den Klippen zurück. Als könnte er dort irgendetwas sehen, das Eden nicht wahrnehmen konnte. Sie war es gewohnt, das Zachary sich nicht wie die meisten anderen Menschen verhielt. Sein Gespür für Magie ließ das einfach nicht zu. Dunkle Haare wehten um ein Gesicht, aus dem zwei türkisfarbene Augen herausblickten. Abwesend, aber mit einem Funkeln darinnen, das verriet, das der Junge keineswegs dumm war. Auf dem Untergrund seines weisen Hemds schimmerte ein großer Saphir in einer Silberfassung. ,,Zahary…“ Eden sprach leise, trotzdem

zuckte der Junge kurz zusammen, als würde er erst jetzt aus seinem Tagtraum aufschrecken. Trotzdem sagte er nichts. ,,Glaubst du, du könntest etwas gegen das Eis unternehmen ?“ , fragte sie. Zachary sah einen Augenblick wieder aufs Meer hinaus. ,,Vielleicht. Frei bekomme ich das Meer sicher nicht… Aber ich kann verhindern, dass das Schiff ganz einfriert. Dann müssen wir es nicht aus dem Wasser schaffen.“ ,,Das kannst du ?“ Die Gejarn hatte gesehen, wie er eine Flutwelle erschaffen und selbst einen Großmagier wie einen Novizen aussehen hatte lassen, das hier aber erforderte, ein ganzes Meer

aufzuheizen. Mit einem für ihn untypischen, schelmischen grinsen streckte Zachary eine Hand über die Reling, so dass sie ein kleines Stück über dem Meer schwebte. Zuerst schien gar nichts zu passieren. Dann jedoch begann der Ozean zu Rauchen. Dampfschwaden stiegen auf, während die im Wasser treibenden Eisstücke Zusehens verschwanden. In einem kleinen Umkreis um das Schiff kochten die Wellen, bis Zachary die Hand wieder senkte. ,,Das sollte eigentlich dafür Sorgen, das hier nichts friert.“ , meinte er, klang aber erschöpfter, als er sich gab. Der blaue Edelstein um seinen Hals schien

ein Stück dunkler zu schimmern. Falamirs Träne, ein Artefakt, für das sie einen mehr als angemessenen Preis bezahlt hatten, wenn Eden darüber nachdachte, was darauf alles gefolgt war. Schritte, die von den Holzplanken wiederhallen, veranlassten sie sich umzudrehen und eine Hand auf den Schwertgriff zu legen. Reiner Reflex und sie lies die Waffe sofort los, als sie den Neuankömmling erkannte. Cyrus trug meist schwarz, ob er sich durch seine Zugehörigkeit zur schwarzen Garde einfach mit der Farbe identifizierte oder ob aus einem anderen Grund, er schien damit selber zu einem

Schatten zu werden. Eine Axt und ein Kurzschwert hingen im Gürtel des Mannes. Das dunkle Fell und die wölfischen Züge sorgten zusätzlich dafür, dass die meisten dem Gejarn schon aus der Entfernung auswichen. Trotzdem würde sich das wohl schnell für jeden ändern, der ihn etwas besser kannte. ,,Wie sieht es aus ?“ , wollte er mit einem schwachen Lächeln wissen. ,,Muss ich unserem Freund aus Laos mitteilen, das sich seine Abreise wohl etwas verzögern wird ?“ ,,Ich fürchte es.“ , meinte sie, während sie die Reling des Linienschiffs entlangliefen. Zachary schien schon

wieder in seiner eigenen Welt und sah auf das immer noch leicht neblige Wasser hinaus, ohne ihnen zu Folgen. Die Windrufer war kaum wiederzuerkennen, nachdem so gut wie alles repariert und von den Handwerkern des Kaiserreichs überholt worden war. Neue Aufbauten, mehrere Kabinen unter Deck und ein Laderaum voll mit Vorräten. Eigentlich hätten sie aufbrachen können. , dachte Eden. Eigentlich… ,,Dieses Schiff bewegt sich so schnell nirgendwo mehr hin. In ein paar Wochen vielleicht, die Winter in diesem Teil von Canton sind hart, aber glücklicherweise nicht all zu lang.“ Cyrus nickte. Offenbar hatte er mit

dieser Antwort schon gerechnet. ,,Und wie geht es Zachary ?“ ,,Ich.. weiß es ehrlich gesagt nicht.“ , gab Eden zu. ,,Nachdem, was in der fliegenden Stadt passiert ist…Er spricht nicht fiel, das wisst ihr doch. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, was es für Zac bedeuten würde, seine Familie wiederzufinden. Und sie dann gleich darauf mit Walter wieder zu verlieren…“ ,,Er hat noch versucht ihn zu heilen…“ , gab der andere Gejarn zu bedenken. ,,Vielleicht solltet ihr ihn einfach mal Fragen. Wie dem auch sei… wie es aussieht, bleiben Kellvian und die anderen nicht mehr lange hier. Die

Gardisten tuscheln schon alle. Offenbar sammeln die Clans im Herzland wieder Truppen. Mitten im Winter.“ Eden drehte sich zu Cyrus um und musterte ihn angespannt. ,,Ihr schlagt vor, das wir mitgehen, oder ? Das ist nicht wirklich unser Kampf.“ ,,Ich war mal Gardist und so wenig mir das gefällt, hier geht es um unser Volk. Wenn es ärger gibt… will ich das wissen.“ ,, Es ist nicht so, das ich euch das verbieten würde… oder könnte. Ich weiß, das ihr nichts auf Autorität gebt.“ ,, Vielleicht hätte ich euch einfach gerne dabei.“ Sie lachte. ,, Ihr seit also nicht hier um

mich um Erlaubnis zu bitten Cyrus, nein ihr wollt mit mir ausgehen. Und das Beste was euch einfällt ist, das nächste Schlachtfeld. Wisst ihr was? Gehen wir. Im Augenblick sitzt die Windrufer sowieso fest. und schnappt euren Doktor-Freund. Ich fürchte, wenn das schief geht, wird er mehr als genug zu tun haben. “

Kapitel 4 Sturm


Dunkle Wolken brodelten am Horizont, der immer wieder von Wetterleuchten erhellt wurde. Das einsetzende Tauwetter hatte eine endlose Ebene aus totem, gelblich verfärbtem Gras freigelegt. Einzelne dürre Bäume stachen aus der eintönigen Landschaft heraus, wie Dornen. Vereinzelte Blätter, die sich noch an den Zweigen hielten wurden von einem nun vom heraufziehenden Sturm hinweggefegt. Einzelne berittenen Soldaten durchpflügten das Gelände um eventuell gefährliche Stellen oder

Hinterhalte aufzuspüren. Kellvian Belfare sah mit einem mulmigen Gefühl im Magen über das Feld hinweg. Zwei Wochen hatte es gedauert, bis sie die Herzlande erreicht hatten und noch einmal mehrere Tage, Truppen zu sammeln… und schließlich die Armee der Clans zu finden. Zwei Wochen, die ihm endlos lang erschienen waren und gleichzeitig nicht ausreichten. Am anderen Ende der Ebene, wo die endlosen Reihen aus abgestorbenen Gras in einen kleinen Wald übergingen, in dessen Schatten sich hartnäckig der Schnee hielt, standen sie. Er konnte nur abschätzen, wie viele

Soldaten die Clans zusammengezogen hatten. Eine endlose Reihe aus der Entfernung kaum auszumachender Figuren. Zweitausend Mann ? Dreitausend ? Kellvian konnte nicht verhindern, das ihm bei dem Anblick ein Schauer über den Rücken lief, aber er brauchte sich nur umzudrehen um zu wissen… die Gejarn waren verloren, wenn es zu einem Kampf kam. Wenn es überhaupt noch eine andere Möglichkeit gab. Fast so weit er sehen konnte hatten sich über ein dutzend Abteilungen der kaiserlichen Garde aufgestellt. Goldene, blaue, grüne und rote Uniformen, Banner, mit dem Doppelsiegel des Kaiserreichs, die im

Wind flatterten. Dagian hatte die Truppen nur grob zählen lassen und doch waren sie auf über fünftausend Mann gekommen. Weitere wären auf dem Weg und nur noch ein paar Wegstunden entfernt, wie er wusste. Kellvian musterte die aufmarschierenden Truppen beider Seiten abwesend und sich der Situation doch mehr als bewusst. Wenn er es wollte könnte er die Armee dort drüben restlos vernichten lassen. Mit dem Wink eines Fingers alles beenden und einer Unzahl Musketen den Feuerbefehl erteilen. Er selbst befand sich auf einem kleinen Hügel etwas Abseits der Hauptarmee, die grade Geschütze in Stellung brachte und

letzte Vorbereitungen traf. Gewehre und Säbel wurden überprüft, schwer gepanzerte Pferde der goldenen Garde gesattelt… Berittene Boten eilten zwischen den einzelnen Formationsreihen hin und her und gaben letzte Anweisungen. Kellvian würde am liebsten nur einen Befehl geben. Das alles hier sofort beenden, die Leute nach Hause schicken… leider würde nur eine der zwei Armeen hier jemals auf ihn hören. Und doch hoffte er weiter, dass es noch nicht zu spät für Worte war. Aber wenn es das war… Kellvian tat etwas, das er lange nicht mehr getan hatte. Er ließ seinen Geist

abtreiben, zog sich in sich selbst zurück, bis die Außenwelt nur noch ein fernes Flüstern zu sein schien. Stille und endlose Ruhe umgaben ihn und doch war es nicht das, was er suchte. Im schweigen lauerte etwas. Etwas altes, Dunkles und gefährliches, nach dem er nur die Hand ausstrecken brauchte. Probehalber ließ er eine kleine Flamme über seinen Handrücken zu seinen Fingerspitzen wandern. Gleichzeitig versuchte Kellvian die dunklen Einflüsterungen, die seine Magie mit sich brachte zurückzudrängen. Er brauchte keine Armee. Wenn sein Körper dabei nicht versagen würde, er könnte all seine Gegner mit nur einem Gedanken

auslöschen… Kell drängte die Fremden Gedanken zurück. Niemand diktierte ihm, was er mit seinen Kräften zu tun hatte. Auch keine alte Seele, die sich wie ein Parasit an seinen Lebensfunken klammerte. Nur er selbst. Kellvian sah sich nach seinen Begleitern um. Eden, Cyrus Erik nd Zachary waren irgendwo hinter den sich formierenden Soldaten zurückgeblieben. Dagian Einher saß neben ihm, wie er auf einem Pferd. In schwerer Panzerung wirkte der Mann noch grimmiger als sonst, wenn das Überhaupt möglich war. Eine schwere Axt zusammen und zwei doppelläufigen Pistolen hingen an einem

Geschirr, das dessen Pferd trug. Zyle hatte sich ebenfalls eingefunden, jedoch zu Fuß. Die meisten Gejarn verzichteten auf Pferde, solange es ihnen möglich war. Offenbar nicht im Geringsten nervös hatte er die Hände ruhig auf das Schwert gestützt und beobachte alles mit etwas, das man für Gleichgültigkeit hätte halten können. Auf Kellvians anderer Seite stand Jiy und beobachtete alles mit einem niedergeschlagenen Ausdruck auf dem Gesicht. Also war es so weit gekommen, dachte die Gejarn. Die kurzen Schlachten im letzten Sommer und Herbst, bei denen der Kaiser ums Leben gekommen war, hatten den abtrünnigen Clans

offenbar keine Lehre sein können. Jiy ließ den Blick über die fernen Gestalten wandern und entdeckte eine kleine Stelle, an der man ein weißes Zeltdach aufgestellt hatte unter dem ein gutes Dutzend Gejarn zu sitzen schienen. Die Ältesten. Fenisin und all die anderen, sofern sie die Gefechte im Herbst überlebt hatten. Heute würde keiner von ihnen entkommen. Jedes weitere Angebot zu Verhandlungen war von ihnen bisher Ausgeschlagen worden. Auch wenn ein Haufen Narren unter ihnen war, der Gedanken war für Jiy nicht zu ertragen Verflucht, was sollte sie denn tun? Was konnte sie überhaupt tun? Die Gejarn sah zu Kell. Jiy hatte ihn

noch nie Rüstung tragen sehen. Zumindest bis jetzt. Nun jedoch schien der Mann etwas Bedrohliches auszustrahlen. Ein Schwarz gefärbter Kürass mit silbernen Mustern schützte Kellvians Oberkörper. Ein Reitschwert mit leicht gebogener Klinge ruhte an seiner Seite und ein schwarzer Umhang mit dem darauf gestickten Siegel Cantons fiel ihm über die Schultern. In Gold und Silber gehalten prangten die Wappentiere des Imperiums darauf. SO jemanden würden die Gejanr nicht mehr anhören, niemanden, der das Sigel des Reichs trug oder mit diesem in Verbindung stand. Das war eine Linie, die vor Monaten überschritten worden

war. Aber was wenn… Jiy erstarrte, für einen Augenblick hörte sie sogar auf zu atmen. Sie konnte etwas tun. Es gab eine ganz simple Möglichkeit… Ein Strohhalm, aber einer, den sie ergreifen musste. Sich nähernde Hufschläge rissen sie aus ihren Gedanken. Wer konnte das noch sein? Eine einzelne Gestalt auf einem Pferderücken kam den Hügel hinauf, eine auffällige Wolke aus rotblondem Haar hinter sich heerziehend und ein in der schwachen Sonne glitzerndes Stück Stahl in der Hand. Auch die anderen bemerkten den Neuankömmling. Jiy konnte sehen, wie Zyle sich anspannte, bereit zu handeln,

wenn nötig. Offenbar war der Gejarn doch nicht so ruhig, wie er sich gab. Dagian gab jedoch Entwarnung, indem er sich mit einer Hand zum Gruß gegen die Stirn tippte, als der Reiter die kleine Gruppe erreichte. ,,Tamyra, ich fürchtete schon etwas hätte euch aufgehalten.“ , meinte der General. ,,Etwas hat mich aufgehalten.“ , erklärte sie lediglich, während sie das Schwert demonstrativ an ihrem Rock sauberwischte. ,, Das wird es nicht noch einmal tun. Eine Gejarn-Patrouille weniger um die ihr euch Sorgen müsst.“ ,,Bei der Übermacht die wir haben schicken sie wirklich noch Spähtrupps

aus ?“ , wollte Kellvian wissen. ,,Denkt darüber nach, Kell.“ , warf Zyle ein. ,,Sie können nicht mehr viel verlieren, das muss ihnen klar sein. Also hoffen sie, geringere Truppenstärke durch taktische Überlegenheit wettmachen zu können.“ Mit einem nüchternen Blick über das baldige Schlachtfeld fügte er hinzu. ,,Das wird ihnen nicht gelingen.“ Jiy sah ihn verständnislos an. ,,Wie könnt ihr das wissen ?“ ,,Sie haben schon Position bezogen. Ihnen ist selbst klar, das keine noch so wichtige Information viel am Ausgang dieses Gefechts ändern könnte.“ ,,Und wer genau seit ihr ?“ , fragte

Kellvian an die rothaarige Frau gerichtet, die Dagian als Tamyra vorgestellt hatte. Jung, vielleicht ein paar Jahre älter als er selbst, mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck. Er fühlte sich sofort ein wenig an Dagian erinnert. ,,Tamyra Lahn, kaiserliche Diplomatin , mein Herr. Meistens zumindest...“ ,,Sie hat sich bei den Kämpfen im Herbst gut geschlagen, Kellvian. Ich habe mir die Freiheit genommen, sie zu meiner Adjutantin zu ernenne. Ich dachte etwas Hilfe kann nicht schaden.“ , erklärte Dagian. ,,Ich fürchte, für Diplomatie könnte es einige Monate zu spät sein.“ , bemerkte

Zyle. Sie schien Zyle nicht ganz einordnen zu können. Man merkte dem Gejarn schnell an, das er nicht ganz nach Canton zu gehören schien, sein ganzes auftreten, ein leichter Akzent und die meist untypische Bewaffnung taten ihr übriges dabei. ,, Dafür ist es nie zu spät. Dennoch fürchte ich… ihr könntet Recht haben. Ihr stammt aus Laos oder?“ Zyle nickte lediglich. Kellvian musste derweil seine Einschätzung korrigieren. Tamyra war nicht ganz wie Dagian. Ihr fehlte die unerbittliche Entschlossenheit des Hochgenerals. Nicht, dass das eine

schlechte fehlende Eigenschaft wäre, dachte er. Stille senkte sich erneut über die Versammlung und eine Weile schien jeder seinen Gedanken nachzuhängen. Die Luft fühlte sich schwer an, wie kurz vor einem Gewitter. Die dunklen Wolken am Himmel würden sicher bald Regen bringen und die noch trockene Ebene in eine kalte Schlammwüste verwandeln. Kellvian hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schloss einen Moment die Augen. Das tobende Feuer, das er aus seinem geist heraufbeschworen hatte war nach wie vor nur einen Gedanken entfernt. Es konnte nicht mehr zu lange dauern, dann würde eine der beiden Seiten die Geduld verlieren. Aber er

hatte nicht vor, zuerst anzugreifen. Wenn die Gejarn sich doch bloß jetzt zurück zögen… Wunschdenken, verfluchte er sich selbst. Und das half niemand. Die Zeit wo er sich mit so etwas herumschlagen durfte, war vorbei. ,,Kell.“ Jiy hatte sich während des kurzen Gesprächs größtenteils in Schweigen gehüllt. ,,Ich kann zu ihnen gehen.“ ,,Was ?“ Sein Herz schien einen Schlag auszusetzen. ,, Hör zu : Sie werden keinen Boten des Kaiserreichs mehr empfangen, das weißt du. Also lass mich gehen. Die Ältesten kennen mich. „ Er schüttelte augenblicklich den Kopf, obwohl er

wusste, dass sie Recht hatte. Nein. ,,Sie wissen wer ich bin. Mir hören sie vielleicht zu.“ , fügte die Gejarn hinzu. Als ob er sie aufhalten könnte, dachte er. Auf der anderen Seite … könnte er das. Auch wenn sie ihn hassen würde, Kell konnte das nicht zulassen. Er sprang aus den Sattel und trat auf sie zu, bis sie sich genau gegenüber standen. ,,Das ist doch Selbstmord.“ ,,Als ob du damit keine Erfahrung hättest. Was war das in der fliegenden Stadt beispielsweise?“ ,,Das war etwas völlig anderes.“ , erwiderte er angespannt und ein Stück zu laut, wie ihm zu spät bewusst wurde. Jiy schüttelte nur den Kopf. ,,Ja, weil du

es warst der sein Leben riskiert hat, richtig ?“ Als er nicht sofort antwortete fragte sie wütender: ,,Richtig , Kellvian? Das ist mein Volk um das es hier geht, wenn ich dich daran erinnern darf.“ ,,Ich…“ Er fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Eissplitter zwischen die Rippen getrieben. Unfähig irgendetwas zu sagen, das ihre Meinung ändern könnte. ,,Ich kann dich nicht verlieren.“ Aber, wenn er sie nicht gehen lassen konnte…. Dann hatte er genau das verdient. Jiy gehörte ihm nicht, in keiner Weise. ,,Ich kann dich allerdings nicht aufhalten.“ , murmelte er und musste

sich zum weitersprechen regelrecht zwingen. ,,Doch wenn du gehst… komme ich mit.“ ,,Ich brauch keinen Aufpasser verdammt.“ Nein, dachte Kellvian. Das sicher nicht. Und doch brachte er es nicht ganz über sich zuzugeben, dass er keine andere Wahl hatte. Wenn das ihr ende sein sollte… was sollte er dann noch hier ohne sie? Mit einer Hand zog er sich wieder auf den Pferderücken und hielt Jiy die andere hin. ,,Zusammen oder gar nicht, wie ?“ , fragte sie und lächelte zum ersten mal wieder

etwas. Der Hochgeneral ging dazwischen. ,, Zum wiederholten mal Junge : Macht nicht den gleichen Fehler wie euer Vater.“ Kellvian sah Dagian nur an. Kalt und ohne Emotionen flüsterte er : ,,Das setzt voraus, ich würde glauben, dass er einen gemacht hat.“ Jiy ergriff die hingehaltene Hand und er zog sie hinter sich in den Sattel. Im gleichen Moment gab er dem Pferd die Sporen und tippte sich zum Gruß an Zyle noch an die Stirn. Dieser erwiderte den Gruß kopfschüttelnd, während die anderen, die auf dem Hügel zurückblieben zusahen, wie das Pferd und seine zwei Reiter über

die Ebenen verschwanden. Auf die nur verschwommen erkennbaren Reihen der Gejarn zu. Dagian Einher machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung der Rasch in der Ferne verschwimmenden Reiter. ,, Seht euch nur diesen Wahnsinn an.“ , bemerkte er, an niemand bestimmten gerichtet. ,, Der Mann ist ohne Zweifel völlig Irre.“ ,,Ihr wollt nicht noch einen Belfare zu Grabe tragen, wie ?“ , fragte Tamyra. Der General erwiderte nichts. Offenbar hatte sie ins Schwarze getroffen. ,,Ihr mögt ihn für verrückt halten, Herr, ich würde sagen, er ist eher ziemlich

mutig.“ ,,Nein. Er ist immer noch der gleiche Feigling. Anstatt zu tun, was das richtige währe, die Bedrohung ein für alle Mal vernichten, stirbt er lieber… Was hat das mit Mut zu tun?“ ,,Sehr viel.“, bemerkte Zyle. ,, Der Mut auch den schweren Weg zu gehen.“ ,,Mut allein wird aber nichts ändern.“

Kapitel 5 Der Preis des Friedens


Eiskaltes Regenwasser rann ihr den Hals hinab, während sie sich so gut wie möglich fest hielt. Jiy hatte bisher noch nicht auf einem Pferd gesessen, aber das würde sie Kellvian sicher nicht sagen. Ein Teil von ihr war immer noch wütend auf ihn. Aber was immer auch passieren würde… sie könnten sich dem gemeinsam stellen. Vorausgesetzt, sie erreichten die Gejarn ohne niedergeschossen zu werden. Der Sturm war endgültig hier und hatte den Himmel mit tiefhängenden Wolken

überzogen. Fast dachte Jiy , sie müsste die dunkel brodelnde Masse eigentlich mit der Hand berühren können. Nur noch vereinzelt fanden Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Wolken und ohne diese hätte es genau so gut mitten in der Nacht sein können. Wenigstens würde der Regen jegliche Feuerwaffen unbrauchbar machen, dachte die Gejarn. Vielleicht hatten sie also Glück… Sie konnte über Kellvians Schulter und durch die dichten Regenschleier nicht viel erkennen. Hinter und vor ihnen lag die gleiche flache Landschaft aus totem Gras, die sich für Meilen zu erstrecken schien. Einzelne Felder aus im strömenden Regen schnell

dahinschmelzendem Schnee blitzten hier und da auf. Jiy glaubte zuerst ein weiteres Eisfeld zu sehen als etwas Weißes aus dem Halbdunkel auftauchte. Einen Moment später jedoch erkannte sie ihren Irrtum, als die ersten Gestalten aus dem Regen auftauchten. Es war das Zeltdach der Ältesten. Obwohl Jiy geglaubt hatte, darauf vorbereitet gewesen zu sein, jetzt wurde sie doch nervös. Alles hing von den nächsten paar Augenblicken ab und ob sie dazu kam zu sprechen… oder gleich sterben würden. Sie drückte Kellvians Schulter, konnte sich aber nicht dazu durchringen, etwas zu sagen, während der Mensch das Pferd

anhielt. Reihen um Reihen bewaffnete Gejarn, aus mindestens einem dutzend verschiedener Clans schälten sich aus dem Halbdunkel. Manche trugen Laternen und versuchten wohl zu erkennen, wer sich dort näherte. . Im Gegensatz zu den disziplinierten und durchstrukturierten Truppen des Kaiserreichs konnte Jiy schwer irgendwelche einheitlichen Uniformen erkennen. Jedoch mehr als ein bekanntes Gesicht… Einige der Wartenden griffen zu den Waffen, als sie den Reiter als Menschen erkannten, andere zögerten noch. Auch die Ältesten, im Regen unter ihrem Zelt

kaum zu erkennen schienen unschlüssig, was sie von dem einzelnen Mann halten sollten. Jiy holte tief Luft. Jetzt oder nie. Mit diesem Gedanken ließ sie sich hinter Kellvian aus dem Sattel gleiten. Im Moment, wo ihre Füße den Erdboden berührten machte sie auch schon einen Satz nach vorn, damit jeder sie erkennen musste. ,,Stopp.“ Ihre Stimme war auch durch das ständige Rauchen des Regens noch klar zu vernehmen. Erleichtert stellte Jiy fest, das die meisten erstarrten, wenn auch weiterhin eine unangenehme Zahl Schwerter, Bögen und Steinschlosspistolen in ihre Richtung zielten. Flüsternd verbreitete sich ihr

Name unter denjenigen, die sie erkannten zu denjenigen, die keine Ahnung hatten, was vor sich ging. Allerdings… das hatte ja nicht einmal sie selbst, dachte Jiy und sah hinauf zu der kleinen Tribüne unter dem weißen Zeltdach. Dorthin, wo die Ältesten saßen. Das gute dutzend Gestalten war offenbar genau so überrascht, sie zu sehen, wie alle anderen. Unglaube, gemischt mit Verwirrung stand auf ihren Gesichtern. Auf allen außer einem. Fenisin stand im Hintergrund. Wie immer, dachte Jiy. Niemand, der den grauen Wolf bei den übrigen Ältesten gesehen hätte, hätte Gedacht, dass er etwas zu sagen hätte doch genau darauf zielte er wohl ab.

Fenisin blieb in der Öffentlichkeit gerne im Hintergrund, aber es wäre ein tödlicher Fehler ihn deshalb jemals zu unterschätzen. Nicht zu vergessen, dachte Jiy, das er sie einmal beauftragt hatte Kellvian zu töten. ,, Waffen runter.“ Er sprach leise, aber in der einsetzenden Stille, die nur noch vom Regen durchbrochen wurde, konnte ihn trotzdem schwerlich jemand überhören. ,,Na los, Waffen runter und lasst sie durch.“ Einen kurzen Moment zögerten die Kämpfer der Clans noch, dann traten ihre Reihen auseinander und machten eine Gasse für die zwei Neuankömmlinge

frei. Kellvian war inzwischen ebenfalls vom Pferd geklettert. Er musste sich unwillkürlich fragen, ob bereits jemand ahnte, wer er war. Wenn ja… Mit Unbehagen folgte er Jiy zwischen den Gejarn hindurch auf das Zeltdach zu. Wenn ja hätten sie möglicherweise schnell ein Problem. Aber jetzt gab es kein zurück mehr. Er musterte die Ältesten der Reihe nach. Begegnet war er ihnen bisher noch nicht, auch wenn ihm einige Namen geläufig waren. Die Anführer der verschiedenen Clans, in die sich die Gejarn aufspalteten. Die Anführer der Clans, die sich nach Jahrhunderten des Friedens

gegen das Imperium gestellt hatten. Woran er seinen Anteil gehabt hatte, erinnerte sich Kellvian. Das war nichts, das er leicht vergeben würde und diese zwölf würden es wohl noch weniger… Nur einer der Anwesenden fiel etwas aus dem Muster. ,, Jiy ?“ Der Gejarn der sprach schien nicht ganz zu der Versammlung aus alten Männern und Frauen zu passen. Ein grauer Wolf, dem ein schlichter brauner Mantel um den Körper fiel. Sicher, offenbar hatte er den Großteil seines Lebens hinter sich, aber in den bernsteinfarbenen Augen schimmerte etwas, das Kellvian nicht ganz geheuer war.

Jiy nickte dem Kell unbekannten Ältesten kurz zu. ,,Hallo Fenisin.“ Sie blieben am Fuß der kleinen Holztribüne stehen, die man unter dem Zeltdach aufgestellt hatte. Kellvian dachte erst gar nicht daran, weiter im Regen zu bleiben, aber Jiy hielt ihn mit einer Hand zurück. ,,Seit ihr das wirklich ? Wir dachten alle ihr seid tot. Ihr habt euch einen seltsamen Augenblick ausgesucht, zu uns zurück zu kehren.“ Fenisin lächelt. Ein schwaches aber echtes Grinsen, das einige spitz zulaufende Zähne sehen ließ. Das lächeln verschwand jedoch sofort, als sin Blick zu Kellvian wanderte. Kurz

trafen sich ihre Blicke und jetzt Verstand er auch, was ihn so gestört hatte. In den Augen des Mannes schimmerte wiedererkennen. Fenisin wusste genau, wen er vor sich hatte. Aber woher… Keiner der hier anwesenden hatte ihn je gesehen, oder? ,,Und wer ist das ?“ , fragte er trotzdem. ,,Ich bin Kellvian Belfare. Herr der fliegenden Stadt. Ihr solltet meinen Namen kennen.“ Ein anderer Ältester erhob sich. Eine Füchsin, offenbar von den Kämpfen im Herbst gezeichnet. Ein Verband zog sich über ein Ohr und die Schläfe. ,, Die Stadt wurde zerstört. Glaubt ihr, wir hätten nicht davon gehört? Ihr seid

Herr über weniger als nichts. Und wenn ihr euch hierher wagt Mörder, muss eure Lage ja ziemlich verzweifelt sein.“ ,,Ich streite nichts ab. Im Gegenteil, wenn es etwas ändert, ich bitte um Verzeihung. Mir war nicht bewusst, was ich tat, bis es zu spät war und…“ Die Erinnerung an Lore brannte sich nach all der Zeit immer noch zurück in sein Gedächtnis. Ein genau eingefädelter Angriff um den damals schon schwelenden Konflikt zwischen Kaiserreich und Clans noch weiter anzufachen. Und doch war dieser ganze Krieg letztlich nur ein Werkzeug gewesen um einem einzigen Mann ein einziges Ziel zu erfüllen… Bis heute

Verstand er noch nicht genau welches. ,, Ich verstehe eure Forderungen. Ich verstehe sie sogar sehr gut.“ Die Älteste sah mit einer Mischung aus Verachtung und Ablehnung zu ihm herab. ,,Nun Kaiser… es sollte euch dann nicht zu schwer fallen, das alles hier zu beenden und uns einfach zu geben was wir wollen.“ Kellvian musste sich zum ruhig bleiben zwingen. ,, Oh sicher klar. Natürlich.“ , erwiderte er aufgebracht und war mit einem Satz auf dem Holzsteg, auf dem die Anführer warteten. In die umstehenden Wachen kam Bewegung, aber Fenisin bedeutete ihnen mit einer

Handbewegung zu bleiben wo sie waren. ,, Es gibt da nur ein kleines Problem.“ , fuhr Kellvian fort, während er keine zehn Schritte von den Ältesten entfernt stehen blieb. ,, Ich bin noch nicht Kaiser.“ Offenbar gab es doch Dinge, die den Clans noch nicht bekannt waren, stellte er zufrieden fest. ,, Vielleicht solltet ihr aber besser darum beten, das ich es werde. Jeder andere würde euch auslöschen und dahin schicken wohin ihr seiner Meinung nach gehört.“ Die unverhohlene Drohung erfüllte die gewünschte Wirkung. Er lächelte, aber niemand, der ihn sah hätte das als freundliche Geste Missverstanden. Kellvian lies einen Teil der Magie freien

lauf, die nur auf seinen Befehl wartete. Flammen wanderten über seine Handflächen, schlugen aus seinen Fingerspitzen und verbrannten den Boden oberflächlich. Für einen kurzen Moment war das Machtverhältnis auf der Plattform verschoben. Dort saßen nicht mehr ein dutzend ehrwürdige Gejarn umgeben von einer Armee einem Kaiser ohne Macht gegenüber. Nun saßen zwölf verängstigte Alte einem Wesen gegenüber, das sie mit einem Gedanken töten könnte. Er mochte es nicht ihnen Angst zu machen, aber ihm war klar, das dass ein musste. Sie mussten begreifen, dass all dies nur zu einem führen konnte. Aber Genoss ein entfernter Teil von ihm

ihre Angst nicht? Vielleicht sollte er es nicht bei der Drohung belassen. Er könnte die Versammlung auslöschen und dann weitersehen. Dann würden sie wissen, was es bedeutete sich wirklich gegen ihn zu stellen. Er wusste was das Beste für sie war und wenn dafür ein paar sterben mussten oder sich erst zehntausend Knie vor ihm beugen mussten… Die Gedanken waren verlockend. Nichts konnte ihn daran hindern, die Welt so zu formen, wie er es für richtig hielt. Nicht wahr? Dafür war die Macht geschaffen worden, die durch seine Andern rann. Das war es, was das Blut des alten Volkes

verlangte… Eine Berührung an seinem Arm brachte ihn nur kurz zurück in die Wirklichkeit. Jiy… Es war, als könnte sie spüren was er dachte. Allerdings war nicht auch das Bedeutungslos? , fragte er sich weiter. Fragte etwas ihn weiter. Kellvian musste sich entscheiden und die Entscheidung war ganz einfach… Das Klirren des Stahls erfüllte einen Moment die Luft, trotzdem wagte niemand es, sich zu bewegen. Die Klinge lag schwer in Kellvians Hand, während er sich den Ältesten zuwandte. ,,Kell…“ Jiy rüttelte ihn an der Schulter. Er wehrte die Gejarn kinderleicht ab, als wäre sie gar nicht da.

Sie stolperte, schlug auf den Boden. Ein entfernter Teil wollte nach ihr sehen, aber jetzt… jetzt musste er handeln. Rasch hatte er das letzte Stück weg zwischen sich und den Clanführern hinter sich gebracht. ,, Glaubt ihr , ihr könnt uns Angst machen , Zauberer ? Damit zeigt ihr nur, weshalb ihr wirklich gekommen seit.“ ,,Das bin nicht ich.“ , murmelte er, anstatt zu antworten. Einen Augenblick war alles ruhig und selbst der Regen setzte aus. Wassertropfen fielen aus seiner Kleidung auf den Boden und Kellvian glaubte, selbst diese hören zu können. Dann drehte er die Waffe in der Hand

und bot den Ältesten das Schwert mit dem Heft zuerst an. ,,Hört mich an. Ich kann euch nur bitten, das richtige zu tun. Um eurer selbst willen. Aber wenn ihr wirklich glaubt ich sei hier um euch zu schaden dann bitte… Wenn ihr das wirklich glaubt, dann nehmt mein Schwert. Streckt mich damit nieder, wenn ihr euch dann besser fühlt. Dann muss ich nicht zusehen, wie ihr euch selbst vernichtet. Und gleich danach nehmt dieselbe Klinge und tötet eure Kinder. Das ist besser als das, was sonst aus ihnen werden würde. Oder Jiy ?“ Die Gejarn war mittlerweile aufgestanden, die Kleidung triefend vor

Waser und nun auch Schmutz. Am liebsten wäre er zu ihr gerannt, sie um Verzeihung gebeten… Aber das würde alles zerstören. ,,Jiy. Erzähl ihnen, was mit den Überlebenden aus Lore geschehen ist.“ ,,Sie… haben ihre Seelen begraben. Ihren Geist zerstört, sie zu Sklaven gemacht, ihren Willen gebrochen.“ Die Gejarn spuckte jedes Wort fast aus. Es waren keine schönen Erinnerungen, die er wachrufen musste. Ganz im Gegenteil… Aber es war so wichtig, das sie Verstanden. ,, Zufrieden Kellvian ?“ Er konnte nur nicken, egal wie viele Stiche ihn das versetzte. ,,Ich bin hier um euch eine Alternative

zu geben.“ , fuhr er fort, das Schwert immer noch den Gejarn anbietend. ,, Ich bin hier, um euch zu sagen, dass wir noch immer reden können. Aber dazu… müsst ihr aufhören. Die Waffen weglegen. Ich schwöre bei meinem Leben, das dann niemanden etwas geschehen wird. Jeder einzelne Gejarn wird dieses Feld so verlassen, wie es ihm beliebt um zu seinem Clan zurückzukehren. Ich sichere euch die gleiche Unabhängigkeit zu, die ihr seit jeher gehabt habt. Mehr kann ich im Augenblick nicht versprechen, denn das wäre eine Lüge, aber es ist mehr, als der sichere Tod. Was sagt ihr?“ ,,Unser ganzes Volk wird zu leiden

haben, wenn ihr jetzt euren verletzten Stolz über jegliche Weisheit stellt.“ , fügte Jiy mit zitternder Stimme hinzu. ,, Ich wünsche mir doch nur, das niemand mehr verletzt wird. Bitte. Ansonsten könnt ihr mich auch gleich mit ihm umbringen.“ Beim letzten Satz war ihre Stimme wieder fest und klar, während sie neben Kellvian trat. Die Antwort erwartend… ,,Verräterin.“ Die Älteste mit der Kellvian die ganze Zeit gesprochen hatte Griff nach dem Schwert. Jiy versuchte zu spät dem Streich auszuweichen. Sie hatte mit viel gerechnet. Das die Ältesten ablehnten und sie wegschickten, das sie nicht annehmen wollten und sie

töten ließen… aber das einer auf die Aufforderung sie persönlich zu töten einging… Der Stahl bohrte sich schmerzhaft in ihren Körper. Kellvian rief noch etwas, das sie nur halb verstehen konnte, während die Älteste die Klinge fallen ließ, einen Ausdruck von Panik auf dem Gesicht. Fenisin war neben ihr aufgetaucht und diesmal konnte niemand Probleme haben, den Ausdruck in seinen Augen zu deuten. Wut, die sich in Form einer Klinge bahnbrach Jiy dachte benebelt, das sie wohl noch nie jemanden hatte schneller sterben sehen. Sie versuchte aufzustehen, obwohl ihr irgendetwas sagte, das das keine gute

Idee war. Warum noch mal ? Alles schien weit weg. Seltsam… wo kam eigentlich das ganze Blut her? Sie war sich ganz sicher, das grade etwas wichtiges passiert war, konnte aber den Nebel in ihrem Kopf nicht weit genug beiseite schieben um zu verstehen was. Aber es war auch egal, wenn sie so müde war. Sie würde sich erinnern. Wenn sie aufwachte…

Kapitel 6 Ein friedlicher Tag


Jiy schlug die Augen auf. Sie sah sich vorsichtig um. Offenbar war sie in irgendeinem Haus. Über ihr an der hölzernen Decke hing ein Leuchter mit erloschenen Kerzen. Lichtstrahlen fielen durch ein halb geöffnetes Fenster und ein leichter Luftzug brachte den Geruch von Laub und ferne Stimmen mit sich. Die Gejarn setzte sich mit einiger Mühe halb auf. Ein weißer Verband zog sich über den Großteil ihres Oberkörpers. Das weiße Fell war stellenweise rot verfärbt. Offenbar lag sie in einem Bett aber ihr wollte beim besten Willen nicht

einfallen, wie sie hierher gekommen war oder was sie hier machte… Was war passiert? Im nächsten Moment stürzte alles wieder auf sie ein. Die Ältesten, Fenisin, Kellvian… Der Angriff der Ältesten auf sie… Götter, sie musste herausfinden, was aus den anderen geworden war… Jiy wollte aufspringen, wurde diesmal aber schmerzhaft endgültig an die Geschehnisse erinnert. Sie zuckte zusammen, als sich ein scharfer Schmerz durch die kaum verheilten Wunden brannte. ,,Na sieh mal an, wer endlich aufgewacht ist.“ Erik Flemmings Gesicht schob sich in ihr Blickfeld.,, Ich hatte schon

befürchtet ihr schlaft noch einen Tag durch. Die Gejarn gab den versuch auf, sich aufzusetzen und blieb liegen. ,, Was ist passiert ?“ , wollte sie wissen. ,, Eine Elle Stahl ist passiert meine Liebe. Das gibt eine Narbe, die sich sehen lassen kann, glaubt mir, aber ich habe schon schlimmeres wieder zusammengeflickt, fragt Eden. Oder besser, fragt sie nicht, sonst erinnert sie sich dran das ihre Wunden damals mit Säure ausbrennen musste.“ Jiy blinzelte verwirrt. Manchmal war es schon schwer genug, Eriks Gedankensprüngen zu Folgen, wenn man wusste was genau vor sich

ging. ,,Was für eine Art Arzt seit ihr nochmal genau ?“ ,, Das fragt man mich nicht zum ersten mal.“ , entgegnete der Mensch . Ein müdes Grinsen huschte über sein Gesicht. ,, Vielleicht einer der Besten. Also, wie fühlt ihr euch?“ ,,Schwindlig.“ ,,Das ist zu erwarten. Ihr wärt da draußen fast Verblutet. Übertreibt es einfach nicht gleich und alles sollte in Ordnung sein.“ ,, Erik, wie lange war ich weg ? Und wo… sind wir?“ ,, Etwas länger als einen Tag um eure erste Frage zu beantworten. Und wo wir

sind… nun ich schätz in irgendeinem eurer Dörfer.“ ,,Moment wir sind bei den Gejarn ?“ Der Arzt zuckte mit den Schultern. ,, Wie es aussieht. Irgendwo in der Nähe von Vara. Nachdem die Armee der Clans sich zerstreut hat, hat man euch hierher gebracht. Was immer ihr und Kellvian auch getan habt, es hat offenbar Wirkung gezeigt. Auch wenn Dagian darüber nicht sehr glücklich war.“ ,,Dann ist es vorbei. Götter… diese Narren haben auf uns gehört. Kellvian…“ ,,Dem geht es gut. Oder… den Umständen entsprechend. Um ehrlich zu sein, der einzige Grund aus dem ich

mich um euch kümmern muss ist, das eure Ärzte Stümper sind und Kellvian etwas zu aufgelöst um auch nur einen Zauber zu wirken. Verflucht ich hatte schon meine Liebe Mühe ihn davon zu überzeugen draußen zu warten. Ich musste mir sogar einen Türsteher besorgen.“ ,,Nicht, das ich eine große Wahl hätte.“ , erwiderte eine weitere Jiy bekannte Stimme. Sie setzte sich so vorsichtig wie möglich auf, trotzdem war ihr, als hätte ihr jemand tausend glühende Nadeln in den Körper gerammt. ,,Ganz langsam.“ , meinte Flemming, als er ihr einen Arm als stütze anbot. ,,Wir wollen ja nicht, das die Wunde wieder

aufbricht. Das war eine Heidenarbeit, und das würde ich mir gerne ein zweites Mal sparen. Mal davon abgesehen, das der Blutverlust euch dann vermutlich wirklich umbringen würde.“ ,, Es könnte sicher schlimmer sein.“ , meinte Cyrus, der nach wie vor an der Tür stand und einen Blick durch ein Fenster nach draußen warf. . Bis auf einige Schränke und einen Tisch, auf dem Erik seine Werkzeuge ausgebreitet hatte, war der Raum fast leer. Das Silberbesteck des Arztes funkelte matt in einem Sonnenstrahl. ,,Lasst mich raten, Herr Wolf, er steht immer noch vor der Tür ?“ , wollte Erik

wissen. ,,Die ganze Zeit schon, aber mittlerweile sitzt er wenigstens.“ ,,Ihr meint Kellvian ?“ ,,Ich hab ja versucht ihn zu verscheuchen. Ziemlich hartnäckiger Kerl, oder ?“ Er zwinkerte. ,,Ja… das ist er.“ Jiy lachte kurz, was aber wieder nur dazu führte, dass ihr alles wehtat. Sie ließ sich in die Kissen zurückfallen. Obwohl Erik behauptet hatte, sie hätte einen Tag durchgeschlafen fühlte sie sich müder als zuvor. Alles war in Ordnung, dachte sie. Jetzt zumindest… Nur ein was musste sie noch sicherstellen. ,, Spannt ihn bloß nicht länger auf die Folter, ja ?

Sagt Kell mir geht es gut…“ ,,Keine Sorge. Ich wecke euch, wenn er etwas runtergekommen ist. Ich glaube wenn dieser graue Wolf die Älteste die euch angegriffen hat nicht erledigt hätte, Kellvian hätte die Sache nicht so schnell erledigt…“ Eriks Worte warfen neue Fragen auf. Fenisin hatte einen Ältesten getötet? Was war nur passiert, das sie jetzt schon aufeinander losgingen? Sie bezweifelte, dass das etwas gutes war, dachte Jiy . Das würde folgen haben. Aber nicht jetzt. Für den Augenblick war alles in Ordnung… ,,Stimmt es eigentlich das sich unter den Ältesten ein Mann namens Fenisin

befindet ?“ , fragte Cyrus plötzlich und riss sie damit wieder kurz zurück ins Bewusstsein. ,, Was… Ja, aber..“ ,,Nichts so wichtig.“ , meinte der Wolf nur. ,,Wirklich. Nicht so wichtig…“ Kellvian Belfare hatte es aufgegeben auf und ab zu laufen. Stattdessen hatte er sich vor einem der zahlreichen Feuer niedergelassen, die in der Siedlung brannten und die Kälte abhielten. Auch wenn es merklich wärmer geworden war, der Winter würde das Land nicht so schnell freigeben Mit etwas Glück aber nicht mehr all zu lange… Sein Kopf fühlte sich leer an, während

er in die Flammen sah und versuchte sich irgendwie abzulenken und so daran zu hindern zum wiederholten Mal zu Erik zu gehen. Das Dorf in dem sie sich befanden war nicht sonderlich groß. Vielleicht dreißig lose zusammengezimmerte Hütten und einige Zelte, die auf einer weiten Lichtung aufgeschlagen waren. Schneebedeckte Bäume umgaben die Häuser zwischen denen Hühner und andere Nutztiere hin und her liefen und auch einige Gejarn ließen sich sehen. Die meisten Einwohner jedoch hielten sich von der Gruppe Fremder eher fern. Feste Bauten gab es fast keine, sah man von dem Haus einmal ab, vor dem er

wartete. Dieses war aus großen Holzstämmen zusammengezimmert und verfügte sogar über einige Glasfenster. Vermutlich eine alte Jagdhütte oder etwas ähnliches, den die meisten Gejarn lebten Nomadisch. Alles andere hier war darauf ausgelegt, rasch abgebaut und transportiert zu werden wenn nötig. Feste Siedlungen wie Lore eine gewesen war gab es hingegen nur wenige und seit dem Beginn der Kämpfe waren es noch weniger geworden. Aber das war jetzt vorbei, oder? Sie hatten es geschafft. Trotzdem konnte er sich nicht darüber freuen, egal wie sehr die anderen versucht hatten ihm zu versichern, das alles gut werden würde. Er könnte

Flemming wohl vertrauen, dass er sein bestes tun würde… Sich nähernde Schritte rissen in aus seinen Gedanken. Wer konnte das sein ? Kell konnte sich nicht ganz dazu bringen aufzusehen, bis das Geräusch von Füßen auf dem gefrorenen Boden neben ihm zum Stillstand kam. Er sah in ein mit ergrautem Fell bedecktes Gesicht. Zwei bernsteinfarbene Augen musterten ihn mit einer Mischung aus Unentschlossenheit und wacher Intelligenz. ,,Fenisin, oder ?“ , wollte Kellvian wissen während er dem Mann mit einer Geste Anbot, neben ihm Platz zu

nehmen. Der Gejarn nickte. ,,Ich bin ehrlich gesagt überrascht einen Wolf bei den Abtrünnigen zu finden. Eure Clans zählten immer zu den Loyalsten im Kaiserreich.“ ,, Ich wurde von meinem Clan Verband.“ , erwiderte sein gegenüber nur. Kellvian hatte nur eine ungefähre Vorstellung, was das für einen Gejarn bedeutete. Wohl vergleichbar damit, wenn man nach kaiserlichem Gesetz des Hochverrats angeklagt wurde : Für die meisten ein sicheres Todesurteil. Er wusste zumindest, dass es Syle fast so ergangen wäre. ,,Das… tut mir

leid.“ ,,Das muss es nicht. Es ist lange her. Sagen wir einfach es gab eine Zeit, in der ich… etwas jünger dafür aber deutlich dümmer gewesen bin. Ich war bereit für unsere Traditionen über Leichen zu gehen. Meine Macht ausgenutzt um Leid über andere zu bringen… Am Ende habe ich schlicht und ergreifend dafür bezahlt.“ Er nickte. Offenbar alte Geschichten, die Fenisin nicht weiter erläutern wollte. Aber es gab da etwas, das er wissen musste. Etwas das ihn trotz seiner Sorge um Jiy nicht aus dem Kopf wollte. Der Mann hatte ihn auf dem Feld erkannt. Vor allen

anderen. ,,Verratet mir eines. Woher wusstet ihr, wer ich bin?“ Fenisin sah ihn verständnislos an, doch ganz konnte Kellvian ihm das nicht abnehmen. ,,Ihr habt gewusst wer ich bin, bevor ich meinen Namen nannte.“ ,,Das war nicht schwer zu erraten, oder ? E gibt nur eine Handvoll Leute, die einen guten Grund dafür haben könnten alleine zu uns zu kommen. Zu welchem Zweck auch immer.“ ,,Ach…“ Kellvian spürte eine unvertraute Wut in sich hochkochen. Wer war der Kerl, das er glaubte ihn zum Narren halten zu können? Er spürte

den Strom der Magie durch seine Adern. Ein Wort und von dem Graupelz würde ein Haufen Asche übrig bleiben. ,, Ich bin grade wirklich nicht in der Stimmung für Spielchen und mir sind durchaus auch die anderen Ältesten aufgefallen. Ihr wart der einzige, der gleich wusste mit wem er es zu tun hat. Nicht ?“ Kellvian drängte die fremden Gedanken wieder in einen entfernten Winkel seines Verstandes. Nicht ohne festzustellen, das es ihm schwerer fiel, als er Gedacht hatte. Früher hatte er danach rufen müssen, wie konnte es sein, das sich dieses Ding jetzt schon einfach so in seinen Geist

schlich? Fenisin schüttelte den Kopf. ,, Na schön. Ich bin sicher ihr kennt den Mann, der sich als Meister bezeichnet?“ ,, Und ob.“ , erwiderte er ,, Ich war Teil seines Netzes. Wie Tyrus schätze ich, wenn man den Berichten über den Tod des ordensoberen glauben schenken kann?“ Kellvian sprang auf, die Hand sofort am Schwertgriff. Ohne Vorwarnung war der Strom der Magie zurück, bereit den scheinbar harmlos a Feuer sitzenden Gejarn zu erledigen, sollte der auch nur eine falsche Bewegung machen. ,,Ruhig. Ich bin keine Gefahr für euch, das versichere ich.“ , versuchte dieser

ihn zu beschwichtigen. Entweder merkte er nicht, wie nah Kellvian dran war ihn zu töten oder es kümmerte ihn schlicht nicht. ,,Wir sind alle betrogen worden, wie ich leider zu spät erkannt habe. Ich weiß ja nicht, wie viele noch beteiligt waren, aber ich glaube nicht, dass sie jetzt noch eine Gefahr für euch sind. Sie haben ihren zweck wohl erfüllt. Er hat was er wollte oder? ,,Dieser Bastard, dem ihr gefolgt seit, hat die fliegende Stadt zerstört , samt und sondern jeder einzelnen Person darin.“ Kell zwang sich zur Ruhe, die ihm einmal so natürlich vorgekommen war. Götter, wenn er nicht aufpasste… ,, Aber ich schätze, deshalb seit ihr

kaum hier, oder ?“ , wollte er wissen, hauptsächlich um endlich das Thema zu wechseln. Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung war und erkannte Syle, der in Begleitung einiger weiterer Gardisten, die als Garde für ihn zurückgeblieben waren. Nicht, das das noch nötig wäre. ,,Nein.“ , gab Fenisin derweil zu. ,, Viel wichtiger wäre mir zu erfahren , was ihr jetzt vorhabt. Ich habe mit eurem Hochgeneral gesprochen. Zu Glücklich schien er mir ja nicht über unseren… Frieden könnte man es wohl nennen.“ ,,Ich kann euch sagen, was ich vor habe. Syle!“ Der große Gejarn kam

augenblicklich angelaufen und grüßte Kellvian kurz. Als sein Blick bei dessen Gast hängen blieb, erstarrte er jedoch. ,, Kennen wir uns ?“ , wollte Fenisin wissen, als er die unterdrückte Feindseligkeit des Gardisten bemerkte. ,,Nein. Aber ich kenne die Ältesten. Bereit ihr eigenes Blut zu töten, wenn es ihnen nichts nützt.“ ,,Und bedauerlicherweise habt ihr damit sogar recht. Allerdings… tut euer Imperium nicht das gleiche?“ Syle ging nicht darauf ein, sondern wendete sich Kellvian zu. ,, Ihr wünscht etwas Herr ?“ ,,Erstmal zum… wievielten Mal, das ihr mich nicht so nennen sollt ?“ Kellvian

grinste. ,,Alte Gewohnheit, He…“ ,,Schon gut. Ich möchte euch gerne nach Vara schicken. Dagian ist schon vorausgeritten um dort alles vorzubereiten. Das Treffen der Fürsten Cantons steht bald an.“ ,,Warum ausgerechnet Vara ?“, wollte Fenisin wissen. ,,Neutraler Boden“ , erklärte Syle. ,, Zumindest im Augenblick bleibt es die einzige Stadt ohne offiziellen Herrscher.“ Kellvian nickte. Keine schönen Erinnerungen. Letztlich hatte er mit Markus, dem ehemaligen Patrizier der Stadt mehr als nur einen Verbündeten

verloren. In wenigen Tagen war mehr schief gelaufen, als er jemals geglaubt hätte. Die gleichen Erinnerungen, die er Jiy hatte wieder durchleben lassen. Aber hatte er eine Wahl gehabt? Kell wusste es nicht. Wirklich besser fühlte er sich dadurch sicher nicht. Blieb zu hoffen, dass sich das nicht wiederholte. ,,Richtet Dagian einfach aus, das ich mich etwas Verspäten könnte, aber so bald es geht nachkomme.“ ,,Das wird er nicht gerne hören.“, gab Syle zu bedenken. ,,Das ist mir… ziemlich egal. Ich warte bis ich mir sicher bin, das es Jiy besser geht. Und wenn er damit ein Problem

hat, soll er mir das sagen nicht euch.“ ,,Ja, He…“ ,,Sagt es ruhig. Ich schätze, bis ihr euch das Abgewöhnt, habe ich mich schon daran gewöhnt.“ Syle nickte kurz, bevor er sich umdrehte und zwischen den Häusern der Siedlung verschwand. ,,Ich schätze, die Gejarn sollten durch jemanden bei diesem treffen Vertreten werden, Fenisin. Das heißt wenn ihr eure Toten bestattet habt.“ Eigentlich nur die Tote, überlegte er. ,,Das ist schon erledigt. Ich habe Anordnung gegeben, die Älteste zu verbrennen und ihre Asche dann möglichst weit weg von hier zu

verstreuen. So kann ihr Geist hoffentlich eine Weile umherwandern und nachdenken, bevor er uns wieder belästigt. Sie hat gehandelt ohne unsere aller Entscheidung abzuwarten.“ ,,Ihr bestraft sogar noch die Seelen eurer Toten ?“ ,,Dann können sie wenigstens gleich geläutert in ihren nächsten Lebenszyklus eintreten. Oder zumindest hoffentlich.“ Der Älteste stand auf. Wie dem auch sei, ich bin sicher ich kann die anderen Überzeugen. Was immer bei dieser Versammlung geschieht, die Clans werden euch unterstützen. Ich glaube, ihr habt ihnen die Alternativ klar gemacht. Sie fürchten euch jetzt

Kellvian, auch wenn sie das niemals zugeben würden.“ ,,Ich will nicht, das irgendjemand nur tut was ich sage, weil er Angst vor mir hat, Fenisin. Und ihr ? ,, Ob ich Angst vor euch habe ? Ehrlich gesagt, weiß ich das noch nicht. Mut habt ihr auf jeden Fall, genau so wie Jiy. Sie war immer ein bisschen stur, wenn sie sich einmal was in den Kopf gesetzt hat.“ Der alte Gejarn drehte sich um und ging langsam in Richtung einer der Hütten davon. ,, Ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder.“

Kapitel 7 Blick nach Vorne


Kellvians Herz setzte einen Schlag aus, während die Tür des Blockhauses geöffnet wurde. Nachdem Fenisin gegangen war hatte er noch fast eine Stunde an dem langsam herunterbrennenden Flammen gewartet, wieder allein mit seiner eigenen nagenden Angst. Wenigstens hatte ihn das Gespräch mit dem Ältesten etwas abgelenkt und ihn gezwungen sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Jetzt aber war alles wieder da. In den kurzen Augenblick, in dem er nicht wusste wer aus der Hütte kommen würde. Und mit

welcher Nachricht… Er hatte es aufgegeben, sich weiter mit Cyrus herumzuschlagen. Es war seine verdammte Schuld gewesen. Er hätte darauf bestehen müssen, alleine zu gehen, oder zumindest besser aufpassen müssen, dachte er. Irgendwie zumindest… Kellvian sah auf und seine sämtlichen Gedanken waren einen Moment wie weggewischt. Jiy trat mit den Bewegungen einer viel älteren Person auf die Stufen hinaus. Ein weißer Verband schimmerte unter dem Mantel hervor den sie trug. Aber sie lebte, dachte Kellvian. Götter, ihm fiel ein Stein vom Herzen, von dem

er erst jetzt richtig merkte, das er dagewesen war. Ohne zu zögern rannte er die Treppe hinauf um ihr zu helfen. ,,Hey…“ Die Gejarn grinste breit, als Kellvian sie ohne Vorwarnung sanft in die Arme schloss. ,,Einen Moment habe ich wirklich gedacht ich hätte dich verloren.“ Er blinzelte und musste feststellen dass ihm Tränen in den Augen standen. Er hatte rasende Angst gehabt, von der jetzt nur endlose Erleichterung blieb. ,,Jetzt weißt du wenigstens mal, wie das ist.“ , meinte Jiy ,während sie sich von Kellvian löste und einen unsicheren Schritt die Treppe hinab machte. Die

Welt schwankte etwas. Einen Augenblick lang fürchtete sie das Gleichgewicht zu verlieren nur um dann endgültig vorne über zu kippen… Bis sie jemand zurück riss. ,,Hab dich.“ Kellvian hob sie hoch, als wäge sie nichts. Allerdings nur einen Moment, dann Gewann das zusätzliche Gewicht doch die Oberhand und er stolperte selbst fast. ,,Ich kann durchaus noch laufen.“ , meinte sie den Weg die Treppe hinab. Ein wenig unwohl war ihr allerdings schon. Kell war nicht wirklich der Kräftigste, aber… Nun er würde sie nicht fallen lassen, dachte Jiy. Niemals. Er lachte leise über ihre Bemerkung.

,,Das hab ich gemerkt.“ ,,Auf der anderen Seite schadet es sicher nichts wenn du mich ein bisschen trägst.“ , murmelte Jiy und lehnte den Kopf an seine Brust. Kellvian hielt auf eine Reihe Bänke zu, die um die alte Feuerstelle vor der Tür standen und setzte sie vorsichtig ab, bevor er sich neben sie hockte. ,,Wie geht es dir ?“ ,,Ich glaube es tut nur weh wenn ich atme.“ ,,Also immer. Ich glaube nicht, dass ich das jetzt heilen kann. In meinem Kopf dreht sich alles, aber…“ Kellvian legte ihr zwei Finger an die Schläfen. Im nächsten Moment begann sich eine

wohltuende Wärme von dort aus auszubreiten und ihren ganzen Körper zu erfassen. Die Schmerzen verschwanden nicht, aber sie waren jetzt gedämpft und nur noch entfernt spürbar. ,,Ich glaube, das sollte etwas helfen.“, meinte er ,,Wie machst du das?“ Sie nahm seine Hand in ihre. ,,Ich weiß es immer noch nicht.“ , gab er zu. ,,Jiy. Ich wollte mich entschuldigen wegen… was passiert ist… Was ich gesagt habe… Ich weiß, das war nicht einfach.“ Im Gegenteil. Er hatte sogar genau gewusst, dass er mehr als nur ein paar unangenehme Erinnerungen wachrufen würde. Aber war das

überhaupt noch er selbst oder war ihm die Kontrolle über die Situation längst entglitten gewesen? Wie lange noch, bis er in den Spiegel sah und in die Augen eines Dämons blickte ? Etwas, das Jiy verabscheuen musste und nicht verzeihen konnte. ,,Ich verändere mich Jiy und ich mag die Richtung nicht in die ich mich Bewege.“ ,,Vergeben und vergessen. Kell ich könnte dich nicht hassen, nicht mal wirklich böse sein, egal was passiert. Nicht nach allem was schon passiert ist. Du hast getan was du mir versprochen hast. Was nötig war.“ ,,Wirklich ? Ich weiß nämlich nicht ob ich mit der

Vorstellung…“ Bevor er den Satz beenden konnte hatte Jiy sich vorgebeugt. Ihre Lippen fanden sich einen Moment lang. ,,Dummkopf.“ , lachte Jiy, sobald sie sich wieder voneinander lösten. ,,Ich weiß, das du getan hast, was du für richtig hieltst. Sie mussten es schlicht alle hören. Und jetzt kann alles gut werden. Oder ?“ ,,Ja. Das hoffe ich wirklich. Die Adelsversammlung wird bald zusammentreten und dann... Mal sehen. Wie auch immer das ausgeht, die Dinge sollten sich endlich etwas beruhigen.“ ,,Keine Kriege, keine Magier, die uns verfolgen… Aber daran glaubst du nicht

wirklich, oder?“ ,,Nein. Aber ich hoffe es. Ich hatte vor Morgen aufzubrechen, wenn du reisen kannst“ ,, Das geht schon wirklich. Es ging mir schon schlechter, wenn du dich erinnerst.“ ,, Das werde ich so schnell nicht vergessen, Jiy. Unser erstes Treffen. Du hast mir damals übrigens einen gewaltigen Schreck eingejagt.“ Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. ,, Mir war nicht mal klar, das jemand da war, bis du aus dem Wald aufgetaucht bist. Und das erste, was dir eingefallen ist, war mit einer Waffe auf mich zu

zielen.“ ,,Und du hast versucht mich umzubringen.“ ,,Halten wir fest, wir hatten nicht den besten Start.“ Die Sonne stand bereits tief, wie er mit einem Blick zum Himmel feststellte. Zyle Schritte hallten über den nach wie vor hart gefrorenen Erdboden, während er sich in der Siedlung umsah. Nicht, das es etwas zu bestaunen gegeben hätte. Alles hier war schlicht und in erster Linie zweckdienlich. Wie es sein sollte, dachte er, während er an einigen Leine vorbeilief, an denen Kräuter und weitere Pflanzen trockneten. Erik Flemming lief

zwischen einigen der Seile hin und her und löcherte einen Gejarn mit Fragen. Offenbar ging es um die Pflanzen, welchen Zweck sie hatten und ob ihm jemand welche besorgen würde. Der Mann mit dem er sprach war ein schmaler Fuchs, der offenbar bereits die erste Regel im Umgang mit dem kauzigen Arzt gelernt hatte. Ab und an nickte er, versuchte aber nicht, dem Redefluss des Alten Einhalt zu gebieten. Was ohnehin ein sinnloses Unterfangen gewesen wäre. Laos, er würde selbst den Irren vermissen, wenn er abreiste, überlegte Zyle. So sehr ihm Kellvian und die anderen Freund geworden waren, etwas

zog ihn zurück. Das Wissen, das es noch eine unerledigte Sache in seiner Heimat gab. War es wirklich schon fast ein Jahr her, dass er aus Helike aufgebrochen war? Eine kleine Ewigkeit, aber sicher nicht genug, das man ihn vergessen hatte. Bis er das richtig gestellt hatte, galt er noch als mutmaßlicher Mörder, der sich seinen Platz unter seinesgleichen hätte zurückverdienen müssen. Mit einem feigen Attentat, das ihn wirklich zum Mörder hätte werden lassen. Irgendwie mussten die Magier des Sanguis-Ordens oder die Gestalt, die diese beauftragt hatte Kontakte bis nach Helike gehabt haben, so gelegen wie ihnen der Tod von

Markus Cynric gewesen war. Noch ein Grund, aus dem er zurück musste. Er ließ den Blick über das Dorf wandern und fand auch bald, was er gesucht hatte. Eden lehnte, einen schweren Mantel über ihrer sonst üblichen roten Kleidung, an einer Hauswand und versuchte offenbar sich mit Zachary zu unterhalten. Die Luchsin sah alles andere als glücklich aus. Der Junge Zauberer schien jedoch wie so oft abwesend. Trotzdem sah er auf, als Eden zögerlich anfing: ,,Was mit Walter passiert ist…“ Sie ließ Schweif und Ohren hängen. ,,Ich konnte ihm nicht helfen. Du bist nicht traurig darüber, das er tot ist

Eden. Kannst du das überhaupt verstehen?“ Zyle blieb etwas auf abstand. Von Eden beim lauschen erwischt zu werden war das letzte, was er wollte. Es war das erste Mal, das er so etwas wie Wut in der Stimme des Jungen hörte. Oder überhaupt negative Emotion. Angeblich hatte Zachary, das letzte mal als ihn etwas wütend gemacht hatte, einen Großmagier des Ordens bekämpft und gewonnen. ,,Ich… weiß nicht, was ich von ihm halten soll, Zac.“ , gab Eden zu. ,,Er war nicht mein Bruder sondern einer meiner ehemaligen Meister. Aber vielleicht… ich habe ihn falsch eingeschätzt, glaube ich. Aber nein, ich

kann das wohl wirklich nicht verstehen.“ ,,Was wenn Cyrus tot wäre ?“ Die Piratenkapitänin zuckte zusammen und ihre Ohren stellten sich auf. ,,Was? Ich habe überhaupt keine Ahnung was…“ Der Anflug von Wut war aus der Stimme des Zauberers gewichen. Stattdessen lachte Zachary jetzt. ,,Ich meinte nur, wenn du einfach jemanden verlieren würdest. Irgendjemanden…“ Zyle räusperte sich und machte die beiden damit endlich auf sich aufmerksam. ,,Verflucht, wie lange steht ihr schon da ?“ Eden funkelte ihn böse an. ,,Nicht lange. Ich wollte wissen, wie

lange sich unsere Abreise noch verzögern wird. Ich weiß, das das Eis im Weg ist, aber nun wo das Wetter umschlägt…“ ,,Habt ihr es so eilig, euch hinrichten zu lassen ?“ Die Gejarn seufzte. ,,Ich schätze mit etwas Glück können wir ablegen, wenn wir zurück zur Küste kommen. Aber vorher würde ich abwarten, wie sich die Dinge in Vara entwickeln. Ich schätze, ihr versteht das.“ ,,Nicht wirklich. Seit wann habt ihr viel mit Kellvian zu schaffen?“ Zyle wusste, Eden würde schwerlich zugeben, sich um irgendjemanden zu Sorgen oder überhaupt zu mögen. Zumindest sicher nie offen, überlegte

er. ,,Nun vor allem bezahlt er eure Überfahrt. Aus der Staatskasse. Das kann er aber nur solange er auch als Kaiser anerkannt wird. Außerdem wäre es gut zu wissen, das ein Freund auf dem Kaiserthron sitzt.“ ,,Ihr glaubt doch selber nicht, das Kellvian eure Raubzüge unterstützt.“ ,,Nein. Es kann aber sicher nicht Schaden, oder? Der Junge hat was im Kopf, soviel muss ich ihm lassen. Jeder andere hätte die Clans ausgelöscht und sich das Problem so vom Hals geschafft. Zyle nickte. ,, Man hat mir einmal gesagt, es gäbe im krieg keine alternative zum Sieg. Und ich glaube für

den Großteil meines Lebens habe ich gedacht, das stimmt. Aber eigentlich… ist diese Annahme vor allem endlos dumm.“ ,,Es schließt von vornherein jede Vernünftige Lösung eines Konflikts aus.“ ,,Genau das. Ich sehe ihr versteht es.“ ,,Nun ich habe soweit möglich immer darauf verzichtet jemanden zu verletzen. Sicher, ich hab sie teilweise nur mit ihrem letzten Hemd abziehen lassen, aber getötet… nur wenn es keine andere Wahl gab.“ ,,Und ihr würdet mich auch nicht einfach hierlassen, nur weil euch niemand bezahlt, gebt es

zu.“ ,,Vermutlich nicht.“ Eden grinste, ,,Aber dann würde ich wieder mit euren Archonten herumschlagen müssen. Ich glaube nicht, das die zu froh sein werden, euch zu sehen, nicht?“ ,,Das bleibt abzuwarten. Eigentlich habe ich getan was ich sollte. Die Frage ist, ob sie schon wissen, das es nicht unbedingt meine Hand war, die das Leben des Patriziers beendet hat.“ ,,Wie sollten sie ? Wir sind mehrere Wochen von Helike entfernt, selbst mit dem Schiff. Ich glaube ihr seit einer der Wenigen, die sich je so weit nach Norden gewagt haben. Das macht bestimmt keiner so schnell

nochmal…“ ,, Sicher. Hoffen wir das.“ , meinte er und sah erneut nach dem Stand der Sonne. Lange würde es nicht mehr hell bleiben. Sein Blick wanderte von der Sonne weg nach Norden. Er war wohl wirklich weit herumgekommen, bis in die Berge, wo der Sanguis-Orden seinen Sitz hatte. Es war seltsam ruhig um die Zauberer geworden, nachdem ihr Ordensoberer bei seinem Versuch gescheitert war, sich zum Herrscher Cantons aufzuschwingen. Ihm konnte es nur recht sein. Gleichzeitig… was mochten die Aushecken? Fürchteten sie einfach sich den Zorn des neuen Kaisers zugezogen

zu haben oder suchten sie schon nach einem Weg ihre Position wieder zu stärken? So oder so, er wäre längst weg, bevor er es herausfinden würde. Damit musste Kellvian alleine zu Recht kommen. Wenn wenigstens Melchior noch hier wäre. Er war sich fast sicher, der Seher würde auf seine Weise schon durchscheinen lassen, was wahrscheinlich geschehen würde. Aber der Mann hatte sie schon vor Monaten verlassen um zurück in den Norden zu ziehen. Offenbar hatte er seine Aufgabe als erledigt angesehen. Er hatte lange nicht mehr an den alten Mann Gedacht. Und an dessen Prophezeiung ihm gegenüber. Er würde

das Banner des Kaiserreichs nach Helike tragen. Das konnte allerdings wohl alles bedeuten. Melchior hatte sich selten in seinen vorhersagen geirrt, aber nicht immer war alles so eingetroffen, wie man auf den ersten Blick gedacht hätte. Vielleicht sollte er sich von Kellvian einfach eine Fahne geben lassen, dachte er. Dann wäre die Prophezeiung erfüllt, ohne dass irgendetwas geschehen war. Dann würden die Worte des Sehers allerdings plötzlich schlicht Selbsterfüllend. Zyle schüttelte den Kopf über seine eigenen Gedanken. Konnte man eine Prophezeiung am Ende wirklich

austricksen?

Kapitel 8 Quinn


Die Festung des Sanguis-Ordens lag in einem kleinen Tal, umgeben von hohen Felsgipfeln, deren schneebedeckte Spitzen den Ort fast vollständig von der Außenwelt abschirmten. Als wäre das nicht genug gewesen, wirkte der ganze Bau bereits aus der Ferne unnahbar wie sonst nur wenige Orte in Canton. Hohe Wälle, die seit der Erfindung von Schwarzpulver praktisch überflüssig waren, umgaben einen verwinkelten Komplex aus Türmen, Hallen und steinernen Wirtschaftsgebäuden. Schwarzgeschuppte

Wyvern kreisten über der Burg wie andernorts die Aasgeier. Teilweise waren diese Bauten so alt, wie der Magierorden selbst, der einst von Simon Belfare ins Leben gerufen wurde. Andere waren neuer und mit dem Aufstieg des Ordens gewachsen. Das dunkle Mauerwerk wirkte als starker Kontrast zu dem Schnee, der die Zinnen und Wehrgänge bedeckte. Einzelne Quarzkristalle glühten im Sonnenlicht, das die Festungswerke beschien und erweckten fast den Eindruck von Augen, die ins nichts starrten. Einzelne niedere Magier, deren Begabung zu schwach für höhere Würden war hielten auf den Mauern Ausschau

und hatten sich um die hier und dort aufgestellten Kohlebecken versammelt um sich zu wärmen. Andere hielten sich in den Hallen der Festung versteckt um dem Winter wenigstens etwas auszuweichen. Trotzdem herrschte allgemeine Aufregung. Es wurde getuschelt, manche Sprachen sogar offen davon, das der Orden in ernster Gefahr war. Nur ein Mann gab wenig auf das Gerede. Ein Mann, der nun seine Chance gekommen sah. Musiktöne hallten durch die steinernen Gänge und wer ihnen durch mehrere Treppen und Innenhöfe mit gefrorenen Brunnen und Vorratskammern gefolgt

wäre, wäre bald vor einer hölzernen Tür in einem der Außentürme gelandet. Der Mann, der sich im obersten Stockwerk des Baus befand saß vor einem Klavier und spielte scheinbar abwesend seine Melodie. Die Finger bewegten sich geschickt und ohne zögern über die Elfenbeintasten. Wer Quinn gesehen hätte, hätte nicht sofort einzuschätzen gewusst ob er alt oder jung war. Ein türkisfarbener Umhang viel ihm, wie jedem Vertreter seines Ordens, über die Schultern. Ein unübersehbares goldenes Emblem prangte auf der Schulter. Ein Tropfen. Ein Symbol für Blut. Dunkle Haare fielen ihm ins Gesicht, in

denen trotz seines jungen Alters bereits graue Strähnen glitzerten. Der Preis der Magie. Als es an der Tür klopfte hielten seine Hände auf den Klaviertasten inne. Quinn hatte darauf gewartet. ,,Ja ?“ Seine Stimme war kalt, aber trotzdem angespannt. Heute war der Tag. Ein Lächeln spielte um seine Lippen. Die Tür wurde vorsichtig aufgezogen und ein einzelner Mann mit zerzausten Haaren trat herein. Auch er trug den türkisfarbenen Umhang des Ordens, darunter allerdings schlichte graue Kleidung. Ein niederer Zauberer. Quinn beachtete ihn kaum. ,,Herr, die anderen haben sich in der großen Halle versammelt und warten auf

euch.“ ,, Es wird sie nicht umbringen, etwas länger zu warten.“ , erwiderte er. ,,Sagt ihnen, ich bin unterwegs.“ Der Mann verbeugte sich einmal und trat nach wieder nach draußen. Quinn nahm die Hände von dem Instrument und faltete sie zusammen. In seiner Handfläche ruhte ein rot pulsierender Kristall, den er mit einer Bewegung in seinem Ärmel verschwinden ließ. Das alles war doch nur noch Formalität. Niemand würde sich gegen ihn stellen. Mit einer Bewegung stand er auf und folgte dem Diener nach. Der Weg durch die verwinkelten Gänge und Saale der Burg war lang und ließ ihm Zeit zum

nachdenken. Nach Tyrus Tod brauchte der Sanguis-Orden einen neuen Anführer. Und Quinn würde es werden, da war er sich sicher. Nicht nur, das es niemand wagen würde gegen ihn anzutreten, er hatte Tyrus eigene Empfehlung für sich. Dem Magierrat blieb praktisch keine Wahl als ihn zu ernennen, dachte er. Gegen ihn zu stimmen, dazu hätten sie doch viel zu viel Angst. In der Theorie hatten alle Großmagier das gleiche Recht sich zur Wahl zu stellen. In der Praxis aber war die Ausprägung ihrer magischen Begabung entscheidend. Jeder Gegner könnte einfach zu einem magischen Duell gefordert werden, das nur mit dem

Tod eines der Kontrahenten enden konnte. Und Quinn war nach Tyrus Tod einer der mächtigsten Vertreter seiner Zunft. Wer ihn herausforderte beging effektiven Selbstmord, dachte er. Und sobald er erst den Titel des Ordensoberen inne hätte… konnte er einige Rechnungen begleichen. Der Orden war gedemütigt worden, geschwächt… Es wurde Zeit, dass jemand die Bauern und normalen Sterblichen daran erinnerte, wer sie waren. Gut zwei dutzend Großmagier, die mächtigsten Vertreter des Sanguis-Ordens, hatten sich in einer der größten Hallen der Festung eingefunden. Einige

Kronleuchter erhellten den aus schwarzem Stein gefertigten Raum. Nur an der Rückwand gab es eine Reihe Bleiverglaste Fenster, durch deren staubige Scheiben zumindest etwas Sonnenlicht in den Raum gelangte. Staub schimmerte in den schwachen Lichtbahnen. Lange Bänke und schwere Eichentische säumten die Wände an denen sich die Zauberer versammelt hatten. Alle Gesichter drehten sich in seine Richtung, als Quinn durch die Türen des Saals trat. Ohne die vielsagenden Blicke groß zu beachten tat er an die Tische und nahm seinen Platz unter den anderen ein. Vor jedem Platz standen ein paar Krüge

und Becher. Er nahm sich seelenruhig einen Kelch und füllte ihn bis zum Rand mit Wein. Quinn hatte keine Eile. Er konnte nur gewinnen, das wusste er genau so wie die anderen. Ein Mann ganz am anderen Ende der Tafel erhob sich. Obwohl er noch keine dreißig sein konnte waren seine Haare bereits völlig ergraut und tiefe Ringe hatten sich um die Augen gebildet. Blass schimmerte seine Haut im Halbdunkel des Raums, während er sich mit zitternder Hand am Tisch abstützte. Der preis der Magie, dachte Quinn wieder. Ihre Körper verfielen durch den stetigen Energiestrom, der durch ihre Adern tobte rasend schnell, während jeder

Zauber die eigene Lebenskraft etwas mehr verzehrte. Genau deshalb nutzte der Orden Magiespeicher um die negativen Effekte auszugleichen. Genau deshalb hatte Quinn einen Magiekristall hierher geschmuggelt. Wenn er doch kämpfen musste würde er jeden Vorteil nehmen, den er bekommen konnte. Keiner der anderen Anwesenden trug irgendwelche magischen Verstärker. Zumindest nicht, so weit er sehen konnte. Der Mann der aufgestanden war blickte einen Moment in die Runde, als wollte er sich vergewissern, dass nun wirklich alle anwesend waren. ,, Brüder, Schwestern. Dunkle Zeiten

sind über uns gekommen. Tyrus Lightsson wurde in der fliegenden Stadt getötet. Unser Orden als Verräter am Kaiserreich gebrandmarkt. Wir wurden benutzt und betrogen. Doch heute sollen wir uns wie so oft in unserer Geschichte, erneut aus der Asche erheben. Wir haben den letzten Herrscher der Ordeal-Kaiser überlebt, wir haben Jahrhunderte überlebt und werden auch dies überstehen. Heute ist es an der Zeit einen ersten Schritt Richtung Neuanfang zu machen und einen neuen Anführer zu bestimmen, der uns aus der Asche zurück zum Feuer führen soll. Welche Kandidaten stellen sich?“ Quinn hatte nur halb zugehört und

stattdessen die anderen Anwesenden gemustert. Niemand schien gewillt, sich zu erheben. Entweder sah er Angst in ihren Gesichtern oder er konnte sich sicher sein, das sie ihn unterstützen würden. Die meisten drehten sich weg, als er sie ansah, stellte er zufrieden fest. Nur ein einziges Mal wurde sein Blick erwidert. Ganz am Ende der Tafel saß eine Frau, die er bisher nicht bemerkt hatte. Offenbar gehörte sie zu den Älteren Magiern, die es trotzdem geschafft hatten, sich nicht durch ihre eigene Magie umzubringen. Graue Haare rahmten ein von nur wenigen Falten durchzogenes Gesicht ein. Auch wenn ein schwaches Lächeln

um ihre Lippen spielte, die grünen Augen, die kurz direkt in seine eigenen Blickten blieben kalt. Berechnend, aber irgendwie nicht… unfreundlich. Eine seltsame Mischung, überlegte Quinn und wusste sofort, dass diese Frau gefährlich war. Aber nicht für ihn, erinnerte er sich. Wenn alle Stricke rissen hatte er nach wie vor den Stein, der in seiner Handfläche ruhte. Das Gesicht kam ihm wage bekannt vor und er suchte nach de dazugehörigen Namen. Kiara Vanir. Sie war nicht oft hier erinnerte er sich. Aus irgendeinem Grund mied die Großmagierin die Sicherheit der Ordensfestung. Ganz

Offenbar hatte sich das geändert, nachdem sie jemand über den Tod des Ordensmeisters informiert hatte. Quinn konnte sich dunkel erinnern, das sie einmal offen Tyrus kritisiert hatte, was wohl auch ein Grund dafür gewesen sein dürfte, das sie den anderen Zauberern auswich. Nun wenn sie wusste, was gut für sie war hielt sie sich heute bedeckt, dachte er und stand langsam auf. ,, Es steht wohl außer Frage, das ich mich den versammelten Magiern zur Verfügung stelle. Wie viele Wissen, waren Tyrus und ich Freunde.“ Das war eine Lüge, aber sicher würde das jetzt niemand hinterfragen. Der einzige Mann,

der hätte wiedersprechen können, war tot. Zum Glück. So konnte er seine Empfehlung auch nicht mehr zurück nehmen. ,, Und wie viele von uns hat mich sein Tod schwer getroffen. Wir werden alle seine Rat und seine ruhige Beherrschung vermissen. Und natürlich kann ich nicht anders, als zu versuchen seine Nachfolgeanzutreten, so gut es mir möglich ist, ein Wunsch, den unser Ordensoberer selber gehegt hat. Doch uns allen muss auch klar sein, das Tyrus seine Fehler hatte. Er hat immer versucht, die Dinge möglichst diplomatisch anzugehen doch nach allem was geschehen ist, ist dafür möglicherweise kein Platz mehr. Wir

werden uns unseren Platz in diesem Reich zurückverdienen… oder ihn uns nehmen. Den ich schwöre euch, niemand kann sich uns in den Weg stellen. Niemand uns beherrschen. Zu lange haben wir uns Untergeordnet meine Freunde. Unter einem Kaiser der weniger Recht hat uns zu kontrollieren als eine Ameise einen Elefanten. Ab heute soll sich das meinem und eurem Willen entsprechend ändern.“ Quinn setzte sich langsam wieder. Er konnte in den Gesichtern der meisten Leute Unsicherheit lesen. Bei manchen vielleicht offene Skepsis und ein, zwei Augenpaare musterten ihn mit offener Feindseligkeit. Er würde sich die

Gesichter merken und sich nach all dem um sie kümmern. Wenn er erst einmal Ordensoberster war… würden einige der Großmagier eine Versetzung Richtung Grenze erhalten. Oder still und heimlich verschwinden. Manchmal gingen bei einem Führungswechsel eben ein paar Dinge zu Bruch, dachte er. Und manchmal waren ein paar Schädel dabei. ,, Sehr schön. Gibt es sonst noch Meldungen oder Anmerkungen?“ , wollte der alte Zauberer wissen, der die Versammlung eröffnet hatte. Quinn hatte bereits weggehört. Niemand wäre so dumm sich hier gegen ihn zu stellen. Wenn er gewählt wurde, ja dann müsste er sich eine Weile mit seinen Gegnern

herumschlagen, aber bis dahin… Quinn nahm den Weinkrug vor sich auf und trank. Keiner der hier anwesenden würde ein Duell mit ihm riskieren. ,, Wenn es keine Umstände macht, gibt es einige Dinge, die ich los werden möchte.“ Quinn hätte sich fast verschluckt, als die Stimme durch den Saal schnitt. Kiara hatte sich von ihrem Platz erhoben und Blickte in die Runde. Und erneut trafen sich kurz ihre Blicke und in diesem einen Moment hatte Quinn Angst. Ich bin Tod, war einen Moment alles, was sein Verstand sagte. Dann aber gewann wieder die Rationalität die Oberhand. Er konnte nicht verlieren, was

immer diese verrückte Frau auch vorhatte. ,,Das Unglück, das über unseren Orden kam war nicht ganz zufällig. Dahinter stand nicht allein Tyrus, sondern eine Gruppierung. Dies jedoch ist nebensächlich. Wichtig ist jedoch, dass diese Leute versucht haben, den Kaiser und seinen Erben zu töten. Erfolgreich waren sie dabei zum Glück oder Unglück jedoch nur bei dem alten Konstantin. Dennoch hatte unser Orden unfreiwillig durch Tyrus seinen Anteil daran. Und auch wenn ich keinen Zweifel an seinen guten Motiven habe, das Ergebnis ist, das der Sanguis-Orden heute als Bande von Verrätern dasteht. Doch wir können

den Schaden leicht beheben. Tyrus ist Tod und damit die Zahl derer, die wirklich daran beteiligt waren geschrumpft. Ich sage geschrumpft, weil es einen weiteren Mann in diesem Saal gibt, der sich daran beteiligt hat. Wir kennen ihn alle. Und ich werde nicht zulassen, dass er Tyrus nachfolgt. Somit stelle ich mich für de Posten des Ordensoberen zur Verfügung. Nun Quinn… sagt mir, wer von uns würde einen Verräter wie euch wählen?“ Das gleiche kalte Lächeln, das speziell ihm zu gelten schien huschte erneut über ihre Lippen, während die Versammelten auf eine Antwort warteten. Innerhalb weniger Herzschläge war die Stimmung

in der Halle von Furcht zu ungehemmten Misstrauen gegen ihn umgeschlagen. Quinns Hände zitterten. Am liebsten hätte er Vanir jetzt sofort getötet. Sie wäre niemals darauf vorbereitet. Aber dann wäre alles vorbei. Es musste Offiziell sein… Er zwang sich ruhig zu atmen. Noch lief das Spiel. Kiara Vanir setzte sich wieder, während es in der Halle still wurde.

Kapitel 9 Tiefer Sturz


Quinn hatte das Gefühl ihm würde der Boden unter den Füßen entgleiten. Es war so still, das der junge Zauberer sicher war, eine Stecknadel fallen hören zu können. Kiara Vanir ließ sich nicht anmerken, was sie von seinem Zögern hielt. Er Musterte die resolute Frau, die es sich offenbar zur Aufgabe gemacht hatte, seine Pläne durchaus schwieriger zu gestalten. Den durchkreuzt hatte sie sie noch lange nicht. Unter dem typischen türkisfarbenen Ordensmantel trug sie lediglich ein

schlichtes grünes Kleid. Leicht untersetzt mit grau melierten Haaren und einem paar intelligent funkelnder Augen schien sie besser in eine Bibliothek zu passen, als in eine Versammlung der mächtigsten Magier des Kontinents Nichts desto trotz zeigte sie kein Zeichen von Unsicherheit, während weiter dieses unheimliche, gelassene Lächeln um ihre Lippen spielte. Als ginge es hier nicht um ihrer beider leben und das Schicksal des Ordens. Nur eine Unannehmlichkeit, erinnerte er sich. Eine, die er unter seinen Stiefeln zermalmen würde. Quinn blieb genau eine Chance und die

war schnell sein. Er stand auf, was die nahe bei ihm sitzenden Zauberer veranlasste von ihm weg zu rücken. Sie fürchteten wohl, er würde einfach losschlagen ohne ein weiteres Wort. Langsam ging er um die Tische herum ohne irgendjemanden anzusehen. Kiara saß fast am anderen Ende in der Nähe der Fenster. Die Lichtbalken, die durch das Glas fielen sorgten dafür, das die beiden aus dem ansonsten in Zwielicht liegenden Raum abgehoben wurden. Er schlug mit der Faust vor ihr auf den Tisch, so dass mehrere Gläser umfielen. Flammenzungen leckten um seine Faust und brannten einen kleinen Krater in den Tisch. Ein Kristallkelch kippte über und

zerschellte am Boden. ,,Lügen. Allesamt.“ , rief Quinn und erweckte nicht bloß den Anschein mühsam unterdrückten Zorns. Was wagte sie es… ,,Ich werde nicht dabei stehen, wie ihr die Versammelten Großmagier gegen mich aufhetzt. ,,Die Zauberin schien durch seinen Ausbruch nicht besonders beunruhigt. ,,Nun denn.“ Sie streckte eine Hand aus und die Kristallsplitter am Boden sprangen zurück auf dem Tisch, wo sie sich wieder zu einem Glas zusammensetzten. Quinn versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er beeindruckt war. Auch wenn das ganze wie ein Taschenspielertrick wirkte, es

war ein bei weitem schwererer Zauber als ein paar Flammen heraufzubeschwören. Kiara verfügte durchaus über mehr als genug Macht um ihm gefährlich zu werden. Aber er hatte noch sein Ass im Ärmel. Den Stein… Die Luft schien mittlerweile mit elektrischer Spannung geladen zu sein. Es war eine Show ein kleines Kräftemessen, bevor es zum Unausweichlichen kam. Man gab dem anderen noch eine letzte Chance zurückzutreten. Danach… konnte nur noch eines entscheiden. ,,Fordert ihr mich heraus, Quinn ?“ Ihre Stimme klang gefährlich

ruhig. ,,Und ob.“ Er war schnell. Ohne einen Moment zu zögern riss Quinn die Hand hoch. Eine Peitsche aus blauem Feuer jagte durch die Luft und traf Kiara. Die Gestalt der Zauberin wurde nach hinten geschleudert, während ihr Umhang in Brand geriet. Quinn lächelte triumphierend. Das war nicht einmal ein Kampf gewesen… Manche würden sagen, so ohne Vorwarnung anzugreifen wäre unfair, aber es gab keine festen Regeln für Kämpfe zwischen Zauberern. Hauptsache er gewann. Sie hatte niemals eine Chance

gehabt. Unvorbereitet wie die Magierin gewesen war, hatte sie sich nicht verteidigen können. Es war Zeit diese Versammlung zu einem Abschluss zu führen, dachte er, während er sich umdrehte. ,,Da es nun keine weiteren Kandidaten mehr gibt, schlage ich vor…“ Die Luft wurde ihm aus den Lungen gepresst, bevor er den Satz beendet oder sich auch nur ganz umgedreht hatte. Ein harter Schlag holte ihn von den Füßen und wirbelte ihn rückwärts durch den Raum. Viel zu lange schien ihn die Wucht der Attacke durch die Halle zu tragen. Dann ging die Welt in Licht unter, als Quinn gegen die Fenster

geschleudert wurde. Das Glas gab unter ihm nach, zersplitterte, Schnitt ihm ins Fleisch, während er plötzlich jeglichen Halt verlor und mitten über dem Abgrund schwebte. Alles war seltsam langsam geworden. Unter ihm fiel die Außenfassade der Festung zu einem kleinen Innenhof ab. Vor ihm, grade eine Armlänge entfernt, war das zersplitterte Fenster des Saals. Er konnte die entsetzten Gesichter der anderen Magier sehen. Und eine Gestalt, die immer noch ein entspanntes Lächeln auf dem Gesicht, dort stand, wo er getroffen worden war. Kiara Vanir wirkte nicht wie jemand, der eigentlich Tod sein

sollte. Was… völlig unmöglich… Sein Verstand versuchte zu begreifen, was grade passiert war… dann gewann die Schwerkraft die Oberhand und er stürzte haltlos in die Tiefe. Quinn spürte den Luftzug, wappnete sich für den Aufprall… Erneut dauerte sein unkontrollierter Flug viel zu lange. Dann bekam seine Hand etwas zu Fassen. Der Kristall, den er fast vergessen hatte. Götter, er hatte noch eine Chance… Der junge Zauberer fokussierte sich, griff auf die zusätzliche Kraft zurück, die ihm der Stein lieferte. Grade rechtzeitig und keine drei Fuß vom hartgefrorenen Grund des Innenhofs

entfernt wurde sein haltloser Fall gebremst. Trotzdem schlug er viel zu schnell auf dem Boden auf. Schmerz bohrte sich in seine Seite, während er sich überschlug. Schnee und Eis wirbelten um ihn herum auf, als er endlich regungslos liegenblieb. Um ihn herum lagen Glassplitter verteilt, von denen sich mehrere in seinen Körpergebohrt hatten. Nicht tief, aber genug, dass er es spürte. Über sich konnte er noch das Fenster erkennen aus dem er gestürzt war. Quinn wusste nicht, wie lange er einfach nur dalag, während sich die Kälte langsam bemerkbar machte. Schmerz begleitete jede Bewegung, als er mühsam

den Kopf drehte und zu dem Stein in seiner Hand sah. Das rötliche Glühen darin war erloschen und der Kristall zerbröselte langsam in seiner Hand. Die Überreste des Juwels wurden vom Wind davongetragen. Vorsichtig stand er auf. Schon wieder ein paar gebrochene Knochen dachte er, während er auf die Füße stolperte. Es war beinahe lächerlich. Und es blieb ihm versagt, sich selbst zu heilen. Das einzige, was Magie nicht tun konnte… Von den Mauern sahen mehrere Zauberer-Wachen besorgt zu ihm herunter, während er sich mühsam Schnee und Glassplitter aus den Kleidern klopfte. Es war reines Glück und seiner

Vorsicht zu verdanken, das er noch lebte. Aber Quinn war auch klar, dass er grade verloren hatte. Selbst wenner nicht wusste , wie das möglich sein konnte. Kiara hatte ihn ausgetrickst. Irgendwie… Er musste hier weg. Sofort. Bevor jemand erfuhr, das er den Sturz überstanden hatte. Quinn hatte sich kam zwei Schritte weit geschleppt, als eine Gruppe Zauberer aus einem der Tore des Hofs erschien. Ein halbes dutzend der Großmagieraus der Halle und in ihrer Mitte… Quinn hatte kaum Zeit einen Schild zu errichten, bevor Kiara vortrat und erneut eine Welle aus verdichteter Luft in seine Richtung

schickte. Der hastig gewirkte Zauber schützte ihn vor dem schlimmsten, trotzdem riss ihn die Druckwelle der Magie fast wieder von den Füßen. Bevor er einen sicheren Stand wiedergefunden hatte, packte ihn eine Hand an der Kehle und drückte ihn gegen die Wand. Der erneute Aufprall war nicht heftig, trieb ihm aber Glassplitter und gebrochene Rippen tiefer ins Fleisch. Als er aufsah starte der junge Zauberer in ein paar kalter blauer Augen um die sich einige Falten eingegraben haben. Nicht alle stammten vom vorzeitigen Alter. Das wars, war alles was Quinns Verstand

noch an zusammenhängenden Gedanken zustande brachte. Er war erledigt. Jeden Moment würde Kiare ihm einfach mit einem Zauber das Genick brechen. Wenn sie gnädig war. Es gab immer noch die Option ihn in Flammen aufgehen zu lassen und… Plötzlich war der Druck auf seinem Hals weg. Von nichts mehr Gehalten stürzte er abermals zu Boden und blieb dort scher atmend liegen. Seltsamerweise ließ sein Tod immer noch auf sich warten. Kiare stand weniger als einen Schritt entfernt und sah zu ihm herab. Die übrigen Großmagier hatten einen lückenhaften Halbkreis um sie gebildet und warteten wohl genau sowie Quinn

ab, was geschehen würde ,,Warum ?“ , brachte er hervor, als ihm klar wurde, das er offenbar heute noch nicht sterben würde. ,,Glaubt mir Quinn, ich hätte kein Problem damit euch zu töten.“ , meinte Kiara. ,,Bedauerlicherweise wäre das eine ziemliche Verschwendung, meint ihr nicht auch?“ Er konnte sich irgendwie dazu bringen zu nicken, während er vorsichtig aufstand. Blut lief ihm aus einen Dutzend kleinerer Wunden. ,,Wie habt ihr das Überlebt…“ ,,Kleiner Illusionszauber. Wisst ihr, ich saß nie an diesem Platz.“ So seltsam Quinn das schien, sie griff ihm

tatsächlich unter die Arme um ihn wieder auf die Füße zu helfen, bevor die Magierin sich den anderen Umstehenden zuwendete. ,,Ich denke Quinn hier wird zum besten aller auf seine Kandidatur verzichten. Möchte sich sonst noch jemand zur Wahl stellen?“ Die versammelten Großmagier traten fast zeitgleich alle einen Schritt zu rück. ,,Gut, dann können wir uns ja eine Abstimmung sparen.“ Kiaras Stimme klang seltsam freundlich, dachte Quinn. Sie hörte sich sicher nicht an wie jemand, der grade ein Duell auf Leben und Tod gewonnen hatte… und grade im Begriff war sich zur neuen Anführerin des Ordens

aufzuschwingen. Diese Frau gehörte wirklich nicht hierher, befand er. Und wenn sie ihm jetzt den Rücken zudrehte hatte er nach wie vor eine Chance…. ,,Ach und Quinn…“ Die Zauberin wirbelte so schnell herum, dass er schon befürchtete, sie hätte seine Gedanken gelesen. Aber so eine Magie gab es nicht. Oder wenn es sie gab, dann würde sie sicher niemand einfach so beherrschen… ,,Versucht nichts dummes.“ Ihre stimme war plötzlich überhaupt nicht mehr freundlich. Allerdings auch nicht wirklich böse, sondern streng. Lehrerhaft. Einfach Großartig, dachte er. Nicht nur das diese

Dame Gedanken lesen konnte… sie gehörte wirklich eher in eine Bibliothek. Und doch war es Kiara irgendwie gelungen ihn zu überlisten. Mit einer Handbewegung bedeutete sie den umstehenden Großmagiern, dass sie sich entfernen sollten. Sie wartete, bis sie von den üblichen Wachen abgesehen allein auf dem Hof waren. ,,Ihr habt einiges getan um unserer Sache zu Schaden, Quinn. Und was ihr in Vara getan habt… schwarze Magie. Ich frage mich ernsthaft ob euer Verstand nicht dabei schaden genommen hat?“ Woher wusste sie davon schon wieder ? ,,Wie könnt ihr davon

wissen…“ ,,Haltet ihr mich für bescheuert ?“ Zum ersten Mal klang sie wirklich gefährlich. ,,Tyrus hat Dokumente hinterlassen. Mehr als genug. Er hat seinen eigenen Herren wohl nicht wirklich vertraut und über die meisten Dinge die er wusste Buch geführt. Darunter waren einige sehr interessante Briefe…“ ,,Wie bitte kommt ihr an Tyrus private Aufzeichnungen ?“ Kiara schwieg. Aber eines schien klar. Legal hatte sie diese Aufzeichnungen sicher nicht bekommen… ,,Verstehe.“ , meinte Quinn. ,,geht mich nichts an, ja ?“ Für den Augenblick war er nur froh, noch am Leben zu sein. Er

würde schon einen Weg finden, alles wieder ins Lot zu bringen. Kiara töten… dazu würde sich sicher noch eine Gelegenheit bieten. Sie hatte ihn überrumpeln können, das war alles, sagte er sich. ,,Euch hat im Augenblick nur eines zu interessieren.“ , fuhr die neue Ordensobere derweil fort. ,,Ich werde nicht zulassen, das ihr die Arbeit von Jahrhunderten ruiniert, und ich habe kein Problem damit, euch in fetzen zu reißen. Wir wussten nichts von Tyrus Plänen, wir waren nicht einmal großartig daran beteiligt. Das muss der Kaiser verstehen. Und ich habe vor, persönlich dafür zu

Sorgen.“ ,,Moment… Soweit ich weiß gibt es im Augenblick keinen offiziellen Kaiser nur seinen Erben. Und das ist..“ Quinn hielt inne. ,,Kellvian Belfare , oh verdammt.“ ,,Ich weiß von eurem… Zusammenstoß in Vara. Ihr wart es, der seine zweite Seele geweckt hat. Bravo. Noch ein guter Grund euch eigentlich zu töten… Meint ihr, er erinnert sich an Mörder von Patrizier Cynric ?“ ,,Wie bitte ?“ ,,Wir gehen nach Vara. Die Wahl des Kaisers findet dort statt und der Orden… wird jemanden unterstützen müssen.“ Schon wieder eine Wahl. Dieser Tag wurde praktisch Sekündlich schlimmer.

,,Ihr sagt wir…“ ,,Ihr werdet mich begleiten, Quinn. Seht es als eine Möglichkeit mich davon zu überzeugen, das es eine gute Idee war, euch am Leben zu lassen.“ Sie drehte sich um und machte sich auf dem Weg zu einer der Türen, die zurück ins innere der Ordensburg führten. ,,In Zwei Stunden an den Festungstoren.“ , rief die Ordensobere über die Schultern. ,,Seit da. Und Quinn… lasst ab jetzt jegliche Versuche schwarzer Magie. Das kann nicht gut ausgehen. Und es wird euch vernichten, Versteht ihr mich?“ Quinn sah ihr verwirrt nach. War das grade etwa Sorge in ihrer Stimme

gewesen? War auch egal. Er sollte sich beeilen. Wenn diese verrückte Frau wirklich schon in zwei Stunden aufbrechen wollte, fand er besser einen Heiler. Und vor wenigen Minuten hatte er noch geglaubt Ordensoberer zu werden…

Kapitel 10 Rückkehr nach Vara


Tamyra Lahn sah über die Straßen Varas hinweg. Die ganze Stadt wirkte auf eine seltsame Art… ordentlich, wie sie fand. Durchstrukturiert bis ins kleinste Detail. Die Fassaden der weißt getünchten Häuser leuchteten in der Sonne, die hier und dort durch die Regenwolken hindurchbrach. Weite Straßen und große offene Plätze bestimmten das Stadtbild und am Horizont erhoben sich die auf dem einzigen Hügel der Metropole gelegenen Gebäude der Universität. Seit sie hier angekommen waren, war die ganze Stadt in Aufruhr. Ohne einen

Patrizier bestimmten vor allen die reichen Familien und Händler das momentane Schicksal der Stadt, aber auf die Nachricht, das eine Versammlung des gesamten Adels von Canton hier abgehalten werden sollte, hatten viele mit Bestürzung reagiert. Vara war eine der kleineren Städte des Reichs und kaum darauf vorbereitet, ein paar hundert oder mehr Fürsten, Barone und religiöse Führer mitsamt Gefolge zu beherbergen. Sie wendete sich vom Fenster ab. Der Raum in dem sie sich befand war groß genug, das leicht mehrere kleine Häuser hineingepasst hätten. Bis auf einige Tische und Bänke jedoch war er leer.

Lichtbahnen fielen durch eine Reihe von Fenstern auf der Ostseite und eine gläserne Tür führte hinaus auf eine große Terrasse, die leicht noch einmal die Fläche einer Hütte hatte. Dagian hatte fürs erste alle in einer der größten Villen der Stadt einquartiert, offenbar das ehemalige Haus des Patriziers von Vara. Soweit Tamyra wusste war der Mann letzten Sommer ermordet worden, wohl von den gleichen Männern, die auch hinter Tyrus gestanden hatten. Und vielleicht auch hinter dem Tod des Kaisers. Verdammt, sie war doch da gewesen, überlegte sie. Vielleicht zweihundert Schritte entfernt und doch hatte sie nicht gesehen, wer

auf ihn geschossen hatte. Am Ende war es nicht wichtig. Sie hatten alle versagt. Die gesamte kaiserliche Garde hatte an diesem Tag nicht ausgereicht, Konstantin Belfare zu schützen und nun blieb ihnen nur noch Kellvian. Bis auf ihn war die Dynastie der Belfare tot. Und wenn sich die Adeligen des Reichs gegen ihn stellten… Einen solchen Umsturz hätte es seit Simon Belfare und dem Untergang des Hauses Ordal nicht mehr gegeben. Der Gedanke jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. Das wäre nicht gut. Der Krieg mit den Gejarn hätte nicht so viele Opfer fordern können wie ein Kaiserreich ohne klaren

Herrscher. Sie war als Diplomatin schon in ganz Canton gewesen und ihr war klar, wie verbohrt einige der Fürsten sein konnten. Jeder würde versuchen, sich so viele Vorteile wie möglich zu sichern. Götter, das könnte eine Katastrophe werden, vor allen wenn Kellvian sich jetzt auch noch verspätete. Die ersten Gäste würden in wenigen Stunden hier sein und die Versammlung würde bereits am nächsten Morgen beginnen. Wenn der Kaiser dann fehlte… Das Geräusch einer sich öffnenden Tür riss sie aus ihren Gedanken. Dagian Einher trat ein, wie immer in Rüstung und Bewaffnet, als stünde ihm noch eine

Schlacht bevor. Es würde schon einiges erfordern, damit dieser Mann einmal nicht vorbereitet war, dachte sie. ,,Hochgeneral…“ ,,Schon irgendeine Nachricht von Kellvian ?“ ,,Nein Herr.“ , erklärte sie. ,,Allerdings ist wohl ein Abgesandter der Eisnomaden eingetroffen. Ein blinder Kerl namens Melchior. Und es hat sich der neue Anführer des Sanguis Ordens angekündigt.“ Die Augen des Generals verengten sich misstrauisch. ,,Sie haben schon einen neuen Ordensoberen ?“ ,,Es scheint so. Und er ist auf dem Weg. Genau wie einige Vertreter des Hauses

Immerson. Offenbar… sind die nicht sehr glücklich.“ Dagian nahm die Nachricht offenbar gelassen auf. Beinahe schien er sogar froh darüber, dachte Tamyra, aber das war lächerlich. Trotzdem… sie hatte gelernt Leute zu lesen und irgendetwas war hier seltsam… ,,Das war doch zu erwarten. Sie haben jemanden verloren und wollen jetzt jemanden dafür hängen sehen… Verdammt sei Kellvian, wenn er nicht bald auftaucht.“ ,,Habt ihr darüber nachgedacht, das er sich abgesetzt haben könnte ?“ ,,Seit nicht verrückt. Das würde er nicht wagen. Nicht nochmal… hoffe ich. Seine kleine… Freundin wird schon für genug

Probleme sorgen.“ ,,Mir passt nichts, was dieser Mann tut, Tamyra.“ , erwiderte Dagian scharf, ,,Kellvian ist eine wandelnde politische Katastrophe. Und ich habe langsam genug von seinen Eskapaden. Glaubt ihr ich möchte, das dieser rasende Wahnsinnige Kaiser wird?“ Tamyra musste sich zusammenreisen um sich nichts anmerken zu lassen. Das war es also, was sie gestört hatte… ,,Dieser Rasende wie ihr ihn nennt, hat grade im Alleingang einen Krieg beendet, wenn ich euch daran erinnern darf.“ , gab sie zu bedenken. ,,Ich weiß. Das war reines Glück oder glaubt ihr wirklich, den nächsten krieg

kann er auch mit Worten beilegen ? Bei einer Bande Tiere die ihren Platz vergessen haben mag das ja funktionieren , aber er soll erst einmal einem Haufen Adeliger beschwatzen, ihm ihr Schicksal anzuvertrauen. Dieses Reich wurde mit dem Schwert errichtet und dieser Junge glaubt es mit der Zunge zusammenhalten zu können. Ich werde nicht zulassen, das er es dabei zerstört. ,,Vielleicht unterschätzt ihr ihn einfach. Es steht mir nicht zu euch zu kritisieren, aber so oder so… welche alternative außer Kellvian haben wir ?“ ,,Nicht viele.“ ,,Ihr meint gar

keine…“ ,,Nein ich meine nicht viele… Aber es gibt sie glaubt mir….“ Tamyra gefiel der düstere Ton in der Stimme des Generals gar nicht. Oder worauf das alles hinauslief. Rasch sah sie zu einer der zahlreichen Türen, die aus dem Saal führten und verfluchte sich, das sie nur mit einem Messer bewaffnet war… ,,Das ist Verrat.“ ,,Kellvian auf dem Kaiserthron , das ist Verrat!“ , rief Dagian, bevor er ein paar Schritte zurücktrat und kopfschüttelnd stehen blieb. ,,Vergesst es einfach. Vergesst dass ich irgendetwas gesagt habe… Aber ich fürchte, wir werden alle

dafür zahlen, wenn dieser Mann seinen Willen bekommt.“ Kellvian sah auf Vara hinab. Mehr als ein halbes Jahr war vergangen, seit er das letzte mal hier gewesen war. Eine lange Zeit… Kalter Nieselregen fiel von einem grauen Himmel und gefror auf dem noch kalten Boden zu einer Eisschicht, die langsam alles überzog. Selbst die alten Runensteine, die die Siedlung umgaben waren bald von einer schimmernden Schicht bedeckt. Auch wenn der Winter hier nicht so unerbittlich war, wie an der Küste, die Kälte machte sich bemerkbar und würde so schnell nicht weichen.

Kellvian rieb sich die Arme um sich wenigstens etwas warm zu halten. ,,Es ist eine Weile her.“ , meinte Jiy neben ihm. Die Gejarn sah unsicher hinab auf Vara. Noch immer konnte einem die Größe der menschlichen Siedlungen Angst einjagen. Auch wenn sie die Häfen des Westens gesehen hatte, die Orte wie diesen geradezu winzig wirken ließen… Wohl bei den Gedanken an Städte war ihr nach wie vor nicht. Und das lag nicht nur an der schieren Anzahl an Menschen darin… ,,Hey, das wird schon.“ Kellvian hatte offenbar bemerkt, das sie sich Sorgen machte. ,,Du hältst das doch auch nicht für eine

gute Idee.“ , konterte sie. ,,Ich habe keine Wahl.“ ,,Kell, wir haben immer eine Wahl. Sie werden einen Kaiser bestimmen, ob du da bist oder nicht…“ Er schüttelte den Kopf. ,,Ich renne nicht mehr Weg, Jiy. Diese Zeiten sind vorbei.“ ,,Das weiß ich. Aber hier geht es um… alles. Was passiert, wenn sie sich gegen dich stellen ?“ ,,Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Es wird sich Morgen entscheiden müssen. Vermutlich… rennen wir dann besser. Das heißt, wenn ich noch dazu komme.“ Jiy sah ihn entsetzt an. ,,Das ist nicht

witzig.“ ,,Aber er hat recht oder ?“ , fragte Zyle. ,,Zwei Personen die Anspruch auf einen Thron erheben sind eine zu viel. Also…“ ,,Also.“ , bestätigte Kellvian düster. Sie standen auf einem der zahlreichen kleinen Anhöhen, zwischen denen Vara eingebettet lag und sahen in die Straßen hinab, die in der Abenddämmerung hell erleuchtet waren. Zyle musterte die nahe Stadt mit gemischten Gefühlen. ,,Ich kann mich noch sehr gut erinnern, das unser letzter Besuch hier nicht so schön ausging. Aber von dem was ich bisher von euren Herrschern gesehen habe Kellvian, bin ich nicht beeindruckt. Die haben doch

gar nicht den Mumm irgendetwas zu tun. Anwesende natürlich ausgenommen.“ , fügte er grinsend hinzu. ,,Danke. Aber ich glaube, ihr unterschätzt wie sich dumme Leute in großen Gruppen verhalten können.“ Der Gejarn schüttelte den Kopf. ,,Laos, jetzt klingt ihr schon wie einer unserer Schrift-Lehrer, Kell.“ ,,Von dem was ich bisher von den Lehren Also gehört habe, weiß ich nicht ob das was gutes ist.“ , bemerkte Jiy. ,,Wisst ihr was das Problem dabei ist ?“ , wollte Zyle wissen, nur um die frage dann selbst zu beantwortete. ,,Ich auch nicht mehr.“ ,, Wir beeilen uns besser.“ , schlug

Kellvian vor. Eden und die anderen waren schon vor einer ganzen Weile vorausgegangen und wenn sie sich jetzt nicht beeilten, könnten sie die letzten sein, die in Vara eintrafen. Die meisten Menschen hielten sich bei der Kälte drinnen auf und so begegnete ihnen kaum jemand, als sie sich einen Weg durch die gradlinigen Straßen suchten. Nur an den Stadttoren hielt sie kurz eine Wache an, die allerdings eilig beiseitetrat, sobald sie Kellvian erkannte. Für den Abend hatte man in den Straßen offenbar sämtliche Laternen entzündet. Öllampen, die über ein ausgeklügeltes System von Rohren und Dampfpumpen versorgt wurden. Vara

war seit jeher eine der Städte, die weitestgehend auf Magie verzichtete und die stattdessen durch einige der klügsten Handwerker und Ingenieure ausglich, die Canton zu bieten hatte. Trotz seiner geringen Größe war der Ort ein technisches Wunder und die Universität Varas zog tausende an, denen vielleicht jede magische Begabung fehlte, aber mit ihrem Verstand ebenso große Wunder schaffen konnten. Kellvian führte sie durch einige fast verlassene Straßen, bis sie ein großzügiges Anwesen erreichten. Das von einem großzügigen Garten umgebene Gebäude schien in Licht zu baden. Alle Fenster waren erhellt und hunderte

Lampen hingen an dem schmiedeeisernen Zaun, der die Gärten umgab. Dahinter ragte ein kleiner Pavillon aus Marmor auf. An den Toren im Zaun , die hinauf zum Eingang der Villa führten stand eine vertraute Gestalt in blauer Uniform und winkte ihnen zu. ,, Syle.“ Der große Gejarn kam eilig herbeigelaufen, mühte sich dabei aber sichtlich ab. Aus der nähe erkannte Kellvian auch den Grund dafür. Offenbar hatte Dagian der kaiserlichen Garde zumindest für die Zeit der Versammlung eine neue Parade-Uniform zugewiesen. Goldene Schulterklappen, eine

Pagenmütze die das aufgenähte Zwillingswappen Cantons trug. Ein versilberter Schwertgriff glitzerte an der Hüfte des Gejarn. Allerdings hatte wohl niemand wirklich an Syles Größe gedacht. Die Knöpfe der Kleidung spannten gefährlich und das ganze behinderte ihn offenbar schon beim Atmen. ,, Herr… Guten Abend. Dagian ist etwas außer sich fürchte ich.“ Der Gardist holte bei jedem Wort Luft. ,, Sind wir wirklich so spät ?“ ,, Herr… fast alle anderen sind schon da, einschließlich des halben Adels von Canton. Sie haben sich oben in der großen Halle versammelt und warten

anscheinend nur noch auf euch.“ ,, Danke Syle.“ Er klopfte dem alten Freund auf die Schulter, und wollte grade an ihm vorbei Richtung Haus, als er sich noch einmal umdrehte. ,,Oh und… werdet diese Uniform los, ja ? Das kann ja niemand mit ansehen. Befehl eures Kaisers.“ ,, Ich hoffe es Herr und… ihr seid sicher, das ihr so da rein wollt?“ Kellvian blieb stehen und sah an sich hinab. Ihm war keine Zeit geblieben sich umzuziehen und so trug er nach wie vor schlichte Waldkleidung. Rasch drehte er sich um. Zyle und Jiy würde man das wohl durchgehen lassen. Sogar ganz sicher, niemand da drinnen würde

wirklich auf sie achten solange niemand erfuhr, dass sie zu ihm gehörten. Aber… Verflucht , es gefiel ihm ohnehin besser. ,, Ich denke schon. Keine Sorge, das wird sicher ihre geringste Sorge sein.“ Syle lachte. ,, Dagian reist euch den Kopf ab, das wisst ihr.“ ,, Leider.“ , gab Kellvian zurück. ,, Aber darüber muss ich mir erst Sorgen machen, wenn das nicht ohnehin der Adel tut, oder ?“ Kellvian trat gefolgt von den anderen auf das Grundstück und durch die offenen Türen ins innere des Hauses. Die Villa des Patriziers hatte sich seit Kells letztem Besuch wenig verändert. Zumindest, so weit er das abschätzen

konnte. Allerdings war es definitiv geschäftiger geworden. Eine große Eingangshalle lag vor ihnen, von der aus eine Treppe hinauf ins Obergeschoss führte. Dorthin, wo wohl auch die meisten anderen sein würden. Ich habe es wirklich nicht eilig, da raufzukommen, dachte er, während er sich weiter umsah. Ein dutzend Männer und Frauen in Botenkleidung hetzten umher. Manche trugen volle oder Tablets, andere überbrachten Briefe, die sie gleich Taschenweise mit sich schleppten. Durch eine Tür zu seiner Linken konnte Kellvian etwas erkennen, das nach einer Küche aussah. Eine ganze Armee

Küchenhilfen war offenbar grade damit beschäftigt Geschirr zu spülen Wie es aussah hatten sie das Abendessen verpasst. Der Appetit war ihm ohnehin vergangen, dachte Kellvian. Mit einem mulmigen Gefühl sah er zur Treppe hinauf. Es war keine Angst, redete er sich selber ein. Aber verflucht er wollte beim besten Willen nicht hier sein. ,, Jetzt gibt es aber auch kein zurück mehr.“ , meinte Zyle. ,, Ja. Danke das ihr mich daran erinnert.“ , gab er zurück, bevor er sich auf den Weg die Stufen hinauf

machte.

Kapitel 11 Auftakt


Hunderte ihm unbekannte Gesichter drehen sich um, als Kellvian die Halle betrat. Einige lachten, als ob sie glaubten, er hätte sich in der Tür geirrt. Kellvian wusste, das er herausstach. Mehr noch, als die beiden Gejarn, die ihn begleiteten. Mit ihren Samtgewändern, die sich alle in ihrem Farbenreichtum zu übertreffen versuchten wirkte der versammelte Adel Cantons wie eine Kolonie Papageien aus dem Süden. Nur er , Jiy und Zyle nicht. Er meinte, auch kurz Eden und einige der anderen in der Menge zu erkennen ,

aber wenn die Crew der Windrufer wirklich hier war, wurde sie rasch von den Neugierigen Adeligen abgedrängt. Dagian Einher scheuchte eine Gruppe Damen in Seidenkleidern auf um sich Platz zu machen. Die Aufgeschreckten Frauen liefen rasch auseinander, während empörte Rufe Laut wurden. ,,Soll das ein Scherz sein ?“ , wollte er wissen. Diejenigen die lachten verstummten, als ihnen langsam klar wurde, wer da vor ihnen stehen könnte. Der gesamte Saal war bis auf mehrere Tische auf denen Tablets mit Essen und schwere Weinkrüge ruhten leergeräumt worden, doch auch so schien er kaum Platz für alle Anwesenden zu bieten.

Eine Glastür, die man wegen der Kälte wohl geschlossen hielt führte hinaus auf einen großen Balkon auf dem mehrere Kohlebecken standen. Schon gar nicht jetzt, wo alle zur Tür drängten um zu sehen, wer so spät noch eintraf. ,,Nein, Dagian, das ist kein Scherz.“ , erwiderte Kellvian ruhig, bevor er sich langsam in den versammelten Gesichtern umsah. Er durfte keinen Fehler machen. Götter, das war genau die Situation vor denen er sich immer gefürchtet hatte. Trotzdem zwang er sich dazu, nicht unüberlegt zu handeln. Ob er es wollte oder nicht, er war ein Leben lang auf genau so etwas vorbereitet worden. Kellvian sah sich in der Runde um.

Manche der Anwesenden erkannte er als häufige Besucher in der fliegenden Stadt. Andere wiederum schienen von weiter weg zu sein, wie ihre für die Jahreszeit eher untypische Kleidung verriet. Manche trugen leichte Seidengewänder und aufgetürmte Kopfwickel, wie man sie weiter Richtung Süden fand, die für den Winter denkbar ungeeignet schienen, einige hingegen schwere Pelzmäntel, mit relativ wenigen Verzierungen. Ärmere Adelige oder die wenigen, die mehr Wert darauf legten, warm zu bleiben, als darauf ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Er musste sie irgendwie auf seine Seite ziehen, den im Moment… im Moment

sahen sie ihn alle mit einer Mischung aus Spott oder Unglaube an. Manche mit so etwas wie Verwunderung, aber das waren die wenigsten. Mit der Ruhe hatte noch etwas anderes von ihm Besitz ergriffen... Wut. Es reichte ihm langsam. ,,Nun ? Was stimmt nicht?“ , fragte er laut genug, das man es im ganzen Raum hören musste. ,,Ihr seid heute Abend alle meine Gäste, oder nicht? Ich bitte freilich meine Verspätung zu entschuldigen. Es gab… ein paar Schwierigkeiten in den letzten Monaten. Wie vielleicht auch einigen von euch aufgefallen sein dürfte…“ Er ging zu einer Gestalt in blauer Robe herüber, die

ihm Wage bekannt vorkam. ,,Sagt … kenne ich euch nicht aus der fliegenden Stadt ? Wart ihr nicht dort, als Tyrus mich wegen Mordes anklagen wollte? Als er mich für verrückt erklären lies? “ Der Mann zuckte zurück, aber Kellvian hielt ihn fest. Nicht mit Gewalt, aber offenbar war der Kerl auch zu verängstigt um ernsthaft Wiederstand zu leisten. Ihm war klar, was er sehen müsste. Einen Mann, dessen Augen auf unerklärliche Weise die Farbe von Blau zu Grün wechselten, während sich die Luft um ihn mit Spannung auflud. Aber anders als bei den Gejarn tat es ihm nicht leid, diesen Leuten Angst zu machen. Im Gegenteil… ,,Wie viele von

euch, waren denn dort ? Ich schätze mindestens die Hälfte. Glaubt ihr, ich habe das vergessen?“ Kellvian drängte die fremde Wut, die nur zum Teil seine war wieder zurück. Er würde sich nicht davon kontrollieren lassen. ,,Aber wir wollen das alte heute ruhen lassen, nicht ? Wir wollen einen Neuanfang versuchen. Ohne alte Zwietracht. Ich hoffe wirklich, das uns das gelingt.“ Er musste ihnen etwas geben, dachte er. Und wenn es nur das Versprechen war, ihren Anteil an der jetzigen Situation zu vergessen. Und das war es doch, was sie brauchten oder? Einen Neuanfang. Kellvian konnte nur hoffen, das er die richtige Entscheidung getroffen

hatte. Ein gutes dutzend Köpfe nickten, andere waren offenbar nach wie vor entweder unentschlossen oder auf der Stelle erstarrt. Stille hatte sich über die Versammlung gelegt. Selbst Dagian blieb ruhig und schien das erste Mal tatsächlich zufrieden. Trotz Kellvians mäßigem Erfolg. ,,Großartige Rede.“ , brach eine Stimme das schweigen . Mehrere Leute traten beiseite um der dazugehörigen Person Platz zu machen. Ein älterer Mann, dem ein brauner Mantel um den Körper fiel. Ein violetter Schulterumhang, der von einer silbernen Spange gehalten wurde

lag um seine rechte Körperhälfte. Erst aus der nähe erkannte man, das die Spange in der Form einer Spinne gehalten war. Braune Haare, mit einigen vereinzelten grauen Strähnen fielen der Gestalt ins Gesicht. Auf dem Kopf ruhte ein Barett, aus dem eine einzige graue Feder ragte. ,,Nein wirklich, ganz großartig, Kellvian.“ , wiederholte sich der Fremde. Ihm folgte ein kleiner Zug aus Gestalten in violett—brauner Botenkleidung. Berater oder Schreiber, überlegte Kellvian, während er den Neuankömmling musterte. ,,Darf ich auch erfahren, wer ihr seid ?“ ,,OH natürlich. Wie unhöflich von mir.“

Der Mann lächelte, aber irgendetwas daran schien unecht. Zu viele Zähne überlegte Kell ohne zu wissen, was er damit meinte. Nur das es stimmte. ,,Ich bin Lord Andre de Immerson.“ Er streckte Kellvian eine Hand entgegen. Trotz seines offensichtlich fortgeschrittenen Alters war sein Rücken grade und als Kellvian zögerlich die eigene Hand ausstreckte, packte er überraschend fest zu. ,,Vielleicht erklärt ihr mir, wieso ein Sohn meines Hauses tot ist ?“ , fragte er düster, ,,Erschossen durch dieselbe Garde, in der er gedient hat.“ Kellvian wusste einen Moment nicht, was er erwidern sollte. ,,Das waren nicht

meine Befehle. So leid mir euer Verlust tut, der verantwortliche dafür ruht seit fast einem viertel Jahr in seinem Grab.“ Er musterte sein gegenüber unsicher. Die Herrscher Silberstedts gehörten zu einer großen Adelsfamilie, deren Macht vor allen mit Silber aus den Minen rund um die Stadt gespeist wurde. ,,Verlust…“ Der Lord schien einen Moment über das Wort nachzudenken, bevor er eine Geste machte, die Kellvian bedeutete ihm zu Folgen. Die übrigen Anwesenden wendete sich langsam wieder ihren eigenen Geschäften und Gesprächen zu, auch wenn er das Gefühl nicht los wurde, das man ihn nie ganz aus den Augen ließ. Mit einer Geste

bedeutete er den anderen zu bleiben wo sie waren. ,,Ich hoffe, das dauert nicht lange.“ , meinte er an Jiy gerichtet, die ihn besorgt ansah. Die Gejarn ,,Pass nur auf dich auf. Ich glaube allerdings, du hast eben einigen Leuten Angst gemacht. Was ist mit dir los?“ ,,Angst ? Ja ich glaube, das trifft es ganz gut. Angst ist gut. Es ist vielleicht die einzige Sprache, die sie verstehen…“ ,,Kellvian. Das ist doch nicht dein Ernst?“ ,,Nein. Natürlich nicht. Tut mir leid ich… ich glaube ich weiß in letzter Zeit selber nicht mehr, was ich denke.“ Er

fasste ihre Hand. Ein Anker. Und mehr brauchte er vielleicht nicht. ,,Es ist nur schwierig. Ich bin damals eigentlich vor genau so was weggelaufen. Und jetzt muss ich mich offenbar nicht nur mit diesem Lord Andre auseinandersetzen. Die Götter wissen, ich wäre übel gelaunt, wenn “ ,,Ich bin hier wenn du mich brauchst und… wenn du dir doch überlegen solltest, das ganze Kaiser-werden zu vergessen… ich bin mir sicher , es gibt genug ruhige Plätze in Canton zum verschwinden. Sie zwinkerte ,,Darauf komme ich zurück.“, meinte er und lächelte schwach, bevor er sich umdrehte um Andre zu suchen. ,,Glaub

mir.“ Vorausgesetzt die Versammlung riss ihn nicht in Stücke. Und Jiy konnte er auch nicht ewig Geheimhalten. Oder besser, das wollte er nicht. Und wie die Adeligen darauf wieder reagieren würden… Kellvian konnte es doch schon Dagian ansehen, auch wenn der General mit seiner Meinung selten hinter den Berg hielt. Er seufzte. War irgendetwas jemals einfach? Vielleicht nicht, aber manche Dinge… waren es sicher Wert dafür weiterzumachen. Jiy fühlte sich unter den ganzen Leuten nicht grade wohl, aber wenigstens ignorierten die meisten sie. Nur einige

sahen mit einer Mischung aus Abscheu, wenn nicht sogar Empörung zu ihr herüber. Vermutlich dachten die meisten, sie gehörte zu den Dienern, die zwischen den einzelnen Gruppen schwatzender Adeliger hin und her huschten, Essen brachten, leere Krüge austauschten und sofort wieder verschwanden. Die Gejarn hatte nicht vor, jemanden vom Gegenteil zu überzeugen. Lediglich Zyle fiel wie überall auf, schon allein weil er der einzige Bewaffnete im ganzen Saal war. Oder zumindest wohl der einzige, der offen ein Schwert trug. Aus Erfahrung wusste Jiy, das es ein recht sinnloses Unterfangen war, den Mann davon zu

überzeugen, das er keine Waffen brauchte. ,,Keine Sorge, er kann auf sich aufpassen.“ , meinte Zyle, während sie sich ziellos einen Weg durch die Menge suchten. Kellvian war seit einer halben Stunde verschwunden und auch wenn Jiy wusste, das sie sich wohl umsonst Sorgen machte, hielt sie die Augen offen. Wir können wirklich nirgendwo hin ohne Angst um den anderen haben zu müssen, dachte sie kurz betrübt. Aber das war wohl ein Preis den sie Zahlen mussten. ,,Ich weiß, Zyle. Und ich verflucht, ich sollte bloß nicht einfach hier herumstehen und warten, versteht ihr das? Ich komme mir einfach… nutzlos

vor.“ ,,Genau. Und weil ihr so nutzlos seid habt ihr euch auch eine Säbelklinge eingefangen, als ihr einen Krieg beendet habt.“ ,,Also gut. Nicht nutzlos aber… ich kann eben nur daneben stehen, zumindest hier.“ ,,Und das mögt ihr gar nicht.“ Jiy nickte. Aber das war noch nicht alles. ,,Ist euch aufgefallen, wie sie uns ansehen ?“ ,,Könnte an mir liegen, aber so sieht mich jeder an, wenn er mir das erste mal begegnet.“ , erwiderte der Gejarn grinsend. ,,Nein… Bei euch ist das Angst oder

Neugier. Das ? Das hier ist Verachtung Zyle. Es hat sich nicht viel geändert und von dieser Bande soll jetzt abhängen was aus Kellvian wird? Es ist schlicht unfair.“ ,,Keine Sorge, wir kommen hier alle wieder raus. So oder so.“ Er legte demonstrativ eine Hand auf den Schwertgriff. ,,Dafür Sorge ich notfalls… Es ist nicht so, dass irgendeiner eurer Kämpfer mich bisher sehr beeindruckt hätte.“ ,,Ich dachte Kellvian hätte euch einmal besiegt…“ ,,Kellvian hatte auch eine Feuerwaffe. Mal davon abgesehen das ich mich die ganze Zeit mit Zauberern und Magie

herumschlagen musste. Ich bin es nicht gewohnt, das jemand mit Blitzen nach mir wirft.“ Jiy blieb einen Moment stehen, als sie einen ruhigeren Teil des Saals passierten. ,,Ihr würdet das wirklich tun, oder ?“ ,,Aber verratet das keinem, sonst ist mein Ruf gleich ruiniert.“ Er seufzte. ,,Für mich hat sich auch so einiges verändert, schätze ich.“ Eine bekannte Stimme hinter Jiy durchbrach die grade einsetzende Stille. ,,Ich wusste ja, das ihr auch hier seid, trotzdem schön euch zu sehen.“ Jiy drehte sich um und sah in ein mit grauem Fell bedecktes Gesicht, in dem

ein paar bernsteinfarbener Augen schimmerte. ,,Fenisin. Ich… was macht ihr denn hier?“ Der Gejarn trug einen hellblauen Mantel, der ihn zumindest von der Kleidung her in der Menge verschwinden ließ. Trotzdem stach er mehr als deutlich hervor, als einer der wenigen Gejarn, die nicht bloß als Arbeiter hier waren. ,,Nun, nachdem die Clans rechtmäßig auch einen Vertreter für die Adelsversammlung Cantons entsenden dürfen habe ich mich freiwillig gemeldet. Und sei es auch nur, weil ich etwas wieder gut machen will.“ ,,Es wäre zumindest schön zu wissen, einen sicheren Verbündeten zu haben.“ ,

bemerkte Zyle. ,,Nur ob euch das viel nützt… Die meisten Leute hier sind nicht zu aufgeschlossen fürchte ich. Kellvian scheint allerdings doch zu Wissen was er tut, oder?“ ,,Das… hoffe ich.“ Antwortete Jiy unsicher. Fenisin nickte. ,,Und… ihr und der Mensch…“ Die Gejarn seufzte. ,,Geht euch das wirklich was an ?“ ,,Nein, aber es war auch nicht schwer zu erraten. Allerdings… Ich habe euch einmal losgeschickt um ihn zu töten… also…“ ,,Vergessen wir das einfach, ja

?“ ,,Ich bitte sogar darum.“

Kapitel 12 Ein ereignisreicher Abend


Cyrus musterte die kleine Gruppe bestehend aus Zyle, Jiy und der einzigen Gestalt, der im Augenblick seine Aufmerksamkeit galt. Fenisin. So viele Jahre. So viele Monate, Wochen in denen er mit sich gehadert hatte… Hatte er geglaubt, damit abgeschlossen zu haben? Vielleicht hatte er das auch, als man ihm die Nachricht gebracht hatte der alte Gejarn wäre Tod. Aber das stimmte nicht. Wenn er die Augen schloss, konnte er noch die Flammen sehen… Eine Hand die ihn packte und mit sich zerrte,

während sein Zuhause verbrannte … Während jemand die Körper seiner Familie anzündete und mit seiner Heimat zusammen in Asche verwandelte… Und nun war der Mann der für all das verantwortlich gewesen war in Reichweite. Keine zehn Schritte entfernt. Es wäre so einfach, überlegte er. Er müsste nur hingehen, nach der Waffe greifen… Fenisin war alt und kaum ein Gegner, wenn er überhaupt dazu kam sich zu wehren. Seine Hand schloss sich um den Axtgriff, den er unter seiner Kleidung verborgen trug. Ein schwarzer Mantel der einst zu einer Gardeuniform gehört

hatte. Aber Rache war nicht seine Art. Trotzdem stand dieser Mann dort einfach. Unbehelligt, am Leben… scheinbar freundlich… Als sich eine Hand auf seine Schulter legte zuckte Cyrus zusammen und konnte grade noch den Impuls unterdrücken, die Waffe zu ziehen. Als er sich umdrehte, fand er sich Eden fast genau gegenüber. Die Kapitänin sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, den er nicht ganz einordnen konnte. Eine Mischung aus Verärgerung und Neugier ? ,,Ihr steht jetzt schon den ganzen Abend hier und beobachtete diesen Kerl.“ , meinte sie und nickte in Richtung der

kleinen Gruppe um Fenisin. Der graue Wolf schien sah nach wie vor nicht einmal in ihre Richtung und Cyrus konnte nur dankbar für die Menge sein, die ihn zusätzlich vor den Blicken des Gejarn verbergen würde. Cyrus bezweifelte allerdings ohnehin, das Fenisin ihn überhaupt erkennen würde. Sie waren sich schon vorher ein paar Mal knapp über den Weg gelaufen. Nein, der Alte hatte keine Ahnung, wer er war, dafür war alles zu lange her. ,,Also, wer ist er?“ , wollte Eden wissen. ,,Ein Mörder, auch wenn er selbst nie eine Waffe in die Hand genommen hat.“ , erklärte er. ,,Ein

Totgeglaubter…“ ,,Ihr habt also noch eine Rechnung mit ihm offen…“ ,,Er hat meine gesamte Familie zum Tode verurteilt Eden. Und obwohl ich einmal dachte es hinter mir gelassen zu haben… Weiß ich zum ersten mal nicht einmal ansatzweise, was ich tun soll.“ ,,Also ich würde ihn töten… ganz ehrlich.“ ,,Und deshalb habe ich euch auch nicht gefragt.“ , erklärte Cyrus.,,Ich weiß wie ihr über eure eigenen Fehden denkt…“ ,,Ich meine nur…“ ,,Ich weiß was ihr gemeint habt, Eden. Ich schätze, damit muss ich alleine klar

kommen.“ ,,Tut mir leid, aber ich gehe meine Probleme etwas direk…“ Eden verstummte, als ihr Blick auf irgendjemanden im Raum viel. Cyrus suchte rasch die Menge ab, aber neben Feinsinn und den anderen entdeckte er nur Kellvian, der sich mit irgendjemand unterhielt den er nicht kannte. Ein älterer Mann, dem ein violetter Umhang über die Schultern fiel. ,,Was zur… wartete kurz hier Cyrus…“ Bevor er noch etwas erwidern konnte, war die Kapitänin auch schon in der Menge verschwunden und ließ ihn alleine mit seinen Gedanken

zurück. ,,Walter war ein Ausgestoßener, Kellvian. Besser für alle, das wir diesen Schandfleck aus unseren Reihen los sind.“ , meinte Andre de Immerson , während sie den hinteren Teil des Sals erreichten. Die Türen zur Veranda waren geöffnet, so das kalte Nachtluft nach drinnen strömte und Kellvian den Mantel um sich zog. . Die meisten Leute hielten sich allein deshalb in der Mitte der Halle auf und so bleiben sie hier wohl eher von Lauschenden Ohren verschont. Wenn man von Andres Schwarm aus Schreibern absah, die ihn stumm

begleiteten. Kellvian war verwirrt und runzelte die Stirn. Das war doch wohl nicht möglich… ,,In diesem Fall… frage ich mich, wieso ihr mir seinen Tod vorhaltet.“ ,,Halte ich euch den vor ? Nun es stellt sich wohl wirklich die Frage, ob ihr nicht wirklich dafür verantwortlich seid, nicht?“ Er blieb stehen, während Andre mit dem Rücken zu ihm stehen blieb. ,,Wollt ihr mir etwa drohen ?“ ,,Ihr habt wenige Anhänger Kellvian. Und nachdem Tyrus bereits einige Überzeugt hat, ihr hättet den Verstand verloren… Nun ir braucht Freunde.“ ,

meinte der Lord, bevor er sich wieder umdrehte. ,,Das ist alles, was ich damit sagen will. Ich habe einigen Einfluss. Ihr könntet meine Hilfe gebrauchen.“ ,,Und diese Hilfe hat einen Preis, schätze ich. Mal abgesehen davon, das ihr dann der einzige wärt, der mir garantieren kann, das die Adeligen sich nicht gegen mich auflehnen…“ Andre nickte. ,,Ihr seid am Ende vielleicht gar nicht so dumm, Kellvian. Aber klug genug , das richtige zu tun ?“ Es ist mir auch zu Ohren gekommen, das Walter Kontakt zu jemanden hatte, an dem ich… sehr interessiert bin.“ Kellvian seufzte. ,,Eden…“ ,,Ihr kennt sie also ? Und natürlich…

Zachary. Ja , ich weiß, das er noch lebt. Und es ist mein gutes Recht, das beide mir übergeben werden.“ ,,Verzeiht, aber ich glaube nicht, das ich das tun werde.“ Sogar ganz sicher nicht. ,,Ach ? Sie ist nur ein entlaufender Sklave und Zachary Teil meiner Familie. Der einzige Preis, den ich für meine Hilfe verlange. Was soll die Versammlung davon halten, wenn ihr euch jetzt anmaßt, über so etwas bestimmen zu wollen? Seht es ein, ihr Ihr könnt uns unseren Besitz nicht vorenthalten, Kellvian. So oder so.“ Kaum hatte sein Gegenüber den Satz beendet, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln

wahrnahm. ,,Ich bin nicht euer Besitz alter Mann.“ Eden war praktisch aus dem nichts aufgetaucht, ein Messer in der Hand. Kellvian war schnell, aber nicht schnell genug. Die Gejarn war vorgesprungen und zielte mit der Klinge auf Andres Hals. Viel zu spät für ihn um noch eingreifen zu können. Der Mann riss schützend eine Hand hoch und rettete sich so vermutlich das Leben. Trotzdem grub sich die Klinge in den Arm und hinterließ einen langen blutigen Schnitt. Bevor die Gejarn erneut zuschlagen konnte, streckte Kellvian die Hand vor. Ohne das er es bewusst wollte formierte

sich eine Welle aus verdichteter Luft, die die Gejarn zurückschleuderte. Das Messer wurde ihr aus der Hand geschleudert und blieb mehrere Schritte entfernt liegend. Spätestens jetzt hatten sie die Aufmerksamkeit des halben Saals auf sich gelenkt, aber niemand wagte es offenbar etwas zu sagen, während Andre, sich den verletzten Arm hielt und auf Eden zutrat, die sich grade erst wieder aufrappelte. ,,Ihr nutzloser Haufen Fell. Ich…“ Kellvian stellte sich dem Lord in den Weg und packte ihn bei den Schultern. ,,Ganz ruhig jetzt.“ Er warf rasch einen Blick über die Schulter, wo ihn Eden

lediglich wütend Anfunkelte. Sicher, er hatte ihr grade aus ihrer perspektive grade keinen gefallen getan, aber verflucht, was hätte er denn tun sollen? Andre de Immerson schien aber auch nicht unbedingt besser gelaunt. ,,Ihr bleibt wo ihr seid.“ , warnte er den Adeligen, der auch tatsächlich zurückwich. Die kurze Demonstration von Magie hatte ihm offenbar gereicht, auch wenn dieser Kerl es sich zur Aufgabe gemacht hatte ihn zu kontrollieren oder zu vernichten. Kellvian drehte sich rasch um und half Eden wieder auf die Beine. ,,Alles gut ? Entschuldigt, aber ihr könnt hier nicht einfach auftauchen und

versuchen Leute umzubringen.“ ,,Wirklich ? Ihr hättet mich ihn einfach töten lassen sollen, Kell.“ ,,Sicher nicht.“ , erwiderte er scharf. ,,Das ist nicht meine Art.“ ,,Ihr habt keine Ahnung was dieser Mann anrichten kann. Was dieser Bastard zu tun bereit ist… Keine !“ Ein bitterer Unterton schwang in der Stimme der Gejarn mit. ,,Seht ihr diese Kreaturen jetzt, als das was sie wirklich sind, Kellvian ?“ Andre hielt nach wie vor seinen verletzten Arm, einen Ausdruck blanker Wut auf dem Gesicht. ,,Hass und Neid auf uns, sonst haben sie nichts. Manche nenne mich Grausem, die Wahrheit ist

aber… ich schütze die Leute nur wenn ich diese Dinger in unseren Minen wegschließe.“ ,,Schützen…“ Kellvian drehte sich nicht zu dem Lord um. ,,Glaubt ihr das wirklich ? Oder habt ihr euch das selbst eingeredet über die Jahre?“ ,,Wie könnt ihr es…“ Andre machte einen Schritt nach vorn. ,,Ich wage es als euer Kaiser!“ , rief Kellvian, woraufhin der Herr von Silberstedt hastig wieder zurücktrat. Diesmal war es keine fremde, alles verzehrende Wut, die ihn befallen hatte. Dieses eine mal war es seine eigene. Ein Gefühl, das er nur selten gekannt hatte. Und dieser Zorn hatte ein klares

Ziel. ,,Hört mir zu Lord Andre de Immerson und hört mir gut zu, den ich werde dies nur ein einziges mal sagen. Weder lasse ich mich von euch in irgendeiner Weise bedrohen noch werde ich zulassen, dass ihr so sprecht. Was ihr von den Gejarn haltet steht euch frei, aber behaltet es für euch, verstehen wir uns ? Ohne Eden wäre ich nicht hier. Das gleiche gilt für viele andere Gejarn. Andere haben auch versucht mich zu töten .Sie sind nicht besser als wir, aber auch nicht schlechter. Aber ich zähle genug von ihnen zu meinen Freunden, dass ihr euch vielleicht einmal darüber Gedanken machen solltet, dass ich mehr

Verbündete habe als ihr glaubt. Des Weiteren spreche ich Eden hier für ihre Verdienste von jeglicher Schuld die sie gegen euch haben sollte frei. Wenn ihr damit ein Problem habt… wendet euch an die kaiserliche Garde. Aber seit vorsichtig, das ihr dabei nicht an einen Gejarn geratet.“ ,,Das ist nicht akzeptabel. Das ist… Darf er das ?“ , fragte Andre hastig an einen seiner Begleiter gewannt. Ein Mann in braunvioletter Kleidung blätterte hastig einen ganzen Stapel Dokumente durch. ,,Ja Herr, ich fürchte, als momentaner Thronerbe darf er

das.“ ,,Dann wäre das ja geklärt.“ , erwiderte Kellvian nun wieder ruhig. Seine Lehren über Diplomatie einmal über Bord zu werfen hatte gut getan. Und der nach wie vor entsetzte Ausdruck auf dem Gesicht des Lords… das war es wert gewesen entschied er. ,,Und eines noch. Zachary kann selber entscheiden wo er bleiben möchte, so sehe ich das. Dies ist natürlich nur ein Rat, aber der eures Kaisers. Stellt euch nicht dagegen und seit klug, denn tatsächlich liegt mir sehr nahe, die gesamten Rechte zur Sklaverei noch einmal zu überdenken. Noch bin ich in der Lage dazu.“ ,,Fragt sich nur wie Lange noch.“ ,

knurrte Andre, während Kellvian sich umdrehte und Eden bedeutete ihm zu Folgen. ,,Ihr habt euch grade einen sehr gefährlichen Feind gemacht, Kellvian.“ , meinte die Kapitänin, nickte jedoch anerkennend. Kell seufzte. ,,Glaubt ihr, das weiß ich nicht ?“ ,,Warum habt ihr das dann getan ? Ich… Verflucht war ich dämlich. Ihr habt mich da grade wirklich gerettet, so ungern ich das zugebe.“ ,,Gerne geschehen.“ ,, Ich würde allerdings sagen, eure Chance diese Versammlung zu überstehen sind grade nicht wirklich

größer geworden.“ ,,Nein, aber das ist mir egal. Entweder ich werde Kaiser auf meine Art oder ich will den Titel nicht. Ich werde nicht zulassen, dass das verändert wer ich bin, Eden. Solltet ihr auch einmal versuchen.“ ,, Wie meint ihr das…“ ,, Ich meine, ihr solltet vielleicht endlich versuchen eure Vergangenheit hinter euch zu lassen. Dabei fällt mir ein, ich sollte mal nach Jiy sehen.“ Er nickte ihr kurz zu, bevor er im Gedränge verschwand und dabei einem Diener eine Platte mit Essen aus der Hand nahm. Selbst der kleine Zauber mit dem er Eden daran gehindert hatte, Andre zu

töten machte sich als ein Mantel aus Kälte und einem nagenden Hungergefühl bemerkbar. Wenigstens hatte ihn das diesmal keine grauen Haare gekostet, überlegte er. Wann hatte er überhaupt das letzte Mal etwas gegessen? Es musste eine Weile her sein. Rasch suchte er die umstehenden Gesichter nach der Gejarn ab, fand sie aber nicht. Nun irgendwo musste Jiy ja sein…

Kapitel 13 Späte Reue


Cyrus bekam von dem Tumult der sich auf der anderen Seite der Halle abspielte kaum etwas mit. Stattdessen drängte er sich an einigen Adeligen vorbei, die dem schwarzen Wolf nur all zu gerne auswichen, während er sich einen Weg zu der kleinen Gruppe um Fenisin suchte. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Mit wenigen Schritten war er auch schon da. Jeder einzelne davon kam ihm viel zu laut vor, obwohl der ganze Saal von Gemurmel und Gesprächsfetzen erfüllt war. Als müsste ihn eigentlich jeder

bemerken… seine Gedanken erraten. Er tastete nach dem Axtgriff unter seiner Kleidung. Das Gewicht der Waffe war beruhigend und half ihm sich wieder zu konzentrieren. Er musste das hier tun, oder er hätte nie Frieden, dachte Cyrus. Er würde nicht Enden wie Eden, die ewig ihrer Vergangenheit hinterherjagte und gleichzeitig davor weglief. Ihr unerfüllter Wunsch nach Rache hatte diese Frau zerstört und er würde nicht denselben Pfad gehen. Und ab hier gab es ohnehin kein zurück mehr . Er wusste, was er zu tun hatte. ,, Stimmt etwas nicht ?“ , fragte Zyle, als er ihn bemerkte und auch die anderen sich zu dem Neuankömmling

umdrehten. ,,Alles in bester Ordnung.“ , antwortete er lediglich und versuchte dabei ruhig zu klingen. Fenisin… Er war keinen ganzen Schritt mehr von dem anderen Gejarn entfernt, der ihn aus wachen gelben Augen musterte. Etwas wie ein entferntes Wiedererkennen flackerte darin auf. Oder zumindest hielt Cyrus es dafür… ,,Und wer seit ihr , wenn ich fragen darf ?“ Er hat wirklich keine Ahnung, , überlegte der Gejarn. Keine. Das Flackern war wohl nur ein Trick seines eigenen Verstandes gewesen. Cyrus stellte sicher, dass er bereit wäre, die Waffe zu ziehen, wenn es nötig war.

Wenn er weglief war Fenisin Tod, das hatte er sich geschworen. ,,Mein Name ist Cyrus. Und wir kennen uns. Vielleicht erinnert ihr euch… ,,Cyrus…“ Es klang mehr wie eine Frage. Ein Moment der Unsicherheit. ,, Cyrus. Nein ich kenne…“ Fenisin erstarrte. ,, Geister. Nein, das kann nicht sein… Das… So viele Jahre ?“ ,,Cyrus, Sohn von Elhan und Imna. Beide Verraten durch eure Hand. Gestorben durch die der kaiserlichen Söldnergarde. Oh, ihr erinnert euch. Ich will hoffen, das ihr euch erinnert.“ Stille hatte sich über die kleine Gruppe gesenkt. Fenisin schien unfähig zu antworten, während Cyrus keine

Anstalten machte, noch irgendetwas hinzuzufügen. Es lag an ihm, ob er Leben oder sterben würde. Nur an ihm… Der alte Gejarn konnte nirgendwo hin, nicht? Und selbst wenn, wo sollte er sich verstecken? Das Jiy und Zyle ihm vielleicht im Weg standen war nebensächlich. Doch dann tat Fenisin das einzige, mit dem er nicht gerechnet hatte. Der Alte sank auf die Knie. ,,Ich habe gewusst, das das passieren musste. Ich wusste nur nicht wann.“ ,flüsterte er, die Augen zu Boden gesenkt. ,,Irgendwann holt uns alle die Vergangenheit ein.“ Cyrus machte weder Anstalten, etwas zu

sagen, noch ihn zu unterbrechen. Glaubte er, das ändere etwas? Er hatte die Wahl gehabt verdammt, er hätte sich damals schon anders entscheiden können… ,, Ich war ein Narr aber das ist keine Entschuldigung. Ich… Ich kann euch nur um Verzeihung bitten. Aber ich kann nicht erwarten, dass ihr sie mir auch gewährt. Dazu weiß ich zu gut, was ich getan habe.“ Cyrus sah auf Fenisin herab. Der Mann der seine Familie ausgelöscht hatte verdiente den Tod. Egal, was er sich selbst eingeredet hatte. Vielleicht … existierte der Mann von damals längst nicht mehr. Der Fenisin der dort am Boden kniete

war kein verbohrter Ältester mehr, der Tradition über Menschenleben setzte. ,,Steht auf.“ , wies Cyrus ihn an. ,, W… Was ?“ Er streckte dem Alten Gejarn eine Hand hin um ihm aufzuhelfen. ,,Ich habe der Rache vor langer Zeit abgeschworen. Also steht gefälligst auf, bevor ich es mir doch noch anders überlege.“ Zögerlich lies Fenisin sich zurück auf die Füße ziehen. ,,Ich hatte von euch keine Gnade erwartet.“ ,, Ich auch nicht. Aber wer immer ihr seid Fenisin… Der Mann den ich töten wollte ist offenbar schon gestorben. Einer, der seine Fehler nicht sieht und noch mehr… sich nicht einmal dafür

schuldig fühlt.“ ,,Wie habt ihr überlebt ?“ ,, Das ist eine lange Geschichte.“ Cyrus schüttelte den Kopf. ,, Ich würde sie gerne hören… wenn… wenn das keine Umstände macht ? Das ihr lebt… es macht mir Hoffnung, das nicht alle die durch meine Hand zum Tod verurteilt wurden auch dieses Schicksal erlitten.“ ,, Wenn ihr sie euch wirklich anhören wollt…“ Der Gejarn bedeutete dem anderen ihm zu Folgen. Zyle kratzte sich verwirrt am Kopf. ,,Könnte mir irgendjemand erklären, was da grade passiert ist ?“ ,, Ich glaube schon.“ , meinte Jiy. Auch

wenn sie stellenweise raten musste. ,, Wisst ihr, Fenisin ist von seinem Clan ausgestoßen worden, nachdem seine… Methoden ihnen wohl zu extrem wurden. Viele sind gestorben, nur weil sie ihm ein Dorn im Auge waren. Wer weiß, wie viele Leben er zerstört hat…“ ,, Wirklich ? Ich muss zugeben wie ein Wahnsinniger Massenmörder hat er nicht auf mich gewirkt.“ Jiy lachte. ,,Er spricht auch nicht wirklich oft darüber, glaubt mir. Zeit kann jemanden wirklich verändern. Ich habe ihn schon so kennengelernt wie er jetzt ist. Ruhig, eigentlich immer die Stimme der Vernunft im Rat der Clans… Damals aber muss er jemand völlig

anderes gewesen sein. Und was auch immer ihn so verändert hat… ich glaube es war wohl zum Besten aller.“ ,, Ich schätze ich verstehe was ihr meint.“Zyle wusste selbst, das er nicht mehr ganz der war, der einst aus Helike aufgebrochen war. ,,Und es braucht wohl nicht einmal viel Zeit.“ ,, Mir war nur nicht klar, das Cyrus einer derjenigen ist, die unter ihm zu Leiden hatten.“ ,,Mich überrascht ja langsam gar nichts mehr. “ ,, Nein?“ ,,Nein. Ich habe so ziemlich alles gesehen glaube ich. Einen Mann der scheinbar von den Toten zurückkehrt,

Zauberer , die mir das Fell über die Ohren ziehen wolle und zwar sprichwörtlich, Geister, Drachen, Dämonen , eine Stadt die in den Wolken schwebt und dann aus dem Himmel stürzt , Menschen und Gejarn die zusammenarbeiten. Menschen und Gejarn, die sich gegenseitig umbringen… und nicht zu vergessen euch und Kellvian , ihr beide seid praktisch ein ständiger Grund für Überraschungen . Mal abgesehen davon, das jedes mal das ich fast draufgegangen wäre, einer von euch daran Schuld war.“ Er grinste. ,,Meistens allerdings Kellvian. Wobei mir einfällt… wo steckt der eigentlich?“ Der Mensch war jetzt schon länger weg,

als einer von ihnen vermutet hatte und auch wenn Kellvian sicher auf sich aufpassen konnte… der Mann zog Schwierigkeiten an wie andere Leute Mücken im Hochsommer, dachte Zyle. Jiy teilte diese bedenken offenbar. ,, Ich suche nach ihm. Wenn ihr ein Auge auf Fenisin haben könntet?“ ,, Habt ihr Angst, Cyrus überlegt es sich anders ?“ ,, Eigentlich… nicht.“ , meinte sie, klang jedoch trotzdem besorgt. ,, Ich kenne ihn aber nicht so gut wie Eden. Also…“ ,, Schon verstanden. Keine Sorge, dem Ältesten passiert nichts.“ ,,Danke Zyle.“ Die Gejarn

verabschiedete sich mit einer kurzen Umarmung, die der sonst eher distanzierte Krieger über sich ergehen ließ. In einer anderen Welt vielleicht und wenn alles anders gelaufen wäre… Zyle schüttelte den Gedanken ab, der sofort wieder verschwand. ,, Jetzt sucht schon Kellvian, los.“ Zyle hatte etwas beinahe genau so wertvolles. Er hatte Freunde gefunden, wo er nie welche vermutet hätte. Und es würde ihm schon schwer genug fallen, diese zurück zu lassen. Er konnte Kellvian und Jiy nur das beste Wünschen. Morgen würde alles entschieden werden. Kellvian

wäre mit dem Tablett fast in jemanden hereingerannt, der sich ihm mitten in den Weg stellte. Er kam nur noch dazu kurz ,,Vorsicht.“ Zu rufen, als es zum Ausweichen auch schon zu spät war. Kell sah nur kurz einen grauen Pelzmantel, während der Fremde beiseite sprang und ihn gleichzeitig am Arm packte, damit er das Gleichgewicht nicht verlor. ,,Danke, Herr…“ Kellvian brachte den Satz nicht zu Ende, als er aufsah und erkannte, wer ihm gegenüberstand. Der Mann hatte angegraute schwarze Haare, die ihm lose ins Gesicht fielen und ihn Älter wirken ließen. Zwei völlig weiße

Augen starrten darunter hervor und über die Schulter des Mannes blickten Kellvian zwei gelbe Adleraugen an. Der Vogel saß ganz ruhig auf der Schulter seines Gegenübers und hätte fast ausgestopft sein können, wenn er nicht ab und an den Kopf gedreht hätte. Der blaue Mantel des Fremden zeichnete sich unter dem grauen Mantel ab, den er als Schutz vor der Kälte trug und mit einer Hand, an der ein Ring mit einem darin eingelassenen Saphir glitzerte stützte er sich auf einen Stab dessen Knauf aus Bernstein gefertigt zu sein schien. ,,Melchior… Was macht ihr denn hier?“ ,,Kellvian ? Ich bin als Vertreter der

Eisnomaden für die Versammlung hier. Nachdem uns die Nachricht erreicht hat, das wir einen Vertreter schicken müssen habe ich mich natürlich freiwillig gemeldet.“ ,,Trotz euer… Augen ?“ ,,Das ich blind bin Kellvian hat weniger mit meiner Sehkraft zu tun. Euer Kampf in der fliegenden Stadt war zu wichtig um Unbeobachtet zu bleiben. Aber was immer der Meister getan hat, als der Palast aus dem Himmel stürzte, es hat mein inneres Auge gelbendet. Im Augenblick bin ich ein normaler Sterblicher, Kellvian. Und ich weiß nicht, ob sich das noch einmal ändert…“ ,, Das tut mir leid. Ihr habt uns so

schnell verlassen, das ich nicht wirklich Zeit hatte zu fragen, wie es euch nach all dem geht…“ ,,Es wird langsam. Ich bin nur blind. Nicht taub oder lahm.“ , antwortete der Seher und bedeutete Kellvian ihm ein Stück zu begleiten. Trotz seiner leeren Augen bewegte er sich derart sicher zwischen den übrigen Gästen, dass er sich fragte, ob Melchior wirklich die Wahrheit über sein Augenlicht erzählte. Oder über seine Gabe in die Zukunft zu blicken, was das anging. ,,Es ist auf jeden Fall schön euch hier zu Wissen.“ , einte Kellvian. ,, Wir haben noch einiges an Schwierigkeiten vor uns, bevor diese Versammlung

überstanden ist.“ ,,Und nicht nur diese Versammlung, Kellvian. Ich höre von euch, wisst ihr… Ihr bewegt euch auf einem sehr schmalen Grat zwischen Licht und Finsternis. Nur sehr wenige können so einen weg lange gehen. Ihr braucht nur einmal zu stolpern und…“ ,,Also wisst ihr doch etwas.“ ,,Ich weiß, was man mir erzählt Kellvian. Sagt mir wie geht es euch wirklich?“ ,,Ehrlich gesagt… ich weiß es nicht. Der Meister hat einmal gesagt, ich wüsste überhaupt nicht, was aus mir werden könnte. Ich glaube zumindest jetzt verstehe ich es. Ich verändere mich und

egal wie sehr ich aufpasse, egal wie sehr ich dagegen ankämpfe, ich kann so nicht ewig weitermachen, Melchior. Wie lange bis mein Verstand einfach zerfasert ? Bis ich zu irgendetwas anderem werde?“ Etwas, das er nicht sein wollte, unter keinen Umständen. ,,Ich weiß es nicht Kellvian. Ich wünschte, ich wüsste es. Vielleicht nie, wenn ihr vorsichtig seid. Vielleicht in einer Woche, egal was ihr tut. Was ihr seid… das Phänomen das ihr verkörpert…“ ,,Ein Seelenträger. Ich weiß was ich bin. Und wenn schon nicht ihr, irgendjemand muss mir doch weiterhelfen können, oder?

“ Der Seher schüttelte den Kopf. ,, Der Orden untersucht Seelenträger seit seiner Gründung, trotzdem bezweifle ich, das sie euch weiterhelfen können. Oder irgendein normaler Zauberer, was das angeht. Wir reden hier immerhin von der höchsten Magie des alten Volkes. Etwas, über das selbst nur die mächtigsten ihrer eigenen Zauberer verfügten…“ Das war… ernüchternd, dachte Kellvian. Wenn nicht einmal der Sanguis-Orden ihm helfen könnte… an wen sollte er sich dann noch wenden? ,, Aber es muss eine Möglichkeit geben es loszuwerden. Oder zumindest sicher zu beherrschen.“ ,, Natürlich Kellvian, oder habt ihr gar

nichts gelernt ?“ , fragte Melchior beinahe spöttisch. ,, Es gibt für alles eine Antwort. Nur… ich fürchte ihr werdet dieses Mal alleine ach einer Lösung suchen müssen, mein Freund. Beim letzten Mal habe ich euch mehr als einen Schubs in die Richtige Richtung gegeben, aber das hier übersteigt mein Wissen und das aller Magier, die mir einfallen wollen. Ich wünschte, es wäre anders… “ ,,Das heißt wenn es eine Antwort gibt… finde ich die beim alten Volk ?“ ,, Aber das alte Volk ist Tod. Und alles, was wir haben sind ein Handvoll zertrümmerte Steintafeln, die unsere Gelehrten seit Ewigkeiten

studieren.“ ,,Das ist egal. Ich weiß wo ich suchen muss, Melchior. Das zählt. Das heißt, wenn ich die nächsten Tage überlebe. Ich schätze, ich sehe euch morgen in der Versammlung?“ ,,Deshalb bin ich hier. Keine Sorge, ihr findet, was ihr braucht..“ ,, Jetzt sagt bloß, ihr habt eure Vision wiedergefunden ?“ ,, Nein, aber ihr habt ein Talent dafür. Auch wenn man euch manchmal erst mit der Nase darauf stoßen muss.“

Kapitel 14 Nebenwetten


Jiy trat auf den Balkon der Villa hinaus. Kalte Nachtluft schlug ihr entgegen und sorgte sofort dafür, dass ihr Atem als kleine Dampfwolke sichtbar wurde. Niemand wagte sich sonst hierher was ihr ermöglichte, den überfüllten Hallen kurz zu entkommen und das ständige Stimmengewirr der Versammlung hinter sich zu lassen. Kellvian oder überhaupt irgendjemanden da drinnen zu finden war ein Ding der Unmöglichkeit, dachte sie. Nur noch einzelne Wortfetzten drangen durch die geöffneten Türen hinaus,

ansonsten aber war es fast gespenstisch ruhig. Die Gejarn konnte nur schätzen, wie spät es war. Unten in den Gärten um die Villa leuchtete eine Unzahl von Laternen und dahinter schimmerten die Straßen und Gebäude Varas in der Dunkelheit. Kein einziger Stern und nicht einmal der Mond zeigten sich am Himmel. Nur ein durch nichts unterbrochener, schwarzer Samtteppich. Jiy lehnte sich an das niedrige Holzgeländer, welches die Plattform umlief. Das war schon ein seltsamer Abend gewesen, dachte sie. Erst Fenisin und Cyrus und dann hatte es wohl noch einen Zusammenstoß zwischen Lord Immerson und Eden gegeben, wenn sie

das Gemurmel der Adeligen richtig verstanden hatte. Jiy konnte nur hoffen, das niemanden etwas passiert war. Alles schien mittlerweile zunehmend schneller zu passieren. Noch vor wenigen Wochen hatte alles so weit weg gewirkt. Die Versammlung genau so wie die Clans und jetzt waren sie mitten drin. Und wenn sie einen Fehler machten… wie viele konnten dadurch verletzt werden… Jiy seufzte. Als ob du das nicht alles gewusst hättest, sagte sie sich und lehnte sich an das Geländer der Terrasse. Unter ihr glitzerten die vereinzelten Lichter in den Straßen Varas als wollten sie die fehlenden Sterne am Himmel ersetzen. Eine Weile stand die Gejarn so da und

betrachtete den langsam zu Ruhe kommenden Ort. Vor einem halben Jahr war sie aus der Stadt geflohen, it dem Gefühl betrogen worden zu sein. Und nun kehrte sie zurück mit dem Gefühl der Angst, an dem aller Zuspruch Kellvians nichts ändern konnte. Wer waren diese Leute da drinnen den, das sie meinten über ihr beider Leben so leichtfertig urteilen zu können? Mit einem Wort könnten sie alles zerstören. Jiy drehte sich um, als sie Schritte auf dem Holzparkett hinter sich hörte. Kellvian duckte sich, ein Silbertablett in der Hand unter dem schweren Wandteppich hindurch, der mittlerweile die Tür zum Außenbereich verhängte.

Ein schwaches Lächeln huschte über die Züge des Mannes ,,Ich hab was zu essen besorgt. Hungrig ?“ ,, Und wie.“ , erklärte sie, konnte aber die besorgten Gedanken nach wie vor nicht abschütteln. ,, Ich habe gehört, was passiert ist…“ Kell nickte. ,, Ich glaube, das hat mittlerweile jeder. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Mit Andre werde ich fertig.“ Jiy war klar, dass er sie nur beruhigen wollte. Und auch, das es nicht funktionierte. Er stellte das Tablett auf dem Boden ab und sie ließen sich auf den Holzdielen nieder. Die Kälte störte

keinen von ihnen. Es war nach wie vor besser, als sich weiter mit dem Adel Cantons herum zu schlagen. ,, Es ist…schön hier.“ , meinte Kellvian und ließ den Blick einen Moment über die Stadt schweifen. Mit einer Hand Schnitt er Käse und Brot in Streifen. ,, Vor allen Dingen Ruhig.“ ,erwiderte die Gejarn. ,, Das war ein seltsamer Abend oder ? Kell lachte, aber es klang betrübt. ,, Und ob. Ich habe mir einen der mächtigsten Fürsten Cantons zum Feind gemacht. Und du ?“ Jiy schüttelte den Kopf. ,,Man kann dich ja auch keine Sekunde aus den Augen lassen, Kellvian Belfare.“ , erwiderte

sie, ebenfalls lachend. Jiy griff nach einem Käsestück auf dem Tablett und besah es einen Moment skeptisch. ,, Die Gejarn kennen Käse oder ?“ ,, Natürlich, aber normalerweise stellen die Clans das nur her, wenn nicht mehr genug Tiere zum schlachten verbleiben. Die meisten mögen es nicht aber…“ Jiy nahm einen bissen. ,, Schmeckt gar nicht so übel.“ ,, Ich werde einen zweiten Koch einstellen müssen, wenn ich auf dem Thron lande.“ , bemerkte er scherzhaft. ,,Und wenn das unser geringstes Problem wäre, Kell… Könnte ich nicht glücklicher sein.“ ,,Ich bin offenbar ganz gut darin mir

feinde zu machen,“ , fuhr er fort. ,, Ich wünschte nur, ich wäre halb so gut darin, auch Verbündete zu finden. Bisher habe ich deinen alten Freund Fenisin… und Melchior sicher auf meiner Seite.“ ,,Moment… „ Jiy sah auf. ,,Melchior ist hier?“ ,, Ich habe ihn vor ein paar Minuten getroffen. Keine Ahnung was er hier sucht, er verrät ja nie was, bis es ohnehin zu spät ist. Und ob ich ihm glaube, dass er tatsächlich seine Vision verloren hat… Dieser Mann spielt immer sein ganz eigenes Spiel und ich habe Angst davor, was es diesmal sein könnte.“ ,,Er ist ein Freund, oder

?“ ,,Verdammt Jiy ich weiß es nicht.“ , erklärte er heftiger als gewollt. ,, Ich habe keine Ahnung, wem ich trauen kann. Nicht die geringste… Und wenn ich nur einen Fehler mache…“ Kellvian war aufgestanden und hatte beide Hände auf das Geländer des Balkons gestützt. ,,Ich kenne dich so gar nicht Kell.“ Jiy trat vorsichtig zu ihm und legte eine Hand auf seine. ,, Was ist los ? Ich habe selbst Angst vor Morgen, aber… das ist nicht alles oder?“ Kell seufzte. Er konnte nichts vor ihr verbergen, oder? Den anderen mochte es nach wie vor nicht auffallen, aber Jiy

bemerkte die schleichende Veränderung. Vor allen anderen war es die Gejarn, die gar nicht übersehen konnte, was in ihm vorging. ,,Ich… Ich bin ein Leben auf das hier vorbereitet worden Jiy.“ Kellvian wollte sie nicht noch weiter beunruhigen. ,, Offenbar ist ein Teil von Tyrus Ausbildung hängen geblieben. Das ist alles.“ Die Gejarn verschränkte lediglich die Hände vor der Brust. Ihre Blicke trafen sich einen Moment. Er seufzte. ,,Ich kann dich nicht anlügen, wie ?“ ,,Nicht so plump zumindest.“ , erwiderte sie mit einem schwachen

Grinsen. ,,Ich bin auf einem Weg, den ich nicht gehen will. Und doch bleibt mir nur weiter, einen Fuß vor den anderen zu setzen oder alles zu verlieren. Und das kann ich nicht. Nicht mehr.“ Es war zumindest ein Teil der Wahrheit, einer den sie bereits kannte. Aber er fürchtete sich zu sehr, vor der ganzen Bedeutung. Was das alles aus ihm machen könnte. Dagian Einher suchte sich übel gelaunt einen Weg zwischen den schwatzenden Gästen hindurch. Der Abend war alles andere als gut verlaufen dachte er. Was Kellvian anging, machte er sich längst keine Hoffnungen mehr. Es war vorbei.

Selbst wenn ein Wunder geschah, das dem Mann zum Kaiser machen würde… Und er konnte nur dabei stehen. Konstantin war auf seine alten Tage genau so von der Bahn abgewichen, wie sein Sohn schon jetzt. Er schuldete es Canton, das er so jemanden nicht dulden durfte. Und doch waren ihm für den Augenblick die Hände gebunden. ,,Ein offener Kampf, Tamyra, glaubt ihr wirklich, das wird ihm irgendjemand hier verzeihen ?“ , wollte er von seiner Adjutantin wissen, die ihm in einigem Abstand folgte. Wie hatte sie schon gesagt. Es gab niemanden außer Kellvian. Und was folgen mochte, wenn der Mann den Thron für sich

beanspruchte war noch nicht abzusehen. ,, Dafür war ja wohl nicht Kellvian verantwortlich.“ , erklärte die rothaarige Frau entschieden. Sie hatte offenbar getan um was er sie Gebeten hatte. Den Streit am Morgen vergessen. ,,Nein, aber wir haben ein dutzend Beschwerden bei der Garde bekommen, das man einen bewaffneten Gejarn hier rein lässt. Als Kell Gast. Hätte diese Eden Erfolg gehabt, hätte das wie ein geplanter Anschlag ausgesehen. Allerdings hätte ihm das wenigstens etwas Respekt verschafft.“ Jemand drängte sich durch die Reihen der bunt gekleideten Gestalten bis zu ihnen durch. Dagian erkannte einen

grauhaarigen Mann, der einen violetten Umhang trug. Im folgten im Abstand einige Diener, die sich durch ihre dunklere Kleidung etwas von der Masse abhoben. ,,Lord Andre de Immerson, oder ?“ , wollte Dagian wissen und hoffte, das der Mann sich nicht persönlich bei ihm Beschwerde einlegen wollte. Immerhin war er beinahe Ziel eines Attentats geworden. Er war es müde, sich mit Politikern herumzuschlagen. ,,Bitte sagt mir das wir uns nur Zufällig über den Weg laufen.“ ,,Ihr habt also schon davon gehört“, stellte der Adelige aus Silberstedt scheinbar zufrieden

fest. ,,Gehört trifft es ganz gut, Ihr müsst das alles Entschuldigen Herr. Kellvian weiß ab und an nicht, was er tut, fürchte ich. Und zunehmend häufiger.“ ,, Das habe ich bemerkt. Ich bin ehrlich gesagt kurz davor, abzureisen, nachdem euer Herr meint, mir vorenthalten zu müssen, was rechtmäßig mein Besitz wäre. Macht diesen Narren ruhig zu eurem Kaiser. Aber erwartet nicht, das ich dabei ruhig zusehe.“ Dagian seufzte. ,,Da seit ihr nicht der einzige, wie mir scheint. Ich glaube nicht, dass er eine große Chance hat. Und noch mehr, das das zu unser aller besten ist.“ Er nickte Tamyra zu, sie

alleine zu lassen und Lord Andre folgte dem Beispiel des Hochgenerals und entließ seine Diener. ,, Ich kann euch sicher etwas zu trinken anbieten, General ?“ , wollte der Mann wissen, während er einem seiner Bediensteten zunickte, der rasch verschwand. ,, Branntwein. Die Götter wissen, den habe ich nach heute nötig.“ Wenige Augenblicke später kehrte der Diener auch schon mit einem Tablett zurück, auf dem mehrere Gläser und eine Flasche standen. Andre nahm das Gefäß entgegen und füllte zwei der Kelche bis zum Rand. Ohne etwas zu verschütten hielt er Dagian eines der versilberten

Gläser hin, und nahm selber das zweite an sich. Der Hochgeneral besah sich den tief Bernsteinfarbenen Inhalt einen Moment, bevor er den Kelch in einem Zug leerte und zurück auf das Tablett des Dieners stellte. Andre winkte ihm zu, ihm zu folgen. Das eigene Glas hielt der Adelige, nach wie vor kaum angerührt, in der Hand. ,,Ihr müsst verzeihen, das ich vorsichtig bin.“ , meinte der Lord, als sie einen Winkel des Saals erreichten. Hier waren weniger Gäste und es wäre wohl schwerer ihr Gespräch zu belauschen. Aber wer sollte sie schon belauschen? Und selbst wenn, es gab nichts zu

besprechen, das Gefährlich wäre. Zumindest im Moment noch nicht. ,,Vorsichtig ?“ , wollte Dagian wissen. Die Worte machten ihn schließlich doch unruhig. Durch ein Fenster konnte er hinaus auf die Gärten um die Villa blickten. Die meisten Lichter draußen waren mittlerweile gelöscht worden. Auch wenn der Abend noch nicht zu Ende war, die Stadt schlief jetzt. ,, Kellvian hat nicht viele Freunde, aber es gäbe wohl wenige, die sich… direkter gegen ihn stellen würden.“ ,, Ihr redet von Verrat.“ , zischte Dagian und verfluchte sich, das er keine Waffe trug. ,, Wollt ihr, das ich euch gleich hier an die Wachen ausliefere

?“ Lord Andre jedoch blieb überraschend ruhig. ,, Eine Leere Drohung, General. Hören wir beide mit dem Spiel auf. Wir beide wollen nicht, das Kellvian die Krone Cantons für sich beansprucht. Wir haben aber sehr wenig Zeit das zu verhindern. Bis Morgen, wenn wir Glück haben.“ ,, Er hat kaum Anhänger. Ich glaube nicht, dass wir uns deswegen Sorgen machen müssen. Kellvian Belfare hat keine Chance zum Kaiser ernannt zu werden.“ ,,Und da seit ihr euch ganz sicher ?“ Andres Augen funkelten einen Moment, während er seinen eigenen Kelch leerte

und die beiden Gefäße wieder auffüllte und verteilte. ,,Ganz sicher.“ , erklärte der Hochgeneral überzeugt. ,, Und zumindest für den Moment werde ich auch nicht zulassen, das ihr etwas gegen ihn unternehmt. Kellvian wird sich von alleine erledigen. Wir brauchen nur Warten.“ ,,Und dann ?“ , fragte Andre ,,Was dann ?“ Dagian zuckte mit den Schultern. Andre de Immerson grinste düster ,,Nun , irgendjemand wird Kaiser werden müssen, nicht? Wird Kellvian nicht gewählt, habe ich mehr als nur ein paar Unterstützer in der Versammlung. Es

wäre gut zu wissen, dass wir dann auf der gleichen Seite stehen… Hochgeneral. Das wäre ratsam…“ ,,Und warum sollte ich grade euch unterstützen ?“ Andre erwiderte nichts, sondern nahm einen langsamen Schluck von seinem Branntwein. ,, Nun ich kann euch versichern, das ihr euren Posten behalten dürft. Und seien wir ehrlich… wenn ihr und damit das Militär, nicht auf meiner Seite steht und ich gewählt würde, wäre das der Auslöser für einen Bürgerkrieg. Das will doch keiner von uns. Also was meint ihr? Können wir uns aufeinander verlassen?“ Der Mann streckte ihm die

Hand hin. Dagian Einher zögerte einen Moment. Das wäre der letzte Schritt, sich endgültig gegen das Haus zu stellen, dem er einmal die Treue geschworen hatte. Aber er hatte ihnen nicht die Treue geschworen um dieses Reich in den Untergang zu führen. Die Entscheidung war schon gefallen, als er Konstantin erschossen hatte. Er ergriff die Hand seines Gegenübers.

Kapitel 15 Gewisshei


Die Versammlung traf sich in einem der großen Säle der Universität Varas. Auf einem der größten Hügel der Stadt gelegen, überragten die steinernen Bauten jeden anderen Punkt der Stadt. Die Treppen, die von den Straßen aus, hinauf zu den Hallen führten, verschwanden normalerweise unter den Massen von Besuchern, heute jedoch waren die Stufen verwaist. Nur einige Gardisten sicherten den Weg hinauf zur Halle. Einige weitere Soldaten hatten auf dem Platz vor dem Aufgang Aufstellung genommen und würden dafür

Sorgen, das auch sicher niemand die Versammlung störte. Zumindest nicht, bis eine Entscheidung gefallen wäre. Nur einige Vertreter der Oberschicht hatten sich als Besucher eingefunden und warteten selber irgendwo in den weitläufigen Räumlichkeiten der Universität. Über die mit Ziegelsteinen gepflasterte Freifläche erhob sich eine Statue von Simon Belfare, die mit versteinertem Blick über die Straßen Varas hinweg sah. Direkt im ihrem Rücken führte die bewachte Treppe hinauf zum Eingangsbereich der Universität. Ein künstlicher Wasserlauf durchschnitt den

kleinen Platz vor den geöffneten Toren der Hallen und lief in einem flachen Teich ab. Die Mittagssonne spiegelte sich in einer Unzahl Fenster und ließ die blau gestrichenen Fassaden leuchten. Und einige Strahlen fanden ihren Weg auch durch die Türen und erhellten ein Mosaik, das in dem Boden des Eingangs eingelassen war. In der Mitte des Wappens prangte der einzelne weiße Stern auf blauem Grund, das Symbol der Stad Vara. Und darum herum angeordnet ein steinernes Buch, der Blutstropfen als Symbol des Sanguis-Ordens, eine Reihe von Zahnrädern und schließlich eine stilisierte, sitzende

Eule. Weitere Bewaffnete der kaiserlichen Garde hielten den Saal hinter den Pforten besetzt und wiesen Magister oder Schüler der Universität an, sich einen anderen Weg nach draußen zu suchen. Das mit der Stadt Vara selbst gewachsene Labyrinth der Gebäude bot mehr als einen Weg ins freie und damit in die Gärten, die die komplette Anlage umgaben. Bibliotheken, , kleinere Labore, Arbeitsräume und Lagerhallen bildeten ein einziges, über Flure und Treppen verbundenes, Netzwerk. Und in einer der Hallen, die in der Nähe der Kammern des Adelsrats lag, erhob sich ein gewaltiges Konstrukt aus

Bronze. Das Planetarium Varas war eine der größten Errungenschaften, die die Jahrzehntelange Arbeit der Gelehrten der Universität erschaffen hatte. Ein gewaltiges, mechanisches Modell das die Bewegungen der Planeten fast detailgetreu wiedergab. Eiserne Ringe und Zahnräder, so groß wie mehrstöckige Gebäude trieben die Apparatur mit einer Präzision an, die kaum von der Wirklichkeit abwich. In endlosem Tanz drehten die Modelle der Planeten sich um die eigene Achse und auf großen metallenen Schienen um eine einzelne silberne Sphäre im Zentrum. Kellvian betrachtete das Planetarium einen Augenblick und lehnte sich auf

das, die Zahnräder im Boden umlaufende Geländer. Zwischen die Zähne der Räder zu geraten wäre vermutlich ein sicherer Tod, dachte er. Er war bei seinem letzten Besuch hier nicht dazu gekommen, sich näher an der Universität umzusehen. Und bei seinem Besuch davor, war die Apparatur noch im Aufbau gewesen. Nicht viel mehr als ein paar Striche auf einem Bogen Zeichenpapier. ,, Das ist wirklich faszinierend.“ , meinte Eden, die sie ohne Zachary und Cyrus bis hierher begleitet hatte. Lediglich Erik hatte noch darauf bestanden sie zu begleiten. Kellvian wendete sich vom Geländer ab und

drehte sich zu der Kapitänin der Windrufer um. ,, Es ist vor allem akkurat. Die Umlaufbahnen zu berechnen und das alles in ein funktionierendes Modell umzusetzen… Ich glaube alleine das hat Jahre gebraucht.“ ,,Ich frage mich nur wozu.“ , bemerkte die weiße Gejarn. ,, Nun, sobald wir die Planetenbahnen haben können wir auch auf Mondbahnen und ähnliches Schließen. Damit verstehen wir beispielsweise die Tabellen des alten Volkes endlich besser.“ Eden nickte, scheinbar mit der Antwort zufrieden. ,,Ich hatte vor ein paar Jahren

mal damit zu tun.“ ,,Ihr ?“ Kell wusste, das Eden alles andere als dumm war, geradezu bösartig gerissen, wenn sie wollte, aber das war etwas anderes. Die alten Zeittabellen des toten Magiervolkes waren so ziemlich das einzige, das die Zeit und die Überlieferungen Intakt überstanden hatte. Jiy schüttelte den Kopf. Weder sie noch Kell hatten gut geschlafen und was Kellvians Chancen anging, machte sich keiner von ihnen zu große Hoffnungen. ,, Verratet mir noch einmal, warum ihr unbedingt mitkommen wolltet ?“ ,, Vielleicht interessiert mich einfach, wie das ganze Ausgeht.“ Eden lächelte

schwach. ,, Und vielleicht hau ich euch auch raus, wenns schief geht.“ ,,Ihr und welche Armee ?“ , fragte Erik, der grade dabei war, sich über das Gitter vor den Zahnrädern zu lehnen, ,, Hmm…“ , murmelte der Arzt mehr zu sich selbst. ,, Da hat jemand nicht richtig aufgepasst. Die Räder sind in ein paar Jahren abgestumpft, so wie sie jetzt laufen…“ Rasch ließ er di Füße zurück auf den Marmorboden fallen und sah sich in der Runde um. ,, Also, was glaubt ihr, wie das hier ausgeht ?“ ,,Nicht gut.“ , erklärte Kellvian lediglich. ,, Aber ich stelle mich dem, was mich erwartet.“ ,,Und wir sehen uns alles mit an.“ ,

meinte Zyle. ,, Egal was, auch passieren mag. Nur das die mich da wohl kaum mit einer Waffe reinlassen.“ Der braun-graue Fuchs ließ sich nicht anmerken, dass er in irgendeiner weise nervös war. Kellvian beneidete ihn einen Moment dafür. Auch wenn er sich selber nach außen noch ruhig gab, seit gestern hatte sich wenig verändert. Ihm blieben nur einige sichere Verbündete und wie der Rest des Adels stand, wusste er nicht einmal. Er seufzte. Es hatte auch kaum einen Sinn es noch weiter hinauszuzögern. ,, Kommt, lassen wir die Versammlung nicht unnötig…“ Bevor Kellvian den Satz beenden konnte, öffnete sich eine

der Türen im Saal und zwei weitere Personen traten ein. Die erste kannte er nicht. Obwohl sie die klassischen türkisfarbenen Roben des Sangius-Ordens trug, wirkte die Frau recht alt, für eine Magierin. Ergraute Haare und ein Gesicht, in das sich leichte Falten gegraben hatten, blickten sich neugierig im Saal um. Sie lächelte leicht und die meisten der kleinen Gruben unter ihren grünen Augen mussten wohl vom Lachen und weniger von Sorge stammen. Kellvian kannte sie nicht. Die zweite Person hingegen, die ihr in einigem Abstand folgte, erkannte er umso mehr. Kellvians Hände ballten sich instinktiv zu Fäusten, als Quinn den Raum

betrat. Der hochgewachsene , schwarzhaarige Zauberer seinerseits, musste ihn ebenfalls wiedererkennen. Irgendetwas blitzte in seinen Augen auf. er dazu kam, den Mund auch nur zu öffnen, hatte Kell schon die paar Schritte Entfernung zwischen sich und den Neuankömmlingen überbrückt. ,,Ihr…“ Die Worte waren mehr ein Flüstern, aber Quinn wich einen Schritt zurück. ,, Was sucht ihr hier Mörder ?“ ,,Ich sehe, ihr beide kennt euch schon.“ , meinte die Zauberin. ,,Allerdings. „ Kellvian lies den Mann keine Sekunde aus den Augen. Die Erinnerungen an ihre letzte Begegnung

waren noch verschwommen. Nur eines wusste er sicher. Kell machte einen weiteren Schritt auf Quinn zu. Bevor er den Magier jedoch erreichte, hob seine Begleiterin eine Hand und Kellvian wurde mit sanftem Druck von einer Mauer verdichteter Luft zurückgeschoben. ,, Verzeiht, wir haben uns scheinbar ein wenig verspätet.“ , meinte die Frau. ,,Und ihr seid ?“ , wollte Erik wissen, der sich mittlerweile vom Planetarium abgewandt hatte und zu der kleinen Gruppe Neuankömmlinge trat. ,, Quinn kennt ihr ja bereits. Und mein Name lautet Kiara Vanir. Ich bin die neue Großmeisterin des Sangius-Ordens.

Eigentlich wollte ich schon gestern hier sein aber es gab… Verzögerungen.“ Kellvian musterte die ältere Frau Misstrauisch. In der Halle, in der sie sich befanden gab es keine Gardisten oder andere Wachen. Nur ihn und die anderen. Es war schließlich Erik, der das Schweigen brach. ,,Schön euch kennenzulernen.“ , meinte der Schiffsarzt mit einer kurzen, angedeuteten Verbeugung. ,, Auch wenn ich hoffe, das ihr nicht vorhabt in den Fußstapfen des letzten eures Ranges zu Folgen.“ ,, Sehr erfreut.“ ,stimmte Kellvian schließlich gepresst zu. Die Zeiten, wo

er einem Magier den Rücken zudrehte, waren vorbei. Oder einem weiter über den Weg traute, als nötig. Kiara schien seine Gedanken zu erraten. ,,Ich weiß mein Vorgänger hat nicht grade den besten Eindruck hinterlassen. Ihr müsst verzeihen, aber die meisten von uns wussten nichts von Tyrus Plänen. Und ich versichere euch, Herr, das wird jeden einzelnen finden werden, der in die Verschwörung gegen euch und… euren Vater involviert war.“ ,, Dann fangt schon mal mit dem da an.“ , mischte sich Zyle ein und deutete auf Quinn. ,, Nicht nur, das er uns angegriffen hat, er hat an diesem Tag mehr als einen Menschen

getötet.“ ,,Und er wird sich dafür verantworten müssen.“ , erklärte Kiare ruhig. ,, Wenn die Zeit kommt. Bis dahin jedoch muss ich euch vor allen Dingen erneut um Verzeihung bitten. Verurteilt bitte nicht den ganzen Orden wegen der Taten einiger.“ Kellvian seufzte. Nach wie vor, er wusste nicht, ob er dieser Frau trauen konnte. Aber was sie ihm grade Anbot, klang zumindest nach Frieden. Etwas, das er nicht ausschlagen konnte, oder ? Und wenn sie es wirklich ernst meinte, wäre es mehr als dumm, sie abzuweisen. ,, Ich… gebe dem Orden nicht die direkte Schuld, Großmagierin.“ ,

erklärte er schwerfällig. ,, Mir ist klar, das Tyrus und die anderen bestenfalls Marionetten einer möglicherweise viel größeren Gefahr gewesen sind.“ Er sah zu Quinn, der den Blick gelassen erwiderte, ,, Ich werde nicht den Fehler machen, alle Zauberer als Schuldige zu sehen. Aber… Ihr müsst auch eines Wissen. Solltet ihr versuchen mich zu hintergehen, wird es das erste und das letzte mal sein, das ich dem Orden verzeihe. Ich mag im Augenblick nicht viel Macht haben, aber ein weiterer Verrat des Ordens würde in eurer Vernichtung enden. Egal, wer dann auf dem Thron sitzt.“ Kiara nickte. ,, Die Worte eines Kaisers.

Ich werde sie nicht vergessen. Ihr mögt wenige Verbündete haben, Kellvian Belfare. Aber ich denke, ihr wisst, was ihr tut.“ Die Magierin deutete eine kurze Verbeugung an. ,, Nicht alle von uns sind Machtbesessene Egomanen. Auch wenn einige leider ausreichen mögen unseren Ruf in den Schmutzt zu ziehen.“ Kell nickte lediglich. Er war die Förmlichkeiten langsam müde und der Tag hatte grade erst angefangen. Und seien ganz persönlichen Probleme beschäftigten ihn neben dem Ausgang der Versammlung nach wie vor. Die schleichende Veränderung, die er bemerkt hatte und die nicht bloß auf den Stress und die schier unlösbaren

Aufgaben, vor denen er stand zurückzuführen waren. Zumindest nicht ganz. ,, Jiy… kannst du mit den anderen schon einmal vorgehen ? Ich würde Kiara gerne noch etwas Fragen.“ Die Gejarn zögerte einen Moment. ,, Gibt es etwas, das ich nicht wissen darf ?“ , fragte sie nur halb ernst. Kellvian jedoch, konnte sie dieses mal nicht beruhigen. ,, Ich weiß es nicht. Es gibt nur ein paar Dinge, auf die ich antworten brauche.“ Jiy musterte ihn einen Augenblick unsicher, dann nickte sie jedoch nur und ging mit den anderen aus der Halle. ,,Ihr auch Quinn.“ , meinte die

Großmagierin. Der Mann verzog genervt das Gesicht, erwiderte aber nichts, bevor er aus dem Raum stolzierte, den türkisfarbenen Mantel wehend hinter sich herziehend. ,,Freundlicher Kerl.“ , bemerkte Kellvian nur. ,, Er hat allen Grund dazu, übel gelaunt zu sein. Ich habe ihm einen kleinen Strich durch seine Rechnung gemacht, schätze ich. Er wollte eigentlich Tyrus nachfolge antreten. Die Idee wurde ihm… unsanft ausgetrieben.“ Kell nickte nur. Seine Meinung von der Zauberin wurde dadurch vielleicht nicht unbedingt besser, aber wenn es einen Menschen gab, der eine Lektion in

Demut verdient hatte, dann wohl Quinn. Nur das Kiara ihn am Leben gelassen hatte, erschien seltsam.. Es gefiel ihm selber nicht, zu töten, aber der Orden war alles andere als dafür bekannt, eine sanfte Innenpolitik zu pflegen.“ ,, Ihr wisst…. was ich bin, oder?“ , fragte Kellvian. ,, Ein Seelenträger, ja. Und ich will gleich ehrlich sein, die Vorstellung, das ihr damit frei herum lauft gefällt mir gar nicht.“ ,, Und ich fürchte beinahe, ihr könntet damit recht haben. Es ist ein schleichender Prozess, aber ich spüre, dass ich mich verändere. In den letzten Wochen habe ich Dinge getan oder

beinahe getan über die ich nicht einmal nachdenken sollte. Und jetzt bin ich so weit, das ich sogar euch und den Orden um Hilfe frage.“ Er schüttelte den Kopf und drehte sich halb weg. ,, Kann ich davon ausgehen, das ihr das alles für euch behaltet ?“ Kiara antwortete nicht sofort. Als sie schließlich sprach, war ihre Stimme jedoch Todernst. ,, Es gibt Dinge, aus denen selbst ein Wahnsinniger keinen Vorteil ziehen wollte. Ihr sagt ihr verändert euch. Wie ?“ ,, Es fällt damit zusammen, wenn ich Magie benutze. Teilweise aber jetzt auch schon, ohne dass ich es auch nur Versuchen würde. Wut… Hass. Auf alles

um mich herum und jeden. Im Augenblick kann ich es kontrollieren, aber ich merke doch, wie es schlimmer wird. Ich fürchte den Tag, an dem ich doch einmal die Kontrolle verlieren sollte.“ ,, Ihr tragt eine Seele des alten Volkes in euch. Oder wohl zumindest einen erheblichen Teil davon. Nach all den Jahrhunderten in der Leere, muss dieser Geist einfach halb wahnsinnig sein. Aber so gerne ich das Gegenteil behaupten würde, der Orden wird euch keine Hilfe sein, Kellvian. Wir haben uns lange mit Seelenträgern beschäftigt, bis wir herausfanden, wie wir ihre Entstehung verhindern. Es gab auch versuche, eine

Seele des alten Volkes wieder zu separieren. Alles ohne Erfolg. Aber… eines ist ganz klar : Je öfter ihr es benutzt, desto schlimmer wird es werden und desto größer wird der Halt sein, den die alte Seele in euch gewinnen kann. Bis….“ ,,Bis?“ , fragte Kellvian. ,, Raus damit, ihr braucht mich nicht zu schonen. Ich will nur endlich Klarheit.“ ,, Bis nichts mehr von euch bleibt. Ihr werdet aufhören zu existieren, Kellvian. Und etwas anderes euren Platz einnehmen. Ob früher oder später, es gibt keinen Weg, das zu verhindern.“ Kell seufzte. ,, Ich verstehe.“ Auf eine Art hatte er mit dieser Antwort

gerechnet. Es tat aber gut, Gewissheit zu haben. ,, Der Orden wird mich töten, wenn es so weit kommt ?“ ,, Das ist unsere Pflicht.“ ,, Dann danke ich euch dafür. Was immer in mir ist… es ist kein Freund der Menschen. Oder von irgendetwas, was das angeht. Kommt. Wir sollten den Adelsrat nicht länger warten lassen.

Kapitel 16 Die Versammlung


Die Versammlungshalle bestand aus einem Raum, der durch eine hohe Reihe Fenster beleuchtet wurde. Eine große Flügeltür lag den Fenstern gegenüber, an der mehrere Gardisten der kaiserlichen Wache Aufstellung genommen hatten. Die Sonnenstrahlen, die durch die Glasscheiben fielen, spiegelten sich auf der Oberfläche eines großen, runden Holztisches. In einem Kreis saßen mehrere dutzend Personen daran, manche still schweigend, andere sich gedämpft unterhaltend. Die Lehnstühle, auf denen die Adeligen Cantons Platz genommen

hatten, sahen alle fast gleich aus. Bis auf eine Kleinigkeit. In die Lehne eines jeden war das Wappen der jeweiligen Adelsfamilie eingelassen, ob es nun ein altes Emblem zeigte oder ein Tiersymbol. Nur drei der Plätze waren nach wie vor unbesetzt. Und nur einer davon, würde es auch blieben. Der Stuhl, der heute keinen Besitzer finden würde, zeigte das Sternenwappen von Vara und wäre eigentlich dem Patrizier der Stadt vorbehalten geblieben. Doch ohne einen Herrscher, würde Vara auch keine Stimme in der Versammlung haben. Der zweite, nach wie vor unbesetzte Platz hingegen trug das Doppelwappen des cantonschen Kaiserreichs, den Löwen

und den Adler. Und der dritte war mit dem Siegel des Sanguis-Ordens versehen worden, dem vergoldeten Tropfen. Einige der Anwesenden warfen immer wieder unruhige oder gelangweilte Blicke in Richtung des verwaisten Stuhls. ,,Wo bleibt er ?“ , wollte ein Adeliger aus Risara wissen und stellte damit die Frage, die sich längst alle Anwesenden stellten. ,, Taucht er nicht auf, werden wir einen anderen bestimmen.“ , meinte eine in violette Gewänder gekleidete Gestalt ruhig. Andre de Immerson hatte die Hände zusammengelegt und lächelte versonnen. Mit jeder Sekunde, die

verging, standen die Karten schlechter für den jungen Kaiser. Kellvian würde vielleicht erst gar nicht auftauchen, dachte er und sah über die Schulter in den vom Hauptsaal abgetrennten Bereich, in dem die wenigen Gäste und Zuschauer warteten, die heute zugelassen waren. Mächtige Händler oder Leute mit Beziehungen, aber ohne Adeligen Stammbaum. Und Kellvians letzte Verbündete. Die heute vielleicht sehen würden, das ihr Kaiser es nicht einmal wagte aufzutauchen. Was für ein Sieg das wäre… Der Herr von Silberstedt wurde jedoch jäh aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Türen zum Saal

öffneten. Also, war er doch erschienen, dachte Andre. Kellvian Belfare erwiderte den Blick jedes einzelnen Adeligen, der sich zu ihm umdrehte. Ein silbergrauer Umhang fiel ihm über die Schultern, darunter schimmerte ein gelbes Hemd. Ohne Eile trat er durch die Halle und ließ sich auf den ihm zugewiesenen Platz nieder. Die zweite Person, die ihm folgte war eine Frau in der typischen Kleidung des Ordens, die der Lord einen Moment misstrauisch musterte. Die grünen Augen, die aus einem ovalen Gesicht hervorstachen, erwiderten seinen Blick ohne Zögern. Andre hatte schon gehört,

dass die Magier einen neuen Anführer hatten. Nur das sie heute schon hier auftauchen würde… Die Politik des Ordens war schnell. ,,Nun, mein Herr, ich bin sicher, ihr wärt einverstanden, der Versammlung hier zu erklären, wieso ihr sie so lange warten lasst. Euch ist doch sicher nur… etwas dazwischengekommen?“ , wollte er wissen. Es war eigentlich nicht nötig, Kellvian noch mehr in Bedrängnis zu bringen. Aber es brachte ihm Genugtuung. ,,Ich…“ , setzte Kell an. ,,Dafür war ich verantwortlich, ich habe Kellvian leider aufgehalten, als er auf dem Weg hierher war, verzeiht.“ ,

mischte sich Kiara ein. Die Ordensobere breitete die Hände zu einer entschuldigenden Geste aus. Kellvian nickte kurz. Vielleicht hatte er Kiara wirklich unrecht getan, dachte er. Oder sie wollte sich nur absichern, das er den Verrat der Ordensmagier wirklich vergaß. Es war egal, entschied Kell für sich im stillen. Er hatte schon so wenig Verbündete, da konnte er zumindest sie gut gebrauchen. Und vielleicht gab das allem doch noch eine neue Wendung. Er suchte über den Tisch hinweg den Blick von Fenisin und Melchior. Der Platz des Sehers war mit Fell ausgekleidet und ein Eiskristall war in das Holz über seinen Kopf geschnitzt worden, während

Fenisin zwischen einigen weiteren Clanältesten saß. Die Gejarn hatten nicht viele Vertreter geschickt, was angesichts der Ereignisse in letzter Zeit auch nicht zu überraschend war. Und mehr als einer ihrer Anführer war während der Kämpfe im Sommer und Herbst gefallen. Er hatte noch eine Chance, dachte Kell. Wenn er sie den auch nutzte. Der Titel interessierte ihn nicht. Kellvian wendete den Blick von der Versammlung ab und betrachtete einen Moment die Gäste an der Rückwand der Halle. Rasch fand er Jiy und die anderen in der Menge. Ob er oder sonst jemand Kaiser wäre, wäre egal, wenn nicht so viel davon abhinge. Man würde ihn nicht

einfach ziehen lassen, wenn das Urteil gefallen war. Man würde sie nicht in Frieden lassen. Und genau deshalb gab es für ihn nur Erfolg. Oder das Ende. ,,Ich denke.“ , begann er. ,, Es hat keinen Sinn die Sache lange heraus zu zögern. Da sind wir uns alle einig ?“ Die meisten der Anwesenden nickten oder gaben ein hörbares ,,Ja.“ , von sich. Und die, die Schwiegen gaben zumindest keine Wiederworte. ,, Doch ich möchte, das diese Versammlung eines bedenkt, bevor sie ihre Entscheidung trifft. Was ihr tut, wird das weitere Schicksal dieses Kaiserreiches bestimmen. Es wird auch mein Schicksal bestimmen. Ich habe kein

Geheimnis daraus gemacht, das ich dieses Amt nicht herbeisehne. Ganz im Gegenteil, wäre es mir möglich, die Kaiserkrone guten Gewissens abzulehnen, ich würde es tun. Aber das kann ich nicht. Damit würde ich all jenen Recht geben, die vor einigen Monaten versuchten, mich zu töten. Damit würde ich jenem Recht geben, die unsere Hauptstadt dem Erdboden gleich gemacht haben. Und es würde jenen recht geben die mir… die mir selbst mein Leben nicht gönnen. Kann ich von dieser Versammlung Gnade erwarten, solltet ihr euch gegen mich entscheiden?“ Er war aufgestanden. ,, Kann ich von euch Gerechtigkeit

erwarten, das ihr dann den fähigsten unter euch Wählen würdet ? Zum Besten Cantons ?“ Er erhielt keine Antwort, nur einen säuerlichen Blick von Andre de Immerson. ,, Schwachsinn.“ , murmelte der Lord kaum hörbar. Kellvian fuhr fort, als hätte er ihn nicht gehört. ,,Wenn diese Worte noch etwas bedeuten, lasst mich eure Entscheidung hören.“ Er ließ sich auf seinen Platz zurück sinken. Er konnte nur an ihre Vernunft appellieren. Und an ihren Stolz, der die Adeligen Cantons sonst auszeichnete. Es gab keine Versprechungen, die ihm über die Lippen kommen wollten, mit denen er

sie noch auf seine Seite ziehen konnte. Er würde zum Kaiser werden, ohne sich auf ihre Spiele einzulassen, oder gar nicht. Es blieb nur noch, zu warten. Die Anwesenden würden ihre Stimmen der Reihe nach abgeben. Kiara, die Ordensobere war die erste, die Aufstand. Kellvian wusste nicht, wie sie sich entscheiden würde. Auch wenn sie sich für ihn eingesetzt hatte, das hieß nicht, dass sie nicht doch darauf setzen könnte, auf einen neuen Kaiser ohne alte Belastungen zu setzen. ,, Der Orden wird den Anspruch Kellvians auf den Kaiserthron unterstützen.“ , erklärte sie ruhig. ,, Wir

sind dem Kaiserhaus der Belfare mehr als alle anderen Verbunden. Und ich denke, es wäre ein Verrat unsererseits an Simon Belfare selbst, seinen letzten überlebenden Erben nicht zur Korne zu verhelfen. Um wenn nötig jeden Preis.“ Die angedeutete Drohung verfehlte ihre Wirkung letztlich nicht. Viele der Anwesenden Adeligen steckten plötzlich die Köpfe zusammen und tuschelten leise. Die Magier waren eine Macht, mit der man rechnen musste. Und eine, die keiner von ihnen zum Feind haben wollte. Kellvian wollte sich keine Hoffnungen machen. Aber mit Kiara hatte er einen vielleicht entscheidenden

Verbündeten. ,,Ach ?“ , rief Andre, der die Angst und die Unsicherheit der übrigen anwesenden offenbar nicht teilte. ,, Vor einigen Monaten wolltet ihr ihn noch umbringen, wenn ich die Versammlung daran erinnern darf.“ ,,Nicht wir, sondern Tyrus.“ , erwiderte die Ordensobere. ,, Und nur Tyrus. Er hat für dieses Verrat bezahlt, wie alle hier wissen sollten. Er handelte nicht im Namen aller und nicht einmal im Namen einiger von uns. Tyrus Lightsson hat durch sein Handeln den Orden verraten. Und es hat auch nichts mit dieser Versammlung zu tun, nicht? “ ,,Nein“, gab ihr gegenüber unwillig zu.

,, Und es ändert auch nichts an meiner Entscheidung. Silberstedt und das Haus Immerson, können und werden Kellvian nicht unterstützen. Und ich hoffe, diese Versammlung lässt sich auch nicht durch die Worte der Zauberer davon abbringen, die richtige Entscheidung zu treffen. Zum besten dieses Reichs. Und das, Kellvian seid nun einmal nicht ihr.“ Lord Andre faltete die Hände zusammen. Einen Augenblick wurde es fast gespenstisch still. ,,Weitere Stimmen ?“ , wollte der Adelige aus dem Norden schließlich wissen. Ein Mann in einem samtroten Gewand stand auf. ,, Risara wird sich der

Abstimmung enthalten.“ , erklärte er und sah zu Fenisin. Der Gejarn stand, sich mit einer Hand auf dem Tisch abstützend auf. ,,Die Clans sind sich einig. Kellvians Anspruch auf den Thron ist rechtens. Und er kann sich unserer Unterstützung sicher sein. Es wird noch Dinge geben, die wir in Zukunft klären müssen, doch für den Moment bleibt Konstantins Sohn der einzige in diesem Raum, der nach unserer Sicht unsere Stimme verdient.“ Weitere Adelige meldeten sich zu Wort, sobald der Älteste sich wieder gesetzt hatte. Ein Fürst aus Lasanta, stellte sich auf Kellvians Seite, während andere sich auch gegen ihn aussprachen.

,,Wir können die Kaiserkrone nicht den Händen eines Jungen überlassen.“ , meinte ein weiterer Mann aus der südlichen Stadt Erindal. ,, Ich werde Kellvians Anspruch nicht unterstützen. Aber mich natürlich der letztendlichen Entscheidung dieser Versammlung beugen.“ Kell zählte im Stillen jede einzelne Stimme mit. Am Ende würde eine einzige Wortmeldung den Unterschied machen können. Wenn die Entscheidung auch knapp ausfiel, am Ende würden die meisten, wenn nicht jeder, sich ihr Beugen müssen. Nach wie vor wäre es dann der Kaiser, bei dem die Kontrolle

über das Militär lag. Die Adeligen hatten nur kleinere Privatheere und könnten sich niemals mit der Garde messen. Hin zukam, dachte Kellvian, das die meisten ihre Ämter und ihr Gold nicht für eine politische Meinung auf Spiel setzen würden. Nicht, wenn sie nicht gewinnen konnten. Nachdem jeder der gut fünfzig Männer und Frauen am Tisch seine Meinung gesagt hatte , blieb nur noch eine einzige Person übrig. ,, Und wie lautet die Entscheidung der Eisnomaden ?“ , fragte Kiara. Melchior grinste und irgendetwas funkelte in seinen trüben Augen. ,, Es war Simon Belfare, der vor nun gut dreihundert Jahren zu meinem Volk kam.

Ausgestoßen, Alleine, Verwirrt vielleicht. Hätte man ihn damals für einen Kaiser gehalten? Schwerlich. Aber er hatte sich an uns erinnert, wo ganz Cantons uns und seine Wurzeln längst vergessen hatte. Ich habe nicht vor, dieses Erbe zu zerstören. Kellvian hat die Unterstützung der Nordvölker.“ Das war es also, dachte Kellvian. Die letzte Stimme für ihn. Und es war genug, wie ihm erst langsam Bewusst wurde, als ein Protokollant die einzelnen Wortmeldungen noch einmal verlas. Kell achtete längst nicht mehr auf ihn. Er hatte selber mitgezählt, auch wenn sich die Erkenntnis noch nicht ganz gesetzt hatte. Vierunddreißig der Anwesenden

hatten sich für ihn ausgesprochen. Elf hatten sich enthalten. Und nur fünf sich letztlich offen gegen ihn gestellt, darunter Andre de Immerson. Der Herr Silberstedts saß einen Moment wie versteinert auf seinem Platz. ,, Ich schätze.“ , meinte er bitter. ,, Man muss euch wohl gratulieren.“ Seine Stimme zitterte leicht, vor Wut oder Verachtung, das wusste Kellvian nicht zu sagen. Ihre Blicke trafen sich einen Moment. Es war noch nicht vorbei, das musste der Lord nicht aussprechen um es Kell gegenüber klar zu machen. Doch für den Moment zumindest… ,, Die Entscheidung dieser Versammlung

ist ab heute nicht mehr anzuzweifeln.“ , erklärte der Protokollant. ,, Im Namen des Volkes von Canton, erklärt diese Versammlung Kellvian Belfare zum neuen und alten Kaiser Cantons, wie schon alle Generationen seines Hauses zuvor. Und damit zum Herrscher über alles Land, über das einst auch Konstantin Belfare gebot.“ Kellvian sackte einfach auf seinem Platz zusammen. Das war es also, dachte er seltsam ruhig. Er war Kaiser. Endgültig. Eigentlich hatte er damit gerechnet, in Panik auszubrechen. Götter, er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Aber jetzt spürte er nur eine gewaltige Welle der Erleichterung, die ihn

überrollte. Bis er wieder zu Andre de Immerson sah. Was immer auch geschah, er würde diesem Mann nie mehr den Rücken zu drehen können, das wusste er. Und er würde ihn überwachen müssen, wenn er nicht eines Tages mit einem Messer im Bauch enden wollte. Ich fange schon an Ränke zu schmieden , dachte Kell fasziniert und angewidert zugleich. Unter den Gästen im hinteren Teil der Halle brach Unruhe aus. Eine handvoll Gestalten setzte einfach über die niedrige Absperrung hinweg. Kellvian erkannte Jiy, Eden, Zyle und Erik und gab den Gardisten an der Tür ein kurzes Zeichen.

,,Lasst sie durch.“ , erklärte er. ,, Ich werde…“ Weiter kam er auch schon nicht mehr, weil ihm in diesem Moment Jiy um den Hals fiel und beinahe mitsamt dem Stuhl umriss. Es war tatsächlich geschafft. Er musste sich immer wieder selber daran erinnern. Noch konnte er es nicht ganz glauben. Und irgendwie fürchtete Kellvian, das die richtigen Probleme grade erst anfangen könnten. Nach wie vor, war nichts sicher. Nach wie vor fraß ihn seine eigene Magie, sein eigenes Erbe langsam auf. Und wenn der Orden ihm nicht helfen konnte… wer dann?

Kapitel 17 Versprechen


Kellvian stolperte mehr aus dem Saal, als das er noch lief. Obwohl die Wahl der Versammlung letztlich auf ihn gefallen war, war der Tag noch lange nicht zu Ende gewesen. Fünfzig und mehr Adelige hatten irgendwelche Schwüre erneuern oder geben wollen und auch er hatte mehr als einem das Versprechen geben müssen, deren alte Lehen und Ansprüche weiterhin gelten zu lassen. Und obwohl er nicht damit gerechnet hatte, hatte schließlich auch Andre de Immerson keine Wiederworte mehr gegeben. Draußen dämmerte es

bereits, als er die Halle schließlich mit Jiy und den anderen verließ. Die meisten Adeligen würden wohl noch eine Weile bleiben um sich zu besprechen oder einfach nur um die Krönung abzuwarten und so folgte ihnen niemand, als sie durch die Flure der Universität gingen. Nur die hier und dort Wache haltenden Gardisten salutierten kurz oder hielten den Rücken etwas grader. Die Nachricht darüber, das Kellvian als Kaiser anerkannt worden war, musste sich wie ein Lauffeuer in Vara verbreitet haben. Und vermutlich, dachte Kell, würde sie bis Ende des Monats jeden Winkel Cantons erreicht haben. Als sie wieder die Planetariums-Halle

erreichten, wurde Kell langsamer. Am Gitter, da das große Planetenmodell umlief, warteten bereits Cyrus und Zachary. ,, Ich habe schon gehört, ich darf euch jetzt Majestät nennen.“ , meinte der schwarze Wolf leicht spöttisch, als er sie bemerkte. ,, Ab jetzt können wir uns jedes Mal verbeugen, wenn Kellvian einen Raum betritt.“ , stimmte ihm Zyle kopfschüttelnd zu. ,, Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich dazu noch oft Gelegenheit haben werde.“ Er wendete sich an Eden. ,, Ihr wolltet nach der Krönung aufbrechen, oder

?“ ,, Wenn wir nicht noch einen neuen Wintereinbruch haben, sollte das Eis die Windrufer bis dahin wieder freigeben. Ihr fragt jetzt zum wiederholten Mal.“ ,, Ich weiß.“ , erklärte der Gejarn aus Laos. ,,Ich werde euch ebenfalls wieder begleiten, wenn es keine Umstände macht.“ , mischte sich Erik ein. Der Arzt hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte abermals gefährlich am Geländer, das ihn von den Zahnrädern des Planetariums trennte. ,, Hier wird mir auf Dauer doch nur langweilig.“ ,, Es wäre auch Schade gewesen, auf

euch zu verzichten.“ , antwortete ihm Eden. ,, Wenn ihr mich entschuldigt…“ Die Kapitänin deutete eine Verbeugung an und grinste dabei über beide Ohren, bevor sie sich auf den Weg aus dem Saal machte. Cyrus folgte ihr mit einem Schulter zucken und auch Erik und Zachary blieben nicht mehr lange. Kellvian ließ sich auf einer Steinbank nieder, die in einer Wand Nische stand. Durch ein Dachfenster viel ein schmaler Lichtstrahl in die Halle und spiegelte sich auf der großen Zentralen Kugel des Planetariums wieder. Er betrachtete die Lichtreflektionen einen Moment, bis er merkte, wie sich jemand neben ihm setzte. Jiy. Die Gejarn sagte nichts, aber

er konnte die Frage in ihren Augen lesen. ,, Ich habe das Gefühl, nichts erreicht zu haben.“ , gestand er ihr leise. ,,Ganz im Gegenteil. Und jetzt läuft mir langsam die Zeit davon.“ ,,Wie meinst du das ?“ Sie sah ihn besorgt an. ,, Ich habe mit Kiara gesprochen.“ Erklärte Kellvian. Es hatte weder einen Sinn ihr die Wahrheit zu verschweigen, noch wollte er das. ,, Meine Begabung al Seelenträger… Sowohl sie als auch Melchior fürchten, es würde mich irgendwann umbringen. Oder gänzlich verändern. Und keiner von beiden weiß, was man dagegen tun

könnte.“ Jiys Stimme blieb überraschend ruhig, aber die Hand, die seine umschloss packte einen Moment fester zu. ,,Ich habe es gesehen, Kell.“ , meinte sie schließlich. ,, Auf dem Feld, als wir den Ältesten gegenüber getreten sind. Aber es… irgendeinen Weg muss es geben, oder?“ ,, Und ich werde nicht aufhören, danach zu suchen, das verspreche ich. Wenn es eine Antwort gibt, ist sie mit dem alten Volk untergegangen. Das heißt… ich kann nicht damit rechnen, etwas zu finden. Der Orden wird mich töten, wenn die alte Seele in mir zu viel Kontrolle gewinnt. Oder besser, sie

werden es versuchen.“ ,, Was… Was willst du damit sagen.“ ,, Das weißt du. Ich weiß nicht ob der Orden mich gegebenenfalls aufhalten könnte, Jiy. Aber es gibt eine Person, der ich nichts tun könnte.“ ,, Du…“ ,, Wenn es so weit kommt, bist du vielleicht die einzige, die mich… aufhalten könnte. Was immer dazu auch nötig ist.“ ,, Du kannst mich unmöglich darum bitten…“ ,, Falls es irgendwie in meiner Macht steht, wird es auch gar nicht erst so weit kommen. Aber wenn… Jiy, ich sterbe lieber als irgendetwas zu werden, das ich

nicht bin.“ ,, Und ich kann dir nichts versprechen, das ich nicht tun könnte. Das wäre gelogen.“ ,, Dann Versprich mir nur, es nicht zu vergessen.“ , erklärte Kellvian. Sicher… er konnte und wollte sie nicht damit konfrontieren. Aber er konnte auch nicht einfach das Beste hoffen und die Möglichkeit ignorieren, dass es diesmal keine Rettung für ihn gab. Die Gejarn nickte. ,, Das kann ich tun. Aber versprich du mir im Gegenzug, das du nicht einfach so aufgibst. Und das du auf dich achtest.“ ,, Ich hatte auch nicht vor, einfach abzuwarten. Und zumindest jetzt haben

wir noch Zeit. Wenn stimmt, was Melchior und die Ordensoberste mir gesagt haben, könnten mir noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte bleiben. Solange ich vorsichtig bin. Aber es gibt so viel um das ich mich kümmern muss… ich kann mich nicht nur darauf konzentrieren, eine Lösung für ein einziges Problem zu finden. Ich brauche nur… Sicherheit. Das alles in Ordnung kommt, egal wie es für mich ausgeht. Für dich. Und für alle anderen.“ Zyle hörte die Unterhaltung nur halb mit. Aber was er hörte reichte ihm. Zumindest in einem Punkt schienen Laos Worte ihre Gültigkeit zu behalten. Magie

forderte einen zu hohen Preis. Und wie es aussah, würde sie ihm irgendwann einen der Männer rauben, den er eine seiner besten Freunde nennen konnte. So seltsam es für einen Schwertmeister war, den Kaiser Cantons Freund zu nennen, es war das einzige Wort, das passen wollte. Und er wusste auch, das er ihm kaum helfen konnte. Von Magie verstand er nichts und jegliches Wissen das es darüber in Helike gab, lag gut verschlossen und unerreichbar in den Katakomben und Bibliotheken der Hauptstadt von Laos. Es würde schon Außergewöhnlichste Umstände erfordern, damit die Archonten jemand Fremden und noch dazu dem Herrscher Cantons

Zugang zu ihren Archiven gewährten. Sein Wort hätte dafür kaum genug Gewicht. So gerne er Kell helfen würde… ihm waren wohl noch mehr wie Jiy die Hände gebunden. Und seine Zeit, die ihm in diesem Land blieb begrenzt. Vielleicht fand sich irgendein Weg, wenn er sich in Helike seinen Rang zurück verdienen könnte. Und das ist schon etwas, mit dem ich kaum rechnen sollte, dachte Zyle betrübt. Der schmutzgraue Fuchs ließ die Schultern hängen. Bevor er sich jedoch noch länger darüber Gedanken machen konnte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. Der Gejarn drehte sich langsam um, als

er erkannte, wer grade die Halle betrat. Melchior, sah sich, auf einen Stab mit Bernsteinknauf gestützt, zwischen den Anwesenden um ,, Ich wollte mich noch Verabschieden.“ , meinte er. ,, Schön das ich euch noch alle gefunden habe.“ ,, Ihr verlasst uns wirklich schon wieder ?“ , wollte Jiy wissen. ,, Wie ich befürchte, ja. Es gibt auch Dinge, um die ich mich kümmern muss.“ , erklärte der Seher seltsam abwesend. ,, Aber wir haben uns nicht zum letzten mal gesehen.“ ,,Das will ich hoffen, alter Mann.“ , erwiderte Zyle. ,, Ihr schuldet mir nach wie vor ein paar

Erklärungen.“ ,,Tue ich das ?“ , fragte Melchior, als hätte er keine Ahnung, wovon der Gejarn sprechen könnte. ,, Ich kann wohl nicht darauf hoffen, eine Antwort zu bekommen, oder ?“ , seufzte sein Gegenüber resignierend. Der ältere Mann grinste. ,, Das sage ich nicht. Nur das ich nicht einmal mehr dazu in der Lage wäre, wenn ich es wollen würde. Meine Visionen sind weg und damit auch alles, was ich einmal wusste.“ ,,Und genau das glaube ich euch nicht.“ , mischte sich Kellvian ein. ,, Es ist gleich was ihr glaubt… Kaiser. Es sei den, ihr hättet vor euch die

Antworten zu holen.“ Kellvian schüttelte nur den Kopf und machte eine wegwerfende Handbewegung. Im Augenblick hatte er besseres zu tun, als sich weiter auf Melchiors Art einzulassen. Der Mann hatte ihnen noch nie geschadet, das stand fest. Aber verflucht, hätte er ihnen Probleme erspart, wenn er einmal damit herausgerückt hätte, wie viel er wirklich wusste. ,, Wir begleiten euch noch bis zu den Stadttoren.“ , meinte Jiy. ,, Oder Kellvian ? Zyle ?“ ,, Ich fürchte, ihr werdet ohne mich gehen müssen.“ , erklärte Kell. ,, Du kommst nicht mit

?“ ,, Nein. Ich muss noch mit Syle reden. Es gibt da etwas, um das ich mich noch kümmern muss.“ Oder besser gesagt, jemanden, dachte er. ,, Ich komme nach, so bald ich kann.“ Kellvian war nachdem er Melchior und die anderen verlassen hatte, in die Villa des Patriziers zurückgekehrt. In den Fluren der Universität wimmelte es nach wie vor von Neugierigen Ohren und Adeligen, die sich die Gunst des neuen Kaisers sichern wollten, oder auch nur auf ein kurzes Gespräch hofften um ihren Standpunkt klarzustellen. Im Vergleich dazu war die Abgeschiedenheit

des großen Hauses zwischen den toten Gärten eine willkommene Wohltat. Auch wenn der Weg durch die Stadt nicht einfach gewesen war. Ein dutzend Gardisten, abzüglich derjenigen, die er als Boten losgeschickt hatte, hatten ihn auf Schritt und Tritt begleitet. Offenbar eine Anweisung von Dagian. Auch wenn Kellvian den Hochgeneral nicht mehr gesehen hatte, jetzt wo er tatsächlich Kaiser werden würde, würde er wohl gar keine Ruhe mehr vor ihm haben. Aber… Er meinte es nur gut, erinnerte Kell sich. Trotzdem, das war eines der ersten Dinge, die er als nächstes in Angriff nehmen musste. Er brauchte keine Leibwache und viel wichtiger, wollte

sich frei bewegen können, ohne, dass ihm ein dutzend Stiefel überall hin folgten. Er befand sich in Markus altem Empfangszimmer. Seit seinem letzten Besuch hier, hatte sich einiges verändert. Die schweren, dunklen Holzregale waren verstaubt, so als hätten die Verwalter des Hauses, der Bibliothek nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Und auch zwischen den Rücken der Bücher klafften erkennbare Lücken. Nur das Feuer im Kamin brannte hell und vertrieb die nach wie vor nicht weichende Kälte. Das Licht der Flammen spiegelte sich auf dem Kristallglas, das auf einem kleinen Tisch neben Kellvian stand. ,,Kellvian“ Der Mann, der eintrat war

nicht Syle. Kell sprang halb aus dem Sessel des Patriziers auf, auf dem er sich niedergelassen hatte. Dagian Einher stürmte in die Halle, gefolgt von zwei Gardisten, die wohl vor der Tür Wache gehalten hatten. Auf dem Fuß folgte ihn, wie immer einen Schwall rot leuchtender Haare hinter sich herziehend, seine Adjutantin. ,, Was ist los ?“ ,, Was los ist ? Ihr könnt nach der Wahl nicht einfach verschwinden. Man hat euch gesucht.“ Mal wieder, dachte Kell im Stillen. ,, Dagian, ich bin durchaus in der Lage, selber zu entscheiden, wo ich hingehe. Und ihr habt mir doch gleich einen

Trupp Soldaten an die Fersen geheftet. Macht ihr euch sorgen um mich, oder wollt ihr einfach nur genau wissen, wo ich grade bin?“ Obwohl er es versuchte, konnte er die Wut in seiner Stimme nicht ganz verbergen. ,, Ich will verhindern, das ihr etwas Dummes tut. Obwohl die Entscheidung euch zum Kaiser zu machen, vielleicht schon das Schlimmste war.“ ,,Herr…“ , bemerkte Tamyra kleinlaut. ,, Vielleicht solltet ihr aufhören die Sache nur aus eurem Blickwinkel zu sehen.“ ,, Ich sehe sie aus dem einigen Blickwinkel der zählt.“ , knurrte der General. ,, Die Krönung findet in ein

paar Tagen statt Kellvian. Ich will einfach sicher gehen das euch…. Bis dahin nichts zustößt.“ ,, Ich weiß Dagian. Ich weiß.“ , seufzte er um versöhnlich hinzuzufügen : ,, Und ich verstehe euch ja. Vielleicht sollte ich sogar mehr auf euch hören, aber seit mir nicht böse, aber ich kann nicht alles auf eure Art erledigen. Gebt mir nur etwas Zeit meinen eigenen Weg zu finden.“ ,, Ihr habt einen Kaiser verloren. Ich verspreche euch, ihr verliert keinen Zweiten, wenn es in unserer Macht steht.“ , fügte Tamyra hinzu. ,, Das ist beruhigend. Verzeiht ihr mir auch: Ich tue nur, was ich für das beste

halte.“ ,, Das tuen wir alle.“ , stimmte Kell ihm zu. Der General nickte und wendete sich zum gehen. ,, Seht nur zu, das ihr den Rückhalt des Adels nicht schneller verliert, als ihr ihn bekommen habt. Tamyra… Kommt, wir…“ ,, Eigentlich wollte ich sie bitten kurz zu bleiben.“ , warf Kellvian ein.,, Ich habe einen Auftrag für sie und einige Gardisten. Wenn es keine Umstände macht, versteht sich.“ Dagian blieb in der Tür stehen. ,, Auftrag ?“ ,, Ihr erfahrt es sobald Syle eintrifft. Er sollte eigentlich längst hier sein. Ich

werde zwei paar Augen brauchen, die für mich arbeiten.“

Kapitel 18 Auftrag


,,Ihr habt mich rufen lassen, Herr ?“ , fragte Syle. Wenn er überrascht war, neben Kellvian auch noch der Hochgeneral und Tamyra Lahn anwesend waren, so zeigte er es nicht. Kellvian musterte seinen alten Freund stumm, als er durch die Tür trat. Der Bär hatte sich mittlerweile eine passendere Garde-Uniform besorgt und trug wieder die typische, tiefblaue Kleidung der kaiserlichen Leibwache. Das Gewehr hatte er offenbar an der Tür abgeben müssen, wie Kell feststellte. Andererseits brauchte Syle auch sicher

keine Waffen um jemanden auszuschalten, wenn ihm danach war. ,, Das habe ich. Und auch Tamyra. Und auch wenn ich Dagian nicht herbestellt habe, ist es vielleicht ganz gut, wenn er weiß, was ich vorhabe. Ich sage es ganz einfach, ich traue Andre de Immerson nicht über den Weg. Noch mehr… ich bin davon überzeugt, dass der Mann mich noch mehr hasst als ihr, Dagian.“ ,, Herr, ich…“ ,, Schon gut. Wenn Lord Andre abreist, möchte ich, dass ihr ihm einige Tage später folgt. Ihr werdet nicht mit ihm reisen, dann wäre er vorgewarnt, bevor ihr Silberstedt erreicht.“ ,, Und was genau soll ich dort tuen ?“

Syle runzelte die Stirn. ,,Ihr denkt doch nicht darüber nach…“ Kellvian winkte sofort ab. ,, Ich will ihn nicht Tod sehen. Götter, er darf mich hassen, so viel er will, das werde ich ihm nicht verbieten. Aber ich brauche jemanden, der ein Auge auf ihn hat.“ ,, Und ihr dachtet an mich ? Verzeiht, Kellvian, aber… es gibt eine ganze Abteilung kaiserliche Agenten, die nur auf euer Wort warten.“ ,, Und ich bin mir sicher, das Lord Immerson jeden einzelnen davon kennt, bevor er die Tore Varas verlässt. Er weiß, das ich ihn nicht einfach ignorieren werde, nachdem er sich mehr als einmal offen gegen mich Gestellt

hat.“ ,, Das ist… seltsam Hinterlistig für euch.“ ,, Ich will nur sichergehen , das er erst gar nicht dazu kommt, Ärger zu machen. Nur, bis er sich etwas beruhigt hat.“ , rechtfertigte Kellvian sich. Aber Syle hatte Recht, das war untypisch für ihn. Untypisch, aber was sollte er sonst tun ? ,, Syle, ihr und Tamyra werdet nach Silberstedt aufbrechen. Ich weiß, das ich mich auf euch verlassen kann… und Tamyra… ihr könnt vielleicht einfach mit ihm zu reden. Versucht Andre de Immerson ein wenig zu besänftigen, bietet ihn von mir aus eigenmächtig kaiserlichen Besitz als weiteres Lehen

an. Hauptsache, das eskaliert nicht.“ ,, Das klingt wieder mehr nach euch, Herr.“ , meinte Syle. Kellvian nickte. Draußen begann es mittlerweile erneut zu Schneien. Dichte, nasse Flocken, die sich auf den Sandwegen im Garten niederschlugen und dort zu einer grauen, schlammähnlichen Masse wurden. Er sah dem Schnee einen Moment beim Fallen zu, bevor Kell einen Ring von seinem Finger zog. Er trug das kaiserliche Siegeln, den in Silber gehaltenen Adler und den goldenen Löwen. Ein Siegel, das den Träger als jemanden auszeichnete, der dem Kaiser nahe stand oder die Erlaubnis besaß, in

dessen Namen zu handeln. Kellvian drehte sich zu Tamyra um. ,, Nehmt das mit euch. Wenn ihr auf der Reise Schutz, Vorräte oder Ausrüstung braucht, sollte man euch geben, was auch immer ihr verlangt.“ Die Adjutantin nahm den Siegelring mit einem beinahe Ehrfürchtigen Ausdruck auf dem Gesicht entgegen. ,, Wenn ihr Andre so fürchtet… kann ich das durchaus übernehmen.“ , meinte Dagian. In seiner Stimme schwang Sorge mit, die beinahe an Panik grenzte. Kellvian seufzte kaum hörbar. Er tat dem Hochgeneral manchmal wirklich unrecht. Er war doch wirklich nur um ihn und um Canton in Sorge.

,, Es gibt keinen Grund für Diplomatie. Er ist niemals in der Lage sich alleine gegen euch zu stellen. Ich kann ihn jetzt gleich persönlich verhaften lassen. Und selbst wenn er entkommen würde…“ ,,Nein. Ich weiß was ihr davon haltet Dagian, aber wenn es eine Möglichkeit gibt, das ganze Unblutig zu beenden, will ich sie ergreifen.“ ,, Wie ihr meint aber…“ Der General warf einen Blick aus dem Fenster. ,, hr werdet mich sicher entschuldigen können. Es gibt Dinge, die meine Aufmerksamkeit verlangen, wenn eure Entscheidung steht.“ ,,Natürlich. Und richtet allen Gästen der Versammlung noch aus, das es mir leid

tut, das ich nicht länger geblieben bin. Es geht mir… nicht gut. Dagian sah verdutzt drein, wendete sich dann aber schlicht zum gehen. Syle und Tamyra blieben alleine mit Kellvian zurück. Der General wusste natürlich, das er ihn anlog, aber es gab Kellvian etwas Freiraum. Sicher würden auch Jiy, Zyle und die anderen ungern an die Universität zurückkehren. Und wie er Eden kannte, hatte diese sich mit der restlichen Crew der Windrufer, die sie begleitete, irgendwo eine Taverne gesucht. Das wäre was… Nur wenn er sie in der Stadt suchen ging, wurde er besser die Kleider los und suchte sich etwas

schlichteres. ,, Ach ?“ , fragte Syle, der ihn offenbar durchschaut hatte. ,, Sogar ganz schrecklich.“ , meinte Kellvian grinsend. Er konnte nicht aus seiner Haut. Und die war nach wie vor nicht die eines Kaisers. ,, Deshalb wäre es ratsam, wenn mich den nächsten Morgen niemand Besucht.“ Der Gejarn schüttelte den Kopf. ,, Verschwindet einfach nicht.“ , meinte er. ,, Oder noch besser, ich begleite euch.“ Kellvian lächelte. ,, Wenn das so ist, Tamyra ? Seid ihr auch dabei?“ Die Diplomatin hatte offenbar nach wie vor nicht verstanden, was vor sich ging.

,, Dabei womit ?“ Nachdem sie Melchior verabschiedet hatten, hatte es begonnen zu Schneien. Schwere, wässrige Körner, welche die Straßen Varas unter einer nasskalten, grauen Decke begruben. Vor allem, wenn man keine Schuhe trug, wurde das eisige Wasser auf den Wegen schnell unangenehm. Jiy folgte Zyle durch die nun zunehmend verlassener werdenden Straßen. Nicht nur sie hatten es bei diesem Wetter eilig, ins trockene zu kommen. Die meisten Bürger Varas verschwanden in den weiß getünchten Häusern der Stadt.

,,Ich werde mich nicht einmal mehr über euren Winter beschweren.“ , erklärte Zyle. ,, Das hier ist schlimmer als bloßer Schnee.“ ,, Sehen wir nur zu, das wir von der Gasse kommen.“ , erwiderte Jiy und lenkte ihre Schritte auf eine Reihe hell erleuchteter Fenster auf der anderen Straßenseite zu. Kerzen flackerten hinter dem Glas und erhellten einen voll besetzten Schankraum. Dutzende Menschen und einige Gejarn saßen an den Bänken, unterhielten sich, tranken oder warteten schlicht darauf, das das Wetter wieder aufklarte. Jiy lief rasch an der Gebäudefassade entlang, bis sie die

Eingangstür fand und zog die hölzerne Pforte auf. Warme Luft schlug ihr und Zyle entgegen, als sie eintraten. Ein großer, frei stehender Ofen brannte in der Mitte der Taverne. Die Gejarn strich sich di Kapuze aus dem Gesicht . Zyle tat es ihr gleich und sah sich ebenfalls langsam nach einem freien Platz um. Das leise murmeln, das den ganzen Raum erfüllte, kannte natürlich nur ein Thema, wie sie rasch feststellte. Der neue Kaiser und die Entscheidung der Adelsversammlung. Jiy lächelte versonnen. Daran würde sie sich wohl auch gewöhnen müssen. Geister, würden diese Leute sich umsehen,

wenn irgendwann herauskam das sie… ja was eigentlich? Kellvian und sie waren nach wie vor nichts Offizielles. Auch wenn weder sie noch Kell ein Geheimnis daraus machten. So oder so, ihr Leben würde nicht einfacher werden, dachte sie. Aber sie würde jetzt auch schwerlich noch davor zurück schrecken. Jiy erhaschte einen Blick auf einen roten Mantel, der ihr schon mehr als nur Bekannt vorkam, während sie sich weiter durch die Reihen von Tischen und Bänken zwängten. Und schließlich gab es auch keinen Zweifel mehr. Zusammen mit Cyrus, Zachary und Erik , saß Eden an einem Tisch in einer Ecke des

Gasthauses. ,, Wenn das mal kein Zufall ist.“ , meinte die Kapitänin , welche die beiden Gejarn ebenfalls entdeckt hatte. ,, Sonnenschein und das Lieblingsspielzeug unsers neuen Herren.“ Offenbar war Eden nicht mehr ganz nüchtern und der kleine Stapel Krüge vor ihr, trug das deutlich zur Schau. Jiy rief irgendetwas zurück, das Zyle nicht Verstand. Offenbar Clansprache und noch dazu, zeigte es offenbar Wirkung. Eden verging das Lachen schlagartig. Hätte die Kapitänin rot werden können, sie hätte es vermutlich getan und Cyrus sah einen Augenblick nur verwirrt zwischen Eden und Jiy hin

und her. ,,War ja nur Spaß….“ , murmelte sie schließlich und fügte mit einem bösen Blick in Richtung des Schiffsarztes hinzu : ,, Und ihr vergesst das ganz schnell wieder.“ Sie griff nach einem weiteren Krug, der offenbar noch halb voll Met war. Erik grinste, offenbar hatte er Verstanden, was die Gejarn gesagt hatte. ,, Könnte mir jemand bitte mal mitteilen, um was es hier grade geht ?“ , fragte Zyle. Der Arzt flüsterte Zachary irgendetwas ins Ohr und der Junge grinste plötzlich ebenfalls. ,, Ich habs gewusst. Ich habs gewusst

Eden.“ Zyle gab auf. ,, Eigentlich wollten wir hier nur Warten, bis es aufhört zu schneien.“ , erklärte er, während sie sich zwei leere Stühle suchten und sich zu der kleinen Gruppe setzten. ,, Und ich hoffe, ihr habt noch Plätze frei ?“ , wollte eine weitere, neue Stimme wissen. Jiy drehte sich um und entdeckte Kellvian, der grade zur Tür hereinkam. ,, Hat eine Weile gedauert euch zu finden.“ Ein schlichter brauner Mantel fiel dem Mann über die Schultern und verbarg den weißen Umhang und die feineren Stoffe, die Kellvian zur Versammlung getragen hatte. Dazu hatte er den Zopf

in seinen Haaren gelöst, die ihn so lose über die Ohren fielen. Ihm folgte wiederum eine weitere Gestalt, die mit dem Kopf fast an die Decke des Raums stieß. Syle blickte unsicher umher. Auch der Gardist hatte die typische Kleidung seines Standes unter einem grauen Mantel verborgen. Und hinter Syle tauchte ein Rotschopf auf, die neben dem riesigen Gejarn wirklich Zwergenhaft wirkte. ,, Ihr müsst jede verdammte Taverne in Vara abgesucht haben um uns aufzuspüren.“ , meinte Erik lachend, als der frischgebackene Kaiser sich zu ihnen setzte , nicht jedoch, ohne vorher dafür zu Sorgen, das Syle sich ebenfalls einen

Stuhl nahm. Der Gejarn hatte schon Anstalten gemacht, am Rand der Versammlung stehen zu bleiben, bis Kellvian ihm das ausredete ,, Nichts da.“ , meinte er. ,, Ihr seid heute nicht mein Leibwächter, sondern mein Gast. Und ihr auch Tamyra. Eigentlich war es recht einfach euch zu finden.“ ,, Wie das ?“ , wollte Zachary wissen. Der Blick des jungen Magiers jedoch schien zu verraten, das er die Antwort schon kannte. ,, Jiy, du hast noch den Kristallsplitter, den ich dir gegeben hatte. Ich bin normalerweise nicht gut darin, magischen Spuren zu folgen, aber den

erkenne ich.“ ,, Ich weiß nicht ob mir die Vorstellung gefällt, das du immer weißt wo ich bin.“ , bemerkte die Gejarn und zog die feingliedrige Silberkette hervor, in die der grüne Edelstein eingelassen war. Kellvian lachte. ,, Keine Sorge. Ich hab heute ohnehin das erste Mal gezielt danach gesucht. Und ich werde es nicht wiederholen wenn du das nicht willst. Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn ständig jemand meint ein Auge auf einen haben zu müssen.“ ,, Dagian ?“ , fragte Jiy. ,, Der Mann wird meinetwegen noch mal Paranoid. Wobei, wie ich die Sache sehe, ist er das

schon.“ ,, Ihr habt gesagt, Kellvian hätte ohnehin keine Chance.“ Dagian ließ Andres Zorn Wortlos über sich ergehen. Sollte sich der ältliche Adelige eben weiter aufregen, es änderte wenig an dem, was nun einmal geschehen war. Nach dem er von Kellvians Plänen erfahren hatte, hatte er dem Herrn von Silberstedt einfach Bericht erstatten müssen. Der neue Kaiser handelte plötzlich überraschend weitsichtig. Entweder war das wirklich nur Zufall… oder Kell ahnte etwas. ,, Ich sagte, er hätte so gut wie keine Chance. „ , verteidigte der General sich.

,,Woher hätte ich den ahnen sollen, dass sich Clans und Orden auf seine Seite schlagen? Und wichtiger, wie hättet ihr das verhindern wollen?“ ,, Ich hätte schon meine Wege gehabt.“ , erklärte der Herr von Silberstedt verdrossen. Sie befanden sich in einer der gehobenen Herbergen Varas, die im Augenblick von dutzenden von Adeligen und Würdenträgern aus ganz Canton besetzt wurden. Andre hatte ein Zimmer im Dachgeschoss bezogen, durch dessen Fenster man fast über ganz Vara hinweg blicken konnte. Die Einrichtung war entsprechend Nobel gehalten. Schwere Nussholz-Möbel,

einige Bücherregale mit klassischen Werken und ein Bett, das ohne Schwierigkeiten für fünf Personen hätte herhalten können. Andre saß an einem niedrigen Kaffeetisch und hatte den Kopf in die Hände gestützt. ,, Dieser Mann hat mir verweigert, was mir gehören sollte, er hat zugelassen das eine… Kriminelle mich fast getötet hätte…. Schlimmer, er hält selbst meine eigenen Sohn von mir fern.“ ,, Was letzteres angeht, so hat er ihm doch die Wahl gelassen, oder ?“ Der General würde Kellvian sicher nicht in Schutz nehmen, aber die blinde Wut des Fürsten schoss definitiv über ihr Ziel

hinaus. ,, Das hat er aber nicht zu entscheiden, Kellvian hin oder her. Er nimmt die Gejarn in Schutz, die meine Frau umgebracht und mein letztes Überlebendes Kind entführt hat. Glaubt ihr, ich lasse mir das bieten?“ ,, Entweder, Lord, ihr beruhigt euch jetzt und wir sehen, wie wir das beste aus diesem Irrsinn machen… oder ich werde ernsthaft Überlegen, ob Kellvian nicht doch die bessere Wahl wäre. Im Vergleich zu euch.“ Es war an der Zeit klarzustellen, wer hier letztlich in wessen Hand war. ,, Ein Wort von mir und ihr baumelt am Galgen, bevor die Sonne wieder

aufgeht.“ Andre de Immerson seufzte. ,, Ich habe die… Möglichkeit Truppen in die Herzlande zu verlegen. Dann könnten wir Kellvian absetzten, bevor die Garde überhaupt Zeit hat, zu reagieren.“ ,, Mit eurer kleinen Privatarmee ?“ , fragte Dagian skeptisch. ,, Die Garde wird mir nicht gehorchen, wenn ich einfach befehle, den Kaiser im Stich zu lassen. Kellvian hätte nach wie vor den letztendlichen Oberbefehl. Und er hat den Orden auf seiner Seite. ,, Ich habe durchaus Methoden, schnell mehr Männer zu bekommen. Und wenn wir gegen ihn vorgehen werde ich die anderen Fürsten… schon überzeugen.

Alle, die sich enthalten ahben und auch die, die für ihn gestimmt haben, könnten sich auf unsere Seite schlagen. Wenn sie von unserem Sieg überzeugt währen.“ ,, Ihr redet davon einen Haufen Feiglinge für euch zu gewinnen und eine ganze Armee innerhalb von Tagen von Silberstedt und der Provinz Immerson in die Herzlande zu bringen, wo eine Einzelperson schon Wochen braucht…. Wie wollt ihr das anstellen?“ ,, Lasst das ganz meine Sorge sein.“ ,, Wir können ihn nicht mit Gewalt absetzen, ich sage es noch einmal.“ , erklärte Dagian. ,, So ungern ich das zugeben, aber wenn wir Kellvian offen töten, seit ihr nichts weiter, als ein

Usurpator. ,, Und was wenn Kellvian einfach… Verschwände ? Wenn das Land im Chaos liegt… und in diesem Moment zufällig ich da wäre um die Ordnung wieder herzustellen.“ ,, Mit einer Streitmacht, der die anderen Fürsten nichts entgegenzusetzen hätten… und der Garde unter meiner Kontrolle meint ihr ?“ ,,Mit einer Armee, die schneller vor Ort sein kann, als jede andere, die ihr je gesehen habt.“ , ergänzte Andre. ,, Ihr habt mir nach wie vor nicht erklärt, wie ihr das anstellen wollt. Und wie glaubt ihr sollte Kellvian einfach…

verschwinden?“ ,, Nun, es wird sich eine Gelegenheit finden, oder nicht ?“ Der Lord zuckte mit den Schultern. ,, Früher oder später. Wir haben Zeit. Je länger Kellvian an der Macht ist… desto weniger werden ihn die unentschiedenen Adeligen oder die die nur aus Angst vor dem Orden handelten noch unterstützen.“ ,, So wie ihr sprecht, könnte man meinen, das wäre ganz einfach, Aber ihr vergesst, das Kellvian bereits Lunte gerochen hat. Zwei Botschafter, darunter einen Gejarn und meine eigene Adjutantin.“ ,, Und ich kann keine Armee versteckt

halten.“ ,, Also dürfen sie Silberstedt nie erreichen… „ , bemerkte Dagian. ,,Und das werden sie nicht, nehme ich an?“ Der Gedanke , das neben einem Gardisten auch Tamyra sterben würde war… betrübend. Aber er konnte auch unmöglich Kellvians eigene Befehle aufheben. ,,Nein.“ ,, Ich verst…“ Dagian verstummte mitten im Satz, als die Tür des Raums aufflog. Einen kurzen Moment rechnete der General fest damit, dass sie jemand entlarvt hatte oder Kellvian sich doch entschieden hatte, das Problem direkt zu lösen. Aber nichts geschah. Nur die

Zimmertür schwang leise in ihren Angeln hin und her. ,, Wird wohl… der Wind gewesen sein.“ , meinte Andre, dem auch anzumerken war, das er sich erschreckt hatte. ,, Wenn ich rausfinde, wer auf dem Gang die Fenster offen gelassen hat…“

Kapitel 19 Eine Träne


Kiara Vanir hatte genug gehört. Und was sie mitbekommen hatte, war äußerst interessant. Die oberste Zauberin hatte gewusst, dass es eine gute Idee gewesen war, dem Lord eine Weile zu folgen. Eigentlich wollte Kiara nur sicherstellen, das er nichts alles ruinierte. Kellvian hatte ihre Hoffnungen erfüllt. Zumindest nach außen schien er dem Orden keine Vorwürfe zu machen und damit war er genau, was sie grade brauchten. Es war einfach gewesen, Andre zu verfolgen. Zwar hatte er ein

paar Leibwächter vor dem Gasthaus stationiert, aber da sich keine Magier darunter befanden, hatte sie niemand aufspüren können. Tarnzauber funktionierten praktisch nur bei normalen Menschen. Jeder, der auch nur eine Spur magische Begabung besaß, wäre in der Lage, das dünne Netzt aus Magie zu durchschauen. So jedoch, war Kiara bis in die Quartiere des Herrn von Silberstedt gelangt. Und als dann auch noch Dagian aufgetaucht war, war klar, dass hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging. Stellte sich nur noch die Frage, was sie mit diesem Wissen anstellen sollte, dachte sie, als sie aus dem Raum trat.

Die beiden Männer dachten offenbar, dass der Wind dafür verantwortlich war, als die Tür plötzlich aufschwang. Und warum auch nicht. Kiara Vanir wurde erst wieder sichtbar, als sie bereits ein gutes Stück den Flur hinab war. Licht fiel durch zwei Fenster an den Enden des Gangs und weitere Zimmertüren zweigten nach links und rechts ab. Für den Moment jedoch, wollte die Zauberin nur noch nach draußen. Blieb die Frage, was sie als nächstes tun sollte. Sie könnte Kellvian über den Verrat seines Hochgenerals informieren, aber… Der junge Kaiser vertraute ihr nach wie vor nicht richtig. Und vermutlich war das nicht einmal unvernünftig von ihm,

dachte Kiara. Wo hatte sie sich hier nur reinziehen lassen, als sie vor ein paar Monaten auf Tyrus Aufzeichnungen gestoßen war? Und mehr als nur dessen Aufzeichnungen, dachte Kiara. Offenbar hatte der alte Ordensmagier sich auf das schlimmste vorbereitet. Sie zog einen kleinen, schwarzen Stein aus der Tasche. Wenn er es geschafft hatte, ein derartiges Artefakt wieder zu finden, musste er wirklich Verzweifelt gewesen sein. Nur warum hatte er es nie benutzt? So oder so… Sie hatte für den Augenblick andere Probleme. Mit ihren Vorwürfen konfrontiert, würde Dagian Einher sicher alles abstreiten und Kellvian hätte keinen Grund, ihr mehr zu

vertrauen, als dem Mann, der seinen Vater bis zu dessen Tod treu gedient hatte. Schlimmer noch, wenn er ihr nicht glaubte, warf das wieder ein schlechtes Licht auf den Orden. Sie konnte keine Risiken mehr eingehen. Das Ansehen der Zauberer hatte genug gelitten und Kiara würde Jahre brauchen um es wieder her zu stellen. Kellvian müsste es von jemand erfahren, dem er vertraute. Andres und Dagians Pläne müssten ans Licht kommen. Und das hieß… Sie müsste die Boten schützen, von denen der General gesprochen hatte. Kiara hatte die Adjutantin des Generals nach der Versammlung gesehen. Die Frau war schwer zu übersehen und es wäre sicher

einfach, ihr zu Folgen, sobald sie die Stadt verließ. Rasch lief die Magierin die Treppe hinab, die aus dem oberen Stockwerk des Gasthauses in einen kleinen Schankraum führte. Da wenige Adelige fast alles Zimmer besetzt hielten und die Wachen der meisten davon vor der Tür posten bezogen hatten, war es fast menschenleer. Die wenigen Gäste trugen die typische, bunte Kleidung der Oberschicht und schienen sich auch nicht sonderlich für die einzelne Magierin zu interessieren, die aus der Tür trat. Auch die Wachen vor dem Eingang schenkten ihr wenig Beachtung. Stattdessen waren die in den jeweiligen Farben ihrer

Häuser gekleideten Männer mehr darauf bedacht, einander nicht aus den Augen zu lassen. So viele Familien an einem Ort zusammen zu bringen ließ sicher die eine oder andere alte Rivalität wieder aufflackern. Die Delegation des Ordens, die im Gegensatz zu dem Prunk der Adelshäuser nur aus ihr, Quinn und einer Handvoll hochrangiger Zauberer bestand, hatte sich in einer anderen Gaststätte weiter die Straße hinunter niedergelassen. Mittlerweile hatte es Angefangen zu schneien und die Straßen Varas wurden zunehmend leerer. Kiara konzentrierte sich kurz und schuf einen kleinen Schild, der den schlimmsten Schnee

abhalten würde. Manche würden eine derart leichtfertige Anwendung von Magie verurteilen. Aber Götter… sie war alt genug um sich etwas Leichtfertigkeit leisten zu können. Anders als bei den meisten Magiern stammten ihre grauen Haare nicht vom übermäßigen gebrauch ihrer Gabe. Zauberei war in erster Linie nun einmal ein Werkzeug und im Augenblick musste sie sich nicht vor den schädlichen Nebenwirkungen fürchten. Sie verfügte dank Tyrus Erbe über mehr Macht, als sie jemals nutzen könnte. Allerdings… war es wohl an der Zeit, dafür zu Sorgen, das das in andere Hände kam. Es war Gefährlich längere Zeit mit so einer Macht zu hantieren,

selbst die mächtigsten Magier wurden irgendwann schlicht korrumpiert oder fingen an, sich maßlos zu Überschätzen, was nur in ihrem Tod enden konnte. Nur… der einzige Mann, dem sie den Stein anvertrauen könnte war so schon gefährlich genug. Nicht für sie, aber definitiv für andere. Und grade deshalb vielleicht Ideal. Sie könnte Quinn eine Chance geben. Ewig konnte sie den machthungrigen Großmagier nicht im Auge behalten und es gab deutlich mehr wie ihn in den Reihen des Sanguis-Ordens. Säuberung, huschte es durch ihre Gedanken, ohne das Kiara etwas dagegen tun konnte. Nichts würde sie daran hindern, einfach alle zu

beseitigen, die ihrem neuen Kurs nicht folgten… Sie schüttelte den Kopf. Das war keine Lösung, damit würde sie nur erreichen, dass der Orden noch mehr zersplitterte, als ohnehin schon. Und sie würde einen Kurs einschlagen, den sie nie gewollt hatte. Es hatte seine Gründe, warum sie sich Jahrelang von den anderen Isoliert hatte. Wenn es doch so einfach wäre… Kiara erreichte das Gasthaus, in dem sich der Orden eingemietet hatte und trat durch die Vordertür. Die Kälte blieb hinter ihr zurück, sobald sie den Raum betrat und die Magierin ließ den Schildzauber um sich zerfallen. Wie schon in den Gasthäusern die der Adel in

Beschlag genommen hatte, war der Schankraum bis auf einige Mutige verlassen. Hier nicht weil die Türen von Bewaffneten Besetzt waren. Sondern durch Angst leergefegt. Die meisten Menschen Cantons standen den Magiern misstrauisch gegenüber und die Zerstörung der fliegenden Stadt hatte nicht dazu beigetragen, dass sich das änderte. Eher im Gegenteil. Viele hatten wohl erwartet, das Kellvian den Orden endgültig auflösen würde, statt Frieden mit ihm zu schließen. Und jemand anderes als der junge Kaiser hätte das vielleicht auch getan, dachte Kiara. Nur der seltsame Friedenswille des Mannes hatte sie gerettet. Es würde einiges

brauchen, sich wirklich dauerhaft Kellvians Zorn zuzuziehen. Und Kiara hätte Mitleid mit jedem, den dieses Kunststück gelang. Doch auch das würde ihn wohl nicht vor seinem letztendlichen Schicksal bewahren können. Irgendwann würde es der Orden sein, der einen Wahnsinnigen und von seiner zweiten Seele zerfressenen Kellvian Belfare töten oder einsperren musste. Rasch sah sie sich in der Taverne um und entdeckte Quinn. Der Mann saß, umgeben von einigen weiteren Magiern, an einem Klavier und spielte eine leise Melodie. Manche der Robenträger unterhielten sich gedämpft, andere hatten sich auf den Polstern mehrerer

Stühle niedergelassen. Nur Quinn starrte scheinbar ins nichts und grübelte über seine eigenen Gedanken nach, während sein Finger über die Tasten wanderten. ,, Wir müssen reden.“ , erklärte sie und gab dem Mann ein Zeichen ihr zu folgen. Sie konnte das kurze Aufflackern von Unwillen und unterdrückter Wut in den Augen des jungen Zauberers aufflackern sehen. Allerdings gefolgt von einem resignierten Schulterzucken. Kiara setzte sich an einen unbesetzten Tisch in Fensternähe und wartete, bis sich der Großmagier ihr gegenüber niedergelassen hatte. ,, Reicht es euch nicht, mich mit hierher zu schleifen ? Wollt ihr gerne, dass ich

meine Niederlage noch öffentlich bekannt gebe, ja ?“ Es lag kein Spott mehr in Quinns Stimme, nur unendliche Verbitterung. ,, Glaubt ihr wirklich, ihr hättet den Titel des Obersten Zauberers mehr verdient als ich ?“ , fragte Kiara. Sie brauchte Quinn für ihren nächsten Schritt. Und noch mehr, so sehr sie unterschiedlicher Auffassung waren, was das Schicksal des Ordens anging… Sie wollte nicht den ewigen Groll des Mannes auf sich ziehen. Vielleicht war Kellvian ja nicht der einzige, der den Frieden suchte. ,, Die Antwort kennt ihr.“ , erklärte er

ungehalten. Sie nickte und zog den kleinen, schwarzen Kristall aus ihrer Tasche. Kiara ließ das Juwel auf den Tisch vor ihr fallen. Der Edelstein kullerte über das Holz, bevor er schließlich in einer Lücke zwischen den Brettern hängen blieb und zur Ruhe kam. Die Oberfläche des Kristalls schien das Licht im Raum einfach zu verschlucken. Dunkel, wie Obsidian, war die Oberfläche nur an einer einzigen Stelle unterbrochen. In goldener Farbe hob sich ein stilisiertes, in Gold gehaltenes Auge aus dem Kristall. ,, Verflucht.“ Quinn sprang von seinem Platz auf, sobald er den Stein als das

erkannte, was er war. ,, Woher habt ihr das ? Und hattet ihr es auch schon in der Ordensfestung? Dann…“ ,, Ihr hattet nie eine Chance gegen mich Quinn.“ , erklärte Kiara. ,,Wäre es mir in den Sinn gekommen, ich hätte euch vor aller Augen in der Luft zerrissen.“ ,, Wie kommt ihr an eine der Tränen ? Ich dachte Simon hätte sie einst alle verloren oder versteckt.“ ,, Das könnte Tyrus vielleicht erklären, wenn er noch Leben würde. Alles was ich weiß, ist das diese hier Leerenstein genannt wird.“ , antwortete die Magierin. ,, Was für den Moment wichtig ist, ist, das ihr ihn an euch

nehmt.“ Quinn sah sie ungläubig an. ,, Seid ihr vollkommen irre ? Altersschwach ? Oder habt ihr einfach nur einen Todeswunsch? Der Magier streckte die Hand nach dem Juwel aus. ,, Falls ihr wirklich darüber nachdenken solltet, mich zu töten, sollte euch klar sein, das ich damit gerechnet habe. Sicher, das ihr das riskieren wollt ?“ ,, Ihr blufft.“ , erklärte ihr gegenüber lediglich, als er das Juwel an sich nahm. ,,Ohne den Stein seid ihr schutzlos.“ ,, Es ist mir egal, was ihr glaubt. Worauf es ankommt ist, das ich euch eine Chance gebe euch zu Beweisen. Tut was ich verlange… gut. Tut es nicht…

und kriecht von mir aus für den Rest eurer Tage im Dreck, den ihr werdet unter den Magiern keinen Rückhalt mehr finden, solange ich lebe.“ ,,Ihr seid völlig Verrückt.“ , erklärte ihr gegenüber nur. ,, Also gut… was soll ich mit der Träne anfangen ?“ ,, Ihr werdet jemanden für mich verfolgen. Und schützen wenn nötig. Solltet ihr es schaffen, bin ich bereit über all eure… Verfehlungen hinweg zu sehen. Ihr bekommt euren Rang und euren Platz i Orden zurück.“ Quinn schüttelte den Kopf. ,, Denkt nicht, das ich den Aufpasser für Kellvian spiele.“ ,, Darum geht es auch nicht. In den

nächsten Tagen wird die Adjutantin des Hochgenerals die Stadt verlassen. Vermutlich irgendwann nach der Krönungszeremonie. Wenn das geschieht wird sie auch nicht alleine sein. Vermutlich mindestens ein weiterer Gardist wird bei ihr sein, wenn nicht mehr. Es ist wichtig, dass sie ihr Ziel in Silberstedt erreichen. Lebend. Und dann so schnell wie möglich hierher zurückkehren um zu berichten, was sie dort vorfinden. Ebenfalls Lebend.“ Quinn kniff misstrauisch die Augen zusammen. ,,Und ihr wisst bereits, was dort ist… oder ?“ ,, Etwas, von dem Kellvian wissen muss. Aber er wird mir kaum Glauben, wenn

ich ihm sage, dass ihn einer seiner nächsten Gefährten verraten will. Er muss es von seinen Boten hören. Dann hat er nicht nur keine andere Wahl, als mir zuzuhören, sondern er wird es vor allem auch glauben.“ ,,Und warum verratet ihr mir nicht, von was genau wir hier sprechen ? Wenn ich diese Boten von denen ihr sprecht lebend an ihr Ziel begleiten soll wäre es nicht verkehrt wenn ich weiß, worauf ich mich einlasse.“ ,,Nein. Verzeiht Quinn, aber was ihr nicht wisst… könnt ihr auch nicht verraten.“ ,, Nur um das noch einmal klar zu stellen… Ihr wollt, das ich zwei

Personen folge, die aus irgendeinem Grund in Gefahr sind, damit diese eine Information zu Kellvian bringe können, die ihr längst kennt?“ ,, Der Kaiser wird nach allem was geschehen ist, keinem Magier glauben. Davon bin ich überzeugt. Nicht wenn unser Wort gegen das von jemand anderen steht.“ ,,Schön… schön, ich werde es tun. Aber ihr wisst besser wirklich, was ihr tut. Und ihr haltet euer Versprechen?“ ,, Solange ihr vernünftig bleibt, Quinn. Und stellt nichts Dummes mit diesem Stein an , ja ?“ , meinte Kiara plötzlich beinahe fürsorglich. ,, Das bisschen schwarze Magie, das ihr beherrscht ist

lächerlich im Vergleich zu dem, was eine Träne anrichten kann. Benutzt sie nur, wenn ihr müsst.“

Kapitel 20 Krönung


Der Winter ging langsam endgültig zu Ende. Auch wenn sich nach wie vor hartnäckige Schneefelder auf den Wiesen um die Stadt hielten, so schmolzen diese nun zunehmend und es zeigten sich nur vereinzelte Wolken am blau schimmernden Himmel. Die Menschen trauten sich wieder häufiger und länger auf die Straßen und in einigen, vereinezelten Winkeln ragten bereits die ersten grünen Halme aus dem verbliebenen Weiß. Die Wasserströme in den Straßen Varas traten teilweise über ihre künstlichen Ufer, während sich das

Schmelzwasser in ihnen sammelte, sehr zum Ärger der tiefer liegenden Stadtteile, wo mehr als ein Keller oder Lagerraum mit Wasser voll lief. Auf den öffentlichen Plätzen und Märkten erschienen wieder die ersten reisenden Händler, die sich während der kalten Jahreszeit meist in Richtung der wärmeren Küsten zurück zogen. Und vielerorts bestimmten nach wie vor die Ereignisse während der Versammlung die Gespräche in den Tavernen und Gasthäusern. Die letztendliche Krönung Kellvians sollte ebenfalls in Vara stattfinden. Keine Woche nach dem Urteil der Adelsversammlung, hatten sich die

Adeligen Cantons erneut in einem der großen Säle der Universität versammelt. Der gesamte Raum war für die Zeremonie leer geräumt worden. Flaggen mit den Bannern der Adelshäuser und dem Doppelwappen des Kaiserreichs hingen von einer großen, die Halle umlaufenden Galerie hinab. Licht fiel durch eine Reihe geöffneter Deckfenster. Die Balken aus Sonnenstrahlen brachen sich auf dem polierten Marmorboden und verliehen der ganzen Versammlung etwas Ehrwürdiges, obwohl die Krönung durch die Zerstörung der fliegenden Stadt und des Verlustes der meisten Kronjuwelen eher provisorisch war. Statt des Bernsteinthrons, der nun irgendwo auf

dem Meeresrund ruhte, gab es einen vergoldeten und mit Schnitzereien verzierten Stuhl. Statt der goldenen Hallen, eine eilig hergerichtete Halle… Aber Kellvian störte es nicht. Er konnte die Blicke und das unruhige Gemurmel der Adeligen spüren wie hören. Das sei kein Zustand, oder sogar eine Zumutung, aber Kell hatte die Bedenken aller zerstreut. Es war letztendlich nur ein Symbol, dachte er. Ein Symbol und endgültig der letzte Schritt, nach dem es für ihn kein zurück mehr gab. Anders als bei der Versammlung des Adels war dieses Mal jeder zugelassen, der in dem weitläufigen Saal Platz fand. Eine Abteilung von Gardisten sicherte die

Zeremonie und achtete darauf, dass Bürger wie Adelige einen gebührenden Abstand einhielten. Die blauen Uniformen mit den Goldknöpfen, die die Elite des Kaiserreichs auszeichnete, war meist schon genug, das sich die Leute von ihnen fern hielten. Nur einigen wenigen war es erlaubt, parallel zum Kaiser zu stehen und alles aus nächster Nähe zu verfolgen. Kellvian kniete auf dem Boden vor dem improvisierten Thron. Ein roter, mit Goldfäden durchwebter Mantel fiel ihm über die Schultern. Ein weißes Hemd, Hosen und Stiefel in der gleichen Farbe bildeten einen Kontrast zum Umhang und an seiner Hüfte schimmerte ein

vergoldeter Dolch. Neben ihm stand Kiara Vanir, die oberste Magier des Sanguis-Ordens. Es war seit jeher die Aufgabe der Zauberer gewesen, den Kaisern Cantons Krone und Amt zu übergeben. Und auch wenn Kellvian nicht ganz wohl dabei war, mit ein paar Traditionen wollte er nicht brechen. Das wäre den Ärger schlicht nicht Wert. Die Krone des Kaiserreichs war eines der wenigen Dinge, die nicht mit der fliegenden Stadt untergegangen waren. Das Goldband mit dem einen, darin eingelassenen Edelstein war vielleicht älter, als das Kaiserreich selbst und war wohl schon mit den Nomadenstämmen des Nordens nach

Canton gelangt. Obwohl es leicht wirkte, war das Metall überraschend schwer, als die Magierin ihm das Band schließlich auf den Kopf setzte. ,,Schwört ihr das Volk Cantons und dieses Reichs zu schützen, seinen Adel zu respektieren, die althergebrachten Gesetze zu achten und im Sinn eurer Ahnen zu herrschen ?“ ,,Ich schwöre.“ Es waren leere Worte, wie er wusste. Und vermutlich auch die meisten Anwesenden. Sicher, die Kaiser suchten selten den offenen Konflikt mit dem Adel, aber… Es würde sich einiges ändern müssen, dachte Kell. ,, Dann Erhebt euch Kellvian Belfare. Kaiser

Cantons.“ Kellvian lächelte schwach, als er aufstand und sich zu den Versammelten Adeligen und Bürgern der Stadt umdrehte. In der Menge konnte er Zyle, Jiy, Eden und die anderen erkennen. Einige der Anwesenden klatschten, einige Jubelten auch oder riefen über die Menge hinweg. Aber Kell entdeckte mehr als ein Gesicht, das lediglich mit erstarrter Mine zusah. Noch wussten die meisten natürlich nicht, was sie von ihrem neuen Kaiser halten sollten. Und Kellvian konnte es egal sein. Er gab den wachhabenden Gardisten lediglich ein Zeichen, die Leute durch zu lassen. Einige Adelige wollten noch mit ihm

reden oder nach wie vor über ihre Position im Kaiserreich diskutieren, Kellvian wehrte sie jedoch alle mit ein paar kurzen Sätzen und kopfschüttelnd ab. Götter, er hatte langsam genug davon, sich mit dem Oberschicht Cantons herum zu schlagen. Er würde Jiy und die anderen suchen, noch ein paar Minuten hier bleiben… und dann zusehen, dass er verschwand. Es gab… Arbeit, dachte er. Und davon nicht zu wenig. ,, Viele sind der Meinung, dieser Tag heute sei nicht… angemessen.“ , meinte eine Stimme neben ihm amüsiert. Kellvian hielt inne und drehte sich zu dem Sprecher um. Fenisin ,

derGejarn-Älteste, stand mit einer Gruppe weiterer Clanangehöriger zusammen. Der graue Wolf lächelte freundlich. ,, Ich teile diese bedenken nicht. Die fliegende Stadt ist Geschichte und ob sie jemals wieder errichtet werden kann ist unsicher. Ich zumindest bin sogar dafür, dass man sie auf dem Meeresgrund ruhen lassen sollte. Dass wir uns heute hier in Vara und nicht in der alten Kaiserstadt versammeln müssen, soll uns alle daran erinnern, was passiert, wenn wir zulassen, dass jemand einen Keil zwischen uns treibt.“ Kell nickte. ,, Ich hätte es schwer besser sagen können.“ ,, Ich muss sagen vor ein paar Tagen

war ich noch… sehr skeptisch, was eure Erfolgsaussichten angeht. Aber ihr habt es tatsächlich geschafft.“ ,, Es ist erst der Anfang.“ , antwortete Kellvian entschlossen. Jetzt wo er Kaiser war… würde er seine Macht auch nutzen. Es gab genug, das ihm ein Dorn im Auge war. ,, Es gibt so viel zu tun, ich bin mir nicht einmal sicher, wo ich Anfangen soll. Vielleicht damit, das ich die gesamte Gesetzgebung zur Sklaverei anfechte, sobald die Dinge etwas ruhiger werden. Ich denke, die Clans werden das schon einmal begrüßen?“ ,, Und jeder Mensch, dessen verschwinden nicht auffällt.“ , meinte Fenisin. ,, Das werden sich aber nicht

alle Adeligen gefallen lassen.“ ,, Nein. Vielleicht kann ich sie überzeugen, wenn ich anbiete, all, die sich noch in Gefangenschaft befinden, aus den kaiserlichen Schatzkammern frei zu kaufen.“ Es war ein Problem, eines von vielen. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, wusste Kellvian nicht, ob er es schaffen würde. Aber es wäre den Versuch schon wert, dachte er. Der Wolf grinste verschlagen. ,, Wenn eure menschlichen Fürsten eine Sprache verstehen, dann die des Goldes, oder ? Ich werde euch unterstützen, so weit es in meiner Macht steht. Soviel schulde ich euch noch.“ ,, Dafür danke ich euch schon einmal.

Wenn wir…“ Kell kam nicht dazu, den Satz zu beenden. ,, Kellvian.“ Hinter ihm tauchten grade Zyle und Jiy aus der Menge auf und gesellten sich zu ihnen. ,, Du bist schwer zu finden.“ , meinte die Gejarn, bevor sie ihm einen kurzen Kuss auf die Wange drückte. ,, Vielleicht solltest du besser mir beibringen wie man Magie verfolgt.“ Jiy trug nicht mehr ihre schwere Winterkleidung, sondern einen leichten, braunen Umhang, mit silberner Fibel, die den Stoff zusammen hielt. Darunter zeichnete sich ihre gewohnt graue Kleidung ab, nur den Rock hatte sie gegen in paar Hosen

getauscht. ,, Ich glaube das wird schwierig.“ , lachte Kell. ,, Ich hab selbst keine Ahnung, wie ich das anstelle.“ ,,Ich nehme an, auch die letzten Clans haben mittlerweile die Waffen nieder gelegt?“ , wollte Jiy wissen, als sie Fenisin bemerkte. ,, Es gibt noch ein paar wenige, die störrisch sind, aber sobald sie sehen, das sie kaum noch Verbündete haben, werden wohl auch die Vernünftig werden.“ , erklärte ihm der Älteste. Das war gut, dachte Kellvian. Dann gehörte zumindest dieses Problem endgültig der Vergangenheit an. ,,Früher hätte ich über die Idee einer

politischen Lösung vielleicht gespottet.“ , bemerkte Zyle. Auch er trug leichtere Kleidung. Ein weinrotes Hemd, das ihm einstmals der Patrizier Varas angefertigt hatte und natürlich seine übliche Bewaffnung. Kellvian hatte der Garde zwar Anweisung erteilt, den Gejarn nicht mehr deshalb aufzuhalten, aber die nervösen Blicke der Soldaten und Gäste zog er damit definitiv auf sich. ,, Aber es scheint tatsächlich zu funktionieren. „, fuhr er fort. ,,Was meint ihr Kellvian… ob so etwas zwischen Canton und Laos möglich wäre ? ,, An mir soll es nicht scheitern. Bleibt die Frage, was eure Archonten dazu zu sagen

haben.“ ,,Vermutlich versenken sie den ersten der so etwas Vorschlägt mit Bleigewichten an den Füßen im Hafenbecken von Helike.“ ,, Ich sehe schon, die fünf will ich unbedingt mal kennen lernen. Wenn ihr zurück kehrt… kann ich euch vielleicht einen Brief an sie mit geben. Solange das eure Situation nicht verschlimmert.“ ,, Ich weiß ja nach wie vor nicht einmal, womit ich rechnen muss.“ , erwiderte Zyle. ,, Aber ich werde tun was ich kann.“ ,,Und ich werde sehen, das ihr alles an Unterstützung für eure Reise bekommt, was ihr braucht. Aber mein Angebot

steht nach wie vor, Zyle. Ihr könnt hier bleiben, solange ihr wollt.“ ,, Meine Antwort bleibt die selbe. So gerne ich würde, ich kann nicht.“ Kellvian nickte. ,, Wenn ihr mich entschuldigen würdet… Ich glaube es gibt nach wie vor ein halbes dutzend Adelige, die nur hören wollen, dass für sie alles beim Alten bleibt. Desto beruhigter die sind, desto schneller habe ich meine Ruhe.“ Mit diesen Worten ließ er den Gejarn au Laos und den aus dem Herzland hinter sich zurück. Jiy ging neben ihm her und lächelte versonnen. ,,Was ?“ , fragte Kellvian schließlich. ,, Das ist es oder ? Wir haben es

geschafft.“ ,, Einen ersten Schritt vielleicht. Aber das hier…“ , Kellvian machte eine ausladende Handbewegung, die die ganze Halle einschloss. ,, Das hört nicht mehr auf, Jiy. Nicht bis ich Tod bin zumindest. Es wird sicher weniger, aber… wir sind jetzt mitten drin. Politik….“ Er machte eine kurze Pause. ,, Ich kann schon verstehen, wenn du damit… nichts zu tun haben willst. Oder mir.“ ,,Niemals.“ , erklärte Jiy sofort. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und trat einen Schritt auf ihn zu. ,,. Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Und so dämlich das klingen mag… ich weiß auch,

das ich jede andere Entscheidung bereuen würde.“ Ihre Lippen fanden sich einen Moment. Nach wie vor würde es für sie beide nur ein Schicksal geben. Zum Guten oder Schlechten. Und er würde dafür Sorgen, das es sich zum Guten wenden würde, so weit ihm das möglich war, dachte Kellvian. Eden hatte sich an den Rand der Halle zurückgezogen und beobachtete das Treiben mit ausdrucksloser Mine. ,, Großartig.“ , brummte sie nur. ,, Noch eine Feier, die langweiliger ist, als eine Woche bei Flaute auf See festzusitzen. Letzteres wäre mir übrigens grade

lieber.“ Zachary grinste. ,, Das hast du aber nicht gemeint, als wir eine Woche vor Erindal festsaßen.“ ,,Und hat dir schon mal jemand gesagt, dass du mittlerweile eine richtige Nervensäge wirst ?“ , fragte die Gejarn. Sie verwuschelte dem Jungen mit einer Hand die Haare, was dieser mit einem Gemurmelten Fluch über sich ergehen ließ. Er wurde wohl wirklich langsam zu alt für so was, dachte sie. Aber Zachary würde für Eden wohl immer der kleine Junge bleiben, den sie aus einem Schneesturm gerettet hatte. Die Frage jedoch, was einmal aus ihm werden sollte, beschäftigte sie nach wie vor. Es

war eine alte Angst. ,, Die Krönungszeremonien verlaufen eigentlich immer so.“ , erklärte Erik. ,, Das war nie anders und wird wohl auch nie anders sein. Jeder Adelige im Reich will sich erst einmal absichern, das geltende Abmachungen und Verbindungen bestehen bleiben. Nach ein paar Wochen beruhigt sich das und der Kaiser kann meist tun und lassen, was er will. Der Adel kann später ohnehin kaum noch etwas gegen ihn unternehmen. Wenn die Garden erst einem neuen Herrscher anerkannt haben und sich ständig Mitglieder der meisten Häuser in der fliegenden Stadt befinden, hat er eigentlich uneingeschränkte

Kontrolle.“ ,, Immer ?“ , fragte Cyrus. ,, Habt ihr Konstantins Krönung eigentlich noch erlebt?“ ,, Aufzeichnungen, mein wölfischer Freund. Varas Bibliotheken sind voll davon. Man kann in den Protokollen der Adelsversammlungen zurück bis Simon Belfare gehen und sogar über einige der Ordeal-Kaiser gibt es noch vollständig erhaltene Schriften. Es ist eigentlich ziemlicher Wahnsinn. Wenn die Kaiser wollten, hätten sie den Adel längst komplett Ausschalten können, aber sie sind zumindest gute Verwalter für das Land. Meistens. Canton ist zu groß, als das eine einzige Person das gesamte

Land alleine unter ihrer Kontrolle halten könnte. Und selbst mit den Adeligen, die Bürokratie des Kaiserreichs ist gewaltig. Dieses Land wird mehr von Papier als irgendetwas anderen zusammen gehalten.“ Der Tag war eine einzige Hatz gewesen, dachte Kellvian, als er schließlich müde sein Zimmer im Patrizierhaus Varas betrat. Wieder einmal, hatte er Stunden damit zugebracht, den einzelnen Adeligen zu versichern, dass ihre Lehen und Titel unangetastet bleiben würden. Wenigstens hatte Andre sich heute nicht sehen lassen und selbst Dagian hatte sich mit Protesten und Wiederworten zurück

gehalten. Dazu mit irgendjemand außer Fenisin seine Pläne zu besprechen, war er erst gar nicht gekommen. Wenigstens gab ihm die andauernde Versammlung wenig Gelegenheit, auf seine magische Begabung zurück zu greifen. Das würde zumindest dieses Problem etwas verzögern. Seit seinem halben Zusammenbruch auf dem Feldern der Herzlande, hatte er die alte Wut, die nicht ganz seine war nicht mehr gespürt. Der Zorn einer Seele, die nicht mehr wusste, gegen oder für was sie eigentlich kämpfte… Erschöpft ließ er sich auf die Bettkante sinken. Jiy gesellte sich fast lautlos zu ihm und setzte sich hinter Kellvian auf

die Decke. Dieser entzündete derweil eine kleine Öllampe, die den Raum in weiches Licht tauchte. ,,Götter, bin ich froh, wenn die ersten unserer Gäste wieder abreisen.“ , meinte er. Jiy lachte. Sie hatte ihn den Tag über begleitet und wusste selbst grade wohl am besten, wie es ihm ging. ,,Hey, du schlägst dich gut. Und lass dir bloß von niemandem was anderes sagen.“ Die Gejarn legte ihren Kopf auf seine Schulter. ,,Ja… danke. Aber wie lang noch ? Ich habe mich hierfür entschieden Jiy und meine Götter, sofern es sie gibt, mögen mich für alle Ewigkeit verfolgen, wenn

ich mich jetzt darüber beschwere. Aber nach wie vor habe ich das Gefühl, das mir alles entgleitet. Sogar ich selbst, wie es scheint…“ ,,Vergiss dich nur nicht.“ , meinte sie und knabberte etwas an seinem Ohr. Die Nadelspitzen Zähne kratzten leicht unangenehm über seine Haut. Kellvian lächelte schwach. ,, Wenn das so einfach wäre.“ Er drehte sich zu ihr um und im selben Moment schlang Jiy die Arme um seinen Hals und zog ihn mit sich in die Kissen. ,,Hast du eigentlich schon einmal darüber nachgedacht…“ ,, Was ?“ , fragte Kellvian, als Jiy mitten im Satz verstummte. Er konnte

einen Moment ihren Atem ins Gesicht spüren. ,, Uns… nun ja, offiziell zu machen ?“ Kellvian zögerte. Eigentlich war die Antwort für ihn klar. ,, Eigentlich sollte ich das ja fragen.“ Jiy gab ihm einen Kuss auf die Stirn. ,, Das kannst du gerne nachholen.“ Die Frage war nur… wann und wie? , dachte Kellvian. ,, Vielleicht sollten wir noch etwas warten.“ , meinte er schließlich. ,,Verstehe.“ Es klang mehr wie ein Seufzer und Kell konnte die Enttäuschung in ihrer Stimme kaum überhören. ,, Nur bis sich die Dinge etwas

beruhigen. Das Verspreche ich.“

Kapitel 21 Der Bote derArchonten


Während die Tage vergingen, waren die meisten Adeligen bereits wieder in ihre angestammten Städte und Provinzen zurückgekehrt. Vara leerte sich zunehmend und wie Kellvian gehofft hatte, wurde es zunehmend ruhiger. Auch die Abgesandten er Gejarn, darunter Fenisin, waren mittlerweile abgereist. Nur einer blieb, und das machte den neuen Kaiser Cantons zunehmend stutzig. Andre de Immerson machte zwar Anstalten abzureißen, aber nach wie vor hatte er die Stadt nicht

verlassen. Kell war sich nicht sicher, aber vielleicht hatte der Mann irgendwie von seinen Plänen erfahren, ihn beobachten zu lassen. Ihm missfiel diese Heimtücke ja selber, aber wenn der Herr Silberstedts misstrauisch wurde, verschlimmerte das die Situation nur noch. Für den Augenblick jedoch, machte ihn noch etwas anderes Sorgen. ,, Sie ist einfach ziemlich… schweigsam geworden.“ ,, Wer ?“ Zyle begleitete ihn auf seinem Weg durch die Straßen der Stadt. Trotz Dagians Proteste hatte er eine Leibwache abgelehnt. Wer sollte ihnen hier etwas tun? Und selbst wenn… Er konnte

durchaus selbst auf sich aufpassen und den Mann, der Zyle in einem fairen Kampf besiegen konnte, dem musste er erst noch begegnen. ,,Jiy. Das Problem ist, ich weiß ja sogar wieso…“ Kell trug einen ganzen Stapel Briefe unter dem Arm. Nachrichten , vor allen an die Clans, die sich noch nicht wieder unter kaiserliche Ordnung gestellt hatten. Die, die Fenisin nicht überzeugte, überzeugte vielleicht ein Angebot des Kaisers. ,, Verzeiht Kellvian, aber ich bin nicht euer Berater was… das angeht. Und wenn ihr wisst, wo das Problem liegt, warum redet…“ Der Gejarn kam nicht dazu, den Satz zu beenden. Sie hatten

einen der öffentlichen Plätze Varas erreicht. Ein großer Springbrunnen aus Marmor nahm die Mitte der Freifläche ein und aus den Fontänen lief Wasser über mehrere Vorsprünge in das Kanalsystem der Stadt. Über den Platz kam ihnen ein Mann entgegen, der einen leichten Kürass trug. In den Stahl war das Emblem Varas geprägt, der einzelne Stern. Offenbar eine der Stadtwachen, dachte Kell. ,, Herr Kellvian, Götter, endlich finde ich euch.“ Der Mann kam schnaufend zum stehen. Offenbar war er den ganzen Weg von den Stadttoren aus gerannt. ,, Hätte euch… schneller erreichen müssen.

Verzeiht.“ ,,Schon gut. Ihr rennt ja, als wären alle Horden des Südens hinter euch her.“ Der Wachmann japste nach wie vor und hatte sichtlich Mühe, wieder zu Atem zu kommen. ,,Ruhig, Mann, was ist den los ?“ , wollte Zyle wissen und legte dem Soldaten eine Hand auf die Schulter. ,, Verzeiht… Vor etwa einer Stunde ist ein Gejarn an die Stadttore gekommen.“ ,, Ein Gejarn ? Und was sollte er ? Ein Bote der Clans ? ich wollte ihnen grade selber einige Nachrichten zukommen lassen…“ ,,Nein… Herr, der Mann kommt anscheinend direkt aus Helike. Wir

haben ihn natürlich nicht rein gelassen. Vor allem weil er dem ersten Wachmann, der ihn aufhalten wollte das Handgelenk gebrochen hat. Offenbar sucht er nach jemanden Namens Zyle.“ Kellvian sah unruhig zu seinem Gefährten hinüber. ,, Freunde von euch ?“ ,, Das werden wir besser herausfinden.“ , erwiderte der Gejarn, aber die Anspannung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er hatte erwartet, erst nach seiner Rückkehr wieder mit seinem Volk in Kontakt zu kommen. Das hier aber… war äußerst ungewöhnlich. ,, Kommt. Wer immer das ist, es muss wichtig sein, wenn sie jemanden eine halbe Welt weit

schicken nur um mir irgendetwas mitzuteilen.“ Zur gleichen Zeit trat Jiy in den Garten des Patrizierhauses. Sie seufzte leicht, als sie sich in dem verwilderten Pavillon in der Mitte der Rosengärten niederließ. Mittlerweile war der Winter nur noch eine Erinnerung und die ersten Blütenknospen standen an den zunehmend grüner werdenden Blumen. Da ich aber nach wie vor niemand um die Pflanzungen kümmerte, wucherten die Ranken wild und schlangen sich um die gusseisernen Zäune des Grundstückst, genau wie um die Säulen, die das Dach

des Pavillons trugen. Jiy sah einen Moment über die Wege hinweg. Eigentlich hatte sie sich mit Eden treffen wollen. Die Kapitänin wurde langsam unruhig, wieder ans Meer zu kommen, jetzt wo das Eis selbst im Norden schmolz und die Windrufer wieder freigegeben hatte. Vor weniger als einer Woche hatte sie einen Brief ihrer Crew erhalten, die sich schon fragte, ob ihrer Anführerin nicht etwas Zugestoßen sei. Hoffentlich würde ein Gespräch sie beide etwas ablenken, dachte die Gejarn. Kellvian wollte warten. Das konnte sie verstehen, sagte sie sich. Nur hätte sie eine andere Antwort erwartet, oder? Es

änderte aber nichts. Geister sie liebte diesen Mann mindestens so sehr wie sie ihn einmal gehasst hatte. Nur ihr blieb zu viel Zeit zum nachdenken, dachte Jiy. So einfach es war, die leisen Zweifel auszublenden, sie kamen immer zurück. Wenn es wenigstens etwas zu tun gäbe… Stillsitzen, das war das eigentliche Problem. Während die Gejarn noch darüber nachdachte, bemerkte sie etwas Seltsames. Dagian tauchte auf einen der Sandpfade auf, die die Gärten durchzogen. Das war so weit wenig bemerkenswert. Der Hochgeneral war eigentlich immer irgendwo in der Nähe. Aber er war nicht alleine. Eine Gestalt in violett-schwarzer Kleidung und

silbergrauem Haar lief neben ihm her. Lord Andre… Was hatte der den hier zu suchen? Wie es aussah, waren die beiden Männer auf dem Weg, hierher. Und sie hatten sie noch nicht bemerkt. Jiy stand ohne einen Laut auf und wich hinter eine der niedrigen Rosenhecken zurück, die das Pavillon langsam zu überwuchern drohten. ,, Es ist vorbei Andre.“ , erklärte der General eben, als die beiden Gestalten unter das Dach traten. ,, Es gibt nichts mehr, das wir tun können, versteht das. Und ich werde nicht riskieren, das ihr..“ ,, Es ist nicht vorbei.“ , erklärte der Adelige scheinbar gelassen. ,, Wir müssen nur auf eine Gelegenheit

warten.“ Der General machte eine wegwerfende Handbewegung. ,, Bis sich eine findet, will ich euch hier aber nicht mehr sehen, verstehen wir uns ? Ihr bringt uns beide nur in Gefahr. Haltet euch zurück.“ Mit diesen Worten ließ Dagian den Adeligen alleine zurück und machte sich auf den Weg zurück zum Haus. Andre warf dem Mann einen säuerlichen Blick nach. ,, Und ihr solltet nicht vergessen, das euer Schicksal einmal in meinen Händen liegen wird.“ ,,Verzeiht, aber würdet ihr mir verrate, was ihr hier zu suchen habt ?“ Jiy war genau so geräuschlos wieder aufgetaucht, wie sie verschwunden war. Das Dagian

ausgerechnet mit dem Herrn von Silberstedt hier auftauchte, war allerdings höchst seltsam. Und noch wichtiger war, dass der Mann hier nichts verloren hatte, solange ihn niemand rief. Andre musterte die Gejarn mit fast genau so wütender Mine, wie er vorhin den General verabschiedet hatte. ,, Ich suche den Kaiser.“ , erklärte er nur kurz angebunden. ,, Und jetzt könntet ihr wieder verschwinden…“ ,,Nun Kellvian ist nicht hier.“ , erklärte Jiy. Sie wusste ja, dass der Mann schon Kell nicht leiden konnte. Und seine Abneigung gegen Gejarn war ihr mehr als bekannt. Eden hatte diese wohl mehr als einmal zu spüren bekommen.

Trotzdem überraschte die Unfreundlichkeit des Mannes sie. ,, Dann geht ihn gefälligst holen Flohfänger… Wozu seid ihr bitte sonst gut?“ Er wusste nicht wer sie war, dämmerte es Jiy. Sie war Andre bisher nie wirklich begegne. Sicher, sie hatte ihn während der Versammlung gesehen, doch bisher immer nur von weitem. ,, Mein Name ist Jiy… Lord Andre. Und ihr könnt gerne hier warten, bis Kell zurückkommt. Aber denkt nicht, das ich mir von euch mehr gefallen lasse, als Kellvian.“ ,, Also seid ihr seine Mätresse , ein Zeitvertreibt, oder was immer ihr sein

sollt… Ganz schön hochnäsig für eine Wilde, die besser bei ihrem Clan geblieben wäre. Kellvian mag einfach nur krank sein, aber glaubt nicht, das euch das recht gibt, mir irgendetwas zu Befehlen.“ Sie fühlte Wut in sich hochkochen. Ahnen, was war mit diesem Mann nur nicht in Ordnung? Sie war ihm grade erst begegnet und konnte jetzt schon die Abneigung nachvollziehen, die Eden und auch Kellvian wohl mittlerweile gegen den alternden Fürsten hatten. Die Gejarn schluckte ihren Zorn jedoch hinunter. Das half niemandem etwas und dem Lord eine Ohrfeige zu verpassen half auch nichts. Stattdessen wurde das Gefühl

ersetzt durch eines der Neugier. Jiy setzte sich auf eine der Bänke unter dem Pavillion. ,, Warum hasst ihr uns ?“ Der Lord sah auf und einen Moment glaubte Jiy, ihn hätte irgendetwas gebissen. Andre gab nicht sofort eine Antwort sondern senkte den Blick wieder. ,, Das ist eine… seltsame Frage. Weshalb wollt ihr das wissen?“ ,, Ich habe einmal den Fehler gemacht über jemanden zu urteilen ohne zu Wissen… warum er tat, was er getan hat. Es ist mir egal, was ihr von mir haltet oder Kellvian oder sonst jemanden, aber… ich will wissen, wieso.

Was haben wir euch getan?“ ,,Hassen ist zu wenig… Jiy, oder ?“ Andre schien nach wie vor zu zögern ihr überhaupt zu antworten. Eine seiner Hände ballte sich zur Faust. ,, Habt ihr eine Ahnung, was euer Volk und Kellvian mir genommen haben ? Ich gebe zu ich bin nie ein Freund der Gejarn gewesen, aber ihr habt es mir… einfach gemacht dieses Urteil noch zu verschärfen.“ Die Stimme des Adeligen zitterte jetzt leicht. ,, Ihr habt mir meinen Sohn gestohlen verflucht nochmal, ihr habt meine Frau getötet und auch wenn ich mich nie gut mit ihr verstanden habe… Und dann nehmt ihr mir noch meinen letzten lebenden Erben?

Wofür, wodurch ist Walter den gestorben, wenn nicht für und dank Kellvian? Könnt ihr mir verraten, wie ich etwas anderes tun könnte?“ Andre verstummte. ,, Nein.“ , gab Jiy zu. ,, Das kann ich nicht.“ Aus einer Sicht war sein Zorn wohl mehr als gerechtfertigt. ,,Ich hatte jedoch nicht erwartet… das jemand jemals nach meinen Motiven Fragen würde.“ , meinte der Lord nachdenklich. ,, Wohl schon gar nicht ihr…“ ,, Wir sind alle unterschiedlich, Lord Immerson. Ihr könnt nicht uns alle verurteilen, weil euch ein paar Unrecht getan haben.“ Und was Zachary anging,

so würde Jiy ihre Meinung für sich behalten. Der Mann war cholerisch, gemein und der Junge war definitiv besser aufgehoben, wo er jetzt war. ,, Und das glaube ich nicht.“ , erklärte Andre. ,, Ihr mögt euch für anders halten, aber wenn es darauf ankommt zeigt ihr doch alle euer Wahres Gesicht. Tiere, nicht besser als das.“ Seine Stimme verriet Jiy, das er seine eigenen Wort nicht ganz glaubte. ,, Ich verstehe.“ , antwortete sie jedoch. Dieser Mann würde seine Meinung nicht mehr ändern, dachte die Gejarn. Oder zumindest nicht so schnell. ,, Trotzdem möchte ich euch vielleicht danken. Das war… interessant.“ Andre

wendete sich schon halb zum gehen. ,, Glaubt jedoch nicht, das das heißt, dass ich Frieden mit Kellvian schließe. Nicht für eine Sekunde.“ ,, Was ist denn hier los ?“ , wollte eine Jiy vertraute Stimme wissen. Und auch Andre wirbelte zu dem Neuankömmling herum. Eden stand auf den Steinfließen des Unterstands und musterte den Adeligen mit einer Mischung aus misstrauen und dem mühsam unterdrücktem Wunsch, den Mann endgültig zu erledigen. ,,Gar nichts.“ , erklärte Andre und ihm war anzumerken, das er der Gejarn keinen Schritt über den Weg traute. Etwas, das wohl auf Gegenseitigkeit

beruhte. ,, Ich wollte grade gehen.“ Mit diesen Worten verschwand der Lord den Weg hinab in Richtung eines Gartentors. ,, Was wollte der hier ?“ , fragte die Kapitänin der Windrufer, nachdem der Mann außer Sichtweite war. ,, Offenbar hat er nach Kellvian gesucht. Aber…“ Sie zuckte mit den Schultern. Was er mit Dagian zu schaffen hatte blieb ihr ein Rätsel. Vielleicht war er dem General nur zufällig begegnet. Aber irgendwie glaubte sie nicht Recht daran. ,,Wirklich ? Ihr seht nämlich aus, als hätte euch jemand gesagt, die Sonne ginge nie wieder auf.“ , bemerkte Eden nur leicht

sarkastisch. ,, Das hat andere Gründe…" antwortete Jiy. ,,Kellvian ?“ ,,Kell richtig… oder ich denke schon.“ Es fiel ihr schwer, was sie eigentlich so belastete in Worte zu fassen. Es war nur teilweise, das Kellvian die Sache hinauszögerte. Aber auf eine Art waren Andres Worte mehr verletzt als alles andere. Ein Zeitvertreib… War sie wirklich nur das? Aus der Sicht von anderen vielleicht. Und das konnte ihr doch egal sein, dachte Jiy. Kellvian sah sie definitiv als mehr. Oder ? Und doch, wie er es selbst gesagt hatte, Kell hatte sich verändert. Er war Kälter geworden,

berechnender… Sie könnte keine Angst vor ihm haben, dachte Jiy. Aber Sorgen konnte sie sich machen. Mehr als das. Eden lachte, brachte sich aber selber schnell wieder zum schweigen. ,,Ihr solltet grade wirklich euer Gesicht sehen. Was ist passiert?“ ,,Gar nichts, das ist ja das Problem.“

Kapitel 22 Wiedervereint


Als Kellvian und Zyle die Stadttore erreichten, bot sich ihnen ein seltsames Bild. Auf dem Platz vor dem schweren Holzportal stand eine einzelne Person. Um sie herum hatten ein dutzend Soldaten der Stadtwache Aufstellung genommen und die selbe Zahl an Musketenmündungen auf den Fremden gerichtet. Dieser war jedoch scheinbar völlig entspannt. Die Arme verschränkt musterte er seine potentiellen Gegner. Ein dunkler Reisemantel fiel ihm über die Schultern bis fast auf den Boden und

verdeckte, außer an den Händen, fast überall das verräterische Fell. Darunter schimmerte eine leichte Panzerung hervor. Ein Kürass, der mit einem Rankenmuster verziert worden war. Auf dem Rücken wiederum trug der Mann ein einfaches Rundschild und an seiner Hüfte blitzten die Griffe von zwei Degenklingen auf. Braun-grüne Augen sahen unter einigen Strähnen dunkelgrauen Haares heraus und richteten sich einen Moment direkt auf Kellvian und dem ihm folgenden Gejarn. Abgesehen von der Kleidung und den Augen hätte er den Mann kaum von Zyle unterscheiden können, dachte Kell. Als

Zyle den Fremden bemerkte, stieß er sofort einen der Wache haltenden Gardisten zurück und rannte auf ihn zu. ,,Das ist mein Bruder…“ Kellvian gab dem übrigen Soldaten schnell ein Zeichen, ebenfalls die Waffen zu senken. Bevor die Männer sich zurückziehen konnten, fielen sich die beiden Gejarn auch schon in die Arme. Zyle lachte, als ihn der Fremde an den Schultern festhielt, scheinbar um sich zu vergewissern, das er sich nicht täuschte. ,,Laos, was führt dich denn hierher ?“ , fragte Zyle verwundert. ,,Ich dachte schon manchmal ich sehe nie wieder einen von euch

wieder.“ ,,Ich hatte auch schon befürchtet, wir hätten uns zum letzten mal gesehen.“ , meinte sein gegenüber , ebenfalls grinsend. ,,Aber dazu später mehr.“ ,,Zyle ?“ Kellvian hatte die beiden Brüder erreicht. ,,Ich unterbreche das Wiedersehen ja wirklich ungern, aber vielleicht stellt ihr uns kurz vor ?“ ,,Sicher.“ , meinte der Gejarn. Kell fragte sich, ob er den Mann schon mal glücklicher erlebt hatte. Offenbar nicht , den Zyle strahlte übers ganze Gesicht. ,,Kellvian, das ist mein Bruder. Wys Carmine. Schwertmeister und Archont Helikes.“ Der als Wys angesprochene Gejarn

machte eine leichte Verbeugung, allerdings, ohne dabei die Augen von Kellvian zu lassen. Er hatte das Gefühl, der Mann würde jede seiner Bewegungen genau Verfolgen. Der Blick eines Kriegers, der sich noch nicht sicher war, ob er Feind oder Freund gegenüberstand. ,,Wys…“ , fuhr Zyle fort. ,,Darf ich dir Kellvian Belfare vorstellen. Seines Zeichens seit ein paar Wochen Kaiser Cantons.“ ,,Sehr…. Erfreut.“ Die Stimme des Gejarns klang kühl, als er sein Gegenüber musterte und Kellvian verstand nur zu gut wieso. Zyle mochte darüber hinweg sein, aber zwischen Laos und Canton bestand nach wie vor ein

bestenfalls angespanntes Verhältnis. Und das sich einer der Archonten nun dem Herrn über das Kaiserreich gegenüber sah, trug wohl kaum zu dessen Entspannung bei. ,,Aber du hast mir noch nicht verraten, was dich überhaupt hierher bringt ? Oder sag bloß, du hast die Wochen auf See oder über die Straßen nur auf dich genommen um deinen Bruder zu besuchen? Wie sieht es in Helike aus?“ ,,Glaub mir, ich wäre fast so weit. Aber nein. Ich fürchte, ich bin der Überbringer schlechter Nachrichten, Bruder.“ ,,Verstehe schon, sie lassen mich nicht zurück, oder ?“ , fragte Zyle. Zu

enttäuscht klang er nicht. Es würde ihm zumindest den Rückweg sparen, nur um es selbst heraus zu finden. Aber Wys blinzelte verwirrt. ,,Nein… nein, darum geht es nicht. Du bist mehr als wieder Willkommen, Zyle. Mehr noch, ich fürchte, wir werden jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können.“ ,,Was ist passiert ?“ ,,Das verstehen wir selbst noch nicht ganz. Aber… können wir uns vielleicht nicht unbedingt in aller Öffentlichkeit unterhalten?“ Der Gejarn sah zu Kellvian. ,,Oder sehen die Gebräuche des Kaiserreichs es vor, eure Gäste unter aller Augen auszuhorchen ?“ Kellvian war sich nicht sicher, ob der

Mann seine Worte ernst meinte, oder sich einen Scherz erlaubte. Er bedeutete den beiden Brüdern lediglich, ihm zu Folgen. ,,Natürlich. Kommt mit, ich denke die Patriziervilla ist so gut wie jeder andere Platz.“ Als sie das weiß getünchte Gebäude mit seinem weitläufigen Grundstück schließlich erreichten, war es bereits früher Nachmittag. Die Sonne stand bereits über den Häuserdächern, als die drei Männer durch ein Tor in die Gärten traten. Auch wenn der Winter noch nicht ganz aus dem Land verschwunden war, zumindest die Herzlande erwachten langsam wieder zum Leben. Die ersten

kleineren Blüten standen an den verwilderten Rosenbüschen und das Gras nahm bereits wieder eine Grüne Farbe an, statt das tote Gelb des Winters zu zeigen. Trotzdem hatte sich Wys seinen Umhang um den Körper gezogen. ,,Es ist kalt hier.“, bemerkte er. ,,Du hast den Winter nicht hier verbrach.“ , meinte Zyle nur. ,,Ich sag dir, das ist erst kalt.“ ,,Ich dachte, das hier wäre Winter.“ , bemerkte der andere Gejarn todernst. ,,Das Nordvolk muss verrückt sein.“ ,,Was Kellvian angeht bin ich mir da sogar ziemlich sicher. Und bei einem gewissen Schiffsarzt ebenfalls.“ Kell ignorierte die Bemerkung und auch

wenn ihn Wys nach wie vor nicht aus den Augen ließ, so schien er doch weniger misstrauisch, als noch an den Stadttoren. Kellvian beschloss, nicht direkt durch die Haupttür zu gehen, sondern lenkte seine Schritte auf den Pfad Richtung Garten. Als der Pavillon im Zentrum der Blumenbeete und überwucherten Zäune in Sicht kam, entdeckte er dort bereits Eden und Jiy, die sich ihrerseits zu den Neuankömmlingen umdrehten. ,,Kellvian.“ Jiy stand von ihrem Platz auf. ,,Zyle… Und wer seit ihr?“ Nachdem sich erneut jeder Vorgestellt hatte, nahm die kleine Gruppe unter dem Dach

Platz. ,,Also, was ist passiert Wys ?“ ,,Helike ist in Aufruhr, Zyle.“ , begann der Archont schließlich.,,Wir wissen noch nicht genau, was es ist. Kreaturen aus Stahl die uns im Untergrund aufgelauert haben. Sie haben uns aus den Mithril-Minen vertrieben Bruder. Und bisher konnten wir sie nicht zurück schlagen.“ ,,Wie bitte ? Was… Geht es allen gut?“ ,,Wie gesagt, wir wissen nach wie vor kaum etwas.“ , erklärte sein gegenüber. ,,Und die anderen vier Archonten haben dafür gestimmt, die Minenzugänge aufs erste einfach zu versiegeln, bis wir uns der Sache annehmen

können.“ ,,Das sind tatsächlich keine guten Nachrichten.“ Wys nickte. ,,Aber das ganze hat auch ein gutes. Auf Anordnung der Archonten soll jeder sofort zurück nach Helike, egal wo er sich grade befindet.“ Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr und seien Augen ruhten die ganze Zeit auf Kellvian. ,,Wir haben schon die meisten Soldaten von der Grenze abgezogen und jeden unserer Späher informiert. Fehlen nur noch alle, die weiter weg sind und das bist im Augenblick nur du. Ich wollte mir die Gelegenheit nicht nehmen lassen, dich selbst zurück zu

bringen.“ ,,Und ihr wisst wirklich sonst nichts ?“ , fragte Jiy. ,,Einige unserer Gelehrten sind bereits dabei, die Archive nach Aufzeichnungen zu durchsuchen, irgendetwas, das uns einen Hinweis gibt, aber die Bibliotheken sind riesig und kaum geordnet. Es ist also fraglich, dass sie etwas finden. Doch so tief wie es unter der Erde war… Irgendeine Konstruktion des alten Volkes.“ Eden sah auf. ,,Eine Konstruktion ? Also geht es nicht nur darum, das ihr angegriffen wurdet, oder?“ ,,Nein.“ , gab der Gejarn zu. Offenbar viel es ihm nach wie vor schwer, mit

Zyle auch Kellvian und den anderen alles anzuvertrauen. ,, Anfangs glaubten wir an einen Angriff des Wüstenvolkes. Ein Überfall auf unsere Bergarbeiter… aber als wir dort ankamen, waren die Minen längst wieder verlassen und alle Tod. Unsere Arbeiter haben eine Tür gefunden. Zumindest sieht es aus wie ein Tor. Die Stahlmonster von denen ich sprach, haben es offenbar nur bewacht, bis sie… jemand aufgeschreckt hat.“ ,, Jemand ?“ , fragte Zyle.,, Wer ? Wys, du kannst allen hier vertrauen. Wer war dafür verantwortlich?“ ,, Ich war selbst dort, aber… ich kann es nicht genau sagen. Ich glaube es war ein Mann. In jedem Fall beherrschte er

Magie. Mehr kann ich nicht sagen. Der Kerl trug einen bodenlangen schwarzen Umhang und eine Kapuze unter der nur Schatten waren. Vielleicht hat er sein Gesicht mit einem Zauber verschleiert oder es war einfach zu dunkel… Er trug jedoch ein Juwel mit sich, den er an der Tür angebracht hat. Ein Bernstein, glaube ich.“ Schweigen senkte sich über die kleine Gruppe. Kellvians Hand schloss sich um die Armlehne seines Stuhls. Das gab es doch einfach nicht, dachte er. Und er konnte das gleiche ungläubige wiedererkennen in den Gesichtern aller anderen sehen. Natürlich konnten sie sich täuschen. Aber sie alle hatten der

Gestalt, die Wys beschrieb schon einmal gegenüber gestanden. ,,Ihr wisst, von wem ich rede , oder?“ , fragte der Archont angespannt. Kellvian nickte. ,, Das wissen wir allerdings. Er nennt sich offenbar nur Meister.“ ,, Ziemlich arrogant, wenn ihr mich fragt.“ , bemerkte Eden. ,, Der Zauberer, den ihr beschreib hat versucht mich vor einem halben Jahr zu töten.“ , fuhr Kellvian fort. ,, Er hat unser Land an den Rand eines Bürgerkrieges getrieben und einen Mann den ich für einen Freund hielt gegen uns alle ausgespielt. Und was den Stein anging, so hat er diesen gestohlen. Als

er unsere Hauptstadt in Trümmer legte.“ ,, Aber was sucht ein Zauberer aus Canton in Laos ?“ , fragte Jiy und sprach damit seine Gedanken aus. ,, Das wäre grade die Frage…“ Kellvian wusste nur, das es wohl kaum etwas gutes war. Und nach dem was Wys ihnen berichtet hatte, ging der Mann wieder einmal über Leichen um irgendetwas zu bekommen. ,, Ihr verschweigt uns nichts, oder ?“ ,, Da war noch ein zweiter Mann in den Minen, im gegensatz zu der Gestalt, die ihr den Meister nennt, hat er mir und meinen Leuten allerdings das Leben gerettet. Er blieb leider ebenfalls in d er Tiefe

zurück.“ ,, Und die Archive geben nichts her ? ,, Zumindest nichts, was eine gewaltige Tür mitten im Untergrund vor Helike erklären würde.“ , erklärte Wys sarkastisch. ,, Was sind das eigentlich für Archive ?“ , wollte Kellvian wissen. ,, Nach Laos Gesetz können wir keine Artefakte des alten Volkes einsetzen und auch was wir an Schriften finden ist für uns uninteressant.“ , erklärte Wys. ,, Leider ist vieles davon auch nicht so einfach zu zerstören, also haben die Archonten der letzten Generationen begonnen, alles zu sammeln und sicher weg zu

schließen.“ ,,Die größte Sammlung an Aufzeichnungen des alten Volkes, die es gibt, Kellvian.“ , fügte Zyle hinzu und in den Augen des Gejarn blitzte plötzlich etwas auf. ,, Wenn… Ihr habt doch vor uns zu helfe, oder ?“ ,, Selbst wenn ich das nicht hätte, ich kann kaum ignorieren, das der Meister wieder irgendwo auftaucht. Das letzte Mal haben wir das teuer bezahlt.“ Zyle nickte. ,, Und denkt einmal nach, Kellvian. Aufzeichnungen und Schriften des alten Volkes, das…“ ,, Könnte genau sein, was du brauchst.“ , beendete Jiy den Satz für ihn. ,, Und selbst wenn nicht, es wäre nur ein

weiterer Grund eurem Volk zu helfen, Wys.“ Und eine Weile auch einfach der Politik Cantons zu entkommen. ,, Wenn ihr einverstanden seid, werde ich mit euch nach Helike kommen. Wie viele Männer braucht ihr?“ ,, Ihr schlagt nicht ernsthaft vor, das ich euch… zusammen mit kaiserlichen Truppen, nach Helike bringe, Mensch ? Das könnt ihr unmöglich auch nur denken, ob ihr nun der Kaiser dieses Landes seid, oder nicht. Für wie dämlich haltet ihr mich eigentlich?“ Kellvian zuckte mit den Schultern. ,, Nicht für so dämlich, Hilfe auszuschlagen, wenn sie euch jemand anbietet. Oder ? Ich kann euch

versprechen, das jeder einzelne Soldat, der mich begleiten würde, auch wieder mit mir abzieht, wenn die Sache geklärt ist. Notfalls komme ich auch alleine mit.“ Wys schien nicht überzeugt und sah hilfesuchend zu Zyle. Der Gejarn seufzte. ,, Können wir uns irgendwo unter vier Augen unterhalten ?“ , fragte Zyle. ,, Natürlich. Das Patrizierhaus ist momentan leer.“ , antwortete Kellvian. ,, Die Tür zum Empfangszimmer sollte offen sein.“ Die beiden Gejarn standen auf und nach einem letzten, misstrauischen Blick zurück auf die kleine Versammlung,

folgte Wys seinem Bruder schließlich in Richtung der Villa. Es sah so aus, als wären die Dinge grade nicht unbedingt einfacher geworden, dachte Kellvian. Aber es gab ihm vielleicht eine Chance. Eine, die über die Möglichkeit einer Heilung oder einen abtrünnigen Magier zur rechenschafft zu ziehen hinausging.

Kapitel 23 Aufbruchsstimmung


Zyle sah sich nur beiläufig um, sobald sie das Haus betraten. Wys war hingegen deutlich aufmerksamer. Die Augen des Gejarn wanderten jedoch misstrauisch über die Einrichtung und die Fenster, als erwarte er, jemanden zu entdecken, der ihnen auflauerte. Eine Hand hielt er die ganze Zeit am Schwertgriff, während er den Umhang mit der anderen fest hielt, so das er ihm nicht in die Quere kam. Wys trat an eines der Bücherregale und ließ die Hand über die Rücken der Einbände wandern. Das dunkle Holz der Einrichtung schimmerte im Licht der

untergehenden Sonne. ,,Wir brauchen keine Hilfe von außenstehenden Zyle.“ , erklärte der Archont schließlich. ,,Schon gar nicht von Canton. Was hast du dir dabei gedacht ?“ ,,Das man Kellvian trauen kann. Dieser Mann ist einer meiner besten Freunde Wys. Sag es und ich lege für ihn die Hand ins Feuer und zwar wörtlich. ,,Du verteidigst den Herrscher unserer Feinde…“ ,,Feinde Wys ? Hat einer dieser Leute auch nur Versucht dir irgendetwas zu tun ?“ ,,Nein, aber…“ Der Gejarn seufzte. ,,Laos, dieses Land hat dich wirklich

verändert, oder ?“ ,,Das gebe ich zu.“ , meinte er ruhig und strich mit einer Hand über den Silberreif an seinem linken Arm. Die in das Metall geätzten Schriftzeichen schnitten in seine Fingerkuppen. ,,Meine Sichtweise, was manches angeht ist jetzt einfach… anders.“ ,,Ich versuche seit deiner Abreise, die Archonten dazu zu bewegen, Reformen zuzulassen Zyle.“ , seufzte der Mann und klang auf einmal erschöpft. ,,Ich glaubte schon, das sei nicht möglich. Aber von allen musst ausgerechnet du dich ändern? Es gab mal eine Zeit, in der du Laos Schriften über alles gestellt hättest.“ ,,Und ich bereue diese Zeit nicht Wys.

Nur… Ich habe gesehen, das es andere Wege gibt, verstehst du ? Nimm Kellvians Hilfe an. Ich verbürge mich mit meinem Leben für ihn vor den Archonten, wenn das nötig ist. Du weißt, das du Hilfe brauchst oder du wärst nicht nur wegen mir hierher gekommen.“ ,,Glaubst du wirklich, ich hätte dich hier gelassen, wenn es nur darum ginge, dich zurück zu holen , Bruder ? Ja… Ja verflucht, wir brauchen Hilfe, fürchte ich. Aber von jedem nur nicht dem Kaiserreich.“ ,,Wen gib es den noch, Wys ? Verrate es mir…“ Wys antwortete nicht sofort, sondern wendete sich einen Moment von seinem

Bruder ab. ,,Du spielst mit dem Leben deiner Freunde, wenn uns jemand begleitet, das weißt du ? Die Anderen werden das nicht so leicht akzeptieren wie ich…“ ,, Was ist passiert, während ich weg war ?“ ,, Ehrlich gesagt, das womit wir alle schon gerechnet hatten. Die Archonten setzten mittlerweile jede neue Verordnung rigoros durch und ich kann mich nur schwer dagegen stellen. Sie gehen noch gezielter gegen Magier vor. Zumindest gegen die, die sich Verbergen konnten. Und es gibt mehr Wachen auf den Straßen, als je zuvor. Ich hätte nie gedacht, das ich einmal Paladine

außerhalb der inneren Stadt patrouillieren sehe.“ ,, Sie schicken jetzt wirklich schon die Elite der Schwertmeister auf die Straßen ?“ Zyle seufzte. Das war wirklich nicht gut. Normalerweise bildeten die Paladine die Leibwache der Archonten. Die Wächter der inneren Stadt. Und keine Militäreinheit, die mit der Stadtwache zusammen arbeitete. ,,Es ist trotz allem schön dich wiederzusehen.“ , meinte er schließlich. Wys nickte nur und brachte ein müdes Lächeln zu Stande. ,,Gehen wir zurück. Ich bin sicher, wir werden die Rückreise Planen müssen.“ ,,Ich hatte schon im Winter vor, zurück

zu kommen. Was das angeht, steht also schon lange alles fest. Nur wenn Kellvian wirklich Verstärkung mitbringen will, brauchen wir vielleicht mehr Schiffe.“ Nachdem Zyle und der andere Gejarn verschwunden waren, blieben nur Eden , Jiy und Kellvian im Garten zurück. ,,Die Windrufer ist bereit, oder ?“ , wollte dieser wissen. ,,Repariert und ausgebaut Kell.“ , antwortete die Kapitänin. ,,Nicht zuletzt dank eurer Unterstützung. Es brennt mir schon seit Wochen unter den

Fingernägeln, wieder raus zu segeln.“ ,,Dafür werdet ihr dann wohl bald Gelegenheit haben.“ , meinte Jiy. ,,Wir werden Zyle begleiten, oder ?“ Sie hoffte beinahe darauf. Es wäre eine Möglichkeit aus dem allen hier auszubrechen. Und mit einem hatte Kell definitiv Recht. Sie könnten ihnen nicht die Hilfe verweigern. Wieder Unterwegs… Sie hatte es grade zu vermisst, dachte die Gejarn mit einem schwachen Lächeln. Kell nickte. ,,Und wenn es nicht darum ginge, ein paar Antworten zu finden… das ist vielleicht eine einmalige Gelegenheit.“ ,,Wofür ?“ , fragte

Eden. ,,Denkt einmal nach, wenn wir es wirklich schaffen, zusammenzuarbeiten, Laos und Canton… Der Krieg tobt seit Jahrzehnten obwohl wir eine brüchige Waffenruhe habe, das hier könnte die Gelegenheit für einen echten Frieden bieten.“ ,,Wys schien allerdings nicht zu begeistert davon.“ , gab Jiy zu bedenken. ,,Natürlich, sie müssen unsere Hilfe schon wollen, sonst ist das alles Sinnlos.“ , gab Kell zu. ,,Aber Zyle redet schon mit ihm, darauf verlasse ich mich einfach. Bleibt nur noch die Frage, ob man uns in Helike auch Willkommen heißen

würde.“ Jiy lachte. ,,Dagian wird das Großartig finden.“ ,,Er kann davon halten was er will. Am Ende wird er einsehen, das wir das hier nicht einfach ignorieren können. Es gibt jetzt schon genug Gründe, wieso wir uns die Sache ansehen sollten.“ ,,Wir können abreisen, sobald ihr das geklärt habt und wir Vorräte aufnehmen können.“ , erklärte Eden und stand auf. ,,Ich rede direkt mit den anderen. Ihr werdet euch so oder so nicht davon abbringen lassen. Und ehrlich gesagt… ich bin nie dazu gekommen, mich in Helike Richtig umzusehen. Die lassen normalerweise keine Fremden in die

Stadt.“ Die Kapitänin geriet auf den Sandwegen rasch außer Hörweite ,,Wir finden bestimmt etwas.“ , meinte Jiy Hoffnungsvoll. ,,Wenn die Archonten wirklich derart viel gesammelt haben, muss einfach irgendetwas darunter sein.“ Kell zögerte. ,,Eigentlich wollte ich dich bitten, in Canton zu bleiben.“ Die Mine der Gejarn verdüsterte sich. Das vorangegeangene Gespräch mit Eden hatte gut getan und ihre ungerichteten Zweifle etwas zerstreut. Jetzt jedoch war alles auf einen Schlag wieder da. ,,Kell… Fang mit so was erst gar nicht an, ja? Das hatten wir schon, was ist also wirklich los ?“ ,, Ich habe Angst um dich, das ist alles.

Wys hat uns kaum etwas erzählt, das wirklich Weiterhelfen würde. Für den Moment weiß ich nur, das es gefährlich werden wird.“ ,, Ach du hast Angst ? Kellvian, du bist derjenige der sterben könnte und du hast Angst um mich?“ Er zögerte einen Moment. ,,Nein. Ach verflucht, ich habe mich in letzter Zeit vielleicht nicht ganz…normal verhalten, oder?“ ,, Das könnte man so sagen.“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihre Lippen, das sie jedoch sofort wieder unterdrückte. Das war wieder mehr Kellvian, wie sie ihn kannte. ,, Ich… wusste nur eine Weile nicht

mehr, wo mir der Kopf steht Jiy. Das ist keine Entschuldigung, aber, sobald das hier vorbei ist, gibt es keine Ausflüchte mehr.“ Er atmete tief durch ,, Verzeihst du mir noch mal?“ ,, Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich dir kaum böse sein kann.“ , lachte Jiy. ,, Aber eine Bedingung habe ich…“ ,,Alles.“ , erklärte Kell schmunzelnd. Götter er hatte beinahe vergessen, warum er diese Frau liebte. Nein… nicht vergessen, aber in den Hintergrund gestellt. Zwischen Politik und Versammlungen. Und das hätte er nie tun dürfen oder? Er hatte auf seine Art Kaiser werden wollen. Und doch hatte er zugelassen, dass ihn die Konventionen und

das althergebrachte Treiben den Blick für das wesentliche verstellten. ,, Vergiss es einfach.“ , erklärte sie ernst ,, Ich tue es auch“ Kell nickte, fand aber, das die Geste nicht ausreichte. Er konnte das nicht mit einer simplen Kopfbewegung abtun. Jiy sah nur einen Moment, wie irgendwas in seinen Augen aufblitzte. Schalk und Zärtlichkeit gleichermaßen. Mit einer Handbewegung löste er eine der noch geschlossenen Rosenblüten von einer der Hecken. Plötzlich blühte die Pflanze auf, als würde die Zeit bis zum Sommer innerhalb weniger Herzschläge vergehen. Es war nur ein kleiner Zauber, etwas das kaum einen Gedanken erforderte, dachte

Kellvian. ,,Das ist… Wunderschön.“ , meinte die Gejarn, als sie die Blume entgegennahm. ,, Aber das solltest du wirklich nicht tun, oder ?“ ,, Harmlos. Wirklich.“ , erklärte er nur , variierte den Zauber gleichzeitig aber etwas. Die Rose verblühte in einem Augenblick auf den anderen, nur verfärbten sich die Blätter nicht dunkel und braun, sondern nahmen alle Farben des Regenbogens an, bevor sie ausfielen und zu Boden segelten. Jiy sah der zerfallenden Pflanze einen Moment zu. Die Blätter zersprangen, sobald sie den Boden berührten in eine Unzahl kleiner Funken und

verschwanden. Ins Vergessen. Und da sollte es auch bleiben. Für den Moment war wieder alles in Ordnung. Und Jiy fühlte selber, wie eine Last von ihren Schultern fiel, die sie bis grade gar nicht bemerkt hatte. Die Versammlungen waren vorbei, dachte sie. Vor ihnen lagen neue Herausforderungen. Und wieder einmal… sie würden sich dem Gemeinsam stellen. Zyle kam wenige Augenblicke später mit Wys zurück. Offenbar hatte er den Archonten überzeugen können, ihre Hilfe anzunehmen. Sein Freund wirkte allerdings Abwesend und in Gedanken. Kaum verwunderlich… wie lange war Zyle fort gewesen? Über ein Jahr ? Es

musste eine seltsame Vorstellung sein, jetzt auf diese Art zurück zu kehren. Und Kellvian konnte es zumindest teilweise nachempfinden. Böse Vorahnungen vermischt mit der Hoffnung und Neugier auf das, was kommen würde. Es stand alles fest, dachte Kellvian, nur noch einige wenige Vorbereitungen wären zu treffen und dann könnte es losgehen. Und er müsste sich erneut mit Dagian unterhalten… Etwa zur gleichen Zeit, hatte Eden bereits die Taverne erreicht, in der sie sich zusammen mit Erik, Zachary und Cyrus eingemietet hatte. Der schwarze Wolf saß bereits im Schankraum, als sie

ankam und versuchte offenbar, Erik beim Kartenspielen zu schlagen. Die beiden Männer hatten sich an ein leeres Fass gesetzt, das als Tisch diente, jeder ein dutzend Karten in der Hand. ,, Nicht schon wieder.“ , rief Cyrus, als der Schiffsarzt grinsend sein Blatt spielte. Mürrisch zog der Gejarn einen Beutel Tabak aus der Tasche und warf diesen seinen Gegenüber zu. ,, Wenn das so weitergeht, mein Freund, bin ich Arm, bevor wir endlich Abreisen.“ ,, Das wiederum hab ihr euch auch selbst zuzuschreiben.“ , meinte Erik und begann direkt, eine Pfeife zu stopfen. ,, Ihr könntet aber sicher noch eure Kleidung verwetten.“ Er beugte sich

verschwörerisch zu Zachary hinüber, der neben den beiden Spielern saß. ,, Keine Sorge , er bekommt nachher alles wieder.“ Der junge Zauberer lachte laut. ,, Darüber müsst ihr euch schon einmal keine Gedanken mehr machen.“ , erklärte Eden und machte sich damit bemerkbar. ,, Es geht also los ? Wenigstens rettet mich das davor, noch länger gegen den selbsternannten Gott der Karten anzutreten. Könnte also schlimmer sein.“ Eden schüttelte nur den Kopf. ,, Besser, ihr sucht schon einmal alles zusammen. Und jemand soll mir nochmal eine Liste mit Vorräten aufstellen. Wir werden wohl neben Zyle noch ein paar mehr

Gäste für die Überfahrt haben.“ ,,Mach ich.“ , erklärte Erik. ,, Ich schätze mal es hängt mit dem kleinen Aufruhr an den Stadttoren zusammen ?“ ,, Euch entgeht wenig oder ? Offenbar haben wir einen Archonten in der Stadt. Um genau zu sein Zyles Bruder. Wir brechen zusammen mit Kellvian und den anderen nach Helike auf.“ Rasch fasste sie zusammen, was sie von Wys erfahren hatten. Wirklich viel verriet es ihnen nicht. Aber sie konnte sehen, wie sich Eriks Mine verfinsterte, als sie von den Uhrwerk-Kriegern und dem Zauberer berichtete, die in Laos aufgetaucht waren. ,, Ich hatte wirklich gehofft, dem nie

wieder über den Weg zu laufen.“ , bemerkte er nur. ,, Aber mit einem hat dieser Wys recht. Laos verfügt über Unmengen an Schriften des alten Volkes. Zumindest nach allem was wir wissen. Ich habe einmal versucht, mich bis nach Helike zu schleichen, während ich in Kalenchor war. Aber man kommt als Außenstehender normalerweise nicht mal bis zu den Stadtmauern.“ ,, Ihr habt wirklich versucht euch in die Hauptstadt von Laos zu schleichen ?“ , wollte Cyrus wissen. ,, Das ist selbst für euch Verrückt, alter Mann.“ ,, Nun, jetzt muss ich das ja nicht mehr, oder ?“ , erwiderte der Schiffsarzt grinsend. ,, Die Gelegenheit lasse ich

mir nicht entgehen, wenn wir schon mal da sind. Und Kellvian wird sicher etwas Hilfe beim suchen brauchen.“ ,, Na Kellvian bezahlt uns besser jeden Tag, den wir dort auf ihn warten.“ , meinte die Gejarn ihrerseits. ,, Dann könnt ihr meinetwegen so lange in alten Büchern stöbern, wie ihr wollt.“

Kapitel 24 Hintergedanken


,, Das hier könnte die eine Chance auf Frieden sein, versteht das doch.“ Dagian schüttelte den Kopf. Meinte Kellvian das wirklich ernst? Es konnte ihm langsam egal sein, dachte der Hochgeneral. Aber die neuen Pläne des Kaisers setzten Kellvians Irrsinn noch die Krone auf. Allerdings hatte man dem Wahnsinn in Canton längst die Krone aufgesetzt, erinnerte er sich. Laos zu Helfen, anstatt dieses alte Problem endlich zu Beseitigen, jetzt wo sie vielleicht geschwächt und abgelenkt

waren… ,, Wie ihr wünscht.“ , erwiderte er nur. ,, Ich werde alles in die Wege leiten. Vorräte und Ausrüstung für eine mehrwöchige Seereise. Und mindestens zwei zusätzliche Schiffe als Begleitung für die Windrufer.“ Warum Kell ausgerechnet mit einer Bande Piraten lossegelte, anstatt sich auf einem Kriegsschiff der kaiserlichen Flott einzuschiffen, das sollte jemand Verstehen… Aber es würde die Sache einfacher machen, dachte der General. Sie befanden sich im Obergeschoss des Patrizierhauses und durch die breite Glasfront der Terrasse, konnte Dagian die Dächer Varas

überblicken. Das der General einmal keine Wiederworte gab, überraschte Kell offenbar. ,, Ich danke euch.“ , erklärte er jedoch schließlich. ,, Ich weiß ja was ihr davon haltet und unter anderen Umständen würde ich euch sogar zustimmen. Aber ich muss dieser Sache nachgehen. Und wenn Laos unsere Hilfe braucht und annimmt… Wir können diesen Konflikt beenden, ohne das ein Tropfen Blut fließt.“ ,,Wie gesagt.“ , erklärte Dagian erneut. ,, Ich werde alles vorbereiten. Ihr könnt damit rechnen, das ihr noch heute in Richtung Küste aufbrechen

könnt.“ Kell nickte. ,, Dann gebe ich den anderen bescheid.“ Wys war für die Dauer seines Aufenthalts ebenfalls im Haus einquartiert worden. Der Archont hatte das Wortlos hingenommen. Scheinbar war die Sache für ihn erledigt und er hielt sich meist zurück. Lediglich Zyle blieb an seiner Seite und wann immer Kell einen von beiden sah, war der anderen auch grade in der Nähe. Die beiden Brüder hatten wohl einiges aufzuholen. Kellvian bekam noch aus den Augenwinkeln mit, wie sich der General zum gehen wendete. Einen Moment blieb er selber noch stehen, wo er war. Dann

wendete er sich ebenfalls zum gehen. Ihre Zeit in Vara ging endgültig zu Ende. Dagian Einher wiederum lenkte seine Schritte sofort durch die stummen Hallen der Villa hinaus auf die Straßen der Stadt. Doch nicht, ohne noch einmal an seinem eigenen Arbeitszimmer anzuhalten. Der Raum war einmal wohl Markus Cynrics Schreibstube gewesen und Dagian hatten den Raum mit den meisten Möbeln übernommen. Ein schwerer Schreibtisch, einige hohe Lehnstühle und ein ganzes Regal voller Schreibutensilien und Instrumenten, deren Zweck er nicht einmal kannte. Die kleinen Konstrukte aus Bronze bestehend

aus Zahnrädern und Drehfedern hatten jedoch etwas Faszinierendes. Die kleinen Mechanismen arbeiteten beständig und erfüllten die Luft mit einem kaum hörbaren Surren. Das einzige, was neu war, waren einige Schränke mit aktuellen Karten und mehrere schwere Schließfächer für Briefe und Dokumente. Der verstorbene Patrizier war sehr offen mit seinen Papieren umgegangen, aber der General würde das sicher nicht. Nicht bei dem Spiel, das er spielte. Rasch schloss er eine der stabilen Schubladen auf und wühlte sich durch einen Stapel Pergament, den er ungerührt auf dem Tisch abstellte. Ihn interessierte etwas

anderes. Ein kleiner Lederbeutel, den er bis vor wenigen Augenblicken selber kaum mehr beachtet hatte. Rasch zog er die Schnüre auf und beförderte eine Hand voll kleiner Kristallsplitter zu Tage. Er hatte eigentlich kaum mehr an den Vorfall an der Westküste gedacht. Trotzdem hatte er die Überreste der Granate, die der verrückte Schiffsarzt konstruiert hatte, einem Magier zur Überprüfung gegeben. Vielleicht war es ja nützlich. Bis jetzt jedoch hatte ihm kein Szenario einfallen wollen, in dem die Steine brauchbar geworden währen. Gegen Politiker hilft selbst Magie wenig, dachte er. Aber war er nicht längst Teil

davon? Jetzt jedoch… Das war worauf Andre gewartet hatte. Und er auch. Rasch verließ er den Raum wieder, die Kristalle nun in der geschlossenen Hand und machte sich auf den Weg auf die Straßen. D Ohne sich großartig um die deutlich geschrumpfte Zahl Wachen vor der Tür zu kümmern, betrat er das Gasthaus, in dem sich der Herr Silberstedts nach wie vor aufhielt. Warum der Mann noch nicht gegangen war, war selbst dem Hochgeneral ein Rätsel. Doch jetzt würde es sich vielleicht als Glücksfall erweisen. Andre de Immerson schreckte von seinem Schreibtisch hoch, als der bärtige

General ohne anzuklopfen in sein Zimmer trat. Der Adelige sprang , agil für sein Alter, von seinem Platz auf und zog sofort eine Klinge aus einer Halterung an der Wand. ,,Götter, was fällt euch ein ?“ , fluchte er, als er Dagien schließlich erkannte und die Waffe fallen ließ. ,,Sieht so aus, Lord Andre, als wäre eure Gelegenheit gekommen.“ , erklärte sein Gegenüber nur und berichtete kurz, was Kellvian vor hatte. ,, Er muss verrückt sein, sich auf das Wort eines einzigen Mannes nach Helike zu begeben.“ Dagian nickte. ,,Laos hat seit einem Jahrzehnt niemanden mehr in der Stadt

Willkommen geheißen. Und ich glaube nicht, das die Archonten Kellvian einfach wieder abziehen lassen, wenn er abgewiesen wird. Der Kaiser wird nicht zurückkehren. Jeden falls glaube ich das nicht.“ ,, Und wenn doch ?“ Andre zog eine Augenbraue hoch und faltete die Hände zusammen, nachdem er das Schwert an die Wand gelehnt hatte. ,, Das ist eine sehr, sehr gefährliche Wette. Es wäre eine Sache, loszuschlagen, wenn er sicher Tod oder unschädlich ist. Aber was glaubt ihr geschieht, wenn Kellvian doch wieder nach Canton zurück kommt? Noch dazu, bevor wir die Kontrolle über das Land gewinnen?

Unsere Köpfe vor den Toren Silberstedts, das wird geschehen. Die Garde wird euch nicht folgen, solange der Kaiser lebt, Dagian.“ ,,Genau deshalb, müssen wir auch sicher gehen. Das Schiff, das Kellvian verwenden will, braucht noch zusätzliche Vorräte. Nahrung, Wasser, Ausrüstung und… Pulver.“ ,, Ihr wollt das Schiff in die Luft jagen, bevor es weit kommt ? Ihr seid Verrückt. Die Pulvervorräte mit einer Lunte zu versehen… Jeder wird sofort Sabotage vermuten. Und jeder wird sich Fragen, wer überwacht hat, welche Ladung das Schiff aufnahm. Und das seit Ihr.“ ,,,Nein, tatsächlich hoffe ich, das das

Schiff bis Helike unbeschadet bleibt. Stellt euch vor, was die Archonten mit ihm anstellen, wenn sie Sabotage vermuten. Vorausgesetzt, er überlebt das.“ ,, Immer doppelt sicher gehen, wie ? Und ich vermute, ihr werdet mir Verraten, wie ihr das zu Wege bringen wollt ? Habt ihr einen vertrauten in der Mannschaft, der das für euch übernimmt?“ ,,Besser.“ Dagian öffnete die Hand mit dem Kristall. ,,Ich habe das hier nach einem… nun… mir bekannten Konzept nachbauen lassen. Von einem freien Zauberer, keine Sorge, der Orden weiß nichts davon. Zuverlässiger als offenes

Feuer. Wenn wir das mit dem Pulver an Bord schaffen… Nun irgendwann wird das ganze sich entzünden. Und es erlaubt uns, darauf zu warten, das das Schiff weit weg ist. So kann niemand das mit uns in Verbindung bringen. Vorausgesetzt, wir erfahren jemals, was aus ihm wird. Der Kaiser wird ganz einfach… verschollen sein. Ein tragischer Unfall.“ Und wenn Kellvian erst einmal aus dem Weg war, konnte er sich immer noch Laos vornehmen. ,, Sobald er abreist, kann ich die Truppen alleine befehligen. Ich werde einen Großteil der Gardisten zur Grenze nach Laos beordern. Damit sichere ich den Süden und kann sicherstellen, das wir

uns auch Helike endlich unterwerfen können.“ ,,Dann bleibt mir der Norden überlassen. Die Provinz Immerson ist bereits unter meiner Kontrolle. Ich werde also dort alles vorbereiten. Wenn die Garde im Süden ist, steht mir Canton offen…“ ,, Nur solltet ihr eines nicht vergessen, Andre.“ , erwiderte Dagian. ,, Am Ende kontrolliere ich die Garde ihr hingegen habt ein paar Söldner auf eurer Seite. Versucht mich zu hintergehen und euer kleiner Umsturz bricht im Mündungsfeuer der kaiserlichen Armee zusammen.“ ,, Wie käme ich den dazu ?“ Andre wendete sich ab und drehte dem General

den Rücken zu. ,, Ich werde ebenfalls noch heute abreisen. Wir haben keine Zeit zu verschwenden.“ Tatsächlich konnte man noch am selben Tag einen in violette und schwarze Gewänder gekleideten Mann durch die Tore Varas reiten sehen. In seiner Begleitung befanden sich ein dutzend weitere Männer, manche davon durch ihre Rüstungen und Waffen leicht als Leibgarde zu erkennen, andere stellten einfache Diener, Schreiber oder anderweitige Untergebene da, die dem Herrn Silberstedts auf dem Weg zurück nach Immerson folgten. Nachdem die kleine Reisegemeinschaft

die Hügel um die Stadt erreicht hatte und langsam in den Wäldern dahinter verschwand, tauchten zwei weitere Gestalten auf. Eine davon ein hochgewachsener Gejarn und in einen braunen Umhang gehüllt unter dem die Uniform der kaiserlichen Garde schimmerte. Ein Gewehr hing dem Bären über die Schulter. Dazu kam noch ein Rucksack, der einem ausgewachsenen Mann wohl gepasst hätte, aber an dem riesenhaften Soldaten wirkte er beinahe zu klein. Er ging voraus, während ihm die zweite Person folgte. Diese war deutlich kleiner und eine auffällige rote Haarmähne fiel ihr bis über den Rücken. Sie trug einfacherer Kleidung und an

ihrer Hüfte spiegelte sich das Sonnenlicht auf dem Korbgriff eines Schwerts. Syle bedeutete Tamyra, langsamer zu werden, als sie den Weg in Richtung Wald einschlugen. ,, Vorsichtig.“ , erinnerte er sie. ,, Wenn er uns entdeckt können wir gleich umdrehen.“ Andre sollte nicht mitbekommen, dass ihm jemand folgte. Besser noch, er hätte etwas Vorsprung. Mit dem Pferd würde der Lord die Strecke nach Silberstedt ohnehin leicht doppelt so schnell zurücklegen wie sie. Und das war Sinn des ganzen. Er musste sich ja sicher fühlen, so dass er keine Gelegenheit hatte, irgendetwas zu

verbergen. Oder sich gar auf ihr eintreffen vorzubereiten. Tamyra Lahn wurde tatsächlich langsamer, während sie noch einen Blick zurück nach Vara warf. Es ging am Ende nur darum, aufzupassen, das Andre sich ruhig verhielt. Wenn der Herr Silberstedts Vernünftig war, waren sie vor Anfang des Sommers schon zurück. Ihr letztes Gespräch mit Dagian ging ihr immer noch durch den Kopf. Nach dem kurzen Zusammenstoß während der Versammlung hatte der Hochgeneral Cantons sich nicht mehr länger mit ihr Unterhalten. Sie konnte nur hoffen, dass er mittlerweile wieder ruhiger Geworden war. Kellvian war nun einmal gegen alle

Wiederstände Kaiser geworden. Und bisher schlägt er sich gar nicht so schlecht, dachte die Diplomatin bei sich, bevor sie sich wieder ihrem Begleiter zuwendete. Sie hätten mit einer ganzen Gruppe Gardisten als Begleitung losziehen können, aber das würde sie nur aufhalten. Und Syle war wohl einschüchternd genug für die meisten Menschen. Tamyra wusste nicht ganz, was sie von dem Gardisten halten sollte. Syle war überraschend weitsichtig gewesen, wie ihr klar wurde, als sie die Hügelkuppe erreichten. Andre hatte es offenbar nicht zu eilig, den der Lord und seine kleine Gruppe hatten die Pferde am Waldrand

angehalten. Einer der Männer die ihn begleiteten faltete eine große Stoffkarte auf und deutete auf irgendetwas darauf. Offenbar planten sie ihre Route. Syle blieb stehen und ließ sich vorsichtig ins Gras gleiten. Trotz seiner Größe war es erstaunlich, wie schnell sich der Mann verstecken konnte. Tamyra folgte dem Beispiel des Gejarn. Der Erdboden war noch kalt und stellenweise gefroren. Syle setzte fast lautlos den Rucksack ab und zog ein kleines Fernglas aus einer der Taschen. ,, Wenn sie weiterziehen, weichen wir ab sofort auf einige der Nebenstraßen aus.“ , flüsterte er

nur. Sie nickte. ,, Gute Idee, so riskieren wir nicht, das uns ein Nachzügler bemerkt. Trotzdem wüsste ich zu gerne, was die so lange zu bereden haben…“ Syle hatte das Glas direkt auf Andre gerichtet. Einen Momentbeugte sich der Lord selber über die Karte, dann jedoch drehte er ruckartig den Kopf. Die silbernen Haare flogen ihm einen Moment in einer Wolke um den Kopf… und dann starrte er genau in die Richtung des Gejarn. Syle hätte das Fernrohr beinahe fallen lassen… Nein, es war unmöglich, dass Andre de Immerson sie bemerkt hatte. Trotzdem konnte er erkennen, wie sie die Mundwinkel des

Mannes zu einem feinen Lächeln kräuselten. Andre wendete sich wieder ab und faltete in der für ihn so typischen Geste, die Hände zusammen. Dann setzte sich die kleine Gruppe wieder in Bewegung. Die Pferdehufe wirbelten Dreck und gelbes Gras auf, dann verschwanden sie zwischen den Bäumen. Die noch laublosen Wälder verschluckten die Männer um Andre, als hätten sie nie existiert. Syle erhob sich und klopfte sich etwas Dreck von der Kleidung, bevor er Tamyra auf die Füße half. Er hatte es vermisst, etwas zu tun zu haben. Während der letzten Wochen hatte er mehr Zeit mit Schlafen und

dekorativem Herumstehen verbracht, als in dem gesamten Jahr davor. Allerdings war ich vor einem Jahr auch mit Kellvian in der Wildnis gestrandet, dachte er. Und mit Walter. Syle hatte nur noch selten an seinen verstorbenen Kameraden gedacht. Aber der Mann den sie nun einen Besuch abstatten würden, war letztlich immer noch sein Vater gewesen… Sie setzten ihren Weg fort und erreichte selbst bald den Rand der Wälder, die das Herzland zusammen mit gewaltigen, nun brach liegenden, Feldern und kleineren Siedlungen prägten. Keiner von ihnen jedoch bemerkte, wie eine dritte, schwarz gekleidete Gestalt

durch die Stadttore trat und ihnen ohne Eile folgte. Quinn jedoch machte ebenfalls den Fehler, nicht zurück zu sehen. Vielleicht hätte der Zauberer sonst bemerkt, dass an dieser kleinen Jagd noch eine vierte Person beteiligt war. Die vierte Gestalt hatte im Schatten eines der Torflügel gewartet, bis Quinn an ihr vorbei gegangen war. Nun jedoch löste sie sich aus der Dunkelheit, wie ein lebendig gewordener Schatten und folgte dem Zauberer nach. Und damit auch Syle und Tamyra. Sie hatten alle ein Ziel. Silberstedt.

Kapitel 25 Rast


Sie waren nun bereits drei Tage Richtung Küste unterwegs und wenn nichts dazwischen kam, würden sie spätestens zu Beginn der nächsten Woche bereits das Meer sehen. Es war schön, endlich wieder aus der Stadt heraus zu kommen, jetzt wo die Versammlungen beendet waren. Förmlichkeit hatte ihm nie gelegen und so hatte er sich aus allem so weit wie möglich ausgehalten. Während die kleine Gruppe Rastete, entfernte Cyrus sich ein Stück, um sich die Beine zu Vertreten. Er hasste Pferde,

aber es war, von Magie abgesehen, die schnellste Möglichkeit, zu reisen. Und Teleportzauber verschlangen Unsummen. Selbst die reichsten Adeligen griffen nur in Notfällen auf die Dienste des Ordens für so etwas zurück. Trotzdem war er froh, endlich vom Pferderücken runter zu kommen. Reiten gehörte in der Garde zu den Fertigkeiten, die jeder erlernen musste, , aber er traute den Biestern einfach nicht über den Weg. Den Menschen schien das um einiges leichter zu fallen. Wie konnte man sich bitte auf etwas verlassen, das einfach mit einem durchgehen konnte, wenn ihm danach war? Sie reißen nur zu zehnt , Eden, Erik

,Kellvian ,Jiy und Zyle und sein Bruder und schließlich der General. Dagian Einher ließ sich jedoch selten sehen und war mehr damit beschäftigt, sich in Schweigen zu Hüllen. Nachdem er veranlasst hatte, dass Vorräte und einige Nachrichten, weitere Schiffe zu besorgen, vorausgeschickt worden waren, hatte er sich ihnen scheinbar spontan angeschlossen. Ganz sicher gefiel ihm die Aussicht nicht, Kellvian mit einer Bande Piraten segeln zu lassen und unter anderen Umständen hätte Cyrus das wohl nachvollziehen können. Aber er war einer davon, so seltsam das war, wenn er darauf zurück blickte. Eden würde ihn zwar zur Garde zurück

kehren lassen und Kell sicher nicht zulassen, das man ihn direkt wieder zur schwarzen Garde versetzte, aber das wollte er gar nicht mehr, gestand der Gejarn sich. Er ließ den Blick über das kleine, improvisierte Lager wandern, das sie am Wegrand aufschlugen. Einige große Zeltplanen, die sie zwischen den Bäumen aufspannten, dienten als Schutz vor eventuellem Regen. Die Pferde wurden ein Stück entfernt an einer kleinen Quelle angebunden. So hätten die Tiere Wasser und zu Fressen wuchs, trotz des noch relativ kalten Wetters, genug. Cyrus lenkte seine Schritte an den Tieren vorbei und musterte sie stumm. Kellvian und die anderen hatten

derweil damit begonnen, Essen zuzubereiten und alles für ein Nachtlager zusammenzusuchen. Erik hatte mit Zachary einige Pflanzen und Pilze aufgetrieben, die seiner Meinung nach essbar waren. Nachdem sich aber niemand fand, der es riskieren wollte, als Versuchskaninchen herzuhalten, stopfte er die Büschel grün scheinbar enttäuscht in seine Instrumententasche. Die Pilze warf er den Pferden hin und Cyrus musste sich unter einem gelblichen Schirm wegducken. Kellvian setzte derweil einen kleinen Topf mit Wasser auf die Flammen eines der Feuer und wartete darauf, das es

anfing zu kochen. Es war seltsam, sich vorzustellen, das dieser Mann jetzt wirklich ihr Kaiser sein sollte, dachte Cyrus. Der Junge hatte die Prunkkleider offenbar bereits satt, denn er trug einfache grüne und braune Waldkleidung. Zyle saß ein Stück weiter entfernt und unterhielt sich mit Eden, die seltsam gute Laune zu haben schien. Der Gedanke, bald wieder auf See zu sein, war sicher nicht ganz unschuldig daran. Jiy löste derweil Kell am Feuer ab und der Mann verschwand irgendwo im Unterholz, vermutlich Feuerholz holen. Nur von Wys oder Dagian war nirgends etwas zu sehen. Das der General sich nicht zu ihnen gesellte,

war mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Aber wo war der zweite Gejarn aus Laos bitte hin ? Der Gejarn wendete sich ab und ging dem kleinen Bachlauf entlang. Eines der Pferde, das Eriks Pilze gefressen hatte schwankte verdächtig, wie ihm auffiel. Irgendwie hoffte er fast, dass es seines wäre. Dann hätte er eine Ausrede in Zukunft zu laufen. Nach einer Weile wurden die Geräusche vom Lager, das Klappern von Besteck und das Gemurmel der Stimmen undeutlich. Der kleine Bach mündete in einem Teich, etwa drei Schritte im Durchmesser. Der Wald formte eine kleine Lichtung um die Wasserstelle.

Einige Seerosen und Wasserlinsen trieben auf der Oberfläche. Währe nicht Wys gewesen, die Szenerie hätte beinahe friedlich gewirkt. Cyrus hatte bisher nur wenig mit dem Mann gesprochen, der vor einigen Tagen in Vara aufgetaucht war. Wys hingegen schien allerdings auch kaum Wert darauf zu legen, sich mit jemand außer Zyle zu unterhalten. Der Gejarn hatte einen stabilen Ast vom Waldboden gesucht und wirbelte die provisorische Waffe zwischen den Fingern hin und her. Cyrus erkannte einige der Techniken von seiner Zeit in Kalenchor wieder. Der klassische, aber immer wieder gefährliche Kampfstil der

Schwertmeister Helikes war Legendär und Gefürchtet zu gleich. Und wenn es stimmte, dass dieser Mann hier ein Archont war, dürfte er in seinen Fertigkeiten sogar noch über den Elitekriegern von Laos stehen. Offenbar bemerkte Wys erst jetzt, das er nicht mehr alleine war. Er fing den Stock in der Drehung auf und lehnte sich entspannt darauf Der schwarze Wolf hob ebenfalls einen halbwegs solide wirkenden Stab auf, brach rasch ein paar Äste ab und prüfte, das die improvisierte Waffe nicht beim ersten Schlag splittern würde. ,, Was dagegen wenn ich mitmache ?“ Etwas Bewegung würde ihm nicht

Schaden. Und es gab ihm vielleicht die Gelegenheit etwas über den Mann zu erfahren. Er wusste gerne, womit er es zu tun hatte. Wys zuckte mit den Schultern. ,, Ich bin allerdings unsicher, ob ein Pirat mit mir mithalten kann.“ Ganz schön hochnäsig, schoss es dem Gejarn durch den Kopf. Na, das würde er ihm schon austreiben… Cyrus zog Kurzschwert und Axt aus seinem Gürtel und ließ die Waffen am Rand der Lichtung zurück. Bevor er sich noch Überlegt hatte, was er tun sollte, stürzte Wys auch schon vor. Holz prallte auf Holz, als er den Hieb grade noch parierte. Der Archont

ließ sich nicht auf ein Kräftemessen mit dem größeren Wolf ein, sondern sprang zurück und griff sofort wieder an. Cyrus fand sich überraschend schnell in die Enge getrieben. Wys kämpfte anders, als die Krieger Laos, die er kannte. Eleganter und Schneller. Vielleicht lag das aber auch daran, dass der Mann sich nicht mit einem Vollpanzer abmühte. Cyrus tauchte unter einem Schlag seines Gegners weg und versuchte, ihn einen Stoß in die Seite zu versetzen. Es war unmöglich, dass dieser noch rechtzeitig reagieren konnte, dachte er. Sicher, er könnte ihn so ungeschützt wie er jetzt war selbst erwischen, aber nicht, ohne zuerst einen Treffer einzustecken. Zu

seiner Überraschung jedoch, traf der Stab nur auf Holz. Entweder konnte der Kerl Gedanken lesen, dachte Cyrus. Oder er hielt nach wie vor den Großteil von dem was er konnte zurück. Götter, wenn das stimmte, wollte er Wys sicher niemals zum echten Feind haben. Zeit, darüber nachzudenken blieb ihm ohnehin nur wenig. ,,Kommt schon, ich schlaf hier ja gleich ein.“ , spottete sein Gegenüber, bevor er den Wolf mit einer weiteren Serie von Schlägen zurück trieb. Er musste zusehen, dass er dem Kampf irgendwie wieder eine Wendung gab, dachte Cyrus. Wys war ich über, daran

gab es nichts zu rütteln, aber wenigstens einmal wollte er den Mann treffen. Wys hielt jedoch plötzlich inne. ,, Gesellschaft.“ , meinte er nur beiläufig. Cyrus drehte den Kopf und entdeckte Kellvian, der zwischen den Bäumen auftauchte. Der Gejarn wollte die kurze Ablenkung nutzen und stürzte vor. Sicher, es war ein schmutziger Trick, zuzuschlagen, wenn sein Gegner abgelenkt war, aber in einem echten Kampf ging es auch nicht grade um Ehre. ,,Hab ich euch…“ Wys wich blitzschnell aus, ohne auch nur hinzusehen. Cyrus lief isn leere und stolperte über den Ausgestreckten Fuß

seines Gegners. Der Gejarn schlug der länge nach ins Gras. ,, Man kann eurem Körper ansehen , was ihr vorhabt, noch bevor euer Kopf es weiß.“ , erklärte Wys gelassen, während er ihm eine Hand hinstreckte und wieder auf die Füße half. ,, Was ist mit euch Kellvian ? Seit ihr besser, als eure Strauchdiebe und Deserteure?“ ,, Ich wollte nur nachsehen, wo ihr bleibt.“ , erwiderte Kell unsicher.,, Aber wenn ihr darauf besteht….“ Er brach einen graden Ast von einem der Bäume. ,, Ich sags ungern, aber ich könnte mit dem Kerl wirklich etwas Hilfe gebrauchen.“ , bemerkte Cyrus. ,, Zwei Gegner ja ?“ Der Gejarn grinste

plötzlich. ,, Das dürfte interessant werden.“ Kellvian zuckte nur mit den Schultern. ,, Was solls.“ Tatsächlich gelang es ihnen gemeinsam, den wendigeren Wys kurz in Bedrängnis zu bringen. Sich zwei Angriffe aus unterschiedlichen Richtungen erwehren zu müssen, trieb selbst den Schwertmeister an seine Grenzen. Trotzdem gelang es weder Cyrus noch Kell, dem Mann auch nur ein einziges mal zu treffen. Cyrus versuchte, in den Rücken ihres Gegners zu gelangen, während dieser sich einen Schlagabtausch mit Kellvian lieferte. Kell war dem Gejarn noch

weiterunterlegen als er selber und schaffte es nur Mühsam, die blitzschnellen Hiebe abzuwehren. Komplett in die Defensive Gedrängt, stolperte er lediglich einen Schritt nach dem anderen Rückwärts. Cyrus sprang vor, dieses mal sicher, das Wys ihn nicht einmal bemerkt hatte… und traf erneut nur Holz. ,,Netter Versuch.“ , meinte sein Gegner , während Cyrus nur sprachlos auf die gekreuzten Waffen starren konnte. Götter, der Mann war mehr als nur schnell. Wys trat zurück und versetzte ihm einen schwachen Stoß vor die Brust, der den Wolf zurück stolpern ließ. Bevor er sich wieder fangen konnte, trat

er mit dem Fuß ins Wasser. Sie hatten den Rand des kleinen Teichs erreicht. Cyrus blickte auf und konnte für einen Moment erahnen, was Wys vorhatte. ,, Nein, Moment, wartet…“ Ein kurzes Grinsen huschte über die Züge des Gejarn, bevor er seinem Gegner einen zweiten Schubs versetzte, der Cyrus endgültig aus dem Gleichgewicht brachte. Dieser ruderte noch einen Moment mit dem Armen, bevor er rückwärts ins Wasser stürzte. Einen Moment wurde der schwarze Wolf gänzlich von den dunklen Fluten verschluckt, bevor er hustend wieder auftauchte. ,, Na Großartig…“ , schimpfte Cyrus ,

während er sich mit einer Hand wieder ans Ufer zog. Währenddessen nahm der Gejarn seinen Kampf mit Kellvian wieder auf. Ohne Cyrus verlief dieser jedoch so unausgeglichen, das sich Kell keine Minute mehr gegen den Archonten behaupten konnte. Bevor Cyrus ganz ans Ufer geklettert war, folgte Kellvian ihm auch schon nah und riss den Gejarn wieder mit sich ins Wasser. Wys hielt den beiden triefnassen Gestalten eine Hand hin. Während er Kellvian ans Ufer zog meinte er : ,, Ihr kämpft zu viel mit der Waffe und zu wenig mit dem Kopf. Hört auf, ein

Schwert nur als Werkzeug zu sehen. Stahl ist keine Magie, die ihr nur eurem Willen zu Unterwerfen braucht. Es gibt mehr Regeln. Selbst unsere Kinder lernen das, bevor sie auch nur ein Messer in die Hand nehmen dürfen.“ Kell nickte nur, offenbar ohne sich wirklich um die Worte des Gejarn zu kümmern. Stattdessen wischte er sich Sumpfwasser aus den Augen und stolperte ein paar Schritte auf die Lichtung hinaus. ,, Und ihr kämpft viel zu sehr mit dem Körper. „ , meinte er an Cyrus gerichtet. ,,Ihr könnt euch nicht immer darauf verlassen, das euer Gegner euch unterlegen ist. Oder eingeschüchtert.“

,,Na vielen dank auch.“ Wys nickte nachsichtig. ,, Keine Sorge, das wiederum ist eine Lektion, die selbst einige unserer Besten erst lernen, wenn es zu spät ist.“ ,,Windgötter, was ist den mit euch passiert ?“ , wollte eine Stimme vom Rand der Lichtung wissen. Eden tauchte mit Zachary im Schlepptau zwischen den Bäumen auf. Ihr folgten Jiy , Zyle und Erik, der lauthals lachte, als er die kleine Gruppe erreichte. ,, Ich glaube der Herr Archont macht sich über uns lustig.“ , erklärte Cyrus, während Eden ihm eine Hand gab und aus dem Wasser half. ,,Das läge nicht in meiner Absicht.“ ,

erklärte Wys auch wenn wieder dieses kurze Lächeln über seine Züge huschte, bevor die ernste Maske zurück kehrte. ,, So oder so, ich erhungere hier gleich.“ , erklärte Erik und schien die Diskussion damit beenden zu wollen. ,,Das Essen ist seit einer halben Stunde fertig, wenn also sonst niemand mehr schwimmen gehen will…“ ,, Meldet ihr euch freiwillig alter Mann ?“ , wollte Zyle wissen. ,, Ich bin zu alt für kaltes Wasser.“ , erklärte der Arzt nur mit unverhohlenem Schalk in der Stimme.

Kapitel 26 Die Windrufer


Jiy konnte das Wasser in der ferne glitzern sehe. Die Steilklippen der Westküste Cantons lagen direkt vor ihnen. Von einer kleinen Anhöhe aus, konnten sie das gesamte Trümmerfeld überblickend das die fliegende Stadt hinterlassen hatte. Weiße Marmorbruchstücke, halb eingestürzte Gebäude und die Hütten, die während des Winters entstanden waren lagen über die gesamte Ebene verteilt. Selbst aus dem Meer ragten noch Trümmer, die mittlerweile mit Algen überwuchert

waren und zunehmend Teil der Umgebung wurden. Am Fuß der Klippen trieben mehrere Schiffe in Strandnähe. Hölzerne Stege, die wohl erst nach ihrer Abreise nach Vara errichtet worden waren, ragten ins Wasser hinaus. Auf den Brettern lief eine Unzahl Menschen und Gejarn hin und her, die auf die Entfernung wie Ameisen wirkten. Manche der Männer brachten Kisten oder Fässer an Bord der Schiffe, andere waren noch damit beschäftigt, Listen durchzugehen oder heftig gestikulierend Anweisungen zu erteilen. Es war organisiertes Chaos, dachte Jiy , etwas, in dem Menschen einfach besonders gut zu sein schienen.

,,Gehen wir.“ , meinte Dagian und trieb sein Pferd mit einem leichten Ruck an den Zügeln die Erdkuppe hinunter. Jiy, Kellvian und die anderen folgten langsam. Einige vereinzelte Eisschollen trieben noch auf dem aufgewühlten Wasser, als sie schließlich den Strand erreichen. Jiy musste sich korrigieren. Nicht nur die hölzerne Mole war neu, sondern offenbar waren auch gleich eine ganze Reihe Gebäude entstanden, die sich gefährlich unter die Überhänge der Klippen schmiegten. Der Geruch von Salz lag in der Luft und in der Ferne konnte die Gejarn die Umrisse einiger Möwen

erahnen. ,,Hey Leute, das ist der Kapitän.“ , einer der Arbeiter setzte eine Kiste ab. Offenbar gehörte er zur Crew der Windrufer. Eden sprang sofort vom Pferd, als sie den Strand erreichten. ,,Ich hoffe ihr habt mir gut auf mein Schiff aufgepasst.“ Der Mann lachte. ,,So gut wie Neu. Wir können los. Und wie uns zu Ohren kam, steht das nächste Ziel schon fest.“ ,,Helike.“ , meinte Zachary nur, welcher der weißen Luchsin gefolgt war. ,,Wir sind fast so weit. Noch ein paar Stunden und wir können aufbrechen.“ Eden nickte nur, bevor sie sich einen Weg in Richtugn Windrufer suchte.

Cyrus und Erik schlossen sich ebenfalls an. Das Schiff lag ganz am äußeren Ende des provisorischen Hafens. Kellvian drehte sich derweil zu Dagian um. ,,Es hat keinen Sinn, lange zu Warten, schätze ich.“ , meinte er. Der Hochgeneral nickte. ,,Desto eher ihr aufbrecht… desto eher seit ihr zurück. Ich werde hier so lange alles in Ordnung halten.“ ,,Das hoffe ich.. Wenn alles gut geht, bin ich vor Anbruch des nächsten Winters zurück. Zyle, Jiy… Wys… Wenn alle bereit sind…“ Die drei Gejarn nickten. ,,Also dann.“ Kell streckte dem General die Hand hin und dieser ergriff sie ohne wirklich

hinzusehen. ,,Achtet mir einfach gut auf Canton.“ , meinte Kellvian. ,,Keine Sorge Herr, das werde ich.“ Als sich der Kaiser umdrehte und mit den anderen in Richtung der Schiffe verschwand, sah Dagian ihnen lange nach. Der Hochgeneral hatte alles veranlasst. Trotzdem blieb ein mulmiges Gefühl zurück. ,,Das werde ich… Besser , als ihr es jemals könntet.“ , murmelte er leise. ,,Kommt dieses mal nicht zurück, tut uns allen den Gefallen, Kell.“ Es war an der Zeit, seine eigenen Pläne in die Tat umzusetzen. Sobald Kellvian lange genug fort war, würde er die

Truppen bereit machen und nach Laos ziehen. Götter, er könnte sogar die Schuld an Kells baldigem verschwinden auf die Archonten schieben. Aber es war ein enger Zeitplan, den er Einhalten musste. Die Reise über den Landweg würde leicht doppelt so lange dauern, wie mit dem Schiff. Und niemand, der nicht zufällig einen Archonten an Bord hätte, würde sich der Küste von Laos sicher nähern können. Noch am selben Tag, vor Anbruch des Nachmittags legten sie ab. Neben der Windrufer würden sie zwei weitere Schiffe des Kaiserreichs begleiten, an Bord knapp zweihundert Soldaten, die

Dagian aus den verschiedenen Garden ausgesucht hatte. Auf der Windrufer allerdings, duldete Eden nur ihre eigene Crew, was zumindest Wys mit einem dankbaren Nicken zur Kenntnis nahm. Ob man sie überhaupt nach Helike lies, oder direkt wieder wegschickte, stand sowieso auf einem anderen Blatt. Sie hätten kaum einen günstigeren Tag für ihre Abreise haben können. Es zeigten sich kaum Wolken am Himmel und der Nordwind trieb den kleinen Konvoi beständig nach Süden, immer die Küste Cantons im Blick. Erst, wenn die Westküste endete, würden sie aufs offene Meer gelangen. Jiy war unter Deck gegangen, nachdem

sich alle etwas Eingelebt hatten. Sie war letztlich nicht zum ersten Mal hier, doch hatte sich das Schiff durchaus verändert. Die Handwerker und Zimmerleute, welche die Reparaturen erledigt hatten, hatten sich offenbar auch die Freiheit genommen, das Schiffsinnere neu zu strukturieren. Die Windrufer stellte zwar nach wie vor ein beeindruckendes Stück Handwerkskunst dar, aber nach all den Jahren in Piratenhand war das Schiff nicht mehr auf dem neuesten Stand gewesen. Das hatte sich jetzt geändert. Der komplette Innenraum war Umgestaltet worden, wie Jiy feststellte. Die Laderäume waren deutlich kleiner wiedererrichtet worden und der Platz für

zusätzliche Mannschaftsquartiere genutzt worden. Eden schien es kaum zu stören, dachte die Gejarn. Und der zusätzliche Platz kam auch nicht ungelegen, mit einem halben dutzend Fremder an Bord. Sie kam an einer kleinen Küche vorbei, die ebenfalls neu war. Es erforderte schon einiges an Ingenieursgeschick, einen Ofen unter Deck zu bauen und dabei nicht das Schiff in Brand zu stecken. Eigentlich hätte Jiy dem auch weiter keine Beachtung geschenkt, doch ein greller Lichtblitz ließ sie einen Moment zusammenzucken. ,,Ha, das hat ja wirklich funktioniert.“ ,

konnte sie gleich darauf Erik hören. ,,Ich hoffe nur, das kannst du auch wieder rückgängig machen, Zachary.“ Irgendetwas schien mit seiner Stimme nicht in Ordnung zu sein, aber sie schob es auf Einbildung. Die Gejarn schüttelte den Kopf, während sie in die Küche trat. ,,Geister, was ist den hier passiert ?“ , wollte sie wissen. Überrascht, den Raum in Takt vorzufinden. Neben einem Herd gab es mehrere schwere Holzregale und einen kleinen Tisch, der direkt unter einem Bullauge angebracht war. Einige Gläser und Gefäße standen auf der Ablage. Zachary wiederum saß auf einem Stuhl vor dem Tisch, eine Hand ausgestreckt.

Nur von Erik war auf den ersten Blick nichts zu sehen. Jiy sah sich um. Sie hatte sich ganz sicher nicht getäuscht. ,,Zac… Erik war doch eben hier, oder?“ ,,Hier drüben.“ , hallte wieder Eriks Stimme durch den Raum. Nur, das sie irgendwie dünner klang, so als ob der Mann erkältet währe oder… ,,Ist etwas Gewöhnungsbedürftig , aber Großartig.“ Erik trat hinter einem der Gefäße hervor, die auf dem Tisch standen. Oder besser, eine leibhaftige Miniaturversion des Arztes. Eines der Gläser, das grade einmal die Fläche von Jiys Handfläche besaß, überragte ihn um die Hälfte. Er klopfte einige unsichtbare Falten aus

seinem Mantel. ,,Und was meint ihr ?“ , wollte der nun zwergenhafte Mann wissen. ,,Das ihr völlig Verrückt seid.“ ,,Von wegen, Zac sieht doch mal, ob du eine Flasche Rum auftreiben kannst. Ich kann so in dem Zeug baden.“ Erik versuchte einen der Glasbehälter auf dem Tisch zu öffnen, die Zucker und Salz enthielten, es gelang ihm jedoch nicht einmal, den Verschluss zu bewegen. Jiy musste ein Lachen unterdrücken. ,,Wie lange wird das anhalten ?“ ,,Bedauerlicherweise nicht lange genug.“ , erklärte der junge Magier ebenfalls grinsend und kratzte sich einen Moment am Kopf. ,,Der Schrumpfzauber war

Eriks Idee, aber ich hab noch Probleme damit, das ganze wirklich zu steuern.“ ,,Warum ?“ ,,Das ist eigentlich ziemlich einfach.“ , erklärte der Arzt. ,,Es verbraucht im Gegensatz zu einem temporären Zauber einfach beständig Energie. Magisch ein Feuer zu entfachen ist einfach, weil man das Ziel nur einmal entzünden muss. Aber einen Zauber über längere Zeit aufrecht zu erhalten erschöpft schnell die Reserven jedes Magiers.“ ,,Selbst mit Falamirs Träne als Quelle , hält der Zauber also nicht lange.“ , stellte Jiy fest. ,,Genau das.“ , antwortete Zac. ,,Sobald dem Kristall die Energie ausgeht, sollte

er wieder normal werden.“ ,,Sollte ?“ , fragte Jiy besorgt. ,,Das heißt, ihr wisst es gar nicht ?“ ,,Ich bin mir… fast sicher.“ , erklärte Erik. ,,Und wenn ihr euch irrt ?“ Zachary musterte den daumengroßen Arzt einen unsicher. Offenbar hatte der Junge nicht wirklich lange darüber nachgedacht. Andererseits, wusste zumindest Erik meist was er tat. Meistens… ,,Gibt es zwei Möglichkeiten, ich bleibe so klein oder Ende als grüner Fleck auf dem Boden, wenn der Zauber instabil wird.“ Auch wenn Erik das nicht so zu sehen schien, der Gedanke war beunruhigend.

,, Solltet ihr nicht ohnehin Immun gegen Magie sein ? Wie habt ihr das Umgangen?“ ,,Gegen den Effekt von Magie, Jiy. Das ist ein Unterschied. Magisch erzeugte Hitze oder Kälte können mir nicht viel das ist richtig. Hier reden wir aber von einem Zauber, der nicht auf die Umgebung wirkt, sondern… direkt. Ja genau, das ist es.“ Jiy schüttelte den Kopf. ,, Wisst ihr, das ich euch kein Wort glaube ?“ , fragte sie grinsend. ,, Ihr dürft glauben, was ihr wollt.“ , erklärte der Arzt und verschränkte die Arme vor der Brust, wie um seinen Standpunkt zu

verdeutlichen. ,, Schön, lasse ich einem alten Mann ein paar Geheimnisse.“ Erik seufzte entnervt. ,, Ich bin nicht alt. Zac, sieh mal ob du den Zauber wieder aufheben kannst. Ich habe grade genug davon, mich wie eine Maus zu fühlen.“ Der Junge nickte eifrig und streckte wieder eine Hand vor. Grüne Funken tanzten um seine Fingerspitzen, doch bevor er den Spruch ganz gewirkt hatte, schallte eine Stimme von Oben. ,, Kommt an Deck, schnell. Das solltet ihr euch wirklich ansehen.“ Es war Cyrus, der sie vom Deck aus rief. Zachary verlor die für einen Zauber

nötige Konzentration und die Funken erloschen. Erik winkte nervös mit den Händen. ,, Ach vergesst es, das sollte sich in einer halben Stunde ohnehin erledigt haben. Nehmt mich einfach mit nach oben.“ Zyle legte die offene Handfläche auf die Tischplatte und der Schiffsarzt trat vorsichtig darauf. ,, Und das ihr mich nicht fallen lasst.“ Er sah über den Rand der Handfläche hinweg. ,, Das wäre ein tiefer Sturz.“ ,, Eines Tages werdet ihr uns noch mal alle in die Luft sprengen, Erik.“ , erklärte Jiy nur , während sie sich auf den Weg aufs Oberdeck der Windrufer

machten. ,, Das hat ein alter Freund von mir auch mal gesagt. Zum Glück hat er damit Unrecht behalten. Aber die fliegende Stadt hat damals leider renoviert werden müssen. Und nein, daran war ich völlig unschuldig.“ Als sie an Deck kamen, standen Cyrus und Eden an der Reling des Schiffs und starten ins Wasser, als würden sie dort irgendetwas suchen. Der schwarze Wolf drehte sich zu ihnen um und erstarrte in der Drehung, als er Erik sah. Der Arzt war mittlerweile auf Zacs Schulter geklettert und hatte sichtlich Mühe, das Gleichgewicht zu

halten. ,, Ich frage erst gar nicht, ja ?“ , meinte er lediglich resigniert. ,, Ach kommt, ihr habt gesehen, wie eine Stadt vom Himmel fällt.“ , erklärte Erik, die Hände in die Hüften gestemmt. ,, Das ist definitiv Merkwürdiger. Also, was wolltet ihr uns zeigen?“ ,, Seht selbst.“ Eden winkte sie an den Rand des Schiffs und deutete ins Wasser. Zachary setzte Erik auf der Reling ab und folgte dem Blick der anderen. Jiy tat es ihm gleich. Zuerst konnte sie jedoch nichts erkennen. Nur blaue Wellen, auf denen sich hier und da die Sonne spiegelte. Dann jedoch bewegte sich irgendwo

unter dem Meeresspiegel ein Schatten. Es war zu schnell, als das die Gejarn etwas Näheres erkennen konnte. Nur eine annähernd humanoide Gestalt, die unter dem Rumpf der Windrufer hindurchtauchte. Bläuliche Schuppen glitzerten einen Moment im Sonnenlicht, dann war es auch schon wieder verschwunden. ,, Was war das ?“ , wollte sie wissen. ,, Sehr interessant…“ Erik hatte sich gefährlich weit auf dem Geländer vorgewagt und starrte ins Wasser. ,, Ich habe davon gehört, aber bis jetzt noch nie selbst welche gesehen.“ ,, Es sind wohl Gejarn.“ , erklärte Eden. ,, Aber wohl eine etwas andere

Art…“ Erik nickte. ,, Bisher habe ich auch nicht gehört, das sie sich Schiffen nähern. Sie halten sich eigentlich im Verborgenen, was wohl verständlich ist. Sie wollen nichts mit uns zu tun haben und die meisten Gejarn wie Menschen wissen nicht einmal, dass es sie gibt. Und…“ Weiter kam der Arzt nicht mehr, als ein grünes Schimmern über seinen Körper lief und dieser schlagartig wieder seien alte Form annahm. Erik schwankte auf der Reling, die plötzlich kaum noch Raum für seine Füße bot und wären die anderen nicht dabei gewesen, er wäre vermutlich im Wasser gelandet. So

jedoch rissen Cyrus und Eden den Mann rasch zurück auf das rettende Schiffsdeck. Jiy lachte nur, als die drei beinahe stolperten. Es war gut wieder unterwegs zu sein. Der Ernst der Politik des Kaiserreichs geriet endlich ein wenig in Vergessenheit.

Kapitel 27 Mann über Bord


Nachdem sie fast eine Woche der Küste Cantons gefolgt waren, erreichten sie schließlich das offene Meer. Land Und Himmel schienen in der Ferne zu verschmelzen, als schließlich auch der letzte Rest der Küste in blauem Dunst verschwand. Dunkle Sturmwolken waren am südlichen Horizont aufgetaucht. Und in der Ferne konnte Zyle den Schatten der Wolken auf dem Wasser erkennen. Der Wind hatte aufgefrischt und trieb die Windrufer beständig weiter. Vereinzelte Blitze zuckten und erhellten das

Halbdunkel. ,, Das sieht nicht gut aus.“ , bemerkte Wys. Der Gejarn musterte genau wie sein Bruder unruhig die näherkommende. Sturmfront. Rasch lief er über die gesamte Länge des Schiffs in Richtung der Kapitänskajüte, wo Eden grade einen Stapel loser Taue verteilte. Die anderen waren bis auf die benötigte Crew, den mittlerweile wieder Normalgroßen Erik, Cyrus und die Kapitänin unter Deck gegangen um die Ladung zu sichern und alles dicht zu machen. ,, Ihr steuert nicht wirklich direkt auf das Gewitter zu, oder ?“ , fragte Wys, sobald er die Gejarn erreichte. Die ersten, eiskalten, Regentropfen fielen

auf das Deck und drangen sofort durch Kleidung und Fell. ,, Genau das habe ich vor.“ , erwiederte Eden und drückte dem Archonten ein Tauende in die Hand. ,, Wenn ihr nicht auch unter Deck wollt, sichert euch damit an der Rehling. Ich will nicht, das mir heute jemand über Bord geht.“ ,, Das ist doch Wahnsinn…“ ,, Wir können aber auch nicht mehr darum herum segeln.“ , bemerkte Zyle, der das Problem erkannt hatte. Die Kapitänin nickte. ,, Die Sturmfront ist zu breit. Und bei der Windrichtung erwischt das Unwetter uns so oder so. Also können wir auch gleich auf Kurs bleiben.“ , erklärte sie ernst. Trotzdem

huschte ein schwaches Lächeln über ihre Züge. ,, Laos, ihr legt es wirklich drauf an.“ , stellte Wys fest. Eden lachte. ,, Beim Segeln gegen einen Sturm merkt man erst wiederrichtig, das man noch am Leben ist.“ Sie warf Zyle ebenfalls ein Seil zu. ,, Sicher, das ihr euch nicht doch lieber irgendwo Unterstellen wollt, Schwertmeister ?“ ,, Wers glaubt…“ Wys Augen funkelten. Offenbar nahm er das ganze jetzt als persönliche Herausforderung an. Der Regen fiel mittlerweile in dichten Schnüren vom Himmel und der Wind hatte nochmals aufgefrischt, so das Zyle den Mantel um sich zog, um sich

wenigstens etwas vor dem Sturm zu schützen. Wenn Wys blieb, würde er sicher als letzter darauf bestehen sich unter Deck zu verstecken. Das wäre ja beleidigend. Er sah zu dem Archonten herüber und irgendwie schien dieser seine Gedanken zu erraten. ,, Wer als erstes Deckung sucht ?“ , schmunzelte Zyle. Wys nickte nur. Es war seltsam, aber irgendwie wurde aus dem ganzen ein kleiner Wettstreit zwischen den beiden. Wie vor all den Jahren, als sie noch Kinder gewesen waren und in den Sanddünen um Helike um die Wette gelaufen waren. Manchmal waren sie erst kurz vor Sonnenuntergang zurück

gekehrt, wenn die Statdtore für die Nacht geschlossen wurden. Die geordnete Gesellschaft Helikes mochte für Erwachsene keine Gnade kennen, den Kindern jedoch ließ man meist alles durchgehen, bis es an der Zeit für ihre Prüfungen war. Die Rituale, die ihr weiteres Schicksal bestimmen würden… Für sie beide war es der Weg des Stahls geworden. Einer, der sie jedoch früh getrennt hatte. Während er in Helike blieb, verdiente Wys sich an den grenzt von Laos. Und jedes Mal wenn sie sich wiedersahen, geschah es fortan in dem Bewusstsein, das es das letzte mal gewesen sein könnte und das nächste mal einer von

ihnen nur noch mit einem Leichenzug die innere Stadt betreten würde. Es war lange her…. ,, Die Frau bringt uns irgendwann alle noch unter die Erde.“ , bemerkte Erik und riss Zyle damit aus seinen Gedanken.. ,, Oder besser unters Meer.“ Der Arzt war grade damit beschäftigt, rasch die letzten Segel einzuholen. ,, Wenigstens kann es dann nicht mehr viel schlimmer werden.“ , rief Cyrus über das tosen der Wellen zurück, bevor er sich ebenfalls an die Arbeit machte. Und bevor sie noch richtig Zeit hatten, sich vorzubereiten, waren sie auch schon mitten im Sturm. Eden sollte recht damit

behalten, dass ihnen die Leinen gute Dienste leisteten. Die Wellen, die die Windrufer beinahe wie ein Spielzeug hin und her warfen, brachten Zyle mehr als einmal aus dem Gleichgewicht. Und als dann die ersten aufgepeitschten Wassermassen das Deck überspülten, wurde ihm schnell klar, wie leicht man in dem Unwetter über Bord gehen konnte. Die einzige, die sich von der Wetterlage nicht beeindrucken ließ, war Eden, die soeben den Steuermann vom Ruder ablöste, damit dieser Schutz suchen konnte. Stattdessen versuchte sie nun, das Schiff auf Kurs zu halten, so gut das eben ging. Für den Augenblick

zumindest, blieben sie ein bloßer Spielball der Gezeiten. Die Gejarn lachte, als eine weitere Welle über dem Deck zusammenschlug und sie bis auf die Haut durchnässte. Diese Frau hatte mindestens einen so großen Schaden wie der Arzt, dachte Zyle bei sich. Auch wenn sie diesen besser verstecken konnte. Cyrus kämpfte derweil nach wie vor mit einem der Segel, das der Sturm längst zu zerreißen drohte. Zyle gab Wys ein Zeichen, bevor er dem Wolf zur Hilfe kam. Der Wind peitschte die Takelage ständig in alle Richtungen davon und es stellte eine Geduld wie Kraftprobe dar, das Seil auch nur zu fassen zu

bekommen. Cyrus rief irgendetwas, das im tosen des Sturms unterging, dann gelang es ihnen endlich, die letzte Stoffbahn einzuholen. Zyle atmete erleichtert auf. Sie könnten es wohl Überstehen, wen ein Segel riss, aber es würde sie garantiert eine Weile aufhalten. Cyrus nickte ihm aus den Augenwinkeln dankbar zu, während der Gejarn einen Schritt zurück trat. Desto schneller sie das Gewitter hinter sich ließen, desto besser. Vermutlich hatten sie noch Glück, die Küste erst vor wenigen Tagen verlassen zu haben. Weiter draußen wäre die Wucht des Unwetters möglicherweise noch zerstörerischer gewesen. So aber konnten

sie es schaffen, solange nichts unvorhergesehenes mehr passierte. Noch während er darüber nachdachte, wurde die Windrufer erneut von einer Welle getroffen. Wasser spülte über das Deck und riss Zyle von den Füßen. Er geriet mit dem Kopf unter Wasser und sah einen Moment gar nichts mehr, außer das an ihm vorbeigleitende Schiffsdeck und schäumendes Seewasser. Dann spannten sich die Sicherheitsleinen mit einem schmerzhaften Ruck und er taumelte zurück auf die Füße. Nun endgültig völlig durchnässt, schöpfte er einen Moment Atem. ,, Ich hoffe, so etwas muss ich nie wieder mit machen.!“ Zyle erhielt von

Cyrus keine Antwort. Natürlich nicht, dachte er. Auch wenn das Pfeifen des Winds langsam nachließ, war es schwer sich verständlich zu machen. Er drehte sich nach dem Wolf um… und musste feststellen, das dieser nirgendwo zu entdecken war. Er musste nicht richtig gesichert gewesen sein, schoss es Zyle durch den Kopf. Und wann hätte er auch Gelegenheit dazu gehabt, so beschäftigt, wie Cyrus mit den Segeln gewesen war. Eden musste ebenfalls gesehen haben, wie der Mann über Bord ging, den noch im gleichen Augenblick drückte sie Wys das Steuerrad in die

Hand. ,, Seid ihr verrückt gewor…“ Noch im gleichen Moment wurde der Archont fast von einer Welle umgerissen und ließ das Ruder los. Einen Moment schlingerte das Schiff hin und her, bis Eden das Rad wieder zu fassen bekam und den nun ebenfalls völlig durchnässten Gejarn wieder auf die Füße zerrte. ,, Haltet die Windrufer einfach auf Kurs. Das Rad genau so fest halten, wie es ist. Sollte nicht zu schwer sein.“ Mit diesen Worten löste Eden das Tau, das sie an Deck hielt und hastete die kurzen Stufen vom Ruder bis zum Hauptdeck hinunter. ,, Seht ihr ihn ?“ , wollte sie von Zyle wissen. Der Gejarn war selber bis an die

Reling getreten und spähte in die aufgewühlte See hinaus. Aber außer dunklen Wellen und Regen konnte er nichts erkennen. ,, Keine Ahnung wo er ist.“ ,, Großartig. Also heißt es schwimmen. Wehe, Cyrus ertrinkt mir…“ Die Gejarn warf Zyle ihren roten Mantel zu. ,,Macht ein Beiboot klar tut mir den gefallen.“, meinte sie noch. ,, Warum…“ Weiter kam er auch nicht mehr, als Eden auch schon über die Reling setzte und im Wasser verschwand. ,, Ist die völlig verrückt geworden ?“ Wys hielt nach wie vor das Ruder fest, während auf Deck hektisches Treiben ausbrach. Eines der kleinen Boote auf

dem Deck wurde klar gemacht und in die Wellen hinunter gelassen. Zyle hielt weiterhin Ausschau nach Eden… Laos, wie lange konnte selbst ein geübter Schwimmer sich bei diesem Unwetter über Wasser halten? Der Schock, als die Wellen über ihr zusammenschlugen, ging Eden durch alle Glieder. Beweg dich, sagte sie zu sich selbst, als sie von einem Wasserstrudel unter die Oberfläche gedrückt wurde. Es war nicht die plötzliche Kälte, die ihr Probleme bereitete, aber Fell und Kleidung sogen sich sofort mit Wasser voll und erschwerten das Schwimmen ungemein. Endlich jedoch, kam sie

wieder an die Oberfläche. An Bord der Windrufer wurden jetzt Signalleuchten entzündet und bald schien das ganze Schiff zu glühen und erhellte das Wasser in der näheren Umgebung. Cyrus musste irgendwo sein, dachte Eden. Aus den Augenwinkeln konnte sie die Silhouette der anderen kaiserlichen Schiffe sehen, die ihnen folgten. Aber keine Spur von dem Wolf. Er konnte nicht einfach weg sein. Und sie würde sich sicher auch nicht damit Zufrieden geben. Den Mann jetzt so zu verlieren… das würde wehtun, gestand sie sich selbst ein. Und es reichte ihr damit langsam. Wenn Cyrus nicht schwimmen konnte,

wurde langsam die Zeit knapp. Eden holte tief Luft und tauchte erneut unter. Grau-blaues Wasser war für einen Moment alles, was sie erkennen konnte. Die schiere Wucht der Wellen über ihr drückte sie immer wieder in eine unerwartete Richtung und langsam aber sicher verlor sie selber die Orientierung. Dann endlich entdeckte sie in der Dunkelheit etwas. Verflucht, wieso musste Cyrus bei seiner Fellfarbe auch noch schwarz tragen. Kein Wunder, das sie sie ihn erst jetzt entdeckte. Eden konnte nur hoffen, das es nicht zu spät war. Ihre Hand bekam den Kragen einer dunklen Gardeuniform zu fassen und sie zog den überraschend schweren Wolf mit

sich an die Oberfläche. Sobald ihr Kopf die Wasseroberfläche durchbrach schnappte sie nach Luft. Blieb immer noch die Frage, ob sie es zurück bis zu den Schiffen schaffen würde… Mit dem zusätzlichen Gewicht von Cyrus im Schlepptau. Die Windrufer war weit abgetrieben und die übrigen Schiffe noch weiter weg, auch wenn sie langsam aufschlossen. Doch in der Nähe tanzte ein einziges kleines Licht über die Wellen. Eden konnte das Boot kaum erkennen, aber das musste es sein. Und so oder so war es ihre einzige Hoffnung, nicht selber im Sturm unterzugehen. Eine weitere Welle brach über ihr zusammen und sie schluckte Wasser. Fast

hätte sie den Halt an Cyrus Jacke verloren, dann hatte sie das Boot endlich erreicht. Sofort streckten sich ihr Hände entgegen, die Eden aus dem Wasser hievten und den Wolf mit ihr an Bord holten. Einen Moment konnte sie Erik erkennen, der sich sofort des halb ertrunkenen Gejarn annahm. ,, Keine Sorge, das wird wieder.“ , meinte er nur aufmunternd. Eden nickte lediglich und ließ sich erschöpft. gegen die schwankende Bordwand zurück sinken. Mit einer Hand wischte sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Wenn Erik meinte, dass man sich keine Sorgen machen brauchte, hatte er zumindest damit meistens Recht.

Trotzdem fiel die Spannung nach wie vor nicht von ihr ab. Der Sturm ließ langsam nach und am Horizont waren bereits wieder erste Lichtstreifen zu sehen. Aber zurück zur Windrufer mussten sie es immer noch schaffen. Die Männer mussten sich in die Ruder legen um die kleine Holzkonstruktion gegen die Wellen behaupten zu können. Cyrus kam derweil wieder zu sich und hustete Wasser. Von Krämpfen geschüttelte setzte der Gejarn sich auf und nickte ihr einen Augenblick dankbar zu. Worte waren in dem Sturm ohnehin kaum zu verstehen. ,, Alles In Ordnung ?“ , wollte sie trotzdem

wissen. ,, Könnte schlimmer sein.“ , murmelte er. ,, Jetzt habe ich euch schon zum zweiten Mal vorm ertrinken gerettet. Lasst das bitte einfach nicht zur Gewohnheit werden , ja ?“ Einen Moment hatte sie wirklich Angst um ihn gehabt, gestand sie sich ein. ,, Beim ersten mal wart ihr aber auch nicht ganz Unschuldig daran.“ , erwiderte Cyrus grinsend. Die Reihe spitzer Zähne, die aufblitzte, hätte manchen leicht Angst machen können. Allen, die ihn nicht besser kannten zumindest. ,, Vielleicht lassen wir das einfach in

der Vergangenheit ruhen, ja ?“

Kapitel 28 Fieber


,,Danke nochmal fürs Retten. Mal wieder.“ , meinte Cyrus. Der Wolf hatte sich eine Decke um den Oberkörper geschlungen und saß die Beine ausgestreckt vor dem neu aufgebauten Herd. Nach wie vor Tropfte Wasser aus Kleidung und Fell, auf den Boden der Küche. Ansonsten jedoch sah es so aus, als hätte sein unfreiwilliges Bad keine weiteren Folgen. Aber Geister, dachte er… das war viel zu knapp gewesen. Cyrus konnte sich nicht einmal genau erinnern, was eigentlich passiert war. Nur daran, das eine Welle das Deck

überspült hatte… und dann waren da nur noch die schäumenden Wogen gewesen, in denen er schnell die Orientierung und schließlich auch das verloren hatte. Blut hatte eine Platzwunde über seinem Ohr verklumpt. Er musste bei seinem Sturz irgendwo aufgeprallt sein. So oder so, es war nur Zyle und vor allem Eden zu verdanken, das er, mal wieder, davon gekommen war. Die Kapitänin hatte sich zu ihm gesellt und hielt einen kleinen Zinnbecher in der Hand, aus dem Dampf aufstieg. Statt etwas zu trinken genoss sie einen Moment nur die Wärme. Dann jedoch nahm sie doch einen Schluck und verzog das

Gesicht. ,,Götter, was hat Erik da zusammengebraut…“ Cyrus grinste unwillkürlich. ,,Dann kann ich mir das wenigstens sparen.“ , meinte er. ,, Ich sollte das auch gar nicht trinken. Also bitte…“ Sie machte eine Geste in Richtung Ofen. Auf dem Herd stand noch eine ganze Kanne von dem Zeug, wie Cyrus wusste. Erik hatte Kurzerhand entschieden, das sie beide etwas zum Aufwärmen vertragen könnten und Rum zusammen mit einer willkürlichen Anzahl Gewürze erhitzt. Offenbar war das Ergebnis nicht genießbar, wie der Gejarn deutlich

anzusehen war. Trotzdem stand Cyrus auf und füllte selber einen Krug mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Der Geruch verschiedener Kräuter stieg ihm in die Nase. Aber auch etwas wie… Pfeffer ? Er müsste den Alten wirklich nachher fragen, was er sich dabei gedacht hatte. Vermutlich etwa so viel, wie bei den angeblich essbaren Pflanzen, die er aufgetrieben hatte… Cyrus hielt kurz inne, als er den Becher an die Lippen führte. Hatte Erik die eigentlich weg geworfen, bevor sie an Bord gegangen waren? Cyrus zuckte mit den Schultern und trank schließlich. Und musste Eden

gleich zustimmen. In Kalenchor hatten manche der Bauern, die die Stadt versorgten, mangels alternativen, Paprika oder Pfefferkörner in Alkohol eingelegt um dem Getränk wenigstens einen etwas erträglicheren Geschmack zu verlangen. Manche der Gardisten griffen offenbar sogar ganz gerne auf den derart aufbereiteten Schnaps zurück, aber Cyrus hatte sich nur einmal zum Probieren überreden lassen. Seine Zunge hatte eine Woche später noch gebrannt. Das hier war zwar nicht ganz so schlimm, aber es kam dem am Nächsten. ,,Ist das eigentlich schon ein Verbrechen ?“ , fragte

er ,,Auf meinem Schiff schon.“ , gab Eden trocken zurück und schüttete den Rest aus ihrem Glas zurück in die Kanne auf dem Herd. ,,Noch ein Grund aus dem ihr das bitte nicht zur Gewohnheit werden lasse solltet. Ich habe mir wirklich Sorgen um euch gemacht.“ Cyrus sah auf. Wenn man von Zachary absah, das Eden zugab, sich um irgendjemanden zu kümmern war wirklich seltsam. ,,Das braucht ihr nicht. Ich habe nicht vor zu bald herauszufinden, ob die Hallend er Ahnen oder die Seelen meiner Vorfahren irgendwo auf mich warten.“ Eden nickte. ,,Nur…“ Sie zögerte und

verstummte wieder. ,,Nur was ? ,,Ich wollte vorschlagen, wenn wir nach Canton zurück kehren… könnten wir ja vielleicht irgendwann mal was unternehmen…“ Cyrus war einen Moment zu Perplex um zu antworten. ,,Ähm… Nicht, das ich mich nicht Geehrt fühlen würde…“ Eden ließ ihn erst gar nicht ausreden, sondern stand auf. Offenbar hörte sie ihm auch gar nicht mehr zu. ,,Vergesst es. Vermutlich war das ohnehin dumm. Ich muss jetzt wieder an Deck. Irgendjemand muss auf diesem Schiff schließlich nach dem Rechten sehen.“ Mit diesen Worten war die Gejarn auch

schon durch die Tür auf den Gang. Cyrus sah ihr einen Moment nach. Was sollte er den jetzt damit anfangen? Er ertappte sich selbst dabei, wie er mit dem Gedanken spielte, ihr direkt zu Folgen. Die Frage blieb. Was sollte das denn jetzt? Er hatte Eden bis zu diesem Moment immer für viel zu Abgebrüht Gehalten um auch nur über ihre eigenen Worte zu stolpern. Abgehärtet und vermutlich eine gute Spur Verrückt. Allerdings war sie wohl auch nicht der Typ, der irgendjemanden an sich ran lies… Götter, das war verrückt. Er sollte tun was sie gesagt hatte und es schleunigst wieder

vergessen. Cyrus griff wieder nach seinem Glas und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. So schrecklich das ganze schmeckte, es machte wenigstens den Kopf klar. Bevor er den leeren Becher wieder abstellen konnte, wurde die Tür wieder aufgezogen und Erik trat herein. ,,Schmeckts ?“ Cyrus lachte. ,,Erik, wenn es einen Abgrund der Seelen und es dort etwas zu trinken gibt… Das hier wäre nicht fehl am Platz.“ Der Arzt erwiderte nichts, sondern griff selber nach der Kanne auf dem Herd und füllte ein eigenes Glas bims zum Rand

auf. Bevor Cyrus ihn aufhalten konnte, hatte Erik auch schon den kompletten Inhalt hinunter gestürzt und sah ihn Fragend an. ,,Ist doch gar nicht so schlimm.“ , erklärte der Schiffsarzt. ,,Eden ist mir übrigens grade entgegengekommen.“ Cyrus nickte. ,,Wollte wohl wieder an Deck. Verständlich, wir sind noch nicht aus dem ganzen raus…“ ,,Aha…“ ,,Was heißt hier aha ?“ ,,Nun mein Freund…“ Erik setzte sich auf einen der Ablagen. ,,Das heißt, dass ich ziemlich gut darin bin, jemanden anzusehen, was er denkt.“ ,,Ich glaube sie hat mich eben um ein

Rendezvous gebeten.“ Erik sah ihn einen Moment entgeistert an, dann begann er schallend zu lachen. ,,Das ist nicht witzig.“ ,,Wieso, wo ist das Problem ?“ , wollte der Schiffsarzt wissen, während er nach Luft schnappte. ,,Bei euch hört sich das an, als hätte man euch zum Tode verurteilt. Zu hässlich für euch ?“ ,,Das ist doch gar nicht der Punkt und das wisst ihr auch, alter Mann.“ Cyrus seufzte. Was ein paar Worte für Schwierigkeiten mit sich bringen konnten. ,,Ich mag Eden, aber ich habe bisher nie auch nur darüber nachgedacht, das… Sie ist nicht grade... stabil.“ Er tippte sich gegen den

Kopf. ,,Jetzt sagt bloß, ich wär in euren Augen noch Normal. Trotzdem bin ich euer Freund, oder?“ ,,Schon.“ , gab der Wolf zu. ,,Da ist aber ein kleiner Unterschied zwischen einem Freund und eventuell im selben Bett zu landen.“ Erik stand von seinem Platz auf. ,,Wie auch immer. Ich wollte nur sichergehen, das ihr wieder auf die Beine kommt.“ Cyrus nickte. ,,Sicher. Oder mich bloß aushorchen.“ ,,Das war nie meine Absicht. Ihr habt mir doch Angefangen.“ Er zwinkerte. ,,Wie dem auch sei, ich muss selber wieder an die Arbeit. Wir haben ein paar

Leute mit Fieber.“ Der Gejarn sah auf. ,,Darüber müssen wir uns aber keine Sorgen machen, oder ?“ Der Arzt hielt in der Tür inne. ,,Noch nicht. Aber wir sind Weit vom nächsten Hafen entfernt. Hoffen wir einfach, das ihnen nur der Sturm etwas zugesetzt hat.“ Damit war das Gespräch in Eriks Augen wohl beendet und er trat aus dem Raum. Als die ersten Krank zu werden begannen, machte sich auch noch niemand Sorgen. Wenige Tage, nachdem sie den Sturm passiert hatten, tauchten mehrere Crewmitglieder mit leichtem

Fieber auf. Erik verfrachtete die Kranken unter Deck in einige Kabinen, so dass er sie in Ruhe untersuchen konnte und Anfangs sah es auch so aus, als würden sie sich noch rasch erholen. Doch am Ende der nächsten Woche war klar, dass sie es mit keiner einfachen Krankheit zu tun hatten. ,,Heute sind es drei Neue Fälle.“. Erik wirkte beunruhigt, während er wieder an Deck trat. ,,Ihr Zustand verbessert sich einfach nicht, egal, was ich versuche.“ So weit sie sehen konnten, gab es nichts weiter als blaue Wellen um sie herum. Kellvian schätzte, das sie mittlerweile etwa die Hälfte der Strecke bewältigt haben musste, aber das war bestenfalls

geraten. Im Gegensatz zu Eden, die regelmäßig die Position des Schiffs überprüfte, hatte er keine Ahnung, wo genau sie waren. ,,Damit wären es jetzt fünfundzwanzig Kranke.“ , stellte Zyle beunruhigt fest. Der Gejarn war alleine Am Deck, wie Kell feststellte. Wys war nirgendwo zu entdecken. Mit ihm zusammen waren neben Erik und Jiy nur noch Eden und alle aus ihrer Crew, die nicht Krank waren an Deck. ,,Und von den anderen Schiffen gibt es keine Berichte ?“ , wollte er wissen Der Arzt schüttelte den Kopf. ,,Wenigstens scheint es bisher nur die Windrufer zu betreffen. Und nur

Menschen, so weit ich das Überblicken kann.“ ,,Das ist gut.“ , stellte Eden fest. ,,Etwa die Hälfte der Mannschaft besteht aus Gejarn. So bleiben wir in jedem Fall seetüchtig und können einen Hafen erreichen. Auch wenn Umkehren jetzt genau so viel Sinn macht, wie weitersegeln. Aber dann sollte sich wirklich jeder außer euch um sie kümmern…“ Erik zwinkerte nur. ,,Mir geht es blendend.“ ,,Ich kann euch trotzdem helfen.“ , bot Jiy an. ,,Vier Hände schaffen mehr als zwei. Und ihr braucht auch irgendwann

Ruhe.“ Der Arzt nickte dankbar. ,,In dem Fall nehme ich sie natürlich an. Ihr könnt grade mitkommen. Mir bleibt eigentlich nur, so gut wie möglich auf sie zu achten, Gestorben ist bisher keiner, aber… Die die als erstes Krank geworden sind machen mir aber am meisten Kopfzerbrechen.“ ,,Wieso das ?“ , wollte die Gejarn wissen, während sie Erik unter Deck folgte. ,,Ihr Fieber wird langsam aber sicher höher. Bei allen von ihnen und kontinuierlich. Ansonsten gibt es aber nicht das geringste Zeichen, das ihnen etwas fehlt. Die, die noch bei

Bewusstsein sind Klagen über keine anderen Symptome und die, die das Bewusstsein verlieren sehen bis auf ihre Temperatur auch völlig normal aus.“ ,,Ihr wisst also nicht, was mit ihnen los ist.“ ,,Ich habe eine Vermutung.“ , gestand der Arzt, als sie die Tür zum improvisierten Krankenzimmer erreichten. Neben der Tür stand eine kleine Schüssel auf einem Hocker. ,,Aber was ich Vermute, macht mir Angst. Dafür ist es zu früh. Aber selbst wenn es… ist was ich fürchte, für Gejarn wäre es ungefährlich.“ Jiy wollte schon durch die Tür treten, als Erik sie noch einmal anhielt und auf

die Schale daneben deutete. ,,Das ist Essig, ich wäre euch Verbunden, wenn ihr euch kurz die Hände damit Wascht.“ Jiy nickte nur, fragte aber: ,,Warum ?“ ,,Sagen wir einfach, es gibt einen Grund, warum mir in Kalenchor die wenigsten Patienten nach Operationen Weggestorben sind. Ich glaube das Zeug zerstört irgendetwas auf der Haut, das andere Menschen als einen selbst Krank machen kann.“ Die Gejarn war sich zwar nicht ganz sicher, ob sie das Verstand, aber sie wusste sehr wohl, worauf er hinaus wollte. Die meisten Verletzten starben wenn an Infektionen, seltener an den

Verletzungen selbst. Dazu waren die Chirurgen des Kaiserreichs nach Jahrhunderten im Einsatz zu Geschickt. ,,Glaubt ihr, Helike würde Kranke aufnehmen ?“ , fragte Jiy, als sie die Tür aufstieß und eintrat. ,,Wohl kaum.“ , erwiderte eine Stimme, die seltsamerweise aus dem Zimmer. ,,Zumindest nicht diese.“ Der Raum war düster, obwohl die Luken in der Bordwand weit geöffnet waren um Luft hereinzulassen. Auf mehreren Liegen aufgebahrt lagen oder saßen gut zwei dutzend Piraten aus Edens Mannschaft. Manche waren Wach, auch wenn ihre Blicke glasig wirkten, andere schienen zu Schlafen auch wenn die

schweißbedeckten Gesichter und zuckenden Lieder auf unruhige Träume schließen ließen. An einem Bett, ganz am hinteren Ende des Raums kniete eine Gestalt, die einen dunklen Reiseumhang trug. Wys erhob sich vom Rand der Liege und drehte sich zu den zwei Neuankömmlingen herum. Mit einer Hand deutete er auf den Mann auf der Liege. ,,Götter…“ Erik machte einen kurzen Schritt zurück und Jiy Verstand sofort wieso. Der Mann war definitiv tot. Die Augen standen weit offen und blicklos…. Und auf seinem Hals hatte sich etwas gebildet, das für Jiy im ersten Moment

wie Mückenstiche aussah. Nur das aus einigen der roten Flecken Blut lief und auf den Boden tropfte… Die Frage, was der Gejarn hier zu suchen hatte, verblasste Angesichts dieses Anblicks. ,, Erik…“ Jiy fühlte keine Angst. Sie hatte mehr als genug Tote gesehen, aber das hier war eine gänzlich neue Form davon… Der Arzt reagierte nicht, sondern trat mit ernster Mine an den Toten heran. So respektvoll wie unter den Umstände eben möglich, drehte er den Kopf des Leichnams auf die Seite. Weitere rote Flecken wurden sichtbar, die sich beinahe wie ein Band um den Hals zu ziehen

schienen. ,,Rotes Fieber…“ , murmelte er einen Moment, bevor er sich wieder erhob. ,, Ich hoffe wirklich, ihr wisst, was ihr zu tun habt.“ , bemerkte Wys angespannt.“ Jiy musterte den Archonten misstrauisch. Was sollte das jetzt heißen ? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie bemerkte, dass sich eine der Hände des Gejarn um den Schwertgriff schloss.

Kapitel 29 Heilung


Erik musterte den Archonten lediglich, ohne etwas zu sagen. Jiy hingegen ließ ihren Blick wieder zu dem Toten hinüber wandern. Das rote Band um seinen Hals sah fast so aus, als hätte ihn jemand enthauptet, ohne das sein Kopf von den Schultern gefallen war. Rotes Fieber. Der Name passte schon einmal, entschied sie. ,, Was fehlt ihnen ?“ Wys seufzte und brach den Blickkontakt mit dem Schiffsarzt für einen Moment. ,, Rotes Fieber ist nicht heilbar. Zumindest

nicht, das wir davon wüssten. Es fängt mit normalem Fieber an…“ Er deutete wieder auf den Hals der Leiche. Auf den roten Ausschlag. ,, Und das hier zeigt sich erst kurz vor dem Tod. Wir haben bei einer Epidemie in einem Dorf bisher immer die Gesamte Bevölkerung verloren.“ ,,Kaum verwunderlich.“ , erklärte Erik, die Hände in die Hüften gestemmt. ,, Ich kenne eure Methoden.“ ,, Ihr müsst die Kranken sofort beseitigen.“ , erklärte Wys nur ruhig. ,, Seid ihr Wahnsinnig ?“ . rief Jiy, noch bevor der Archont seinen Satz beendet hatte. ,, Das ist die einzige Möglichkeit,

sicher zu gehen…“ , antwortete er lediglich. Jiy fühlte Wut in sich aufsteigen. Wut auf die kalte Art, mit der dieser Mann grade mehr als zwei dutzend Menschen zum Tode verurteilen wollte. ,, Für euch vielleicht.“ , erwiderte sie aufgebracht. ,,Woher wollt ihr wissen, das es keine Heilung gibt, wenn ihr sie einfach alle Umbringt ? Und wenn ihr glaubt, dass ich das zulassen würde, dann habt ihr euch getäuscht!“ ,, Ihr würdet lieber jeden auf diesem Schiff sterben sehen ?“ Nach wie vor war Wys erstaunlich ruhig, als ob es nicht um Leben ginge, die hier auf dem Spiel

standen. ,, Ich würde lieber warten.“ , erklärte sie. ,, Dann versteht ihr offenbar nicht, womit wir es zu tun haben…“ ,, Ich…“ , unterbrach sie ihn. ,, Verstehe mehr als ihr glaubt. Ich verstehe, dass es manchmal nötig ist zu Töten. „ Jiy war auf den anderen Gejarn zugetreten. Auch wenn Wys einen halben Kopf größer war als sie, konnte sie ein leichtes Funkeln von Angst in seinen Augen sehen. Irgendwo hinter der kalten Maske des Desinteresses und des Kalküls… ,, Aber ich verstehe auch, das das niemals leichtfertig geschehen darf, Archont. Und ich verstehe noch mehr.

Ich verstehe, das ihr einen einfachen Ausweg sucht und ich verstehe damit, das ihr ein verdammter Feigling seid.“ ,, Das nehmt ihr zurück.“ Wys Hand flog zurück an den Schwertgriff. Es war das erste Mal, das so etwas wie Emotion in seiner Stimme lag. Wut… Aber Jiy machte keinen Rückzieher ganz sicher nicht. Ein schwaches Lächelnd er Genugtuung huschte über ihre Züge. Wenigstens hatte der Gejarn endlich die Maske fallen lassen. ,, Hört zu… die Kranken sind hier unten isoliert.“ , erklärte Erik. ,, Das heißt, sie waren es, bis ihr einfach hier herein marschiert seid. Es sollte nichts

passieren.“ ,, Das sagt ihr. Versteht ihr es eigentlich ? Nichts, von dem was ich Kenne, könnte diesen Leuten helfen… Keine Medizin, die es in Helike gäbe… nichts…“ ,, Das sagt wiederum ihr.“ , erwiderte der Arzt. ,, Und im Endeffekt… habt ihr hier überhaupt nichts zu entscheiden. Vielleicht solltet ihr das nicht vergessen…“ ,,Wys, was ist hier los ?“ , wollte eine vierte Stimme Wissen. Zyle war durch die nach wie vor geöffnete Tür in die Kabine getreten. Im selben Moment drehte der Archont sich wütend um und marschierte aus dem Raum. ,, Deine Freunde wollen uns anscheinend

alle umbringen, das ist los.“ Zyle schüttelte den Kopf. ,, Ich rede mit ihm.“ ,, Tut das.“ ,stimmte Erik zu. ,, Und könntet ihr mir Kellvian hierher schicken ?“ Der Gejarn nickte kurz, bevor er seinem Bruder folgte. ,, Erik wollte euch sprechen.“ , erklärte Zyle, als er aufs Deck trat und Kell an der Reling stehend entdeckte. Der Mensch drehte sich zu ihm um. ,, Ist etwas passiert.“ ,, Das kann er euch gerne selbst sagen.“ , antwortete Wys nur ungehalten. ,, Ich an eurer Stelle, würde mich weit von

diesem Raum fern halten Kell zuckte nur mit den Schultern, bevor er unter Deck verschwand. Zyle wartete nur, bis der Mensch außer Hörweite war. Eden war in der Schiffskajüte verschwunden, Cyrus arbeite am Bug des Schiffs und zeigte Zachary, wie man ein gerissenes Segel wieder flickte und die Mannschaft , oder was davon übrig war, schien zu beschäftigt, sich groß um sie zu kümmern. ,, Was war das denn eben ?“ , wollte der Gejarn wissen. Wys seufzte wieder. ,, Was das eben sollte ? Zyle, wir haben rotes Fieber an Bord, du weißt was das bedeutet.“ ,, Ich weiß, was es in Helike bedeutet.“

, ermahnte er den Archonten. ,, Im letzten Jahr habe ich mehr Unmögliche Dinge gesehen, als die Archonten Canton jemals zugestehen würden. Und wenn Erik sagt, er hat alles unter Kontrolle, dann glaube ich ihm das erst einmal.“ ,, Halt du mir nicht auch noch Vorträge. Wenn nicht ist jeder Mensch auf diesem Schiff vor Ende der nächsten Woche tot! DU weißt, das es nur eine Möglichkeit gibt, sicher zu gehen.“ ,, Der Tot ist immer die einzige Möglichkeit sicher zu sein Wys. Und ich bin in diesem Fall noch nicht bereit, ihn in Erwägung zu ziehen. Etwas vertrauen. Wenn nicht in meine Freunde, dann in

mich. ,,Gut… Gut… Aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt…“ ,, Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, Wys, bin ich der erste, der dafür Stimmt, jeden der Erkrankt ist so schmerzlos wie möglich zu erlösen.“ ,, Du hast dich wirklich verändert. Aber du hältst dich in Helike wirklich besser zurück.“ Zyle würde ihm nicht sagen, was er von dieser Idee hielt. Aber sein Bruder hatte wohl Recht. Es würde den Archonten schon schwer genug fallen, die Hilfe des Kaiserreichs anzunehmen. Wenn sie das überhaupt taten. Zu sehen, das er mit einigen… neuen Eindrücken

zurückkehrte würde ihnen noch weniger gefallen. Was ihn aber wieder zum eigentlichen Grund seiner Reise brachte. Egina…Vermutlich verstand er ihre Kritik jetzt besser. Auch wenn es dafür wohl zu spät war. ,, Habt ihr eigentlich herausgefunden, wer Archontin Egina getötet hat ?“ , fragte Zyle trotzdem. ,, Alles hat sich im Sand verlaufen.“ , erklärte Wys. ,, Seltsamerweise scheine ich der einzige unter den Archonten zu sein, die sich noch groß für die Sache interessieren. Es gab hier und da ein paar Festnahmen, aber das war es auch. Wir hatten damals nicht viel Zeit zu sprechen. Was ist genau

passiert?“ ,, Egina hatte wohl herausgefunden, das irgendjemand Artefakte an den Orden verkauft. Sie hatte ein treffen vereinbart. Ich glaube, sie wusste schon, dass sie sterben würde, sonst hätte sie mich nicht gebeten, mich Verborgen zu halten. Und dann lief alles aus dem Ruder. Sie würde getötet und ich war bedauerlicherweise zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Oder am richtigen, sonst wüssten wir noch weniger.“ ,, Es ist so schon nicht wirklich fiel. Es stimmt, dass Kristalle und Gegenstände magischer Natur in Helike nichts Wert sind. Ihr verschwinden fällt also auch

nicht wirklich auf. Die Archive sind unsortiert und auch wenn Außenstehende nicht hinein gelange könnte so ziemlich jeder hochrangige Regierungsbeamte Zugang erhalten. Von den Wachen ganz zu Schweigen…“ ,, Jemand hat uns unter der Nase der Archonten beraubt.“ Oder mit deren Zustimmung, schoss es Zyle durch den Kopf. Aber soweit… Das wäre absoluter Wahnsinn. Eigentlich müsste es jeder Bewohner Helikes sehen, das es ihnen Langfristig nur selber Schaden würde, dem Orden noch mehr Magie zukommen zu lassen. Er hatte das Arsenal, das diese erworben hatten auf seiner Reise mit Kellvian selber zu spüren bekommen.“,,

Alles was ich weiß ist, das sie zu dritt waren. Und mir im Kampf leider Überlegen.“ ,, Aber du hast keinen von ihnen erkannt ?“ Der Gejarn schüttelte den Kopf. ,,Es war dunkel und die Mäntel die sie trugen taten das übrige...“ Er verstand nach wie vor nicht, wieso die Archontin hatte sterben müssen. Oder wofür… Erik brauchte nicht lange auf Kellvian zu warten. Und jiy war selten so froh gewesen, ihn zu sehen. Auch wenn sie nicht glaubte, das Wys irgendetwas versuchen würde, das Kell hier war hieß

vielleicht, dass der Schiffsarzt eine Idee hatte. ,,Vielleicht kann ich ihnen ja helfen.“ , meinte Kellvian zuversichtlich, nachdem Erik die Situation geschildert hatte. ,, Das war genau mein Gedanke.“ Die Gejarn fühlte wieder so etwas wie Hoffnung aufkommen. Auch wenn sie nicht viel auf die Worte des Archonten geben sollte, die Vorstellung das es wirklich keine Möglichkeit geben könnte, diesen Leuten zu helfen war… erschreckend. ,, Und du bist dir sicher ?“ Kell nickte nur. ,, Das weißt du doch.“ Jiy nickte. Kell hatte schon früher bewiesen, das sein eigentliches Talent

für Zauberei in der Heilung verwurzelt war. Trotzdem konnte sie eine gewisse Angst um ihn nicht verbergen. Sie wusste auch, was die Magie mit ihm anstellte, wenn er zu viel riskierte… ,, Aber ich weiß auch, was du riskierst…“ ,, Es ist weniger, als diese Leute zu verlieren haben.“ , erklärte er ruhig. ,, Ich bin Vorsichtig, ich verspreche es…“ Kellvian trat an das erste Krankenlager heran. Einen Moment war Kell sich selber nicht mehr sicher. Es waren viele. Vielleicht zu viele um alle zu retten. Er brauchte einen Moment um die innere Ruhe zu finden, die er bracuhte. Den ruhigen Strom, der die einzige Magie

bildete, auf die er aus eigener Kraft zurückgreifen konnte. Alles andere hatte immer diesen Hauch des Fremden… als käme das Wissen darüber nicht ganz von ihm selbst. Und letztlich tat es das ja auch nicht, dachte er. Es war der letzte Besorgte Gedanke, bevor er sich noch tiefer in Meditation versenkte. Alles schien derart weit weg, das es schon fast belanglos schien, sich um die Kranken zu kümmern. Selbst der Raum könnte Meilenweit entfernt sein. Das einzige was im Augenblick noch zählte und die Stille durchbrach, war sein eigener Herzschlag. Kellvian wusste, das es gefährlich war, zu Lange in diesem Zustand zu verweilen. Er hatte etwas

Verräterisches an sich. Wie ein Bleigewicht, das ihn noch tiefer ziehen und nie wieder loslassen wollte. Wie viele Magier hatten ihre Kräfte schon überschätzt und das mit Tod oder Wahnsinn bezahlt. Das waren die Fehler, die ihm nicht passieren durften. Kell konnte plötzlich das schwache Leben um sich herum im Raum spüren. Fast erloschene, schwächliche Lichtpunkte im Dunkeln. Rote Glut, mehr hatte das Fieber von vielen schon nicht übrig gelassen. Hinter ihm hingegen konnte er die zwei leuchtenden Flammen spüren, die Erik und Jiy darstellten. Er kannte den Effekt von früher. Nur irgendetwas erschein ihm

seltsam, wenn er sich auf den Schiffsarzt konzentrierte. Wenn sich der Lebensfunke von allem für ihn als Feuer manifestierte, schien sich ein dunkler Schatten um die Gestalt des alten gelegt zu haben. Ein Schatten, der seltsamerweise trotzdem Licht zu spenden schien… Es war nicht wichtig, sagte er sich Wichtig war, was jetzt hier vor ihm lag. Jiy und Erik konnten nur zusehen, wie Kell eine Hand ausstreckte. Blaues Licht drang zwischen seinen Fingern hervor, zuerst nur subtil und kaum Wahrnehmbar, dann jedoch wurde es immer greller, bis sie kaum mehr

hinsehen konnten. Die Luft in dem kleinen Krankenzimmer füllte sich plötzlich mit statischer Elektrizität, die ihnen die Haare zu Berge stehen ließ. Es funktionierte, dachte Jiy. Wenn nichts mehr half, so musste doch wenigstens Magie etwas verändern können. Und sie kannte Kellvian gut genug um zu wissen, dass er es in jedem Fall versuchen würde. Sie wusste auch, zu was er schon im Stande gewesen war, wenn es darauf ankam. Kell könnte versagen, dachte Jiy. Aber daran glaubte sie nicht. Trotzdem musste irgendetwas nicht Stimmen. Kellvian brauchte normalerweise nur Sekunden um selbst tödliche Wunden zu Schließen.

Aber die Zeit verging, ohne das sich Kell rührte oder das Licht sich auch nur veränderte. Dann erlosch es auf einen Schlag und Kellvian sank in sich zusammen. ,, Es geht mir gut.“ , erklärte er hastig, als Die Gejarn und der Arzt an seine Seite stürzten. ,, Es geht mir gut, ich war noch nie so lange… Weg.“ Er wischte sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn und Jiy entgingen die feinen Falten, die sich unter seinen Augen gebildet hatten nicht. ,, Kell…“ ,, Wirklich, Jiy Ich weiß was ich tue. Sieh doch selbst.“ Er nickte in Richtung der Gestalt auf der Liege. Erik legte

dem Mann vorsichtig eine Hand auf die Stirn. ,, Hah… Ich wusste das würde funktionieren.“ , erklärte er nur. ,, Das Fieber ist völlig weg.“ ,, Was auch schwer genug war. Götter, es ist als würden sie sich regelrecht dagegen.. wehren, das man sie heilt. Und ich habe noch einige vor mir. Das wird eine Weile dauern.“ ,, Du brauchst vor allem erst einmal Ruhe…“ , erklärte die Gejarn. Kellvian schüttelte den Kopf. ,, Wenn ich jetzt aufhöre, darf ich Morgen gleich wieder anfangen. Rotes Fieber ist ansteckend, oder Erik?“ Der Arzt zögerte, plötzlich in der

Zwickmühle zwischen den zwei offensichtlichen Tatsachen Gefangen. Kellvian unmöglich jeden heilen… und er unmöglich auch nur einen Kranken übrig lassen konnte. Kellvian nahm ihm die Entscheidung jedoch ab, indem er vom Bett aufstand. ,, Ich weiß, was ich zu tun habe. Und ja, ich brauche dafür Ruhe. Geht…Du auch bitte Jiy…“ Sie wollte etwas erwidern, wolle Erik bitten, den Mann zur Vernunft zu bringen, aber im gleichen Gedanken wusste sie, dass das Aussichtslos war. Kellvian von etwas abzubringen, das er sich einmal in den Kopf Gesetzt hatte war in etwa so aussichtsreich, wie eine

Sieb mit Sand füllen zu wollen. Und es war die einige Option, die sie außer Wys… Lösung… hatten ,, Pass nur auf dich auf…“ , sagte sie lediglich, während sie dem Schiffsarzt aus dem Raum folgte.

Kapitel 30 Eine Entschuldigung


Mittlerweile war es Abend geworden und trotzdem gab es nach wie vor kein Zeichen von Kellvian. Jiy Schritt unruhig auf dem leerer werdenden Deck auf und ab. Der Mond war grade erst aufgegangen und malte ein silbernes Band auf die Wasseroberfläche. Und an Schlaf war für sie im Augenblick ohnehin nicht zu denken. Die Windrufer schwankten in der schwachen Strömung, die sie beständig weiter nach Süden trieb. Die Matrosen trafen grade die

letzten Vorbereitungen um das Schiff für die Nacht in Ordnung zu bringen. Positionslichter wurden entzündet, die das Meer um das Schiff erhellten. Die Gejarn blieb am Heck der Windrufer stehen. Irgendwo in der Ferne konnte sie die Umrisse weiterer Schiffe erkennen, die ihnen folgten. Sie hatte Kellvian im Laufe des Tages zweimal Besucht, vor allem um ihm Essen zu bringen. Der Mann war, in den wenigen Augenblicken, die er aus seiner Meditation auftauchte, schweigsam wie nie und Jiy konnte nicht umhin, die Spuren zu bemerken, die die Zauberei an ihm hinterließ. Aber sie beide hatten immer wieder Risiken eingegangen.

Keiner von ihnen hatte wohl noch das Recht, dem anderen deshalb Vorwürfe zu machen. Aber ein Risiko einzugehen und sich garantiert langsam Umzubringen, waren immer noch zwei unterschiedliche Dinge, dachte sie im Stillen. Schritte, die sich ihr über die Planken näherten, risse Jiy aus ihren Gedanken. Die Gejarn drehte den Kopf und entdeckte Wys, der in einiger Entfernung stehen blieb. Für einen bis an die Zähne bewaffneten Mann wirkte er seltsam Unsicher und als er Anfing zu sprechen, schien er lange über jedes Wort nachdenken zu müssen. ,, Ich habe mit Zyle gesprochen.“ , meinte er zögernd und räusperte sich. ,,

Und ich… sollte mich wohl… entschuldigen.“ Jiy überlegte nur einen Moment, ob sie dem Archonten besser nochmal die Meinung sagen sollte, aber, sie konnte ihm Ansehen, wie viel Überwindung es ihn kostete, um Verzeihung zu bitten. Und damit verdiente er sich in ihren Augen zumindest eine zweite Chance. ,, Vergeben und Vergessen.“ , erklärte sie daher lediglich. Wys schien noch nicht wirklich überzeugt, trat jedoch zu ihr an die Reling. ,, Ich bin es nicht wirklich Gewohnt, Fehler zuzugeben.“ , gestand er schließlich. ,, Aber ich denke in diesem

Fall ist mein Verhalten schlicht nicht… angemessen gewesen.“ ,, Das könnte man so sagen.“ , meinte sie kühl. Jiy war zwar vielleicht bereit, die Sache zu vergessen, aber das hieß noch nicht, das sie sich auch mit dem Mann anfreunden musste. Ganz im Gegenteil. ,, Ihr müsst verstehen, dass ich niemals hätte so.. reagieren dürfen.“ ,, Das habe ich durchaus Verstanden Wys…“ ,, Ich bin es Gewohnt, das ich meine Probleme entweder mit Worten oder mit Stahl lösen kann. Eine Krankheit lässt sich leider mit nichts von beidem Bekämpfen. Aber ich habe mich schlicht

nicht so Verhalten dürfen und den Kopf verlieren sollen. Nicht als Archont. Es ist meine Aufgabe, Ruhe zu bewahren und einen Weg zu finden. Ob das nun für mein Volk oder für jemand anderen ist.“ Jiy bekam langsam den Eindruck, dass der Mann sich mehr vor sich selber schämte, als das ihm seine Worte wirklich Leid taten. Das oder er konnte sich eben doch nicht dazu durchringen, sich seine Fehler einzugestehen… ,, Versteht mich unsere Gesetze sind richtig. Unsere Vorgehensweise ist richtig. Aber Laos lehrt auch Respekt vor Weiseren. Ihr hattet Recht. Ich nicht.“ Jiy drehe den Kopf in Richtung des

Gejarn. Wys war nach seinen letzten Worten verstummt und sah aufs Meer hinaus, so als wollte er jeden Blickkontakt vermeiden. Das war es also, was ihn so viel Überwindung gekostet hatte, dachte sie. Weniger sich zu entschuldigen, als wirklich zuzugeben, das er falsch lag. Sie nickte gedankenverloren, obwohl der Archont es nicht sehen konnte. ,, Das konnte ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht wissen, oder ?“ , meinte Jiy schließlich. Sie würde Wys nicht sprichwörtlich im Regen stehen lassen. ,, Ihr habt euch also nichts vorzuwerfen… Es ist nicht falsch, nicht Perfekt zu sein. Das kann niemand von euch

erwarten.“ Der Archont zuckte mit den Schultern. ,, Ich habe Vorgeschlagen die Kranken zu töten.“ ,, Und da weder ich noch Erik noch sonst jemand auf diesem Schiff, den ich kenne, das je zulassen würden, gab es diese Möglichkeit nie.“ ,, Das setzt Voraus, ich würde nicht auf eigene Faust handeln.“ ,, Das hättet ihr getan ?“ ,,Es gibt Prioritäten.“ , erklärte er nur und ließ die Frage damit unbeantwortet. ,, Aber wie es aussieht, kann euer Freund tatsächlich helfen, oder ?“ ,, Ich hoffe es. Kellvian zahlt einen Preis

dafür.“ ,, Manchmal bin ich der Meinung unser Vorgehen gegen Magier sei zu hart. Aber dann sehe ich wieder, zu was ein einzelner Zauberer in der Lage ist. Kellvian weiß aber was er tut… oder?“ Jiy nickte. ,, Das hindert mich aber nicht daran, mir Sorgen um ihn zu machen. Er ist wichtig, Wys. Für das ganze Kaiserreich und auch… für mich.“ ,, Das war nicht schwer zu erraten, so ungewöhnlich es sein mag.“ , bemerkte der Gejarn, bevor er sich von der Reling abwendete. ,, Verzeiht, ich werde jetzt gehen.“ Mit diesen Worten verschwand er auch schon auf dem Schiffdeck. Jiy blieb noch

einen Moment stehen wo sie war. Sie wusste nach wie vor nicht, was sie von Wys halten sollte. So ähnlich sich Zyle und er auf den ersten Blick waren… Sein Bruder war definitiv anders. Oder zumindest war er es geworden, erinnerte die Gejarn sich. Mittlerweile war es fast völlig Still an Deck geworden. Nur ein einzige Gestalt stand noch am Bug des Schiffs und sah voraus. Der rote Mantel, der ihr über die Schultern fiel, ließ kaum einen Zweifel an ihrer Identität. Eden wirkte mindestens genau so verloren wie sie selbst, dachte Jiy, während sie zu der Kapitänin trat. ,, Ich hoffe ich störe nicht.“ Die weißhaarige Gejarn drehte sich einen

Moment um. ,, Nein… Ich war nur grade… Es ist nicht wichtig. Seht ihr das da ?“ Eden hob den Arm und deutete aufs dunkle Wasser hinaus. Zuerst konnte Jiy nur Dunkelheit und Mondlicht erkennen, das die Wellen stellenweise in Quecksilber verwandelte. Dann jedoch glaubte sie, kurz etwas gesehen zu haben… Ein schwacher Lichtschein n der Ferne. Kaum zu sehen und fast mit einer simplen optischen Täuschung zu verwechseln. Aber es war ganz klar da. ,, Was ist das ? ,, Was glaubt ihr, Land natürlich.“ Sie drehte sich zu Jiy um. ,, Wir haben es so gut wie geschafft. Ein, vielleicht zwei

Tage und wir sind in Helike.“ Die Gejarn sah wieder zu den Lichtpunkten in der Ferne. Das war es also ? ,, Glaubt ihr, man wird uns Willkommen heißen ?“ ,, Das dürfte wohl ganz an den Überredungskünsten unseres Archonten-Freunds liegen. Und vielleicht an Kellvian, wenn in Laos sein Rang irgendetwas Wert ist, heißt das. Wenn nicht tausch ich euch alle eben gegen meine Freiheit ein und mach mich aus dem Staub.“ Jiy sah die Luchsin einen Moment entgeistert an. Eden erwiederte den Blick und einen Moment blieb ihr

Gesicht so ausdruckslos wie ihr eigenes. Dann lachte die Gejarn lauthals. Ihre Stimme hallte noch über den Ozean, während sie sich schon, nach Luft schnappend, an der Reling abstützte. ,, Das sollte nur ein Scherz sein.“ ,, Mir ist im Augenblick nicht wirklich nach Lachen, Eden.“ Die Gejarn nickte. ,, Ich habe ja eigentlich wenig Vertrauen in Menschen. Von Vance abgesehen, allerdings, der und Kellvian sind so verschieden, wie ich es mir nur vorstellen kann. Aber ich weiß mittlerweile wie das ist, ob ihr mir das glaubt oder nicht. Wenn man sich Sorgen um jemanden macht.“ ,, Ihr sorgt euch um jemand außer

Zachary ?“ ,, Ist das so überraschend für euch ?“ ,, Es ist nur… unerwartet. Oder ? ,, Glaubt mir ich hab mir das auch nicht ausgesucht.“ , erwiderte die Kapitänin ungehalten. ,, So wenig wie ihr vermutlich.“ Jiy grinste, als ihr endlich ein Licht aufging. ,, Ach kommt, jetzt müsst ihr mir auch verraten, wer.“ , meinte sie. ,, Das geht euch überhaupt nichts an.“ , erwiderte Eden , einen leicht unsicheren Ton in ihrer Stimme. ,, Damit habt ihr vielleicht recht und ich wollte euch auch wirklich nicht zu nahe treten. Es hat mich einfach

interessiert…“ ,, Natürlich… Jiy, das tut mir auch leid. Es fällt mir nach wie vor schwer… jemand anderem als mir selber zu vertrauen, schätze ich.“ Eden drehte sich zu ihr um. ,, Götter, klingt das dämlich.“ ,, Überhaupt nicht. Ihr wärt die erste Person die ich kennen würde, die nicht mal mit sich selbst hadert.“ ,, Es ist nicht so einfach. Wenn man so lange auf der Flucht war wie ich.. Eigentlich bin ich es noch immer.“ ,, Vor euren alten Herren…“ ,, Auch wenn Andre sich endgültig erledigt haben dürfte. Solange Kellvian etwas zu sagen hat, dürfte es ihm schwer

fallen mir nachzuspüren. Obwohl er jetzt weiß, das ich noch Lebe. Trotzdem fürchte ich, ihr wisst nicht, welchen Feind ihr euch gemacht habt.“ ,, Einen weiteren Adeligen, der sich selbst zu wichtig nimmt.“ , meinte Jiy. Eden lachte. ,, Ja… ich wünschte fast, damit hättet ihr recht.“ Sie wendete sich wieder dem Meer zu, so dass die Gejarn nun in ihrem Rücken stand. ,, Andre ist Grausam. Grausam, aber alles andere als dumm.“ Mit diesen Worten zog Eden aus für Jiy unerfindlichen Gründen ihren Gehrock aus. Den roten Stoff über dem Arm blieb sie stehen wo sie war. Jiy wollte Fragen, was das sollte, bis sie

die Narben sah. Breite Streifen aus unförmig zusammengewachsener Haut zogen sich durch den weißen Pelz auf Edens Rücken. Die blanken Stellen hatten sich für immer in ihr Fell gezeichnet und erzählten die Geschichte mehr als einer tiefen Verletzung. ,,Eden, das…“ ,, Sagt jetzt bloß nicht, das euch das leid tut. Vor allem weil ihr nichts damit zu tun hattet. Ich will euch nur klar machen, was Andres… Diener zu erwarten haben. Was seine Feinde angeht, will ich es mir erst gar nicht vorstellen.“ Jiy betrachtete nach wie vor mit einer Mischung aus Entsetzen und kalter

Faszination die ins Fell geschnittenen Narben. Zwei sahen seltsam aus, wie sie feststellte. Als hätte jemand Eden zwei gleichförmige Dolche in den Rücken gerammt… Obwohl Eden sie unmöglich sehen konnte, bemerkte sie nur. ,, Das waren Fangzähne, falls es euch interessiert. Eine der wenigen Zeichnungen, für die ich Andre de Immerson nicht die ganze Schuld geben kann.“ Ein Schauder überlief Jiy. Was bitte hatte so gewaltige Zähne? Selbst einer der Wölfe der Nordebenen würde neben dem Monster wie ein Schoßhund wirken müssen… ,,Von was ?“ , fragte sie

trotzdem. ,,Einer Spinne…“ Sie war sich kurz nicht sicher, ob Eden sich nicht einen Spaß erlaubte, aber die Gejarn klang Todernst. Jiy entschied, das sie es auch lieber nicht zu genau wissen wollte. ,, Ihr seid damit nie zu einem Heiler gegangen ?“ ,, Es sind Erinnerungen, Jiy. Und auch wenn Magie die äußeren Zeichen dafür heilen könnte…“ Eden drehte den Kopf. ,, Ich will es nie vergessen.“ Etwas funkelte in den Augen der Gejarn und Jiy bekam einen Ausblick auf etwas, das sie Eden nicht zugetraut hätte. Blanke Mordlust und Hass. Und war das nicht die gleiche Verbitterung , die sie

auch bei ihrem kurzen Gespräch mit Andre bemerkt hatte ? Jiy würde das Eden sicher nicht ins Gesicht sagen, aber kurz war sie überzeugt, die gleiche Person vor sich zu haben… ,, Und ich werde es nicht vergessen…“ Der Eindruck hielt nur einen Herzschlag lang an. Das war nur Eden. Eigenwillig wie immer, aber definitiv nicht… so etwas. Und sie hatte wohl auch allen Grund wütend zu sein. Wütend, aber doch nicht davon zerfressen… ,, Wie lange seit ihr.. nun ja, frei?“ ,, Der nächste Sommer wird mein siebenundzwanzigster, also… mehr als ein halbes Jahrzehnt.“ ,, Und das hat nicht gereicht, es hinter

sich zu lassen ?“ Jiys Stimme klang nicht Tadelnd oder fordernd, sondern schlicht Neugierig. Die eine Eigenschaft, die sie wohl schon öfter in Schwierigkeiten gebracht hatte, als irgendetwas anderes. Und ihr oft genug auch gute Dienste geleistet hatte. Eden antwortete nicht. Es war… seltsam, dachte sie, welche Wirkung die richtigen Worte haben konnten. Etwas Ähnliches hatte auch Kellvian schon gesagt, aber damals hatte die Gejarn es schlicht als Unwichtig abgetan. Der Mann hatte immerhin grade verhindert, dass sie Andre endlich ausschalten konnte. Jiys Worte jedoch kamen durch. War es nicht wirklich an der Zeit, das sie ihre Rache

in den Hintergrund stellte… und wichtiger, war sie dazu noch in der Lage? Die alte, vertraute Wut war eigentlich immer Gegenwärtig, doch über die Jahre war es zu einem leisen Flüstern geworden. Ein Flüstern, dachte Eden, das aber nach wie vor einen Teil ihrer selbst darstellte. Götter, sie wollte nicht darüber nachdenken müssen, es riss vor allem nur alte Wunden wieder auf. Und doch, tat sie Andre nicht am Ende noch den größten Gefallen damit, dass sie, immer noch, nach all den Jahren, einen Teil ihres Lebens durch diesen Bastard bestimmen ließ ? Bevor Eden Jiy antworten konnte,

stolperte jedoch eine einzelne Gestalt auf das Deck hinaus. Kellvian schien die Treppe kaum noch aus eigener Kraft hinauf zu kommen, jeder Schritt wirkte linkisch und so, als ob er Schwierigkeiten hätte, das Gleichgewicht zu halten. Bevor Eden das bleiche Gesicht ganz als Kell erkannt hatte, war Jiy auch schon losgelaufen, grade noch rechtzeitig um den stürzenden Magier aufzufangen.

Kapitel 31 Helike


,, Es geht mir gut.“ , erklärte Kellvian lediglich. Die grauen Strähnen, die in seinen Haaren glitzerten, straften seine Worte jedoch Lügen. Eden und Jiy sahen sich nur wortlos an, während der Mensch sich schwankend wieder aufrichtete. ,, Es geht mir gut.“ , wiederholte er, als würde es das Wahrer machen. Mit einer Hand an einen der Schiffsmasten gestützt, versuchte Kell Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Alles war verschwommen, wirkte zu weit weg, ihm war eiskalt und er war hungrig. Völlig Kraftlos. Götter, er wusste selber, wie

nahe er dem Tod gekommen war und er konnte in Jiys Augen erkennen, das sie es auch wusste. ,, Ich habe sie alle geheilt.“ , erklärte er. Jedes Wort bereitete ihm sichtlich Mühe und er stürzte erneut auf die Knie , als seine Beine unter ihm nachgaben. ,,Es geht allen gut….“ ,, Aber dir nicht. Eden… wir brauchen Erik hier.“ , erklärte Jiy, während sie sich zu dem gefallenen Kellvian hinab beugte und ihm half, sich an den Mast zu lehnen. Der Mensch blickte gehetzt zwischen der Kapitänin und ihr hin und her. Eden nickte kurz und verschwand dann unter Deck um den Arzt zu suchen. Jiy

konnte nur hoffen, das sie sich beeilte. ,, Danke.“ , brachte Kell gestelzt hervor. ,, Wasser…“ Die Gejarn nickte. An Deck standen mehrere Wasserfässer, die entweder Regenwasser auffangen sollten oder mit Frischwasser aus dem Laderaum gefüllt waren. Jiy stand auf und lief zu einem davon, nachdem sie sich vergewissert hatte, das Kellvian nicht gänzlich umkippen würde. Ein einfacher Holzkrug hing am Rand des Behälters. Rasch schöpfte sie diesen voll und kehrte zu dem erschöpften Magier zurück. Kellvians Hände zitterten leicht, so das sie ihm sogar helfen musste, das Gefäß zum Mund zu führen. Götter, was hatte

sich dieser arme Idiot wieder angetan? Kell trank den gesamten Krug in einem Zug aus, bevor er sich wieder zurücksinken ließ. ,,Das wird wieder.“ , meinte er, als er Jiys nach wie vor besorgten Gesichtsausdruck bemerkte. ,, Ein paar Stunden Rhe, das heißt wenn es keine Rückfälle gibt..:“ ,, Wenn es Rückfälle gibt, wird sich Zachary mit Erik darum kümmern.“ , erklärte die Gejarn, während sie sich neben ihn setzte. Kellvian schien sich nur langsam zu erholen. Und für den Moment blieb ihr nur, auf den Schiffsarzt zu warten. . ,, In deinem Zustand heilst du niemanden mehr.

„ ,, Zac hat nicht mal einen Bruchteil meiner Erfahrung Jiy…. Meine restliche Magie mag vom alten Volk kommen, aber wenn es einen Zauber gibt, den ich beherrsche, dann ist es heilen. Ich kann doch nicht aufhören zu helfen, solange ich dazu in der Lage bin.“ ,, Du kannst aber auch nicht alle alleine retten. ,, Sag mir nicht, was ich tun oder nicht tun kann. “ Kellvians Stimme war nach wie vor kaum mehr als ein Flüstern, aber das plötzliche aufflammen von Zorn überraschte Jiy. ,, Was…“ Jiy rückte von dem Mann ab und stand

auf. ,, Ich habe getan was ich sollte, oder ?“ , fuhr der Mensch derweil fort, nach wie vor diese Fremde Wut in seiner Stimme. ,, Es geht allen gut. Obwohl du mich schon vorher davon abhalten wolltest. Ich hab es selbst Erik angesehen, dass er gerne noch Widersprochen hätte. Und Zyles Bruder wäre es noch am liebsten gewesen, wenn wir einfach alle umgebracht hätten. Und Eden scheint das ja vollkommen egal zu sein! Kann es sein, das ihr es euch alle zur Aufgabe gemacht habt, mir nur noch im Weg herum zu stehen?“ Kells Stimme verhallte und Schweigen nahm ihren Platz ein. Jiy schüttelte nur

langsam den Kopf. Die Gejarn zögerte einen Moment. Das war nicht Kellvian, wie sie ihn kannte. ,,Hörst du dir eigentlich grade auch nur selbst zu ?“ , fragte sie kühl. ,, Ich bezweifle es Kellvian. Wenn nicht, würde ich keine Sekunde mehr länger bleiben.“ ,,Ich…“ Er blinzelte einen Moment verwirrt, als würde ihm erst jetzt klar, was er eigentlich gesagt hatte. Kellvian fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. ,, Was… Ich weiß nicht was…“ Jiy schlug zu, ohne darüber nachzudenken. Die Ohrfeige war nicht besonders kräftig, reichte aber offenbar um den Mann endgültig zurück auf den

Boden zu bringen. ,, Dann hör mir zu du Idiot. Dir ist vielleicht nicht mehr klar, was grade mit dir passiert, aber mir. Ich liebe dich und wenn du nicht aufhörst, verliere ich dich. Und das kann ich nicht. Nicht jetzt. Verstehst du das?“ ,, Danke… „ Kellvian seufzte schwer. ,,Ich glaube, das habe ich gebraucht. Ich weiß nicht, was grade in mich gefahren ist Jiy. Wirklich nicht. Götter, ich…“ Die Gejarn legte ihm eine Hand auf die Schulter. ,, Das warst nicht du. Ja ?“ Er musste sich zwingen, ihr wieder in die Augen zu sehen. Doch als er sich schließlich dazu Überwand, war es nicht Misstrauen oder verhaltene Wut, die in

erwartete. Nur zwei Smaragdfarbene Tümpel, die nach wie vor ohne vorbehalte zu ihm aufsahen. Was hatte er je getan, sich so ein Vertrauen zu verdienen? Nichts, außer es immer wieder zu enttäuschen. Er beugte sich vor und ihre Lippen faden sich schließlich. ,, Ich glaube ich werde dann wohl doch nicht mehr gebraucht.“ , kommentierte Erik die Szene leise, bevor er sich wieder zum gehen wendete. Eden folgte ihm in kurzen Abstand ebenfalls unter Deck. Am nächsten Morgen wurden sie alle früh durch Eden geweckt und an Deck

gerufen. Ein nach der ganzen Zeit auf See schon ungewohnter Anblick zeichnete sich am Horizont ab. Land… Auch wenn alles noch Nebelverhangen war, konnte daran kaum ein Zweifel bestehen. Und schon bald schälten sich erste Umrisse aus der grauen Wand heraus. Die Küste beschrieb einen leichten Bogen Landeinwärts, so das sich eine große Bucht bildete. Eine Landzunge ragte am Ostende des Meeresarms in den Ozean hinaus, auf der sich ein einzelner Feuerturm erhob. Auf der Spitze des Baus loderten Flammen in den Himmel und deuteten den Schiffen ihren Weg. Bevor sie noch mehr erkennen konnten,

tauchten auch schon die Rümpfe mehrere Galeeren aus dem Dunst auf und nahmen Kurs auf die drei Schiffe des Kaiserreichs. ,, Freunde von euch ?“ , fragte Eden, sobald sie die Fremden Schiffe bemerkte. Obwohl Laos nicht über die Hochseetauglichen Konstrukte Cantons verfügte, war die Schlagkraft ihrer Marine trotzdem nicht zu unterschätzen. Um ihre Häfen zu verteidigen hatte es bisher immer gerecht. Wys antwortete nicht, sondern hechtete lediglich an der Kapitänin vorbei in Richtung Bug. Mittlerweile waren die Galeeren nahe genug, das Kellvian erste Schemen auf den Decks ausmachen

konnte. Gestalten in schweren Panzerungen und mit Breitschwertern bewaffnet. Ob Gejar oder Menschen konnte er unter so viel Stahl nicht abschätzen. Nur, das sie ganz sicher nicht hier waren um sie freundlich zu begrüßen. Auch wenn sie keine Feuerwaffen verwendeten, manche der Männer trugen auch Bögen oder Armbrüste, mit denen sie das Deck der Windrufer durchaus unter Beschuss nehmen könnten… Und auch ein Stahlbolzen war tödlich, wenn er traf. Der Archont war derweil auf die Reling der Windrufer geklettert und versuchte, die Besatzung der anderen Schiffe auf sich aufmerksam zu machen. Und

offenbar erkannten die Männer den Archonten auch. Die Waffen wurden gesenkt und die Galeeren fuhren, ohne das etwas geschah, an ihnen vorbei. Kellvian atmete erleichtert auf. Das wäre schon einmal geschafft, dachte er. Zumindest kämen sie in den Hafen. Durch die graue Wand war nach wie vor nichts davon oder von der eigentlichen Stadt zu sehen. Dann jedoch riss der Nebelvorhang endlich auf und ließ einen Schimmer der Morgensonne durch. Licht, das sich auf den Mauern und Türmen Helikes brach. Kellvian stützte sich einen Moment auf der Reling ab, als die Zitadelle vor ihnen wie aus dem Nichts

auftauchte. Es gab zwei konzentrische Mauerringe, welche die Stadt in zwei Teile schnitten. Die äußere Barrikade war aus gelbem, honigfarbenem Stein gemeißelt, der so glatt poliert worden war, dass er die Sonne wiederspiegelte. Klobige Rundtürme waren in regelmäßigen Abständen in die äußere Stadtmauer eingelassen. Banner in allen Farben überpurpur und gelb bis hin zu grün und schwarz wehten von den Zinnen. Die einzelnen Gestalten, die auf den Wällen Wache hielten, wirkten in ihren altmodischen Vollpanzern fast, als Werfe man einen Blick in eine Vergangene Zeit. Die Ritter Helikes wirkten, als

hätte man wie die alten Legenden Cantons zu neuem Leben erweckt. Der Rauch von Schmiedefeuern stieg von den unteren Bezirken auf und sammelte sich über den Straßen und selbst aus der Ferne Die zweite, innere Stadtmauer ragte hoch über den Straßen der äußeren Stadt auf und schloss offenbar einen Berg im Zentrum der Zitadelle ein. Kellvian konnte mehrere Marmorbauwerke auf dem Gipfel erkennen. Bauten, die ihn mehr als nur etwas an die fliegende Stadt erinnerten. Er erkannte die typische Architektur des alten Volkes, auch wenn sie mehrmals umgebaut und neu modelliert worden war um sie an die Bedürfnisse der

jetzigen Bewohner anzupassen. Die äußere Mauer war nur zur See hin an einer einzigen Stelle unterbrochen und offenbarte eine durch Schwimmtore gesicherte Hafeneinfahrt. Ohne Schwarzpulver, dachte Kellvian wäre dieser Ort wirklich so gut wie Uneinnehmbar. Und er bezweifelte, ob selbst die Kanonen des Kaiserreichs diese Wälle einfach so aufknacken könnten. Und sie waren auch nicht deshalb hier. Mit etwas Glück bot sich ihm eine Gelegenheit für dauerhaften Frieden, wenn sie den Archonten halfen. Während Eden noch damit beschäftigt war, das Schiff auf die Hafeneinfahrt zusteuerte, war auch Zyle zu ihnen

gestoßen. ,, Willkommen daheim.“ , meinte Wys, sobald er vom Bug zurückkehrte. Der Gejarn sah mit gemischten Gefühlen über die Stadt hinweg. In der ferne kreisten Möwen über den Straßen. ,, Wir sollten uns eher auf einen frostigen Empfang vorbereiten, schätze ich.“ , bemerkte er nur. Kellvian nickte. Bis geklärt war, wieso Wys drei kaiserliche Kriegsschiffe mit sich brachte, wäre ihnen das misstrauend er Archonten wohl sicher. ,, Das ist unheimlich.“ , bemerkte Zachary, der sich ebenfalls eingefunden hatte. ,, Was ?“ Zyle sah den jungen Magier

verständnislos an. Und auch Kellvian brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, was Zachary beunruhigte. Die Stadt wirkte völlig normal, aber etwas anderes, entscheidendes, fehlte. ,, Es gibt hier praktisch keine Restmagie. Das ist als könnte man den Wind plötzlich nicht mehr auf der Haut spüren, wenn man damit aufgewachsen ist…“ ,, Überrascht euch das ?“ , fragte Wys. ,, Es gibt keine Magie in Helike, zumindest nicht Offiziell, von den Artefakten des alten Volkes einmal abgesehen und die schließen wir sicher verwahrt weg. Ihr seid vielleicht von Magie umgeben aufgewachsen, aber hier…gelten andere

Regeln. Versucht sie zu lernen“ , meint Wys. ,,Das wäre besser für uns alle.“ Kellvian erwiderte nichts, sondern sah lediglich wieder zurück zur näher kommenden Stadt. Einen Moment verschränkte er die Arme vor der Brust. Das war es also, dachte er . Helike lag direkt vor ihnen. Und all zu viel zeit blieb ihnen nicht mehr, sich auf ihre Ankunft dort vorzubereiten. Er sollte sich vielleicht zurechtlegen, was er den Archonten sagen würde. Wys alleine würde wohl nicht alle Überzeugen können, auch wenn er darauf hoffen könnte. Vielleicht sollte er es als die Idee des Archonten darstellen und nicht als seine eigene. Wys Urteil trauten sie

sicher mehr, als dem seinen. Und schon wieder fing er an, Pläne zu schmieden, dachte er und lächelte schwach. Im selben Moment passierte die Windrufer die Hafentore und Kell erhaschte einen ersten Blick auf die Häuser an den Kaimauern. Holz und Lehmhütten, die mit roten oder erdfarbenen Ziegeln gedeckt waren. Hier und dort glitzerte Glas in den Wänden der Häuser und es schien eine Unzahl Leute auf den Straßen zu sein. Kellvian zählte jedoch deutlich mehr Gejarn wie Menschen. Manche schienen einfache Händler, andere Bauern oder Handwerker, die ihren täglichen Geschäft nachgingen. Und unter all den Gestalten blitzte auch

immer wieder Stahl auf. Wys hatte ja schon erwähnt, das es Stadtwachen gab und diese in letzter Zeit verstärkt patrouillieren sollten. Aber eine derartige Mlitärpräsenz in der eigenen Stadt und noch dazu im herzen des eigenen Hoheitsgebiets. Das war schon fast… Paranoid. Eden warf das Ruder herum, als sie sich dem aus grauem Stein errichteten Kai näherten und die Windrufer beschrieb einen Bogen, so das sie Parallel zum Hafen lag. Auch wenn Kellvian dutzende Galeeren und kleine Segler zählte, war die Anlage nach wie vor nicht voll ausgelastet und sie fanden rasch einen Ankerplatz. Unter den mittlerweile

Aufmerksam gewordenen Augen der Hafenbewohner, kam die Windrufer schließlich zu einem Halt. Und jetzt zum schwierigen Part, dachte Kellvian.

Kapitel 32 Unerwartete Hilfe


Das Eis brach unter Syles Stiefeln, als er in eine überfrorene Pfütze trat. Die Kälte des Wassers, die sofort das Leder durchdrang, versetzte ihm einen kleinen Schock und holte ihn kurz zurück in die Wirklichkeit. Er zog den Fuß aus dem Wasser und begann die Riemen des Schuhs neu zu schnüren. Normalerweise hasste er es, Stiefel zu tragen, doch der Boden hier war knochenhart gefroren und eiskalt. So war er dankbar für den zusätzlichen Schutz. Und vermutlich rettete ihnen das das

Leben. Er hätte die Bewegung am Rand seines Gesichtsfelds sonst zu spät oder gar nicht Wahrgenommen. Die letzten Stunden waren er und Tamyra einfach nur stumpf grade aus gelaufen, während sich das Wetter zunehmend verschlechterte. Dunkle Wolken waren am Himmel aufgezogen und überschütteten das Land mit einem Hagel aus gefrorenen Regentropfen. Die Luft war hier oben im Norden Cantons immer noch empfindlich kalt. Seit gut einem Monat waren sie nun unterwegs . Trieben die Bäume des Herzlandes um diese Jahreszeit normalerweise schon erste Blätter, war der Wald hier och Kahl und gespenstisch Ruhig. Ruhig, bis auf ein

plötzliches Rascheln im Laub zu Syles Rechten. Er konnte nur einen kurzen Blick auf etwas graues Erhaschen, das hinter einer Gestalt her wehte, die sofort wieder verschwand. Tamyra hatte offenbar nichts bemerkt. Langsam richtete sich der Gejarn auf und suchte den Blick der Diplomatin. ,,Wir sind nicht alleine. „, flüsterte er, und tat so, als würde er seine Kleider richten. ,, Rechts. Im Wald. Etwa hundert Schritte von mir.“ Tamyras Hand wanderte instinktiv näher zum Schwertgriff. ,, Was machen wir ?“ ,, Weitergehen.“ , erklärte Syle. ,, Ganz langsam. Unauffällig. Wer immer unser neuer Freund ist, irgendwann wird er

sich zeigen. Und wir wissen jetzt, das er da ist.“ Er ließ eine Hand in seine Uniform wandern und tastete nach einem kleinen Päckchen, das vier rote Stangen enthielt, jede davon etwa so groß wie die Spanne seiner Hand. Unauffällig zog er eine der Hülsen heraus und überprüfte den Inhalt. Der halbdurchsichtige Container ließ eine klare Flüssigkeit erkennen, die im inneren des Behälters hin und her schwappte. Drachenfeuer. Syle wusste aus Erfahrung, das das Zeug furchtbar stank, sobald man es freisetzte. Ein unangenehmer Nebeneffekt. Noch unangenehmer war aber seine Eigenschaft, bei Kontakt mit Luft sofort

in Flammen aufzugehen. In den Lauf eines Gewehrs eingebracht, machte es aus einem normalen Projektil eine Brandbombe. Nur für den Fall, das sie wirklich kämpfen oder weglaufen mussten, wäre das Ablenkung genug. Neben dem Gewehr und den Kapseln besaß er ansonsten nur noch ein Bajonett um sich zu verteidigen. Und Tamyra war nur mit einem Degen bewaffnet. Auch wenn sie während der kurzen Kämpfe im Winter unter Beweis gestellt hatte, dass sie damit umgehen konnte, gegen ein Gewehr blieb das Schwert nutzlos. Sie sollten nicht mehr zu weit kommen. Die Straße der Gejarn und Tamyra folgten, beschrieb einige Schritte weiter

eine Kurve entlang eines niedrigen Hangs. Der Hohlweg führte unter einem Baum hindurch, der quer über der Straße hing Die kahlen zweige hatten sich auf der ansteigenden Seite des Hangs in die Erde gegraben, so das Baum, Straße und Abhang ein verzerrtes Dreieck bildeten. In dem Moment, in dem Syle unter den Baum trat, hallte ein Schuss durch den Wald. Der Gejarn spürte wie seine Schulter wie von einer glühenden Nadel durchbohrt wurde und ließ sich zu Boden fallen. Noch im Sturz suchten seine Augen blitzschnell die nähere Umgebung nach dem Schützen ab. Der Angriff überraschte ihn immer noch, aber nicht mehr so sehr, wie ihre Gegner wohl

erhofft hatten. Tamyra riss die Klinge hoch, als braunes Laub am Hang aufgewirbelt wurde und ein dutzend Gestalten aus dem Wald brachen. Die Männer waren mit Flinten und Säbeln bewaffnet und trugen Mäntel in braun, grau oder schwarz, die sie bis grade fast eins mit der Umgebung hatte werden lassen. Bevor der erste der Männer die Straße erreichte, stützte Syle das Gewehr auf den verletzten Arm und zog den Abzugsbügel durch. Statt einer einfachen Kugel schlug eine Feuersäule aus dem Lauf der Muskete und versperrte ihm einen Moment die Sicht. Er konnte die Hitze spüren, als das flüssige Drachenfeuer die Luft entzündete und in

einem Nieselregen im Laub und auf den Angreifern niederging. Die meisten Funken verloschen schnell wieder oder lösten nur kleinere Brände auf dem Erdboden aus. Aber einer der Männer war weiter vorgestürmt als die anderen und bekam zu seinem Unglück einen Schwall brennenden Teers ins Gesicht. Kreischend ließ er sich zu Boden fallen und wälzte sich, um die Flammen zu ersticken, die nun seine Haut versengten. Syle nutzte die kurze Verwirrung, die unter den Fremden Aufkam und riss eine neue Papierpatrone mit den Zähnen auf um das Gewehr nachzuladen. Der gestürzte Baum gab ihnen zumindest aus zwei Richtungen Deckung und Tamyra

hatte sich derweil unter die Wurzeln des gefallenen Waldriesens geduckt um Syle von dort aus Deckung zu geben. Sollte einer ihrer Gegner sich doch trauen, anzugreifen, würde die Diplomatin Syle den Rücken freihalten. Der Gejarn verschaffte sich derweil einen Überblick und musst feststellen, das die Fremden Männer offenbar Verstärkung bekamen. Weitere Gestalten schüttelten Laub und Zweige von sich, mit denen sie sich getarnt hatten und tauchten nun auch von der anderen Seite des Hohlwegs auf. Syle zog den Dolch und warf die Klinge Tamyra zu. ,, Ihr übernehmt die da hinten , ich halte

die hier auf Distanz.“ , erklärte er und zog eine neue Ampulle Drachenfeuer aus seinem Mantel. Die abschreckende Wirkung der Chemikalie würde nicht lange anhalten, dachte er. Diese Männer wussten, dass sie mehr als nur in der Überzahl waren. Die Frage war, was zur Hölle wollten sie? Sie hatten nichts von Wert und waren alles andere als ein lohnendes Ziel für eine Bande Räuber. Und einfache Banditen hätten wohl die Beine in die Hand genommen, sobald der erste von ihnen fiel. Syle umklammerte den Behälter. Er könnte noch dreimal auf die Männer feuern und dann wären sie endgültig Schutzlos bis auf blanken Stahl. Oder

aber… Der Gejarn ließ das Drachenfeuer in einer Gürtelschlaufe verschwinden und griff zum Gewehr. ,, Na kommt schon !.“ , verspottete er die fünf Banditen, die sich auf seiner Seite des Durchgangs versammelt hatten. Sie waren umstellt, daran gab es nichts zu Rütteln. Aber vielleicht konnte er den Kampf etwas ausgeglichener Gestalten, wenn er ihren Rücken sicherte. Die ersten Banditen kamen zögernd näher, die Gewehre m Anschlag. Syle duckte sich unter eine Wurzel, als ihm weitere Projektile um die Ohren flogen und sich in das tote Holz des Baumes

gruben. Pulverdampf und Rauch vernebelten einen Moment die Sicht. Darauf hatte Syle gewartet. Er griff wieder nach der Phiole an seinem Gürtel und rollte die Hülse hinaus auf die Straße. Der Behälter kam direkt vor den Füßen eines der Angreifer zur Ruhe. Syle atmete tief durch. Hoffentlich funktionierte das. Dann legte er mit der eigenen Muskete an und drückte ab. Der Behälter detonierte direkt vor den Banditen, als die Kugel ihn zerfetzte. Flüssiges Feuer lief aus und verteilte sich über die ganze Breite des Wegs und mehr als einer der Männer konnte nicht mehr rechtzeitig anhalten und stolperte

in die Flammen. Und doch würde das nicht ausreichen, dachte Syle. Auch wenn es ihnen eine kurze Atempause verschaffte. ,, Die werden uns irgendwann einfach überrennen.“ , bemerkte Tamyra und sprach damit genau seine Gedanken aus. ,, Also was ?“ , wollte der Gejarn wissen. Ihm wollte beim besten Willen nicht einfallen, wie sie aus der Situation wieder heraus kommen sollte. Und dabei war bis vor wenigen Augenblicken noch alles ruhig gewesen. Die Wunde an seinem Arm war nur Oberflächlich. Ein Streifschuss, nicht mehr. Trotzdem verlor er langsam Blut. ,, Hier bleiben heißt, wir sind in jedem

Fall tot…“ , führte die Diplomatin aus, die sich, Schwert und Dolch im Anschlag, unter den gefallenen Baum duckte. ,, Aber wenn wir versuchen durchzubrechen, nun sterben wir nur vielleicht.“ ,, Das ist völliger Wahnsinn. Selbst wenn wir an ihnen vorbei kommen… die schießen uns einfach in den Rücken.“ ,, Sagt bloß, ihr habt eine bessere Idee ?“ ,, Nein,“ , musste er zugeben. ,, Also gut, besser als hier in der Falle zu sitzen. Ihr lauft zuerst und ich direkt hinter euch. Wenn wir durchkommen… nun ja, ich bin das einfachere Ziel.“ Tamyra schüttelte nur den Kopf, machte

aber auch keine Anstalten, Syles Vorschlag abzulehnen. Sie wussten beide, wie tief sie grade in der Patsche saßen. Jetzt oder nie. Tamyra stürmte ohne Vorwarnung aus ihrem gemeinsamen Versteck und Syle folgte ihr keinen Herzschlag später. Die auf der anderen Seite des Wegs abgeschnittenen Banditen wären keine Bedrohung mehr für sie, aber die, die nun vor ihnen standen schon. Syle hatte darauf gehofft, das sie der scheinbare Gegenangriff ihrer Opfer überraschen würde. Und für einen kurzen Moment sah es auch so aus. Bis sich einer der Männer Tamyra mit gezogener Waffe in den Weg

stellte. Die Diplomatin wehrte den ersten Hieb ihres Gegners mit dem Degen ab und rammte diesen dann, ohne auch nur langsamer zu werden, den Dolch in die Kehle. Syle hastete an dem sterbenden Mann vorbei und wurde nur knapp von einem Bajonett verfehlt, das jemand in seine Richtung schleuderte… Dann waren sie tatsächlich an den Räubern vorbei und damit auch ohne jede Deckung. Syle lauschte, ob er neben ihren Schritte hörte. Wenn einige diese Leute sie verfolgten, würden es die anderen nicht wagen, auf sie zu feuern. Doch da war nichts, wie er bestürzt feststellte. Nur das Blut, das in seinen

Ohren rauschte und das Knirschen von Kies unter ihren Stiefeln. Er schloss die Augen und rechnete halb damit, jeden Augenblick damit, das sich ihm eine Kugel zwischen die Rippen bohrte. Doch nichts dergleichen Geschah. Bevor sie weit gekommen waren, brach direkt vor ihnen eine weitere Gestalt aus dem Wald. Er erhaschte einen Blick auf einen grauen Kapuzenmantel, der den Neuankömmling einen Moment fast wie einen geist wirken ließ. Dann riss dieser die Hand hoch und irgendetwas raste knapp an Syles Kopf vorbei. Der Gejarn sah nach hinten und stellte fest, das ihn da grade verfehlt hatte. Ein Stahlbolzen, der sich zielsicher in die Stirn eines der

Banditen bohrte. Der Mann kippte um, wie vom Blitz getroffen, während der Fremde rasch die Armbrust nachlud und neu spannte. Syle wurde langsamer, als sie auf Höhe der grau gekleideten Gestalt waren. Auch Tamyra hielt schließlich an, um einen Blick zurück zu werfen. Die Männer, die sie überfallen hatten, rotteten sich nun unsicher zusammen. Offenbar gehörte der Neuankömmling wirklich nicht zu ihnen, dachte Syle. Und da er grade einen von ihnen erledigt hatte, wussten sie nun nicht, ob es noch weitere Verstärkung für die beiden zuvor noch als leichte Beute geltenden Reisenden

gab. ,,Geht jetzt.“ , erklärte der Fremde selbstsicher. ,, Ihr seid längst umstellt. Zieht friedlich ab und man wird euch zumindest euer Leben lassen. Ansonsten… teilt das Schicksal eures Gefährten dort.“ Er deutete auf den Toten, bevor er sich die Kapuze aus dem Gesicht strich. Blonde Haare und blass-blaue Augen kamen darunter zum Vorschein. Syle schätzte den Mann auf etwa dreißig, vielleicht etwas Jünger. Trotz der ernsten Situation kräuselte ein leichtes Grinsen seine Lippen. Auch die Banditen, die vom Feuer abgeschnitten worden waren, hatten

mittlerweile ihren Weg auf die andere Seite des Baums gefunden. Einen Moment schien die Drohung des Fremden tatsächlich Wirkung zu zeigen, dann jedoch stürmten sie vor. ,, Einfach Großartig.“ , murmelte der Graugekleidete, bevor er sich umdrehte und Syle und Tamyra einen Schubs nach vorne gab. ,, Weg hier !“ ,, Ihr sagtet doch, die wären umstellt.“ , protestierte die Diplomatin kurz, bevor sie ebenfalls Fersengeld gab. ,, Ähm, das war möglicherweise nicht ganz wahr.“ , erklärte der Mann. Ein Schuss hallte durch den Wald und hinterließ ein Loch im Mantel des Fremden. Syle

blickte den Abhang an der Straße hinunter. Wenn sie auf dem Weg blieben, waren sie Tod. Aber der Hang war zu Steil um einfach zu springen. Und auf der anderen Seite stieg er zu weit an. Kletternd saßen sie genau so auf dem Präsentierteller. Der Gejarn warf einen Blick zurück, nur um festzustellen, das die Banditen wieder langsamer wurden. Hinter ihnen trat ein weiterer Mann zwischen den Bäumen hervor und stellte sich den Männern entgegen. Entweder, dachte Syel, sind heute sämtliche Götter auf unserer Seite, oder hier geht noch etwas anderes vor sich. Der neue Fremde hatte dunkle Haare trug eine Robe in der

gleichen Farbe, die am Rücken einige Türkisfarbene Zierelemente aufwies. Auf den ersten Bick war er nicht bewaffnet, aber noch während Syle abermals langsamer wurde, loderte grünes Feuer in seinen Handflächen auf. Aus dem nichts kam Wind auf, der dem Mann den Mantel um den Körper peitschte. ,,Gehört der zu euch ?“ , wollte Syel wissen. Der erste Fremde schüttelte den Kopf. ,, Ich bin alleine. Und irgendwie gefällt mir gar nicht, was der Bursche da grade treibt…“

Kapitel 33 Lucien und Quin


Die plötzliche Kälte, die von dem schwarzgekleideten Mann auszugehen schien, fiel offenbar nicht nur Syle auf. Die Banditen waren stehen geblieben, die Gewehre im Anschlag und auf den Zauberer gerichtet. Man konnte dabei zusehen, wie sich ein stetig breiter werdender Ring aus Frost um seine Stiefel bildete. Eiskristalle stiegen aus dem Boden, als das Wasser darin gefror und obwohl zwischen ihnen und dem Magier gut fünfzig Schritte lagen, stand der Atem Syle bald als kleine Wolke vor dem Mund. Als der erste Bandit sich aus

der Erstarrung löste und mit dem Schwert nach dem Fremden stach, war es auch schon zu spät. Die grünblauen Flammen in den Händen des Mannes loderten grell auf und trieben erneut Wellen aus Kälte über die Umgebung hinweg. Syle und die anderen mussten einige Schritte zurück treten, als die Luftfeuchtigkeit um sie herum gefror und sich als Reif auf Kleider und Boden neiderschlug. Das kalte Feuer brach aus den Handflächen des Magiers hervor und hüllte einen Moment die komplette Straße ein. Einige der Banditen wollten noch bei Seite springen, aber der Zauber schien einen ganz eigenen Willen zu

besitzen. Flammenzungen griffen nach den fliehenden und verzehrten auch diese. Eiskristalle standen zusammen mit weißem Nebel in der Luft. Als die grünen Feuer schließlich verloschen, offenbarte sich, was der Zauber angerichtet hatte. Syle hatte schon Menschen wie Gejarn durch Magie sterben sehen. Blitze, Feuer, scharfkantige Eissplitter… Der Anblick der sich ihm jedoch nun bot, war trotzdem bestenfalls Bizarr. Die Banditen waren erstarrt, wo sie waren. Unförmige Eisklumpen hatten sich um das gebildet, was vor einem Herzschlag noch lebende Menschen gewesen waren. Die weißen Kristalle glitzerten im Licht,

das durch die kahlen Zweige über ihnen fiel. Syle merkte, das Tamyra neben ihm einen Schritt zurück machte. Selbst der grau gekleidete Fremde kniff misstrauisch die Augen zusammen. Der einzige, der von dem ganzen offenbar völlig unberührt blieb, war der schwarzhaarige Zauberer. Als wäre nichts geschehen, zupfte er seine Kleider zu Recht, bevor er sich zu den drei Wartenden Umdrehte. ,,Erbärmlich.“ , bemerkte er nur tonlos. ,,Was für eine Verschwendung von Magie.“ Erst jetzt viel dem Gejarn der schwarze Stein in der Hand des Mannes auf. Das Juwel hatte in etwa die Form eines Tropfens und war mit dem

goldenen Symbol eines Auges verziert. ,,Wer seid ihr ?“ , wollte er wissen. Syles Hände klammerten sich um das Gewehr. Wenn der Mann es wollte, waren sie alle Tod. Noch sicherer, als wenn die Banditen das übernommen hätten. ,,Quinn, Hochmagier des Sangius-Ordens. Und wenn man davon ausgeht, das ich grade eure Haut gerettet habe, könntet ihr die Waffe runter nehmen, Gejarn.“ Der Mann machte eine kurze Handbewegung und der Griff der Muskete in Syles Hand heizte sich plötzlich schmerzhaft auf. Er ließ die Waffe fallen, die mit einem Zischen auf

dem vereisten Boden landete. Bastard, dachte der Gejarn. Aber er hatte wohl zumindest damit recht, das sie ihm etwas schuldeten. ,,Und ihr ? Arbeitet ihr beide etwa zusammen?“ , wollte Tamyra derweil von dem grau gekleideten Fremden wissen. Dieser hatte die Armbrust locker auf der Schulter abgestützt und ließ den Zauberer nach wie vor nicht aus den Augen. ,,Netter Auftritt.“ , bemerkte er und überging damit ihre Fragen erst einmal. ,,Mein Name ist Lucien. Meines Zeichens, kaiserlicher Agent und nein… ich weiß nicht, was der Hexer hier zu suchen hat. Was mich angeht… so bin

ich auf Anweisung von Hochgeneral Dagian hier.“ ,,Wieso sollte euch der Hochgeneral zu uns schicken ?“ , wollte Syle wissen und wendete sich das erste mal seit dessen Auftauchen von Quinn ab. ,,Er weiß über unseren Auftrag bescheid…“ ,,Eure Befehle sind aufgehoben, fürchte ich.“ , erklärte Lucien. ,,Dagian Einher ruft alle verfügbaren Leute dazu auf, sich auf schnellstem Weg in eine Garnison zu begeben und dort auf weitere Befehle zu warten.“ Syle schüttelte den Kopf. ,,Er schickt einen Mann um zwei Leute zurück zu holen ?“ Irgendetwas war faul an der Sache. Er nahm sich vor, Dagian zur

Rede zu stellen wenn sie zurückkamen. Konsequenzen hin oder her, der Mann überschritt grade klar eine Grenze. Die gesamte Armee zusammenzuziehen und das ohne den direkten Befehl des Kaisers, noch dazu in dessen Abwesenheit… Das war gefährlich nahe an Hochverrat. Auch wenn er sicher gute Gründe dafür hatte. Tamyra nahm den Fadenderweil wieder auf. ,,Tut mir leid, dass ihr den Weg umsonst gemacht habt, Agent, aber unsere Befehle kommen direkt von Kellvian Belfare. Das Wort des Kaisers steht auch noch über dem des Generals.“ ,, Ich verstehe. In diesem Fall macht es jedoch wenig Sinn für mich zurück zu

kehren.“ Etwas blitzte in den Augen des Mannes, das Syle überhaupt nicht gefallen wollte. ,, Versteht mich nicht Falsch, aber ich… bekomme Dinge mit, das ist Teil meines Berufs. Und auch wenn es euer Kaiser bisher nicht für nötig hielt, die Agenten einzuschalten… Vielleicht ist es ganz praktisch, wenn ich ein Auge auf euch habe. Natürlich nur wenn ihr nicht darauf besteht, das ich jetzt die drei Wochen zurück nach Vara reise nur um mit nichts in der Hand dort an zu kommen.“ Syle seufzte. Die Art des Mannes zehrte schon jetzt an seinen nach wie vor gespannten Nerven. Aber für den Augenblick war er nicht ihr größtes

Problem. Er würde sich nur vornehmen, ihn gut im Auge zu behalten. Sie könnten Hilfe gebrauchen. Vor allem nach dem hier. Syle musterte die zu Eis erstarrten Banditen. Das machte immer noch keinen Sinn. Diese Leute hatten eine regelrechte Falle für sie aufgestellt. Das tat man, wenn man ein lohnendes Ziel hatte, wie einen reisenden Händler, aber doch nicht zwei, noch dazu bewaffnete Reisende ohne Wertsachen. Er würde nicht nur den Agenten genau im Auge behalten müssen… ,, Was habt ihr dann hier zu suchen ?“ , wollte er von dem wartenden Zauberer wissen. Quinn verschränkte die Arme vor der

Brust. ,, Zufall. Ich bin sofort wieder weg.“ Mit diesen Worten wendete er sich zum gehen. Offenbar hatte der Magier es wirklich eilig, zu verschwinden. Syle jedoch war schneller. Er sprintete Quinn jedoch hinterher und stellte sich ihm in den Weg. ,, Ihr mein Freund, bleibt schön hier.“ Glaubte Quinn wirklich, er nahm ihm ab, dass er rein Zufällig hier aufgetaucht war? Und wie jemand, der ohne Grund einigen Reisenden half, wirkte er auch nicht. So oder so, er wollte den Kerl ungern unbeobachtet lassen. Quinn wurde langsamer und hielt weniger als eine Handbreit vor ihm an. ,, Wenn ihr wisst was gut für euch ist,

Pelzknäul, geht ihr mir aus dem Weg. Jetzt.“ ,,Nein.“ So unangenehm der Mann sein mochte… ,, Ganz im Gegenteil. Ich führe ein kaiserliches Siegel mit mir, mein Freund. Und ich glaube ihr wisst, was das heißt.“ ,,Wollt ihr es wirklich darauf anlegen, mir Befehle zu erteilen ?“ Obwohl Quinn dem Bären grade einmal bis zum Kinn reichte, war die Drohung alles andere als leer. Das hatte er schon unter Beweis gestellt. ,,Ihr werdet uns begleiten.“ , erklärte Syle. Der Magier erwiderte nichts und auch Syle hatte alles gesagt, was es zu sagen

gab. Blieb nur noch zu warten, wie der Mann sich entschieden würde. Ihm musste klar sein, das er sich gegen den Befehl eines direkten Abgesandten des Kaisers nicht auflehnen konnte. Es sei denn er riskierte es, sie alle zu töten, dachte der Gejarn. Aber so waghalsig konnte Quinn nicht sein, oder? Syle musste nach unten sehen um den Mann in die Augen zu blicken. Gleichgültigkeit und Resignation waren jedoch alles, was er darin fand. Langsam nickte der Mann. Trotzdem blieben er und Syle noch einen Moment stehen, wo sie waren. Bis Quinn es war, der einen Schritt zurück trat. ,, Ähm, ich unterbreche euch ja nur

ungern, aber sollten wir uns nicht auf den Weg machen ?“ , wollte Lucien wissen. ,, Es wird bald dunkel und ich würde ungern neben… denen da übernachten.“ Er sah auf die gefrorenen Gestalten auf der Straße. Syle drehte sich mit einem Ruck um. ,, Er hat recht.“ , meinte er nur. ,, Sehen wir zu, das wir das Tageslicht nutzen. De Immerson hat genug Vorsprung gehabt.“ Damit schien es, waren sie nun zu viert, dachte der Gejarn, als sie sich wieder auf den Weg machten. Und von zwei seiner Reisegefährten hatte er keine Ahnung, ob er ihnen trauen konnte. Tamyra jedoch schien diese bedenken

nicht zu haben, oder zumindest gut für sich zu behalten. ,, Was treibt euch so weit von den meisten Städten entfernt ?“ , wollte sie von dem Magier wissen. ,, Interessiert euch das, oder ist euch langweilig ?“ , erwiderte er nur kurz angebunden und beschleunigte seine Schritte um an der Diplomatin vorbei zu kommen. Tamyra Lahn schüttelte den Kopf, wobei eine Wolke oranger Haare durch die Luft flog. Dann zog sie ein Messer aus ihrem Gürtel und hielt es Syle mit dem Griff zuerst hin. ,, Ich dachte, das wolltet ihr vielleicht zurück.“ Der Gejarn nickte und ließ die Klinge wieder in seinem Gürtel verschwinden.

Mit zwei neuen Gesichtern ergaben sich noch ganz andere Herausforderungen, dachte er. Die Vorräte die sie hatten, hätten ihnen beiden vermutlich bis Silberstedt gereicht. So jedoch würden sie nicht umher kommen, sich irgendwo mehr Proviant zu besorgen. Und vielleicht noch ein paar Rucksäcke, dachte Syle. Er würde sicher nicht alles alleine tragen. Tamyra übernahm es derweil, Lucien über ihr Vorhaben zu informieren, der Agent wirkte jedoch beinahe so, als wäre ihm das alles schon bekannt und hörte nur mit einem halben Ohr zu. ,, Sagt einmal, Zauberer,“ , wendete er sich schließlich Quinn zu dem er mit

wenigen langen Schritten aufgeschlossen hatte. ,, Warum bringt ihr uns nicht direkt an unser Ziel. Silberstedt wenn ich mich nicht irre. Ich weiß, dass der Orden seine Mitglieder teleportieren kann.“ Der schwarz gekleidete Magier brummte nur irgendetwas und versuchte, noch ein Stück schneller zu laufen. Lucien ließ das jedoch offenbar nicht zu und holte ihn wieder ein. ,, Ich meine ja nur.“ , fuhr er fort. ,, Es würde uns jede Menge Blasen an den Füßen ersparen , mein Freund.“ Im Laufen beförderte der Mann einen Apfel unter seinem Mantel hervor und biss hinein. Offenbar verlor Quinn genau in

diesem Moment die Geduld mit Lucien, den er drehte sich ohne Vorwarnung herum und zwang ihn zum anhalten. ,, Was ?“ , fragte der Agent unschuldig, so als wüsste er nicht, was er verkehrt gemacht hatte. ,, Erstens, ist ein solcher Zauber nichts, das ein einzelner Magier wirken könnte. Nicht unter normalen Umständen . Zweitens habt ihr euch nur einen Moment darüber nachgedacht, was passiert wenn es in Silberstedt auch nur einen einzigen Magier in Andres Diensten gibt? Ihr wollt dort unbemerkt ankommen oder? Ein Teleportzauber ist etwa so unauffällig, als würdet ihr direkt neben Andre eine Kanone abfeuern und

hoffen, er hört es nicht.“ Quinn würdigte den Agenten keines weiteren Blickes, als er weiterlief. Götter, was hatte er getan um das hier zu verdienen? Er sollte jetzt Ordensoberster sein, wenn alles gut gegangen wäre. Stattdessen durfte er jetzt auf Kiaras Geheiß Aufpasser für diese drei Spielen. Und das jetzt auch noch ein kaiserlicher Agent auftauchte, war doch kein Zufall. Wenigstens hatten Tamyras Ausführungen ein paar Lücken für ihn geschlossen. Kiara musste wissen, was Andre de Immerson plante. Und was immer es war, es war gegen Kellvian gerichtet. Der Kaiser müsste davon

erfahren oder Lord Andre würde mit seinen Plänen Erfolg haben. Aber… bot sich ihm damit nicht auch eine einmalige Gelegenheit? , dachte der Großmagier kurz. Vorausgesetzt, sie erreichten Silberstedt, was würde Andre ihm wohl anbieten, wenn er ihm drei kaiserliche Abgesandte aushändigte. Boten, die für seine Pläne ganz offenbar gefährlich waren… Seine Laune besserte sich schlagartig. Er würde es noch allen heimzahlen können, dachte er und musste sich dazu zwingen, nicht zu grinsen. Vielleicht würde sich das ganze am Ende doch für ihn Auszahlen. Mit diesen Gedanken sah die Lage für

ihn schon wieder weniger düster aus. Der plötzliche Umschwung in der Laune des Zauberers entging wohl auch den anderen nicht, den Lucien runzelte fragend die Stirn. Sollten sie doch darüber Rätseln. Sie würden es früh genug erfahren. Früh genug für Quinn jedenfalls.

Kapitel 34 Aufstand


Silberstedt lag zu Füßen der Berggipfel, die den Norden Cantons von den übrigen Provinzen trennten. Die Kälte des Winters wich in diesen Tälern nur für wenige Tage im Jahr und so lag noch alles unter einer dichten Schneeschicht begraben. Rauch stieg aus tausenden von Kaminen auf und malte schwarze Schleier auf den ansonsten grauen Himmel. Darunter zeichneten sich die Straßen der Stadt ab. Gebäude aus dunklem Tannenholz und Stein, die als Schutz vor der Kälte halb im Boden vergraben lagen. Normalerweise währe

Silberstedt um diese Jahreszeit ruhig gewesen. Die Leute hielten sich im Schutz ihrer Wohnungen auf und gingen nur nach draußen, um die wichtigsten Besorgungen zu erledigen. Wer es sich leisten konnte, tat nicht einmal das, sondern schickte Diener, die in der klirrenden Kälte hin und her eilten. Nur in den Minen der umliegenden Berge wurde keine Rast gehalten. Das rhythmische Klirren von Stahl auf Stein war selbst an der Oberfläche zu spüren. Ein tiefes grummeln im Boden, das die Knochen erzittern ließ. In den zahllosen Bergwerken, die die Landschaft mit einem riesigen Tunnelnetzwerk durchzogen, erhellten nur einzelne

Kerzen und Öllampen das immer währende Dunkel. Die flackernden Lichter jedoch spendeten kaum genug Wärme um die niedrigen Stollengänge und Schienenstrecken etwas angenehmer zu machen. Die Arbeit in den Minen durfte nie still stehen, waren sie doch die Grundlage für Silberstetds gesamten Reichtum. Und der einzige Grund, aus dem sich die Menschen hier freiwillig der Kälte aussetzten. Silber und weitere Edelmetalle wurden in großen Wagenladungen von den Berghängen ins Tal zu den Schmelzen geschafft. Um von dort aus ihren Weg in jeden Winkel Cantons zu finden.

Einige der Arbeiter, die so selten das Licht erblickten, waren Freischaffende Bergleute, die sich ihren Lohn durch einen Anteil an den geförderten Erzen verdienten. Doch der überwiegende Teil bestand aus Sklaven. Tausende Leibeigene trieben die endlosen Tunnel jeden Tag etwas weiter voran, um an noch tiefer liegende Gesteinsschichten zu gelangen. Und den Status Silbersteds noch weiter zu erhalten. Und bis jetzt gab es kein Zeichen, das die Lagerstätten im Fels zu Ende gingen. Im Gegenteil. Der Herr über den stetigen Strom aus neuen Arbeitern und Silber, residierte in einem Herrenhaus ganz am Nordende der

Stadt. Ein von einer niedrigen Mauer umgebener Bau, der sich allein durch seine Größe schon von der restlichen Architektur Silbersteds abhob. Eine große Halle mit, von mehreren mit Schnitzereien verzierten Säulen gestützten, Pagodendach bildete das Zentrum des Komplexes. Das überhängende Dach war hoch genug, das ein Schwarm Krähen darunter Schutz gesucht hatte. Die Vögel stoben jedoch auseinander, als eine Gestalt in pelzverbrämter Uniform die Stufen zur Halle hinauf kam. Der Mann schenkte den schwarzen Plagegeistern kaum Beachtung, sondern trat ohne langsamer zu werden durch die angelehnten Tore.

Drinnen erwartete ihn ein weiterer, mit Holz vertäfelter Raum. Säulen, von der gleichen Machart wie die draußen stützten das Dach auch von innen und ein dutzend Kohlefeuer glühten sanft in dem fensterlosen Saal. Das Licht der Glut spiegelte sich auf den Gesichtern von gut einem dutzend weiterer Männer und Frauen. Schwere Pelzumhänge, unter denen bunte Seidenkleider hervorschienen, verrieten, dass es sich wohl um die Oberschicht Cantons handelte. Adel und reiche Händler und vielleicht war auch der ein oder andere freie Magier darunter, der sich lange genug vor dem Orden versteckt hatte, um einen Satten Gewinn

zu machen. Der Mann in der braunen Uniform, der so eben den Saal betrat wirkte dagegen seltsam fehl am Platz. Aber ihn interessierte die Versammlung der Adeligen hier auch nicht. Er trat auf eine Gestalt zu, die sich in der Mitte der Halle aufhielt. Ein violetter Mantel fiel über die Ansonsten schwarze Kleidung des Mannes. An der Schulter wurde der Umhang von einer Spange aus Silber zusammen gehalten, die die Form einer Spinne hatte. Seine Hände ruhten auf einem versilberten Gehstock. ,, Es ist alles bereit Herr.“ , erklärte er im Flüsterton. Andre de Immerson nickte. ,, Sehr gut…

Dann gebt das Zeichen. Ich bin gleich soweit.“ ,, Jawohl Herr.“ Der Uniformierte verbeugte sich rasch, bevor er auf dem Absatz kehrt machte um die Befehle des Lords zu überbringen. Andres Finger tippten derweil unruhig auf der glatten Metallfläche des Stockknaufs herum. Noch hatte er keine Nachricht von den Männern bekommen, die er ausgeschickt hatte um die kaiserlichen Boten abzufangen. Aber das war kein Grund zur Beunruhigung, sagte er sich. Selbst wenn die zwei Gesandten den Meuchelmördern entgangen waren… Er konnte jederzeit neues Schicken. Oder einen der wenigen Magier, die ihm zur

Verfügung standen. Und das würde er, allein um sicher zu gehen, sagte Andre sich. Er durfte keine Risiken eingehen. Nicht jetzt. Besser zu viele Ressourcen auf ein derart entscheidendes Ziel ansetzen, als zu wenige. Sein Schlag musste überraschend Erfolgen, oder die Garde würde Dagian die Gefolgschaft verweigern und das Land verteidigen… statt nach Süden zu ziehen, wie es der Hochgeneral veranlasste. Nur so Stünde Canton ihm fast Kampflos offen. Sobald er das Land kontrollierte, könnte er sich dann auch um den General kümmern. Und um das, was nach der Eroberung von Laos von den Kaisertreuen Streitkräften blieb. Hoffentlich würde

Helike den Gardisten einen ordentlichen Blutzoll abverlangen. Für den Moment jedoch, brauchte Andre noch Unterstützung. Und nicht nur die des Generals. Andre hob eine Hand und das Gemurmel und die leisen Gespräche im Saal verstummten allmählich. ,, Ihr fragt euch alle sicher, wieso ich euch hier zusammen gerufen habe.“ , begann er. ,, So sehr ich euer aller… Gesellschaft auch schätze, gibt es dringendere Dinge, die unsere Aufmerksamkeit erfordern. Der Kaiser ist im Süden verschollen. Seit einem Monat gibt es keine Nachricht mehr von Kellvian Belfare.“ ,,Verzeiht, aber zu Verwunderlich ist das

nicht.“ , bemerkte jemand aus der Menge. ,, Jedoch ist es eine Chance, verehrte Lords, die wir nicht ignorieren dürfen.“ , erwiderte Andre sofort. Er hatte sich seine nächsten Worte lange zurecht gelegt. Wenn auch nur einer der Anwesenden in diesem Saal, ihm gleich nicht zustimmte… würde er die Mauern Silberstedts nicht mehr verlassen. ,, Es ist an der Zeit, die Ketten abzuwerfen, die uns die Kaiser seit über zweihundert Jahren auferlegen. Tyrannei und Willkür, die uns in die Knechtschaft von Männern gezwungen hat, die wie nun schon zu lange dulden. Und was haben die Kaiser getan? Unsere uralten Rechte

beschnitten, uns gezwungen unser Land mit Clans und Wilden zu teilen, die bestenfalls vor uns Knien sollten, unsere Länder unter ihre Oberhoheit gestellt und uns die Rechte über unseren Besitz genommen.“ Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Andre wusste, dass er sie hatte. Aber noch, gab es zögerliche, noch waren sie nicht völlig Überzeugt. ,, Ihr wie ich, habt euch gegen Kellvian gestellt. Oder habt eure Stimmen zurück gehalten. Doch jetzt oder niemals ist der Zeitpunkt, uns zurück zu Holen, was uns gehört. Die Kontrolle über dieses Land gehört den Fürsten, nicht irgendeinem Mann aus der Erblinie eines

Zauberers.“ Er machte eine kurze Pause und war sich der Wirkung derer bestens Bewusst. Die Leute schienen nur darauf zu warten, das er wieder zu Sprechen begann. ,, Es ist an der Zeit, den Makel Simon Belfares von diesem Land zu fegen.“ , donnerte der Herr von Silbestedt. ,, Endgültig. Wer wird mir folgen?“ Statt leisem Gemurmel erklangen nun Zurufe und einige der Anwesenden zogen Schwerter, die Klingen zur Hallendecke gerichtet. ,, Gut… Sehr gut.“ Alles verlief mehr als nur nach Plan. ,, Ich werde freien Zugang zu euren Ländereien brauchen, meine Freunde. Dann werde ich es Wenn

alles gut geht… gehört Canton vor dem Ende des nächsten Winters uns.“ Oder besser ihm. Die restlichen Adeligen verfügten nicht über große Heere und Andre würde zu verhindern wissen, das sie welche Aufstellten. Sie sollten ihm nur den Weg leichter machen, nicht mehrt.“ ,, Wie sollen wir uns gegen die Garde stellen Andre, habt ihr darüber nachgedacht ?“ , meldete sich ein in gelbe Seide gekleideter Adeliger zu Wort. ,, Ich zweifle nicht an eure Entschlossenheit und der aller hier, aber mit einer Armee müsst ihr die Berge überwinden. Und die Pässe kontrolliert nach wie vor der

Sangius-Orden.“ ,, Ich kann es euch zeigen.“ , erklärte Andre nur mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. ,, Wenn ihr mir folgen würdet…“ Er machte eine einladende Geste in Richtung Tür. ,, Doch vergesst nicht, das alles was ihr hier sieht… für das Kaiserreich nicht existiert. Sie werden es erst merken, wenn es zu spät ist.“ Mit diesen Worten gab der Herr von Silberstedt einem Wachmann an den Toren ein Zeichen. Diese wurden daraufhin aufgezogen und kalte Luft strömte in den Saal. Einige der anwesenden zogen die Mäntel enger um sich, nur Andre nicht. Er war die Kälte seiner Heimat mehr als gewohnt. Mit

wehendem Umhang trat er durch die Pforten hinaus auf die Treppe, die von einem ummauerten Innenhof hinauf zur Halle führte. In der klirrend kalten, klaren Luft konnte man ohne Mühe die ganze Stadt überblicken. Und auch die Schneewolken am Himmel hatten sich kurzfristig verzogen und ließen die Wintersonne auf den Ort scheinen. Selbst die Götter gönnten ihm diesen Tag, dachte Andre, während er darauf wartete, dass die anderen ihm folgten. In der Ferne, hinter den Stadtmauern im Westen erstreckten sich Zelte und einfache Holzhütten, so weit das Auge reichte. Das Heerlager jedoch, war nicht, was die übrigen Adeligen dazu brachte,

erschreckt einzuatmen. Es war der Himmel über Silberstedt. Viele der Anwesenden hatten wohl einmal die fliegende Stadt besucht, bevor diese zerstört worden war. Doch auch der Anblick der schwebenden Gebäude dürfte sie nicht auf das vorbereitet haben, was sie nun sahen. Andre stellte zufrieden fest, wie die letzten Zweifel in ihren Augen schwanden. Und wie ihnen eine simple Tatsache bewusst wurde : Die Berge würden ihn nicht aufhalten. Genau so wenig wie Kellvian ihm weiter im Weg stehen würde. Die Welt würde sehr bald ihm

gehören…. Quinn starrte missmutig in die Zweige, die einmal ein Lagerfeuer werden sollten. Syle bemühte sich sichtlich darum, das durchnässte Holz mit Feuerstein und Stahl zu entzünden, doch die Funken fanden in dem halbgefrorenen Zunder einfach keine Nahrung. Was ihnen vom Tag geblieben war, waren sie durchmarschiert und nun begann es langsam zu dämmern. Den Wald hatte die vierköpfige Gruppe mittlerweile durchquert, nur um eine große, gefrorene Ebene zu erreichen. Als es Dunkel wurde, hatten sie sich unter

die Zweige eines vereinzelt in der Landschaft stehenden Baumes geflüchtet und Syle war mit Lucien losgezogen, um Feuerholz zu suchen. Ohne Erfolg, wie sich herausstellte und so hatte der Gejarn kurzerhand einige Zweige von ihrem provisorischen Unterstand abgebrochen. Wenigstens war der Kerl zu irgendetwas gut, dachte Quinn. Aber langsam begann er selber zu frieren… Mit einem sadistischen Grinsen im Gesicht, hob er eine Hand und murmelte einen Zauber. Im selben Moment flammte das Holz auf, als hätte jemand Öl darüber gegossen. Syle sprang mit einem wütenden Fluch zurück, überrascht über seinen plötzlichen, vermeintlichen

Erfolg. ,, Na bitte.“ , erklärte er und klopfte sich dabei Ruß und Asche aus der Uniform. ,, Geht doch.“ ,, Ihr seid ja doch zu was zu gebrauchen, Zauberer.“ , bemerkte Lucien, dem offenbar aufgefallen war, was Quinn getan hatte. Mit diesen Worten zog der Agent eine kleine Zinnkanne aus seinem Gepäck und füllte sie mit Schnee, bevor er sie in die Flammen stellte. ,, Was wird das ?“ , fragte Tamyra, die eben damit begann, ihre Vorräte nach dem Abendessen zu durchsuchen. Ein Kanten Brot, Trockenfleisch und eine Handvoll Beeren, die sie unterwegs gefunden

hatten. ,,Tee.“ , erklärte Lucien, und zog eine Handvoll dunkler, getrockneter Blätter aus der Tasch. Sobald das Wasser in der Glut zu kochen begann, schlug er einen Zipfel seines Mantels um seine Hand und zog die Kanne aus dem Feuer. Rasch zerrieb er die Pflanzen zwischen den Fingern und gab das Pulver ins Wasser. Lucien wartete einen Moment, bevor er den Kanneinhalt auf vier Becher aufteilte und zuerst Quinn einen hinhielt. ,,Ihr trinkt garantiert zuerst.“ , erklärte der Zauberer nur und stellte den Angebotenen Becher möglichst weit von sich entfernt ab. Für wie dumm hielt

Lucien ihn? Der Agent jedoch zuckte nur mit den Schultern, griff nach der eigenen Tasse und nahm einen großzügigen Schluck von der heißen Flüssigkeit. ,, Seht ihr ? Ich verstehe gar nicht, wieso mir die Leute einfach nicht mal vertrauen…“ Quinn schwieg dazu einfach. Es brachte auch kaum etwas, mit dem Mann zu diskutieren, dachte er. Lucien würde auch noch früh genug Gelegenheit haben, alles zu bereuen. Im Gleichen Moment stand Syle auf der anderen Seite des Lagerfeuers auf und warf einige weitere Zweige auf die Glut. ,, Das wars“, erklärte er. ,, Wenn wir

heute Nacht nicht frieren wollen, muss jemand zum Wald zurück laufen und neues Holz holen.“ Mit diesen Worten schulterte der Gejarn das Gewehr. ,,Ich gehe freiwillig. Wer kommt noch mit?“ Lucien ließ den leeren Becher einfach zur Erde fallen, als er aufstand und erklärte: ,, Ich bin dabei. Ich glaube auch nicht, das der Herr Zauberer zu einer Nachtwanderung aufgelegt ist.“ Quinn sah den beiden Männern nur nach, bis ihre Schritte in der Dunkelheit verhallt waren. Damit blieb außer ihm nur noch Tamyra am Feuer zurück. Wäre das nicht die Gelegenheit? , dachte er einen Moment. Wenn er die Diplomatin jetzt ausschaltete, bevor Lucien und der

Bär zurück kamen… Er könnte sie einen nach den anderen erwischen, sie vielleicht sogar betäuben und festsetzen, und sich dann so nach Silberstedt aufmachen. Er brauchte schließlich nur einen von ihnen Lebend abliefern um seine Worte zu untermauern. Nur der Zeitpunkt war entscheidend. Jetzt oder vielleicht würde er so schnell nicht wieder die Gelegenheit haben. Seine Hände trommelten unruhig auf dem Metall des Bechers herum.

Kapitel 35 Vertane Chance


,, Dagian hat euch als zu uns geschickt ?“ , wollte Syle wissen. Es war so dunkel, das er kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Sie hatten fast eine Stunde zurück laufen müssen, bis sie ein paar Bäume fanden um nach Brennholz zu suchen. ,, Das habe ich euch bereits gesagt.“ , erklärte der kaiserliche Agent nur. Die Zweige in dem kleinen Wald waren so dicht, das sie selbst das schwache Sternenlicht noch ausblockten und der Gejarn sich nur noch tastend orientiere konnte. Lucien war irgendwo in der

Nähe im Unterholz. Syle konnte nur erahnen, wo genau. Götter, wenn es dem Mann in den Sinn kam, hätte Syle einen Bolzen zwischen den Augen, bevor er es überhaupt merkte. Aber das war Blödsinn, schalt er sich selbst. Auch wenn er Luce lieber im Auge behalten würde. Er sollte sich eher mehr Sorge um Quinn machen. Den Magier nur mit Tamyra zurück zu lassen gefiel ihm nicht, aber jetzt lohnte es sich auch nicht mehr, zurück zu gehen. Und die Diplomatin konnte mehr als auf sich aufpassen.Wenigstens war das Holz hier trocken, nicht durchnässt und gefroren wie die Zweige des Baums unter dem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Syle

lehnte sich gegen einen kleinen Baum, der unter seinem Gewicht rasch nachgab und mit einem krachenden Laut auseinanderbrach. ,, Ich frage nur, da Dagian von unseren Befehlen wusste. Warum sollte er uns also zurück rufen lassen… Er hat nichts davon erwähnt, oder?“ ,,Nein…“ Luciens Schatten bewegte sich irgendwo zu seiner Rechten. ,, Bis ihr mir davon erzählt habt, wusste ich nur, wohin ihr unterwegs seid und das ihr und Tamyra euch vermutlich Abseits der Hauptpfade bewegt. Aber nicht wieso.“ ,,Sehr seltsam…“ Syle schleifte den gefällten Baum hinter sich her, als sie wieder auf die

schneebedeckte Ebene hinaus traten. Er würde das Holz zurechtschneiden, wenn sie wieder zum Lager zurückkamen. Lucien folgte ihm, einen ganzen Arm Kleinholz mit sich tragend. Das Eis glitzerte und spiegelte das Mondlicht wieder und der Atem stand ihnen deutlich sichtbar vor den Mündern. Aber für heute Nacht hätten sie genug Brennmaterial um nicht zu erfrieren. Dabei lag das Schlimmste noch vor ihnen, überlegte der Gejarn. Die Berge würden bis ins Frühjahr noch eisig bleiben. Und um die Gipfel zu umgehen fehlte ihnen doch die Zeit. ,, Was ist mit euch los ? Ihr wirkt…

abwesend, wenn ich das bemerken darf.“ Tamyras Stimme riss Quinn aus seinen Gedanken. Verflucht, worauf wartete er. Der Zauber lag ihm auf der Zunge. Ein einfacher Spruch, eine kleine Verschiebung in den Fäden der Existenz und ein Teil seiner Probleme würde sich in Nichts auflösen. Dann konnte er sehen, wie er den Agenten und den Gardisten loswurde. Er stellte die Tasse am Feuer ab. ,, Ich denke grade lediglich über etwas nach.“ , erklärte er. ,, Verstehe schon. Hört zu, ich weiß, dass ihr nicht freiwillig hier seid, Quinn.“ Und ob Rotschopf , dachte er. Er wäre

ihnen ansonsten unbemerkt bis nach Silberstedt gefolgt, aber der Gejarn musste ja auf die Idee kommen, dass er einen Zauberer brauchte. Götter, was interessierte ihn, wer in diesem ganzen Chaos wo stand, solange er am Ende auf der Seite der Sieger blieb. ,, Ihr könntet jetzt gehen, bevor die anderen zurück kommen. Ich werde euch zumindest nicht aufhalten.“ , erklärte Tamyra. ,, Was ?“ Quinn blinzelte. Er hatte mit allem Gerechnet nur nicht damit. Eigentlich hatte er sogar gehofft, das die Diplomatin einfach schwieg, während er sich seinen Plan zurecht legte. Doch das brachte ihn einen Moment aus dem

Konzept. ,, Ich werde den anderen erzählen, das ihr nur nach ihnen sehen wolltet. Das gäbe euch noch einmal einen Vorsprung. Und Syle wird kaum Zeit darauf verschwenden, nach euch zu suchen.“ ,,Warum solltet ihr das tun ?“ ,, Ich bin kein Freund davon, jemand gegen seinen Willen durch halb Canton zu schleppen. Und ehrlich gesagt… ich kann Leute einschätzen Quinn. Wenn es darauf ankommt, werdet ihr uns keine Hilfe sein. Schlimmstenfalls sogar ein zusätzliches Risiko.“ Wenn Tamyra wüsste, wie Recht sie damit hätte, dachte er. Es war schon beinahe Unheimlich, wie einfach diese

Frau ihn mit wenigen Sätzen praktisch durchschaut hatte. Und dabei hatte er bisher vermutet, sie hielt sich einfach nur aus Schüchternheit im Hintergrund. Wie sehr er sich damit geirrt hatte, wurde ihm erst jetzt klar. Sie beobachtete einfach nur sehr gründlich und vermutlich hatte sie das von dem Moment getan, in dem er das erste Mal aufgetaucht war. Eine wertvolle Eigenschaft für einen Diplomaten, aber kaum Gefährlich für ihn, dachte Quinn. Er hatte schon zu viel Zeit verschwendet, die anderen könnten jeden Moment zurück sein… ,,Mit einem habt ihr wohl recht. Ich werde euch keine große Hilfe sein.“ Er

sprach die Worte, ohne, das er es Bewusst wollte. Wozu Unterhielt er sich noch? ,, Und wenn ich ebenfalls ehrlich bin… es gibt nur eine Person, der ich diene. Und die sitzt vor euch.“ Bevor Tamyra noch etwas erwidern konnte, unterbrach das Geräusch von Schritten die Stille. Quinn fluchte innerlich. Er hatte tatsächlich zu lange gezögert. Und keinen Herzschlag später tauchten auch schon Lucien und Syle aus dem Halbdunkel auf. Der kaiserliche Agent trug einen ganzen Stapel Holz, den er neben der Feuerstelle absetzte und die mittlerweile heruntergebrannte Glut neu entfachte. Und der verdammte Gejarn schien

tatsächlich einen Baum mitgebracht zu haben. Syle ließ den gesplitterten Stamm am Rand des Lichtkreises zurück, der von den Flammen beschrieben wurde und machte sich daran, diesen mit einer Axt in handlichere Form zu bringen. Quinn schüttelte verwirrt den Kopf. Diese Leute sollten ihm nichts bedeuten. Und ganz sicher taten sie das auch nicht. Nicht Syle mit seiner ruppigen militärischen Art, nicht Lucien, bei dem ganz offenbar einige Schrauben locker waren, Und ganz sicher nicht Tamyra, die ihn scheinbar so einfach durchschaut hatte. Er würde schon noch eine zweite Gelegenheit finden. Vielleicht war es jedoch besser, wenn er

sie von selbst nach Silberstedt gelangen ließ. Kein Grund Risiken einzugehen. Die Zeit arbeitete in jedem Fall für ihn. Kellvian trat mit einem mulmigen Gefühl im Magen auf die Planken hinaus. Sie waren vielleicht grade einmal wenige Augenblicke im Hafen von Helike, aber ihre Ankunft hier war offenbar niemanden entgangen. Eine Unzahl Augen musterte die kleine Gruppe, die von Bord des fremden Schiffs kam, das so eben angelegt hatte. Die meisten Bewohner der Stadt warfen ihnen nur neugierige oder aber Abweisende Blicke zu, bevor sie sich beeilten, wieder ihrem Tagewerk

nachzugehen. Nur die Bewaffneten in der Menge blieben stehen, wo sie waren, sichtlich angespannt und nervös darüber, was drei Fremde Schiffe hier zu suchen hatten. Wys hatte ja schon erwähnt, das sie sich auf einen kühlen Empfang einstellen könnten. Der Archont folgte direkt hinter Kellvian, zusammen mit Zyle, Jiy und den anderen. Die restliche Mannschaft, sowie die Gardisten auf den Begleitschiffen würden erst einmal bleiben, wo sie waren, bis sie wussten, was sie hier erwartete. War das Meer noch Nebelverhangen gewesen, brannte die Sonne unerbittlich auf die Straßen der Stadt nieder. So weit Kellvian sehen konnte, war nicht eine einzige Wolke zu

entdecken. Nur eine endlose, blaue Fläche, die sich über ihnen erstreckte. ,,Beschwert ihr euch noch einmal über unsere Winter.“ , erklärte Eden und blinzelte einen Moment in die Sonne. Der zweite Stadtwall zeichnete sich gegen die grelle Feuerscheibe ab die, wenn Kellvian ihren Stand richtig schätzte, grade erst Aufgegangen war. Das würde noch viel Schlimmer werden, dachte er bei sich. ,,Keine Sorge, ihr gewöhnt euch daran.“ , erklärte Zyle, dem der Temperaturwechsel offenbar nichts auszumachen schien. Den Gejarn beschäftigte etwas ganz anderes. Er sah über die Schulter hinweg in Richtung der

drei Schiffe im Hafen. Und hinauf zu den Masten. Auf blauem Grund wehte dort das Banner Cantons, das Doppelwappen von Löwe und Adler auf blauem Grund. Melchiors Prophezeiung hatte sich auf eine sehr seltsame Art erfüllt. Das Banner des Kaiserreichs würde eines Tages vor Helike wehen und er wäre dafür verantwortlich. Wie es aussah, war genau dieser Tag grade gekommen. Dieser Bastard, dachte Zyle nur. Der Seher musste genau gewusst haben, dass das passieren würde. Aber statt es ihm einfach zu sagen… Wys gab den sich sammelnden Wachen mittlerweile ein Zeichen, das sie sich wieder entfernen konnten. Offenbar

erkannten diese den Archonten auch sofort. Zyle konnte kein Wiederwort hören, nur das Klirren von Stahl, als diese sich schließlich zurückzogen. Er hatte wirklich nicht übertrieben, dachte Zyle. Helike war eine geschäftige Stadt und um die Ordnung aufrecht zu erhalten, hatte es schon immer Stadtwachen gegeben. Aber das man mehrere dutzend Abstellte, nur um den Hafen zu bewachen… Auf eien Art konnte er die Vorsicht der Archonten verstehen. Ein unerwarteter Angriff, wie er ihnen wiederfahren war, sollte bei jedem die Alarmglocken schrillen lassen. Aber die Gefahr war da draußen, irgendwo tief im Fels unter der Wüste,

nicht in den Stadtmauern. Der Archont winkte die kleine Gruppe ein Zeichen, ihm zu Folgen. ,, Besser, wir werden gleich in der inneren Stadt vorstellig. Bei so viel Aufmerksamkeit, die wir auf uns ziehen, wissen die Archonten längst, dass Fremde in der Stadt sind. Kein Grund sie unnötig Warten zu lassen.“ Die Leute wichen vor ihnen zurück, als sie sich, immer Wys folgend, einen Weg durch die Straßen suchten. Der Hafen geriet schnell außer Sicht und machte einem großen Wohnbezirk Platz. Kleinere und größere Häuser aus Holz und Stein reihten sich aneinander. Die meisten Gebäude verfügten nur über

kleine Fenster oder stabile Holzläden, die etwas Schutz vor der Hitze des Tages boten. Dazwischen gab es immer wieder kleinere Geschäfte und Betriebe. Kell erkannte eine Schmiede, deren Besitzer an der Esse arbeitete und der der vielköpfigen Gruppe keine Beachtung schenkte. Wenn man von der Architektur absah, war der unterschied zu einer der Städte Cantons kaum Spürbar. Nur das sie keine Straße passieren konnten, ohne irgendwo eine Wache zu sehen, beunruhigte Kellvian zunehmend. ,, Das ist der Bezirk der Handwerker.“ , erklärte Wys, als sie einen weiteren

kleinen Betrieb passierten. ,, Daneben gibt es sechs weitere Bezirke in der äußeren Stadt, alle mit unterschiedlichen Aufgaben. Über Händler und Heiler bis hin zu Lehrern oder den einfachen Soldaten. Die innere Stadt wiederum bildet den Bezirk der Archonten, der Schwertmeister und der Gelehrten.“ Der Gejarn deutete auf die zweite Mauer, die das Herz Helikes von der restlichen Stadt trennte. ,, Dort müssen wir hin.“ Kellvian sah die zum Himmel aufragenden Wälle hinauf. Erst jetzt, wo sie näher heran waren, wurden einem die Ausmaße der Zitadelle wirklich bewusst. Die Wälle schlossen oben fast ebenerdig mit dem Hügel ab, den sie umschlossen.

Doch von hier unten musste man den Kopf in den Nacken legen, um die Zinnen erkennen zu können. Die Häuser hier unten wirkten vor der Mauer wie Spielzeuge und Kellvian kam sich selber kaum größer vor. Es musste eine Unzahl an Handwerkern gebraucht haben, diese Befestigungswerke aus dem Boden zu stampfen. Und noch viel mehr, sie zu erhalten. Eine gewaltige Erdrampe, die durch Stein im gleichen, honigfarbenem Ton wie die Stadtwälle eingefasst war, führte hinauf zu einem Torhaus. Alle paar hundert Schritte war ein kleiner Wachturm auf dem Aufgang angelegt worden, die alle über eine weitere

niedrige Mauer Verbunden waren. Kellvian hielt diese noch einmal zusätzliche Befestigung dieses Mal erst nur für Dekoration, bis sie Ws bis kurz vor den Anfang der Rampe gefolgt waren. Jeder einzelne der Türme war besetzt und der Aufgang selber wurde durch eine durchgehende Kette aus Soldaten in Vollpanzern abgesichert. Die Männer unterschieden sich deutlich von der Stadtwache, der sie schon begegnet waren. Das erste, was Kellvian auffiel war, das sie alle beinahe exakt gleich groß waren. Er konnte von einem Ende der Linie aus Stahl zum anderen sehen, ohne dass einer den anderen Überragt

hätte. Vermutlich wurden diese Leute nach genauen Kriterien ausgesucht und Wys bestätigte ihm seine Vermutung auch. ,, Paladine.“ , erklärte er, als sie sich der Kette aus Wächtern näherten. ,, Die Garde der Archonten…“ Zyle nickte, bevor er hinzufügte: ,, Normalerweise ist der Aufgang zur Inneren Stadt nicht bewacht. Das ist kein gutes Zeichen…“ , Kellvian musterte die dreißig Mann starke Gruppe aus Soldaten. Jedem fiel ein purpurroter Umhang über die Schulter und die Helmvisiere ließen nicht zu, dass man erkannte, wer sich darunter verbarg. Wie es die Männer

allerdings mit ihrer Ausrüstung in der prallen Sonne aushielten, blieb ihm ein Rätsel. Endlose Disziplin, konnte Kell nur vermuten. Alle trugen die gleichen Stahlpanzer, die keinerlei Rangabzeichen aufwiesen. Das Metall war so weit poliert worden, das es das Sonnenlicht blendend grell Wiederspiegelte. Außer dort, wo die Oberfläche der Panzer durch tiefe Delle und Scharten entstellt wurde. Das war keine bloße Ziergarde, die man als dekorative Truppe zusammenstellte, dachte er. Diese Männer hatten garantier Kampferfahrung und sie trugen die Beweise dafür mehr als nur zur Schau. Irgendwie bezweifelte er einen Moment,

dass sie sie so einfach durchlassen würden.

Kapitel 36 Die Innere Stadt


Es war seltsam, wieder hier zu sein und die vertraute, trockene Luft zu atmen, die von der Wüste her in die Stadt getragen wurde. Vertraut und doch nach all der Zeit nicht mehr die Selbe. Helike hatte sich verändert, das konnte Zyle mit jedem weiteren Schritt spüren. Und der letzte Beweis, den er dafür brauchte, stand in Form ener Reihe von bewaffneten Paladinen vor ihnen. Wys hob eine Hand zum Gruß, als sie auf die Wächter der inneren Stadt zutrat. ,, Was gibt es neues in Helike ?“ , wollte der Archont wissen. Die Männer rührten

sich zwar nicht, aber Zyle konnte beinahe spüren, wie er und die anderen Prüfend gemustert wurden. ,, Archont Wys Carmine.“ , begann einer der Wächter zu sprechen. ,, Die Nachricht eurer sicheren Rückkehr eilt euch schon voraus. Ihr werdet schon von den anderen erwartet. Und eure Begleitung…“ ,, Sie werden mit mir kommen. Ich verbürge mich für sie.“ Der Soldat nickte und schlug sich einmal mit der Behandschuhten Faust vor die Brust. ,, Wie ihr wünscht. Und Willkommen daheim, Herr.“ Mit diesen Worten teilte sich die Linie aus Soldaten wie auf ein stummes Zeichen und die

Männer traten nach Links und Rechts zur Seite. Der Weg die Rampe hinauf war lang. Zyle hatte es schon früher gehasst, den Aufstieg mehrmals am Tag hinter sich bringen zu müssen. Selbst ein Mann im vollen Lauf hätte gut und gerne zehn Minuten gebraucht, um die Tore am oberen Ende zu erreichen. Und doch könnte er sich damit wohl noch glücklich Schätzen. Die wenigsten betraten die Marmorhallen so oft wie die Schwertmeister. Bildeten die Paladine nur die Leibwache und die Gelehrten nur den Bürokratischen Arm der Herrscher Helikes, so waren die Schwertmeister ihre direkteste Unterstützung. Was immer erledigt werden musste, wann

immer für einen Auftrag die normalen Ressourcen der Archonten nicht ausreichten, wurde die besten Kämpfer Laos ausgeschickt. Und er hatte sich einst einmal Stolz zu diesen gezählt. Mit etwas Glück würde er das ab heute auch wieder tun. ,,Ziemlich… unangenehme Gesellen.“ , bemerkte Erik, als sie eine zweite Reihe aus Wächtern passierten, die etwa auf halbem Weg die Treppe hinauf Aufstellung genommen hatte. ,, Man hält sich besser von ihnen fern.“ , erklärte Wys nur, stimmte ihm damit aber auch insgeheim zu. ,, Die Paladine sind nicht unbedingt für ihre Freundlichkeit bekannt. Respekt ja,

wenn man ihn sich verdient. Aber das war es auch schon.“ ,,Wieso ?“ ,, Im Rang stehen sie direkt unter den Schwertmeistern.“ , erklärte der Archont weiter. ,, Und damit haben sie genau bei der einen entscheidenden Prüfung versagt um sich diesen Titel zu verdienen.“ ,, Ihr unterzieht also alle eure Soldaten einer Prüfung um ihren Rang zu bestimmen ?“ ,, Nicht nur die Soldaten.“ , erwiderte Zyle. ,, Und nicht nur eine Prüfung. Es gibt über einhundert davon. Und man kann muss sie der Reihe nach absolvieren. Je nach dem, wie weit man

kommt, wird einem ein Platz zu gewiesen. Ob als Handwerker, Heiler , Kämpfer oder Gelehrter. Und innerhalb dieser Stände wird dann ermittelt, wer welche Aufgaben am besten Übernimmt. Wer sich Bewährt kann schnell in seiner jeweiligen Kaste aufsteigen. Wer sein Schicksal jedoch nicht akzeptiert wird eben auf dem Platz verbleiben, der ihm Zugewiesen wurde.“ ,, Ob aus einem Handwerker ein Schmied oder Schreiner, aus einem Soldaten ein Schütze oder Schwertkämpfer und ob aus einem Heiler ein bloßer Pfleger oder ein Feldarzt wird, steht jedem ganz nach eigener Neigung frei.“ , unterbrach Wys

ihn. ,, Man hängt also da fest, wo man versagt hat ?“ , fragte Jiy skeptisch. ,,Das klingt nicht wirklich nach einem gerechten System. Vielleicht verbessert sich derjenige im Laufe seines Lebens…“ ,, Theoretisch ist es erlaubt, die hundert Prüfungen nach Ablauf von 10 Jahren noch einmal von Vorne zu bestreiten. Aber die wenigsten machen davon gebrauch. Bis dahin haben sie sich meistens eingelebt. “ Kellvian wirkte nicht überzeugt. ,, Und wer bei allen Tests versagt ?“ ,, Das… passiert nur sehr selten. Zum Farmer reicht es für so gut wie jeden.“ , erklärte Wys. ,, Die Prüfungen werden

schwerer je höher der Rang ist, dem man durch das Bestehen zugeordnet werden würde.“ ,,Das beantwortet allerdings meine Frage nicht.“ ,,Nein, das tut es nicht. Wer es nicht schafft… wird fortgeschickt. Die wenigsten kehren je zurück.“ ,, Das heißt ihr schickt sie zum sterben in die Wildnis.“ , bemerkte Erik nur trocken. ,, Redet es nicht schön. Hundert Prüfungen also… Und wie viele davon muss man bestehen um zum Paladin zu werden? “ ,,Neunundneunzig.“ , antwortete der Archont ihm. ,,Die hundertste macht einen zum

Schwertmeister.“ Mittlerweile waren sie hoch genug über den Straßen der Stadt, das sie einen Blick über die Äußere Mauer werfen konnten. Auf einer Seite grenzte Helike direkt an den Meeresarm, der die Küste auf einer Seite in einem Horn ausliefen ließ. Noch immer brannten Feuer auf dem Wachturm, der die Halbinsel einnahm. Rings um den Rest der Stadt erstreckte sich endlos erscheinende Steppe, die nur hier und da durch grüne Erhebungen und einige Bauernhöfe und Farmen unterbrochen war. Zyle hatte das Gefühl, in der klaren Luft bis zu den Grenzen mehrere Tagesreisen weit im Osten sehen zu können. Und irgendwo

weiter im Süden wich die ausgezehrte Erde und das Steppengras den, erstarrten Wellen der Dünen. Die Wüste war ein Ort, an den sich nur die wenigsten wagten. Die meisten Siedlungen von Laos lagen an der Küste oder weit genug von den endlosen Sandfeldern entfernt. Die Tore zur inneren Stadt standen offen, als sie sich näherten. Die zwei dunklen Torflügel waren, so weit Zyle sich zurück erinnern konnte, noch nie geschlossen worden. Sand und Erde hatten sich vor dem hölzernen Portal angesammelt und vereinzelte Pflanzen bereits darin Halt gefunden. Vermutlich war es bereits schlicht nicht mehr möglich, den Durchgang ohne weiteres

zu versiegeln. Eiserne, mit Blattgold verzierte Bänder hielten die Holzbalken der Tore an ihrem Platz und über dem hohen Steinbogen, der das Torhaus nach oben abschloss, prangte ein in den gelben Stein gemeißeltes Rankenmuster. Wys wurde kaum langsamer, als sie schließlich ihren ersten Schritt in das eigentliche Zentrum Helikes setzten. Die Straßen hier oben waren befestigt und mit grauen Steinfließen gepflastert. Große Säulen aus weißem Gestein folgten dem Verlauf der Wege, als wären diese einmal Überdacht gewesen und links und Rechts der Straßen erhoben sich weitere Gebäude aus demselben, marmorartigen Material.

Sie passierten mehrere Hallen, deren Wände offen gehalten waren, so das sich die Hitze des Tages nicht unter den Dächern stauen konnten und solche, die scheinbar keinerlei Fenster aufwiesen. Alle Straßen, die die kleine Gruppe einschlug, verliefen in scheinbar genau ausgerichteten, rechten Winkeln. Entweder sie führten in einer graden Linie von Süden nach Norden oder von Westen nach Osten. Zyle kannte die Architektur der inneren Stadt und wusste, das sich dieses strenge Konzept erst im Mittelpunkt der Anlage veränderte. Alles bildete hier einen einzigen Komplex aus den Hallend er

Gelehrten, den Unterkünften der Schwertmeister, Rats und Schriftkammern, den Archiven und dem Sitz der Archonten fast im Zentrum der Stadt. Der graue Rundbau ragte ,am Nordende eines großen Platzes, deutlich sichtbar über die übrigen Bauten der inneren Stadt hinaus. Bunt gefärbtes Glas war in die Wände der einzelnen Stockwerke eingelassen und mehr als eines davon zeigte das Profil eines Helden von Laos. Schriftlehrer, die sich durch ihre Arbeit hervorgetan hatten, Archonten, deren Regierungszeit als besonders Erfolgreich galt und natürlich die Schwertmeister, denen wohl die meisten Abbilder zuzusprechen waren.

Die eigentliche Mitte der Stadt jedoch wurde durch einen großen Quarzsarg eingenommen, der erhöht auf einem Sockel aus Marmor stand. Die gepflasterten Wege verließen hier ihren gewohnten Weg und verliefen in mehreren, konzentrischen Kreisen um eine Ansammlung von Säulen herum, die den gesamten Platz mit dem Sarkophag einschlossen. Querverlaufende Linie aus Pflasterstein verbanden die einzelnen Kreisebenen miteinander und ergaben somit beinahe den Eindruck eines Spinnennetzes. Zyle konnte die fragenden Blicke der anderen sehen, als sie auf den Platz hinaus traten. Ohne es

wirklich zu merken, neigte er etwas den Kopf, als würde er den verfallenen Überresten in ihrem Gefängnis aus Quarz respektvoll zunicken. ,, Es ist lange her.“ , murmelte er. Zyle sah über den Platz hinweg zum grauen Steinbau im Norden. Die Knochen lagen nach wie vor genau so, wie der Gejarn sie in Erinnerung hatte. Auch wenn es mitten in der Nacht gewesen war, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Die ausgeblichenen Überreste von Stoffbahnen und Kleidung des Toten, waren teilweise zwischen die Knochen gesunken und verbargen so den Großteil des skelettierten Körpers, der einstmals den Namen Laos getragen

hatte. Wys hielt zum ersten Mal langsamer und blieb schließlich vor dem Kristall-Sarkophag stehen. Jetzt trennten sie vielleicht noch ein paar Schritte von ihrem Zusammentreffen mit den Archonten. War die Stadt am Fuß der Mauern belebt gewesen, so herrschte hier oben eine geradezu gespenstische Ruhe. Lediglich einige Paladine hielten Regungs-und wortlos an den Eingängen der Häuser Wache. Ansonsten hätte der gesamte Ort auch genau so gut verlassen sein können. Wys machte nach wie vor keine Anstalten, sie weiter zu führen. Jeder der Zufällig vorbei kam, hätte es vielleicht für Respekterweisung halten

können. Zyle jedoch sah den Ausdruck stumpfer Resignation, während dieser sich ein Blickduell mit den leeren Augenhöhlen lieferte. Als könnte er den Toten Lehrer so dazu zwingen, ihm irgendwelche Antworten zu geben. ,, Es bringt nichts, die Schriften zu hinterfragen.“ , murmelte er, so leise das nur Zyle ihn hören konnte. Der bittere Ton in seiner Stimme entging ihm dabei nicht. ,, Oder ?“ Offenbar hatte er gemerkt, das Zyle ihn ungewollt belauscht hatte. Der Gejarn wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Es schien mit seinen eigenen Zweifeln übereinzustimmen. Doch in seinen Augen machte es durchaus Sinn,

Laos zu hinterfragen. Jetzt schon… ,, Gehen wir weiter“ , erklärte der Archont im gewohnten Tonfall, als wäre nichts geschehen. Mit zwei großen Schritten war er an Zyle vorbei und dreht sich erst am anderen Ende des Platzes wieder zu ihm um. ,, Kommt ihr ? Ich würde die Geduld der Archonten nicht auf die Probe stellen wollen.“ Die anderen setzten sich wieder in Bewegung und folgten Wys auf den Turmbau zu. Nur Zyle blieb noch einen Moment stehen, wo er war. Hatte er gedacht, so zu Enden, als er seine letzte Prüfung zum Schwertmeister schließlich bestritt? Nein… Die Prüfung der Schwertmeister fand auf

dem Sarkophag-Platz statt. Ein Tag, an dem der sonst klare Himmel über Helike einmal Wolken verhangen war. Zyle konnte sich an den Geschmack von Regen in der Luft erinnern, als er auf den Platz hinaus trat. Alle einhundert Prüfungen bestanden aus körperlichen wie geistigen Tests. Mal galt es, sich im Kampf zu beweisen, mal gestellte Probleme zu lösen oder sein Talent beim erstellen von Plänen zu zeigen. Alles, was seinen Prüfern half, ihn einzuschätzen und ein Urteil über ihn zu Fällen. Der Weg des Schwerts war für ihn schon früh abzusehen gewesen. Löste er die gestellten Denkaufgaben nicht immer zu voller Zufriedenheit, die

militärischen Herausforderungen brachte er ohne größere Blessuren hinter sich. Die letzte Stufe der Leiter stellte in ihrem Aufbau dabei keine Ausnahme zum Rest. Nur bei dem, was auf dem Spiel stand. Heute würde sich entscheiden müsse, ob er den Platz als Schwertmeister oder Paladin verließ. Als jemand, der fast auf einer Stufe mit den Archonten stand und vielleicht eines Tages selbst in diesen Stand Berufen werden würde. Oder als jemand, den für immer der Makel des scharlachroten Umhangs brandmarkte. Als einer derjenigen, die es fast geschafft hätten. Und dann versagt hatten… Für das einfache Volk lag keine Schande darin,

aber ein Paladin würde für den Rest seines Lebens neidisch auf den einen Rang aufsehen, den er nicht erreichen konnte. Erniedrigung, die keine war, war noch schlimmer als echtes Versagen. Die letzte Prüfung bestand aus einem Duell. Nicht mit einem anderen Kandidaten. Nicht mit einem der Prüfer und Gelehrten, die die anderen neunundneunzig Schritte beurteilten. Sondern mit einem Mann , der sich bereits den Rang eines Schwertmeisters verdient hatte. Jeder, der die hundertste Prüfung auf sich nahm wusste, dass er nur eine sehr geringe Chance hatte, seinen Gegner wirklich zu besiegen. Die Anwärter waren Jung und unerfahren, ihr

Gegenüber einer der lebenden Legenden Helikes. Und für Zyle galt das besonders. Die, die es auf sich nehmen wollten, alle hundert Prüfungen über sich ergehen zu lassen, verbrachten oftmals drei Jahrzehnte damit sich Vorzubereiten. Er hingegen war mit grade einmal einundzwanzig Wintern vielleicht der Jüngste, der jemals so weit gekommen war. Und er würde nicht versagen. Es ging nicht darum, zu Gewinnen, sondern zu zeigen, das er das Potential hatte, eines Tages auf einer Stufe mit seinem ausgewählten Gegner zu stehen. Zyle betrat den Platz nur mit einfacher, grauer Kleidung und einem

Breitschwert in der Hand. Sein Gegner trug die gleiche Ausrüstung wie der Gejarn. Ein Mensch, vielleicht zehn Jahre älter als er selbst. Die braunen Haare hatte er im Nacken zusammengebunden, damit sie ihm nicht in die Augen fielen. Zyle erfuhr Jahre später, das der Mann bei einem Angriff auf die Grenze Cantons ums Leben kam. Obwohl bereits klar schien, wer gewinnen würde, musterte sein Gegner ihn einen Augenblick, um ihn einzuschätzen. ,, Zyle Carmine“ , begann der Schwertmeister. ,, Es wird euch noch einmal Angeboten, zurück zu treten und den euch bereits zugehörigen Platz in

unseren Reihen einzunehmen.“ ,, Nein.“ ,, Dann stellt euch, was euch erwartet.“ Mit diesen Worten war der formale Teil der Prüfung abgeschlossen und es blieb nur noch, die Waffen entscheiden zu lassen. Die Klingen waren zwar stumpf, aber ein mit Wucht geführter Schlag konnte nach wie vor schwere Blessuren zur Folge haben und Knochen brechen lassen. Zwar war es nicht zulässig, einen Gegner bei den Kämpfen absichtlich zu töten, aber ein versehentlicher Hieb auf den Schädel konnte nach wie vor einen der Kontrahenten das Leben kosten. Traditionell war es dem Prüfling überlassen, den Kampf zu eröffnen. Zyle

zögerte noch einen Moment, während sich seine Hand fester um den Schwertgriff schloss. Der erste Hieb war eine Gelegenheit und eine Herausforderung zu gleich. Machte er jetzt schon einen Fehler, war es aus. Zyle stürzte vor, die Klinge zum Schlag erhoben. Im selben Moment kam Leben in den Schwertmeister und der Gejarn stellte bestürzt fest, dass der Mann den Hieb offenbar vorhergesehen hatte. Rasch änderte er die Schlagrichtung der Waffe und hoffte, dadurch etwas zu erreichen. Stahl prallte auf Stahl. Zyle sprang zurück und versuchte es sofort erneut. Dieses mal trat sein Gegner mit einer eleganten Bewegung zur Seite und

ließ das eigene Schwert in den Rücken des Gejarn krachen. Zyle stolperte, verlor das Gleichgewicht und schlug hin. ,,Gebt ihr auf ?“ , wollte der Schwertmeister wissen, als er sich mühselig wieder aufrichtete. Der Hieb hatte nichts gebrochen, aber jede Bewegung schmerzte. ,,Nicht heute.“ , erklärte er, als er schließlich einen sicheren Stand wiederfand. Sein gegenüber nickte anerkennend. ,, Das ist genau der richtige Geist. Stahl ist kein bloßes Werkzeug , Junge. Vergiss das nicht. Dein Kopf muss genau so sehr damit umgehen können wie dein Herz.

„ Zyle nickte nur. Die Lektion von Laos, die schon jedem einfachen Soldaten eingebläut wurde. Deine Technik kann noch so gut sein, wenn du nicht hinter dem stehst, für das du kämpfst, wirst du verlieren. Und du kannst noch so sehr von dem Überzeugt sein, was du tust, ohne deine Waffe zu beherrschen, wirst du verlieren. Er brauchte beides, wenn er auch nur den Hauch einer Chance haben wollte. Nun denn…“ Der Schwertmeister ging ohne Vorwarnung auf ihn los, doch dieses Mal war Zyle besser vorbereitet. Er parierte den ersten Hieb und wich zurück um auch den zweiten

Abzufangen. Der Mann trieb ihn mit einer wilden folge von Schlägen über den Platz, aber bis jetzt konnte er sich noch behaupten. Trotzdem geriet er langsam aber sicher in Bedrängnis. Es war Verboten, den Kreis der Säulen während der Prüfung zu verlassen. Und offenbar hatte sein Gegner vor, ihn einfach aus dem Ring zu prügeln, wenn er nicht schnell die Oberhand gewann. Ihm blieb nur, zu improvisieren. Zyle warf sich zur Seite und rollte sich über die Schulter ab. Er konnte spüren, wie der Luftzug der Klinge ihn knapp verfehlte, dann schlug er auf dem Pflaster auf und sprang blitzschnell wieder auf die Füße. Der Schwertmeister

seinerseits hatte es noch nicht geschafft, sich ganz zu ihm herumzudrehen. Zyle nutzte die Lücke und griff den Mann nun seinerseits an. Entweder war der Schwertmeister schon erschöpft, oder er erwischte ihn einfach in einem ungünstigen Moment, aber der Mann wich zurück und konnte der Attacke nur mit Mühe entgehen. Einige wenige Herzschläge lang, hatte keiner von ihnen die Oberhand. Stahl traf auf Stahl oder lief ins leere, ohne das einer von ihnen etwas erreicht hätte. Sie befanden sich direkt am Rand der Säulen. Zyle hatte keine Zeit lange nachzudenken, aber wenn er dem Schwertmeister jetzt einen Tritt versetzte, würde dieser ohne

Zweifel aus dem Ring stolpern. Er hätte gewonnen... Und offenbar war das auch seinem Gegner plötzlich klar geworden, den er verstärkte seine Anstrengungen, den Gejarn wieder auf den Platz zurück zu treiben. Und doch wäre das noch ein Sieg, den er für sich Beanspruchen konnte? Die Regeln waren klar, Gewonnen wäre gewonnen… Wie blieb jedem selbst überlassen. Jetzt oder nie. Zyle wehrte einen weiteren Hieb ab… und Zyle trat einen Schritt zurück. Damit hatte der Schwertmeister plötzlich wieder mehr Luft und setzte rasch nach. Ein weiterer Hieb und dem Gejarn wurde das Schwert aus der Hand geschleudert. Das war

nicht, wie er gewinnen wollte. Ein Trick blieb ein Trick, ob die Regeln ihn zuließen oder nicht. Und doch für sich hatte er den Mann eben besiegt. Das reichte ihm. Ob er nun als Schwertmeister oder Paladin anerkannt wurde… Er würde immer wissen, dass dies nicht geschah, weil er versagt hatte. ,,Gebt ihr auf ?“ , wiederholte der Schwertmeister seine Frage von zuvor. Zyle nickte nur, schwer atmend. Sein Gegner ließ die Waffe sinken und setzte die Spitze des Schwerts auf dem Boden ab. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mannes. ,, In diesem Fall erkenne ich hiermit euren Anspruch auf den Titel eines

Schwertmeisters an. Von diesem Tag an, seid ihr den Archonten selbst als Schwert und Schild berufen.“ ,, Aber ich habe verloren…“ ,, Wir beide wissen, das der Sinn dieser Prüfung nicht der Sieg ist. Ihr habt heute noch eine dritte Lektion gelernt und das ist alles, was es braucht. Wenn ihr nicht mit dem Herzen hinter etwas steht… ist es manchmal besser zu verlieren, als damit zu Leben.“ ,, Das stammt aber nicht aus Laos Schriften…“ ,, Nein, das stammt von mir. Es ist lediglich die logische Folge der ersten beiden Lektionen. Dennoch hoffe ich, dass ihr diese hier nie wieder anwenden

müsst. Zweifel sind das Gift, das es unter den Schwertmeistern nicht geben kann.“ Zyle nickte erschöpft. Die Worte waren fern. Was wichtig war, war, das er es geschafft hatte. Bis Wys ihm ein halbes Jahr später folgte, war er der jüngste Schwertmeister, den Helike je gesehen hatte.

Kapitel 37 Die Archonten


Das Licht, das durch die spiralförmig nach oben führenden Buntglasfenster fiel, tauchte das innere der Ratskammer in ein Kaleidoskop von Farben. Von den Fenstern abgesehen, war die Halle jedoch Schmucklos und beinahe schlicht zu nennen, wenn man von der Tatsache absah, das wohl tausende von Menschen gleichzeitig unter die hohen Steindecken gepasst hätten. Der graue Stein jedoch dem ganzen, trotz des Lichteinfalls, einen düsteren, beinahe bedrohlichen Kontrast. Wys hatte wieder die Führung übernommen

und die Schritte der kleinen Gruppe hallten von den hellgrauen Fließen am Boden wieder. Kellvian hatte kaum die Gelegenheit gehabt, sich auf ihrem Weg durch die übrigen Räume des Gebäudes umzusehen. Trotzdem bekam er langsam ein Gefühl für die Architektur dieses Ortes. Der Rundbau war offenbar in mehrere, Wabenförmige Kammern unterteilt, die alle den großen Rundsaal umschlossen, den sie nun betraten. Eine Reihe von fünf steinernen Sitzen erhob sich auf der dem Eingang gegenüber liegenden Seite des Raums. Das kleine Podest, auf dem sie standen, sorgte dafür, dass sie ein Stück über den Rest der Kammer erhaben waren. Zwei

Seitentüren hinter den Thronen führten vermutlich zu weiteren Räumen. Für sie jedoch, endete der Weg hier. Kell ermahnte sich, nicht nervös zu werden, trotzdem konnte er seine eigene Anspannung nicht verbergen. Und auch die anderen blickten sich Wachsam in der leeren Halle um. Er würde den Archonten erst einmal klar machen müssen, das sie ihre Hilfe annahmen mussten. Erst danach konnte er sich um den Rest Gedanken machen. Er war einem politischen Schlachtfeld entkommen, nur um ein zweites, ihm völlig unvertrautes zu betreten. ,, Ich bitte euch, mir erst einmal das Reden zu überlassen.“ , erklärte Wys.

Kellvian nickte nur. Wenn der Archont den anderen die Situation schilderte, würden diese sich hoffentlich leichter Überzeugen lassen. Stellte sich nur die Frage, wo die übrigen Herrscher Helikes überhaupt blieben. Die Wachen am Aufgang zur Stadt hatten gemeint, man würde zumindest Wys bereits erwarten. Im gleichen Augenblick öffnete sich einer der Türen auf der anderen Seite des Raums und vier Gestalten traten nacheinander ein. Kellvian wusste nicht genau, was er erwartet hatte. Das hier jedoch sicherlich nicht. Alle vier Archonten trugen weiße Kleidung. Und alle vier waren

Gejarn. Der erste Mann, der auf dem mittleren der fünf Sitze Platz nahm, war ein vom Alter gezeichneter Schakal. Das ansonsten gold-braune Fell des Mannes wies breite, graue Streifen auf, die sich über Gesicht und Hals zogen. Obwohl er die sechzig wohl schon lange Überschritten haben musste, hatte ihn die Zeit wohl noch nicht aller seiner Kräfte beraubt, der er trat ohne Hilfe auf die kleine Bühne hinauf, auch wenn sein Gesicht dabei kurz einen schmerzverzehrten Ausdruck annahm. ,, Das ist Schwertmeister Samiel.“ , meinte Wys leise. ,, Der Älteste unter uns. Er war schon Archont, als die

momentane Generation noch ihre Prüfungen absolvierte.“ Der zweite Mann, der sich zur Rechten von Samiel niederließ, war ein rundlicher Löwe. Offenbar war er ein gutes Stück Jünger als sein Gegenüber und deutlich erkennbar kein Krieger. Er faltete die Hände zusammen und sah mit wachen Augen in die Runde, als könnte er es nicht erwarten zu erfahren, was hier vor sich ging. ,,Jona Vilaras.“ , bemerkte Zyle. ,, Der Händlerkönig von Helike, wie ihn manche nennen. Der einzige unter den Archonten, der kein Schwertmeister ist, sondern aus der Händlerkaste aufstieg. Weiß Laos, wie ihm das Gelungen

ist.“ ,, Eigentlich kann jeder zum Archonten berufen werden. In der Praxis sind es bis Jona aber immer nur die Krieger der Stadt gewesen.“ Die übrigen zwei Archonten waren ein Wolf und ein Leopard und beide vielleicht Zehn Jahre Älter als Wys. ,, Cadus und der Wolf heißt Chonar.“ , benannte der Archont die beiden. ,,Soweit ich weiß hab ich einen noch nie ohne den anderen Gesehen.“ Zyle nickte. ,, Ein paar Leute verbreiten schon das Gerücht, die beiden wären als Kinder mal in ein Becken voll Leim gefallen. Seitdem hängen sie eigentlich immer zusammen. Und als einer zum

Archonten berufen wurde war schnell klar, wer als nächstes Folgen würde.“ Nachdem alle vier Platz genommen hatten, trat auch Wys auf das Podest hinauf, nahm jedoch noch nicht auf dem letzten verbliebenen Thron Platz. Statdessen blieb er vor den anderen stehen und wartete. ,, Wir haben die Nachricht eurer Rückkehr schon erhalten Wys.“ , begann Samiel, der Älteste in der Runde. ,, Und das ihr nicht alleine seid. Würdet ihr uns das erklären? “ ,, In der Tat habe ich bei meiner Suche nach Zyle Erfolg gehabt. Und nicht nur das. Das Kaiserreich von Canton hat uns seine Unterstützung

Angeboten.“ ,,Und wozu glaubt ihr, bräuchten wir die Hilfe Cantons um mit ein paar Aufrührerischen Nomaden fertig zu werden?“ , fragte der Schakal. ,, Ihr glaubt doch nicht noch immer, das ihr es hier mit einem Trick der Whaid zu tun.“ , mischte sich Zyle ein und trat einen Schritt vor. ,, Wys hat gesehen, was in den Minen war, oder ? Die Drachenanbeter verfügen nicht über solche Magie.“ ,, Und ich kann mich nicht erinnern, das man euch das Wort erteilt hat, Zyle.“ , bemerkte Chonar der Wolf scharf. ,,Lasst ihn.“ , meinte Samiel. ,, Zyle hat Recht, wir wissen nicht, wer uns

angegriffen hat. Und sollten usn deshalb keine vorschnellen Urteile erlauben.“ ,,Vielleicht kann ich das ja aufklären.“ , bemerkte Kellvian. Er konnte diese vier bisher noch nicht einschätzen, aber je eher er sein Anliegen vorbrachte, desto eher wüssten sie, ob die Archonten überhaupt an Hilfe interessiert waren. Gegen ihren Willen konnte er nicht in der Stadt bleiben. Wys hatte ihn zwar Gebeten, ihm das Reden zu überlassen, aber diese Unterredung schien in die falsche Richtung abzudriften. Zum ersten Mal war es der Händlerkönig, der sich zu Wort meldete. Bisher hatte Jona Vilaras den anderen nur gelauscht und sich damit begnügt,

die Gruppe Fremder in der Halle einen nach den anderen zu mustern. ,, Verratet ihr uns auch, wer ihr seid ?“ , fragte er. ,, Mein Name lautet Kellvian Belfare. Aus der Linie Simons.“ ,, Kaiser Konstantin schickt seinen Sohn hierher um mit uns zu sprechen ?“ , fragte Cadus überrascht. ,,Nein.“ , antwortete Kell ihm. ,, Mein Vater ist tot.“ Einen Moment wurde es Totenstill in der Halle. Außer Wys und Zyle hatte wohl noch keiner der Anwesenden von den Geschehnissen in Canton gewusst. Und die Nachricht über den Tod des größten Wiedersachers Laos kam wohl mehr als

Überraschend. ,,Konstantin Belfare ist also Gefallen…“ Es war Samiel, der als erstes seine Stimme wiederfand. ,, Mein Beileid. Ich bin ihm nur einmal persönlich begegnet, aber er war einer der wenigen, die Laos jemals herausforderten und damit Erfolg hatte. Ich weiß einen guten Gegner zu schätzen. Aber bedeutet das…“ ,, Die Adelsversammlung Cantons hat mich als Nachfolger eingesetzt.“ , bestätigte Kellvian. ,,Ich verstehe… Dann erklärt uns doch einmal, woher ihr wissen wollt, wer unsere Minen überfallen hat und für… was auch immer dort Unten geschah verantwortlich

ist.“ ,, Der Mann, der euch Angriff nennt sich selber nur der Meister.“ , ergriff Zyle das Wort. ,,Während meines Aufenthalts in Canton, hat er versucht, die dortigen Clans der Gejarn in einen Bürgerkrieg gegen das Kaiserreich zu stürzen. Ich war dabei, als er das dadurch entstandene Chaos nutzte um in die Hauptstadt Cantons einzudringen… und die fliegende Stadt dem Erdboden gleich zu machen.“ ,,Ich bin hier um meine Hilfe anzubieten.“ , fuhr Kellvian fort. ,, Ich habe zwei Schiffe mit den besten Soldaten der kaiserlichen Garde im Hafen vor Anker und bin bereit, sie

unter eurem Kommando auch einzusetzen.“ ,, Und warum solltet ihr das tun ?“ ,, Wie Zyle schon erläutert hat, ich habe eine persönliche Rechnung mit diesem Magier zu begleiten, der eure Minen übernommen hat. Es liegt also auch in meinem Interesse, diesen Mann zur Strecke zu bringen.“ ,, Des Weiteren währe ich euch sehr dankbar, wenn ich die Archive Helikes betreten dürfte.“ , erklärte Erik seinerseits. ,,Es gibt dort vielleicht auch Hinweise auf was auch immer der Meister hier sucht, die ihr noch nicht gefunden habt.“ ,, Worum ihr uns bittet und was ihr uns

Anbietet ist keine Entscheidung, die einfach getroffen werden kann.“ , bemerkte der Älteste Archont. ,, Wir werden Bedenkzeit brauchen.“ Wys stand von seinem Platz auf. ,, Wurden die Totenfeiern für die Gefallenen aus der Mine schon abgehalten ?“ ,,Nein.“ , meinte Jona. ,, Ihr wisst, das dazu alle fünf Archonten anwesend sein müssen, solange es möglich ist.“ ,, Aber es ist gut, das ihr uns darauf Hinweist.“ , bemerkte Samiel. ,, Es gibt viel, über das wir Nachdenken müssen. Ich schlage daher vor, dass wir erst unseren Toten Respekt erweisen. Danach, wenn ihr so lange warten könnt Kellvian,

werden wir unsere Entscheidung treffen. Solange jedoch bitte ich euch, eure Leute auf den Schiffen oder im Hafen zu belassen. Sollte sich ein Bewaffneter aus eurer Mannschaft weiter in die Stadt wagen, müssten wir davon ausgehen, dass ihr uns hintergehen wollt. Seht die Totenfeiern einfach als unsere Bedenkzeit an.“ Was immer diese Totenfeiern auch waren, dachte Kell, es verschaffte ihnen etwas Zeit. Im Augenblick sah es nicht so aus, als wären die fünf Gestalten vor ihm wirklich Überzeugt. Wys würde sich wohl auf Zyles Seite stellen und Samiel wirkte Vernünftig. Aber was die übrigen drei Anging, konnte er nichts sagen.

Besonders Jona blieb für ihn Undurchsichtig. Der Mann schien die gesamte Unterredung Gleichgültig zu lauschen, aber die Art, wie seine Augen die einzelnen Sprecher musterten, sprachen Bände. Einen kurzen Moment meinte Kellvian sogar, so etwas wie Hass auf seiner Mine zu lesen, während Samiel sprach. ,, Natürlich. Ich möchte auch nicht, das ihr euch Überstürzt entscheidet.“ , erklärte er. ,, Mir ist auch klar, das Canton und Laos nicht grade die besten… Beziehungen haben. Aber ich versichere, das ich keine bösartigen Absichten habe.“ ,,Merkt euch nur eines, Kellvian

Belfare.“ , bemerkte Chonar. ,, Ihr seid in Helike für den Augenblick Geduldet. Verwechselt das nicht damit, das ihr Willkommen wärt.“ ,, Übertreibt es nicht, Chonar“ , schalt Samiel ihn. ,, Natürlich wärt ihr zu den Totenfeiern willkommen. Ansonsten kann ich es verstehen, wenn ihr es vorzieht auf den Schiffen zu bleiben. Wir treffen uns alle Morgen wieder hier, dann werdet ihr unseren Entschluss erfahren.“ ,, Was sind diese Totenfeiern von denen die Archonten gesprochen haben ?“ , wollte Jiy wissen, als sie die Hallen der Archonten wieder verließen. Die Sonne

stand mittlerweile hoch am Himmel und als sie aus dem kühlen Steinbau traten, wäre die Gejarn fast wieder zurück gestolpert. Die Luft flimmerte auf dem dunklen Pflaster der Straßen und der Temperaturunterschied zu drinnen fast wie ein Schlag ins Gesicht. Zyle, Kellvian, Eden, Cyrus und Zachary erging es kaum besser. Nur Wys schien sich dadurch nicht beeindrucken zu lassen. ,, Der Tot ist für die Krieger Helikes kein Grund zur Trauer. Wer Laos Worten gefolgt ist, hat im Tod nichts verloren, im Gegenteil. Der Tod ist nur das Schlusskapitel eines ehrenhaften Lebens. Also wird dieses Ereignis im

Gedenken an die Gefallenen gefeiert, während die Toten eingeäschert werden. Solange die Feuer brennen, wird in der ganzen Stadt niemand schlafen und oft Leuchten diese die ganze Nacht hindurch.“ ,,Ihr könnt Feiern ?“ , fragte Cyrus grinsend. ,, Irgendwie stelle ich mir das seltsam vor.“ ,, Wieso ?“ Wys blinzelte irritiert. ,, Wer behauptet wir könnten das nicht ?“ Erik lachte. ,, Nun, nehmt es nicht Persönlich, Herr Archont, aber nach allem, was ich bisher von eurem Volk gehört und gesehen habe…“ ,, Hah, ich habe eure angeblichen feiern erlebt, Erik.“ , bemerkte Zyle. ,, Und

ich wäre beinahe eingeschlafen.“ ,,Aber wer waren diese Whaid , die Samiel erwähnt hatte ?“ , fragte nun Eden . Sie hatten die Tore der inneren Stadt wieder erreicht und begannen den langen Weg wieder hinab in die eigentliche Siedlung. ,, Drachenanbeter, das habt ihr doch gehört“ , erklärte der Archont. ,, Es sind die Bewohner der Wüste. Ich glaube nicht, dass sie hiermit etwas zu tun haben. Sie machen zwar manchmal Ärger an der Grenze zum Ödland, aber eigentlich sind sie zu Wenige um eine echte Bedrohung darzustellen. Fanatiker, die sich Laos Gesetzen nicht beugen wollen, das ist

alles.“ ,, Aber die sind die Fanatiker, ja ?“ Erik trat an dem Sprachlosen Archonten vorbei, als sie das Ende der Rampe erreichten.

Kapitel 38 Totenfeier


Als die Nacht über Helike hereinbrach, war die ganze Stadt Hell erleuchtet. An einem normalen Tag wären der Ort jetzt langsam aber sicher zur Ruhe gekommen, doch heute wäre für die meisten Bewohner an Schlaf nicht zu denken. Eden beobachtete das Treiben im Hafen vom Deck der Windrufer aus. Überall in der Stadt schienen sich die Menschen zu versammeln, so auch hier. Leute trugen Bänke und Tische zusammen, die sie an den Docks aufbauten, Kinder liefen umher und über allem hing der ferne Duft von Backwerk und Hopfen. Es war

ein seltsam Friedlicher Anblick, auch wenn sie nicht Verstand, wie diese Leute den Tod feiern konnten. Zachary stand neben ihr an der Reling, schenkte dem Aufruhr am Wasser jedoch keine Beachtung. Eden wusste, das ihn das Fehlen von Magie an diesem Ort irritieren musste. Aber nach wie vor fürchtete sie, das er sich vielleicht die Schuld an Walters Tod geben könnte. Götter, es war einmal einfach gewesen, Zac einfach nach solchen Dingen zu Fragen. Der junge Mann an der Rehling veränderte sich in den letzten Monaten immer schneller. Und dass sie mit ihren eigenen Gefühlen nicht grade im Reinen war, machte die Sache nicht

besser. ,,Kommt ihr mit ?“ , fragte eine Stimme hinter ihr. Die Kapitänin drehte sich um. Kellvian trat grade mit Jiy und gefolgt von Cyrus und Erik an Deck. ,,Wohin ?“ ,, Wir gehen runter zum Hafen.“ , erklärte Jiy. ,, Dort dürfen wir uns immerhin aufhalten. Zyle ist schon vorgegangen, offenbar wollte er sich dort auch mit Wys treffen.“ ,, Ich habe auch den Kommandanten der übrigen Schiffe bescheid gegeben.“ , meinte Kellvian. ,, Ein paar der Leute sind sicher darauf aus sich nach Wochen auf See ein wenig die Beine zu

vertreten. Also will ich sowieso ein Auge darauf haben, das sie sich benehmen. “ Jiy hackte sich bei dem Menschen unter, als sie von Deck gingen. Eden schmunzelte. Sicher, dachte sie. Kell würde seine Augen ganz wo anders haben, nur sicher nicht auf einer Bande Soldaten. Sie gab sich einen Ruck. Also gut. Den ganzen Abend nur auf dem Schiff herumzusitzen, würde sie ohnehin nicht aushalten. Nicht Nüchtern zumindest. Und zumindest würde es ein paar ihrer Gedanken betäuben. Als sie in das Gedränge am Hafen eintauchten schien sich, im Gegensatz zu ihrer Ankunft hier, kaum noch jemand für sie zu interessieren. Manche drehten

kurz den Kopf zu der kleinen Gruppe Fremder um, andere nickten ihnen kurz zu, aber von Feindseligkeit oder Abneigung war nichts mehr zu spüren. Lediglich höflich verhaltene Neugier, was die Männer und Frauen aus Canton hier zu suchen hatten. Und vermutlich würde Helike es bald erfahren, sofern die Archonten sie nicht wieder fortschickten. Doch irgendwie glaubte Eden nicht daran. Das waren keine Narren, sie wussten, wenn sie Hilfe brauchten. Nur ob ihr Stolz auch zuließ, dass sie sie annahmen, war die andere Frage. Götter, eigentlich sollte sie das gar nicht interessieren. Sie war hier, weil

das Kaiserreich, insbesondere Kellvian sie dafür bezahlte. Nicht, das sie kümmerte, wie das alles Ausging… Es dauerte nicht lange und die sechsköpfige Gruppe fand Zyle und Wys an einem der Tische im Hafen sitzend. Der Archont saß praktisch alleine mit seinem Bruder, nur einige wenige Bewohner Helikes schienen keine Scheu vor den beiden Männern zu haben. Verständlich, bedachte man, dass beide mehr oder weniger auf der höchsten Stufe ihrer Gesellschaft standen. Zyle winkte sie heran und sie nahmen auf den langen Bänken Platz, die man hastig aus den umliegenden Gebäuden geholt hatte. ,, Ich hatte schon gedacht, ihr taucht

nicht mehr auf.“ , erklärte der Gejarn überraschend gut gelaunt. Mittlerweile war der Himmel über der Stadt nur noch von einem fernen, grauen Schimmer erhellt. Fackeln wurden entzündet, die die Nacht mit dem Geräusch knisternder Flammen füllten. Offenbar kümmerte es niemanden, dass sie mit den Truppen des Kaisers an einem Tisch saßen. Die blauen Röcke der Gardeuniformen, die hier und da in der Menge aufblitzten, saßen einzeln oder als Gruppen zwischen den Bewohnern, tranken und aßen mit ihnen und mehr als einmal hörte Eden, wie eine der Tischreihen in schallendes Gelächter ausbrach. Es war wirklich eine seltsame

Situation. Sie konnte die Nervosität der so verschiedenen Menschen und Gejarn beinahe riechen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten saßen sich Soldaten und Bürger aus Canton und Laos nicht als potentielle Feinde gegenüber, sondern als potentielle Verbündete. Nervosität war dabei wohl mehr als angebracht, auch wenn diese offenbar zunehmend in Fröhlichkeit umschlug. Woran der Alkohol wohl nicht ganz unschuldig war, dachte sie. Mehr als ein leeres Bier oder Weinfass rollte bereits in den ersten Stunden der Feierlichkeiten ins Hafenbecken. Zwei dutzend oder mehr Männer und Frauen wechselten sich ab, um dafür zu Sorgen, das keinem der

Anwesenden die Getränke ausgingen. Cyrus leerte derweil mit Erik den zehnten oder elften Becher Wein. Er hatte längst die Übersicht verloren, aber Verflucht wollte er sein, wenn ihn der Alte unter den Tisch trinken konnte. Dieser jedoch schien nicht einmal angetrunken und füllte grade erneut seinen Krug aus einer großen Karaffe nach, die er irgendjemand abgeschwatzt hatte. Vermutlich einem der Freiwilligen, die die Fässer bewachten, dachte Cyrus. Aber wen kümmerte das… ,, Noch einer ?“ , fragte der Arzt über die von Gesprächsfetzen und Musik erfüllte Luft hinweg. ,, Was glaubt ihr…“ Es fiel ihm

mittlerweile schwer, die Entfernung zwischen seiner Hand und dem Krug richtig einzuschätzen, trotzdem schaffte er es irgendwie, den Zinnbecher bis zum Rand aufzufüllen, ohne , das sich der Tisch in einen See verwandelte. ,, Ist eure Beerdigung mein Freund.“ , bemerkte Erik nur. ,, Eden, was ist mit euch ? Sagt mir nicht ihr wollt heute Abend nüchtern bleiben.“ Offenbar war der Mann doch nicht so trinkfest wie er sich gab, dachte Cyrus amüsiert. Seine Stimme war etwas zu Überschwänglich, aber Verflucht, bei der Menge an Wein, die der Alte trank, sollte er mittlerweile eigentlich am Boden liegen. ,, Von Wegen.“ Die Gejarn setzte sich

neben den Wolf und griff nach einem der leeren Becher, die sich bereits auf dem Tisch stapelten. ,,Zählt das jetzt eigentlich schon, als mal was unternehmen ?“ , fragte Cyrus und hätte sich selbst am Liebsten gleich für die Worte verflucht. ,,Wenn ihr nichts dagegen habt.“ , erklärte sie grinsend. Cyrus schmunzelte nur, während Erik die Becher auffüllte. Götter, der Arzt trank sie noch beide unter den Tisch, wenn er so weitermachte… Kellvian betrachtete derweil das bunte Treiben und ließ den Blick über die Menge hinweg zur inneren Stadt schweifen. Im Gegensatz zum Rest von

Helike brannten dort oben keine Lichter. Nur der rötliche Schein eines einzelnen Feuers, beleuchtete die Marmorfassaden der Bauwerke dort oben. Das Licht der Flammen war in der Dunkelheit auf dem Berggipfel gut zu erkennen. Die Totenfeuer, wie Zyle ihm erklärte. Solange die Feuer brannten, würde Helike Wach bleiben. Die einzige Ausnahme bildeten die Kranken oder Alten. Ganz am Rand der Versammlung hatten sich drei Stadtbewohner mit Musikinstrumenten eingefunden und zuerst verzerrt, dann einstimmig füllte die Melodie von Fiedeln, Baryton und weiteren Instrumenten die langsam kälter

werdende Luft. Immer mehr Leute sammelten sich um die kleine Gruppe von Musikern und auch Kellvian und Jiy fanden sich bald unter den Zuhörern. Die anderen hatten sie im Gedränge längst Verloren, nur ab und an erhaschte die Gejarn noch einen Blick auf ein vertrautes Gesicht, das irgendwo in der Menge auftauchte. Sorgen machte sie sich keine, im Gegenteil. Das war auch kein Abend für Sorgen, dachte sie. Einige der Umstehenden hatten mittlerweile Angefangen zum Takt der allgegenwärtigen Musik zu tanzen. Andere standen am Rand und feuerten sie mit Zurufen und unter Johlenden Gelächter an. Manch einer war ohne

jeden Zweifel schon längst weit von der Nüchternheit entfernt. Kell fasste ihre Hand und nickte in Richtung der Bänke. Er hat sich auf großen Versammlungen noch nie Wohl gefühlt, dachte Jiy bei sich. Und sie eigentlich auch nicht. Eigentlich… Offenbar bemerkte Kellvian, was sie vor hatte. ,, Oh nein, auf gar keinen Fall. Wenn du dich erinnerst, ich bin ein schrecklicher Tänzer.“ ,,. Komm schon. Lass uns heute einfach einmal den Abend genießen.“ Bevor Kell noch einmal Wiederworte geben konnten, grinste Jiy und zog sie ihn mit sich, aus dem Ring der

Zuschauer hinaus unter die Tanzenden. Kell fügte sich offenbar in sein Schicksal. Er lachte laut und konzentrierte sich nach besten können darauf, einfach Jiys Schritten zu Folgen. Die Gejarn sah einige Gardisten unter den Umstehenden. Manche der Soldaten klatschten, andere pfiffen oder brachen beim Anblick ihres Kaisers, der darauf bedacht war, niemandem auf die Füße zu treten, in schallendes Gelächter aus. Cyrus erwachte mit gewaltigen Kopfschmerzen. Er blinzelte ins Licht, musste die Augen aber sofort wieder schließen. Nicht nur war die Welt viel

zu Grell, sie schien auch beim besten Willen nicht stillhalten zu Wollen. Götter, was hatte er gestern gemacht… Er konnte sich dumpf an einen Stapel leerer Krüge erinnern. Die dumpfe Erinnerung an einen Nachmittag in Kalenchor kam auf, als er sich die Frage stellte, wann er sich das letzte Mal derart erschlagen Gefühlt hatte. Aus irgendeinem Grund konnte er seinen linken Arm nicht bewegen. Aber wenigstens würde er diesmal nicht plötzlich ins Meer gespült werde, dachte er. Cyrus musste grinsen. Das war immerhin etwas. Immer alles positiv sehen. Das Lächeln gefror jedoch auf seinem Gesicht, als er sich schließlich

dazu Überwand, die Augen wieder zu öffnen. Er würde nicht im Meer landen. Aber er war ja sowas von tot… Er war definitiv nicht in seiner Kabine, wie er als erstes feststellte. Das war die Kajüte der Windrufer. Wie immer er auch hierher gekommen war, das war nicht gut. Licht fiel durch einige Glasfenster hinter ihm und erhellte Bücherregale und Tische. Er wagte es kaum, den Kopf zu drehen. Der Gejarn erhaschte einen Blick auf weißes Fell und erhielt gleichzeitig eine Erklärung für das Gewicht auf seinem Arm. Und die trug den Namen Eden. Während sein Verstand noch zusammenzusetzen versuchte, was

gestern passiert war, regte sich die schlafende Gejarn neben ihm. Eden blinzelte ins Licht und sah ihn einen Moment verwirrt an. Dann schien der letzte Schleier des Schlafs auch von ihr abzufallen, denn sie saß sofort aufrecht im Bett, die Decke um den Körper geschlungen. Keiner von ihnen wagte es, etwas zu sagen. Cyrus wusste nicht, wie viel Zeit verging, in der sie sich einfach nur wie erstarrt musterten. Schließlich war es Eden, die das Schweigen brach. ,, Ich fühle mich grade als hätte mir jemand glühende Nadeln unter die Schädeldecke getrieben. Bitte sag mir, das ich grade noch Träume habe….“

Sie drehte sich mit dem Rücken zu ihm. Er konnte nicht umhin, die alten Narben zu bemerken, die sich auf ihre Haut gebrannt hatten. Einen kurzen Augenblick kam ihm der Gedanke wie verletzlich die Gejarn auf einmal Wirkte. Aber Eden und Verletzlich, das passte nicht zusammen. Nicht in dem Bild, das er von der Frau gewonnen hatte. Cyrus räusperte sich. ,, Können wir… vielleicht einfach so tun, als wäre das nie passiert ? Ich meine, was immer auch passiert ist…“ ,, Ich sage nichts, wenn du das ganze vergessen willst.“ , erklärte die Gejarn, ,, Aber eigentlich… hätte ich nichts

dagegen, wenn es so bleibt.“ Cyrus zögerte. Für ihn passierte grade zu viel auf einmal. Aber es gab nicht viel zu entscheiden. Er mochte Eden, ob das hier alles etwas schnell ging, oder nicht. Und das hat dich früher aber auch nicht gestört, dachte er mit einer Spur der alten Selbstsicherheit. Er wollte auch nicht, dass sie so einfach wieder auseinandergingen. Allerdings… ,, Ich habe nach wie vor keine Ahnung, was Gestern, passiert ist… Aber ich glaube, damit kann ich Leben.“ Er grinste etwas und wusste selber, dass es viel zu unsicher wirkte. ,, Wir könnten es auch einfach rausfinden.“ Eden lehnte sich ein Stück

vor, so dass ihre Gesichter vielleicht noch eine Handbreit voneinander entfernt waren. Etwas glitzerte in ihren Augen, das Cyrus dort nicht erwartet hätte. Lust und Glück. Wie hatte Zachary einmal gesagt, es fiel ihr schwer jemanden zu Vertrauen. Und er wusste, wie sehr das stimmte. Wie viel Überwindung sie das eigentlich kosten musste… Und dafür konnte Cyrus sie nur bewundern. Bevor er wusste, was er tat, drückte er seine Lippen auf ihre während sie zurück aufs Bett sanken. Eden schien weniger überrascht als der Wolf selbst. Sie erwiderte den Kuss, während ihr die Decke von den Schultern rutschte. Die Gejarn war schlank, die

Rundungen Ihres Körpers nur hervorgehoben durch feine Muskeln, die ein Leben auf See zu verantworten hatte. Eden war sanfter, als Cyrus erwartet hatte. Sie strich ihm einen Moment scheinbar Gedankenverloren durch die Haare, während der Wolf die Hände über ihre Schultern und langsam tiefer über ihre Brüste wandern ließ. Ein leises Schnurren war die Antwort darauf und langsam sicherer, ließ Cyrus eine Hand noch ein Stück tiefer sinken. Dieses Mal zuckte Eden leicht zusammen und er nahm die Hand zurück. Beinahe, war es, als sei sie unsicher, was sie tun sollte. Aber dazu kannte er sie eigentlich zu gut. Oder ? Trotzdem richtete Eden sich

einen Moment auf und hielt inne. Für Cyrus wirkte sie einen kurzen Herzschlag lang schöner, als ihm das je aufgefallen war. Die zahlreichen Narben und alten Verletzungen taten dem für ihn keinen Abbruch, falls sie das fürchtete. Und doch zum zweiten Mal konnte er sich des irrsinnigen Gedankens nicht erwehren, das Eden auf einmal… verletzlich wirkte. Das war schlicht nicht richtig. Er setzte sich selbst auf, und zog sie vorsichtig an sich. Es war eine Weile her, das er den Herzschlag eines anderen Wesens so nah an seinem Gespürt hatte. ,, Was…“ setzte er an, aber die Antwort schien ihm seltsam klar. Gleichzeitig war es lächerlich. ,, Sag mir nicht du

hast noch nie…“ ,,Nicht…freiwillig.“ , erklärte sie, offenbar erleichtert, das das aus dem Weg war. Cyrus nickte. Er Verstand. Und gleichzeitig fragte er sich, ob für sie überhaupt noch so etwas wie Entspannung in dem ganzen Akt liegen konnte. Nach all dem… Er würde so vorsichtig sein, wie er konnte. Cyrus wollte sie um keinen Preis verletzen, so seltsam dieser Gedanke im Zusammenhang mit Eden schien. Mit der Eden, die er kannte zumindest. Aber das hier schien eine ganz andere Seite dieser Frau zu sein. Eine, die wohl die wenigsten kannten. Cyrus legte ihr eine Hand unters Kinn, so dass sie ihn

ansehen musste, bevor er ihr einen weiteren, kurzen Kuss gab. Eine Weile blieben sie nur ineinander verschlungen sitzen, Cyrus ließ die Finger langsam durch ihr Fell wandern. Er würde alles nach ihrem Tempo machen. Irgendwann löste sich die Gejarn ein Stück von ihm, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. ,,Verflucht ist das dämlich.“ , meinte sie. ,, Nein ist es nicht. Wenn du nicht w…“ Eden schüttelte den Kopf, bevor sie sich in die Kissen zurücksinken ließ und ihn mit sich zog. Cyrus zögerte noch einen Moment, die Gejarn nickte nur. Trotzdem spürte er, wie sie sich unter ihm anspannte, bevor

er langsam in sie eindrang. Ihr Rhythmus war anfangs langsam und gleichmäßig, doch allmählich schienen sie beide mehr Selbstvertrauen zu gewinnen. Cyrus Atem wurde stetig schwerer und Eden schien es kaum anders zu gehen. Ihre Bewegungen wurden schneller und unkontrollierter. Er konnte ihren Atem jetzt deutlich auf den Gesicht spüren und das gegeneinander drängen ihrer Becken bekam zunehmend etwas Forderndes. Ihre Nerven brannten, entflammt durch den erlösenden Orgasmus, der sich schließlich bahn brach. Danach lagen sie einen Moment wortlos nebeneinander. Keiner schien als erstes etwas sagen zu wollen und so schien sich

allmählich ein stilles Einvernehmen zwischen ihnen zu finden. Für den Augenblick brauchte es keine Worte. Schließlich war es doch Eden, die die Stille brach und sich mit einer Drehung auf ihn rollte. ,, Nochmal ?“

Kapitel 39 MorgeN


Zyle genoss die kühle Morgenluft, als er an Deck der Windrufer trat. Die Sonne war grade erst aufgegangen und die Hitze des Tages ließ noch ein paar Stunden auf sich warte. Im Hafen glühten die letzten Überreste der Feuer von letzter Nacht. Einige Frühaufsteher waren bereits mit Aufräumen beschäftigt- Bänke , Stühle und Tische, manche davon waren umgestürzt, wurden wieder in die Häuser geschafft, Scherben zusammengefegt und leere Krüge und Fässer beiseite geschafft. Auch über der inneren Stadt hing eine

dünne Rauchwolke. Ein einzelnes, dunkles Band am ansonsten klaren Himmel über der Stadt. Als die Feuer kurz vor Sonnenaufgang letztlich erloschen waren, war Wys praktisch sofort verschwunden. Und Zyle konnte verstehen warum. Die Archonten würde ihre Entscheidung wohl noch vor dem Mittag treffen. Aber bis dahin blieb ihm nur übrig, abzuwarten. Die anderen schienen alle noch zu Schlafen, nur er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Ich könnte zu meinem alten Haus gehen, dachte er. Als Schwertmeister hatte er sich frei in einem der Bezirke Helikes niederlassen können. Seine Wahl war damals auf das Viertel der Heiler

gefallen und er hatte ein kleines, leer stehendes Gebäude neben einer Bibliothek ausgesucht. Seit nun einem Jahr hatte sich wohl niemand mehr um das Gebäude gekümmert. Er wollte zumindest nachsehen, ob das Haus überhaupt noch Stand. Helike veränderte sich eigentlich nur langsam, aber ein ungenutztes Gebäude würde nicht lange leer stehen. Zyle machte sich auf dem Weg zur Laufplanke, die hinunter zu den Docks führte. Während er über das Deck der Windrufer ging, stellte er fest, dass er doch nicht der einzige war, der sich schon auf den Beinen befand. Zachary saß am Rand der Kaimauer und sah an den Schiffen vorbei aufs Wasser hinaus.

In der Bucht trieben mehrere Fischerboote, deren Segel im Morgenlicht rötlich leuchteten. ,,Morgen.“ Der junge Zauberer stand auf, als er den Schwertmeister bemerkte. ,, Ich dachte außer mir wäre sonst noch niemand wach.“ ,, Ich bin gestern nicht lange geblieben.“ , erklärte Zac und richtete sich endgültig von seinem Platz am Wasser auf. Dunkle Haare rahmten ein Gesicht ein, das bei Zyles erster Begegnung mit ihm noch von Schwäche und Auszehrung gezeichnet gewesen war. Woran das blaue Juwel, das dem jungen Mann um den Hals hing wohl nicht ganz unschuldig war. ,, Diese ganze Stadt

ist… seltsam.“ ,, Für euch vielleicht. Ich bin hier aufgewachsen und ehrlich gesagt, hier draußen in der äußeren Stadt bemerkt man den Unterschied zu Canton kaum.“ Der Junge schüttelte den Kopf und nickte in Richtung Hafen, wo nach wie vor Aufräumarbeiten stattfanden. ,, Darum geht es nicht.“ , erklärte er. ,, Vielleicht habe ich auch nur ein schlechtes Gefühl.“ Zyle war dem Blick des Magiers gefolgt und Anfangs konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken. Dann jedoch sah er es. Natürlich gab es wieder Wachend er Stadtgarde. Er hatte nach wie vor keine Erklärung dafür erhalten,

wieso die Archonten Helike selbst überwachten, statt das Umland zu verstärken. Aber er verstand jetzt, was Zachary beunruhigte. Eine kleine Gruppe bewaffneter, bei denen es sich offenbar nur um Gejarn handele, hatte sich unter die Arbeitenden gemischt. Auch wenn es so aussah, als würden sie hier und dort mithelfen, wanderten ihre Blicke doch stets nervös hin und her. Und einer der Männer trug einen scharlachroten Umhang, den Zyle außerhalb der inneren Stadt eigentlich nicht zu Gesicht bekommen sollte. Wys hatte ja schon erzählt, das die Paladine nun auch die Straßen der Bezirke patrouillierten. Doch dieser hier sah immer wieder

verstohlen zu ihnen herüber. Sie wurden beobachtet. Das war nichts, dachte er. Sollten die Archonten sich eben Absichern, sie hatten nichts zu verbergen. Trotzdem hoffte er, das er der Einzige wäre, dem es Auffiel. ,, Ich glaube es ist in Ordnung.“ , erklärte er an Zachary gerichtet. ,, Man lässt uns nicht aus den Augen.“ , erwiderte der Zauberer nur. ,, Gefällt mir einfach nicht. Dieser Ort gefällt mir nicht. Es gibt hier praktisch keine Magie.“ ,, Wir… haben einen anderen Umgang mit Magiern als er in Canton gepflegt wird. Bei euch stehen Zauberer und der Orden vielleicht sogar etwas zu hoch im

Ansehen. Aber…“ Aber waren sie nicht das andere Extrem… ,, Was tut ihr ? Sie wegsperren?“ Zyle wünschte fast, es wäre so. So grausam das auch schon wäre, es war etwas, das auch Magier verstehen würden. Und vielleicht vor allem Magier wie Zachary, die sich ihrem zerstörerischen Potential nur zu bewusst waren. ,,Radikaler.“ , antwortete er nur. ,, Aber für uns besteht keine Gefahr. Nicht für dich, nicht für Eden und nicht für die anderen.“ ,, Für Kellvian nicht.“ , korrigierte der Junge, mal wieder scharfsinniger als sein Alter vermuten ließ. ,, Aber wenn sie

Angst vor Zauberern haben… wisst ihr nicht, was sie tun, wenn sie erfahren, das ihr mehr als einen davon in ihre Mitte gebracht habt.“ Zyle schüttelte den Kopf. ,, Wir stehen alle unter Gastrecht. Und ich schwöre bei den Gesetzen, an die ich immer noch glaube… Ich habe euch hergebracht und ich will verflucht sein, wenn ihr später auch nicht alle wieder in Frieden Abreisen könnt. Wichtiger, Wys würde das nicht zulassen.“ ,, Und da seid ihr euch sicher ?“ Zac hatte, ohne es zu wissen, einen Wunden Punkt getroffen. Er wusste es schlicht nicht. Wys war immer noch Wys, so wie er ihn kannte. Und

gleichzeitig nicht ganz. An Bord der Windrufer während des Fiebers… hatte er seinen Bruder für kurze Zeit kaum wiedererkannt. Zu Leichtfertig hatte er für den Tod der Kranken plädiert. ,, Ja.“ , antwortete er trotzdem. ,, Ja ich bin mir sicher. Ihr seid alle sicher, bis wir wieder nach Canton aufbrechen.“ ,, Werdet ihr nicht in Helike bleiben, wenn das alles vorbei ist ?“ ,,Vielleicht…“ , erklärte Zyle nachdenklich. Er hatte sich schon oft Gefragt, ob sein Platz noch innerhalb dieser Mauern lag. Und eigentlich war die Antwort bis jetzt immer klar gewesen. ,, Ich könnte hier viel tun. Wys kommt gegen die übrigen Archonten

nicht an, aber wenn ich ihm den Rücken stärke, wenn wir Anhänger fänden, wir könnten zum ersten Mal in der Geschichte von Laos echte Reformen durchbringen. Aber ich bin beim besten Willen kein Politiker und will auch keiner werden. Es hat Kellvian schon fast auf den Kopf gestellt… Das Spare ich mir. Trotzdem läge eine Lebensaufgabe vor mir. Vielleicht mehr als ein Leben. Helike hat sich immer nur zögerlich verändert.“ Noch während er sprach, bewegte sich etwas auf dem Deck der Windrufer. Die Tür zur Kapitänskabine wurde geöffnet. Er hatte Eden gestern nur ein paar Mal gesehen, zuletzt an einem Tisch mit

Cyrus und Erik. Und mehreren leeren Weinflaschen und Bierkrügen. Dass die Kapitänin schon wieder wach war, wunderte ihn. Und vermutlich hatte sie auch nicht die beste Laune… Es war jedoch nicht Eden, die aus der Tür trat, sondern Cyrus. Der schwarze Wolf wirkte mehr als nur leicht neben der Spur. Er grinste schwach und mühte sich scheinbar mit den Knöpfen seiner Uniform ab. Das war seltsam… Zyle sah fragend zu Zachary, der jedoch schüttelte nur den Kopf und legte einen Finger auf seine Lippen. Der Gejarn nickte. Er verstand schon. Er hatte nichts gesehen, wenn ihn jemand außer Eden darauf

Ansprach. ,, Auch schon wach ?“ Cyrus zuckte beim Klang seiner Stimme sichtlich zusammen. Vermutlich hatte er bis grade eben gedacht alleine zu sein. Der Wolf räusperte sich nervös, als er endlich den letzten Uniformknopf eingefädelt hatte. ,, Ja… ich bin… grade erst an Deck gekommen.“ Er trat an die Rehling und sah zu den beiden Gestalten am Wasser hinab. ,, Natürlich.“ Zyle musste ein Grinsen unterdrücken. Der Mann hatte nach allen was er wusste kein Problem damit, jemanden bei lebendigem Leib das Herz herauszureißen, aber jetzt stammelte er

und suchte nach Worten. Der Arme war grade zu verschreckt. Wobei er das wohl in seiner Situation auch wäre, dachte Zyle. Wenn Cyrus sich nach gestern überhaupt noch an etwas erinnerte… Der Gejarn beschloss, es ihm nicht noch schwerer zu machen, winkte ihm noch einmal zu und wendete sich dann wieder an Zachary. Aus den Augenwinkeln bemerkte er jedoch, wie Cyrus an Deck sichtbar aufatmete. Offenbar suchte er irgendetwas und fand es schließlich auch, dann schlich er, offenbar in der Überzeugung, das Zyle ihn nicht hörte oder sah, wieder zurück zur Kajüte und verschwand. Nach einer Weile tauchten schließlich

auch Jiy, gefolgt von Kellvian an Deck auf. Im Gegensatz zu dem verschreckten Gejarn, winkte sie den beiden Männern an der Hafenmole zu, sobald sie sie entdeckte. ,, Eure Leute schienen schnell darin zu sein, wieder Ordnung zu schaffen.“ , bemerkte Jiy, als sie über die Aufräumarbeiten am Hafen blickte. Diese waren inzwischen bereits weit fortgeschritten und vermutlich blieb bis zum Mittag nichts mehr übrig, das an die Totenfeiern erinnerte. Nichts, bis auf den dünnen Rauchfaden, der nach wie vor über der inneren Stadt stand. Die Scheiterhaufen dort würden erst beseitigt, wenn auch der letzte Funken

Glut erloschen war, was Tage dauern konnte. ,, Wir sind effizient.“ , erklärte Zyle nur. Die Totenfeiern waren vielleicht eines der wenigen Dinge, die er nach wie vor nicht anzweifelte. ,, Hat eigentlich irgendjemand Erik heute schon gesehen ?“ wollte Kellvian wissen. ,, Ich wollte ihn eigentlich Fragen, ob er was gegen schmerzende Füße hat.“ ,, Stellt dich nicht so an.“ , erklärte Jiy nur und schlang dem Mann die Arme um den Hals. ,, Sagt diejenige, die mich den ganzen Abend durch die Gegend gezerrt hat.“ Die Gejarn erwiderte nichts, sondern

leckte ihm kurz über die Wange. ,, Ich frage Eden, ob sie etwas weiß.“ , meinte sie und trat auf die Kabine zu. ,, Ist er nicht unter Deck ?“ fragte Zyle hastig und zu seiner Erleichterung hielt Jiy ein paar Schritte von der Tür entfernt an. ,, Eden und Cyrus sind… irgendwo am Hafen.“ Die Gejarn trat zurück. ,, Nein… das ist seltsam…“ ,, Ihr kennt ihn doch, der Alte tut und lässt, was er will. Flemming lebt sich bestimmt nur ein. Und ich bin mir ziemlich sicher, er kann auf sich aufpassen….“ Es war nicht ganz einfach gewesen, den

Hafen unbemerkt zu verlassen. Die Archonten hatten ihnen vielleicht das Versprechen abgenommen, aufs erste im Hafen zu bleiben, aber offenbar wollten sie sich nicht nur auf ihr Wort verlassen. Der Stadtwache auszuweichen, die die Straßen kontrollierte, war eine weitaus größere Herausforderung, als unbemerkt die Rampe zur inneren Stadt hinauf zu gelangen. In der Dämmerung war es kaum ein Problem gewesen, unbemerkt im Schatten der Mauer an den Posten vorbei zu gelangen. Erst an den Toren hatte Erik sich gezwungen gesehen, zwei Wachmänner zu betäuben. Die beiden würden vermutlich Aufwachen und denken, sie hätten nur einen über den

Durst getrunken. Auf dem Weg durch die innere Stadt selbst musste er sich keine Sorgen machen, entdeckt zu werden. Die Straßen waren so gut wie verlassen und die wenigen Wächter schienen sich nur Oberflächlich für ihn zu interessieren. Vermutlich erwarteten sie nicht, dass Irgendjemand auch nur so weit käme, ohne dass er auch hergerufen worden war. Auf dem großen Platz mit dem Kristallsarg des Laos glommen noch die letzten Überreste der Feuer. Holzkohle und Glut, mehr war den vor wenigen Stunden noch zum Himmel lodernden Flammen nicht geblieben. Das und die Reste von halb verbrannten Knochen.

In die Ratskammer der Archonten zu gelangen erwies sich wiederum als Schwierig. Ein dutzend bewaffneter Gestalten in roten Umhängen hielten vor dem einzigen Zugang Wache. Aber vielleicht gab es einen anderen Weg. Erik ließ in einem weiten Bogen um das Gebäude herum. Es gab tatsächlich nur den einen Eingang und die Fassade war, bis auf die Fenster, aus glatt gefügtem Stein. Zu Eben, um zu klettern, selbst wenn er es riskiert hätte. Und ich bin zu alt um mich irgendwo in luftiger Höhe entlang zu hangeln. Trotzdem, er musste mit den Archonten sprechen, bevor ihre Entscheidung fiel. Erik kehrte enttäuscht zum Eingang zurück. Er konnte auch

schlecht darum bitten, einfach vorgelassen zu werden, er sollte ja nicht einmal hier sein. Er kehrte auf den Platz mit den erloschenen Feuern zurück. Es sah so aus, als würde er doch keine Gelegenheit erhalten, dachte der Arzt enttäuscht. ,, Ihr solltet nicht hier sein.“ , meinte eine brüchige Stimme hinter ihm. Erik brauchte einen Moment, um sie zuzuordnen, aber als er sich umdrehte, hatte er Gewissheit. Samiel, der Älteste der Archonten kam, in Begleitung zweier Paladine, auf ihn zu.

Kapitel 40 Uhrwerk-Soldaten


,, Wieso seid ihr hier ? Ich habe euch gestern mit den anderen gesehen, aber ich kann mich nicht erinnern, das man euch gerufen hätte.“ Erik überlegte einen Moment fieberhaft, wie er hier wieder herauskommen sollte. Verflucht, ja er hatte mit einem Archonten sprechen wollen, aber zu seinen Bedingungen. Samiel hatte ihn offenbar sofort erkannte und gestellt. Er hatte keinen Grund hier zu sein, den man ihm abkaufen würde. Er hatte gehofft, die Situation zu verbessern, nicht, sie zu

verschlimmern. Doch noch hatte er die Gelegenheit, einfach zu verschwinden. Risikoreich, aber besser, als die Alternative. Aber seltsamerweise wirkte der Archont und Schwertmeister nicht aufgebracht, wie der Arzt es erwartet hätte. Nur neugierig. Er beschloss es zu riskieren. ,, Eigentlich hatte ich sogar gehofft, mit euch sprechen zu können.“ , erklärte Erik ruhig. ,, Mein Name ist Erik. Und ich bin hier weil ich euch darum bitten möchte, euch eure Entscheidung gut zu Überlegen.“ Der Schakal gab seinen zwei Bewachern ein Zeichen, das sie sich zurückziehen konnten. Die Paladine machten eine

angedeutete Verbeugung und verschwanden vom Platz. Erik hatte jedoch das Gefühl, das sie in der Nähe bleiben würden. Vermutlich um im Notfall eingreifen zu können. ,,Und wieso kommt ihr damit zu mir und nicht…“ Der alternde Archont wurde von einem Hustenanfall geschüttelt der ihn zwang, sich an einer der Säulen abzustützen. Erik musterte den Mann besorgt, tat aber nichts. Nach einem Moment richtete Samiel sich schließlich auch wieder auf, obwohl ihm die Bewegung sichtlich Schmerzen bereitete. ,,Schaut nicht so dämlich, ich weiß, das ich sterbe.“ , erklärte er ungehalten. ,, Das ist keine Art für einen

Schwertmeister abzutreten. Irgendwann wache ich morgens einfach nicht mehr auf.“ ,, Vielleicht kann man euch helfen.“ Samiel schüttelte den Kopf. ,, Da gibt es nichts zu helfen. Wenn ihr keine Wunder vollbringen könnt. Und denkt nicht einmal daran, ich würde Magie in Erwägung ziehen um mein Leben zu verlängern. Ich habe gut gelebt, was immer man davon halten mag. Das Ende… überstehe ich auch noch.“ Der Archont richtete sich etwas grader auf und stand jetzt ungebeugt vom Alter vor Erik. So überragte er den Menschen leicht um einen halben Kopf und trotz seiner Krankheit bezweifelte der Arzt,

das der Mann schon so schwach war, für wie man ihn vielleicht hielt. ,, Ich meinte auch, das ihr zulasst, das man eurem Volk Hilft Archont.“ ,, Wir treffen unsere Entscheidungen zusammen. Wys wird euch schon unterstützen. Und Jona ganz sicher.“ , , erklärte er um bitter hinzuzufügen : ,, Der Kerl müsste sich ansonsten noch um seine Geschäfte Sorgen, wenn diese Kriese länger anhält, als nötig.“ ,, Dann wäret ihr genau die Stimme, die wir bräuchten. Und irgendetwas sagt mir, das ihr einfacher zu Überzeugen seid, als die anderen beiden.“ ,, Vielleicht. Cadus und Chonar sind manchmal Übereifrig. Auch wenn sie

das…nützlich macht. Die beiden verlassen sich darauf, dass die Schwertmeister zusammenhalten. Und ich verlasse mich darauf, dass ihr ehrlich seid. Was plant euer Kaiser wirklich?“ ,, Kellvian hat nicht vor euch zu hintergehen, das weiß ich sicher. Auch wenn ihr das nicht glauben mögt. Er ist lediglich noch unerfahren. Gebt ihm aber nur ein paar Jahre und ich glaube er wird den Schatten seines Vaters schnell Überflügeln.“ Zum Guten oder zum Schlechten. ,,Und ihr habt Einfluss auf die anderen Archonten.“ , fuhr Erk fort. ,, Eure Entscheidung wird auch die ihre sein. Wäre es nicht besser, ihr würdet geschlossen

stehen?“ Der Archont blieb die Antwort schuldig, als eine weitere Gestalt auf dem Platz auftauchte. Wys Carmine trat zwischen den umlaufenden Säulen hervor und begrüßte Samiel kurz, bevor er Erik bemerkte. ,, Wie seit ihr denn hierher gekommen ?“ ,, Ich habe ihn hergerufen.“ , erklärte der ältere Archont ruhig. ,,Es gab einige Dinge, die gesagt werden mussten. Die anderen werden sicher auch bald eintreffen.“ Er wendete sich wieder an Erik. ,, Ihr… findet den Weg zurück sicher

alleine…“ Kellvian kehrte mit Jiy und Zyle auf die Windrufer zurück. Es war schnell klar gewesen, das Erik wirklich nicht auf dem Schiff war und nun kehrten sie ohne eine Spur des Mannes aus dem Hafen zurück. Und doch hatte Kell sich Anfangs noch keine Sorgen gemacht. Das Gefühl, das etwas nicht stimmte, hatte sich ihm erst in der letzten Stunde bemächtigt. Eine Unruhe, die er nur selten gekannt hatte, hatte sich in ihm breit gemacht. So gerne Kell das auf die alte Seele geschoben hätte, die irgendwo in seinem Geist lauerte, die Nervosität

kam ohne Zweifel von ihm selbst. Er wäre am liebsten endlich auf die Suche nach ein paar Antworten gegangen, ob in den Archiven mit Erik oder in den Minen Helikes…. gleichzeitig mussten sie das Urteil der Archonten abwarten. Und er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, wenn man sie wieder nach Canton zurück schickte. Er könnte nicht einfach verschwinden. Die Frage ob es eine Heilung für ihn gab, war dabei Zweitrangig, aber, was immer der Meister hier vorhatte, es würde irgendwann auch sie betreffen. Da war er sich fast sicher. Wenn er wenigstens wüsste, wen oder was er da überhaupt jagte…

Kellvian wusste, das er hier praktisch Blind einfach in etwas hereingestolpert war… In der Hoffnung auf Antworten und darauf, den Mann zu finden, der so viel Zerstörung über Canton gebracht hatte. Und auf Frieden. Neben Jiy war diese schwache Hoffnung das einzige, was ihn in den letzten Monaten noch bei Verstand gehalten hatte. Es war früher einfacher gewesen. Als er die fliegende Stadt verließ, war er nur sich selbst verantwortlich gewesen. Und jetzt repräsentierte er ganz Canton. Es war nach wie vor ein Gedanke, an den er sich gewöhnen musste. Aber er hatte keine Angst mehr davor. Kellvian wusste was er zu tun hätte. Gleichzeitig würde

das nicht einfach, dachte er. Wenn sie Helike wieder verließen, würde er im Kaiserreich nach wie vor die Ordnung wiederherstellen müssen. Es konnte wieder einfach sein , meinte etwas tief in ihm. Ein Gedanke, ein Funken und auch die letzten aufmüpfigen Fürsten würden es nicht mehr wagen auch nur die Stimme zu heben. Und Andre de Immerson würde noch darum Betteln, auch nur sein Leben behalten zu dürfen. Die Macht dazu war ihm praktisch in die Wiege gelegt worden, warum sie also nicht nutzen? Kellvian wischte die ihm nur zu bekannten Einflüsterungen beiseite. Nicht

heute. ,, Was ist los ?“ , meinte Jiys Stimme neben ihm. ,, Ich weiß es nicht.“ , gab er zu. Er dachte zu viel über Dinge nach, die er im Augenblick ohnehin nicht beeinflussen konnte. Aber das war nicht das Problem. Obwohl der Himmel völlig klar war, hatte er das Gefühl, ein Schatten hätte sich über die ganze Stadt vor ihnen gelegt. Vielleicht nur ein Trick seines eigenen Verstands und vielleicht auch eine böse Vorahnung. ,, Falls es dir einfallen sollte… vergiss einfach nicht, das ich hier bin.“ , bemerkte sie. ,,Ich habe immer noch das Gefühl,

langsam über alles die Kontrolle zu verlieren , Jiy. Und nicht auf die gute Art.“ Sogar über sich selbst. Ohne ein Wort legte sie lediglich ihre Hand auf seine. Es brauchte auch keine Worte. Sobald er das durcheinander in seinem Kopf in Ordnung gebracht hatte, könnte Kell ihr hoffentlich eine Antwort geben. Jiy bemerkte Dinge, die andere nur zu leicht als unwichtig abschoben, auf ihre ganz eigene Art. Eden hatte ihm von ihrem kurzen Gespräch mit Andre erzählt. Wäre es ihm jemals eingefallen, einmal nach der Motivation des Mannes zu Fragen? Sie war einfach ruhig, nachdenklich und viel verzeihender, als er es eigentlich

verdiente, dachte Kelvlian. Bei den Eskapaden, die er sich in den letzten Monaten geleistet hatte… Götter, er würde das wieder gut machen. Irgendwie, ob sie sich entschieden hatten, das alles zu vergessen oder nicht. Sobald sie nach Canton zurückkehrten. Er würde keinen Tag länger warten als nötig, sagte er sich. Ob Zyle ihm verraten könnte, wo er in Helike Ringe bekommen könnte, ohne das der Mann seine Absichten direkt erahnte? Und selbst wenn er das tat, wen kümmerte es? Mittlerweile waren die Aufräumarbeiten am Hafen so gut wie abgeschlossen und die Normalität kehre in die Straßen von

Helike zurück. Die Leute nahmen wieder ihr tägliches Handwerk auf. Kleine Boote brachten Fische in die Stadt, Karren mit Waren wurden zwischen den einzelnen Gebäuden und Lagerhäusern an den Docks hin und her geschoben und einige der Händler, die sich im Bezirk niedergelassen hatten öffneten wieder ihre Geschäfte. Rauch stieg on den Schmiedefeuern und Backöfen im Handwerkerviertel auf. Kellvian entdeckte den Arzt sofort, als er am Hafen auftauchte. Er hatte sich schon darauf eingestellt, ihm könnte wirklich etwas zugestoßen sein, aber so wie es aussah, war Erik bester Laune und Wohlauf.

Erik drängte sich geschickt durch die Menschenmenge auf den Straßen, bis er das Schiff erreichte und war mit wenigen Schritten auch schon an Deck. ,, Und wir hatten uns schon Sorgen um euch gemacht.“ , kommentierte Jiy, das plötzliche Wiederauftauchen des Mannes. ,, Ich habe doch nicht etwa die Zeit vergessen ?“ Erik sah besorgt in die Runde, bestehend aus Kellvian, Jiy und Zyle. ,, Entschuldigt meine Liebe, ich hätte früher zurückkommen sollen, aber... Es gab Dinge um die ich mich kümmern musste.“ Zyle unterbrach den Mann. ,, Wo genau wart ihr eigentlich ?“ ,, Oh, ich habe mich noch einmal in der

inneren Stadt umgesehen. Ich denke, eure Archonten haben sich dort schon am Morgen versammelt?“ Der Gejarn schüttelte nur ungläubig den Kopf. ,, Ich verstehe schon , ihr wollt es uns nicht verraten.“ Der Alte erlaubte sich bestenfalls grade einen Scherz auf seine Kosten. Niemand kam ohne die Vorladung eines Archonten in die innere Stadt. Schon gar nicht Erik. Der Mann viel in seinem blauen Mantel und den schweren Instrumententaschen doch auf, wie ein bunter Hund. Er hatte selber schon gesehen, was mit jenen geschah, die sich aus welchen Gründen auch immer unerlaubt Zutritt zur inneren

Stadt verschafften. Als Schwertmeister war es seine Aufgabe, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Und das war er nach wie vor, auch wenn das silberne Band an seinem Handgelenk das Lügen strafen wollte. ,, Aber es stimmt, wir müssten bald erfahren, wie es weitergeht. „ , erklärte Zyle. ,,Normalerweise Treffen die Archonten einzelne Entscheidungen schnell. Es sei den einer kann sich nicht entscheiden, so das ein Patt entsteht.“ Noch während er sprach, kam Bewegung in die Menge am Hafen. Ein einzelner Gejarn, in dem Kellvian rasch Wys erkannte, drängte sich an einem Viehkarrren vorbei. Statt der

Reisekleidung, mit der er in Canton angekommen war, trug der Archont nun die gleiche weiße Kleidung wie die übrigen vier Mitglieder des Rats. Hemd, Hosenbeine und Umhang verfügten über schwarze Ziernähte, die einen Kontrast zu dem ansonsten leuchtenden Tönen setzten. Nur Wys Waffen hatten sich nicht verändert. Zwei dünne Schwerter, die in einer gemeinsamen Schlaufe an seinem Gürtel hingen. ,,Gute Nachrichten für euch.“ , erklärte er nüchtern. ,, Wir haben uns einstimmig entschlossen, die Hilfe Cantons anzunehmen.“ Er warf einen kurzen, misstrauischen Blick in Richtung Erik. ,, Nachdem Samiel sich für euch

ausgesprochen hat, haben sich sogar Cadus und Chonar einverstanden erklärt.“ ,, Das ist gut.“ , meinte Jiy. ,, Und was genau bedeutete das jetzt ?“ ,, Wir wollen wenn möglich noch heute einen neuen Vorstoß Richtung Minen Wagen. Das Problem wird sich nicht erledigen, wenn wir uns hinter den Stadtwällen verbarrikadieren. Vorher jedoch solltet ihr euch vielleicht etwas ansehen.“ ,, Und was ?“ ,, Bevor ich nach Canton aufgebrochen bin, ist es mir gelungen, eine der Kreaturen aus den Minen zu töten. Wir wissen nicht, was wir mit dem Körper

anfangen sollen. Metall und Edelsteine, mehr ist da nicht… Aber wenigstens solltet ihr euch ein Bild von dem machen können, was uns erwartet.“ Erik klatschte in die Hände, wie ein Kind, das zur Mitwinterfeiern das größte Geschenk entdeckt hatte. ,, Maschinen des alten Volkes. Großartig. Na los, worauf warten wir noch.“ Der Arzt scheuchte sie mit eiliger Geste vor sich her und über die Planke zurück Richtung Hafen. Kell ließ sich ein wenig von der Begeisterung des Alten anstecken. ,, Ist ja gut.“ , lachte er. ,, Das wird schon nicht weglaufen…“ ,,Tatsächlich besteht diese Aussicht

durchaus.“ , meinte Wys, aber selbst der Archont schmunzelte leicht. Der Weg durch die Straßen war ihm dieses Mal schon fast wieder Vertraut. So schnell vergaß man seine Heimat nicht, dachte Zyle. Die anderen folgten ihnen mit etwas Abstand und immer wieder mussten die beiden Gejarn langsamer werden, um sie im Gedränge nicht zu verlieren. Zyle nutzte eine dieser kurzen Pausen um ganz zu seinem Bruder aufzuschließen. ,, Du scheinst nicht zu glücklich über die Entscheidung, die ihr getroffen

habt.“ Wys seufzte, antwortete jedoch nicht sofort. Stattdessen sah er über die Straßen hinweg in Richtung des Aufgangs zur inneren Stadt. ,, Nein.“ , erwiderte er schließlich, als Zyle schon fürchtete, er würde die Frage einfach ignorieren. ,, Nein ich bin nicht damit einverstanden. Ich habe dir schon in Canton gesagt, dass ich nicht glaube, dass wir die Hilfe Außenstehender brauchen. Es sind gute Leute. Aber es ist einfach Falsch. Wir sind seit Jahrzehnten mit dem Kaiserreich verfeindet Zyle.“ ,, Das muss aber nicht so bleiben….“ ,,Nein, aber es hätte die Archonten irgendwann gezwungen, mich anzuhören.

Im Krieg können wir nicht ewig so weitermachen, wie bisher. Wir müssen uns anpassen. Im Frieden aber… wird sich in Helike niemals etwas ändern.“ ,, Warum hast du dann dafür gestimmt…“ Wys drehte sich endlich zu ihm herum. ,, Weil du mein Bruder bist Zyle. Wenn du sagst, es geht in Ordnung… glaube ich dir das. Aber ich fürchte, wir werden einen hohen Preis dafür zahlen. Wir alle. Ich kann dich oder deine Freunde nicht vor den anderen schützen. Damit würde ich endgültig alles zu Nichte machen, für das ich seit einem Jahr arbeite. Und Samiel kann das auch nicht. Er ist zu

alt.“ ,,Warum sollten wir Schutz brauchen ?“ ,, Du weißt wie Helikes Politik sein kann, Zyle. Glaub nicht, das Eginas Tod Zufall war…“ ,, Weißt du etwas, das ich nicht weiß ?“ , fragte er überrascht. Nach wie vor war der Tod der Archontin für ihn ein Rätsel. Früher oder später würde er dahinter kommen müssen. Aber ein Mann, der sich an den Artefakten Helikes bereicherte war im Augenblick ihre geringste Sorge… ,, Nein… aber ich habe Augen und Ohren.“ Kellvian und die anderen hatten sie wieder eingeholt und Wys bedeutete ihnen, ihm zu Folgen. ,, Kommt. Wir

müssen zurück in die innere Stadt.“ Sobald sie die gepflasterten Straßen zwischen den Marmorpalästen erreichten, schlug der Archont einen anderen Weg als noch am Vortag ein. Stadt zum Sitz der Archonten führte er sie rasch zu einem großen Bau, mit einem runden Vordach, das von mehreren Säulen gestützt wurde. Zwei Paladine hielten am Eingang wache und traten wortlos Beiseite, sobald sie den Archonten erkannten. Zwei weitere zogen die schweren Flügeltüren auf, so das sie eintreten konnten. Das erste, was Zyle auffiel war, das es keine Fenster gab. Stattdessen erhellten eine Unzahl Kerzen das Innere des Gebäudes. Die

Decke war so hoch, das das Licht sie nicht erreichte und o ständig in flackernde Schatten gehüllt. Es gab keine trennenden Wände oder ähnliches. Nur eine einzige große Halle, die den gesamten Bau einnahm. Zyle brauchte einen Moment um zu erkennen, das es sich um eine Leichenhalle handelte . Vielleicht sogar die, die bis gestern noch die Körper der in den Minen gefallenen Soldaten beherbergt hatte. Nun jedoch gab es nur endlose Reihen von kerzenbeschienenen Steinbaren. Soweit er das in dem unsteten Licht erkennen konnte, waren sie alle leer. Alle bis auf eine fast am äußeren Ende der Halle. Vier Personen standen bereits um die

Steinplatte herum. Die anderen Archonten. Cadus, Chonar, Samiel und schließlich Jona. Alle drei standen um das etwas herum, das auf dem Steintisch aufgebahrt worden war. Zyle dachte zuerst, was immer dort lag, würde eine Rüstung tragen. Die Flammend er Kerzen spiegelten sich auf dem polierten Metall fast wie auf einem Spiegel wieder. Es war keine Rüstung. Das komplette Ding bestand tatsächlich fast ausschließlich aus Metall. Die annähernd humanoid Form des Konstrukts ließ ihn kurz an eine seltsam entstellte Statue denken. Der stählerne Brustkasten war nicht völlig geschlossen, sondern wies eine

klaffende Lücke auf, wo etwas, vermutlich eines von Wys Schwertern, das Material eingedellt hatte. Die wunde, wenn man es so nennen konnte, offenbarte ein undurchsichtiges Sammelsurium aus goldenen Zahnrädern und bläulich schimmernden Kristallen. Einige wenige waren durch die Wucht des Angriffs offenbar verbogen und nun ineinander verkeilt. Ab und an zuckten sie noch, jedoch ohne, das die feinen Zähne am Rand der Metallscheiben einen Halt fanden. Der Kopf des Wesens sah aus wie ein halb geschlossener Helm, unter dem weitere Zahnräder und Mechanismen zu erkennen waren, die zu enträtseln Zyle nicht in der Lage war.

Dort, wo bei einem Menschen oder Gejarn die Augen hätten sein sollen, schimmerten erneut zwei Kristalle, die, leise summend, glühten. Wie ein Schädel aus mattem Metall , dem der Kiefer fehlte. Erik trat, ein seltsames Leuchten in den Augen, an die beschädigte Maschine heran. ,, Großartig.“ , murmelte er mehr zu sich selbst, als zu einem der Anwesenden. ,, Das sind ganz klar Speichersteine, wie sie das alte Volk hergestellt hat, aber ich hätte nie gedacht das man damit... so etwas antreiben könnte.“ Er machte eine Geste in Richtung des toten Uhrwerkkriegers.

,,Magie mechanisch zu nutzen, das ist eigentlich, wie ein Pferd zu kaufen nur um dann daneben her zu laufen. Vermutlich ist auch genau deshalb sonst nie jemand darauf gekommen. Ich meine… sobald eines dieser Zahnräder beschädigt wird, scheint der ganze Mechanismus für die Katz zu sein.“ ,, Das heißt, man kann sie einfach besiegen ?“ , fragte Samiel, der sich ebenfalls über die Kreatur gebeugt hatte. ,, Nein.“ , erklärte Wys sofort. ,, Ihre Panzer… Nur am Halsansatz ist er dünn genug, dass man mit einer normalen Klinge durchkommt.“ ,,Oder mit einer Kugel.“ , meinte Kellvian nachdenklich und Wys nickte.

Zyle glaubte zu verstehen, worauf der Mann hinauswollte. Sah so aus, als würde das Feuer Cantons und nicht der Stahl Laos diese Schlacht entscheiden. Der Archont deutete derweil auf den Arm der Kreatur. ,, Ich würde mich ohnehin lieber von ihnen fern halten.“ , erklärte er. Statt in einer Hand oder Klaue zu enden, lief einer der Arme in drei gleichförmigen Klingen , die wie bei einem Schwert mit drei Schneiden, alle in einem Winkel zueinander standen. ,, Woraus immer diese Schwerter gemacht sind, sie durchschlagen selbst Mythril als wäre es Papier.“ Erik hatte sich derweil über die beschädigten Zahnräder gebeugt. Aus

einer seiner Instrumententaschen hatte er einen kleinen Hammer gezogen und schien beinahe willkürlich gegen die Goldplatten zu schlagen. ,, Sieht so aus als ob…“ Der Arzt kam nie dazu, den Satz zu beenden, den im selben Moment kam Leben in das zuvor regungslose Metallkonstrukt. Mit einem Ruck saß es plötzlich aufrecht auf der Steinplatte und fegte den Mann mit einer beiläufigen Bewegung zur Seite. Erik wurde von den Füßen gerissen und landete mehrere Schritte weiter auf dem harten Fliesenboden. Jiy setzte an dem Uhrwerksoldaten vorbei und stürzte an die Seite des gefallenen Arztes. Sofort flogen sieben Klingen aus ihren

Scheiden, sowohl Wys und die Archonten, als auch Kellvian und Zyle wichen zeitgleich von ihrem plötzlichen Gegner zurück. Die Maschine schien keine Zeit zum nachdenken zu brauchen. Ohne zu zögern ging es auf die Sieben Schwertkämpfer los, die sich plötzlich von einem Sturm durch die Luft fliegenden Metalls in Acht nehmen musste. Zyle wehrte einen Hieb des dreiseitigen Schwerts ab, nur um sofort einem weiteren Arm ausweichen zu müssen. Wys bekam einen Tritt in den Magen von der Kreatur. Der Treffer schleuderte ihn, wie schon zuvor Erik, mühelos zu Boden. Nun schien offenbar Kellvian

seine Chance für gekommen und trat rasch in den Rücken des Uhrwerk-Soldatens. Er hatte keine Pistole dabei, aber er müsste nach Eriks Aussage ja auch nur die Mechanik dieser Kreatur schwer genug beschädigen. Durch die Lücken im Panzer konnte er die Zahnräder arbeiten sehen. Offenbar hatte der Arzt ohne es zu wollen, die uralten Mechanismen wieder in Gang gesetzt. Kell sprang vor, Das Schwert in einem Winkel auf den stählernen Nacken der Kreatur führend. Im gleichen Moment jedoch wirbelte das Konstrukt herum, nachdem es einen weiteren Archonten zu Boden gestoßen hatte. Kells Angriff prallte an der schweren Panzerplatte ab

und der Mensch stürzte, sich überschlagend zu Boden. Das Schwert wurde ihm aus der Hand geschleudert und landete, viel zu weit entfernt, auf dem Boden. Nun zielte die Maschine direkt auf den jungen Kaiser, den Schwertarm zum Schlag erhoben… Nur um im selben Moment zu erstarren. Die Waffe nach wie vor erhoben, rührte sich das Monster von jetzt auf gleich nicht mehr. Zyle atmete erleichtert auf. Hatte der Mann es vielleicht geschafft, dem Uhrwerksoldaten mit einem Zauber auszuschalten? ,, Was zum…“ Kellvian blinzelte jedoch genauso verwirrt, wie alle anderen

Anwesenden. Nur Wys nicht, der ohne jede Eile Vortrat und das Konstrukt mit einem wuchtigen Schwerthieb enthauptete. Der stählerne Schädel rollte über den Boden. Einen Moment hielt sich der Uhrwerkkrieger noch auf den Füßen, dann brach er unter lautem Scheppern in sich zusammen. ,, Was bei Laos ist grade geschehen ?!“ , rief Chonar der Wolf, der scheinbar als erstes seine Sprache wiederfand. ,, Hat dieses… Ding euch grade verschont?“ Kell richtete sich grade erst wieder auf, als ihn der Archont auch schon packte und ihn an die Wand drängte, die Klinge auf seine Kehle gerichtet. ,, Chonar seit ihr Wahnsinnig geworden

?“ , rief Samiel. ,, Ganz im Gegenteil.“ , erklärte er völlig ruhig. ,, Sieht das denn keiner außer mir ? Der Uhrwerksoldat, wenn ihr ihn so nennen wollt, hat ihn verschont! Und wieso ? Weil er niemals seinem Meister Schaden würde, nicht wahr?! Ihr habt das alles eingefädelt, ihr und niemand sonst…“ Kellvian schüttelte nur den Kopf. ,, Lasst mich gefälligst los. Etwas Gefährliches blitzte in den Augen des Menschen auf. Wut, die nicht ganz zu dem Kellvian zu gehören schien, den er kannte. Zyle konnte sehen, das er sich zurückhalten musste, um sich den voreiligen Archonten nicht mit einem

Zauber von Hals zu schaffen. ,,Das ist Absurd.“ , erklärte selbst Cadus. ,, Es ergibt keinen Sinn, wieso sollte er dann hierher kommen ?“ , pflichtete Jona ihm bei. ,, Vielleicht ist das gar nicht so absurd. Ich glaube sogar, der Herr Archont könnte in gewisse Sinne recht haben. “ , meinte eine Stimme hinter ihnen. Erik richtete sich, scheinbar unverletzt wieder auf. ,, Danke übrigens.“ , fügte er an Jiy gerichtet hinzu, die dem Durcheinander nur schreckensstarr gefolgt war. ,, Wie meint ihr das, alter Mann ?“ , wollte Chonar wissen. Wenigstens ließ er

die Klinge sinken. ,, Kellvian ist, was man in Canton einen Seelenträger nennt. Ein Teil seines Geistes gehört zu einem der toten Zauberer des alten Volkes. Und wenn diese Maschinen tatsächlich vom alten Volk stammen, könnten sie dieses Fragment vielleicht erkennen…“ Der Archont schien noch nicht ganz überzeugt. ,, Chonar… ihr werdet ihn jetzt loslassen“ , erklärte Samiel aufgebracht. ,, oder ich schwöre beim Grab all meiner Väter, das ich euch persönlich das Herz herausreißen werde !“ ,,Na schön.“ Der Wolf trat einen Schritt zurück und ließ Kellvian gehen, der dem

Mann einen Augenblick nachsah. ,, Ich glaube fast, Erik könnte recht haben.“ , erklärte er schließlich ruhig. ,,Ihr konntet das nicht wissen. Ich werde das einfach vergessen…Chonar.“ Der Archont antwortete nicht, sondern verschränkte lediglich die Arme vor der Brust. Aus seiner Sicht hatte er ganz sicher keinen Fehler gemacht. Aber verflucht, das war grade viel zu knapp gewesen, dachte Zyle. In Mehrfacher Hinsicht. ,,Geht ihr jetzt so mit unseren Gästen um ?“ , wollte jemand wissen. Die Stimme kam vom Eingang der Halle, wo ein einzelner Mann grade die Türen aufstieß. Zyle erkannte ihn nicht, aber

offenbar hatte man ihn durchgelassen. Er war östlich gekleidet. Eine Seidenrobe aus dunkel gefärbtem Stoff viel um seinen Körper. Das Gesicht konnte er im ersten Moment kaum einschätzen. Schwarze Haare und ein sauber geschnittener Bart rundeten die Züge des Fremden ab. Wäre da nicht der schwache Anflug eines Lächelns gewesen, der Mann hätte streng gewirkt. Doch auch so strahlte er eine nicht zu übersehende Selbstsicherheit aus. Leichten Schritts trat er tiefer in die Halle, während die Türen hinter ihm zufielen. An seinen Gürtel glitzerte die Schneide eines leicht gebogenen Schwerts mit rundem Griff. Die Archonten wendeten sich der neuen

Gestalt zu. Bevor jemand den Fremden nach seinen Namen fragen konnte, war es Wys, der das Wort ergriff. ,,Ihr…“ , meinte er nur. ,, Der Mann aus den Minen. Aber… Ich dachte ihr wärt Tod.“ ,, Ich fürchte, ich war zu lange fort, als das ich mir das Sterben erlauben kann.“

Kapitel 41 Laos Rückkehr


,, Wer seid ihr ?“ , verlangte Samiel zu wissen. ,, Erklärt euch.“ Nach wie vor hielten er und die anderen die Schwerter in der Hand, unsicher, ob der Neuankömmling eine Bedrohung darstellte oder nicht. Zyle war ebenfalls weit davon entfernt, die Waffe zu senken. Der Fremde hatte sie mittlerweile fast erreicht. Der Gejarn wusste nicht, was er von dem plötzlichen auftauchen des Mannes halten sollte. Noch wichtiger… wie war er überhaupt hierher gelangt? Er musste an jeder einzelnen Wache der

inneren Stadt vorbeigekommen sein und an denen am Eingang… ,, Wer seid ihr ?“ , wiederholte der Fremde und schüttelte den Kopf, als fände er die Frage unendlich dämlich. ,, Hat man euch denn keinen Respekt mehr Gelehrt ? “ Er blieb einige Schritte von den Archonten entfernt stehe. ,, Ich kann wohl niemanden respektieren, der mir nicht einmal seinen Namen verraten will.“ , erklärte Samiel angespannt. Der alte Archont ließ jedoch das Schwert sinken. ,, Ich bin Samiel von den Laos. Archont und Schwertmeister für das Volk Helikes. Aber ihr seid mir unbekannt, auch wenn

ich euch wohl für Wys Rettung danken muss.“ ,, Das ist schon besser.“ Wieder tauchte ein schwaches, kaum wahrnehmbares Lächeln auf den Zügen des Mannes auf. ,, Es scheint als hättet ihr bisher gut auf meine Stadt geachtet. Soweit ich das bisher beurteilen konnte. Mein Name lautet Laos. Der Lehrer von Helike.“ Nachdem die Worte des Mannes verklungen waren, hätte es nicht stiller sein können. Zyle konnte das leise knistern und rauschen der Kerzenflammen hören, während er den Mann musterte. Das war doch nicht möglich. Und gleichzeitig schien es, das das plötzliche Auftauchen des Fremden

die alten Prophezeiungen nahezu perfekt erfüllte. Er sah zu Kellvian. Wenn das letzte Kind des Nordens die innere Stadt betritt und wenn die Banner eines Fremden Reiches vor der Stadt wehen… Und wenn das stimmte, wenn dieser Mann wirklich Laos wäre, was bedeutete das für Kellvian ? Das letzte Kind… und damit der letzte Kaiser. Aber nur wenn der Fremde wirklich war, wer er vorgab zu sein. ,,Lügner !“ , erklärte Chonar und zum ersten Mal war Zyle einer Meinung mit dem Mann. Es hatte durch die Jahrhunderte immer wieder Leute gegeben, die von sich behaupteten, Laos selbst zu sein. Aber keiner hatte es je

wirklich Beweisen können. ,, Wenn ihr seid, wer ihr vorgebt zu sein, dann solltet ihr es auch demonstrieren können.“ ,, Eure Zweifel sind wohl gerechtfertigt.“ , gab der Mann, der sich Laos nannte zu. ,, Ich hätte nichts anderes von einem Archonten erwartet. Eure Paladine mögen mich nur zu euch vorgelassen haben, aber ich wäre enttäuscht wenn ihr so etwas einfach hinnehmen würdet.“ Der Fremde dachte einen Moment nach. ,, Ich wurde vor Eintausenddreiundvierzig Jahren in Helike geboren. Das war damals kaum mehr als ein Fischerdorf.“ , bemerkte er mit einer Spur Selbstironie. ,, Meine

Eltern hießen Gaven und Ewalyn und gehörten beide zu den Clans der Whaid. Ich…“ ,, Das ist Geschichte.“ , ermahnte Samiel den fremden. ,, Nachlesbar für jeden, der lesen kann.“ ,, Gut.“ Der Fremde verschränkte die Arme. ,, Dann gibt es nur noch eine Möglichkeit. Wir müssten meinen Sarg beiseite schaffen…“ ,, Was soll das bringen ?“ , fragte Jona, als er die Arbeiten auf dem Platz begutachtete. Der Händlerkönig stellte die Frage nun zum wiederholten Mal, während ein dutzend Männer

herbeikamen, die sich an dem schweren Kristallsarkophag zu schaffen machen. ,,Ich weiß es nicht.“ , erwiderte Samiel ruhig. ,, Aber wenn wir so Gewissheit haben können, müssen wir es wohl riskieren. Vermutlich ist es ohnehin nichts…“ ,, Das würde ich nicht sagen.“ , meinte Wys. Sie hatte den Fremden nicht kämpfen sehen. Nicht wie er. Sicher, seine Behauptungen waren die eines Wahnsinnigen, aber er war nahe dran, ihm einfach zu glauben. Bald jedoch würden sie wohl so oder so die Wahrheit wissen. Entweder war etwas unter dem Sarg, das die Worte des Mannes bestätigte, oder

nicht. Paladine wie Handwerker aus der äußeren Stadt hatten ihre Mühe, den uralten Sarg auch nur zu bewegen. Innerhalb der letzten halben Stunde, hatten sie drei schwere Holzkonstrukte um das niedrige Podest aufgebaut. Mehrere Flaschenzüge waren daran angebracht und sorgsam um den Sarkophag gelegt worden. Es brauchte fast zwanzig Mann an jedem der drei Seilzüge, um das Objekt auch nur eine Handbreit anzuheben. Unter Anstrengung gelang es ihnen schließlich, den Sarg weit genug anzuheben, damit man darunter stehen konnte. Mit dem, was ans Licht kam hatte indes wohl niemand

gerechnet. Der von außen massiv wirkende Sockel, auf dem die sterblichen Überreste des Gründers geruht hatten war hohl. Rasch wurde der schwebende Sarkophag mit hölzernen Stützen gesichert und die Seile an schweren Gegengewichten vertäut. Erst dann wagten es die Archonten zusammen mit Zyle und den anderen im Schlepptau näher an die gefährlich knarrende Konstruktion. ,, Und was soll nun hier sein ?“ , fragte Samiel, als sie einige Schritte vom Sockel entfernt anhielten. Der Mann, der sich Laos nannte trat vor. ,, Ein Schwert.“ , erklärte er ruhig. ,, Ich habe vor meinem Tod verfügt, es

unter meinem Sarg zu versiegeln.“ ,, Und er wurde seit eurem… Ableben nicht mehr bewegt.“ , erklärte Zyle. Allein der Aufwand, der nötig gewesen war um den riesigen Kristall ein Stück anzuheben, machte klar, dass niemand heimlich etwas darunter hätte verstecken können. Beinahe war es damit schon erwiesen. Entweder, die besagte Waffe fand sich im Sockel… oder der Mann war verrückter als er schien. Und Zyle glaubte nicht, das letzteres der Fall war. Laos lächelte nur schwach, während er an dem Gejarn vorbeitrat und auf den in der Schwebe gehaltenen Sarg zutrat. Ohne ein Anzeichen von Furcht stieg er auf den Sockel und verschwand halb in

der Aussparung im Zentrum des Marmorblocks. Dann kniete er sich scheinbar hin und geriet endgültig außer Sicht. Obwohl Zyle sich später sicher war, das es nur wenige Herzschläge dauern konnte, kam ihm die Zeit viel länger vor. Und jedem auf dem Platz schien es ähnlich zu gehen. Anspannung und Nervosität waren beinahe greifbar. Dann tauchte die in eine Robe gekleidete Gestalt wieder auf. In dem Moment, wo ein Stück poliertes Metall die Sonne wiederspeigelte, fielen zuerst die Arbeiter wie auf ein stilles Kommando auf die Knie. Die Archonten brauchten länger um zu realisieren, das das, was sie dort sahen kein Trick war.

Laos hielt ein schartiges Breitschwert in der Hand. Die Jahrhunderte hatten der Klinge in ihrem geschützten Gefängnis nichts anhaben können, denn der Stahl funkelte, wie frisch poliert. Der Griff war aus Bronze und trotz der Gebrauchsspuren an der Klinge war die Waffe eher ein Kunstwerk als etwas, um damit Schlachten zu schlagen. Die Enden der Parierstange liefen in stilisierten Drachenköpfen aus und in den Knauf war ein gesprungener, völlig durchsichtiger Kristall eingelassen worden. Nur dort, wo das Juwel durch einen Riss entstellt wurde, brach sich das Licht in allen Regenbogenfarben. Endlich schienen auch die fünf

Archonten zu begreifen, das sie augenscheinlich keinen Betrüger vor sich hatten. Einer nach dem anderen sank, manche mehr, manche weniger bereitwillig, auf die Knie. Auf kurz oder lang waren Kellvian, Jiy und Erik die einzigen in der inneren Stadt, die noch auf den Füßen blieben. ,, Ihr könnt gerne wieder aufstehen.“ , erklärte Laos offenbar ungehalten über die Geste. Er setzte wieder über den Sockelrand und trat auf die Archonten zu, die sich nur zögerlich wieder erhoben. ,, Ich hab euch nicht Gelehrt zu knien.“ Ohne auf dessen Alter Rücksicht zu nehmen, riss er Samiel wieder auf die Füße und tat das gleiche bei Wys und

den anderen drei. ,, Ich bin zurück. Das ist was zählt.“ Laos wendete sich Kellvian und den anderen zu. ,, Und wer seid ihr ? Ich glaube wir hatten noch keine Zeit uns vorzustellen…“ ,, Sie haben Angeboten uns zu helfen, kommen aber nicht von hier.“ , erklärte Samiel . ,, Diese Leute sind aus dem Kaiserreich von Canton.“ ,, Canton…“ Laos blinzelte verwirrt. ,, Ihr wollt mir erzählen, dieses kleine Bergkönigreich hätte mittlerweile einen Kaiser ?“ ,,Steht vor euch.“ , erwiderte Kellvian. ,, Immer zu Diensten.“ Zyle konnte beinahe sehen, was im Kopf des Mannes vorging. Glaubte er auch nur eine

Sekunde, das der Fremde vor ihm wirklich Laos war ? Nein. Aber das Schwert sprach seine eigene Sprache. Niemand hatte davon gewusst… Laos musterte Kellvian derweil scheinbar ebenfalls nicht davon Überzeugt, das man ihn nicht anlog. ,, Das letzte mal als ich dort war, war euer Anführer ein axtschwingender Barbar. Sieh als, als hätte ich in den letzten wirklich Jahrhunderten einiges verpasst…“ Zyle musste bei der Vorstellung grinsen, wer der Archonten dem Mann wohl beichten würde, das Canton mittlerweile fast die ganze erforschte Welt beherrschte. Der große Lehrer wirkte auf einmal verloren, so viel Mühe er

sich gab, das Verborgen zu halten. Und damit zerfielen auch Zyles letzte Zweifel. Das war nicht das Verhalten eines Scharlatans. Das war das Verhalten von jemand, der sich tatsächlich plötzlich in einer Welt wiederfand, die sich Grundlegend verändert hatte. ,, Wie dem auch sei.“ Laos schien sich wieder zu fangen. ,, Wie dem auch sei… Wir werden unsere Minen zurück erlangen müssen.“ ,, Das steht außer Frage.“ , stimmte Samiel ihm zu. ,, Ich bin immer noch der Meinung, wir sollten diese Kreaturen einfach vergessen und wieder unter dem Sand begraben.“ , meinte

Cadus. ,, Nein.“ ,Die Stimme des Mannes klang jetzt wieder so fest und zuversichtlich wie zuvor. Er verarbeitete seine Rückkehr offenbar ziemlich schnell, dachte Zyle bei sich. ,, Diese Sache muss um jeden Preis ergründet werden. Wir brechen so bald wie möglich auf und holen uns wieder was uns gehört. Und ich werde euch begleiten…“ ,, Wie ihr wünscht… Herr.“ , lenkte der Archont unterwürfig ein. ,, In der Zwischenzeit würde ich mir gerne einige Aufzeichnungen ansehen. Wie es aussieht… habe ich einiges nachzuholen.“ Damit war die Sache für die Archonten

offenbar bereits entschieden. Wys zuckte nur ratlos mit den Schultern, als sich die Archonten und Laos zu den Ratskammern am anderen Ende des Platzes begaben. Dann folgte er ihnen scheinbar unwillig und ließ damit Kellvian, Jiy, Zyle und Erik alleine zurück. Auch die Arbeiter verschwanden einer nach dem anderen. Vermutlich würden sie die Nachricht über die seltsamen Ereignisse dieses Mittags schon bald in die ganze Stadt tragen. Und noch vor Sonnenuntergang würde ganz Helike wissen, das sich die Prophezeiungen um Laos scheinbar erfüllt hatten. ,,Was haltet ihr von all dem ?“ , fragte Zyle am Kellvian und die anderen

gerichtet. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte, zweifeln oder… beides. Es war ihnen von Kindesbeinen an mit den Gesetzen eingeprägt worden, wenn Laos eines Tages zurückkam, sollte sich alles zum Guten wenden. Aber zum Guten für wen ? ,, Ihr fragt mich, was ich davon halte, das euer seit mehreren Jahrhunderten Tote Lehrer plötzlich wieder hier auftaucht ?“ , fragte Erik. ,, Ich darf zugeben, ich habe schon so einiges gesehen aber so etwas…“ ,, Nichts kann den Tod aufheben.“ , fuhr Kellvian für ihn fort. ,, Das ist eines der wenigen Grundregeln der Magie. Wenn ihr mich also fragt was ich grade

hiervon halte, dann… das hier grade irgendetwas ganz anderes vor sich geht. Nur garantiert keine Auferstehung von den Toten. Und ich wüsste nur zu gerne, was genau.“ ,, Und ich verstehe vielleicht nicht viel von Magie“ , meinte Jiy skeptisch. ,, Aber etwas irritiert mich dann doch.“ Die Gejarn deutete auf den in der Luft schwebenden Kristallsarg. ,, Wenn der Mann, der grade mit den Archonten gegangen ist, wirklich Laos ist… wer bei allen Geistern liegt dann bitte in diesem Sarg ?“ Zyle blieb die Antwort schuldig. Sicher, das Skelett , das für Jahrhunderte in der inneren Stadt aufgebahrt gewesen war,

wurde immer als Laos ausgegeben, das hieß aber nicht, das die Überreste wirklich zu ihm gehörten, oder ? Wer wusste schon, was in der ganzen Zeit damit passiert war. Aber suchst du nicht grade bloß eine Ausrede?“ , fragte er sich selbst. Der Mann hatte ganz klar demonstriert, das er über Wissen verfügte, das niemand haben konnte, der nicht entweder beim Bau der Grabstelle dabei gewesen war… oder eben die Anweisungen dazu erteilt hatte. Es dauerte nicht lange, bis eine einzelne Gestalt die Hallen der Archonten wieder verließ. Es war Samiel, der genau so verwirrt schein, wie Zyle sich fühlte. Verwirrt und irgendwie… krank, gestand

er sich ein. Sicher, der Archont war alt, aber bisher hätte er nie Gedacht, dass er auch einmal so wirken könnte. Seine Augen wirkten unglaublich Müde, als er zu den vier Wartenden trat. ,, Was ist passiert ?“ , fragte Zyle. Er hätte Wys erwartet oder vielleicht Laos, aber das der älteste der Archonten zu ihnen kam, war unerwartet. ,, Nicht viel. Dieser Mann… Laos… hat sich ein paar Aufzeichnungen angesehen. Offenbar hat ihm das nicht gefallen und er wollte alleine gelassen werden, bis wir so weit sind zu den Minen aufzubrechen. Er wird uns offenbar begleiten. Wys hat ebenfalls darum gebeten, dabei sein zu

dürfen.“ ,, Und ihr ?“ , fragte Kellvian. ,,Ich werde ebenfalls mitkommen.“ , erklärte der Archont entschlossen.

Kapitel 42 Der Tod des Archonten


Es dauerte keine zwei Stunden mehr, bis eine Gruppe sehr unterschiedlicher Männer und Frauen Helike verließ. Die blauen Uniformen von gut zweihundert kaiserlichen Gardisten mischten sich mit dem blanken Stahl der Rüstungen, die die Armeen Laos bevorzugte. Jiy hatte sich mit Kellvian und den anderen an die Spitze der kleinen Armee gesetzt. Das Land um Helike bot kaum Schutz vor der ungewohnten Sonne und bald wünschte Jiy sich in den relativen Schutz der großen Steinmauern zurück. Trotz der Hitze war die Umgebung jedoch nicht so

leblos, wie man erwartet hätte. Wasserkanäle zogen sich durch die Landschaft und versorgten kleinere Bauernhöfe und Farmen, die als grüne Inseln aus der ansonsten braun-gelben Ebene ragten. Jiy hatte selten ein Land gesehen, das derart Flach war. Es gab praktisch keine Erhebungen und, von den Bauernhöfen abgesehen, nur einige vereinzelte Bäume, die sich an der Meeresküste hielten. Die Gejarn hatte das Gefühl, eine Ewigkeit weit sehen zu müssen und tatsächlich zeichneten sich irgendwo in nicht abschätzbarer Ferne die geschwungenen Kämme der Sanddünen ab. Dort, wo das Ödland endgültig in die Wüste überging.

Trotzdem gerieten das Meer und Helike irgendwann außer Sicht, so dass nur noch der Sand in der Ferne einen Orientierungspunkt bot. Ohne zu wissen, worauf man achten müsste, hätte man sich wohl hoffnungslos verlaufen. Und schließlich wich die ausgezehrte helle Erde zunehmend erst Geröll und dann weiß-gelbem, feinen Sand, der ihren Füßen keinen Wiederstand mehr bot. ,,Hoffen wir, das wir auf keine Whaid stoßen.“ , meinte Wys, der sich ganz an die Spitze des kleinen Zugs gestellt hatte. Statt normaler Kleidung oder der schweren Panzer, die die übrigen Soldaten Laos trugen, war er in ein leichteres Kettenhemd gekleidet. Ein

roter Schal mit gelben Ziernähten wehten um seinen Hals, während er eines seiner Schwerter als Reserve auf dem Rücken und das andere an der Hüfte trug. ,, Ein Scharmützel mit denen würde noch fehlen.“ ,, Was sind das eigentlich für Leute ?“ , wollte Kellvian wissen. ,, Drachenanbeter, das habt ihr schon gesagt, aber was muss ich mir darunter vorstellen ?“ ,, Um genau zu sein, sind sie Royalisten.“ , erklärte Zyle. ,, Anhänger des alten Königreichs, das vor Laos Aufstieg in dieser Gegen existierte. Und das hatte über sehr lange Zeit eine sehr enge Verbindung zu den Drachen

dieser Gegend. Mittlerweile sind die aber auch selten geworden. Manche glauben auch, wir hätten sie längst alle ausgelöscht aber ab und an gibt es noch Berichte von Abenteurern die sich weiter in die Wüste vorwagen, als unsere Patrouillen.“ Jiy sah zu derweil zurück über die Reihen von kaiserlichen und Laos-Soldaten, die ihnen folgten. Während die blau uniformierten Gardisten , ihrem bekannten Drill entsprechend, in loser Formation marschierten, hatten die Soldaten Laos keine feste Ordnung, sondern folgten alle dem Weg, der für sie grade am günstigsten war. So kamen sie im Sand deutlich schneller als ihre

Konkurrenten voran und ließen diese immer wieder weit hinter sich. Samiel, der Älteste der Archonten, war derweil etwas zurück gefallen und schien Mühe damit zu haben, eine weitere Düne zu erklimmen. Scheinbar machte aber niemand Anstalten, dem Mann zu helfen. Ob aus Respekt vor seinem Rang oder aus einem anderen Grund. Jiy zögerte einen Moment, dann lief sie den Sandhügel wieder hinab, den sie grade erst erklommen hatte und gelangte auf eine Höhe mit dem Schakal. Dieser hatte auf jegliche Rüstung verzichtet und trug nur ein Schwert, das er gleichsam als Gehstock verwendete. Als er die Gejarn sah, die neben ihm zum stehen kam, sah

er einen Moment verwirrt drein. ,, Kommt schon, ich helfe euch.“ , erklärte sie und bot ihm eine Hand als Stütze an. ,, Ich brauche…“ Der Mann wurde von einem plötzlichen Hustenanfall geschüttelt, der erst Abklang, als Jiy schon befürchtete, es würde gar nicht mehr besser. ,, Ich brauche keine Hilfe.“ Es klang nicht unfreundlich, aber für sie war klar, das Samiel es offenbar als erniedrigend ansah, auf Unterstützung angewiesen zu sein. ,, Solltet ihr es euch anders überlegen, bin ich aber noch immer hier.“ , erklärte Jiy schlicht. Einen Moment zögerte der alte Archont,

dann schien er seinen Stolz jedoch zu überwinden und ergriff die dargebotene Hand. Auf einen Arm gestützt, kam er die Düne um einiges schneller wieder hinauf, auch wenn Jiy so etwas hinter den anderen zurück blieb. ,, Warum tut ihr euch das an ?“ , fragte sie, ernsthaft interessiert. ,, Eure Leute schaffen das sicher alleine und Wys ist auch noch da…“ ,, Das versteht ihr schlicht nicht.“ , antwortete er wirsch. ,, Kein Außenstehender könnte das.“ ,, Versucht es zu erklären. Ihr wollt euch nicht eingestehen, das eure Zeit als Krieger um ist , oder liege ich da falsch ? Ich habe so Sturköpfe wie euch schon

unter den Ältesten der Clans erlebt, einen davon nenne ich einen meiner besten Freunde.“ ,,Nichts von solchen , albernen Spielereien.“ , erklärte Samiel. ,, Es geht hier nicht um simplen Stolz.“ Jiy musterte den Schakal ratlos. ,, Um was dann ?“ ,, Wenn ihr den wahren Grund wirklich wissen wollt…“ Sie nickte. ,, Was immer es ist, ich verrate nichts.“ ,, Ich sterbe. Vielleicht habe ich noch etwas Zeit und vielleicht nicht, aber ich habe mittlerweile angefangen, regelmäßig Blut zu husten. Wenn ich nichts unternehme, sterbe ich im Bett

oder auf offener Straße. Das ist kein Ende für einen Krieger, ob ihr das verstehen könnt oder nicht. Ich suche in der heutigen Schlacht den Tod… Jiy. Ich werde Helike nie wieder Lebend betreten.“ ,, Mit einem habt ihr recht, ich kann es nicht verstehen.“ , meinte sie nachdenklich. ,, Habt ihr keine Familie, niemanden von dem ihr euch noch verabschieden wollt ?“ ,, Ich hatte eine Familie.“ , bemerkte der Archont betrübt. ,, Eine Tochter, sie wäre jetzt wohl etwas über eurem Alter, aber… sie ist tot. Da bin ich mir fast sicher.“ Samiels Stimme bekam einen reumütigen Tonfall, den Eden nicht ganz

zuordnen konnte. Ihn traf daran doch keine Schuld, auch wenn er sich die Wohl eine Weile gegeben haben mochte. ,, Warum fast sicher ?“ , fragte Jiy. ,, Weil ich sie getötet habe.“ Sie hatten den Gipfel der Düne erreicht. Samiel trat von ihr zurück und machte sich sofort an den Abstieg, während Jiy einen Moment stehen blieb. Das war keine Antwort gewesen. Ganz im Gegenteil. Sie setzte sich zögerlich wieder in Bewegung. Die anderen hatten ein gutes Stück Vorsprung und erklommen bereits den nächsten Sandberg. Die Gejarn konnte einen Moment Eden und Cyrus am Hang erkennen. Noch zwei, die sich Merkwürdig verhielten, auch wenn sie

sich dazu zumindest ihren Teil denken konnte. So sehr die beiden sich auch zu bemühen schienen, niemanden auf das Offensichtliche aufmerksam zu machen, so sehr machte es das eher noch unübersehbarer. Hinter den beiden Gejarn folgten Erik und Zachary mit den beiden Carmine-Brüdern. Und natürlich Laos. Ob der Mann wirklich war, wer er vorgab zu sein, stand nach wie vor auf einem ganz anderen Blatt. Die Archonten schienen ihm fürs erste zu Glauben, sonst würden sie ihn wohl kaum mitnehmen. Und nach Wys Aussage, hatte er ihn immerhin gerettet. Ob er also schlicht Verrückt war oder nicht, man konnte ihm wohl

zumindest trauen. Zyle sah zurück zu Laos. Der Mann hatte es sich wirklich nicht nehmen lassen, sie zu begleiten. Im Gegensatz zu ihm selbst, hatte er auf Rüstung verzichtet und trug immer noch die Kleider, mit denen er am Mittag in der inneren Stadt aufgetaucht war. Zyle hingegen hatte sich an Wys ein Beispiel genommen und trug einen einfachen Kettenpanzer und leichte Handschuhe. Als Schutz vor dem aufwirbelnden Sand trug er zusätzlich ein blaues Halstuch, das mit gelben Ziernähten versehen war. ,, Dieses Land war einmal viel grüner.“ , bemerkte Laos, als sie eine weitere Düne

erklommen. In der Ferne konnte er bereits einige dunkle Flecken erkennen, die sich gegen den Sonnenbeschienenen Sand abzeichneten. Die Minen , wenn Zyle sich nicht irrte. Viel war noch nicht zu erkennen und vermutlich würden die auch erst kurz vor Sonnenuntergang dort eintreffen. Nur das etwas nicht stimmte, sah man von hier. Das Bergarbeiterlager lag an Fuß eines kleinen Berges, auf einer relativ Sandfreien Ebene . Normalerweise wäre der Ort durch eine hohe Holzpalisade geschützt gewesen. Die angespitzten Pfähle jedoch waren in der Umgebung verteilt und bereits halb unter dem Sand

begraben. ,, Ja ?“ Zyle hatte schon fast wieder vergessen, was Laos gesagt hatte. ,, Offenbar hat sich mehr verändert, als ich wir bewusst war. Während ich fort war.“ ,, Verändert ? Ganz Helike lebt noch immer nach euren Schriften. Wir töten dafür verdammt nochmal. Magier und alle, die sich dagegen stellen. Ich glaube ihr solltet wenigstens damit zufrieden sein.“ Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme vor unterdrückter Wut zitterte. ,, Das habt ihr falsch verstanden.“ , erwiderte sein Gegenüber nur sanft. ,, Man hat euch über Jahrhunderte langsam

aber sicher immer mehr belogen, fürchte ich.“ ,, Wie bitte ?“ ,, Ich habe gestern die Aufzeichnungen und Gesetzestexte studiert, Zyle.“ , meinte Laos nur. ,, Es sind eure eigenen Worte . Wenn ihr glaubt es sei irgendwie unsere Schuld, das Helike eure Aufrufe zum Mord nicht einfach ignoriert, dann frage ich mich ernsthaft wieso ihr sie geschrieben habt ! “ ,, Ich habe sie nie geschrieben.“ , rief Laos offenbar nun ebenfalls erbost. Seine Stimme hallte durch die schwere Luft und zumindest diesen Teil ihres Gespräches bekam wohl jeder in der

Nähe mit. ,, Was ?“ Zyle blinzelte verwirrt. Sein gegenüber nickte nur, bevor er leiser fortfuhr. ,, Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Aber fast die Hälfte eurer Schriften… stammt nicht von mir.“ ,, Das müsst ihr den Archonten sagen.“ Zyle konnte die Tragweite dessen, was ihm dieser Mann grade offenbarte kaum fassen. Das war… Laos, alte Götter, das war Wahnsinn. Ihre ganze Gesellschaft baute nicht auf den Lehren dieses Mannes sondern auf dem was Generationen von Schreibern irgendwann einmal fabriziert hatten, zu welchem Zweck auch immer. Vermutlich um ihren eigenen Zielen zu dienen. Er konnte es

beinahe vor sich gehen. Ein Archont, der Probleme mit einem Magier hatte räumte diesen durch eine rasche Änderung der Gesetzestexte aus dem Weg. Ein anderer ärgerte sich vielleicht über den Wiederstand, den er aus der Bevölkerung erhielt, also machte er sein Wort zu dem von Laos. Das war… Unvorstellbar, selbst für Zyle. ,, Ihr müsst es ihnen sofort sagen.“ , wiederholte er. ,, Das… Noch immer sterben Leute wegen dem, was ihr angeblich einmal als Gesetz aufgeschrieben habt.“ ,, Und was dann ?“ , wollte er wissen. ,, Könnt ihr mir das verraten ? Diese Schriften sind alles, was eure ganze

Gesellschaft zusammenhält. Das und meine Autorität. Wenn ich mich Morgen auf den großen Platz in Helike stelle und verkünde, das sei alles falsch, erlogen, erdacht von selbstsüchtigen Narren, die auf alles gespuckt haben was ich mit meinem Leben aufgebaut habe, was wird passieren? Alles würde zusammenbrechen. Eine funktionierende Gesellschaft, die auf einer Lüge aufbaut… ist besser als gar keine.“ ,, Das könnt ihr doch nicht wirklich glauben !“ Zyle hätte den Mann am liebsten gepackt und geschüttelt, bis er wieder zur Besinnung kam. ,, Es tut mir leid, das tut es wirklich.“ Der Gejarn musste feststellen, das er ihm

glaubte. Laos wendete den Kopf ab. Bei allen was Heilig ist, er schämt sich tatsächlich für das, was aus Helike geworden ist. Nur… wenn er die Wahrheit sagte, war es nicht einmal seine Schuld. Nur wenn es so blieb, oder ? Und deshalb musste er doch einsehen, das er etwas unternehmen musste… ,, Ich kann euch nicht Helfen Zyle. Das ist nicht mehr meine Zeit. Ich sehe jetzt erst den Schaden, dem ich Tür und Tor geöffnet habe… Ich habe Helike einmal aus der Dunkelheit geführt, doch dieses Mal werdet ihr das selber tuen müssen. ,, Wie denn ?“ Zyle wusste, das er es konnte. Aber wie sollte den bitte eine ganze Gesellschaft einen eigenen Weg

finden, die sich für fast ein Jahrtausend auf de Führung durch Wort und Schrift verlassen hatte. Die Dämmerung senkte sich über die Wüste, als die Gruppe die Minen endlich erreichte. Zwar hatten sie gewusst, das der Ort zerstört worden war, aber dann doch schließlich davor zu stehen, war noch einmal etwas anderes. Zusammengefallene Bauten und die Überreste der Palisadenzäune waren nach mehreren Wochen bereits fast vollständig im Sand versunken. Zyle begutachtete alles mit prüfendem Blick. Es war seltsam ruhig und soweit er sehen konnte, war die Gruppe aus Gardisten

und Soldaten das einzig Lebendige weit und breit. Die untergehende Sonne zeichnete Farbschleier über die Dünen und den toten Boden, so als würde sie einen Ausgleich für dieses gefährliche und lebensfeindliche Land bieten. Trotz der Anspannung, die über ihnen allen lag, es war ein schöner Anblick. Er hatte beinahe vergessen, wie die Abende hier draußen die eiskalten Nächte und brennenden Tage vergolten. ,, Das gefällt mir überhaupt nicht.“ , bemerkte Wys , als er neben ihm trat. Die Gardisten aus Canton begannen derweil, die Umgebung zu sichern und ein dutzend der Krieger aus Helike, stellte sich vor dem Eingang zu den

Minen auf. ,,Mir auch nicht, Bruder.“ , erklärte Zyle grinsend. ,, Aber nach heute gehört dieser Ort wieder uns.“ Und dann musste er sehen, was er wegen Laos unternehmen konnte. Falls er das konnte. Ohne, das der Mann selber zugab, das seine Schriften verfälscht waren, brachte er sich bestenfalls um seinen Kopf, wenn er die Archonten derart herausforderte. Selbst Wys könnte das wohl kaum verstehen, so sehr er auch Reformen anstrebte, die Grundlage blieb dafür, die Ordnung Helikes zu erhalten. ,, Ich meine nicht den bevorstehenden Kampf“ , bemerkte der junge Archont und nickte in Richtung eines Gardisten

in blauer Uniform. Die goldenen Knöpfe an der Jacke des Mannes glitzerten in den letzten Sonnenstrahlen. ,, Der Plan ? Wenn du immer noch glaubst, Kellvian würde darüber nachdenken euch zu hintergehen…“ ,, Wir setzen einigen an Vertrauen in Canton.“ , bemerkte eine leise Stimme hinter ihnen. Samiel trat, in Begleitung zweier Gejarn-Krieger zu ihnen. ,, Um nicht zu sagen, wir legen unser Leben in ihre Hand.“ ,, Es wird alles gut gehen.“ , erklärte Zyle nur erneut und machte sich zum Aufbruch bereit. Es hatte keinen Sinn, lange zu warten. Hier draußen war nichts, also mussten sie wohl oder übel

hinab in den Fels. Eine kleine Abteilung würde zurückbleiben um zu verhindern, dass ihnen etwas oder jemand in den Rücken fiel und um ihren Rückzug zu sichern, falls es dazu kam. Der Rest der Soldaten würde zusammen mit den zweihundert Mann der kaiserlichen Garde die Minen betreten. Zyle überprüfte noch einmal kurz, das seine Ausrüstung richtig saß, bevor er und die anderen sich vor dem Eingang sammelten. Kellvian trug, wie für Canton üblich, unter einem blauen Gehrock nur einen Kürass, den er sich aus dem Arsenal ausgeliehen hatte zusammen mit einem Degen und einer geladenen Steinschlosspistole.

Irgendjemand hatte das Rückenteil des Mantels mit einer Stickarbeit in gelbem Stoff markiert. Vermutlich ein Zugeständnis Kellvians an die Kommandanten der Gardisten, damit man ihn leicht erkennen konnte. Erik wiederum verzichtete auf jegliche Bewaffnung wie es aussah, würde sie aber trotzdem begleiten. Zyle war dankbar genug dafür. Er wusste, dass der Mann als Feldarzt kleine Wunder vollbringen konnte. Cyrus seinerseits legte offenbar auch nicht viel Wert auf persönlichen Schutz. Die gewohnte schwarze Uniform hatte er lediglich hier und da durch ein paar Streifen Leder verstärkt und schwere Handschuhe

übergestreift. Act, Schwert und mehrere Pistolen hingen in Schlaufen an seinem Gürtel. Der Gejarn sah, scheinbar besorgt zu Eden, die ebenfalls ihre Gewohnte Kleidung trug. Bewaffnet mit einem schweren Säbel und ebenfalls mehreren Pistolen, wirkte sie nicht wirklich wie jemand, um den man sich Gedanken machte. Eher wie die Art von Gestalt, von der man in dunklen Nächten davonrannte oder jeden Blickkontakt vermied. Zachary und Jiy würden sie ebenfalls begleiten, aber der junge Zauberer würde sich wohl soweit möglich aus den Kämpfen heraushalten. Und Zyle war ganz froh darüber. Zwar

vertraute der dem Jungen, aber das hieß nicht, das die anderen das Taten. Magie sollte nach Möglichkeit erst gar nicht zum Einsatz kommen müssen. Jiy ihrerseits würde sich ebenfalls in Acht nehmen müssen, auch wenn Zyle wusste, das die Gejarn durchaus auf sich aufpassen konnte, eine echte Kämpferin war sie nicht. Erik würde sich aber sicher über eine helfende Hand freuen. Sie hatte die gewohnten grauen Kleider gegen ein sandfarbenes Hemd und Hosen eingetauscht und war zumindest mit einem Messer bewaffnet. ,,Also dann.“ , erklärte Samiel. ,, Wir werden nicht hier warten, bis man uns bemerkt. Vorwärts.“ Auf das Zeichen des

Archonten wurden dutzende von Fackeln entzündet, während der kleine Zug aus Soldaten langsam in die Dunkelheit der Minen trat. Holz knarzte unter Zyles Füßen, als er den ersten Schritt in den Höhleneingang setzte. Offenbar hatte jemand die Tore, die diesen einmal versiegelt hatten, mit unglaublicher Wucht aus den Angeln gerissen. Nach Wochen wie alles andere unter dem Sand verborgen, bemerkte er sie erst, als er darauf trat. Der Weg führte leicht abschüssig weiter bis zur Hauptkammer des Bergwerks. Obwohl sie sich mitten in der Wüste befanden, liefen bereits nach wenigen hundert Schritten kleine Bäche an den Wänden hinab. Oberirdisch

mochte dieses Land trocken und Tod wirken, unterirdisch jedoch gab es scheinbar Unmengen an Wasser. Moos und kleine Farne hatten an diesen unwirtlichen Quellen halt gefunden und verliehen dem Fels einen grünlichen Schimmer. Zyle hielt die Fackel etwas höher, um die Dunkelheit, die vor ihnen lag besser durchdringen zu können. Offenbar hatten sie den Hauptschacht der Mine erreicht. Ein gewundener Felspfad, hier und da unterbrochen durch Gerüste und weitere Schächte, die in den Fels getrieben worden waren, führte in die Tiefe. Zyle hatte eigentlich nicht erwartet, das man den Boden der Grube überhaupt sehen könnte. Doch von

irgendwo dort unten drang ein schwacher bläulicher Schimmer hinauf, der die Konturen der Felsen nachzeichnete. ,, Das ist es.“ , meinte Wys neben ihm nur. ,, Das Licht…“ ,, Wir teilen uns auf.“ , erklärte Kellvian ruhig und gab en Gardisten ein Zeichen. ,, Ihr positioniert euch hier oben und entlang der Felsvorsprünge nach unten. So könnt ihr die gesamte Grube absichern.“ ,, Und wir sollen nach dort unten gehen.“ , bemerkte Samiel skeptisch. ,, Direkt ins Kreuzfeuer eurer Leute.“ ,, Das ist richtig.“ , antwortete Kell ihm. ,, Und ich komme mit euch.“ Der Archont zog eine Augenbrauche

hoch. ,, Ich dachte ihr bleibt hier oben um eure Leute zu befehligen.“ ,, Sie wissen was sie zu tun haben. Und wenn ich bei euch bin, sollte euch das hoffentlich Garantie genug sein, das wir auf derselben Seite stehen. Außerdem… will ich was immer dort unten ist mit eigenen Augen sehen.“ , erklärte er. ,, Ich schätze Dagian würde das unverantwortliche Neugier nennen.“ Damit war es entschieden. Ein Teil der Gardisten blieb bereits am Zugang zum Schacht zurück, während der Rest sie weiter auf dem Pfad in die Tiefe begleitete. In regelmäßigen Abständen, lösten sich kleinere Gruppen von zehn bis zwanzig Schützen aus ihren Reihen

und bezogen am Abgrund Position. Die Gewehre im Anschlag und bereit, im richtigen Moment das Feuer zu eröffnen. Währenddessen erreichte Zyle mit den anderen endlich den Grund des Schachts. Die Spuren früherer Arbeiten waren noch deutlich zu sehen. Gerüste und gesplitterte Steine, wo man noch vor kurzem Versucht hatte, dem Fels noch mehr Raum abzugewinnen. Und an einer Stelle war das offenbar gelungen. Mehr Licht flutete aus einem Durchbruch in der Felswand. Offenbar war der Gang die letzte Erweiterung der Minen gewesen, denn noch immer lagen Schutt und Trümmer von den Erdarbeiten davor aufgeschichtet. Zyle spürte, wie die

Krieger in seiner Nähe vorsichtig weiter zusammenrückten, jederzeit darauf gefasst, angegriffen zu werden. Bevor sie noch Gelegenheit hatten, sich den Gang anzusehen, tauchte eine Silhouette darin auf. Gegen das Licht konnte Zyle nur die Umrisse der Kreatur erkennen, aber das reichte ihm auch. Metall, nicht Haut und Knochen formten das Wesen, das über den Schutt zu ihnen hinaus in die Grube trat. Weitere folgten. Drei, vier… Als Zyle bei mehr als zwanzig angekommen war, verlor er langsam die Übersicht und noch immer tauchten weitere Uhrwerksoldaten aus dem Gang auf. ,, Achtung.“ Samiels Stimme hallte von

den Felsen wieder und die vordere Reihe der Krieger Laos zog die Schwerter, ihren seltsamen Gegnern jetzt direkt gegenüber. Vielleicht noch zehn große Schritte hätten sie von den Konstrukten aus lebendigem Stahl getrennt. Diese rührten sich jedoch nach wie vor nicht und Zyle fragte sich insgeheim warum. Die Kreatur, die in der inneren Stadt wieder aufgewacht war, war ohne jede Rücksicht auf sie losgegangen. Die hier jedoch schienen für den Augenblick noch nur zu beobachten. Er sah zu Kellvian, der ebenfalls zögerte. Diese Situation war bestenfalls seltsam. Trotzdem trat Zyle einen weiteren Schritt vor. Es war, als hätte er damit eine unsichtbare

Grenze überschritten. Im gleichen Augenblick, wo sein Fuß die Erde berührte, schossen die gut fünfzig Maschinenkrieger vor. Zyle hatte noch nie gesehen, das sich etwas so schnell Bewegen konnte. Die Uhrwerksoldaten schnitten durch ihre Reihen wie ein heißes Messer durch Butter. Bevor Zyle ganz verstanden hatte, was vor sich ging, wurde der Mann neben ihm bereits von einem dreiseitigen Schwert durchbohrt. Das Geräusch von Stahl, der mit Gewalt zerrissen wurde erfüllte einen Moment die Luft. Der Panzer des Soldaten hatte keinerlei Schutz geboten. Endlich überwand der Gejarn seine Erstarrung und wendete sich der angreifenden

Metallkreatur zu. Grade noch rechtzeitig um selber einem Angriff des Monsters zu entgehen. Er konnte den Luft zu der Schwerter spüren, als diese knapp an seinem Hals vorbeijagten, dann griff er selber an. Das Ding attackierte ihn scheinbar ohne jeden Sinn für seine eigene Sicherheit und Zyle stieß die Klinge auf die Brust des Uhrwerksoldaten. Ein hohler Klang war jedoch alles, was er damit erreichte. Wie Wys bereits gesagt hatte… die Panzer dieser Wesen waren zu stark. Sein mechanischer Gegner zog das Schwert in einem Winkel zurück, der Zyle den Kopf gekostet hätte, hätte er sich nicht rechtzeitig geduckt.

Er konnte das Surren der Zahnräder hören, die dem Wesen leben verliehen. Doch der einzige Punkt, an dem der Brustkorb seines Gegners nicht von Metall bedeckt war, war eine kleine Lücke am Halsansatz. Wenn nicht so, dachte Zyle , dann eben auf die harte Tour. Der Gejarn ging mit einer wilden Folge von Schlägen auf seinen Gegner los. Funken stoben auf, als Metall wiederholt auf Metall traf. Gleichzeitig musste er den Angriffen des Uhrwerksoldatens ausweichen, der gar nicht wahrzunehmen schien, dass er selber Treffer einstecken musste. Dann endlich ergab sich eine Gelegenheit.

Zyle gelang es, einen Hieb des Monsters mit der flachen Schwertseite abzulenken. Zwar schnitt ihm die Kline nach wie vor über die Wange, aber der tödliche Treffer blieb aus. Für ihn. Dafür war die Brust der Maschine nun völlig ungeschützt und er stieß das Schwert auf den Hals seines Gegners. Ein Ruck lief durch seinen Arm, als sich das Schwert in den Zahnrädern verhakte und die weichen Goldplatten zu nutzlosem Schrott verformte. Der Metallkoloss fiel um, wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Endlich hatte Zyle die Gelegenheit, sich einen kurzen Überblick zu verschaffen. So weit er sehen konnte, tobten ähnliche

Kämpfe wie sein eigener. Teilweise kämpften drei oder mehr Krieger aus Helike gegen einen einzigen Uhrwerksoldaten und wurden trotzdem zurückgetrieben. Wys war es indes gelungen, eines der Monster zu fällen und Zyle entdeckte Laos im Duell mit zwei der Kreaturen. Lügner oder nicht, der Mann kämpfte mit einer Eleganz, das der Gejarn froh war, ihn zum Verbündeten und nicht zum Feind zu haben. Er konnte den Bewegungen des Meisters kaum mit den Augen folgen, Mal blitzte die Klinge des Mannes hier, mal dort auf um den Attacken der zwei Metallkrieger zuvor zu kommen. Jeder andere wäre wohl längst überwältigt

worden, aber Laos kämpfte lediglich, ein grimmiges Lächeln auf dem Gesicht, weiter, bis sich eine Lücke für ihn fand. Wieder konnte Zyle der Bewegung kaum folgen, als der Mann vorpreschte und das Schwert im verwundbaren Hals eines seiner beiden Gegner versenkte. In einer fließenden Bewegung riss er die Klinge wieder zurück und wendete sich seinem nächsten Feind zu. Und genau in diesem Augenblick geschah etwas, das Zyle sich später nicht erklären konnte. Offenbar war die Maschine dieses mal schneller. Eine dreiseitige Klinge zischte durch die Luft. Laos zuckte, ganz offenbar getroffen, zusammen und stolperte zurück.

Rasch überbrückte der Gejarn die Entfernung zwischen ihm und dem Lehrer Helikes. Der Uhrwerksoldat sah ihn nie kommen und sank nach einem einzigen hieb nutzlos in sich zusammen. Laos war derweil bis an die Wand der Grube zurück gestolpert, die Hand auf die Wunde gepresst. ,, Es geht mir gut.“ , wehrte er Zyle ab, als dieser zu ihm trat. ,, Es geht euch nicht gut, das Ding hat euch…“ Laos nahm die Hand weg. Kein Blut. Nichts. ,, Es hat euch getroffen…“ , beendete Zyle den Satz ungläubig. ,, Nur die Kleidung.“ , erwiderte der Mann grimmig. ,, Und jetzt los, wir

haben noch eine Schlacht zu gewinnen. Keine Gefangenen“ Laos lachte einen Moment wie irre, als ob das ein Scherz wäre, den außer ihm niemand Verstand. Zyle nickte und stürzte sich erneut in den Kampf. Aber… das war nicht möglich, dachte er. Er wusste, was er gesehen hatte. Der Uhrwerksoldat müsste Laos eigentlich aufgespießt haben. Noch ein Rätsel, aber vielleicht nicht sein drängendstes Problem. Die Uhrwerksoldaten trieben die Krieger Laos langsam aber sicher zurück, egal, wie sehr sie sich bemühten und mehr als einer von ihnen fiel unter den Klingen ihrer Gegner. Lange konnten sie so nicht mehr weiter machen, dachte Zyle.

Worauf wartete Samiel ? Der Mann musste den Befehl zum Rückzug geben, oder sie würden ebenfalls hier unten sterben, wenn die Garde das Feuer eröffnete. Er entdeckte den Schakal inmitten des Schlachtengetümmels. Trotz seines Alters schlug er sich erstaunlich gut, dachte Zyle anerkennend. In seiner Jugend musste dieser Mann leicht jeden heutigen Schwertmeister in den Schatten gestellt haben. Und selbst jetzt machte er durch Raffinesse wett, was ihm die Jahre an Beweglichkeit geraubt hatten. Samiel hielt einen der Uhrwerksoldaten r auf Distanz, der vier Soldaten in die Enge getrieben hatte. Offenbar bemerkte außer ihm jedoch niemand die Situation in der

sich der Mann befand. Zyle rannte durch die Reihen der Kämpfenden um dem Archont zur Hilfe zu kommen. Bevor er jedoch nah genug war, geschah es. Samiel parierte einen weiteren Hieb… und wurde plötzlich von einem Hustenanfall geschüttelt. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, traf ihn ein Blitzschneller Gegenangriff der Maschine und durchbohrte ihn ohne jeden Wiederstand. Das Schwert fiel ihm aus der Hand, als das Monster die Klinge aus seinem Körper zog. Samiel sank auf die Knie. Zyle sprang die letzten paar Schritte zwischen ihm und dem Archonten. Er wusste, das ihm keine Zeit für einen

ausgefallenen Plan blieb. Bevor der Uhrwerksoldat dazu kam, noch einmal zuzustoßen, schleuderte er das Schwert in dessen Richtung und hoffte das Beste. Die Klinge prallte mit einem holen Klang von der Panzerung der Kreatur ab. Zyle fluchte leise, als er auf dem Boden aufprallte. Das war seine einzige Chance gewesen. Die Waffe landete irgendwo weit außerhalb seiner Reichweite. Er machte sich bereit, der Attacke, die unweigerlich folgen musste, auszuweichen, als erneut etwas durch die Luft geschleudert wurde und sich diesmal zielsicher in die Zahnräder am Halsansatz der Maschine grub. Zyle erkannte noch eine Axt, als auch schon

Cyrus neben ihm auftauchte. Eden folgte ebenfalls und zog den dankbar nickenden Gejarn wieder auf die Füße. ,,Rückzug ! Weg hier.“ Zyle konnte nur hoffen, das alle in hörten, als er seinerseits den verletzten Archonten auf die Füße half. Samiel stützend hechtete er in Richtung des Aufgangs davon, der aus der Grube hinaus führte. Die anderen taten es ihm gleich und in dem Moment, wo sich der letzte Krieger Laos in die Sicherheit des Felsvorsprungs duckte, war es Kellvians Stimme, die durch die Grube schallte. ,, Jetzt.“ Die Schützen der kaiserlichen Garde, die sich am Rand des Schachtes positioniert

hatten, tauchten aus ihren Verstecken auf und eröffneten das Feuer. Der Klang von zweihundert Gewehren, die gleichzeitig abgeschossen wurden, war Ohrenbetäubend und noch einmal Verstärkt durch das Echo der Felswände. Dazu gesellte sich der Klang von berstendem Metall und sich verkeilender Zahnräder. Querschläger prallte von den Wänden der Höhle ab und jagten heulend davon. Ein Uhrwerksoldat nach dem anderen Gerit erst ins stolpern und fiel dann ganz in sich zusammen. Die Stoppwirkung des Projektil-Hagels war groß genug, das die Maschinen erst gar nicht mehr dazu kamen, sie anzugreifen. Nachdem auch der letzte Gegner im

Geröll zusammensackte, erhoben Zyle und die anderen sich langsam wieder aus ihrem Versteck. Nichts rührte sich mehr auf dem Feld vor ihnen und die ersten brachen bereits in überschwänglichen Jubel aus. Zyle nicht. Er hatte sich zu Samiel umgedreht. Der Gejarn war halb in sich zusammengesunken und lehnte an der Felswand. Blut strömte aus den Wunden in seiner Brust und er atmete schwer. ,, Erik , wir brauchen hier Hilfe.“ Zyle suchte die Menge nach dem Schiffsarzt ab, der sich, in Begleitung von Jiy und Kellvian einen Weg durch die Gardisten und Krieger bahnte. Bevor die drei sie jedoch erreichten, schüttelte der alte

Archont den Kopf. ,, Ich will keine Hilfe. Und ihr wisst auch… dass man kaum mehr machen kann als mein Leben noch etwas zu verlängern. Ich glaube das Ding hat eine meiner Lungen durchbohrt. Mindestens.“ Das Atmen schien Samiel mit jedem Wort schwerer zu fallen. ,, Es ist… richtig so zu gehen, Junge. Ich wünschte nur…“ ,, Was ?“ Erik, Jiy und die anderen blieben auf sein Zeichen in respektvollem Abstand stehen. ,,Ihr kennt die Wahrheit immer noch nicht. Egina…“ Zyle spürte, wie ihm kalter Angstschweiß den Rücken hinab lief.

Was wusste der sterbende Mann, das er ihm erst jetzt anvertrauen konnte. ,, Was ist mit der Archontin ?“ Nur mit Mühe konnte er seine Wut zurück halten und packte den Mann am kragen. ,, Wagt es ja nicht zu sterben ohne mir zu antworten, alter Mann. Ihr wisst wer der Artefakthändler war ? Wer wollte sie Tot sehen? Warum?“ ,,Ihr sucht… vielleicht nach den Falschen Männern. Oder am falschen Ort.“ Mit diesen letzten Worten schwieg der Archont für immer. Zyle ließ Samiels Körper gehen , als seine Augen blicklos wurden. ,,Verflucht.“ ,, murmelte er nur. ,,, Verflucht nochmal…“

Noch ein toter Archont, dachte Zyle. Und ein Geheimnis, das dieser nun offenbar mit in sein Grab nehmen würde. Das war nicht gut. In keiner Weise. Wys trat zu ihm. ,,Ist er…“ ,,Tot.“ , erklärte Zyle nur. Und die Toten gaben keine Antworten mehr. Nur eines wusste er jetzt. Das es welche gab. Wenn ihm Samiel nichts mehr sagen konnte, blieben ihm eben nur die Lebenden. Er würde die Augen offen halten müssen. Aber was konnte er damit gemeint haben, er suche vielleicht nach den falschen Leuten? Er hatte vermutet, dass ein Beamter aus der

inneren Stadt dahinter stecken könnte. Jemand, von niedrigem Rang, der sich etwas dazuverdienen wollte. Hieß das er sollte in der äußeren Stadt suchen… oder das es hier nicht länger nur um einen simplen Beamten ging? ,,Leute… „ Eriks Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Der Mann war offenbar in den Tunnel getreten, aus dem die Uhrwerksoldaten gekommen waren. ,,Das solltet ihr euch ansehen.“

Kapitel 43 Das Portal


Kellvian wusste nicht, was er von dem halten sollte, was er sah. Der Gang , dem sie aus dem Hauptschacht gefolgt waren, endete vor einem gewaltigen Tor, das nahtlos in den Felsen eingelassen war. Hoch wie ein Mauerturm, zogen sich bahnen aus leuchtenden Kristallen durch die Marmoroberfläche der Tür. Wie die Äste eines wirr gewachsenen Baumes liefen die Adern aus Licht ineinander und übereinander hinweg. Wenn es dabei irgendeine Struktur gab, so sah er sie zumindest nicht. Lediglich im Zentrum der Pforte, etwa in

Kopfhöhe glühte ein einzelner, bernsteinfarbener Edelstein vor sich hin. Und er erkannte den Stein wieder. Es musste derselbe sein, den der Meister aus der fliegenden Stadt entwendet hatte. Eine Magiequelle, welche die Hauptstadt des Kaiserreichs für Jahrhunderte in der Schwebe gehalten hatte und nun floss die komplette Macht dieses Steins in nichts weiter als… eine Tür? Kell korrigierte sich. Eine Tür… und ihre nun unschädlichen Wächter. Die Uhrwerksoldaten lagen zerstört am Boden der Grube. Letztlich hatte sich ihre Vermutung als richtig erwiesen. So stabil das alte Volk diese Konstrukte gebaut hatte, gegen die Wucht von

Bleikugeln konnten sie nichts ausrichten. Zum Glück für sie alle. Er wusste, dass er ein großes Risiko eingegangen war. Und sie hatten bereits jetzt einen Preis gezahlt, dessen Folgen nicht einmal Wys oder Zyle abzuschätzen wagten. Kellvian bezweifelte, das die Archonten Samiels Tod besonders erfreut aufnehmen würden. Ganz im Gegenteil. Vorsichtig trat er einen Schritt näher auf das Portal zu. Erik war offenbar bereits eine Weile hier und tastete ohne Scheu auf der glattgeschliffenen Oberfläche herum. Kell konnte die magische Energie in der Luft spüren, die sonst überall in Laos zu fehlen schien. Als würde jeden Moment ein Gewitter losbrechen, obwohl

sie sich hunderte von Metern unter der Erde befanden. Kellvian war, als könnte er sehen, wie sie die Realität unter der Wucht der rohen, ungeformten Magie verbog. Es war wie das Flimmern in der Wüstenluft oben. Es wäre einfach danach zu greifen, dachte ein entfernter Teil von ihm. Und was für eine Macht das wäre… ,, Das ist allerdings interessant.“ Eriks Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Der Arzt und Gelehrte fuhr mit der Hand eine der Linien aus blauem Kristall nach. Dann machte er eine Handbewegung nach oben und ein kompletter Teil der Wand schien sich zu verschieben. War die leuchtende

Energielinie, die er berührt hatte eben noch senkrecht gewesen, so lag sie nun Waagerecht und genau dort, wohin er gedeutet hatte. Bevor ihn jemand daran hindern konnte, hatte er schon eine weitere Linie berührt und verschob sie durch den scheinbar so fest wirkenden Marmor. Dieser nahm eine flüssige Form an und schlug Wellen, als hätte sich die Wand teilweise in Milch verwandelt. Bis Erik die Linie aus magischen Kristallen losließ und sie nun an ihrer neuen Position erstarrte. ,, Das ist… ein Rätsel, oder ?“ , fragte Kellvian, dem langsam der Sinn der beweglichen Kristalladern klar wurde. ,, Es ist eine Art magisches Puzzle

würde ich meinen. Keine Ahnung was genau es darstellen sollen, aber es ist… elegant.“ ,, Ich habe so eine Tür schon einmal gesehen.“ , bemerkte Eden. ,, Damals hat es aber gereicht, das Zachary sie bloß berührt hat. Das hier ist anders.“ ,, Was war dahinter ?“ , fragte Cyrus neugierig. ,, Mehr Gold, als ihr alle euch vorstellen könnt. , erwiderte die Gejarn. ,, ich denke Kell ihr habt vor uns einen ordentlichen Anteil zukommen zu lassen, wenn das hier auch der Fall ist ?“ Kellvian lachte. ,, Macht das mit den Archonten aus. Was wurde aus dem Schatz, den ihr gefunden

hattet?“ ,,Leider haben wir das meiste davon auch gleich wieder verloren.“ , meinte Zachary schmunzelnd. ,, Natürlich.“ Der Wolf grinste. ,, Oder wir würden jetzt wohl auch nicht hier stehen.“ ,, Das ist immer noch bloß Stein.“ , bemerkte Wys, während er sich das Portal besah. . ,, Ein paar Kräftige Schläge mit einer Spitzhacke und wir sind durch…“ ,, Wenn ihr unbedingt sterben wollt, gerne.“ , erklärte der Schiffsarzt ungehalten. ,, Aber wartet bitte, bis ich mindestens drei Tagesmärsche weit weg bin. Das dürfte weit genug

sein.“ Der Archont sah ihn verwirrt an. ,, Weit genug für was ?“ Kell glaubte es zu verstehen. ,, Bei der Menge an magischer Energie, die diese Kristalle kanalisieren…“ Erik nickte ,, Sollte irgendjemand so dumm sein, die Tür zu beschädigen, bleibt von denjenigen vermutlich nur Asche und von was immer dahinter ist auch. Vermutlich zusammen mit der näheren Umgebung. Ein einfacher aber effektiver Mechanismus.“ ,, Und warum sollte euer Abtrünniger Magier die Tür dann überhaupt aktivieren ? Er hätte sie einfach aufbrechen

können.“ ,, Vielleicht ist er gar nicht an dem interessiert, was dahinter ist.“ , meinte Jiy. ,, Und stattdessen ?“ Zyle klang nicht überzeugt. ,, Die Uhrwerksoldaten etwa ?“ ,, Wenn ja, haben wir ihm bereits einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht.“ , bemerkte Kellvian.,, So oder so… wir sollten herausfinden, was dahinter ist.“ ,,Mehr Maschinen, wenn wir Pech haben.“ , gab Wys zu bedenken. ,, Wir sollten nach Helike zurück und das alles hier mitsamt dem Tor wieder unter Felsen

begraben.“ ,, Plötzlich bist du dafür ?“ Zyle schien überrascht über das Umdenken seines Bruders. ,, Nein. Aber schau dir das Ding einmal an. Ich mag die Gesetze reformieren wollen, aber mit einem hatte Laos ganz sicher Recht… Magie ist böse. Vielleicht stimmt dann auch der Rest.“ Zyle sah zu Laos, der sich bisher in Schweigen gehüllt hatte. Ihre Blicke trafen sich, als erwartete der Gejarn eine Antwort von dem großen Lehrer Helikes. ,, Was glaubt ihr, könnt ihr dieses… Puzzle lösen?“ , fragte er stattdessen an Erik gerichtet und gab dem Gejarn damit zumindest indirekt

recht. ,, Ich könnte raten, aber wenn jede dieser Linien am Ende irgendein Muster bilden soll… es würde schon einiges an Glück brauchen, zufällig die Lösung zu finden. Wir brauchen Hilfe, oder wir stehen in zehn Jahren noch immer hier.“ ,, Die Archive in Helike….“ Jiy sah auf. ,, Das meint ihr doch, oder ? Die Archonten werden gar keine andere Wahl mehr haben, als uns hinein zu lassen. Und wenn ihr da seid, vielleicht findet ihr auch irgendetwas, das Kellvian weiterhilft.“ ,, Genau das.“ , betätigte der Arzt. Und das bedeutete, dachte Kellvian, sie mussten zurück nach Helike. Obwohl sie

Erfolg gehabt hatten, würde es alles andere, als eine glückliche Heimkehr werden. Sie hatten mehr als zwanzig Tote zu beklagen, darunter den Archonten Samiel selbst. Auch wenn der Mann dieses Schicksal heraufbeschworen hatte, wie die anderen Herrscher der inneren Stadt darauf reagieren würden, wusste Kellvian nicht. Dazu kam eine unübersichtliche Zahl Verwundeter. Fast niemand, der in der Grube gekämpft hatte, war völlig Unverletzt daraus hervorgegangen. Die Toten und alle Verletzten, die nicht mehr selbstständig laufen konnten, wurden auf, aus den Überresten des Bergarbeiterlagers konstruierten,

Schlitten geladen und von den wenigen Pferden, die sie mitgenommen hatten, über die Sanddünen gezogen. Die Kälte der Nacht schien noch drückender, als die Hitze auf dem Hinweg und die Leute schleppten sich zunehmend mehr, als das sie liefen. Auch wenn sie genug Wasser und keine große Strecke zu bewältigen hatten, keiner der Männer hatte das Gefühl, irgendetwas erreicht zu haben. Und hatten sie nicht recht… Sie waren keinen Schritt weiter gekommen, dachte Kellvian. Die Minen mochten wieder sicher sein, aber das eigentliche große Rätsel blieb bis auf weiteres hinter ihnen im Sand zurück. Stattdessen zogen sie unverrichteter

Dinge wieder ab. Im Schatten einer hohen Düne legten sie schließlich eine kurze Rast ein. Die Männer entfachten kleine Feuer aus Holz, das sie mit sich führten und dem hier und dort wuchernden Steppengras. Klägliche Flammen, die die Schatten der Nacht kaum durchdringen möchten. Nicht mehr als Lichtfunken, vergleichbar mit dem Lichtband, das sich am Himmel über ihnen dahinzog. Kellvian ließ sich erschöpft in den noch vom Tag aufgeheizten Sand fallen. Er erkannte keine der Sternen-Konstellationen über ihm wieder. Wenn er noch mehr Beweise dafür gebraucht hätte, dass er weit weg von daheim war, so sah er sie

hier. Er konnte leise Stimmen hören und hier und da wehte Essensduft durch die Luft. Aber es gab keine großen Unterhaltungen. Kellvian setzte sich auf, als sich leise Schritte näherten. Der Sand schluckte die meisten Geräusche, aber in der nur gelegentlich unterbrochenen Stille, hörte er sie trotzdem. Es war Laos. Der Mann wanderte scheinbar ziellos zwischen den Feuern und den Dünen umher. Die Hände hinter den Rücken verschränkt und leicht gebeugt wirkte er tatsächlich so alt, wie er sein musste, wenn er kein Lügner war. Kell war sich nach wie vor nicht sicher, was er von dem Mann halten sollte. Er suchte

nach einem Anzeichen für Magie, die für das Wiederauftauchen des Lehrers verantwortlich sein konnte. Ein unglaublich komplexer Illusionsspruch oder etwas Ähnliches. Tyrus hätte so etwas sofort durchschaut. Kell hatte lange nicht mehr an den Zauberer gedacht. Verraten und Hintergangen hatte er trotzdem bis zum Schluss nur nach dem gestrebt, was er für das Beste hielt. Ob ihm das nun gegen Kellvian stellte oder nicht. Er konnte nur hoffen, dass er im Zweifelsfall die gleiche Entschlossenheit aufbringen könnte. Kell sah wieder zu Laos und konzentrierte sich erneut darauf, einen Zauber zu finden. Was er sah überraschte

ihn. Hier war Magie im Spiel, ganz ohne Zweifel. Aber es war nicht viel, nur ein schwaches Aufblitzen von Energie, das jede Bewegung des Mannes begleitete. So gering, das es in einem Land wie Canton, das von Jahrhundertealter Magie praktisch durchwebt war, nicht einmal aufgefallen wäre. Vielleicht trug der Mann nur ein Artefakt oder etwas Ähnliches. Laos schien ihn zu bemerken und missverstand die verwirrte Mine, mit der Kellvian ihn musterte offenbar falsch. Mit gemäßigten Schritten trat er zu dem jungen Kaiser und setzte sich parallel zu ihm in den Sand. Kell war sich der gewaltigen Zeitspanne, die zwischen

ihnen liegen musste mehr als bewusst. Laos hatte gelebt, als Canton grade seine ersten zögerlichen Schritte als Nation gemacht hatte. ,, Verzeiht.“ , begann der Mann zögerlich. ,, Wir hatten noch keine Gelegenheit wirklich miteinander zu sprechen, denke ich…“ ,,Nein.“ , gab er dem Mann recht. ,, Mein Name ist Kellvian, falls ihr euch erinnert.“ ,, Kaiser von Canton, ja. Es ist seltsam zu sehen, wie sich eine Welt in einigen Dekaden verändern kann. Ich habe es während meiner… Lebenszeit… bemerkt. Ihr werdet das vielleicht auch eines

Tages.“ ,, Ich hoffe es.“ , bemerkte Kellvian. Und noch mehr, er hoffte es dann nicht bereuen zu müssen. ,, Aber es ist erschreckend was eintausend Jahre daraus machen können.“ Kell schüttelte den Kopf. ,, Seit bitte einmal ehrlich zu mir. Seid ihr, was ihr vorgebt zu sein, oder seit ihr einfach nur ein guter Schauspieler ? Ihr müsst nicht fürchten, dass die Archonten etwas davon erfahren, aber ich muss die Wahrheit wissen.“ ,, Die Wahrheit…“ Laos seufzte schwer. ,, Die Wahrheit wäre, das ich es nicht weiß. Ich erinnere mich an alles, Kellvian. Andas meiste zumindest. Meine

Kindheit, mein Leben in Helike, das Ende der Whaid Herrschaft und… meinen Tod. Das ist der schlimmste Teil. Weil ich absolut keine Ahnung habe, was danach geschah. Meine nächste Erinnerung ist, dass ich in den Minen erwacht bin. Grade, als Wys und seine Leute dort auftauchten, auch wenn ich das damals noch nicht wusste. Ich habe dort unten Gekämpft, bin an die Oberfläche und… ich weiß nicht wie lange durch die Landschaft gezogen bin, bis ich an die Küste kam. Und von dort aus weiter nach Helike. Falls ihr glaubt, ich wüsste, warum dies Geschehen ist… so muss ich euch die Antwort schuldig bleiben. Nur das ich hier bin. Und ich

damit… weiterleben muss.“ ,, Ihr könntet euer Volk wieder anführen, oder ?“ ,, Ich fürchte, das tue ich, auf eine seltsam verquere Art noch immer. Ich wollte ihnen ein Ziel geben, eine Gesellschaft, ein, ja ein Leben nach dem Fall des letzten Drachenkönigs. Ein Leben abseits verstaubter Riten, abseits von Tyrannei . Et was, das jeden, Mensch wie Gejarn leben lässt, nach bestem eigenen Gewissen. Ich war bis kurz vor meinem Tod davon überzeugt, dass mir das gelungen ist.“ Kellvian wusste nicht, was er antworten sollte. Er wollte sicher nicht taktlos sein, aber… ,, Das klingt nicht, nach

dem was ich von Helike gehört und gesehen habe.“ Laos nickte. ,, Ich fürchte könnte mein Volk in den Abgrund geführt haben… Ich hoffe ich kann das mit der Zeit wieder gut machen. Aber nicht im Augenblick. Im Augenblick… ruht das Schicksal von Helike auf den Schultern anderer.“

Kapitel 44 Ein zweiter Auftrag


Als sie dieses Mal die Hallen der Archonten betraten, warteten die drei in der Stadt verbliebenen Herrscher schon auf sie. Mondlicht fand seinen Weg durch die Buntglasfenster und versilberte das innere der Halle. Cadus, Chonar und der Händlerkönig, der sich wie immer zurückhaltend auf seinem Platz hielt und die Gruppe scheinbar desinteressiert musterte, die vor den Thronen stand und wartete. Zyle wusste, das heute einer der fünf Plätze unbesetzt bleiben würde. Und Wys hatte ihn bereits auf dem Weg hierher gewarnt. Ohne Samiel erblieben

mit seinem Bruder nur noch vier Archonten und die Lücke, die der Alte Schakal im Machtgefüge hinterlassen hatte, war nicht zu unterschätzen. Über die Jahrzehnte seines Lebens hatten sich die Archonten meist seinem Willen gebeugt und er in Zeiten der Uneinigkeit auch einmal eine Entscheidung erzwungen. Nun jedoch blieben neben dem schweigsamen Jona und Wys nur noch Cadus und der Wolf. Die beiden würden die Wahl eines neuen Archonten wohl so lange wie möglich hinauszögern und könnten damit durchaus Erfolg haben. Welche Entscheidung auch immer sie treffen mochten, sie würden beide immer dafür stimmen. Damit waren sie

faktisch stärkste Kraft im Rat und konnten zumindest immer einen Patt herbeiführen, wenn sie ihren Willen schon nicht durchsetzen konnten. Und Zyle war sich sicher, das die beiden sich dieser Situation nur zu bewusst waren ,,Samiel ist tot.“ , begann Wys, als er seinem Platz auf dem niedrigen Podest einnahm. ,, Die Nachricht dürfte noch vor und die Stadt erreicht haben.“ ,, Das hat sie in der Tat.“ , erklärte Chonar. ,, Vielleicht könnt ihr uns erklären, wie ihr so etwas zulassen konntet… Wys.“ Der Archont erhob sich von seinem Platz und trat langsam wieder von der Tribüne hinab. Er zögerte mit einer Antwort und

Zyle verstand nur zu gut warum. Es gab keine Entschuldigung dafür. Samiel mochte in einer Schlacht gefallen sein, außerhalb jeder Möglichkeit ihn zu retten, sein Tod mochte den beiden Wortführern der Archonten sogar zum Vorteil gereichen, aber das Entschuldigte versagen nicht. Und langsam wurde ihm klar, was sein Bruder vorhatte. Die einzige Option die ihm blieb. Chonar und Cadus mussten bereits abgesprochen haben, wie diese Unterredung ablaufen sollte. Wys würde sein Amt niederlegen, dachte Zyle mit zunehmenden schrecken. Das konnte er nicht, dann gehörte die Stadt endgültig den zwei Archonten. Jona wäre

dabei kein Hindernis, der Mann zog lieber im Hintergrund die Fäden und hatte seine eigenen Geschäfte. Das Amt des Archonten war für ihn wohl bestenfalls Zierrat. ,, Ich weiß es nicht.“ , erklärte Wys. ,, Samiels Tod hätte vermieden werden müssen. Ich kann nur meinen Rücktritt anbieten. Vielleicht ist mein Nachfolger eher in der Lage… niemanden zu enttäuschen.“ Die Bitterkeit in den Worten seines Bruders entging Zyle nicht. Hin und her gerissen zwischen dem was Gesetz und Ehre von ihm verlangten und der Arbeit eines Jahres, die dadurch zu Nichte werden würde. Alle Bestrebungen für Reformen auf

einen Schlag ausgelöscht… Zyle hätte ihm am liebsten gesagt, das er so ohnehin nichts erreichen würde. Man konnte nicht auf Dauer zwei Herren dienen. Eines Tages müsste er sich entscheiden. Zyle sah erneut zu Laos, der jedoch alles schweigend musterte. Er wagte es einfach nicht aufzubegehren, obwohl ihm genau so klar sein musste, was hier grade geschah. ,, Seit ihr eigentlich alle völlig Blind ?“ Der Gejarn zuckte zusammen, als schließlich eine Stimme die einsetzende Stille durchschnitt. Es war nicht die von Laos. Nicht die von Jona. Nicht Wys, der endlich aufbegehrte oder sich in seine Rolle fügte. Jiy trat, an den

anderen vorbei, auf die Archonten zu. ,, Er wollte sterben“ , erklärte sie aufgebracht. ,, Er hat es mir sogar gesagt.“ Zyle sah zu Kellvian, der nur mit den Schultern zuckte. Aber das schwache Lächeln, das über sein Gesicht huschte sagte alles. Es brauchte einiges um Jiy wütend zu machen. Aber wenn, dann wollte man ihr sicher nicht im Weg stehen. ,, Samiel war schon fast Tod, als wir die Minen erreichten. Fragt Erik. Er wollte ihm noch helfen und er hat das Abgelehnt.“ ,, En Fremder..“ , setzte Cadus an, kam aber nicht dazu, den Satz zu beenden. ,, Und wenn euch das Wort eines Fremden wirklich nichts Wert ist, dann

fragt eben Zyle, fragt Wys, hört ihn euch wenigstens an, verflucht. Geister, fragt jeden einzelnen eurer Krieger, der dabei war. Mehr noch, Samiel wusste doch auf was er sich einließ, als er uns begleitete. Und ihr habt ihn mit uns gehen lassen. Wenn ihr immer so leichtfertig Schuld zuweist, dann bitte. Aber für was wollt ihr hier eigentlich jemanden bestrafen? Dafür das er einen alten, sterbenden Mann einen letzten Wunsch erfüllt hat? Dafür, das ihr versagt habt, das offensichtliche zu sehen?“ ,, Schweigt gefälligst endlich.“ Chonar war aufgesprungen. ,, Ihr kennt unsere Gesetze nicht, ihr versteht nicht, was

Samiels Tod bedeutet. Wys hätte dafür Sorge tragen müssen, das er zu uns zurückkehrt. Das ist was zählt.“ Nein, aber Jiy kannte genau diese Art von Verbohrtheit nur zu gut, dachte Zyle bei sich. Und Chonars Reaktion war bestenfalls noch eine Bestätigung, das sie ins schwarze Getroffen hatte. Die nächste Stimme, die sich dieses mal zu Wort meldete, überraschte sie jedoch alle. ,, Vielleicht, Chonar, wäre es ratsam, wenn ihr auch einmal die Luft anhalten würdet.“ Jona Vilaras lehnte sich völlig entspannt auf seinem Platz zurück. Die Finger über dem runden Bauch gefaltet und scheinbar bester Laune. ,, Ich lehne

Wys Rücktritt ab und stimme dafür, das er sein Amt behält. Da ich mir auch kaum vorstellen kann, das Wys mir da wiedersprechen wird und ihr beide weiter darauf beharren werdet, das er sich zurückzieht… nun damit haben wir einen Patt, nicht ?“ Die grauen Augen des Löwen blitzten. ,, Und mit einem Patt können wir keine Entscheidung treffen. In diesem Sinne… hat sich die Diskussion erledigt, bis wir einen neuen Archonten ernennen. Worüber wir vier uns ebenfalls erst einmal einig werden müssen….“ Zyle hatte Jona bisher immer nur als eine graue Eminenz gesehen, nicht als jemanden, der sich aktiv in die

Entscheidungen des Archontenrates einmischte. Der Mann hatte grade mit einem einzigen Schachzug dafür gesorgt, das Chonar und Cadus , zumindest was Wys anging praktisch völlig kaltgestellt waren. Zumindest bis sie sich dazu bereit erklärten, wieder einen fünften Archonten zu ernenne, der im Machtgefüge wieder für Ausgleich sorgen würde. Das war genial, dachte Zyle. Es würde seinem Bruder trotzdem in vielen Dingen die Hände binden, aber für den Moment hatte sich das Blatt gegen die zwei gewendet. ,, Es gibt allerdings noch etwas, das wir besprechen müssen.“ , ergriff nun zum ersten mal Laos das

Wort. Wys nickte. ,, Wir bauchen Zugang zu den Archiven.“ , erklärte er,, Obwohl wir nicht in der Lage waren, die Tür in den Minen zu öffnen, gibt es vielleicht einen Hinweis darauf.“ ,, Das können genau so gut unsere Gelehrten übernehmen.“ , antwortete Cadus. ,, Warum sollten wir zulassen, das Canton Zugang zu den Schriften des Alten Volkes erhält ? Es gibt Gründe aus denen diese Dinge weggeschlossen werden, wie ihr auch wissen solltet, Wys.“ ,, Und wenn ich darauf bestehe ?“ , wollte Laos wissen. ,, Wir müssen herausfinden, was hinter dieser Tür ist.“

Der Mann schien geradezu versessen darauf, aber Zyle konnte es ihm auch nicht übel nehmen. Er würde selber am liebsten sofort wissen, was hier eigentlich gespielt wurde. ,,Diese Leute waren mit mir dort unten.“ , fuhr Laos derweil fort. ,, Ich bezweifle hingegen, das unsere Gelehrten eine Ahnung haben, wonach sie suchen müssten.“ Die hatten sie auch nicht, dachte Zyle. Zumindest keine Konkrete. Aber was in Laos Jahrhunderte lang ignoriert worden war, in Canton sorgsam studiert worden. Erik hatte die Pforte im Fels schnell als das erkannt, was sie war. Vielleicht fand sich die Antwort ebenfalls früher als

Gedacht. Und Kellvian würde sich ebenso umsehen müssen, wenn auch aus anderen Gründen. ,, Wenn ihr euch wirklich sicher seid…“ , begann Chonar. ,, Das bin ich.“ , erklärte Laos. ,, Tut was ich sage.“ Der Wolf nickte lediglich. ,, Dann soll es so sein, wenn niemand Einwände hat.“ Keiner der übrigen Archonten hob die Stimme. Chonar wendete sich wieder an die kleine Gruppe vor ihm. ,, Lasst euch den Weg zu den Archiven zeigen.“ Kellvian nickte. ,, Vielen dank.“ , meinte er nur nüchtern, bevor sie einer nach dem anderen aus dem Saal traten. Zyle wollte ihnen grade folgen, als ihm

eine Stimme in der Bewegung inne halten ließ. ,, Ihr bleibt bitte noch. Ebenso Wys. Es gibt noch etwas, das wir besprechen müssen.“ Der Gejarn drehte sich wiederwillig wieder um und sein Bruder trat zurück auf das Podest, das er grade hatte verlassen wollen. ,, Was gibt es ?“ , fragte er und versuchte dabei, nicht entnervt zu klingen. Dieses politische Ränkespiel ging ihm allmählich nur noch auf den Geist. Hier stand wichtigeres auf dem Spiel, als die individuelle Macht eines oder zweier Archonten. Er wollte hier raus, dachte Zyle bei sich. Wieder

einmal fühlte er sich in den Mauern Helikes nicht wohl. Dieses mal aber kannte er wenigstens den Grund dafür. ,, Mit Samiels Tod werden sich eine ganze Reihe von Dingen ändern müssen.“ , erklärte Cadus. ,, Wys ich denke, ihr wisst wovon ich rede…“ ,, Wartet wenigstens , bis wir die Momentanen Probleme unter Kontrolle haben.“ , erwiderte der Archont nur. ,,Wir brauchen keine zwei Konflikte gleichzeitig auf unseren Straßen.“ ,, Sie sind vielleicht erst dafür verantwortlich, das wir überhaupt Probleme haben.“ , bemerkte Cadus nur. ,, Glaubt ihr das wirklich noch immer ?“ Wys schüttelte den

Kopf. Zyle konnte nur von einem Archont zum anderen sehen. ,, Verzeiht, aber, wovon redet ihr überhaupt ?“ ,, Wir wissen seit längerem, das es eine Gruppe von Magiern in der Stadt gibt, die uns scheinbar durch die Maschen geschlüpft ist.“ , erklärte Wys ihm ruhig. ,, Bisher haben sie sich ruhig verhalten, doch in letzter Zeit werden sie wieder aktiver.“ ,, Samiel jedoch hat die Entscheidung, was wir deswegen unternehmen sollten immer wieder verschoben.“ , fuhr Chonar fort. ,,Man hätte beinahe meinen können, er hätte ein eigenes Interesse daran, sie zu schonen. Trotzdem haben

wir begonnen, Helike stärker zu überwachen.“ Deshalb also gab es so viel mehr Wachen auf den Straßen, wurde Zyle mit einem mal klar. Es ging nicht um das, was bei den Minen geschehen war, hier ging es um eine Bedrohung, die sie von Innen abwehren wollten. ,,Vielleicht haben sie bei dem was geschehen ist, ihre Finger im Spiel.“ , führte Cadus weiter aus. ,,Vielleicht auch nicht.“ , meinte Zyle. Ihm war unwohl dabei, worauf das ganze hinauslaufen sollte. Zauberer hatten in Laos so oder so einen schlechten Stand. Die meisten wurden schon kurz nach der Geburt getötet oder spätestens, wenn

sich die ersten Anzeichen ihrer Begabung zeigten. Zwar gab es immer wieder einzelne, die sich Verstecken konnten, doch das sie sich irgendwie organisierten, war bisher bestenfalls ein Gerücht gewesen. Ein seltsamer Zufall, wenn es einer wäre. Der Meister hatte sich auch schon in Canton der Magier bedient, vielleicht versuchte er hier das gleiche. Zumindest war es nicht ausgeschlossen. ,,Wie dem auch sei, es wird allmählich Zeit, das wir uns darum kümmern.“ , erklärte Chonar. Zyle wusste nur zu gut, was Kümmern in diesem Fall bedeuten mochte. Er sah hilfesuchend zu Wys, der jedoch nur mit

den Schultern zuckte. Sein Bruder konnte natürlich keine Unruhen gebrauchen. Nicht wenn er mit seinem Plan für Reformen von Oben Erfolg haben wollte. Dazu brauchte er ein ruhiges Helike. Verflucht… ,, Wir möchten, das ihr das übernehmt.“ Fuhr Chonar fort. ,,Findet die Magier und bringt in Erfahrung, wo sie sich verstecken und wichtiger… was sie planen.“ ,,Warum ich ?“ Zyle schloss die Augen. Das war kein simpler Auftrag. Noch mehr, das verkomplizierte schlicht alles für ihn. Aber wenn die Zauberer in Helike wirklich etwas mit dem Meister zu schaffen hatten, konnte er das

ohnehin nicht ignorieren, oder? Und wenn nicht… Wenn nicht, hatte er ein noch größeres Problem. ,, Ihr wart bereits in Canton und konntet die Magier dort erleben. Also wisst ihr eher wie wir alle, wie sie denken. “ ,, Sonst noch etwas, das ich wissen muss ?“ Für den Moment wollte Zyle nur noch hier raus. ,, Ihr Anführer nennt sich offenbar Phönix, wenn euch das weiterhilft.“ , erklärte Jona. Der Mann saß nach wie vor völlig entspannt auf seinem Platz und verfolgte das Gespräch neugierig. Cadus sah auf. ,,Woher wisst ihr das ?“ , Der Händlerkönig lächelte nur. ,, Ich habe da schon meine Quellen, keine

Sorge… Nach allem, was ich über diese Gestalt in Erfahrung bringen konnte, ist er ohnehin mehr ein Geist, als wirklich jemand, der greifbar wäre. Es gibt das nette Gerücht, das er… weder getötet noch gefangen werden könnte.“ ,,Also gut.“ Zyle drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ den Saal.

Kapitel 45 Die Archive


Die Archive von Helike verfügten nur über einige wenige Zugänge. Einer davon , vor dem Jiy nun stand, direkt unter den Kammern der Archonten. Eine Treppe führte über einen Schacht in die Tiefe. Schmiedeeiserne Stufen und Handläufe, die sich spiralförmig in die Erde wanden. Eine mit brennendem Öl gefüllte Rinne folgte dem Verlauf des Abstiegs und sorgte für mehr als genug Licht. Waren die Wände während der ersten dutzend Stufen noch aus blankem Fels, so änderte sich das zunehmend. Platten aus weißem Marmor verkleideten

die komplette Architektur der Archive. Sie erkannte den Baustil leicht wieder. In der fliegenden Stadt war er allgegenwärtig gewesen und Überreste davon fanden sich in ganz Canton verstreut. Wie in der inneren Stadt selbst, war alles hier aus den Ruinen, die das alte Volk bei seinem verschwinden hinterlassen hatte, wiedererrichtet worden. Jiy hatte das Ende der Treppe erreicht. Ein kurzer Gang, der mit dem gleichen hellen Gestein vertäfelt war, wie der Rest der Anlage, endete vor einer schweren Eisentür. Zwei Männer, die durch ihre roten Umhänge leicht als Paladine zu erkennen waren, hielten vor

dem Eingang Wache. Sie traten nur wortlos beiseite. Offenbar wussten sie schon, dass man sie durchlassen sollte, dachte Jiy. Oder aber, sie gingen ohnehin davon aus, dass niemand so weit kommen würde, der nicht auch die Erlaubnis dazu hatte. Bei der Anzahl an Wachen, die auf den Straßen Helikes patrouillierten war ziemlich sicher, das jeder Störenfried rasch gefasst werden würde. Die Tür war zu schwer, als das man sie von Hand hätte öffnen können. Stattdessen gab es eine Winde, die in die Wand eingelassen war. Einer der Paladine trat wortlos in die Nische und nach einem Moment schwangen die

Torflügel langsam, fast Träge auseinander. Die Gejarn nickte kurz, dann trat sie hindurch. Jiy hatte die Bibliotheken in Vara einmal gesehen. Die hohen Regalreihen voller Bücher und Gegenstände füllten mehrere Hallen bis unter die Decke. Gegen die Archive von Helike jedoch wirkte der Wissensschatz Varas beinahe… unbedeutend. In den Fels der inneren Stadt waren Gänge und ganze Hallen geschlagen worden, die leicht noch einmal die Fläche der Stadt über ihnen einnahmen. Neben Fackeln erfüllte das Leuchten einer Unzahl magischer Kristalle die unterirdischen Säle. Weißer Marmor, den selbst die

Jahrtausende nicht hatten stumpf werden lassen, spiegelte das Licht wieder und sorgte dafür, das es fast Taghell war. Galerien spannten sich um Regale und Kammern, die, unter dem Gewicht einer unübersichtlichen Anzahl an Steintafeln, brüchigen Schriftrollen und Bergen von Artefakten und Geräten, ächzten. Jiy selbst fand sich auf der obersten Ebene der die Kammern umlaufenden Galerien wieder. Treppen und Leitern führten von hier weiter in die Tiefe und auf jeder einzelnen Ebene gab es weitere Abzweigungen, die zu neuen Kammern und Räumen führten. Wenn man nicht wusste, wo man hin wollte, konnte dieser Ort zu einem wahren Labyrinth werden.

Und selbst wenn man es wusste, so war es damit noch nicht getan. Ein dutzend Gelehrte, die aus der Höhe fast wie Ameisen wirkten, wuselten zwischen den Stapeln aus Aufzeichnungen und Relikten umher. Wo Platz war, hatte man Bänke und Tische aufgestellt, auf denen sich ebenfalls bereits alles von antiken Waffen über Papierbögen bis hin zu Juwelen und Talismanen auftürmte. Jiy konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber sie war sich sicher, dass ein nicht unerheblicher Teil der Schätze hier unten magischer Natur war. Schwere Steinsäulen, neben denen einige der ältesten Bäume in den Herzlanden noch wie Zweige gewirkt hätten, trugen die

Decke des Gewölbes und die einzelnen Ebenen der Archive. Ein lautes, metallisches Klingen hinter ihr ließ die Gejarn herumfahren. Jiy lachte leise über sich selbst. Eigentlich hätte sie schon damit rechnen müssen. Die Tür war hinter ihr wieder geschlossen worden. Zwar gab es auch auf dieser Seite eine Winde, aber einfach hier heraus spazieren, das tat niemand. Ein älterer Gelehrter trat auf sie zu. Ein paar strähnen grauer Haare lugten unter der Kapuze seiner blauen Robe hervor. ,,Kann ich weiterhelfen ? Es ist ungewöhnlich, das wir in letzter Zeit so viele Fremde hier unten

haben.“ ,, Genau diese Fremden suche ich.“ , antwortete sie. ,, Keine Sorge, wenn alles gut geht, habt ihr bald wieder eure Ruhe.“ Der Mann bedeutete ihr mit einer Hand, ihm zu folgen. Während sie sich einen Weg über die Galerie suchten, bemerkte er : ,, Es ist eine wahre Schande.“ ,, Wie meint ihr das ?“ Die Gejarn spähte über das Geländer der Ebene in die Tiefe. Seit nun fast einer Woche verbrachte n Kellvian und Erik jeden freien Augenblick in den Gewölben. Sie selber war heute zum ersten Mal hier. Hauptsächlich um nach Kell zu sehen. Stur wie er sein konnte, war er gestern

erst gar nicht auf die Windrufer zurückgekehrt. Und da auch Erik nicht aufgetaucht war, hatten die beiden wohl die ganze Nacht in den Archiven zugebracht. ,,Hier unten verkommt alles.“ , erklärte ihr Führer , als sie eine weitere Treppe erreichten, die durch einen Tunnel in eine weitere Kammer führte. ,, Ich schätze ihr seid nicht von hier, deshalb erwarte ich nicht, das ihr das versteht. Das Wissen das hier unten liegt ist in Helike wenig bekannt. Ganz im Gegenteil es wird gefürchtet und nur wenige von uns wage es, es offen zu studieren. Und wir sehen jeden Tag, was uns dadurch eigentlich verloren

geht…“ ,, Nicht alle Magie ist schlecht, wenn sich auch viel davon zum, Bösen verwenden lässt. Ich habe es gesehen. Aber ich habe auch gesehen wie sie genutzt werden kann um wahre Wunder zu vollbringen. Könntet ihr nicht versuche, das gleiche den Archonten klar zu machen ?“ ,, Wenn die Gelehrten der inneren Stadt irgendwann einmal einen eigenen Platz unter ihnen bekommen… vielleicht. Bis dahin glaube ich nicht, das sie einem von uns auch nur zuhören würden, bevor unser Kopf auf einer Stange vor den Toren der Stadt landet. Nein… wir sind nur dafür da, die Fragen zu beantworten,

für die sich die Archonten zu bequem sind. Gesetzestexte und Geschichte Aufzeichnungen. Die Archive hier sind hingegen mehr ein… Schrottplatz… für alles, was verboten ist. Sie stiegen eine weitere Treppe hinab, die endlich zu letzten Ebene der Kammer führte. Hier bestand der Boden aus blankem Fels. Die Marmorfließen, die sonst alles bedeckten wären unter dem Gewicht der Regale wohl auch einfach zersprungen. Manche davon neigten sich gefährlich. Im Hintersten Winkel der Halle war ein Tisch, der ebenfalls unter Schriftrollen verschwand, zwischen zwei Regalen eingekeilt. Sie hätte die zwei gestalten daran beinahe übersehen.

Hinter dem Stapel aus Papieren praktisch unsichtbar, saß Erik und zog scheinbar zufällig ein Pergament nach dem anderen aus dem Chaos. Er machte sich meist kaum die Mühe, sich die Schriftstücke genau anzusehen. Meist entrollte er die Dokumente nur halb und besah sie sich kurz, bevor er sie achtlos hinter sich warf, wo bereits ein beachtlicher Stapel aus Steintafeln und weiteren Papieren in Richtung Decke wuchs. Kellvian tat offenbar dasselbe, hatte jedoch sichtlich ehr Mühe damit. Er überflog die Texte, nur um dann wieder ein bereits bei Seite gelegtes Dokument zurückzuholen, scheinbar um irgendetwas zu vergleichen.

Jiy trat in Begleitung des Gelehrten zu ihnen. Erik sah nur kurz auf, bevor er wieder anfing, die Stapel aus Dokumenten durchzugehen. Jiy erkannte in vielen Fällen nicht einmal die Sprache. Es schien eine seltsame Mischung aus der Runenschrift der Menschen und der verschlungenen Clanschrift, doch fand sich kein einziges Wort, das für sie einen Sinn ergeben hätte. Der Arzt nickte ihr nur kurz zu und die dunklen Ringe unter seinen Augen sprachen Bände. ,, Morgen… oder Abend… oder… Hier unten verliert man ziemlich schnell die

Übersicht über solche Kleinigkeiten.“ ,,Mittag.“ , erklärte sie und setzte sich zu den beiden an den Tisch. Erik fegte mit einer Handbewegung einen ganzen Stapel Papiere beiseite, so das zumindest wieder etwas Platz frei wurde. Der Arzt streckte sich einen Moment. ,, Kein Wunder, das ich mich so miserabel fühle.“ Er gähnte demonstrativ, bevor er eine kleine Silberflasche aus seinen Instrumentenbeuteln zog und einen tiefen Schluck daraus nahm. ,, Besser.“ , erklärte er hustend, bevor er die Flasche an Kellvian weiterreichte. ,, Was ist da drin ?“ , fragte dieser und roch vorsichtig am Verschluss des

Gefäßes. ,, Es brennt wenn man es anzündet. Soviel weiß ich. Sonst noch Fragen ?“ ,,Ich glaube ich verzichte.“ Kellvian versiegelte die Flasche wieder und reichte diesen an den Arzt zurück. ,, Aber schön, dich zu sehen Jiy.“ ,, Wie sieht es bisher aus ?“ , wollte die Gejarn wissen. ,, Nicht gut.“ , erklärte Kellvian. ,, Es würde Jahrzehnte dauern, alles hier unten durchzugehen und es ist nicht so, das die Archonten oder Gelehrten die Texte nach irgendetwas sortiert hätten. Eher, als hätten sie einfach alles, was ihnen nicht geheuer war gesammelt hier wahllos zusammengekippt. Und ich

verstehe nicht einmal die Hälfte davon. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als alles durchzugehen und zu hoffen, das uns etwas interessantes unterkommt.“ ,,Tausende von Tafeln und Fragmenten. Bruchstücke von Schriftrollen und ganze Bibliotheken mit Abschriften von Wandinschriften und ähnlichem“ Erik schien weitaus besserer Laune, als der übermüdete Kellvian. ,, Ist das nicht Wunderbar ? Es gibt Leute, die würden ihre Seele verkaufen nur um das hier einen einzigen Tag lang studieren zu dürfen…“ ,, Apropos Seele… Das wird auch eine Weile dauern.“ ,, Glaubst du den, es gibt hier eine

Antwort ?“ , wollte Jiy wissen. Kell klang zwar frustriert, aber nicht verzweifelt. ,, Wenn es die irgendwo gibt, Jiy, dann hier.“ , erklärte er und machte eine weit ausholende Bewegung mit der Hand. ,, Sie dir das hier nur einmal alles an. Das Schwierige ist nur, alles, was wir nicht gebrauchen können, auszusortieren. Es gibt hier Kammern und Säle voller belangloser Texte. Staatsaufzeichnungen, Listen, Erik ist gestern über eine kleine Bibliothek zur Schafszucht gestolpert. ,, Zu meiner Verteidigung ich wusste nicht, das das ein Zauber drauf lag. Habt ihr das mittlerweile… beseitigt ?“ , fragte er an den gelehrten hinweg, der

Schweigend bei ihnen geblieben war. ,, Das letzte Schaf hatte sich im Westflügel versteckt.“ , erklärte er nur. ,, Es hat sich aufgelöst, sobald wir nah genug waren, aber nicht, ohne vorher drei Regale umzureißen.“ ,, Wie gesagt,“ , nahm nun Erik den Faden wieder auf. ,, Das Problem ist, das das alte Volk eben auch viel belangloses Hinterlassen hat. Die wenigsten Texte, die mir bisher untergekommen sind, handeln überhaupt von Magie. Aber was ich bisher gelesen habe… Götter es macht mir Angst. Die hohen Zauberer des alten Volkes waren sicher alles… nur nicht menschlich.“ ,, Erik hat jedenfalls gemeint, wir

sollten alle Texte, die in der Gemeindensprache gehalten sind, gleich aussortieren.“ Kell seufzte. ,, Aber selbst so haben wir noch einiges vor uns.“ ,, Gemeindensprache ?“ , wollte Jiy wissen. ,, Das alte Volk war, nach allem was wir wissen vielleicht in ein Kastensystem gegliedert. Oder zumindest gibt es sehr unterschiedliche Dialekte in ihrer Sprache, wenn von bestimmten Themen die Rede ist. Die alltäglichen Dinge sind in der Gemeindensprache gehalten. Diese enthält Grundlagen unserer eigenen, vermutlich leitet sie sich also davon ab. Dann gibt es noch Staatssprache, die man

für amtliche Dokumente nutzte und das obskurste von allen, die Hohensprache. Offenbar wurde letztere nur von den mächtigsten Magiern ihrer Zeit Gelehrt und gesprochen, so das es kaum erhaltene Schriften in ihr gibt. Aber von dem was wir wissen… war sie vielleicht selber bereits eine Form von Magie.“ ,, Wollt ihr mir sagen, das alte Volk hätte Magie allein mit der Stimme wirken können ?“ ,, Nein, das nicht. Nun ja… wir reden hier vom alten Volk, zutrauen kann man denen wohl alles, aber nein, das glaube ich nicht. Aber die Worte selber hatten magische Bedeutung. Vermutlich ging das soweit, das Magie fester Teil der

eigentlichen Grammatik gewesen ist. Das heißt bestimmte Worte wurden mit bestimmten Zaubern kombiniert. Für uns ist das praktisch… nicht vorstellbar. Magie war für das alte Volk so alltäglich wie für uns Brot backen.“ ,, Und während Erik ganz gut darin ist, damit umzugehen, plage ich mich hier noch damit herauszufinden, welcher Text in welcher Sprache gehalten ist. Das bisschen, was Tyrus mir beigebracht hat, reicht grade dafür.“ ,, Was heißt, dass ich den Großteil der Arbeit machen kann.“ , erklärte der Arzt und zog eine neue Schriftrolle aus dem Stapel. ,, Wenn es nur jemanden gäbe, der das hier…. Wirklich versteht. Aber

Helike hat jegliche Wissenden über echte Magie schon vor langer Zeit vernichtet, fürchte ich.“ ,,Vielleicht kann ich ja helfen.“ Der Gelehrte, der Jiy hierher begleitet hatte, stand nach wie vor bei ihnen und machte einen zögerlichen Schritt auf den Tisch zu. ,, Möglicherweise… gibt es ja jemanden, in dem das Wissen, das ihr sucht noch Lebendig ist.“

Kapitel 46 Die Magier von Helike


Kellvian musterte den Mann zum ersten Mal wirklich. Seine grauen Haare verrieten, dass er die fünfzig wohl bereits überschritten hatte. Ohne etwas zu sagen, räumte der Gelehrte ein paar Schriftrollen bei Seite, so dass er Platz am Tisch fand. Dann strich er sich die Kapuze seiner blauen Robe aus dem Gesicht. Seine Züge waren wenig bemerkenswert, auch wenn sie auf Kellvian einen seltsam…künstlichen Eindruck machten. Er konnte sich nicht genau erklären, was er spürte. Als sähe man auf eine trübe Wasseroberfläche

unter der sich etwas bewegte. Was jedoch sofort ins Auge fiel, war die Brandnarbe, die sich über seine Wange zog. Vom Haaransatz in einem Bogen an seinem rechten Auge vorbei, bis zum Kiefer zog sich ein breiter Streifen vernarbter Haut. Für Kellvian hatte die alte Wunde annähernd die Form einer ausgestreckten Vogelschwinge. ,, Ihr werdet hier nichts finden.“ , begann der Gelehrte schließlich wieder zu sprechen. ,, Ihr habt eines richtig erkannt. Die Archonten haben Jahre darin… investiert… hier unten alles verkommen zu lassen. Ich habe über drei Jahrzehnte damit verbracht, die Schriften hier unten zu studieren und

trotzdem… fehlt mir das nötige Verständnis für vieles. Ein Verständnis, das ein echter Zauberer hätte.“ ,, Die einzigen Magier, von denen ich weiß sind Kell… und Zachary.“ , bemerkte Jiy. ,, Und keiner von euch hat wirklich eine Ausbildung, was das angeht…“ ,, Nein.“ , gab Kellvian zu. Auch wenn Tyrus ihm einiges Beigebracht hatte, es waren Bruchstücke. Von allem etwas, aber nichts, das ihm jetzt weiterhalf. Und Zachary hatte sich fast alles selbst beigebracht, davon abgesehen, das er noch ein Stück jünger als er selbst war. ,, Aber wenn ihr darauf hinauswollt, das wir nicht die einzigen mit dem Blut des

alten Volkes sind…“ Der Gelehrte nickte und etwas blitzte in seinen dunklen Augen auf. ,, Vielleicht. Vielleicht nicht. Vielleicht weiß ich aber, wie ihr euch Gewissheit verschaffen könnt. Nur eines…“ Er warf einen nervösen Blick über die Schulter, als wollte er sich vergewissern, dass sie im Augenblick alleine waren. Die nächsten Besucher der Archive waren mehrere Regalreihen entfernt und außer Hörweite. Erst dann fuhr der Mann fort : ,, Kann ich euch trauen, das ihr stillschweigend bewahrt ? Ihr seid nicht von hier und damit nicht den Archonten hörig. Also…“ Kellvian zögerte. Etwas warnte ihn.

Wenn er jetzt zusagte würde er sich daran halten. Das war ihm klar. Aber wer stand hier eigentlich auf welcher Seite? Es mochte Magier in der Stadt geben. Die Frage war nur, ob diese ihnen auch helfen würden. Schließlich nickte er jedoch. ,, Ihr habt mein Wort, das nichts von dem was ihr mir anvertraut, diese Hallen verlassen wird.“ ,, Ich kann Geheimnis ebenfalls… sehr gut bewahren.“ , erklärte Erik. Jiy stimmte ebenfalls zu. ,, Keine Sorge.“ ,, Ich habe wohl kaum eine andere Wahl, als euch beim Wort zu nehmen , ja ? So sei es dann. Es… gibt nicht viele wie mich, die sich aktiv gegen die Archonten

stellen. Und noch weniger Magier, die den Säuberungen entkommen sind. Und doch trotz all ihrer Anstrengungen ist es den Archonten nicht gelungen, in jeder Generation alle Zauberer auszulöschen. Dutzende haben sich Versteckt, sind untergetaucht und neben ihnen gibt es auch Leute wie mich… Leute, die Augen und Ohren sind und die… Gleichgesinnte suchen. Wir müssen sehr vorsichtig sein, aber ihr seid die ersten fremden, die seit Jahrzehnten hier auftauchen und noch mehr…“ Er sah zu Kellvian. ,, Und noch mehr, der erste Fremde Herrscher, der seid Unzeiten diesen Ort betritt. Vielleicht ergibt sich daraus eine

Chance.“ ,, Und wo kann ich diese überlebenden Magier finden ?“ ,, Das ist der Punkt. Es wäre gefährlich, wenn jeder von uns das wüsste. Unsere Schlupfwinkel wechseln so regelmäßig, das selbst unsere Anführer nie genau wissen, wo wir sein werden und selten sind mehr als ein dutzend von uns gleichzeitig irgendwo Anwesend. Selbst wenn einer von uns auffliegt, oder ein Spion sein sollte, ist es ihm nicht möglich uns zu verraten.“ ,, Ihr wisst es also nicht ?“ , fragte Erik. ,, Das, habe ich nicht gesagt. Ich werde es euch nur nicht einfach sagen…“ Der

Gelehrt blickte sich wieder nervös um. ,, Die Wände haben Ohren an den ungewöhnlichsten Orten, wenn ihr versteht.“ Kell seufzte. War ja klar, dass der Mann ihn nicht einfach so zu seinen Antworten bringen würde. Das wäre ja zur Abwechslung einmal einfach gewesen. ,, Nun gut, ich werde sie also finden müssen ?“ ,, Magier finden Magier, oder nicht ?“ , bemerkte sein Gegenüber nur. ,,Schon, aber…“ Kellvian stockte. Eine Idee begann sich zu formen. Auf seine Art hatte der Mann sogar mehr als Recht. ,, Und wenn ich glaube, den richtigen Ort finden zu können, woran glaubt ihr,

könnte ich den erkennen ?“ Der Gelehrte stand auf. ,, Freiheit ist ein grünes Licht.“ Mehr hatte er dazu offenbar nicht zu sagen, den im selben Moment tauchte eine kleine Gruppe weiterer Archivare auf und verschluckte den Mann praktisch. ,, Was machen wir jetzt ?“ , wollte Jiy wissen. Kellvian lächelte. Endlich hatte er eine Spur, der er nachgehen konnte. Und das war allemal besser, als weitere Wochen und vermutlich Monate hier unten zu verbringen. ,, Ich werde einigen Zauberern einen Besuch abstatten müssen. Und ich glaube ich weiß auch schon, wie ich sie finde.“

Er stand ebenfalls auf. ,, Mal sehen, ob Eden beim Schiff ist.“ ,, Ich komme mit.“ , erklärte die Gejarn. Kellvian zögerte. Eigentlich war das die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. Es gab neben den Zauberern noch etwas um das er sich kümmern musste und Jiy sollte davon erst einmal nichts mitbekommen. Auf eine Art war es kindisch und auf die andere brachte es auch etwas… Normalität in dieses ganze Chaos. ,, Ich könnte eure Hilfe hier vielleicht ebenfalls gebrauchen.“ , erklärte Erik. Offenbar hatte der Schiffsarzt erkannt, das Kell irgendetwas beschäftigte. ,, Nur wenn ihr Zeit

habt.“ Kellvian zuckte mit den Schultern. ,, Deine Entscheidung.“ , erklärte er nur. Es würden sich durchaus noch andere Gelegenheiten finden. ,, Magier oder alte Schriftrollen ,wie ?“ Sie schenkte ihm ein schelmisches Grinsen. ,, Ich glaube tatsächlich beim sortieren von Büchern bin ich noch die größere Hilfe. Nur… pass auf dich auf.“ ,, Mache ich das nicht immer ?“ ,, Kellvian, wenn du dein normales Verhalten als Vorsichtig bezeichnest, will ich nicht wissen, was passiert, wenn du Unaufmerksam wirst.“ , erklärte die Gejarn. ,, Habt ihr eigentlich schon irgendetwas gefunden, was uns

zumindest am Portal weiterbringen könnte ?“ Erik brummte einen Moment vor sich hin. ,, Vielleicht. Auf jeden Fall ist es ziemlich interessant. Es gibt da ein paar Namen, die immer wieder in den Aufzeichnungen auftauchen, aber bisher… Nichts, das ich als wirkliche Spur bezeichnen würde. Dazu Berichte über irgendeine Katastrophe, die das alte Volk ereilt hat, auch wenn sie sich darüber ausschweigen, um was genau es dabei ging. Aber wenn ich mit meinen Vermutungen richtig liege… Wir könnten einen Hinweis darauf erhalten, was den Untergang des alten Volkes zu verantworten hatte. Und wenn wir das

schaffen, sollte es ein Kinderspiel sein, eine Antwort auf das Torrätsel zu finden.“ Cyrus saß auf dem Schiffsdeck und genoss die Sonne. Noch war es nicht ganz Mittag und die Temperaturen noch erträglich. Erst im Verlauf der nächsten Stunden würde die Sonne die Bewohner Helikes von den Straßen und in die kühle Sicherheit ihrer Häuser treiben. Zumindest bis zum Abend wenn die länger werdenden Schatten etwas Schutz boten. Es war ein anderer Lebensrhythmus, als er ihn selbst aus Kalenchor kannte. Die meisten Arbeiten wurden am frühen Morgen oder Abend

erledigt, während die Straßen während des Nachmittages fast verlassen waren. Nur die immer präsenten Wachen zogen auch während der Mittagshitze noch durch die Stadt. Zum wiederholten Mal fragte er sich, ob die zusätzlichen Soldaten wirklich nur wegen ihnen hier waren oder ob es doch einen anderen Grund dafür gab. Die Frage war jedoch schnell wieder vergessen, als Zachary an Deck auftauchte. Der junge Magier hielt sich, wie er und die restliche Crew der Windrufer, jetzt die meiste Zeit auf dem Schiff auf. Soweit er das beurteilen konnte, war ihre eigentliche Aufgabe erledigt. Nun lag es an Erik oder Kellvian irgendeine Spur zu finden und

so lange, saßen sie wohl erst einmal fest. Anfangs hatte Cyrus noch die Gebäude und Läden am Hafen erkundet, mittlerweile kannte er den Ort jedoch wie seien Westentasche. Und es gab inzwischen andere Dinge, die schon verhinderten, dass ihm langweilig wurde. Der Gedanke brachte ihn unwillkürlich zum Schmunzeln. Eden war... Fordernd und er selber auch nicht grade ein Romantiker, das wussten die Götter. Und natürlich hatte Zachary mittlerweile mitbekommen, was Sache war. Da war sich Cyrus ziemlich sicher. Der Junge setzte sich, ruhig wie immer, zu ihm aufs Schiffsdeck. Eden war hingegen nirgendwo zu sehen. Soweit der Gejarn

wusste, war sie am Hafen und verhandelte mit einigen der Händler dort. Die Archonten kamen nicht für die Versorgung von drei fremden Kriegsschiffen auf und so blieb es an ihnen, sich darum zu kümmern. Zum Glück, dachte er, war Geld die geringste Sorge die man hatte, wenn man zufälligerweise mit dem Kaiser Cantons reiste. ,, Dafür darf ich mich mit lebendem Stahl herumschlagen.“ , murmelte er zu sich selbst. Aber… es könnte sicher schlimmer sein, nicht ? ,, Ich glaube nicht, das sie wirklich… Leben.“ , bemerkte Zac, der ihn offenbar gehört

hatte. ,, Na für mich sahen die ziemlich lebendig aus.“ ,, Nur weil sich etwas Bewegt muss es doch noch nicht am Leben sein oder ?“ , fragte Zachary. Das nicht. Nein… Andere Maschinen taten das auch nicht? Ein Mühlrad beispielsweise, aber ein Mühlrad attackierte einen wenigstens nicht mit Metallklingen, die selbst Knochen und Panzer mühelos durchschnitten. ,, Ich glaube, die Frage überlasse ich Leuten, die sich damit auskennen.“ , erklärte Cyrus. Erik beispielsweise. ,, Es sei den du bist wirklich nur hier um mit mir darüber zu diskutieren, ob Stahl

leben kann.“ ,,Nein.“ Der Junge zögerte. ,, Aber…“ Er war sich offenbar nicht sicher, wie er Anfangen sollte, aber Cyrus fand seine Vermutung ohnehin nur bestätigt. ,, Ich schätze ich liebe sie. Das ist ein Schweres Wort, aber... Es kommt der Wahrheit wohl am nächsten, glaube ich. Moment… Das macht mich nicht zu deinem Ziehvater, oder?“ Zachary lachte. ,, Ich glaube, wir wären die seltsamste Familie Cantons.“ ,, Wem sagst du das.“ Aber irgendwie hatte der Gedanke etwas für sich, oder ? Seltsam, das er darüber nachdachte, aber… er könnte sein Leben vielleicht wirklich mit diesen zwei verbringen.

Ewig auf See bleiben wollte er nicht, aber möglicherweise ließ sich Eden ja davon überzeugen sich irgendwann einmal irgendwo niederzulassen. Es war ein… interessanter Tagtraum über etwas, das ihm selber immer gefehlt hatte. Feste Wurzeln, auf die er zurück blicken konnte. Eine, zumindest halbwegs, normale Familie. ,,Und zwei professionelle Mörder sind ohnehin zwei zu viel für…. Normale Verhältnisse.“ Und ohnehin war es bestenfalls eine fixe Idee, nichts, das jemals Wirklichkeit werden würde, oder ? ,, Und es setzt voraus, das wir alle Unbeschadet hier herauskommen.“ , fügte Cyrus noch

hinzu. ,, Und das glaubst du nicht ?“ Zachary musterte den Wolf fragend. ,, Bisher hatten wir alle immer mehr Glück als Verstand. So hart das klingen mag. Aber wir sollten es besser alle versuchen.“ Es würde schon alles gut gehen, dachte er. Für den Augenblick waren sie zumindest in Sicherheit. Die Archonten arbeiteten mit Kell und den anderen zusammen und Helike wohl so gut geschützt, wie kaum ein anderer Ort hier draußen. Noch dazu saßen sie auf einem Schiff mit vollständiger Besatzung. Trotzdem kam ihm der Gedanke, sich einmal näher auf dem Schiff umzusehen

gar nicht so dumm vor. Einfach nur, weil es ja nichts Schaden konnte. Sobald er die Gelegenheit dazu fand. Und wenn es nur war um dem plötzlich kalten Gefühl, das sich in seiner Magengegend festgesetzt hatte, etwas entgegenzusetzen. Bevor er jedoch näher darüber nachdenken konnte, tauchten Eden und Kellvian an der Hafenmole auf und die Gejarn sprang mit wenigen Sätzen an Bord. Der Mensch nahm lieber die Laufplanke und grüßte sie beide kurz. ,, Ich könnte Zacharys Hilfe gebrauchen.“ , erklärte er. Cyrus vergaß, was ihm grade eben noch so wichtig erschienen war und das flaue

Gefühl… das war wohl wirklich nur ein Gefühl. Seine Sorgen sollten ihm erst wieder einfallen, als es zu spät für sie alle war.

Kapitel 47 Spurensuche


Kellvian fand Eden, noch bevor er die Windrufer erreichte. Die Kapitänin stritt sich scheinbar mit einem einheimischen Händler. Eden stand im Eingang eines kleinen Warenlagers. Ihr gegenüber befand sich ein Mann, der der Gejarn grade bis zu den Schultern reichte, aber offenbar genau so energisch auf seinem Standpunkt behalte. ,, Ich sage es euch nochmal. Das ist der normale Preis.“ ,, Nun dann hört mir einmal ganz genau zu, ich habe drei Schiffe mit Besatzung durchzufüttern und ihr verlangt von mir

das doppelte, von dem was ihr eure Leute zahlen lasst. “ Der Mann zuckte nur abwehrend mit den Schultern. ,, Ihr könnt euch gerne an jemand anderen Wenden. Ihr seid Fremd hier… woher soll ich wissen, das ihr überhaupt bezahlen werdet und nicht die Sachen packt, sobald die Ware am Hafen ist?“ Die Sache war klar. Es ging dem Mann scheinbar nicht nur um das Geld, sondern nur darum, sie los zu werden. Und vermutlich würden sie auch bei den Übrigen Geschäften im Hafen kaum Glück haben, sobald herauskam, dass sie für die kaiserlichen Gardisten Vorräte brauchten. Die alte Feindschaft saß nach wie vor zu

tief. Kellvian sah, das Eden kurz davor war, die Geduld zu verlieren. Offenbar lief die Diskussion schon eine ganze Weile so hin und her. Auch der Händler bemerkte wohl, dass die Gejarn ihm gegenüber zunehmend düsterer drein sah und machte einen kleinen Schritt rückwärts. Auch wenn Kellvian sich sicher war, das der Mann jetzt einlenken würde… er konnte auch nicht riskieren, das sich der Händler bei den Archonten beschwerte. Deshalb trat er rasch zwischen die beiden. ,, Vielleicht weil ich euch garantiere, das man euch bezahlen wird ?“ Der Händler blinzelte verwirrt. Offenbar

hatte er nicht damit gerechnet, dass sich jemand in den Streit einmischen würde. Er besah sich Kellvian einen Moment. ,, Und wer genau seid ihr bitte ?“ ,,Mir gehören zufällig die Schiffe, um die es hier geht.“ , erklärte er nur. Eden runzelte die Stirn. Natürlich unterstanden zumindest die Windrufer nach wie vor ihr. Aber er würde den Händler jetzt sicher nicht lange darüber aufklären, wer hier den Befehl über was hatte. Stattdessen fischte er eine Goldmünze aus seiner Tasche. Das Geldstück trug das Wappen Cantons auf der Vorderseite und nahm seine komplette Handfläche ein. Ein einzelnes Stück Kaisergold war ein Vermögen

wert. Der Händler glotzte ihn nur verdutzt an, als er die Münze aufblitzen sah. Rasch sah er mehrmals zwischen dem Gold und Kellvian hin und her. ,, Seht es als Pfand. Ihr bringt mir die verlangten Vorräte bis Morgen an die Docks im Hafen. Zum normalen Preis. Für den Rest unseres Aufenthalts hier, wiederholt ihr das jede Woche. Wenn ich danach mit euch Zufrieden bin, bekommt ihr bei unserer Abreise drei dieser Münzen.“ Er drückte das Goldstück dem Mann in die Hand. ,, Seht das hier als Vorschuss für die erste Lieferung. Morgen. Kommt zu spät und ich lasse sie euch von Eden hier wieder abnehmen.“ ,,Ich würde mich darauf freuen.“ ,

erklärte die Gejarn nur, bevor Kellvian ihr bedeutete, ihm doch bitte zu Folgen. Die Sache war eigentlich erledigt, das hatte er dem Händler ansehen können. Der Mann würde schlicht und ergreifend nicht auf das Gold verzichten wollen, dachte Kellvian. Eden folgte ihm schließlich, mit einem letzten Blick zurück über die Schulter. ,, Damit wäre ich schon fertig geworden.“ , erklärte sie immer noch gereizt. ,, Der Kerl kostet uns auch so noch ein Vermögen.“ ,, Ich weiß, aber wir können hier wirklich keinen Ärger gebrauchen.“ , antwortete er beschwichtigend. ,, Und Geld ist nicht wirklich das Problem.“

Kellvians Hand wanderte kurz in seine Manteltasche, nur um sich zu überzeugen, das noch alles da war. Auf dem Weg hierher hatte er einen Goldschmied aufgesucht. Der Mann war um einiges freundlicher gewesen, als ihre Begegnung grade eben und nach einem kurzen Gespräch hatte der Mann sich direkt an die Arbeit gemacht. Kellvian hatte nicht lange über die Details nachgedacht, schließlich jedoch, war ihm doch eine Idee gekommen, die sich sicher sehen lassen würde. Zwei Ringe , einer aus Silber, der andere aus Gold, von denen einer das Adlerwappen und der andere das Löwenwappen tragen

sollte. Jetzt musste er nur noch eine passende Gelegenheit finden. ,,Wolltet ihr eigentlich etwas bestimmtes ?“ , fragte Eden. Zuerst jedoch gab es noch einiges zu tun, wie es aussah. Kellvian nickte. Sie kamen aus den verwinkelten Straßen heraus ans Wasser des Hafenbeckens. Die Sonne spiegelte sich auf den Wellen und abgesehen von einigen Fischerbooten im Meer und einzelnen Leuten auf der Straße wirkte die Umgebung fast verlassen. Die Sonne hatte ihren Zenit grade erreicht und damit begann die wärmste Zeit des Tages, in der sich nur draußen aufhielt, wer keine Wahl hatte. ,, Eigentlich wollte ich euch Fragen, ob

ihr Zachary für ein paar Stunden entbehren könntet.“ ,,Das schon nur… wozu ?“ Kellvian sah ihr an, das sie kurz misstrauisch wurde. Zumindest, bis sie sich zu erinnern schien, mit wem sie sprach. Er hatte ihr nie Anlass gegeben, ihm nicht zu vertrauen. Aber an Zac ließ sie nichts rankommen, das war ihm auch klar. ,, Es gibt vielleicht Zauberer in Helike. Und vielleicht können sie mir weiterhelfen. Das Problem ist aber, das niemand genau weiß, wo sie zu finden sind. Oder man es mir zumindest nicht verraten will.“ ,, Und wie soll Zachary euch dabei helfen

?“ ,, Wenn es Magier sind und sie ihre Fähigkeiten auch benutzen, dann hinterlassen sie dabei Spuren. In Canton gibt s sie überall, daher ist es sehr schwer, dort einen Zauberer nur anhand dessen aufzuspüren. Hier hingegen fehlt diese Hintergrundmagie fast völlig.“ ,,Ihr meint also, ihr könntet sie dadurch finden, das ihr einfach ihrer Spur folgt… wie man einen Geruch verfolgt, bis man seinen Ursprung findet.“ ,, So in der Art.“ , bestätigte Kellvian. ,,Könntet ihr das nicht selbst ?“ Er schüttelte den Kopf. ,, Ich bin schon Miserabel darin, wenn es nur darum geht, Jiy zu finden. Und sie kenne ich

wenigstens. Zachary ist hoffentlich etwas geschickter und selbst wenn nicht, können wir zu zweit ein größeres Gebiet absuchen.“ ,, Natürlich. Aber unter einer Bedingung. Ich komme mit.“ ,, Etwas Unterstützung kann nicht schaden.“ Er wusste nicht ob es nicht besser wäre, allein zu sein, wenn er die Zauberer fand. Aber nur für den Fall, das sie nicht grade freundlich auf jemanden reagierten, der sie einfach so aufspüren konnte, würde ein zweites Schwert sicher nicht Schaden. Sie hatten mittlerweile die Docks erreicht, an denen die Windrufer lag. Sobald sie nah genug waren, setzte Eden

einfach vom Steg und zog sich mit einem Hüpfer über die Reling des Schiffs. Kellvian blieb doch lieber auf dem Boden und lief rasch eine der schweren Holzplanken hinauf, die das Schiff mit der Mole verbanden. An Deck warteten bereits Cyrus und Zachary, die scheinbar an einem der Masten saßen. ,,Ich könnte Zacharys Hilfe gebrauchen.“ , erklärte Kell, während der Gejarn sich aufrichtete. Eden erklärte rasch, was er vorhatte. Zyle hatte sich schließlich doch entschlossen, sein altes Haus aufzusuchen. Nach einer Woche, in denen es keine neuen Hinweise gab und

die Erik wie Kellvian fast ausschließlich in den Archiven verbrachten, bezweifelte er, das sich so schnell eine Spur finden würde. Bisher hatte er noch niemanden von seinem eigenen Auftrag erzählt. Und wenn möglich würde er das auch erst einmal nicht. Verdammt, er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt versuchen sollte, ihn zu erfüllen. Wenn das alles vorbei war, was hinderte ihn daran, wieder mit den anderen nach Canton zu gehen? Die Archonten konnten ihn nicht halten. Aber er kannte die Antwort. Er hatte sich lange dafür entschieden, zu bleiben. Er hatte hier Verantwortung. So wie Wys. Zu seiner eigenen Überraschung war sein

Haus noch in genau dem gleichen Zustand, in dem er es verlassen hatte. Das Gebäude lag im Bezirk der Heiler und das merkte man. Die Straßen waren hier ruhiger als im übrigen Helike und selbst die allgegenwärtigen Wachen respektierten die vielen Hospitale und Heime, die den Großteil des Bezirks einnahmen. Er begegnete mehr als einem der Ärzte und Heiler, die leicht an ihren dunklen Kitteln zu erkennen waren. Diese Farbe hatte genau einen Zweck. Blutflecken und Spritzer zu verbergen. Denn so ruhig der Bezirk nun auch wirkte, nach einer großen Schlacht verkehrte sich das ins Gegenteil. Dann liefen die Straßen über mit

Krankentransporten und besorgten Angehörigen und den nicht zu vermeidenden Leichenzügen, wenn die Toten für die letzten Riten in die innere Stadt gebracht wurden. Weitere Bewohner des Bezirks bildeten die Veteranen und Invaliden der Armee. Männer und teilweise auch Frauen, die im Kampf schwer genug verletzt worden waren, das sie nie wieder aktiv an einer Schlacht teilnehmen würden. Manchen fehlte ein Arm, anderen ein Auge… Es war ein trauriger Anblick, generell waren diese Überlebenden jedoch hoch angesehen und Helike kam für die meisten auf. Es war der Preis für eine Gesellschaft, die den Großteil ihrer

Geschichte von Kriegern beherrscht worden war. Zyle blieb auf der Straßenseite gegenüber seinem Haus stehen. Auf den ersten Blick wirkte der Bau leicht Windschief. Die Ziegel auf dem Dach saßen Schräg und nicht wie eigentlich beabsichtigt in graden Reihen. Zyle hatte das nicht gestört, das Dach war dicht und darauf kam es an, dachte er, als er rasch die Straße überquerte. Er hatte keinen Schlüssel bei sich, aber neben der Tür gab es ein kleines Fenster. Und einer der Ziegel darunter war schon immer locker gewesen. Zyle hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, einen Ersatzschlüssel dahinter zu verstecken und tatsächlich hatte er Glück. Sobald er

den Stein entfernte konnte er ein Stück Metall aufblitzen sehen. Es gab insgesamt vier Räume, eine einfache Küche, die er ohnehin selten benutzt hatte, eine Schlafkammer, ein primitives Bad und den Raum, den er direkt durch die Haustür betrat. Ein kleines Allzweckzimmer, in dem neben einem Tisch nur noch ein Schrank stand. Darin befanden sich, wenn er sich richtig erinnerte, einige Kleidungsstücke, die aber nach einem Jahr Abwesenheit wohl den Motten zum Opfer gefallen waren. Auf allem lag eine dicke Staubschicht. Aber ansonsten, dachte er, als er die Küche betrat, hatte sich nichts verändert. Er würde sich entweder selber darum

kümmern müssen hier alles wieder auf Vordermann zu bringen oder jemanden dafür bezahlen. Vielleicht könnte Wys ja auch helfen, dachte er schmunzelnd. Irgendjemand hielt ja auch die innere Stadt in Schuss, da würde es nicht weiter auffallen, wenn derjenige für einen Tag ein Haus in der äußeren Stadt herrichtete. Seit Samiels Tod und ihrer Rückkehr hatte er seinen Bruder nicht mehr gesehen. Wys war nach wie vor damit beschäftigt, Ordnung in die neue Situation im Archontenrat zu bringen. Die verschobenen Machtverhältnisse wären wohl nicht einfach wieder auszugleichen. Cadus und Chonar

versuchten natürlich, mit allen Mitteln, die neue Wahl eines fünften Archonten zu verzögern. Laos hätte den Disput der Archonten sicher jederzeit mit einem Machtwort beenden können, aber der Mann hielt sich wie seit seiner Ankunft hier zurück. Auch wenn er Zyle gesagt hatte, das er sich nicht einmischen würde, was die Gesetze anging… Wenigstens eine derartige Unannehmlichkeit könnte er doch beseitigen, oder? Aber das einzige, was das Interesse des großen Lehrers zu haben schien, war das Portal in den Minen. Der Rest hingegen, gewann Zyle langsam den Eindruck, war ihm völlig egal. Das war aber bei weitem nicht das

seltsamste an dem Mann. Der Gejarn hatte gesehen, wie er in den Minen getroffen worden war. Davon war er nach wie vor überzeugt. Nur konnte Zyle sich nach wie vor nicht erklären, wie Laos das unbeschadet hatte Überstehen können. Irgendetwas war immer noch faul an der ganzen Sache. Zyle ließ den Blick über die Küche wandern. Die Überreste einiger verbrannter Holzscheite lagen noch im Ofen. Er hatte nicht gewusst, was er an diesem Ort erwartet hatte. Vielleicht, das das Gefühl von Heimkehr endlich einsetzte. Aber das blieb aus. Im Gegenteil. Das Haus hatte etwas Trostloses. Vielleicht würde er es doch

so lassen wie es war. Für ihn war es keine Heimat mehr… Zyle verließ die Küche wieder, ohne auch nur einen Blick in die übrigen Räume geworfen zu haben, und trat durch die Haustür auf die Straße. Gedankenverloren verschloss er die Tür und legte den Schlüssel wieder an seinen Platz unter dem Stein. Das war vermutlich das letzte Mal, das er hier gewesen war, dachte er. Zyle drehte sich grade um, um wieder den Weg Richtung Hafen einzuschlagen, als jemand fast in ihn hereinrannte. Er erhaschte nur einen kurzen Blick auf einen blauen Kapuzenmantel , wie ihn die Gelehrten trugen und fliegende braune Haare, dann war die Gestalt auch

schon an ihm vorbei. ,,Haltet sie!“ Im nächsten Moment kamen auch schon mehrere Stadtwachen, darunter zwei Paladine und die hoch aufragende Gestalt eines Riesen um die nächste Straßen-Ecke gehetzt. Er hatte in letzter Zeit wenige der Kreaturen gesehen, vermutlich hielten sie sich bei der angespannten Lage lieber in ihren Dörfern weit entfernt in der Ebene auf. Ihr Bündnis mit Laos war ohnehin bestenfalls Zweckmäßig. Die Männer waren durch ihre Rüstungen gebremst und viel langsamer als die fliehende Gestalt. Zyle wagte zu bezweifeln, dass sie sie einholen würde. Er hingegen… Aber das ging ihn nichts an, oder? Der

Gejarn zögerte. Er war nach wie vor ein Schwertmeister Helikes, auch wenn das Silberband an seiner Linken das Lügen strafen wollte. Und als solcher sollte er zumindest herausfinden, was hier vor sich ging. Bevor er es selber merkte, rannte er der Gestalt auch schon hinterher, die Wachen irgendwo hinter sich zurück lassend.

Kapitel 48 Ein sicheres Haus


Zyle erhaschte einen Blick auf einen Streifen blauen Stoffs, der grade um eine weitere Häuserecke verschwand. Er beschleunigte seine Schritte noch einmal etwas. Die Wachen hatte er mittlerweile ein gutes Stück hinter sich zurück gelassen. Die Männer hatten vermutlich keine Ahnung wer er war und wunderten sich sicher, wer die zweite Person war, die plötzlich vor ihnen herrannte. Der Gejarn bog in die Seitenstraße, in der die Gestalt verschwunden war. Irgendwie hatte sie sich wohl selbst in die Enge getrieben, dachte er bei sich.

Zyle kannte die Wege und Gassen hier in der Nähe und wenn er sich nicht täuschte, endete dieser hier in einer Sackgasse ohne zweiten Ausgang oder weitere Abzweigungen. Lediglich ein Bogen ein paar hundert Schritte weiter nahm einen die Sicht, auf die Mauer, an der der Fluchtweg unweigerlich Enden musste. Die Häuser ragten zu allen Seiten auf, mehrstöckige Bauten, die zu hoch waren um einfach heraufzuklettern. Selbst wenn die Wände aus roten Steinziegeln irgendeinen Halt geboten hätten. Zyle hatte die Kurve fast erreicht, als auch die Stadtwache endlich die Gasse betrat. Der Fremde konnte jetzt kaum mehr entkommen, dachte Zyle.

Er wollte den Wachen bedeuten, stehenzubleiben, überlegte es sich dann aber anders. Die Männer hätten keine Ahnung, wer er war und er wollte es ihnen nicht erklären müssen, während der Flüchtige nach wie vor entkommen konnte. Stattdessen hechtete der Gejarn, die Hand am Schwertgriff, um die Ecke. Erleichtert stellte er fest, dass er sich nicht geirrt hatte. Die Straße endete direkt vor einer Häuserfassade. Der Flüchtige hatte seinen Fehler nun offenbar auch bemerkt. Die in blaue Gelehrtengewänder gekleidete Gestalt wurde langsamer. Rasch warf sie einen Blick zurück zu ihren Verfolgern und dann wieder auf die Mauer. Zyle konnte

ihre Züge unter dem Mantel kaum erkennen. Eines jedoch war schnell klar. Sie verfolgten keinen Mann. Und offenbar noch dazu eine Gejarn. ,,Bleibt endlich stehen und ich kann euch vielleicht helfen hier Lebend wieder heraus zu kommen. Nur versucht erst gar nicht, zu entkommen“ , rief er und zog gleichzeitig das Schwert. Er wusste nach wie vor nicht, was genau überhaupt vor sich ging. Die Wachen könnten es ihm erklären, sobald sie endlich hier waren. Aber er würde kein Risiko eingehen. Blieb die Fremde wo sie war, gut. Aber machte sie auch nur eine falsche Bewegung… Ein seltsames Grinsen huschte über das

Gesicht unter der Kapuze, als wollte sie sagen: Versuch mich daran zu hindern. Dann machte sie einen Schritt nach vorne, auf die Wand zu .Die Frau verschwand, noch bevor ihr Fuß wieder den Boden berührte. Tiefrote Flammen loderten einen Moment auf und hüllten ihre Gestalt völlig ein, bis nicht einmal mehr ihre Umrisse zu erkennen waren. Alles, was danach zurück blieb, waren ein paar glühende Flocken und etwas dunkler Rauch, der rasch verweht wurde. Zyle brauchte einen Moment, bis er ganz Verstand, was grade passiert war. Wo war sie hin? Und was bitte, war das grade gewesen? Ein Teil von ihm, glaubte die Antwort zu kennen. Magie.

Der Gejarn machte einen unsicheren Schritt vorwärts. Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung war. Auf dem Dache eines der Gebäude stand jemand… Bevor Zyle jedoch dazu kam, sich danach umzusehen, holte ihn endlich die Stadtwache ein. Die Männer waren gerannt und hörbar außer Atem. Abgesehen von dem Riesen, der die übrigen leicht um das doppelte Überragte. Selbst die zwei Paladine in der Truppe machten der Gestalt lieber respektvoll Platz. Einer von ihnen, offenbar der Anführer der kleinen Truppe, kam mit großen Schritten auf Zyle zu. ,,Wo bei Laos ist sie hin ?“ , verlangte

er zu wissen und versuchte den überraschten Gejarn zu packen. Dieser wich dem Griff elegant aus und schlug die Hand des Mannes mit der flachen Schwertseite weg. ,,Woher bitte soll ich das wissen ?“ , erwiderte er nun ebenfalls angespannt. ,,Ich hab ihr ganz sicher nicht geholfen, wen ihr das glaubt.“ Die Männer wussten scheinbar wirklich nicht, dass er zu den Schwertmeistern gehörte. Aber das würde sich aufklären lassen. Nur ärgerlich war es allemal. ,,Ach ?“ Der Paladin ließ die Hand unter seinem Umhang verschwinden, offenbar suchte er nach seiner eigenen Waffe. ,,Und was bitte ist das ?“ Er nickte auf

Zyles freie Hand. Während der kurzen verfolgungsjagt musste der Ärmel seiner Weste leicht verrutscht sein und gab den Blick frei auf ein Stück Silber, das ohne erkennbare Unterbrechung um sein Handgelenk geschlossen war. Der Gejarn seufzte. Natürlich… Er hätte den Reif längst entfernen lassen sollen, dachte er. Nun dafür war es jetzt zu spät. ,,Ich bin nicht…“ Der zweite Paladin in der Gruppe ließ ihn nicht ausreden. ,,Offenbar haben wir hier einen Ausgestoßenen. Man hat euch aus Helike verbannt, was glaubt ihr dadurch zu erreichen, die Stadt einfach wieder zu betreten?“ Jetzt zogen auch die übrigen Männer die

Waffen. Zyle seufzte entnervt. ,,Ihr könntet mir auch einfach kurz zuhören, dann erkläre ich es euch.“ , erwiderte er, wusste jedoch schon, das er auf taube Ohren stieß. ,, Aber wenn es wirklich sein muss, dann bringt mich eben zu…“ Bevor er den Satz beendet hatte, loderten Feuer zwischen ihm und den Stadtwachen auf. Zyle wich, genau wie die anderen instinktiv von dem rubinroten Feuer zurück. Obwohl es keinerlei Hitze ausstrahle, die instinktive Angst war in diesem Moment stärker als der Verstand. Die Flammen verloschen schon nach wenigen Augenblicken wieder und gaben den

Blick auf eine Gestalt in blauer Robe frei, die scheinbar aus dem nichts aufgetaucht war. Es war die gleiche, die Zyle hierher verfolgt hatte. Zyle ließ die Hand sinken, die er hochgerissen hatte, um sich vor dem falschen Feuer zu schützen. Die Stadtwache hingegen rückte wie auf ein stummes Kommando enger zusammen. Nur der Paladin, der Zyle als erstes angesprochen hatte, riss sofort das Schwert hoch und schlug nach der Gestalt, die wie aus dem nichts aufgetaucht war. Bevor die Klinge sie jedoch traf, riss sie eine Hand hoch und ein greller Blitz traf den Mann in die Brust. Als hätte ihn die Faust eines

wütenden Gottes getroffen, wurde er rückwärts in die Reihen seiner Leute geschleudert, die ebenfalls stolperten und stürzten. Im gleichen Moment wirbelte die fremde Frau herum und packte Zyles Handgelenk. ,,Ihr könnt mir später für die Rettung danken.“ , erklärte sie. ,,Moment, ich war nie…“ Zum wiederholten Mal an diesem seltsamen Tag kam er nicht dazu, auszusprechen. Bevor er Begriff, was geschah, loderte rotes Licht um ihn und die Fremde auf und die Welt schein plötzlich aus den Fugen zu geraten. Oben wurden plötzlich zu Unten, Mauern und Häuser rasten in

wilder Folge und mit unvorstellbarer Geschwindigkeit an ihm vorbei… Dann kam der Sturz ins Nichts zu einem plötzlichen Halt. Zyle hatte sich darauf vorbereitet, das ihn der verbleibende Schwung nach vorne Schleudern würde. Stattdessen stolperte er nur einen einzigen Schritt weit und blieb dann stehen. Es gab keinen Impuls… Dafür war ihm so schwindlig wie noch nie zuvor in seinem Leben. Wenigstens hatte er wieder festen Boden unter den Füßen, dachte Zyle, während er einen Moment die Augen schloss und darauf hoffte, dass die Welt endlich anhielt. ,,Man gewöhnt sich daran, glaubt mir.“, meinte eine Stimme neben ihm. Sie

klang seltsam rau, wie bei einem Steinmetz, der sein Leben Felsstaub eingeatmet hatte, oder wie bei jemand, der zu viel Rauch eingeatmet hatte. Zyle zwang sich, wieder aufzusehen. Er sah die Stadt von oben. Genauer gesagt, vom Flachdach eines Turmbaus aus, der hoch über den Bezirk ragte. In ihrem Rücken befand sich die Mauer der inneren Stadt. Mit einer Hand stützte der Gejarn sich an dem Kaminschlot, der aus dem Dach ragte, ab und spähte hinab auf das Schachbrettmuster der Straßen. Eigentlich hatte er keine Höhenangst, trotzdem machte er sicherheitshalber einen Schritt weg von dem gähnenden Abgrund. Stattdessen drehte Zyle sich in

Richtung der fremden Stimme um. Seine vermeintliche Retterin hatte sich die Kapuze aus dem Gesicht gestrichen. Die Stimme wollte nicht so recht zu der Frau vor ihm passen. Die Fremde Gejarn war ein Schakal. Dunkelbraune Haare rahmten ein Gesicht ein, das wohl noch keine dreißig Winter nicht überschritten hatte. Kurzes, schwarzes Fell , durch das sich einige graue Streifen zogen, bedeckte Haut und Ohren, die unter der Kapuze verborgen gewesen waren. Ein paar bernsteinfarbener Augen musterte ihn ruhig und mit einem seltsamen Funkeln, das ihre äußere Gelassenheit lügen zu strafen schien. Zyle bekam lediglich

bestätigt, was er schon wusste. Er kannte sie nicht. Man hätte sie wohl einfach hübsch nennen können, wenn die Narbe auf ihrer rechten Wange nicht gewesen wäre. Als hätte ihr jemand eine brennende Vogelschwinge aufgedrückt, zog sich ein breiter Streifen blanker Haut von ihrem Kiefer bis kurz unter das Auge. ,,Wer seid ihr ?“ , fragte Zyle schließlich, als er seine Sprache wiederfand. ,,Und was bitte ist grade passiert…“ Er spähte wieder in die Tiefe. ,,Wo sind wir ? Und warum bei Laos bringt ihr mich hierher?“ ,,Ziemlich viele Fragen, meint ihr nicht auch ?“ , erwiderte sie leicht spöttisch.

,,Mein Name ist… Relina“ Sie zögerte kurz, so als hätte sie darüber nachdenken müssen. ,,Und ich habe euch grade eben gerettet. Keine Ursache übrigens.“ Zyle verschränkte die Arme vor der Brust. ,,So wie ich das sehe, waren die vor allen einmal hinter euch her.“ ,,Ach und das tragt ihr nur zum Spaß, wie ?“ Relina deutete auf seinen linken Arm. Zyle schlug rasch den Ärmel seiner Weste wieder über sein Handgelenk. Sollte sie doch glauben, was sie wollte… ,,Warum war die Stadtwache eigentlich hinter euch her ?“ ,,Brauchen die heute wirklich noch einen Grund ?“ , erwiderte sie und schlug die Kapuze wieder hoch. ,,Ich habe eben

einmal nicht aufgepasst, als ich mich wieder aus der inneren Stadt geschlichen habe.“ ,,Ihr wart in der inneren Stadt ?“ ,,Das ist gar nicht so schwer. Nur auf dem Weg zurück hatte ich leider…Schwierigkeiten. Normalerweise erkennen mich die Wachen nicht. Nur ausgerechnet heute war ich nicht vorsichtig genug.“ Zyle wollte schon wieder ein dutzend neue Fragen stellen. Wer war diese Frau? Sie hatte bereits unter Beweis gestellt, dass sie über Magie verfügte, aber… war das überhaupt möglich?Noch dazu hatte Kellvian ihm einmal erzählt, das Teleportzauber zu der komplexesten

Magie gehörten, die es gab. Und darum musste es sich hierbei handeln. Relina schien sie jedoch ständig zu verwenden. Sie treckte ihm eine Hand hin. ,,Wir sollten nicht ewig hier herumstehen.“ , erklärte die Gejarn. Zwar kann usn von den Straßen aus niemand sehen, aber einer der Posten in der inneren Stadt könnte misstrauisch werden, was zwei Leute auf einem Turmdach zu suchen haben.“ Zyle nickte lediglich und ergriff die dargebotene rechte. In dem Augenblick, wo sich ihre Hände berührten, verlor die Welt erneut jede Konsistenz. Land und Himmel wirbelten ineinander, bis er schließlich wieder Boden unter den

Füßen hatte. Der Übergang war erneut ein kleiner Schock, aber offenbar hatte Relina recht… man gewöhnte sich tatsächlich daran. Sie waren wieder in den Straßen Helikes, wenn auch in einem anderen Bezirk. Ein kleiner Innenhof, der durch einen offenen Durchgang mit der Straße verbunden war. Mittlerweile begann die Sonne sich bereits wieder zu senken und die Leute, die sich vor der Hitze des Tages versteckt hatten, strömten zurück in die Stadt. Die Gejarn schien von dem erneuten Zauber gar nichts mehr mitzubekommen. Als wäre nichts geschehen. Bedeutete Regina ihm, mit einem leichten

Schubsen, sich in Bewegung zu setzen. ,,Den Kopf gesenkt halten, wenn ihr eine Wache seht, macht einen großen Bogen um sie, aber nur wenn sie euch nicht sehen können. Ansonsten weiter stur grade aus laufen. Versteht ihr das ?“ Zyle nickte. Er hatte mittlerweile eine Vermutung, wer diese Frau war… oder zumindest, zu wem sie gehören könnte. Wenn das stimmte, dann hatte er grade unvorstellbares Glück. Besser, er lies sie erst einmal in dem Glauben, er sei wirklich selber auf der Flucht vor der Stadtwache. ,,Gut, und haltet euch daran. Wenn wir wegen euch erwischt werden, lasse ich euch zurück und gehe alleine weiter.

Genau so wenn man mich entdeckt. Ihr geht weiter, verstanden? Ich werde mit den Wachen fertig. Selbst wenn ein paar Paladine darunter sind.“ Er nickte wieder. ,,Weiter wohin ?“ ,,Die werden nicht so einfach aufgeben , also müssen wir uns irgendwo in Sicherheit bringen. Es gibt ein sicheres Haus ein paar Straßen weiter. Ihr könnt es an einer grünen Laterne über der Tür erkennen. Sollten wir getrennt werden, sagt ihnen einfach, das Relina euch schickt. Dann wird man euch reinlassen.“ ,,Ein sicheres Haus…für wen ?“ Zyle glaubte, die Antwort bereits zu kennen, aber er brauchte jetzt Gewissheit. Er hatte nicht gewusst, wo er mit der Suche

nach den Magiern beginnen sollte. Jetzt schien es so, als hätte das Schicksal ihm die Arbeit abgenommen. ,,Leute wie uns. Alle, die in Helike öffentlich nicht Geduldet sind. Magier, Ausgestoßene, ein paar Whaid. ,,Und warum habt ihr uns nicht gleich dorthin gebracht ?“ ,,Viel zu riskant. Vielleicht ist es euch nicht aufgefallen, aber was ich tue ist nicht grade… unauffällig.“ Den Rest des Wegs verbrachten sie schweigend. Zyle ließ den Blick immer wieder über die Menge schweifen, konnte aber ausnahmsweise einmal keine Stadtwachen entdecken. Der Strom der Menschen und Gejarn war schlicht zu dicht.

Das hieß aber auch, dass sie relativ sicher waren. Wenn sie angehalten wurden, konnte er die Sache nicht klären, ohne sich gleichzeitig zu enttarnen. Aber vielleicht wäre das das Beste, dachte Zyle kurz. Jetzt konnte er noch aus der Sache raus, eine Wache auf sich aufmerksam machen und verschwinden… Er wusste nicht, was er tun sollte. Letztlich kam das Haus, von dem Relina gesprochen hatte in Sicht. Es unterschied sich in keiner weiße von irgendeinem anderen der tausenden von Gebäuden überall in Helike. Nur in einem Fenster über der Tür brannte eine Laterne aus grünem Papier. Relina sah sich noch

einmal um, als sie aus der Menge ausscherten und sich dem Hauseingang näherten. Dann klopfte sie an. Die Tür wurden zuerst nur einen Spalt weit geöffnet, dann jedoch hastig aufgezogen, als man die Gejarn offenbar erkannte. ,,Ist alles in Ordnung ?“ , wollte eine Stimme wissen. ,,Ja, keine Sorge. Und ich habe… Besuch dabei.“ Relina trat ein und Zyle folgte ihr. Das Haus war schlicht eingerichtet. Die Kammer direkt hinter der Tür war offenbar nur ein Lagerraum. Kisten und Säcke standen herum .Spinnweben glänzten im Sonnenlicht, das durch die angelaufenen Fenster fiel. Er zählte fünf

Personen, die sich mit ihnen in dem Raum aufhielten, auf den Kisten saßen, odernervös zu ihm herübersahen. Offenbar machte der Gedanke an einem Fremden ihnen Angst. ,,Er ist in Ordnung.“ , erklärte Relina nur, der die Anspannung nicht entgangen war. Offenbar besaßen die Anwesenden ein gewisses Vertrauen zu ihr, denn sofort merkte Zyle, wie einige von ihnen hörbar aufatmeten. ,,Ihr könnt hier warten.“ , meinte die Gejarn derweil an Zyle gerichtet. ,,Wir… erwarten noch ein paar weitere Gäste und müssen uns dafür noch etwas vorbereiten. Fühlt euch wie zu Hause. Sobald der Rest eintrifft, können wir

euch dann Phönix vorstellen.“ Zyle hatte Schwierigkeiten, eine neutrale Mine beizubehalten. Ein Teil von ihm wollte wieder hier raus und Relina nie begegnet sein. Der andere witterte die Gelegenheit, seinen Auftrag auch zu erfüllen. Und über allem hing nach wie vor die Frage, wer diese Frau eigentlich war.

Kapitel 49 Phönix


Eden hatte selber darauf bestanden mitzukommen, vor allem um ein Auge auf Zachary zu haben. Im Augenblick jedoch, bereute sie diesen Entschluss. Kellvian hatte nicht lange gebrauch, um zu erklären, was er vor hatte und Zachary schien sich sicher, eine magische Spur folgen zu können, sofern es welche gab. Doch das hieß, dass sie erst einmal eine finden mussten. Am Nachmittag füllten sich die Straßen Helikes wieder und es gab bald kaum noch ein durchkommen. Also blieb ihnen nur, im Trott in der Menge mitzulaufen

und darauf zu hoffen, etwas zu finde. Zachary schien von dem Chaos um sie herum jedoch nur wenig mitzubekommen. Die Augen halb geschlossen und aufs äußerste konzentriert, achtete er kaum darauf, wohin er ging. Lediglich ab und an sah er auf und folgte Cyrus, der sich neben dem jungen Zauberer hielt. Er hatte sich ebenfalls entschlossen, sie zu begleiten. Eden war aus mehr als einem Grund froh darüber. Allein schon für den Fall, das sie tatsächlich einen Magier fanden, der sich in Helike versteckt hielt. Und nicht zu begeistert darüber war, dass man ihn entdeckt hatte. Selbst ein schwacher Zauberer

konnte gefährlich werden, von jemand, der seine Kunst wirklich beherrschte ganz zu schweigen. Eden trat an Kellvian vorbei, als sich eine Lücke in der Menge auftat und gesellte sich zu dem Wolf und Zachary. ,, Was glaubst du, wie werden die reagieren, wenn wir sie tatsächlich finden ? ,, Schwer zu sagen, oder ?“ , meinte Cyrus. ,, Aber wir sind Fremd hier, das könnte ausnahmsweise einmal Vorteilhaft für uns sein. Wenn ich mich in einer Stadt verstecken müsste, die mich hasst… ich würde niemanden trauen, der länger hier lebt.“ ,, Dachte ich mir. Ich würde mich auch

nur ungern auf einen Kampf einlassen. Und…“ Eden zögerte ,, Was ?“ Cyrus wurde ein Stück langsamer und drehte sich zu ihr um. ,,Gar nichts.“ Es viel ihr nach wie vor schwer ihren Gefühle und Gedanken irgendjemanden mitzuteilen. Oder sich einzugestehen, dass sie welche für jemanden hatte, ergänzte Eden sich selbst. Auch wenn sie sich nach außen Mühe gab, so zu tun, als gäbe es nichts von dem. Bevor sie selber lange darüber nachdenken konnte, ließ sie ihre Hand in Cyrus eigene Wandern. So etwas hatte sie bisher nie getan und vermutlich würde es auch weiterhin dabei bleiben. Für den Augenblick jedoch konnte sie

außer Kellvian ohnehin niemand sehen. Und der achtete, genau wie Zachary, auf etwas völlig anderes. Zumindest sagte Eden sich das. Cyrus drehte den Kopf überrascht in ihre Richtung. Aus der Überraschung wurde ein unauffälliges Lächeln. Eines von der Sorte, die jeden, die den Gejarn nicht kannten, eher Angst gemacht hätte. Einen Moment am ihr ein verrückter Gedanke. Genau dafür könnte sie beinahe alles vergessen. Vielleicht sogar Immerson und ihre alten Rachepläne. Eden schüttelte den Kopf über sich selbst. So einfach war das nicht, oder? Ein Teil von ihr wollte ihr sagen, dass es genau so einfach sein

könnte. Sie musste nur loslassen. Es war bald alles ein Jahrzehnt her. DU musst dich ja nicht jetzt entscheiden, dachte Eden bei sich. Aber es war… interessant, dass sie sich den Gedanken überhaupt erlauben konnte. Noch vor einem Monat hatte sie so etwas für Unmöglich gehalten. Sie wären beinahe in Zachary hineingelaufen, der , ohne Vorwarnung, stehengeblieben war. Den Kopf leicht Schräg gelegt, sah er aus, als wäre er grade gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. ,, Seltsam…“ Kellvian holte sie wieder ein und blieb, noch bevor er auf Zachary Höhe war,

ebenfalls verdutzt stehen. ,, Ihr spürt es auch, oder ?“ , wollte der jüngere Zauberer wissen. Kell nickte. ,, Und ob.“ ,, Ihr habt eine Spur ?“ , fragte Cyru aufgeregt. ,, Es ist Magie.“ , erklärte Kellvian. ,, Sehr schwach, aber da und… Irgendetwas stimmt damit nicht.“ Eden ließ den Blick über die Straße wandern. Das hieß zwar nicht, dass sie in Gefahr waren, aber Kellvian klang ernsthaft angespannt. ,, Und was genau ?“ ,, Ich habe keine Ahnung.“ , antwortete Zachary für ihn. ,,Aber ich spüre es auch. Hier

entlang.“ Der Junge winkte sie weiter und beschleunigte seine Schritte. Jetzt, wo er einmal wusste, wonach er suchen musste, entging es auch Kellvian nicht mehr. Es war, als würde man einem schmalen Grad folgen, der sich durch die Straßen zog. Ein kleiner Bereich, in dem der Luftdruck anders schien, in dem sich die Härchen auf seinem Arm aufstellten, ohne es tatsächlich zu tun. Und Zachary, der dieser Spur folgte, machte sie nur deutlicher. Wie ein glimmendes Stück Holz, über das jemand Öl goss. Vermutlich war die Träne Falamirs dafür verantwortlich.

Sie erreichten einen weniger überfüllten Bezirk und Zachary begann nun, zu rennen. Kell folgte ihm und verlor die magische Spur wieder. Er versuchte erst gar nicht, sie wieder zu finden. Zachary schien sich seiner Sache sicher genug. Der Junge bog zielstrebig mehrmals ab und wurde nur ab und an langsamer, wenn sie an eine größere Kreuzung kamen. Eden, Cyrus und er holten Zac erst wieder ein, als er vor einem Gebäude am Straßenrand stehen blieb. Rein äußerlich gab es keinen Unterschied zu einem der übrigen Bauten Helikes. Ziegelmauern, die mit Lehm oder Mörtel verfugt waren. Kellvian ließ den Blick über das Haus wandern und wurde

auf einen grünen Lichtschimmer aufmerksam, der aus einem Fenster im zweiten Stock drang. Dort stand eine Papierlaterne vor dem Glas und leuchtete schwach gegen das Tageslicht an. ,, Das ist es.“ , meinte Zachary mit fester Stimme. ,, Die Spur der ich gefolgt bin führt durch die Tür.“ Er nickte in Richtung einer stabil wirkenden Haustür. ,, Und da bist du dir sicher ?“ Eden besah sich das Gebäude ebenfalls einen Moment. ,, Ich glaube ebenfalls, das wir hier richtig sind.“ Kell sah zu der Laterne im zweiten Stock. ,, Freiheit ist ein grünes Licht“ , murmelte er. Der vernarbte Alte

hätte auch nicht viel subtiler sein können. Also dann, davon, dass sie hier warteten, wurde es nicht besser. Er trat auf die Tür zu, die aussah, als sei schon eine Weile niemand mehr hier gewesen. Spinnweben wuchsen im Hauseingang und auf den Stufen lagen Schmutz und Staub. Das einzige, was nicht verstaubt war, war der Türknopf. Das Messing glitzerte dort, wo eine unvorsichtige Hand die Staubschicht entfernt hatte. Jemand war zumindest vor kurzem noch hier gewesen. Kellvian klopfte mehrmals gegen die schweren Holzbretter der Pforte. Jetzt kam es darauf an, ob man sie überhaupt anhören würde. Die Tür wurde nur einen Spalt breit aufgezogen.

Der schmale Lichtstreif, der nun ins innere des Hauses fiel, offenbarte nur die Umrisse einer Gestalt, die sich so gut wie möglich in den Schatten hielt. ,, Ja ?“ , fragte eine ungehaltene Stimme. Kellvian wusste nicht, was der Mann erwartete. Einfach mit der Tür ins Haus zu fallen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, war sicher keine gute Idee. Er musste ihm erst einmal klar machen, das man sie keine Gefahr darstellten. Er hatte die Worte des alten eben Gelehrten wiederholt, den sie in den Archiven getroffen hatten. Vielleicht funktionierte das. ,,Freiheit ist ein grünes

Licht.“ ,,Woher…“ Die Tür wurde ein Stück weiter geöffnet und gab den Blick frei auf einen jungen Mann mit kurzgeschorenen Haaren. ,, Ich kenne euch nicht.“ , erklärte er und musterte die kleine Gruppe vor ihm misstrauisch. ,, Der gleiche Mann, von dem ich diese Worte habe meinte, ich sollte nach euch suchen.“ ,, So ? Und wen glaubt ihr zu suchen?“ Sein Gegenüber verschränkte die Arme vor der Brust. ,, Hier gibt es nichts.“ Er wollte die Tür wieder zuschlagen, aber Kellvian stellte rasch einen Fuß dazwischen. ,, Bitte. Ihr solltet den Mann der mich

geschickt doch sicher kennen.“ , erklärte er. Es war sein letzter Versuch. ,, Er hatte eine ziemlich auffällige Brandnarbe auf der rechten Wange.“ Das Verhalten des Türstehers veränderte sich schlagartig. ,, Warum habt ihr das nicht gleich gesagt ?“ Hastig zog er die Tür wieder auf und winkte sie hinein. ,, Los, Los etwas Beeilung ihr alle. Steht da nicht rum euch sieht noch jemand.“ Kellvian folgte ihm ins innere des Hauses. Der Raum den sie betraten war offenbar schon lange nicht mehr wirklich bewohnt. Kisten und Leinenbündel lagen herum und wie schon draußen glitzerten gewaltige Spinnweben in den Ecken des Zimmers. Eine weitere geschlossene Tür

führte wohl weiter ins innere des Hauses. Ein paar weitere Gestalten standen oder saßen herum, wurden aber sofort aktiv, als die viereintraten. Kellvian sah in mehr als einer Hand Metall aufblitzen. ,, Lasst sie, offenbar sind sie in Ordnung.“ , erklärte der Mann von der Tür. , Und wenn nicht wird sich Phönix schon um sie kümmern…“ Die Anwesenden entspannten sich scheinbar wieder, aber Kell konnte ihre wachsamen Blicke nach wie vor auf sich und den anderen spüren. Und dann entdeckte er etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. In einer Ecke stand eine weitere Gestalt, die sich durch ihre

Ankunft scheinbar nicht beunruhigen ließ. Jetzt jedoch sah der Mann zu ihnen herüber und Kellvian erkannte ihn. Zyle ? Was machte er denn hier? Bevor Kellvian dazu kam, ihn anzusprechen, hob er jedoch nur einen Finger und ermahnte ihn dazu, still zu sein. Der Gejarn erhob sich von der Kiste, auf der er gesessen hatte und trat mehr Beiläufig zu ihnen herüber. ,, Wenn euch jemand fragt, bin ich ein Ausgestoßener.“ , flüsterte er im Vorbeigehen und tat so, als würde er sie genau so misstrauisch wie die anderen mustern. Kellvian schossen tausend Fragen gleichzeitig durch den Kopf, aber er nickte nur. Zyle würde ihm das hier

sicher später erklären können. Bevor er dazu kam, doch noch etwas zu sagen, wurde die Tür am anderen Ende des Raums geöffnet und eine junge Frau trat heraus. ,, Phönix hat offenbar schon auf euch gewartet.“ , erklärte sie und bedeutete ihnen, durch die Tür zu treten. ,, Ihr auch.“ Sie nickte in Zyles Richtung, der sich ihnen mit gespielter Unsicherheit anschloss. Der nächste Raum unterschied sich kaum von dem Vorhergehenden. Eine Treppe, in der mehrere Stufen fehlten, führte hinauf ins Obergeschoss. Zerbrochene Möbel standen herum. Staub tanzte in den Lichtbahnen, die durch eine Reihe unsauber zugenagelter Fenster

fielen. ,,Hier entlang.“ Ihr Begleiterin deutete auf eine weitere Tür zu ihrer linken. ,, Wie gesagt, man wartet bereits auf euch.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und verschwand wieder auf dem Weg, den sie eben erst gekommen waren. Kellvian und die anderen blieben alleine zurück. ,, Was ist los mit euch ?“ , wollte Eden von Zyle wissen. ,, Es… hört zu, das wäre eine lange Geschichte.“ , antwortete er gedämpft. ,,Wichtig ist, das ich nichts mit den Archonten zu schaffen habe, ja? Und wehe ihr verliert auch nur ein Wort darüber, das Wys mein Bruder

ist.“ ,,Ich wüsste nur gerne weshalb.“ , erklärte die Gejarn. ,, Ich bin im Auftrag der Archonten hier, zufrieden ? Sie glauben, die Magier hier könnten mit der Sache in den Minen zu tun haben.“ ,, Ihr wisst, das das nicht stimmt.“ , bemerkte Kellvian. ,, Das ändert nichts an meinem Auftrag. Fürs erste… will ich mir nur alle Optionen offen halten.“ ,,Solange ihr wisst, was ihr tut…“ Cyrus nickte in Richtung der zweiten Tür. ,, Wir sollten diesen Phönix wohl nicht warten lassen.“ Kellvian stimmte ihm zu und gemeinsam

traten sie näher. An der Tür zögerte der junge Kaiser dann doch. Entweder, er fand hier endlich die Antworten, die er suchte, oder er würde sie vielleicht nie bekommen. Die Hand auf der Türklinke hielt er inne. Nun wie dem auch sei, er würde den Anführer der Magier hier so oder so gerne kennen lernen. Er zog die Tür auf und trat in einen Raum der, im Gegensatz zum Rest des Hauses, nicht im Zwielicht lag. Offenbar hatten die zeitweisen Bewohner einiges daran Gesetzt, die Kammer halbwegs herzurichten. Der warme Schein einiger Kerzen erhellte einige Teppiche auf dem Boden. Obwohl ihre Farbe ausgeblichen war, waren sie nicht zerfetzt oder mit

staub bedeckt. Es gab einen Tisch, der unter einem angelaufenen Fenster stand. Mehrere Bücher standen darauf. In der Mitte des Raums wiederum stand ein einzelner Stuhl, auf dem jemand saß. Kellvian erkannte den in eine blaue Robe gekleideten Mann wieder. Es war der Gelehrte aus den Archiven. ,, Ihr…“ ,,Ich. Ich hätte mich ja schon in den Archiven vorgestellt, aber ich fürchte, das hätte einen kleinen Aufstand ausgelöst. Ich bin Phönix.“ Der Mann lächelte freundlich. ,, Wusste ich doch, das ihr früher oder später hier auftauchen würdet. Bleibt nur nach wie vor die Frage… Kann man euch denn

trauen?“ Kellvian wurde unruhig. Er war eigentlich froh gewesen, grade den Gelehrten hier zu sehen. Jetzt schien es stand er wieder bei Null. Offenbar war seine Unruhe ansteckend, denn auch Zachary wirkte plötzlich nervös, von einem Bein aufs andere tretend, musterte er den Alten fasziniert. ,, Das kann man.“ , erklärte Zyle. ,, Ach ? Und ihr kennt sie ?“ , fragte Phönix. Kell konnte beinahe hören, wie der Gejarn innerlich fluchte. ,, Ich bin mit ihnen in die Stadt zurückgekehrt.“ , erklärte er. ,,Relina hat euch sicher schon erzählt, das ich ein Ausgestoßener

bin. Ich habe keinen Grund euch in dieser Hinsicht anzulügen. Man kann ihnen trauen.“ Ihm war nicht wohl bei den Gedanken, nun ebenfalls zum Teil in Zyles Lüge zu hängen. Aber… es schien zu funktionieren, dachte Kellvian. Der Gelehrte lehnte sich auf seinem Platz zurück. ,, Irgendwie seit ihr seltsam.“ , platzte Zachary in die Stille. ,, Ihr seid nicht, was ihr vorgebt zu sein.“ Der Mann hob amüsiert eine Augenbraue. ,, So , bin ich das nicht ?“ ,, Der Zauber… oder was ihr benutzt ist nicht perfekt.“ , erklärte der Junge eingeschüchtert, aber mit klarer Stimme.

,, Es ist wie jemand der ein Kostüm trägt. Von außen mag es noch so kunstvoll gestaltet sein, man merkt einfach, das etwas nicht stimmt.“ ,, Sehr scharfsinnig der Kleine.“ , bemerkte Phönix, scheinbar amüsiert. ,,Wie heißt er eigentlich ?“ ,,Zachary.“ , erklärte Eden und trat einen Schritt vor, die Hand am Schwertgriff. ,, Ich bin Eden, das ist Cyrus, und das dort Zyle. Kellvian kennt ihr ja bereits.“ ,, Das tue ich. Und ich muss mich wohl für diese Maskerade entschuldigen. Euer Junge hat natürlich Recht. Aber diese kleinen Illusionen machen einfach zu viel Spaß.

Verzeiht“ Mit diesen Worten schien die ganze Gestalt des Mannes plötzlich in sich zusammenzuschrumpfen. Die breiten Schultern verschwanden, ebenso wie die grauen Haare und die kompletten Konturen des Mannes. Wie Morgennebel, der sich rasch auflöste, kam darunter eine völlig andere Gestalt zum Vorschein. Nach wie vor prangte die Schwingenförmige Narbe auf ihrem Gesicht, das war aber bereits die einzige Ähnlichkeit, die blieb. Bernsteinfarbene Augen musterten die kleine Gruppe. Aus der bleichen Haut war das schwarze Fell eines Gejarn geworden, das im Gesicht von grauen Streifen durchzogen wurde

Dunkelbraune Haare fielen der Gestalt ins Gesicht, als sie ihre Kleider richtete. ,,Vielleicht stellen wir uns nochmal ganz von vorne vor.“ , meinte sie. ,, Mein Name ist Relina. Und manche meiner… Schützlinge, kennen mich auch als Phönix.“

Kapitel 50 Alles unter Kontrolle


,,Es ist manchmal recht nützlich, wenn man nie genau gleich aussieht.“ , fuhr Relina fort. ,,Das hat bereits dazu geführt, das manche in dieser Stadt mich allen ernstes für einen geist halten.“ Zyle hatte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Relina und Phönix waren also ein und dieselbe Person. Aber wozu dann dieses Spiel ? Hielt sie das ganze wirklich nur für einen Scherz, oder steckte mehr dahinter? Kellvian wiederum schien etwas ganz anderes zu

beschäftigen. ,,Das ist nur eine weitere Illusion, oder ?“ , fragte er und sah dabei unsicher zu Zachary. Dieser schüttelte jedoch nur den Kopf, genau so beunruhigt wie Kell. ,,Das ist doch... Ihr habt grade Magie benutzt!“ ,,Das habe ich auch schon bemerkt.“ , meinte Zyle. Was war daran bitte so besonders? Sicher, nach allem was er wusste, waren es ungewöhnliche Magie , aber Zac hatte einmal eine ganze Stadt Überflutet. ,,Sie scheint zu wissen was sie tut.“ ,,Zyle, das ist völlig unmöglich.“ , bemerkte nun auch Eden, die etwas länger brauchte, bis ihrauffiel, das hier

etwas nicht stimmte. ,,Gejarn besitzen keine Magiebegabung.“ Kellvian nickte. ,,Der Sangius-Orden hat in dreihundert Jahren zumindest keinen einzigen gefunden. Oder keinen, von denen wir wüssten. Und sie sind eigentlich sehr gründlich.“ ,,Stimmt das ?“ , fragte Cyrus an Relina gerichtet. ,,Soweit mir bekannt ist, ja.“ , erklärte sie. ,,Ich verstehe grade gar nichts mehr.“ Zyle sah zwischen Relina und den anderen hin und her ,,Aber wie könnt ihr…“ ,,Ich weiß es nicht.“ , gab die Gejarn zu. ,, In all den Jahren, die ich schon in den

Archiven von Helike verbracht habe, habe ich darauf keine Antwort gefunden. Das alte Volk hat hier viel mehr intakte Werke hinterlassen, als anderswo und ich hatte das Glück einen kleinen Abschnitt davon studieren zu können. Trotzdem scheint es, habe ich keine Erklärung dafür. Vielleicht finde ich sie ja eines Tages. Doch ohnehin seit ihr wegen einer anderen Frage hier, nicht?“ ,, Das bin ich tatsächlich.“ , erklärte Kellvian, klang aber nicht ganz überzeugt. ,, Ich suche nach allen Informationen, die ihr über etwas habt, das man Seelenträger nennt. Das alte Volk hatte vielleicht einen anderen Namen dafür, aber ich denke ihr wisst

bereits, wovon ich spreche.“ ,, Das tue ich.“ , erklärte Relina. ,, Und möglicherweise kann ich euch tatsächlich helfen. Nur warum sucht ihr nach so etwas? Seelenträger sind ein ziemlich… obskures Ding, wenn ihr mich fragt. Selbst das alte Volk kannte nur wenige Fälle, in denen zwei Seelen oder ein Fragment länger nebeneinander existieren konnten. Normalerweise löscht eine dabei die andere irgendwann aus.“ Zyle konnte grade zu sehen, wie Kellvian neue Hoffnung schöpfte. Das wiederum hatten sie bisher noch nicht gewusst. Also wusste Phönix oder besser Relina wirklich mehr als sie… Vielleicht sehr viel mehr. Der Gejarn war nicht

sicher, ob ihm der Gedanke gefiel. Diese Frau stand gegen ganz Helike, wie es den Anschein hatte. Er wollte ungern herausfinden, zu was sie wirklich in der Lage war. Kellvian antwortete ihr nicht sofort. Wie Zyle schien er nicht zu wissen, wie weit er Relina wirklich schon trauen konnte. ,, Ich suche danach, weil ich selber einer bin.“ , sagte er schließlich. ,, Interessant.“ Relina war aufgestanden. ,, Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen. Ihr sucht nach einer Heilung. Gut. Ich habe etwas, das euch weiterhilft. Aber eine Hand wäscht die andere…“ ,, Was wollt ihr

?“ ,, Eure Hilfe. Ihr werdet verstehen, dass ich euch nicht alles einfach so anvertrauen kann. Dafür hängen zu viele Leben davon ab. Wir arbeiten seit Jahren auf etwas hin und nun sieht es so aus, als könnten wir unser Ziel tatsächlich erreichen.“ ,,Ihr wollt die Archonten stürzen.“ , stellte Zyle kühle fest. Zuzutrauen wäre es ihr ja beinahe, dachte er mit einem seltsamen Anflug von Bewunderung. Relina wusste ganz offenbar wer Kellvian war. Seit Kells Ernennung zum Kaiser hatte Zyle mehr als einmal gesehen, wie sich Leute durch seinen Titel einschüchtern ließen. Eben jene,

die ihn nicht wirklich kannten. Die Gejarn jedoch trat ihm mehr als ebenbürtig gegenüber und schien in keiner weiße davon beeindruckt. Relina sah ihn lediglich einen Augenblick entgeistert an. ,, Die Archonten…“ Dann brach sie in schallendes Gelächter aus. ,, Wie kommt ihr den auf diese Idee ? ich bin nicht Irre, falls ihr das glauben solltet. Die Archonten zu besiegen ist unmöglich. Daran sind schon ganz andere gescheitert. Helike ist ein verlorenes Pflaster für jeden, der sich nicht Laos beugt. Und seine Rückkehr dürfte das nur noch verschlimmern. Man könnte jedoch sagen, ich habe vor sie

gewissermaßen zu Umgehen. Jetzt wo sie geschwächt sind, könnte der Augenblick gekommen sein.“ ,, Ihr wisst also bereits, das Samiel tot ist.“ Auch wenn sich Nachrichten und Gerüchte in Helike schnell verbreiteten, bisher hatten die Archonten den Tod des alten Mannes nicht offiziell bekannt gegeben. Erst bei den Totenfeiern für ihn würde das Volk endgültig Gewissheit bekommen. Sie nickte lediglich. Für einen kurzen Moment verriet ihr Minenspiel eine seltsame Mischung aus Gefühlen, die Zyle sich nicht erklären konnte. Wut, Abscheu und Traurigkeit gleichzeitig. ,, Die Archonten sind mein geringstes

Problem.“ , meinte sie schließlich. ,, Und was in den Minen geschieht… Ich sehe es als günstige Ablenkung.“ ,, Ihr wisst also auch davon , nehme ich an ?“ , fragte Cyrus. ,, Zumindest das meiste. Ich bin gerne gut informiert über alles, was in der äußeren Stadt geschieht. In der inneren sind meine Kontakte weniger gut ausgeprägt.“ Zyle amtete erleichtert auf. Das bedeutete zumindest, das sie wohl nicht wusste, was die Archonten unter sich planten. Und damit wüsste sie auch nichts über ihn. ,,Trotzdem stellt eure Entdeckung in den Minen eine interessante Frage.“ , meinte

sie. ,, Wie konnte das alte Volk je fallen, wenn es über solche Konstrukte verfügte ? Ich meine stellt euch einmal vor, was eine wirkliche Armee dieser Uhrwerksoldaten damals für Schaden hätte anrichten können. Mit Blei und Feuer mögt ihr sie einfach zur Strecke bringen können, aber die Vasallenvölker der alten Welt verfügten nur über simplen Stahl. Und die Magie war ein Vorrecht der Alten, soweit ich weiß.“ ,, Vielleicht haben sie sie nie genutzt.“ , meinte Kellvian. ,, Oder erschufen sie erst, als es ohnehin zu spät für sie war.“ Er zögerte und dachte einen Moment nach. ,, Eine Art letzter Strohhalm vielleicht

?“ Aber wenn das alte Volk schon an diesen Maschinen versagt hatte… was wollte dann ein abtrünniger Magier aus Canton damit?, dachte Zyle. Und noch wichtiger, woher wusste er auch nur davon? Der Meister war alles nur sicher nicht wahnsinnig genug etwas zu versuchen, das niemals funktionieren wird. Dafür hatte er in Canton zu großes Geschick und Vorsicht bewiesen .Oder doch? Er war klug genug gewesen, den Orden zu täuschen und ein dutzend weitere Personen dazu… So jemand setzt nicht alles auf eine Karte für ein vielleicht. Er musste sich schon verdammt sicher sein, das er bekam, was

er wollte. Dieser Mann schien ihnen immer einen Schritt voraus. Und er wusste garantiert mehr als sie. ,, Wie dem auch sei. Es interessiert mich für de Augenblick nur soweit, das es eine Ablenkung für die Archonten darstellt. Wenn ihr einverstanden seid, mir zu helfen, gebe ich euch in ein paar Tagen bescheid..“ Damit schien die Unterredung für Relina beendet. ,, Und falls wir vorher wieder mit euch in Kontakt treten müssen ?“ ,, Das ist keine Verhandlungssache.“ , erklärte sie kühl. ,, Wir wollen nicht gefunden werden. Und ich werde dafür Sorge tragen, das das so bleibt. Ihr werdet also warten müssen, bis man euch

bescheid gibt. Vielleicht sende ich euch Zyle.“ ,, Ich dachte er kehrt mit uns zurück ?“ , fragte Kellvian verwirrt. ,, Wenn ihr euern freund bald in einem Kerker wiederfinden wollt gerne. Zyle ist ein Ausgestoßener, oder ? Was glaubt ihr wird geschehen, wenn die Wachen ihn in der Stadt entdecken?“ ,,Natürlich.“ , knirschte Kellvian. ,, Das hatte ich völlig vergessen. Trotzdem würde ich mich gerne noch einmal kurz unter vier Augen mit ihm unterhalten. Wenn das möglich wäre…“ Zyle fühlte sich auf einmal gar nicht mehr wohl in seiner Haut. Was hatte Kell jetzt vor

? Relina nickte jedoch nur. ,, Ich warte draußen. Eure Gefährten können ebenfalls mitkommen.“ Mit diesen Worten verschwand die Gejarn, gefolgt von Eden, Cyrus und Zachary aus dem Raum. Kellvian wartete bis die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war und sie alleine in dem von Kerzenlicht erhellten Raum zurück blieben. Er trat an den Tisch in der Ecke und begann die Bücher dort durchzugehen, ohne sich wirklich dafür zu interessieren. Erst dann wendete er sich an den Schwertmeister. ,, Was bitte soll das werden ?“ , fragte er mit deutlich unterdrückter Wut in der

Stimme. ,,Was soll das heißen, was soll das werden ?“ Zyle war über den groben Ton des Mannes überrascht. Kellvian wurde selten wütend. Und wenn, dann war meist ein ganz anderer Teil seiner Seele dafür verantwortlich. Dieses mal jedoch, schien er wirklich erbost. ,, Das wisst ihr genau.“ , erklärte er. ,, Zyle , ich biete diesen Leuten grade meine Hilfe an. Und auch wenn ich mir noch ein Bild machen muss, glaubt ihr wirklich, ich sehe zu wie eure Archonten weiter Magier abschlachten, wenn ich es verhindern kann?“ ,, Nein.“ Kellvian würde ganz sicher nicht daneben stehen. Aber er würde sich

auch nicht einfach in die Politik Helikes einmischen, oder ? ,, Aber was…“ ,, Ihr seid nicht bloß hier um euch etwas umzuhören. Den Archonten ist egal, ob die Magier hier etwas mit den Vorfall in den Minen zu tun haben, oder? Sie würden sie so oder so auslöschen.“ Zyle seufzte. ,, Ich fürchte es. Und Relina arbeitet ganz offenbar nicht mit dem meister zusammen. Wir wären längst in großen Schwierigkeiten, wenn es so wäre.“ ,, Also was werdet ihr tun ?“ ,, Ich weiß es nicht.“ , gab er ganz ehrlich zu. ,, Im Augenblick… habe ich nicht die geringste Ahnung. Ich schätze es hängt davon ab, was Relina plant.

Aber…“ ,, Aber ?“ ,, Ich will euch nur bitten, mir einfach zu vertrauen. Ich habe die Sache unter Kontrolle, ja ?“ Zyle war sich alles andere als sicher ob das stimmte, doch für den Moment sah es zumindest so aus. Die Archonten erwarteten noch keine Rückmeldung. Und Phönix, alias Relina wusste von nichts. Es lag in seiner Hand, was als nächstes geschah. Und ihm war gar nicht wohl dabei. ,, Irgendwie bezweifle ich das.“ , meinte Kellvian, grinste dann aber : ,, Ich will nur nicht, das wir uns plötzlich auf der falschen Seite einer Klinge wiederfinden. Zu viele Geheimnisse

hätten mich einmal alles gekostet, falls ihr euch erinnert.“ ,, Wie könnte ich das vergessen ?“ Es war immerhin einer der Gründe, aus dem sie damals überhaupt durch halb Canton gereist waren. Und der Kellvian neben Jiy auch beinahe das Leben gekostet hätte. Doch das hier war etwas völlig anderes, sagte Zyle sich. ,, Ich habe die Sache unter Kontrolle, Kell.“ , wiederholte er ,trat auf die Tür zu und zog sie auf. Die beiden stiegen wieder in den Vorraum hinaus, in dem die anderen warteten. ,, Ich bitte euch nur, mir das zu Überlassen. Ich weiß, das Helike seine Probleme hat. Aber ich… Laos ich glaube, das man es noch retten kann.

Versteht ihr das?“ ,,Ihr glaubt das doch nicht wirklich.“ Relina hatte scheinbar direkt neben der Tür gestanden und schüttelte den Kopf. Zyle fuhr herum und musste die Panik zurück halten. Hatte sie etwa gelauscht? Wenn ja, dann hatte er ein Problem… Aber die Gejarn sagte nichts, das ihm einen Anhaltspunkt dafür gab. Stattdessen meinte sie nur : Wenn ihr wirklich glaubt, dass Helike noch zu helfen ist, sollte ich euch vielleicht etwas zeigen. Morgen allerdings erst . Für heute denke ich, ist dieses Haus noch sicher genug. Die anderen werden euch irgendwo einen Schlafplatz geben.“ ,, Und ihr ?“ , fragte

Zyle. ,, Ich bin schon fast zu lange hier.“ , erklärte sie nur. ,, Es gibt noch andere Verstecke in der Stadt, die ich aufsuchen muss. Wenn wir endlich mit unserem Plan beginnen wollen, gibt es noch ein paar Vorbereitungen zu treffen. Unter anderem eine große Menge Gold zusammenzutragen, die sich jemand abholen möchte.“ ,, Gold ?“ , fragte Eden sofort. ,, Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du schlimmer als eine Elster bist ?“ , fragte Cyrus, der sich sichtlich zurück halten musste, nicht laut loszulachen. ,,Ich frage ja nur… Und außerdem weiß eine Elster nicht was sie mit einem

Haufen Gold anfangen sollte. Ich schon.“ Relina schüttelte den Kopf. ,, Wir zumindest haben vor, etwas Land zu erstehen.“

Kapitel 51 Der Sprengsatz


Erik würde die Nacht wohl erneut in den Archiven verbringen. Wussten die Götter, womit sich der Mann wach hielt, aber scheinbar war er nicht bereit, seine Nachforschungen lange zu unterbrechen. Jiy hatte ihm zwar geholfen, sich durch einige Texte zu arbeiten, aber das wenige was sie verstand, half ihr nicht wirklich weiter. Nur der Arzt war fest davon überzeugt, auf der richtigen Spur zu sein. Das klang zumindest vielversprechend, dachte Kellvian. Mittlerweile war es

früher Abend geworden und die Sonne ging über der Stadt unter. Kell sah durch eines der Bullaugen der Windrufer zu der zunehmend dunkler werdenden Silhouette hinaus. Er und Jiy saßen in der neu entworfenen Küche des Schiffs und machten sich über die Reste des Abendessens her. ,,Für den Moment wissen wir immer noch nicht viel mehr.“ , meinte er, nachdem er Jiy alles Berichtet hatte. ,, Nur das die Magier jetzt ebenfalls unsere Hilfe wollen.“ ,, Und die wirst du ihnen geben, oder ?“ , fragte Jiy. Auf den Punkt wie immer. Das war die Frage um die es hier letztendlich ging. Noch könnte er aus

der Sache raus. Es tat gut seine Gedanken wieder jemanden mitteilen zu können. ,, Es ist nicht so, das ich eine große Wahl habe.“ , bemerkte er zwischen einem bissen trockenen Brots. Die neuen Vorräte würden erst morgen geliefert werden und so blieb zumindest heute nicht viel sonst übrig. Der Rest an Trockenfleisch und etwas Gemüse war in eine Suppe gewandert. Zu viele Dinge geschahen auf einmal, über die er nicht die geringste Kontrolle hatte. Er würde Zyle wohl einfach vertrauen müssen. Und vermutlich der seltsamen Anführerin der Magier Helikes. Relina hatte einen Eindruck

hinterlassen. ,, Sie könnten die einzigen sein, die mir wirklich helfen können. Es ist ein simples Tauschgeschäft. Ich will etwas und Relina ebenfalls. Die Frage ist, was hat sie vor?“ ,, Sie werden seit Jahrhunderten Verfolgt, Kell.“ Gab die Gejarn zu bedenken. ,, Ich glaube nicht, das die Magier auf einen Kampf aus wären.“ ,,Nein.“ Und Relina hatte auch nicht danach geklungen. ,, Trotzdem gefällt mir die Aussicht nicht. Wir mischen uns damit in die Politik Helikes ein, Jiy. Das kann gefährlich werden. Die Archonten dulden uns momentan bestenfalls. Schlimmstenfalls… Ich bin hierher gekommen, weil ich dachte, für

Frieden sorgen zu können. Jetzt sieht es so aus, als wäre das kaum möglich. Nicht wenn ich mich auf die Seite der Magier stelle.“ ,, Gib es zu, du würdest ihnen auch helfen, wenn dein Leben nicht davon abhinge.“ Kellvian lächelte. ,, Solange sie mich darum bitten würden.“ , bemerkte er. Jiy hatte wirklich die Begabung manche Dinge auf die einfachste Weise zusammenzufassen. So viele Gedanken er sich machte… die Archonten taten allen, die mit der Begabung zur Magie geboren wurden unrecht. ,, Es gefällt mir vielleicht nicht, wie viel Macht der Orden in Canton hat, aber

das hier… ist ganz sicher auch keine Lösung.“ , fügte die Gejarn hinzu. ,, Also steht in jedem fall fest, was ich tuen sollte, wie ?“ Jiy schüttelte den Kopf. ,, Ich sage dir bloß, was ich denke. Ich war nicht da, Kellvian. Aber möglicherweise gibt es einen Mittelweg.“ ,, Ich wüsste nicht wie. Für den Moment können wir nur abwarten.“ Cyrus erwachte und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Gedämpftes Mondlicht fiel durch eine Reihe verhangener Fenster in die Kajüte. Zuerst glaubte er, Eden hätte ihn geweckt. Aber das konnte nicht sein. Der

Wolf konnte ihre Silhouette neben sich sehen. Ruhig und immer noch genau dort, wo sie erschöpft eingeschlafen waren. Nachdem sie ihre anfängliche Scheu überwunden hatte, schien Eden jede Gelegenheit zu nutzen. Sie liebten sich mittlerweile mit einer Vertrautheit, die selbst Cyrus fremd war. Eden übernahm gerne die Initiative, zeigte ihm, wie er sie berühren sollte und nur mit den Finger erregen konnte. War es dann vorbei, sacken sie meist beide in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Und irgendetwas hatte ihn daraus gerissen. Cyrus war versucht, es als nichts abzutun… und vielleicht sogar Eden zu wecken. Dann setzte er sich doch leise

auf und fischte seinen Mantel vom Boden. Einschlafen würde er jetzt nicht mehr, das wusste der Wolf. Stattdessen trat er, ohne einen laut, an die Kabinentür und öffnete sie. Die Angeln quietschten und er erwartete schon halb, das Edens Stimme ihn fragte, wo er hin wollte. Einen Moment stand er, den Türgriff in der Hand da und lauschte. Er hatte sie nicht geweckt. Nach wie vor war da nur das leise Plätschern der Wellen im Hafen und der regelmäßige Atem der schlafenden Gejarn. Kühle , nach Salz schmeckende Luft wehte ihm entgegen, als er auf das Deck hinaus trat. Es war eine wolkenlose Nacht , Sterne und Mond spiegelten sich draußen

auf dem Wasser. Helike lag als dunkle Silhouette vor ihm, nur vereinzelt leuchteten Häuser aus dem Schatten heraus und auf der Rampe hinauf zur inneren Stadt brannten Fackeln. Eine Linie aus unstetem Licht, das die Nacht durchschnitt. Zumindest an Deck jedoch, war Cyrus alleine. Er zog den Mantel um sich, als ihn eine Windböe frösteln ließ. Die Tage waren ein einziges Inferno, aber in der Nacht verkehrte sich das ins genaue Gegenteil und er fühlte sich in die Berge Cantons versetzt. Oder an die sturmgepeitschten Küsten im Nordwesten Cantons. Ein Teil der Kälte schien sich in ihm festgesetzt zu haben. Cyrus kannte dieses Gefühl.

Eine ungute Vorahnung, die ihm wie ein Eiskristall im Magen lag. Vielleicht hätte er auch einfach die Suppe weglassen sollen. Sämtliche Vorräte, die nach fast anderthalb Monaten noch übrig waren in einem Topf zu werfen… das konnte ja nicht gut gehen, dachte er und grinste. Das flaue Gefühl jedoch blieb. Und es würde ihn keine Ruhe mehr finden lassen, wie der Wolf fürchtete, Also gut, sagte er sich. Er würde einen Rundgang durchs Schiff machen und wenn das nichts half… Cyrus seufzte resigniert. Es könnte wirklich schlimmer sein, nicht ? Er schlich sich noch einmal zurück in die Kajüte und zog sich vollständig

an. Das Mondlicht war hell genug, das er sich draußen mühelos orientieren konnte. Unter Deck jedoch würde es jetzt stockdunkel sein. Cyrus trat an einend er Schiffsmasten und nahm eine Sturmlaterne von ihrem Platz. Normalerweise würden die bei einem Unwetter entzündet, heute jedoch würde sie ihm helfen, sich in den Gängen unter zu finden. Der Wolf entzündete den Docht der Lampe. Ein bläuliches, unstetes Flämmchen stieg auf. Rasch stellte er die Flamme so ein, das sie einen gut drei Schritte breiten Lichtkreis um ihn warf. Dann erst stieg er die Treppe hinab und verschwand im

Schiffsrumpf. Nach wie vor leise um niemanden zu wecken, trat er an geschlossenen Kabinentüren und den Geschützdecks vorbei. Sämtliche Luken waren geschlossen und die schweren Kanonen auf ihren fest montierten Plätzen nicht geladen. Pulver wie Kugeln wurden im Magazin der Windrufer aufbewahrt, das am Bug des Schiffs lag, ganz am Ende des Decks. Cyrus wusste nicht, was sein schlechtes Gefühl auslöste, aber wenn es wirklich etwas gab, das ihnen Ärger machen könnte… Das Pulvermagazin war der beste Ort dafür. Ein Funke und die halbe Windrufer würde in Flammen stehen. Er erreichte die Tür der Kammer und tastete

nach dem Riegel. Natürlich verschlossen… Er fluchte leise. Kein Kapitän, der halbwegs bei Verstand wäre, würde das Pulver und Waffenmagazin einfach offen stehen lassen. Auf der anderen Seite ersparte ihm das jegliche weitere Sorge. Die Tür war zu. Niemand kam da rein. Er wollte sich schon wieder umdrehen, als sich Schritte näherten. Sofort löschte Cyrus den Lampendocht und duckte sich in die Schatten. Götter, wenn Eden aufgewacht war und ihn an der Magazintür erwischte, würde er eine Weile brauchen um sich da wieder rauszureden… Aber es war nicht Eden. Die Gestalt, die, eine weitere Laterne in der Hand,

auf dem Gang auftauchte, war zu klein dafür. Cyrus schirmte die Augen mit der Hand ab um gegen das unangenehm helle Licht etwas erkennen zu können. ,, Was macht ihr den hier unten ?“ Es war Zachary, der, einige Schritte von ihm entfernt stehenblieb und den Gejarn verschlafen musterte. ,, Das könnte ich dich auch fragen.“ , bemerkte Cyrus und bedeutete dem Jungen leise zu sein. ,, Also gut, ich wollte mich nur davon überzeugen, das die Pulverkammer gesichert ist. Einfach weil ich ein ziemlich mieses Gefühl habe…“ ,, Und ?“ , fragte Zac mit einem

Schulterzucken. ,, Ich komme nicht rein, also…“ ,, Dann sollten wir vielleicht einfach nachsehen.“ , erklärte der junge Magier und trat an Cyrus vorbei an die Tür. Bevor der Wolf ihn fragen konnte, was er vor hatte, hatte er eine Hand auf das Schloss gelegt. Rauch stieg, begleitet von einem blauen Lichtfunken darunter auf, dann fiel der Riegel mitsamt den Schloss einfach aus dem Holz der Tür. Zachary hatte das Hindernis glatt aus dem Holz gebrannt. ,,Was machst du eigentlich hier unten ?“ , wollte Cyrus wissen, als er die Tür aufzog und , begleiten von dem Jungen, hindurchtrat. Das Licht der Lampe zeigte

auf den ersten Blick nichts Auffälliges. Gewehre und Schwerter hingen oder standen in dichten Reihen an der Wand. Dazu stapelten sich weitere Waffen in einigen Regalen. Cyrus beeilte sich, die Waffenkammer hinter sich zu lassen. Das Pulver wurde in großen Fässern am anderen Ende des Raums gelagert, direkt an der Außenwand des Schiffes. Hier gab es eine weitere Luke, die er rasch aufzog, so das Mondlicht in den Raum fiel. Doch erst, als Zachary ihn mit der Lampe einholte, konnte er sich genauer umsehen. ,,Mieses Gefühl.“ , gab dieser derweil zurück und hielt die Laterne höher. Cyrus ging derweil die Reihen aus

Pulverfässern ab. Genug für einen kleinen Krieg, dachte er bei sich. Beinahe ungewöhnlich viel. Sicher, dieser Auftrag war auch alles andere als normal, aber wenn sie in die Situation kamen, so viel Feuerkraft zu brauchen… war vermutlich ohnehin alles vorbei. Trotzdem konnte er nichts entdecken, das das ungute Gefühl in ihm rechtfertigte. Hier war nichts, dachte er. Besser, sie sahen zu, dass sie wieder hier weg kamen. Und hoffentlich konnte Zachary das Schloss auch wieder anbringen… Cyrus war drauf und dran, sich umzudrehen, als ihm doch noch etwas ins Auge fiel. Etwas glitzerte zwischen zwei

Fässern. ,, Zachary, gib mir mal die Laterne.“ Der Junge händigte ihm das Licht aus und er stellte es über den zwei Pulverbehältern ab. Cyrus ließ sich zu Boden gleiten und streckte die Hand nach dem glitzernden Ding aus. Endlich bekam er es zufassen und zog es heraus. Es war ein Kristall, auf dessen Oberfläche sich das Kerzenlicht gebrochen hatte. Die dunkle, rötliche Oberfläche war glattgeschliffen und wies keinen sichtbaren Makel auf. Seltsam… Er steckte den Stein in die Manteltasche und sah sich, nun doch wieder misstrauisch geworden, weiter um. Die Laterne wieder in der Hand, spähte der

Gejarn in alle Zwischenräume. Und fluchte laut. Es gab nicht nur den einen Stein. Er entdeckte mindestens noch zwei Dutzend, die zwischen den Fässern verborgen waren. Und das war nur die erste Reihe mit Pulverbehältern. Dahinter lagen noch mindestens vier… Was zum… Bevor Cyrus sich noch weiter darüber wundern konnte, schlugen plötzlich Flammen aus seiner Manteltasche. Zachary stolperte zurück, während der Gejarn überrascht aufschrie und das Kleidungsstück loswurde. Rasch trat er das Feuer aus, das sich bereits durch den Stoff gebrannt und den Stein wieder freigelegt hatte, den er zuerst gefunden

hatte. Die Oberfläche bekam Risse, bevor der Kristall zu Staub zerfiel. Was zum… ,, Zachary… geh.“ , erklärte Cyrus hastig. ,, geh und weg alle. Sie müsse sofort von diesem Schiff runter. Hier kann jeden Moment alles in die Luft fliegen.“ Es war nicht wichtig, wer diese Steine hier deponiert hatte. Es war nicht wichtig, wie sie an Bord gekommen waren. Oder wieso. Wichtig war, das sie Feuer auslösen konnten. Und in der Pulverkammer… Zachary hatte sich nach wie vor nicht in Bewegung gesetzt. ,, Jetzt !“ , rief Cyrus. Die Zeit, leise zu sein, war vorbei. Und endlich reagierte der Junge und rannte los. Cyrus wartete

einen Moment, bis er ihn rufen hörte und die ersten Leute verwirrt nachfragten, was der Lärm sollte. Dann besah er sich wieder die Reihen aus Pulverfässern. Er kam niemals an alle Steine heran. Dazu müsste er sämtliche Fässer abrücken. Und ob ihm dafür auch nur annähernd genug Zeit bliebe, war fraglich. Aber er könnte zumindest den Schaden minimieren, den sie anrichten konnten. Cyrus sah zur Luke. Jedes Fass im Waser, wäre eines weniger, das ihnen um die Ohren fliegen konnte. Rasch lief er die Reihen aus Fässern zurück bis zum Fenster und hievte das erste so weit hoch wie er konnte. Es brauchte nicht viel und der schwere Behälter rutschte über

seine Schulter ins Wasser. Mittlerweile konnte er überall Schritte hören. Vermutlich die schlafende Crew, die , durch Zachary geweckt, an Deck stolperte. Eden war bestimmt eine der ersten, die wach gewesen war. Hoffentlich kamen alle an Land. Er durfte auch nicht mehr zu lange zögern, aber mittlerweile landete das fünfte Fass mit einem klatschenden Geräusch im Wasser. Das musste einfach reichen. Cyrus drehte sich um und gab Fersengeld. Er stolperte zur Tür hinaus auf das Geschützdeck und rannte weiter, sobald er sich vergewissert hatte, dass hier unten niemand mehr war. Bevor er jedoch die Treppe zum nächsten Deck

erreichte, kam ihm jemand entgegen. Zachary rannte, immer noch die Laterne in einer Hand, grade die Stufen hinab. ,, Habe ich nicht gesagt weg hier ?“ , fragte Cyrus, ohne langsamer zu werden. ,,Schon, aber ich wollte…“ Der Wolf ließ ihn nicht ausreden, sondern packte den Jungen nur bei der Hand und riss ihn mit sich. Sie mussten jetzt hier raus. Er hatte grade den obersten Absatz der Treppe erreicht, als die Welt einen gewaltigen Ruck bekam. Eine Windböe aus heißer Luft jagte durch das Schiff, während die ganze Konstruktion unter seinen Füßen zitterte. Cyrus verlor beinahe das Gleichgewicht, kam stolpernd wieder auf die Füße… und

wurde sofort wieder von den beinen gerissene, als ihn eine Feuerwolke verschluckte. Er spürte die brennende Hitze und wie das Holz des Schiffs um ihn herum zersplitterte. Die Schrapnelle bohrten sich in seine Hände und Gesicht. Dann wurde alles dunkel.

Kapitel 52 Rauch und Trümmer


Als der Morgen graute, stiegen Rauchsäulen über dem Hafen von Helike auf. Asche und Staub trieben durch die Gassen der Stadt und die frühe Sonne enthüllte ein desolates Bild. Mehrere Gebäude in der Stadt waren Rußgeschwärzt oder zu nicht mehr als glimmenden Ruinen zerfallen. Die Explosion auf der Windrufer hatte brennende Trümmer über den gesamten Bezirk verteilt und die Bewohner allesamt aus dem Schlaf gerissen. Es hatte die ganze Nacht gedauert, die zahlreichen Brände zu löschen. Asche

und Rauch hingen nach wie vor in dichten Schwaden über den Straßen und die Menschen hatten lange Eimerketten gebildet, um die Feuer zu bekämpfen. Jetzt standen die Leute vor den Ruinen im Hafen und wussten scheinbar nicht, was sie tun sollten. Jiy war grade damit beschäftigt, einige Glutreste auszutreten, die über die Holzplanken an Deck der Windrufer wehten. Die Erschöpfung stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben. Von dem Moment, wo Zacharys Warnrufe sie geweckt hatten, hatten sie keine ruhige Minute mehr gehabt. Die Gejarn konnte sich noch daran erinnern, wie sie und Kellvian als einige der letzten von Bord gegangen

waren… und sich das Schiff dann ohne Vorwarnung in ein flammendes Inferno verwandelte. Eine Feuersäule, die Holzsplitter und brennende Wrackteile in die Luft geschleudert hatte. Es war ein Wunder, das kaum jemand schwer Verletzt worden war. Nur einige hatten sich leichte Verbrennungen zugezogen oder waren von brennenden Trümmern gestreift worden. Das Donnern der Explosion klang ihr nach wie vor ihn den Ohren. Aber wo sie grade bei Zachary war… Sie konnte den Jungen nirgendwo zu sehen. Aber er war sicher irgendwo, sagte sie sich. Wenn nicht hier, dann bei Eden, die die Mannschaft der Windrufer zur

Eile antrieb, die letzten schwelenden Brände zu löschen. Die Gejarn wusste nicht, ob sie lediglich unglaubliches Glück hatten, oder ob etwas anderes dahinter steckte, aber das Schiff war nicht gesunken. Obwohl das Unterdeck zum Großteil zerstört und der Rumpf stellenweise aufgerissen und ausgebrannt war, trieb das Wrack weiterhin auf den Wellen. Genau so zu Tode erschöpft wie die anderen, wankte sie schließlich von Deck und schloss sich der wartenden Crew an der Mole an. Sie achtete kaum noch auf ihre Umgebung, sondern suchte sich nur noch eine freie Stelle auf dem Boden um sich hinzulegen. Götter, sie könnte

direkt hier einschlafen, aber Sorge und Verwirrung hielten sie wach. Was war nur passiert? Die Antwort erscheine einfach. Das Pulvermagazin des Schiffs hatte sich entzündet. Aber warum ? Jiy setzte sich schwerfällig wieder auf. In diesem Moment tauchte auch Eden unter der wartenden Crew auf. In ihrem Schlepptau folgte Kellvian, der sich mit zwei Offizieren der kaiserlichen Garde unterhielt. Obwohl die übrigen Schiffe der kleinen Flotte nicht beschädigt worden waren, wolle er wohl kein Risiko eingehen. ,,Ich will, das erstmal alle von den Schiffen runter kommen.“ , erklärte er. ,, Ich glaube nicht, das das bloß ein

Unfall war.“ ,, Da sagt ihr mir was.“ , knurrte Eden, die nach wie vor einen Eimer in der Hand trug. Der normalerweise Weiße Pelz der Kapitänin hatte sich durch Ruß und Flammen grau verfärbt. ,, Wenn ich herausfinde, wer dafür verantwortlich ist, reiße ich ihn in Stücke.“ ,,Stellt euch hinten an.“ , erwiderte Kellvian nur düster und wendete sich wieder den Befehlshabern zu. ,, In der Stadt können die Männer nicht bleiben, das erlauben die Archonten nie. Aber wir sollten in ein paar Stunden Vorräte geliefert bekommen. Nehmt die und macht euch über Land auf den Weg nach Kalenchor. Dort seid ihr nah genug, um

schnell hier zu sein, aber weit genug von weiteren… Überraschungen entfernt. Zumindest, bis wir Gelegenheit haben, die übrigen Magazine zu überprüfen.“ Sie erreichten die Gruppe aus wartenden Seeleuten , Gardisten und Stadtbewohnern. ,, Sind alle hier ?“ , wollte Eden wissen. Zum ersten mal fand sich so etwas wie Ruhe. ,, Unsere Leute sind alle da.“ , erklärte einer der Garde-Offiziere. ,, Und es befand sich niemand von uns an Bord der Windrufer.“ Die Gejarn nickte. ,,Gut. Was ist mit meinen Leuten?“ ,, Wir hatten noch keine Zeit

nachzuzählen.“ , antwortete einer der Männer. ,, Aber..“ ,, Dann würde ich sagen, ihr fang damit an…“ ,, Wie gesagt, wir hatten noch keine Gelegenheit dazu., fuhr ihr Gegenüber fort. ,,Aber ich habe heute Nacht alle schon einmal irgendwo gesehen. Die einzigen, die ich nirgendwo finden konnte sind Cyrus… und Zachary.“ ,, Was soll das heißen, ihr könnt sie nicht finden ? Dann sucht sie eben.“ Der Mann zögerte. ,, Wir… Es tut mir leid…“ Er zog einen kleinen Gegenstand aus der Tasche, den er Eden reichte. ,, Wir haben das unter Deck gefunden. Sobald die Flammen dort erloschen

waren.“ Jiy war inzwischen wieder aufgestanden. Sie konnte nicht sehen, was der Mann der Kapitänin gegeben hatte… aber ihr Gesicht. Jiy sah jemanden ins Auge, dem man grade einen Pflock ins Herz getrieben hatte. Eden ließ den Eimer fallen, der neben ihren Fuß rollte. ,,Wo… Wo sagt ihr, habt ihr das gefunden?“ ,, Im Schiffsrumpf, Käpt’n. Da unten ist alles bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Wir wissen es also nicht genau, aber…“ Eden drehte sich wortlos um und nun konnte Jiy auch erkennen, was sie in der Hand hielt. Es war ein blauer, tropfenförmiger Edelstein. Die silberne

Fassung darum war teilweise geschmolzen und mit Asche verkrustet. Und doch war der Stein unverkennbar. Die Flammen hatten zumindest der Träne Falamirs nichts anhaben können. Eden wirbelte herum und versetzte dem fallengelassenen Wassereimer einen Tritt, der ihn direkt ins Hafenbecken beförderte. ,,Verdammt!“ Die Kapitänin sank deutlich in sich zusammen. ,, Verdammt…“ Die Crew wich unsicher von ihr zurück und Jiy konnte sehen, das mehr als einer sich komplett abwendete. Sie selber musste sich zwischen, stattdessen einen Schritt auf die Gejarn

zuzumachen. ,,Wir wissen nicht, ob sie tot sind.“ Es sollte aufmunternd klingen, aber sie brachte kaum ein Flüstern zustande. ,, Eden, wir haben noch nicht alles durchsucht.“ ,, Es wird nichts übrig sein.“ , bemerkte sie nur düster. ,,Ich habe versagt Jiy. Ich habe ein versprechen gegeben, Zac mit meinem Leben zu schützen. Und ich konnte nicht mal das. Ich habe in allem versagt.“ In ihren Augen glitzerten Tränen, die Eden jedoch mit einem seufzten wegwischte. Jiy wusste nicht, was sie im Augenblick sagen könnte. Aber die Vorstellung, dass ihnen heute zwei Leben genommen

worden waren… Sie musste sich selber zusammenreißen, um sich nicht einfach Edens stummer Resignation anzuschließen. Noch stand nichts fest, oder? Sie sah einen Moment hilfesuchend zu Kellvian, aber der wirkte im Augenblick noch verlorener als sie. ,, Was ist passiert ?“ Die Menge am Hafen wurde unruhig und teilte sich, als eine Gruppe Paladine den Weg frei räumte. Es war wohl wirklich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Archonten hier auftauchten, dachte JKellvian. Und sie hätten keinen unpassenderen Augenblick dafür wählen

können. Die Garde der inneren Stadt nahm kaum Rücksicht auf die Leute in ihrem Weg. Wer nicht rechtzeitig auswich, wurde mit einem groben Stoß zur Seite geschafft. Mit der Gruppe Soldaten tauchte jedoch zum ersten Mal so etwas wie ein Lichtblick in der ganzen Situation auf. Erik Flemming drängte sich ohne Rücksicht an den Paladinen vorbei. Sein Blick wanderte zwischen dem halb zerstörten Schiff und den versengten Gebäuden hin und her. ,, Was ist hier nur passiert ?“ , fragte der Arzt erneut, als er schließlich nah genug heran war. Kell hatte den Mann selten so erschüttert erlebt. Und dabei

wusste er das meiste noch gar nicht. ,,Zachary ist Verschollen .“ , brachte Eden nur tonlos hervor. ,, Cyrus auch.“ ,, Aber… Wie…“ Erik sah sich unter den umstehenden um. Bevor er jedoch dazu kam, noch etwas zu sagen, hatten die Archonten sie erreicht. ,, Könnte mir jemand erkläre, wieso ihr unsere Stadt in Brand setzt ?“ , fragte Cadus. Zusammen mit Laos waren die vier Herrscher Helikes sichtlich ungehalten über das trostlose Bild, das die Hafenmeile nun bot. ,, Wir hatten nichts damit zu tun.“ , erklärte Kellvian sofort. ,, Ich fürchte, man hat uns lediglich Übel mitgespielt. So eine Explosion wäre unmöglich

gewesen, ohne dass jemand sehr unvorsichtig gewesen wäre. Oder es darauf angelegt hat.“ ,,Und da niemand in die Pulverkammer konnte, nehme ich letzteres an.“ , fügte Eden hinzu, die sich zumindest äußerlich wieder Gefangen zu haben schien. ,, Nun, vielleicht verschwindet ihr dann besser endlich.“ , bemerkte Chonar höhnisch. Offenbar war das endgültig der Tropfen, der für die Gejarn das Fass zum Überlaufen brachte. Bevor einer der Paladine sie daran hindern konnte, hatte sie den Wolf gepackt und rammte sein Gesicht in die Überreste einer Häusermauer. Der Archont stolperte zurück, heulend und sich die blutende

Schnauze haltend, während Eden das Schwert zog. Kellvian gefror das Blut in den Adern. Hatte er bis eben noch geglaubt, die Situation könnte kaum schlimmer werden? ,,Das werdet ihr noch bereuen…“ , schrie Chonar , kam aber nicht weit, als sich ihm ein Stück geschliffener Stahl unters Kinn legte. ,,Versucht es.“ , meinte Eden nur kalt. Und plötzlich viel zu ruhig. Die umstehenden Wachen richteten Schwerter und Speere auf die einzelne Gejarn, doch niemand rührte sich vom Fleck. Ihnen allen musste klar sein, das sie im Zweifelsfall nicht schnell genug waren. Eden brauchte nur etwas den Druck auf

der Klinge verstärken und Chonar würde den Hafen nicht mehr Lebend verlassen. Aus dem Spott des Mannes war längst nackte Angst geworden. Eden dachte tatsächlich darüber nach, den Archonten auf der Stelle zu töten. ,, Eden, seit ihr verrückt geworden ?“ Wys trat vor, offenbar als einziger nicht zur Salzsäule erstarrt. ,, Und so was macht ihr ernsthaft zu euren Anführern.“ , murmelte die Gejarn derweil . ,,Ich hoffe ihr seid wirklich Stolz darauf. Soll ich eurem Volk einen gefallen tun, Chonar, was meint ihr?“ ,, Ihr blufft nur.“ , erklärte er mit viel zu hoher, panischer Stimme. ,, Ihr…“ Eden verstärkte den Druck auf der

Klinge etwas. Neben dem Blut, das aus der gebrochenen Schnauze des Wolfs strömte gesellte sich nun auch ein feiner, roter Streifen am Hals dazu. ,, Sicher ? Ich möchte, das ihr mir gut zuhört, Archont. Das gilt für alle von euch vier. Ich habe heute einen guten Freund und einen Sohn verloren. Und sollte ich erfahren, das ihr auch nur in irgendeiner weiße dabei eure Finger im Spiel hatte, Archont, dann werden eure Wüten nicht weit genug sein um euch dort vor mir zu verstecken.“ Sie riss die Klinge zurück und versetzte dem Mann einen Stoß, so das er in die sicheren Reihen seiner Leibwache stolperte. ,, Schafft diese Leute aus meiner Stadt.“

, rief Chonar, sobald er den ersten Schock überwunden hatte. ,, Wenn sie in einer Stunde noch hier sind, will ich ihre Köpfe auf dem verdammten Richtplatz. Ich…“ ,,Haltet die Klappe.“ Zum zweiten mal seit ihrer Ankunft hier, war es Jona, der sich einmischte. ,, Ich kann mich nicht erinnern, das Helike jetzt schon ausschließlich… eure Stadt wäre. Ich für meinen Teil glaube, ihr solltet endlich öfter mal von eurer Fähigkeit gebrauch machen, die Schnauze zu halten. Und ich sage außerdem, sie sollten bleiben. Und ich denke, Wys wird mir wohl zustimmen.“ ,, Schon wieder…“ , knurrte Cadus. ,, Diesmal

Jona, habt ihr euch verschätzt, wenn ihr glaubt, das ein Patt ausreicht , damit wir diese… Fremden weiterhin innerhalb unserer Stadtmauern dulden.“ ,, Und ich kann einen Entscheidungsunfähigen Archontenrat nicht länger dulden.“ , erklärte nun Laos. ,, Ich habe Kellvian und die anderen nicht hergebeten. Aber ohne sie, hätten wir die Minen nicht zurück gewonnen. Und für diese Katastrophe hier habt ihr nur Spott über, Chonar ? Ich habe das alles viel zu lange hingenommen.“ ,, Was soll das heißen ?“ , fragte Wys. ,, Von diesem Moment an, verbiete ich dem Archontenrat, Entscheidungen zu

treffen, die die Gesandten aus Canton betreffen. Wer sich darüber hinwegsetzt und wer in irgendeiner weiße irgendetwas tut, um ihnen zu Schaden oder auch zu nutzen, ohne das ich davon weiß… Wird sich dafür vor mir zu verantworten haben. Und jetzt… ich will das die Paladine hier verschwinden. Lasst diesen Leuten ihren Frieden.“ Mit diesen Worten drehte er sich um, ohne sich noch einmal zu vergewissern, das seinen befehlen Folge geleistet wurde. Die kaum ausgesprochene Drohung zeigte Wirkung. Ohne auf die vier Archonten zu achten, ließen alle Paladine die Waffen sinken und folgten, einer nach dem anderen, Laos zurück in

die innere Stadt. Die Archonten zögerten nur kurz. Chonar ging als erster, immer noch blutend, dann folgte ihm Cadus und schließlich ging auch Wys. Jona blieb noch einen Moment. ,, Ich weiß es wäre nicht viel aber… Ich kann sicher ein paar Handwerker organisieren, damit sie sich das Schiff mal ansehen.“ ,, Und Laos Anweisung…“ , begann Kellvian. ,, Ach, der alte Lehrer hat nur miese Laune. Hätte ich bei dem ganzen Irrsinn hier auch. Das wird wieder. Ich bezahle die Handwerker aus eigener Tasche. Und ihr werdet es ihm ja auch nicht

mitteilen.“ ,,Nein.“ , meinte Jiy. ,, Aber… warum tut ihr das ?“ ,, Wenn ich damit den anderen eines Auswichen kann, ist mir das Lohn genug.“ , erklärte er ruhig, bevor er sich ebenfalls zum gehen Wendete. ,, Danke.“ , flüsterte Eden. ,, Nicht, das es viel ändert, trotzdem… Danke.“ Der Löwe nickte nur kurz, dann raffte er seine Gewänder und beeilte sich, die anderen Einzuholen.

Kapitel 53 Durch den Untergrund


Zyle hatte von den Geschehnissen am Hafen gehört. So wie vermutlich der Großteil der Stadt. Es waren Gerüchte, das eines der Schiffe, mit denen die Fremden aus Canton in die Stadt gekommen waren, völlig zerstört worden war. Er musste sich zusammennehmen um nicht alles fahren zu lassen und nach dem Rechten zu sehen. Am helllichten Tag in den Hafen zu rennen, würde seine Deckung so sicher zerstören, wie zuzugeben, das er kein Verbannter war. Und sich eigentlich frei Bewegen konnte. So Leid es ihm tat, er musste darauf

vertrauen, dass die anderen damit fertig wurden. ,,Da wären wir.“ Relinas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Die Anführerin der Magier hatte ihre blaue Gelehrtenrobe gegen etwas Praktischeres eingetauscht. Ein hellgraues Hemd und Hosen. Ein brauner Stoffbeutel hing an einem Riemen über ihre Schulter. Wie Angekündigt, war sie am Morgen zu dem verlassenen Haus zurückgekehrt, das den Abtrünnigen Helikes als Unterschlupf diente. Einer von vielen, soviel wusste er schon. Sie waren vorsichtig und es kam praktisch nicht vor, dass zu viele von ihnen an einem Ort zusammen trafen. Also müsste er

entweder herausfinden, wo sic jedes einzelne Versteck befand, eine Lebensaufgabe, wenn überhaupt, oder auf eine bessere Gelegenheit warten. Vielleicht war das das Beste, wenn sich nie eine bot, dachte er. Ob Relina ihm seine Gedanken ansehen konnte oder nicht, sie war stehengeblieben. Über eine Treppe waren sie in den Keller des Gebäudes gelangt, ein Raum, der genau wie die Räume oben deutlich Verfallen war. Schimmel und Spinnweben bedeckten die Wände und auf verrottenden Hohlziegeln sammelte sich der Staub. ,, Was wollt ihr mir hier bitte zeigen ?“ l, fragte er

verwirrt. Relina lachte. ,, Wir sind auch noch nicht da. Ich meinte, wir haben den Angenehmen Teil der Reise hinter uns.“ Sie trat an eines der verfallenen Regale heran und zog es ein Stück beiseite, so das Zyle erkennen konnte, was darunter lag. Eine Holzlatte, welche die Gejarn ebenfalls rasch beiseite schaffte. Darunter führte ein mit Holzbrettern verkleideter Schacht in die Tiefe und verlor sich im Dunkeln Eine rostige Leiter ragte aus den Schatten. Nicht grade Vertrauenserweckend, dachte er bei sich. ,,Wo führt das hin ?“ , wollte Zyle wissen, während Relina zwei Laternen

aus einem Regal zog und ihm eine davon reichte. ,,Die Kanalisation.“ , erklärte sie und entzündete den Lampendocht mit einer Handbewegung. ,,Großartig…“ Er seufzte. Das war doch wohl ein schlechter Scherz. Doch Relina wartete erst gar nicht mehr ab, sondern stieg bereits die ersten Sprossen hinab. Die Lampe hakte sie dabei in den Riemen ihrer Tasche und verschwand bald aus Zyles Sichtfeld. Er trat zögerlich an den Schacht. Irgendwo auf halbem Weg hinab konnte er Relina noch schemenhaft ausmachen. Es half ja nichts… Zyle packte die erste Strebe und kletterte der Zauberin nach,

in die Tiefe. Der Abstieg endete auf einem kleinen Steg aus unbehauenem Fels. Das Licht der Laternen erhellte nur einen kleinen Teil ihrer Umgebung, aber Zyle konnte das stetige Tropfen von Wasser hören. Der Grad, auf dem sie standen führte offenbar am Rand einer großen Wasserrinne entlang, die jedoch beinahe trocken lag. Zwischen einigen Pfützen schmutzigen Wassers sammelte sich Unrat und Müll. Erde, Holzstücke, zerbrochene Gefäße und über allem, die huschenden Schatten der Ratten, die vor dem plötzlichen Licht flohen. Relina bedeutete Zyle, ihr zu folgen. ,, Sagt bloß, ihr seid öfter hier unten ?“

, fragte er, als sie ohne zu zögern dem Steg folgte und in einen kreuzenden Tunnel einbog. Man konnte sich hier unten leicht verlaufen, dachte er. Wenn man irgendwo falsch abbog und durch die Dunkelheit irrte… Zyle schüttelte den Gedanken ab. Er wollte erst gar nicht darüber nachdenken. Der Tunnel, dem sie nun folgten war offenbar Älter. Moos wucherte zwischen den Fugen der Steine und verlieh allem einen grünlichen Schimmer. Hier und da viel Sonnenlicht durch Schächte, die wohl hinauf zu den Straßen führten. Zyle konnte das entfernte Geräusch von Schritten und Wagenrädern hören, die über das Pflaster

rollten. ,, Es ist die einzige Möglichkeit, sich zu bewegen, ohne gesehen zu werden.“ , erklärte sie nur. ,, Wir wechseln ständig zwischen einem dutzend Orte hin und her. Nicht alle von uns sind Zauberer und die, die es sind…“ ,,Sind nicht so gut wie ihr.“ ,,Ich hätte das anders formuliert. Aber… ja. Die meisten können nicht mit mir mithalten. Und ich kann es ihnen auch nicht beibringen. Wie gesagt, Teleportzauber sind nicht grade unauffällig. Und wenn man sie nicht

richtig beherrscht, kann man sonst wo landen.“ ,, Wo habt ihr das dann gelernt ? Die Zauberer, die ich in Canton getroffen habe, brauchten Jahre um ihre Fähigkeiten zu meistern.“ ,, Ich hatte schlicht Gelegenheit dazu. Bis meine Begabung bemerkt wurde, vergingen Jahre und ich gab mir Mühe… es zu verbergen. Danach…“ Sie wurde etwas langsamer und ließ die Hand zu der Narbe auf ihrer Wange wandern. ,, Danach wurden die Dinge rasch komplizierter.“ ,, Ihr seid also geflohen.“ , vermutete Zyle. ,, Seit ihr so zu den abtrünnigen Magiern gelangt

?“ Relina lachte, ihre Stimme hallte von den Wänden wieder und er fürchtete kurz, man müsste sie sogar noch auf den Straßen über ihnen hören. ,, Bevor ich anfing, einen Aufzubauen, gab es keinen gesammelten Wiederstand gegen die Archonten. Nur einen Haufen verängstigter Einzelgänger. Aber nicht viel länger. Wir sind so kurz davor, endlich unsere Ziele zu erreichen. Ihr werdet schon sehen. “ Zyle gefiel nicht, das sie nach wie vor nicht mit der Sprache herausrücken wollte, was diese Ziele denn bitte waren. Es klang gefährlich. Obwohl Relina meinte, nicht gegen die Archonten

kämpfen zu wollen, welche andere Alternative gab es denn für sie? Und die Zerstörung, die das zur Folge haben könnte… Die Armeen Helikes waren gewaltig, aber es gab nur wenige unter ihnen, die es gewohnt waren, gegen ausgebildete Magier zu kämpfen. In einem offenen Kampf würden tausende sterben. Trotzdem konnte er sich eine gewisse Bewunderung für Relina nicht absprechen. Es musste einiges erfordert haben, das hier alles auf die Beine zu stellen. Er begann sie zu mögen… Zyle schüttelte den Kopf und war froh, das das Halbdunkel ihn verbarg. Das konnte er sich ganz einfach nicht erlauben. Vor ihnen beschrieb der Steg erneut

einen Bogen nach links. Vier Kanäle, durch die Wasser strömte, liefen hier ineinander. Offenbar hatte es einmal einen Übergang zwischen ihnen gegeben, aber der war schon lange verfallen. Rostige Eisenbolzen im Boden zeigten, wo es einmal eine Brücke gegeben haben musste. Jetzt jedoch gab es zwischen der einen Seite des Stegs und der anderen nur einen träge dahinströmenden Fluss aus Abwässern. ,, Wir müssen hier rüber.“ , erklärte Relina und nickte geradeaus zur anderen Seite des Kanals. ,, Warum habe ich nur schon damit gerechnet.“ Zyle schätzte die Entfernung. Es war mit einem Sprung zu

schaffen, aber… ,, Könntet ihr uns nicht einfach rüberbringen ?“ , fragte er. ,,Wenn ihr riskieren wollt, in einer Wand zu landen, oder oben auf der Straße... Offene Flächen sind kein Problem, aber wenn wir von einem relativ schmalen Raum reden…“ ,,Verstehe…“ ,, Es ist machbar, ich bin den Weg schon ein paar mal gegangen.“ , meinte die Gejarn, bevor sie Anlauf nahm und mit einem Satz auf der anderen Seite landete. Zyle schluckte. Selbst wenn er fiel, landete er schlimmstenfalls im Dreckwasser. Aber darauf würde er gerne verzichten. Aber vom warten

wurde es nicht besser, sagte er sich. Er trat ein paar Schritte zurück und schätzte nochmal die Entfernung. Es war wirklich zu schaffen, sagte Zyle sich. Er nahm Anlauf und sprang ein Stück vor der Kante ab. Der Sprung geriet etwas zu kurz und er setzte mit dem Fuß direkt auf der Kante des gegenüberliegenden Vorsprungs auf. Der Stein war glitschig von Wasser und Algen. Zyle verlor das Gleichgewicht und stellte sich innerlich schon darauf ein, gleich unweigerlich im Wasser zu landen. Bevor er jedoch endgültig über die Kante stolpern konnte, packte Relina ihn am Arm und riss ihn zurück auf sicheren Grund. ,,Wie gesagt.“ , meinte sie schelmisch

grinsend und strich sich eine Haarlocke aus dem Gesicht. ,, Alles halb so schlimm.“ ,, Das sagt ihr. Aber wir müssen auf dem Rückweg auch wieder hier entlang.“ ,,Keine Sorge, wen wir bis heute Abend warten, können wir vielleicht die Straßen benutzen.“ ,, Wie das ?“ Relina antwortete jedoch nicht, sondern winkte ihn lediglich weiter. ,, Wir sind bald da.“ , erklärte sie nur. Der Boden unter ihren Füßen stieg leicht an und führte stetig nach oben. Wenn die Tunnel dem Straßenverlauf folgten, ging es grad einen Berg hinauf. Seltsam nur, das das Geräusch von Schritten und

fernen Stimmen über ihnen zunehmend leiser wurde. Als würden sie die Stadt selbst hinter sich lassen. Aber das war unmöglich. Selbst wenn das Kanalsystem bis über die Stadtmauern hinausging, sie waren niemals weit genug dafür. Relina wurde langsamer und sah sich genau um, als ob sie nach etwas suchte. ,, Ihr habt mir immer noch nicht verraten, wo wir eigentlich hingehen.“ , bemerkte Zyle. ,, Nein, aber das seht ihr schon früh genug.“ Die Gejarn sah sich lediglich weiterhin um. ,, Dann verratet mir eben etwas anderes. Wieso nennt ihr euch Phönix?“ ,, Das ist eine… lange Geschichte. Am

Anfang, vor Jahren, haben ein paar Leute angefangen mich so zu nennen. Leute, die nach uns gesucht haben, um sich uns anzuschließen. Ich habe immer versucht, möglichst unerkannt zu bleiben und der Name blieb hängen. Als Deckname ist er so gut wie alles andere.“ Sie erreichten eine Stelle, an der eine verfallene Leiter vom Tunnel aus nach oben führte. Das war es also, wonach Relina Ausschau gehalten hatte, dachte Zyle. So wie es aussah, war der Abstieg seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Das einzig auffällige war eine weiße Kreidemarkierung neben den ersten

Sprossen. ,, Hat das irgendetwas zu bedeuten ?“ , wollte er wissen, während Relina bereits die Leiter hinaufkletterte. ,, Wir hinterlassen Zeichen auf unseren üblichen Wegen. So kann man sich hier unten auch zurechtfinden, wenn man nicht genau weiß, wo man ist.“ Die Magiern hatte mittlerweile das ober Ende der Leiter erreicht. Wie schon beim Eingang im Keller war dieser durch eine simple Holzplatte verschlossen, die sie rasch bei Seite schob. Grelles Tageslicht fiel von oben in die Tunnel und Zyle musste kurz die Augen mit den Händen abschirmen, bevor er ihr folgte. Sobald er den Kopf über den Rand der

Öffnung im Boden heben konnte, sah er sich um. Sie waren noch in Helike, genauer gesagt, auf der dem Meer gegenüberliegenden Seite der Stadt. In der Ferne konnte er die äußere Stadtmauer erkennen, zusammen mit den typischen Gebäuden der Stadt. Nur um sie herum lag Brachland, das hier und da mit gelbem Steppengras bewachsen war. Der Aufgang aus der Kanalisation lag direkt neben einem Kiespfad, der durch die Vegetation führte. Der Ort lag auf der Spitze eines kleinen Hügels und damit etwas über der restlichen Stadt erhaben. Obwohl Zyle in Heliek aufgewachsen war, war er noch nie hier gewesen. Trotzdem brauchte er nicht

lange um zu wissen, wo er sich befand. Es gab nur zwei große, unbebaute Flächen in Helike. Eine davon war ein Friedhof für die normale Bevölkerung. Nur im Kampf getötete Soldaten wurden in der inneren Stadt verbrannt und ihre Überreste zum Teil in den Mausoleen dort aufbewahrt. Die zweite unbebaute Fläche war jenen als letzter Ruheplatz bestimmt, die sich gegen die Richtlinien der Archonten gestellt hatten… und dafür getötet worden waren. Der Hauptfriedhof war normalerweise gut gepflegt. Dieser Ort hier hingegen bot ein durch und durch trostloses Bild. Wenn es Markierungen gab, so waren diese aus Holz und teilweise so

verwittert, dass man die Namen nicht mehr lesen konnte. Unkraut wucherte auf dem Weg, über den wohl nur selten jemand ging. Niemand betrat Freiwillig den Friedhof der Verlorenen. Niemand, außer Relina und ihm , wie es aussah. ,, Warum bringt ihr mich hierher ?“ , fragte er und konnte eine gewisse Nervosität nicht verbergen. ,,Damit ihr es seht.“ Sie machte eine ausladende Handbewegung. ,, Ihr glaubt, man könnte Helike noch helfen ? Nun hier seht ihr wie alle Enden, die das einmal Versucht haben. Das ist die unschöne Wahrheit, die eure Archonten nicht sehen wollen. Sie haben ihre… perfekte Gesellschaft. Und sie haben sie

auf einem Stapel aus Leichen erbaut.“ Zum ersten Mal klang Relina verbittert. Sie drehte sich einfach um und folgte dem Weg zwischen den unmaskierten Gräbern hindurch. Zyle wusste einen Moment nicht, was er tun sollte, dann folgte er ihr langsam.

Kapitel 54 Der Friedhof der Verlorenen


Es war eine erschreckendes Mahnmal in mitten Helikes. Ein Ort, um den jeder einen großen Bogen machte, selbst wenn er dadurch einen Umweg in Kauf nahm. Kein einziges der Häuser, die an das Gräberfeld grenzten, verfügte über Gärten oder ähnliches. Und bei vielen Gebäuden waren Fenster und Rücktüren vernagelt oder zugemauert worden. Die Stadt wollte die Toten hier mit aller macht vergessen. Und selbst Zyle fühlte sich unwohl, jetzt wo er einmal hier war. Der Friedhof der

Verlorenen war ihnen allen bekannt, trotzdem taten alle so, als gäbe es ihn nicht. Was ihn jedoch am meisten beunruhigte, war die Größe des Felds. Auch wenn viele Grabstellen nicht markiert waren, sah man die Umrisse, wo einstmals Gruben ausgehoben worden waren. Der Friedhof war riesig. Zyle schüttelte den Kopf. Obwohl er längst mit der Zeit abgeschlossen hatte, in dem ihn die Worte der Archonten als Gesetz gegolten hatten… Es schien Unmöglich, das dem so viele zum Opfer gefallen sein konnten. Er verstand langsam, warum Relina ihm so lange Verschwiegen hatte, wohin sie gingen. Die Wirkung war… ernüchternd. Hätte

er gewusst, was ihn erwartete, hätte er sich darauf vorbereiten können. Und Das Offensichtliche ausgeblendet wie… die die Besitzer der Häuser rundherum eben. Die Zauberin brauchte sich nun jedoch keine Sorgen machen, das er nicht Verstand. Er hatte dies alles schon vor sehr langer Zeit Verstanden. Nur erst jetzt konnte er es sich eingestehen. Laos Worte forderten Opfer… und zwar mehr, als jemals Vertretbar wäre. Aber das hieß nach wie vor nicht, dass man es nicht ändern konnte. Er hatte mit dem Mann gesprochen, der für ihre Misere verantwortlich war. Und seine angeblichen Schriften als Fälschungen

entlarvt. Das wiederum konnte er aber Relina nicht sagen. Es reichte jedoch, dass er die Wahrheit kannte. Es musste einen Weg geben, dachte er, während er der Zauberin über die verwaiste Straße folgte. Nur… welchen ? Das Bild das sich ihm bot änderte sich kaum. Selbst die Angehörigen der meisten Toten kamen nicht hierher. Aus Angst oder aber Abscheu für die hier liegenden… Deshalb war es für Zyle überraschend, unter all dem Verfall auf eine einzige, gepflegte Grabstelle zu stoßen. Drei Steine mit Inschriften , die über einem Kreis aus weißen Kieseln aufragten. Vertrocknete Blumen in

kleinen Zinngefäßen zeigten, das eine Weile niemand mehr hier gewesen war. Trotzdem war der Ort nicht so vernachlässigt wie der Rest. Zyle trat neugierig näher und auch Relina blieb stehen. Auf jedem der Steine stand ein Name Avon, Ellen und Alena. Der Gejarn konnte nichts damit anfangen. Aber mit dem vierten Namen, der über alle der Steine gestreckt eingraviert worden war. Vilaras. Das konnte nicht sein, oder? Das war nur Zufall… ,,Wisst ihr, wer hier liegt ?“ , wollte er von Relina wissen. ,, Ihr könnt lesen ?“ , wollte sie leicht spöttisch

wissen. ,,Ich kenne einen Jona Vilaras, der Händlerkönig von Helike, aber der Sitzt im…“ ,, Archontenrat.“ , schloss die Magiern den Satz. ,, Ganz genau. Es ist nicht verwunderlich, das ihr nicht davon wisst. Es ist bestimmt nichts, dass er die Leute wissen lassen möchte. Frau, Tochter und Sohn. Alle in einer einzigen Nacht getötet.“ ,, Warum ? Wofür ? Und…“ ,,Jona war nicht immer Archont. Aber er hatte schon immer einiges an Einfluss. Was glaubt ihr könnten sie mehr fürchten, als das? Jedenfalls schlug das wohl fehl. Nach dem Tod seiner Familie

hat er sich erst recht in die Politik gestürzt und sich offenbar ganz Helike verschrieben, wie es aussieht. Wie gesagt, das dürfte ein Teil seiner Vergangenheit sein, den er sicher nicht wieder aufrollen möchte. Ich weiß nur davon, weil wir es nicht vergessen haben.“ ,, Hat er versucht sich euch anzuschließen ?“ Relina schüttelte den Kopf. ,, Ich glaube nicht, das ihn das interessiert. So wertvoll er als Verbündeter wäre, dieser Mann lässt lieber alles für ihn arbeiten, als selber etwas zu tun.“ Der Gejarn ließ den Blick noch einmal über das Ödland

schweifen. ,,Ich glaube, ich habe genug gesehen.“ , erklärte Zyle schließlich. ,, Lasst uns bitte einfach gehen.“ ,, Es tut mir leid. Aber ihr musstet das hier sehen.“ Er nickte. ,, Keine Sorge… es geht mir gut.“ Er hatte nur noch mehr Fragen. ,, Für den Moment will ich nur hier weg.“ ,, Wir müssen bis heute Abend warten oder durch die Kanäle zurück.“ , erklärte sie. Zyle sah rasch nach dem Sonnenstand. Es wären noch ein paar Stunden, bis es dunkel würde. Wenn es sich vermeiden ließ, würde er gerne darauf verzichten, noch einmal durch die Katakomben zu gehen.

Aber wieso warten? Bei Nacht waren die Straßen Helikes für sie doch noch unsicherer. Wenn außer den Wachen niemand mehr unterwegs wäre… ,, Worauf genau warten wir dann eigentlich ?“ ,,Die Totenfeiern. Wenn die ganze Stadt auf den beinen ist, fallen wir überhaupt nicht mehr auf.“ ,,Totenfeiern für wen ?“ , fragte Zyle. Er wusste zumindest von nichts. Vermutlich für die Soldaten, die sie in den Minen verloren hatten. Normalerweise würde so etwas aber Angekündigt werden… ,, Archont Samiel.“ Endlich fielen die Teile an ihren Platz.

Samiel war noch nicht bestattet worden, das stimmte. Vermutlich hatte der Archont verfügt, seine Trauerfeier klein zu halten, weshalb sie nicht zuvor ausgerufen wurde. Aber woher wusste Relina dann davon? Die Gejarn blieb die Antwort schuldig, sondern bedeutete ihm nur, ihr ein Stück zu Folgen. ,, Ich denke es ist ungefährlich, wenn wir ein kurzes Stück die Straße benutzen.“ , erklärte sie ihm, als sie sich dem Ausgang des Friedhofs näherten. Ein schmiedeeisernes Tor, das genau so ungepflegt war, wie der Rest des Ortes. Halbtote Schlingpflanzen suchten sich, zwischen Rostflecken und abgeplatzter Farbe, ihren Weg durch den Zaun. Zyle

öffnete das Tor und trat in eine Gasse zwischen zwei Häusern hinaus. ,, Wohin genau wollen wir ?“ ,, Am Ende der Straße gibt es einen Platz.“ , erläuterte Relina, als sie die Gasse verließen. ,,Dort steht ein weiteres sicheres Haus, wo wir fürs erste bleiben können.“ Rasch sahen sie sich in alle Richtungen um, bevor sie sich dem trägen Strom der Menschen anschlossen. Es dauerte nicht lange und Zyle konnte den Platz, den sie erwähnt hatte schon sehen. Was ihn hier jedoch erwartete, war eine weitere, kleine Überraschung. Er hatte ein weiteres, seit langem leer stehendes Gebäude erwartet. Einen er Orte in Helike, für die sich niemand

mehr interessierte. Doch die Häuser, die um einen kleinen Brunnen herum angeordnet waren, sahen allesamt Gepflegt aus, ohne das geringste Zeichen von Verfall. Reline trat zielstrebig an das erste Haus zu ihrer linken und klopfte an. Zyle betrachtete das Gebäude einen Moment. Weiß getünchte Wände, in die mehrere, großzügige Glasfenster eingelassen waren, sprachen für sich. In einige Setzkästen vor den Fenstern blühten Pflanzen, die in der Hitze eigentlich kaum überleben dürften. Außer, man ersetzte sie regelmäßig. Wer immer hier lebte gehörte sicher nicht zum ärmeren Teil der Bevölkerung Helikes.

Schließlich wurde die Tür geöffnet und ein Mensch mittleren alters trat heraus. Kurzgeschorene schwarze Haare und ein Stoppelbart umrahmten ein Gesicht, das die blasse Farbe trug, die ein Leben jenseits von Feldarbeit oder Schlachten mit sich brachte. Ihm folgte eine Frau, die vielleicht ein paar Jahre älter als er war und die angegrauten, blonden Haare im Nacken zu einem Zopf gebunden trug. Offenbar kannten die beiden Relina schon länger, den der Mann trat, ohne ein Wort, beiseite und ließ sie ein, bevor er die Tür hinter ihnen wieder verriegelte. Sie betraten einen kurzen,

holzgetäfelten Flur, während der Fremde sie rasch weiter in ein großzügig eingerichtetes Zimmer führte. Ein großer Esstisch nahm den Raum ein, zusammen mit einer erloschenen Feuerstelle und einer Tür, die hinaus zu einem Innenhof führte. Relina setzte sich ungefragt und auch Zyle nahm Platz, nachdem ihm einer Angeboten wurde. ,, Schön euch Lebend zu sehen.“ , erklärte der Mann , während auch die Frau am Tisch Platz nahm. Zyle vermutete, das sie wohl Eheleute waren. ,, Ihr seid mir und natürlich Martha immer willkommen. Aber was führt euch

hierher?“ ,, Ich fürchte, ich muss wieder einmal eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.“ , antwortete ich, Relina. ,, Vor Einbruch der Nacht komme ich hier nicht mehr weg.“ ,, Ihr könnt natürlich bleiben.“ , erklärte die Frau, die der nach wie vor namenlose Mann als Martha vorgestellt hatte. ,, Aber euren Begleiter dort kenne ich noch nicht.“ ,, Natürlich.“ Die Zauberin nickte in seine Richtung. ,; Das ist Zyle. Und das sind Eberk und Martha. Man könnte sie den Grund nennen, warum keiner von uns hungern muss.“ Martha winkte ab. ,, Ihr habt uns einen

viel größeren Gefallen getan, als wir jemals zurück zahlen könnten. Das bisschen Unterstützung das wir eurer… Unternehmung zukommen lassen, kann das niemals aufwiegen.“ ,, Gefallen ?“ , fragte Zyle. ,, Wir… „ , setzte Eberk an. ,,Man kann ihm dich trauen, Phönix?“ ,, Das kann man. Und ich habe euch schon mehrmals gesagt, dass mir Relina lieber ist. Vor ein paar Jahren habe ich ihren Sohn aus der Stadt geschmuggelt. Er war als Magier geboren und sie konnten ihn unmöglich länger als ein paar Jahre verstecken. Und er macht sich ganz gut, wie ich gehört habe. Ich habe ihn fürs erste zu ein paar Vertrauten in

einem Dorf die Küste hinab gebracht.“ ,, Das ist schön zu hören.“ , meinte die Frau. ,,Sobald in Helike alles erledigt ist, werden wir uns ebenfalls auf den Weg machen. Außerhalb der Stadtmauern ist es für die Archonten schwerer, Abtrünnige zu finden.“ ,, Es wird nicht mehr lange dauern.“ , erklärte Relina darauf. ,, Vielleicht ein paar Wochen für die letzten Vorbereitungen und wir können alle Abreisen. Sobald alles sicher ist, holen wir euch nach.“ Zyle wurde hellhörig. ,, Abreisen wohin ?“ ,, Ich habe euch schon einmal gesagt, das ich es für Zwecklos halte, die

Archonten herauszufordern. Also tuen wir das zweitbeste. Wir weichen ihnen aus. Ihr erfahrt schon früh genug, wohin. Wenn es so weit ist, werden wir so viele helfende Hände wie möglich brauchen.“ ,, Sicher.“ Das also hatten sie vor. Auch wenn es nach wie vor ziemlich wage schien, er atmete erleichtert auf. Das bedeutete zumindest, dass er sich keine Sorgen machen musste, die Magier könnten etwas Dummes tun. Es brachte jedoch eine ganz neue Frage für ihn. War die Situation wirklich so schlimm, das ihnen nur die Flucht nach… irgendwo blieb? Es blieb dabei, wenn Laos zugeben könnte, das seine Gesetzte

verfälscht waren… oder er die Archonten nur dazu bekam, mit den Magiern zu reden. ,, Habt ihr je darüber nachgedacht, das man mit den Archonten verhandeln könnte ?“ Relina schüttelte den Kopf. ,, Wie denn ? Die würden mich umbringen, bevor ich ein Wort heraus bekomme. Davon abgesehen, das ich keinem von ihnen zutrauen würde, sich an irgendeine Abmachung zu halten.“ ,, Vielleicht seit ihr zu pessimistisch.“ , meinte Zyle nur. Aber ihre Zweifel schienen berechtigt. Unter Samiel hätte es wohl kein Archont gewagt, irgend ein Versprechen zu brechen, doch nun, wo Cadus und Chonar praktisch das Sagen

hatten… Es war eine neue Situation. Wenn sich etwas ändern sollte, müsste Zyle schon in der Lage sein, Magier wie Archonten an einen Tisch zu zwingen. Freiwillig würde das keiner tun. Nach einer Weile verabschiedete sich erst Eberk und dann schließlich auch Martha von ihnen und verschwanden irgendwo in dem weitläufigen Gebäude. Relina hingegen stand auf und öffnete die Tür zum Innenhof. Zyle folgte ihr nach kurzem zögern hinaus. Ein braches, von einer Dornenhecke umgebenes Stück Land lag vor ihnen. Nur an einer Stelle sorgte ein Brunnen für genug Wasser, das einige grüne Gräser und Blumen überleben konnten. Die Hecke war hoch

genug, das sie sich keine Sorgen machen musste, von der Straße aus entdeckt zu werden. Die Schatten der draußen vorbeiziehenden zeichneten sich zwischen den Zweigen ab. Mittlerweile begann es bereits dunkel zu werden und die Leute waren wohl alle darauf aus, nach Hause zu kommen und eventuell Vorbereitungen für die Totenfeiern zu treffen. Die Magiern hatte sich derweil auf den Brunnenrand gesetzt und sah in Richtung innere Stadt. Zyle verstand wieso. Mit Sonnenuntergang würden dort oben die Feuer entzündet werden. Das Zeichen für sie, das sie sich auf den Weg machen konnten. Sobald der erste Rauch zu

sehen war, wären die Straßen überall viel zu überfüll, als das man sie noch entdecken könnte. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden endlich hinter dem Horizont und fast zeitgleich stieg ein dünner Rauchfaden zwischen den weißen Gebäuden auf dem Berg auf. ,, Das wäre es dann wohl.“ , meinte Zyle. Sein Blick folgte der durchscheinenden Wolke einen Moment. ,, Wir sollten aufbrechen, bevor wir überhaupt nicht mehr durchkommen.“ ,, Einen Moment noch.“Relinas Stimme hatte auf einmal etwas Trauriges. Zyle drehte sich zu ihr um. Ein Teil von ihm wollte Fragen, was los war. Ein anderer schien die Antwort da schon zu kennen.

Und am Ende schwieg er nur. Die Magiern saß nach wie vor am Brunnenrand, hatte die Augen aber geschlossen. Und dann begann sie zu Zyles Verwirrung zu singen. Nur wenige Strophen, in einem Tonfall, den man nutzen mochte um ein Kind in den Schlaf zu wiegen. ,,Ja ich weiß Einer hält doch immer Wacht Für all die Lieben die ich hat Für die das Glück entschieden Sag ich Ruh sacht so ist die Nacht nur halb so lang.“ Danach schwieg sie einen Moment und auch Zyle wagte es nach wie vor nicht,

etwas zu sagen. Sein Fragender Blick musste ihn jedoch verraten haben. Die Gejarn grinste gequält. ,, Ein Schlaflied.“ , erklärte sie schniefend. ,, Das ist wirklich… lächerlich. Mein Vater hat es oft gesungen, nachdem meine Mutter gestorben war. Seltsam, das das die beste Erinnerung ist, die ich von diesem Mann habe, oder?“ ,,Vater…“ Zyle fiel die Antwort wie Schuppen von den Augen. Sein Blick wanderte wieder zu der dunklen Rauchsäule über der inneren Stadt. Dem Feuer, das nun die Überreste Samiels verzehrte. ,, Moment. Wollt ihr damit sagen, Samiel war euer…“ ,,Mein Vater. Ich glaube fast, er nahm

mein… Anders sein wohl persönlich. Als wäre ich eine Beleidigung für ihn. Trotzdem hat er mich Anfangs noch Versteckt. Anfangs… Genug Zeit für mich um zu Verstehen, was ich tun konnte.“ ,, Ich wusste bisher nicht einmal, das er Familie hatte.“ ,, Natürlich nicht. Der mächtigste Archont Helikes hat eine Magiern zur Tochter. Was für ein Witz, das gewesen wäre. Und natürlich… tat er , was eure Schriften verlangten. Für sie war ich nur eine weitere Abscheulichkeit, die beseitigt werden musste.“ Es war das zweite Mal, das Zyle ihre eigentliche Verbitterung bemerkte. Etwas, das sie

bisher immer unter einer Schicht aus nüchterner Objektivität zu begraben schien. ,, Was ist passiert ?“ ,, Sie haben gleich das ganze Gebäude niedergebrannt, in dem ich mich versteckt hatte. Vielleicht wollte er es ja sogar als Unfall darstellen. Bevor jemand herausfand, das es mich überhaupt gab. Ich bin mit einer verdammten Narbe davon gekommen, Zyle. Vater zumindest, dachte jedoch wohl ich sei tot. Vielleicht ahnte er aber auch, dass ich noch lebe. Es ist nicht wichtig. Wir sollten aufbrechen.“ Und doch auf eine Art war es wichtig, nicht ? , dachte er. Was hatten die

übrigen Archonten gesagt? Samiel hatte ein schärferes vorgehen gegen Magier immer verhindert…. Auf seine alten Tage schien der verstorbene Archont scheinbar dahinter gekommen zu sein, das Relina noch lebte. Und er hatte sie auf die eine Art beschützt, die ihm möglich war…

Kapitel 55 Durch die Nacht


Der Rückweg kostete sie um einiges mehr Zeit, als es die Katakomben getan hätten. Nachdem Relina und er sich von ihren Gastgebern verabschiedet hatten, machten sie sich auf den Weg zurück zu dem Haus, von dem sie ursprünglich Aufgebrochen waren. Etwas, das leichter gesagt als getan war. Wie Zyle bereits befürchtet hatte, waren die Straßen hoffnungslos überfüllt. Zwar bot ihnen die Menge Deckung, aber sie kamen nur langsam voran. Die Leute hatten es nicht eilig, irgendwo hin zu kommen, sondern ließen sich Zeit. Einige Straßenhändler

hatten ihre Stände am Wegrand aufgebaut und bei mehr als einer Taverne, die sie passierten, saßen die Leute bereits draußen auf dem Pflaster oder auf Bänken und Tischen, die extra für heute herbeigeschafft worden waren. Die Bürger Helikes saßen zusammen, tranken und redeten im Schein von Kerzen und Laternen… Es war beinahe genug, das Zyle über die Schattenseiten dieser Stadt hinweg sehen konnte. Beinahe. Das hier war die gute Seite Helikes. Eines der wenigen Dinge, die sich nicht ändern sollten, wenn es in seiner Macht läge. Er hingegen hatte heute eine der dunkelsten erlebt, ein Schatten, der sich

nur langsam wieder von ihm hob. Obwohl sie die Feierlichkeiten nur passierten, fühlte Zyle sich wieder auf eine Art zugehörig, die er seit einem Jahr vermisst hatte. Die meisten Leute grüßten sie kurz im Vorübergehen, andere winkten sie sogar ganz offen heran, nur um sich dann wieder abzuwenden, als die zwei Wanderer vorübergingen. Selbst Relina schien sich der Atmosphäre nicht ganz entziehen zu können. Sie wurde tatsächlich etwas langsamer und hörte auf, alle paar Augenblicke nervös über ihre Schulter zu sehen. Zyle wusste nicht, ob er sie jetzt besser verstehen konnte. Im Gegenteil, es

brachte nur mehr Fragen. Aber der Respekt für sie wuchs. Er an ihrer Stelle hätte keinen friedlichen Weg gesucht, das wusste er. Ganz im Gegenteil. Relina hingegen hatte es irgendwie geschafft, über die Jahre Verbindungen zu knüpfen und einen Weg zu suchen, der ohne Blutvergießen auskam. Beinahe jeder andere hätte sich wohl in einen Rachefeldzug gestürzt. Es war beeindruckend, so gering er ihre Erfolgsaussichten einschätzte. Er stand, nach wie vor, vor dem gleichen Alten Problem. Und genau zwischen den Fronten. Die Archonten würden irgendwann Antworten erwarten. Auch wenn das sein geringstes Problem wäre.

Er könnte leugnen je Kontakt zu den Magiern gehabt zu haben. Relina war derweil wieder etwas langsamer geworden. Die Gejarn sah zu einem kleinen Straßenstand und schien offenbar zu überlegen, ob es das Risiko wert war. ,, Ich dachte wir sollten uns beeilen.“ , meinte Zyle schmunzelnd. Relina schien immer darauf aus, möglichst Effizient zu sein. Das hatte er mittlerweile gelernt. Es war schön, diese seltsame Disziplin einmal bröckeln zu sehen. Wenn auch nur etwas. ,, Ich schätze wir sind sicher genug.“ , erwiderte sie, klang aber ertappt. ,, Und es wird ohnehin kühl.“ , fügte die Gejarn

noch hinzu, bevor sie dem Verkäufer am Stand zwei Silbermünzen gab. Der Mann füllte daraufhin zwei Zinntassen bis zum Rand mit aufgewärmtem Kräuterwein und reichte sie ihr zurück. ,, Ihr braucht euch vor mir nicht zu rechtfertigen Relina.“ , sagte Zyle, während er einen der Becher entgegennahm. Die Kälte der Nacht setzte allmählich wirklich ein und das Getränk war angenehm wärmend. ,, Ich…weiß.“ , antwortete sie, bevor sie ihren Weg durch die Straßen fortsetzten. Langsam erreichten sie einen etwas ruhigeren Bezirk. Auch wenn ruhig hier ei sehr gestreckter Begriff war, dachte Zyle. Es gab weniger Leute auf den

Straßen. Die Gaststätten hatten zwar ebenfalls allesamt geöffnet, aber die Menschen wie Gejarn drängten sich nicht auf der Türschwelle. Zyle ließ den Blick etwas schweifen. Auf der anderen Straßenseite verließ grade eine Wachpatroullie eine weitere Taverne. Sofort merkte er, wie Relina die bewaffneten Männer musterte. Zum Glück schienen sie sich jedoch kaum für sie zu interessieren. Dazu war nach wie vor zu viel los. Und auch der Gejarn schien langsam klarer zu werden, dass sich zumindest heute kaum jemand um sie kümmern würde. ,,Ich glaube nicht, das die im Zweifelsfall überhaupt wissen, wie du

aussiehst.“ , meinte Zyle. ,, Sicher. Lass uns einfach zusehen, das wir hier verschwinden.“ Sie warf den mittlerweile leeren Zinnbecher weg. Relina beschleunigte ihre Schritte, bis Zyle kaum noch mit ihr mithalten konnte. Ein Blick über die Schulter sagte ihm, das sie mittlerweile weit genug weg wären, trotzdem wurde die Magiern nicht langsamer. Im Gegenteil, sie rannte jetzt fast schon. Zyle schüttelte den Kopf. Was sollte das denn jetzt? Rasch warf er seinen noch halb vollen Becher über die Schulter und versuchte, wieder zu ihr aufzuschließen. Relina schien das jedoch nicht zulassen zu wollen. Sie warf einen Blick über die

Schulter, spöttisch lächelnd… und verschwand direkt vor seinen Augen in einen kurzen grellroten Lichtblitz. Im allgemeinen Trubel viel das kam auf. Sie hatten den weniger gut Besuchten Bezirk Helikes mittlerweile hinter sich und waren wieder auf dem Weg in die belebteren Straßen. Zylesah sich nach allen Seiten um und entdeckte Relina auf einem Häuserdach. Im Vergleich zu den blockierten Gassen kam sie so auf jeden Fall schneller voran als er. Nur Wenige Bürger hatten sich auf die niedrigen Flachdächern der Häuser versammelt. Er drängte sich durch die Menge, darum bemüht, die Gejarn nicht aus den

Augen zu verlieren. Ein paar mal sah er die Gestalt noch auf den Dächern auftauchen, dann setzte sie über einen Stapel Kisten wieder nach unten. Als er sie endlich einholte, kam Relina lachend und nach Luft schnappend gleichzeitig zum stehen. ,, Das wollte ich schon lange mal wieder machen.“ , erklärte sie grinsend und immer noch außer Atem. ,, Ich hab das vermisst… Einfach frei durch die Stadt laufen zu können. Ohne mich hinter einer Illusion verstecken zu müssen.“ Zyle wusste nicht, ob er das wirklich Verstand. Aber… Relina wirkte grade so glücklich wie ein Kind, das man in einer Zuckerbäckerei eingesperrt hatte. Es

war… verwirrend schön. Er schob es auf den schon fast vergessenen Wein. ,, Entschuldigt, das war Unverantwortlich.“ , erklärte die Magierin nun wieder ernst. Das Lächeln war auf einen Schlag weg. Und als sie ihren Weg durch die Straßen fortsetzten, wusste Zyle nicht, ob er sich nicht getäuscht hatte. ,, Nicht wirklich.“ , erklärte Zyle. Nur das das nicht stimmte. ,, Etwas.“ , korrigierte er sich. ,, Ich hatte das Gefühl, das ich gar nicht mehr stehenbleiben will. Einfach weg von hier.“ Sie rieb sich die Augen, wie jemand, der lange nicht geschlafen hatte. Und vielleicht stimmte das auch. ,, Bald

kann ich das alles hinter mir lassen. Aber bis dahin...“ ,, Bis dahin bleibt alles beim Alten, wie ?“ , beendete Zyle den Satz. Sie nickte. ,, Ich fürchte es. Einfach weitermachen, bis wir alle Helike hinter uns lassen können. Und seine verdammten Regeln.“ Vor ihnen tauchte das sichere Haus auf. Auch hier waren Lichter in den Fenstern entzündet worden, aber vermutlich nur, damit es nicht als einziges dunkles Gebäude in der Straße stand. ,, Vielleicht sind nicht alle davon schlecht.“ , meinte Zyle. Es war mehr ein Reflex, als das er die Worte wirklich glaubte. Aber auch nach all der Zeit…

Er hatte einmal ganz dahinter gestanden. Irgendetwas Gutes musste es darin doch geben. ,, Ihr fragt die falsche.“ , antwortete sie und blieb stehen. Mag sein, das dem so ist. Aber wenn… sehe ich sie nicht. . ,, Handeln nach Anleitung, Strafe nach Lehrbuch, Träumen am besten nach Vorsatz. Ich sehe nur endlose Vorschriften.“ Relina drehte sich zu ihm um. Und plötzlich standen sie sich viel zu nah. ,,Vielleicht…“ Zyles Kehle fühlte sich plötzlich trocken an. Ohne darüber nachzudenken, hatte er ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Die Magierin ließ es ohne ein Wort zu. Laos, was bei allem

was heilig war, tat er hier eigentlich? Bevor er es wusste, , beugte er sich bereits vor und drückte seine Lippen auf ihre. Nein er hatte die Sache ganz sicher nicht mehr unter Kontrolle. Relina versetzte ihm jedoch einen Stoß und er stolperte ein paar Schritte rückwärts. Einen Moment herrschte nur betretenes Schweigen zwischen ihnen. ,, Was hast du dir den dabei gedacht ?“ Relina klang nicht wütend, nur verwirrt und unsicher. ,,Ich weiß es ehrlich gesagt nicht…“ ,,Wir… Wir kennen uns verdammte zwei Tage ! Ich…“ ,, Ist… ist in Ordnung. Ich war nur… nicht ganz bei mir, glaube ich.

Vergessen wir das einfach.“ , erwiderte Zyle hastig. Verflucht, er würde am liebsten im Boden versinken. Genau da, wo er grade stand. ,, Das..“ Relina hielt kurz inne und atmete tief durch. ,, Das meine ich doch gar nicht. Ich weiß nur nicht ob… Es gibt noch so viel zu tun. Wir haben Jahrelang darauf hingearbeitet Zyle. Ich… kann mir keine Ablenkung leisten. Ich gehe jetzt einfach, bevor ich mich noch um Kopf und Kragen rede.“ , erklärte sie. ,, Morgen gibt es viel zu tun.“ Mit diesen Worten verschwand sie mit einem kurzen aufflackern rubinfarbenen Lichts. Zyle blieb ratlos auf der Türschwelle

stehen. Was sollte er den damit Anfangen? Ein ja wäre in Ordnung und ein Nein wenigstens klar gewesen. Das war… gar nichts. Er wusste ja ohnehin nicht, was in ihn gefahren war. Der Gejarn zwang sich, sich umzudrehen und suchte die Ziegelmauer neben der Tür nach dem Stein ab, hinter dem sich der Schlüssel verbergen musste. Bevor er jedoch dazu kam, ließ ihn eine Stimme zusammenzucken. ,,Zyle ? Was tust du hier ?“ Als er sich umdrehte, sah er grade noch, wie eine ihm nur zu vertraute Gestalt ins Licht trat. Wys hatte sie entweder verfolgt… oder irgendwie gewusst, das er hier auftauchen musste. So oder so, das war

kein Zufall. Hoffentlich hatte er nicht alles mitbekommen, dachte Zyle angespannt. Ansonsten… Ja was ansonsten ? Es ging ihn nichts an. ,, Ich weiß es nicht.“ , zwang er sich zum antworten. ,, verdammt ich… Wie hast du mich gefunden?“ Zyle warf rasch einen nervösen Blick zu den leeren Fenstern über ihm und bedeutete seinem Bruder dann, ihm ein Stück die Straße hinab zu folgen. Wenn sie einer der Abtrünnigen sah, könnte er sich nicht mehr rausreden. ,, Zugegeben, das war nicht einfach.“ , erklärte Wys, als sie weit genug weg waren. ,, Wir hatten dich beobachtet. Zumindest bis zu dem Moment, wo du in

dem Haus dort hinten verschwunden bist. Um zwei Tage lang nicht mehr aufzutauchen.“ ,, Ihr habt was ?“ ,,Keine Sorge, sobald ich davon erfahren habe… habe ich das Unterbunden. Trotzdem hielt ich es für eine gute Idee, selber nach dem rechten zu sehen. Ich vermute, du hast die Magier gefunden?“ Zyle antwortete nicht sofort. Er konnte Wys nicht anlügen, das war klar. ,, Ja und Nein.“ , sagte er schließlich. Warum musste alles so kompliziert sein? ,, Was soll das denn heißen ?“ ,, Ja ich habe sie gefunden“ , führte Zyle aus. ,, Und nein, ich werde euch nicht sagen, wo, wer und

wie.“ Wys stellte sich ihm mit katzengleicher Geschmeidigkeit in den Weg und packte ihn bei den Schultern ,,Bist du Wahnsinnig geworden ?“ , fragte er wütend. ,, Die anderen werden dich dafür Töten.“ ,,Aber du nicht.“ , meinte Zyle ruhig. Die Gestalt des Archonten sackte sichtlich in sich zusammen, als er ihn schließlich losließ. ,,Nein. Aber wie willst du…“ Er stockte. ,,Ich bin an die Gesetze gebunden Zyle.“ ,, Und da liegt der Unterschied zwischen uns. Ich bitte dich nur, mir zu vertrauen. Vielleicht gibt es einen Weg diese Stadt

zu verändern. Das wolltest du doch immer.“ ,, Nicht wenn der Preis dafür dein leben ist. Im Zweifelsfall kann ich mich nicht gegen die Archonten stellen. Es würde alles zerstören, worauf ich hinarbeite.“ ,,Ich weiß. Ich bitte dich nur, so zu tun als wären wir uns nie begegnet. Solange die Archonten nicht wissen wo ich bin, habe ich Handlungsspielraum.“ Wys schloss einen Moment die Augen. Dann nickte er. ,, So sei es. Ich weiß ich werde das bereuen, aber gut. Nur ewig kann ich das nicht verbergen. Deshalb hoffe ich, du weißt wirklich, was du tust.“ ,,Ja“ , antwortete er. In Gedanken

konnte er jedoch nur rufen: Nein eben nicht. Er setzte alles auf eine Chance, die es vielleicht nicht geben würde. Nur eines war jetzt klar… er konnte nicht mehr einfach Leugnen, Kontakt zu den Magiern zu haben. Und wenn Wys sein Schweigen brach… Langsam aber sicher begann ihm die Zeit davon zu laufen. Er hasste dieses ganze Spiel. Und doch Relina die Wahrheit zu sagen konnte nicht gut enden. Und die Archonten zu informieren war ein Todesurteil…

Kapitel 56 Gerettet und Verloren


Bevor er wusste was geschah, wurde er weggerissen. Hinaus aus Flammen und durch die Luft wirbelnden Splittern. Cyrus verlor den Boden unter den Füßen, als die Welt mit rasender Geschwindigkeit an ihm vorbeiflog. Einen Moment konnte er alles sehen. Das Wasser des Hafenbeckens, die hell auflodernden Flammen auf dem brennenden Schiffsdeck und die über die Stadt treibenden Rauchschwaden Bevor der Wolf noch ganz Verstand, was vor sich ging, lagen Stadt und Hafen bereits hinter ihm. Stattdessen zogen nun

Sanddünen und endlose, mit vertrocknetem gras bewachsenen Felder, an ihm vorüber. Und dann kam der Sturz durch den Raum zu einem abrupten Halt. Die Welt blieb auf einen Schlag stehen und er landete, sich überschlagend, im Sand. Staub wirbelte um ihn herum auf, als Cyrus endlich liegenblieb. Über ihm glitzerten Sterne am Himmel. Keine Spur mehr eines Feuers, oder eines Schiffes. Nur endloser schwarzer Samt mit ein paar hellen Lichtpunkten dazwischen. Götter, war er Tod? Dafür tat ihm alles zu sehr weh, dachte er bei sich. Auch wenn er nach wie vor nicht Verstand, was passiert war…. Er lebte . Der Gestank

von verbranntem Fell und die Schmerzen aus einem dutzend Schnitt und Brandwunden an seinem ganzen Körper erinnerten ihn daran. Und sein Sichtfeld wirkte… seltsam eingeschränkt. Ob er es wagen konnte, sich zu Bewegen? Die Antwort wurde ihm erneut abgenommen, als ein bekanntes Gesicht über ihm auftauchte. Eines mit seltsam türkisfarbenen Augen. ,, Cyrus…“ Der Junge wirkte genau so ratlos, wie er sich fühlte. Im Vergleich zu dem Gejarn jedoch, sah er überraschend Unverletzt aus. In einer Hand hielt er nach wie vor die Laterne, mit der er ihm entgegengekommen war. Der schwache Lichtkreis den sie erschuf,

blendete den Wolf. ,,Du bist in Ordnung ?“ , wollte er wissen. ,,Ich glaube ja, aber du…“ Der besorgte Ausdruck auf Zacharys Gesicht sagte ihm alles. Wenn man grade dem sicheren Tod entkommt, sieht man eben entsprechend aus, dachte er. Könnte schlimmer sein. ,, Ich komme schon wieder auf die Beine.“ , erklärte Cyrus und richtete sich langsam in eine sitzende Position auf. Noch immer konnte er nicht richtig sehen. Als ob er eine Binde über seinem linken Auge trug… Mit einer Hand tastete er danach. Erneut flammten Schmerzen auf. Verflucht… ,,

Euer…“ ,, Mein Auge. Ich merke schon…“ Noch war alles zu frisch, als das der Schock einsetzen konnte. Nüchtern betrachtet… es hätte schlimmer kommen können. Nach wie vor. ,, Gib mir mal die Laterne…“ Zac übergab ihm die Lichtquelle und er bemühte sich, den gläsernen Lampenschirm so zu drehen, das er sich darin spiegeln konnte. Von einigen Kratzern abgesehen war sein Gesicht unverletzt. Wenn man von der klaffenden Wunde absah, die mal sein linkes Auge gewesen war. Ein Schrapnell musste es genau erwischt haben. Es hatte etwas unvertraut Morbides. Und er

empfand kaum Schmerzen. Zumindest nicht, was diese Verletzung anging… Eigentlich war er immer davon ausgegangen, so etwas müsste höllisch wehtun. Doch solange er die Finger davon ließ, blieb nur ein dumpfes Pochen. Cyrus bemühte sich, endgültig auf die Beine zu kommen. Beim ersten Mal schwankte er kurz und landete dann wieder im weichen Sand. Erst der zweite Anlauf gelang ihm schließlich, auch wenn seine Beine unter ihm zitterten. Er würde laufen können. Ihm blieb gar keine andere Wahl. So weit er sehen konnte gab es nur Sand und Dünen. Helike schien weit

weg. ,, Was ist eigentlich passiert ?“ , wollte Cyrus wissen, während er einen langen Stoffstreifen aus seinem Hemd riss. ,,Das war ein Teleportzauber. Aber ich habe nicht richtig aufgepasst.“ , erwiderte Zachary.,, Oder besser, ich habe das grade zum ersten Mal überhaupt versucht.“ ,, Wir sind mitten im Nirgendwo…“ Cyrus legte das Stoffband über die leere Augenhöhle und verknotete es im Nacken. Es war nicht perfekt, aber besser, als Sand in die Wunde gelangen zu lassen, war es alle mal. Der Junge nickte. ,, Mir blieb keine Zeit mich auf irgendeinen bestimmten Ort zu

konzentrieren.“ ,, Ich gebe dir auch keine Schuld. Wir wären jetzt beide knusprig durchgebraten, wenn du nichts unternommen hättest.“ Er kratzte sich einen Moment am Kopf. ,,Du kannst uns aber nicht zufällig auch einfach wieder zurück bringen?“ Zachary schüttelte den Kopf. ,, Ich fürchte nicht. Ich… habe das Amulett verloren, Cyrus. Die Träne Falamirs. Gleich nachdem ich den Zauber gewirkt hatte, wurde es mir aus der Hand geschleudert.“ ,,Also gut… Und natürlich haben wir weder Waser noch Vorräte, wie ?“ Der Wolf versuchte sich zu erinnern, aus

welcher Richtung sie hierher gelangt waren. Aber alles war so schnell gegangen… ,, Wenn wir hinter Helike sind, müsste die Stadt im Norden liegen.“ , meinte Zachary da. ,, So oder so, wenn wir nach Norden gehen, kommen wir irgendwann zwangsweise ans Meer. Und von da aus können wir es vielleicht schon sehen.“ Cyrus nickte und sah noch einmal zum Himmel. Unvertraute Sterne und natürlich kein Mond. ,, Du hast nicht zufällig einen Kompass dabei, oder ? Ansonsten müssen wir bis Sonnenaufgang warten…“ Und das wäre ihr Tod. Ohne Wasser überlebten sie keinen halben Tag in der

Wüste. Ihre einzige Chance war, die Nacht so gut es ging zu nutzen und zu hoffen, das der Zauber sie nicht zu weit weg gebracht hatte Zachary überlegte einen Augenblick, dann schlug er die Hände zusammen. Ein Lichtfunken stieg dazwischen auf und fächerte sich zu einem kleinen Pfeil auf. ,, Da lang.“ , erklärte der Junge überzeugt, während der Pfeil zu einzelnen Glutfunken zerfiel. ,, Erinnre mich bei Gelegenheit daran, das du sowas kannst.“ , erklärte Cyrus grinsend, bevor sie sich auf den Weg machten. Er halb humpelnd und der Junge an seiner Seite. Es ging doch nichts über einen unfreiwilligen

Wüstenspaziergang, dachte der Wolf bei sich. Er wusste nicht, wie lange sie schon Unterwegs waren, als schließlich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg über den Horizont fanden. Hinter ihnen erstreckte sich eine Spur aus aufgewühltem Sand bis zum Horizont. Und doch schienen sie Helike kein Stück näher. Im Gegenteil, von Horizont zu Horizont gab s nach wie vor nur ausgedörrtes Ödland, Felsflächen und dazwischen noch mehr Dünen. Das Morgenlicht gab allem scharfe Konturen und Schatten, die fast unwirklich tief schienen. Cyrus jedoch konnte den Anblick kaum genießen, hieß das doch nur, dass ihnen von nun an die Zeit

davonlief. Vielleicht noch eine Stunde und sie würden sich die Nacht zurück wünschen. Wenn sie dann noch ohne Schutz oder Wasser waren, würden sie nicht mehr weit kommen. Cyrus versuchte sich davon jedoch nichts anmerken zu lassen. Noch blieb ihnen Zeit. Das hielt jedoch nicht lange. Noch bevor sie viel weiter gekommen waren, begann das Land unter ihren Füßen geradezu zu kochen. Zachary hatte wenigstens noch Schuhe, aber Cyrus musste sich bald zwingen, einen weiteren Schritt in den aufgeheizten Sand zu machen. Die Luft flimmerte und machte aus den klaren Konturen des Morgens einen

verschwommenen, im Nichts schwebenden See. Spätestens jetzt wurde jeder weitere Schritt zur Qual. Bevor es Mittag wurde, schleppten sie sich bereits nur noch Voran. Cyrus zog Zachary halb mit und trotz seiner Verletzungen, konnte er mittlerweile mit dem Jungen mithalten. Noch setzte ihm die Temperatur nicht so sehr zu, wie dem jungen Magier. Er suchte den Horizont ab wonach wie vor nichts zu entdecken war. Oder doch ? Cyrus konnte sich nicht sicher sein, aber in der ferne, gegen die ewig flirrende Luft, schien sich etwas Grünes Abzuzeichnen. Direkt über dem Kamm einer Düne. Zu weit weg, als das er wirklich sagen konnte,

was es war, lief er einfach weiter. Aber der grüne Punkt am Horizont blieb. Es war keine bloße Sinnestäuschung. ,,Zac… fast genau vor uns, du siehst das auch, oder ?“ Der Junge blieb stehen und schirmte die Augen mit der Hand ab. ,, Was ist das ?“ ,, Keine Ahnung. Vielleicht nichts. Vielleicht aber auch etwas. Ich wollte eigentlich erst nichts sagen.“ ,, Es ist da.“ , erklärte Zachary nur , bevor sie wortlos weiterstapften. Cyrus sagte sich, das er sich keine Hoffnungen machen sollte. Vielleicht nur ein Strauch, der irgendwie hier draußen Überlebte. Aber selbst das hieße… Wasser. Irgendwo zumindest.

Und mit Wasser könnten sie den Rückweg schaffen. Als sie sich der Düne näherten, verlor der Gejarn den Flecken grün rasch aus den Augen. Aber wenn sie erst auf dem Gipfel des Sandbergs wären, könnte er sicher erkennen, um was genau es sich handelte. Der Gedanke, dass sie vielleicht, nur vielleicht, Glück haben könnte, trieb ihn weiter Vorwärts. Und auch Zachary schien etwas neuen Mut zu schöpfen. Der Weg die Flanke der Düne herauf war eine letzte Geduldsprobe. Der Sand gab unter ihren Füßen nach und manchmal rutschten sie weiter zurück, als sie überhaupt vorankamen. Dennoch kam der Kamm beständig näher.

Normalerweise hätte Cyrus den Weg herum genommen, aber er war realistisch. Entweder, hier war etwas, oder sie würden es nicht zurück schaffen. Dann endlich setzte er die letzten Schritte zum Gipfel hinauf... und erstarrte. Cyrus glaubte zuerst, sein verbliebenes Auge spiele ihm einen Streich. Das Grün, das er gesehen hatte, stammte von den Blättern einer Palme, die über die Dünen hinaus ragte. Der Sand fiel zu einer großen, bläulich schimmernden Fläche ab. Wasser. Mitten in der toten Landschaft schmiegte sich plötzlich üppige Vegetation an das Ufer des kleinen Sees, der zu ihren Füßen lag.

Zwischen den Pflanzen und dem umgebenden Sand ragten die Überreste von Mauerwerk auf. Aus der Höhe waren die Grundrisse von ehemaligen Häusern und größeren Bauten klar zu erkennen. Manche der Ruinen, bei denen nur Dächer oder ein Teil der Wand fehlten, waren mit Tuch bespannt worden und boten so wohl noch einen annehmbaren Unterschlupf. Es hieß aber auch, das dieser Ort bewohnt war, dachte Cyrus und bedeutete Zachary, sich flach hinzulegen, während er selber sich ebenfalls so klein wie möglich machte. Auf dem Gipfel der Düne waren sie ansonsten leicht zu entdecken. Doch je länger der Gejarn wartete, desto

Überzeugter war er davon, das die kleine Oase verlassen war. Nicht bewegte sich in den verfallenen Häusern und nur der Wind wiegte einige Getreidehalme, die in primitiven Feldern am Teichufer wuchsen. Vielleicht war der Ort verlassen worden, oder die Bewohner gemeinschaftlich irgendwo hin unterwegs. Vielleicht Nomaden, dachte er. Die Archonten hatten die Einwohner der Wüsten erwähnt. Whaid, nannten sie sich, wenn er sich richtig erinnerte. Und diese Kerle verehrten Drachen… Er hatte einmal eine unangenehme Begegnung mit einem Riesen überstanden… mit einer fliegenden, feuerspeienden Echse wollte er sich dagegen nicht anlegen. So oder

so. Der Durst gewann zunehmend über jede Vorsicht und Vernunft. Cyrus wusste, selbst wenn das Seeufer mit bewaffneten Soldaten umringt wäre, bleibe ihnen keine Wahl, als hinzugehen. Er gab Zachary ein Zeichen, sich dicht hinter ihm zu halten, bevor er über den Dünenkamm setzte und so schnell wie möglich nach unten hastete. Ein Beobachter würde die Spuren sehen, aber das war unvermeidbar. Wichtig war, das se schnell in den Schutz der Vegetation gelangten. Cyrus tastete nach seinen Waffen und fand, das ihm zumindest die Axt erhalten geblieben war. Besser als nichts, wen sie entdeckt wurden und die Bewohner hier

feindselig wären. Endlich hatten sie den schmalen Gürtel aus Schilf und Gräsern erreicht und Cyrus atmete etwas leichter. Damit sank die Wahrscheinlichkeit, das man sie entdeckte erheblich. Der Boden unter seinen Füßen war feucht und gab leicht nach. Wasser, dachte er nur wieder. Wo auch immer das hier draußen herkam. Er schob einen letzten Farn bei Seite und stolperte beinahe in den See hinein. Zachary folgte dem Gejarn und war einen Augenblick genau so erstarrt wie er. Sie waren tatsächlich gerettet… Cyrus schüttelte die Lähmung ab, bevor er sich hinkniete und mit den Händen Wasser schöpfte. Vielleicht fanden sie in

den Ruinen irgendetwas, um sich daraus dichte Beutel zu machen, überlegte er. Endlich etwas zu trinken zu haben, belebte ihn wieder und machten die Schwierigkeiten, die noch vor ihnen liegen mochten, weniger drückend. Für den Moment könnte es sogar um einiges Schlimmer sein. Zachary trank ebenfalls, während Cyrus erneut ihre Umgebung absuchte. Wieder fragte er sich, wo bloß alle Einwohner dieses Ortes hin sein konnten? Im gleichen Moment tauchten vereinzelte Schemen hinter den Dünen auf der anderen Seite des Sees auf. Zuerst nur einige, dann jedoch immer mehr. Hundert, zweihundert… auf jeden fall zu

viele. So viel zu seinem Plan, sich in den Ruinen umzusehen. Sah so aus, als müssten sie mit dem klar kommen, was sie hatten. Rasch trank er erneut einen großen Schluck Wasser. Was sie hatten, hatten sie. Es musste einfach für den Rückweg reichen. Wie weit konnte Helike denn noch weg sein? Zachary tat es ihm gleich, dann erhoben sie sich und zogen sich, auf dem gleichen Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück. In dem Moment jedoch, wo Cyrus zwischen den Palmen hervortrat, fiel ein Schatten über sie. Der gewaltige Luftzug, der ihn begleitete, machte die Hitze kurz vergessen, während Sand und selbst kleinere Steine aufgewirbelt wurden.

Was immer es war, war gewaltig… Groß genug, um die Sonne auszublenden. Cyrus hob, nackte Angst im Herzen, den Blick. Schuppen und ledrige Flügel hielten den Himmel verdeckt und stürzten genau auf sie zu. Oh verdammt…

Kapitel 57 Kein Ausweg


Es hatte fast einen Monat gedauert, doch endlich erhielten sie eine Nachricht von Relina. Jiy fiel der Bote, der sich dem Schiff näherte zuerst gar nicht auf. In den letzten Wochen waren sie nicht wirklich vorangekommen. Jona hatte sein Versprechen eingehalten und einige Arbeiter damit beauftragt, die Windrufer wieder auf Vordermann zu bringen. Eine Aufgabe, die nur langsam von statten ging. Zumindest die Planken des Oberdecks mussten fast vollständig ersetzt werden. Weiter im inneren des Schiffs hatten die Flammen hingegen

weniger Schaden angerichtet und es mussten nur einzelne, versengte Sektionen wieder verstärkt werden. Mittlerweile waren die Arbeiten so weit fortgeschritten, das sämtliche beschädigten Bretter abgetragen worden waren und man einen Blick ins innere des Schiffes werfe konnte. Eden beaufsichtigte die Arbeiten meist selbst, auch wenn die Handwerker aus Helike sich offenbar auf ihre Tätigkeit Verstanden. Jiy vermutete, das sie in der Aufgabe, eine willkommene Ablenkung sah. Nach wie vor fehlte von Zachary oder Cyrus jede Spur. Erik war nach wie vor damit beschäftigt, die Archive durchzugehen, aber

mittlerweile kam etwas Ordnung in die Berge von Texten. Offenbar hatte es der Alte geschafft, ein paar der Gelehrten für sich zu Gewinnen, die ihm nun zumindest zur Hand gehen konnten. Auf Antworten jedoch, waren sie dabei nach wie vor nicht gestoßen. Kellvian hingegen war mit dem Rest der kaiserlichen Gardisten nach Kalenchor aufgebrochen. Obwohl die Schiffe durchsucht worden waren, wollte er offenbar kein Risiko mehr eingehen und hatte die Männer aus der Schusslinie bringen wollen. So blieben nun lediglich drei leere Schlachtschiffe im Hafen zurück. Für den Fall, das sie doch noch gebraucht wurden, könnten sie innerhalb

kurzer Zeit wieder hier sein. Kell war nun bereits eine Woche fort und wurde jetzt jeden Tag zurück erwartet. Geister, sie hatte ihn in der kurzen Zeit bereits vermisst. Seit sie hier angekommen waren, schien es Kell zwar besser zu gehen, aber natürlich hatte er auch keine Magie mehr benutzt. Was sollte nur werden, wenn Relina nicht die Wahrheit sprach… Wenn die Magier der Stadt nicht wussten, wie man ihm helfen konnte. Nicht, das sie das wirklich glaubte. Sie hatte die Magierin nicht selbst getroffen, aber es ging hier darum, dass sie sich gegenseitig helfen sollten. Es gab keinen Grund, sie

anzulügen. Trotzdem… In dieser Stadt ging etwas vor sich. Man konnte es spüren, wenn man aufmerksam genug war. Und der Anschlag auf ihr Schiff war nur der letzte Beweis dafür. Es war ein Gefühl, wie vor einem schweren Sturm. Wenn alles zu Ruhig schien. Und nur darauf wartete ins Chaos zu verfallen. Vielleicht würden sich ihre Sorgen ja verflüchtigen, wenn Kellvian endlich zurückkam, dachte sie. Die Gejarn stand auf dem teilweise wieder errichteten Deck der Windrufer und sah über die Stadt hinweg. Im Hafen herrschte wie immer reger betrieb, noch verstärkt durch den Strom an

Handwerkern und Trägern, die Materialen zur Windrufer brachten. Man hatte das Schiff aus dem Wasser gezogen und schwere Gerüste errichtet, die es den Arbeitern erlaubten, den kompletten Rumpf zu begutachten. Im Strom der Schiffsbauer näherte sich jedoch auch eine Gestalt, die so gar nicht in ihre Reihen passen wollte. Jiy entdeckte sie erst, als sie schon das untere Ende der Leitern erklomm, die hinauf zum obersten Schiffsdeck führten. Trotz der Temperaturen trug die Gestalt einen leichten Umhang, dessen Kapuze ihre Züge verbarg. Der Griff eines Schwerts ragte darunter hervor. Behände war der Fremde bereits auf halbem Weg

hinauf, als die Gejarn sich umsah. Es gab ein paar Arbeiter in der Nähe. Sie wollte sicher keine voreiligen Schlüsse ziehen. Aber sie würde den Mann, zumindest ließ seine Statur darauf schließen, nicht einfach an Bord kommen lassen. Letztendlich gewann ihre Neugier die Oberhand. ,, Hey.“ , rief Jiy nach unten hinab und packte sicherheitshalber das obere Ende der letzten Leiter. Ein Schubs und es würde niemand mehr hier herauf kommen. ,, Wer seid ihr ?“ Der Mann wurde langsamer und sah auf. Dabei fiel ihm endlich die Kapuze aus dem Gesicht und die Gejarn hätte über ihr eigenes misstrauen lachen können.

Wenn es nach dem, was geschehen war, nicht allzu angebracht wäre. Zyle stand am Fuß der Leiter. ,, Ich hoffe doch so lange bin ich noch nicht weg, das man mich vergessen hätte.“ , meinte er grinsend, bevor er die restlichen Stufen hinaufkletterte. ,, Das nicht. Aber wo habt ihr die letzten vier Wochen gesteckt?“ ,, Das ist eine lange Geschichte.“ , erklärte er und lehnte sich gegen die repartierte Rehling. ,,Es gab… einiges zu tun. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was Relina und ihre Leute alles auf die Beine gestellt haben. Sie sind fast so weit, das sie Abreisen können.“ ,,Das also ist ihr Plan ?“ Kellvian hatte

ihr zwar von der Begegnung mit der Magiern erzählt, aber was sie eigentlich vorhatte, war ihnen bisher ein Rätsel geblieben. ,, Auch wenn ich noch nicht weiß, wohin eigentlich. Es gibt nicht unbedingt viel unbesetztes Land da draußen, wenn man von Wüsten und Einöden absieht. Und…“ Zyles gute Laune verflüchtigte sich schlagartig. Stattdessen ließ er die Schultern hängen. ,, Und ich habe eigentlich keine Ahnung, was ich tun soll.“ ,,Ihr helft ihnen, oder ?“ Der plötzliche Stimmungswechsel des Schwertmeisters überraschte Jiy . Ein blinder sah, dass den Gejarn etwas bedrückte. Nur sie

konnte sich keinen Reim darauf machen, was genau. ,, Das ist eine gute Sache, würde ich sagen.“ ,,Ja. Vermutlich.“ , erwiderte er nur tonlos. ,, Ich sitze in der Zwickmühle , Jiy.“ ,, Das sehe ich.“ , meinte sie. Nur den Grund dafür kannte sie noch immer nicht. Nur das Zyle sich normalerweise nicht so schnell geschlagen gab. ,, Ich fürchte, ich habe meine Rolle in diesem Spiel nicht grade sehr Weise gewählt. Ganz im Gegenteil. Und ich kann wohl nicht mehr alles für mich behalten. Nur… kann ich euch bitte, alles für euch zu behalten?“ ,, Sicher. Aber warum ? Ich habe nicht

vor euch im Stich zu lassen, keiner von uns hat das.“ ,, Das weiß ich, aber damit muss ich alleine klar kommen.“ , antwortete er nur. ,, Immerhin habe ich es auch selbst gewählt. Die Archonten wollen, dass ich ihnen die Magier ans Messer liefere. Die Magier hingegen… das habe ich euch ja gesagt, Relina will einfach nur weg. Und ich kann mich nicht für eine Seite entscheiden. Die Magier auszuliefern wäre Wahnsinn. Aber wenn sie jetzt Helike verlassen… Das wäre der letzte Beweis dafür, dass sich in dieser Stadt nie etwas ändern wird, Jiy. Dann kann ich auch gleich Aufgeben und mit euch nach Canton

zurückkehren.“ ,, Und es gibt vermutlich keinen Weg, wie ihr sie dazu bringen könnet, miteinander zu Verhandeln ?“ ,,Die Magier trauen den Archonten nicht und das vermutlich mit Recht. Und eher kehrt Laos nochmal von den Toten zurück, als das die Archonten je zugeben, dass sie sich geirrt haben.“ Langsam Verstand Jiy, das Dilemma in dem Zyle sich befand. Es schien auf den ersten Blick keinen Ausweg zu geben. Auch für sie nicht, egal wie sie es betrachtete. ,,Was ist mit Wys ?“ , fragte sie. ,, Der ist auch keine Hilfe. Sie haben alle vier dafür gestimmt, jeden

Abweichler innerhalb der Stadtmauern zu finden. Mein Bruder glaubt immer noch, er könnte im Archontenrat etwas bewirken. Vielleicht stimmt das auch. Aber dafür… darf es eben keine Konflikte geben. Ich fürchte, hunderte von Leuten, die plötzlich aus der Stadt verschwinden sind mehr als nur ein kleiner Anreiz für Ärger. Und Laos lässt einfach alles aus dem Ruder laufen.“ Die Stimme des Gejarn Zitterte vor unterdrückter Wut. Jiy hätte ihm gerne eine Antwort gegeben. Zyle war ihr einmal wie jemand erschienen, der viel zu Stolz war, irgendwelche Hilfe anzunehmen. Das hatte sich zwar geändert, aber jetzt schien es, war sie

nicht in der Lage, ihm irgendeinen Rat zu geben. ,, Ihr bräuchtet ein Druckmittel, irgendetwas, das sie zwingt, auf Augenhöhe miteinander zu reden.“ ,, Das dachte ich mir auch schon. Ich habe nur keines, Jiy. Ich kann von den Archonten nichts fordern und Relina… verrät mir für den Moment nur das nötigste.“ Er sammelte sich wieder. ,,Was mich zum eigentlichen Grund meines Hierseins bringt. Relina möchte euch sprechen. Oder besser, Kellvian.“ ,, Er ist momentan in Kalenchor.“ , erklärte Jiy. ,, Aber ich denke, er sollte heute noch zurück kommen.“ ,, In dem Fall, warte ich einfach. Ich…

habe gehört, was passiert ist.“ Er sah über das offen liegende Schiffsdeck. ,, Ich hoffe, Eden kommt damit klar ?“ ,, Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ihr kennt sie doch. Lässt nichts an sich ran. Ihr könnt sie fragen, aber… achtete besser darauf, das sie keine Waffen griffbereit hat.“ ,,Ich riskiere es.“ , meinte Zyle schmunzelnd und stieg über ein weiteres, innen liegendes Gerüst, hinab auf das Unterdeck des Schiffs. Jiy blieb oben zurück. Eines war ihr klar. Die Situation wurde nicht grade einfacher… Aber das, dachte sie, hast du dir auch genau so ausgesucht wie Zyle. Es war beinahe schon zur Gewohnheit geworden, dass

die anderen sie um Rat fragten. Auf eine Art war das ungewöhnlich, auf der anderen fühlte sie sich geehrt. Nur das sie Zyle nicht weiterhelfen konnte. ,Ich habe schon von eurem kleinen Zusammenstoß mit Chonar gehört.“ , begann Zyle, als er Eden schließlich fand. Die Gejarn warf auf dem untersten, fast vollständig intakten Deck. Offenbar nutzten die Schiffsbauer den Ort als Lagerraum. Neben großen Stapeln mit zurechtgeschnittenem Bauholz gab es Gestellte , die mit Sägen Und Hämmern behängt waren und einen kleinen , grob gezimmerten Tisch mit Blaupausen und Bauplänen. Schummriges Licht viel

durch die Lücken zwischen einigen, neu eingefügten Holzbrettern herein. Die Zwischenräume würden später noch mit Pech versiegelt werden um die Windrufer wieder seetüchtig zu machen. Eden war offenbar grade dabei, die Pläne zu überprüfen. Ohne sich umzudrehen, antwortete die Gejarn : ,, Also lasst ihr euch auch wieder einmal sehen ?“ ,,Ich wäre früher hier gewesen, aber… „ Er zögerte und setzte wieder an: ,,Ich habe erst vor ein paar Tagen gehört das…“ ,,Schon gut.“ , unterbrach ihn die Gejarn ihn. ,, Das Gestammel kann sich ja niemand anhören. Euch trifft keine

Schuld. Aber verflucht ich hätte euren Archonten umgebracht, wenn ich alleine gewesen wäre. Das könnt ihr mir glauben.“ Ihre Stimme klang zutiefst verbittert. ,,Und was jetzt ?“ ,, Was wohl ?“ , fragte Eden und drehte sich zu ihm um. An einem Band um ihren Hals hing die Träne Falamirs in einer halb durch Feuer zerstörten Fassung. ,, Ich mache weiter, Zyle. Mir bliebt nichts anderes übrig. Ich mache weiter und hoffe immer noch.“ Sie wendete sich wieder den Plänen zo und nahm mit Zirkel und Feder ein paar Korrekturen vor. ,, Wir haben keine Leichen gefunden. Ich weiß, das ist

dämlich, aber… es hält mich bei Verstand.“ ,, Es ist überhaupt nicht dämlich.“ , erklärte er. ,, Zachary ist Pfiffig genug. Wenn sie noch irgendwo da draußen sind, finden wir sie.“ ,, Hoffentlich…“ Bevor Zyle noch etwas sagen konnte, schallte ein aufgeregter Ruf von oben herab. ,,Kellvian !“ Er erkannte die Stimme natürlich. Jiy. Zyle verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken von Eden und machte sich wieder an den Aufstieg. Oben angekommen brauchte er eine Weile um den Mann überhaupt zu

erkennen, der die Leiter zum Deck hinaufstieg. Die Reise durch die Einöde hatte Kellvian nicht ganz unbeschadet überstanden. Obwohl er einen leichten, blauen Reisemantel und einen breiten Hut trug, waren Gesicht und Arme Sonnenverbrand und gerötet. Gejarn hatten dieses Problem nicht, aber Zyle hatte es immer wieder bei einigen der menschlichen Soldaten beobachten können. Jiy nahm darauf jedoch keine Rücksicht. Sobald der Mann den ersten Schritt auf Deck machte, fiel sie ihm bereits um den Hals und riss Kell fast von den Füßen, so dass ihm der Hut vom Kopf rutschte. Kellvian fing sie, halb lachend, halb

einen Schmerzensschrei unterdrücken auf. ,, Ich hab dich auch vermisst.“ , meinte er grinsend und drückte ihr einen raschen Kuss auf die Lippen. ,, Wir haben zwar länger gebraucht, als ich dachte, aber die Leute mussten hier raus . Ich hoffe es ist alles in Ordnung?“ Kellvian sah zu Zyle und schien ihn erst jetzt zu bemerken. Halb rechnete der Gejarn damit, das Jiy etwas verraten würde. ,, Das solltest du Zyle fragen.“ , erklärte sie stattdessen und er amtete erleichtert auf. Man konnte sich eigentlich immer auf Jiy verlassen. Also gut. ,, Relina möchte euch sprechen. Noch

heute, wenn möglich.“ Kell nickte. ,, Ihr wisst, wo ich sie finden kann ?“ ,, Es gibt einen sicheren Ort im Norden Helikes, ich gebe euch eine Wegbeschreibung. Dann könnt ihr nachkommen, wenn es euch passt.“

Kapitel 58 Gefühle


In den letzten Wochen war es in den sicheren Häusern, die Zyle mittlerweile bekannt waren, grade zu hektisch geworden. Hätte er noch mehr Indizien dafür gebraucht, das Relina ihren Plan ernst meinte, so erhielt er die nun. Durch die Kanäle und Katakomben wurde Stapelweise Ausrüstung heran geschafft und in einigen Gebäuden in Hafennähe deponiert. Der Fluchtweg sollte also über Wasser gehen. Und alles musste bereit sein. Keiner der Rebellen, mit denen er zusammenarbeitete, bekam besonders viel Schlaf ab und er selber

arbeitete einmal zwei Nächte am Stück durch. Tagsüber musste alles, was zu groß für den Transport über Schächte und Kanäle war, bereitgestellt werden, damit einige Freiwillige die Waren nachts durch die Straßen brachten. Ein gefährlicher Auftrag, denn eine Gruppe von drei oder mehr abgerissenen Gestalten, die ohne Licht und in schwärzester Nacht Ballen mit Segeltuch und ähnlichen Speergütern hinter sich her schleiften, waren mehr als nur Verdächtig. Trotzdem kam es nur einmal zu einem Zusammenstoß mit der Stadtwache. Zyle schlich sich mit drei Rebellen, darunter einem überlebenden Magier,

durch die Straßen Helikes. Zwei der Männer trugen Kisten und Ausrüstung mit sich, während der Schwertmeister und der Magier die Gruppe absicherten. Da sie nicht riskieren konnten, Laternen oder Fackeln zu entzünden, musste das Sternenlicht ausreichen um sich zu orientieren. Zum Glück kannte Zyle den Bezirk. In den Nächten zuvor waren sie immer wieder den gleichen Weg gegangen. Normalerweise bestand Relina darauf, dass sie ihre Route regelmäßig änderten. Aber verflucht, sie waren alle vier Müde und wollten nur noch zurück. Das wurde ihnen zum Verhängnis, als sie eine Kreuzung erreichten und beinahe in eine Patrouille der Stadtwache

hineinliefen. Die Männer näherten sich von ihrer Rechten und waren noch weit genug entfernt, das ihnen das Licht ihrer Fackeln nicht aufgefallen war. Zyle erstarrte sofort, als er die in Stahl gewandeten Gestalten sah. Offenbar waren die Wachen ebenso überrascht, die vier Fremden zu sehen, die vor ihnen auftauchten. Einen Moment blieben sie wie erstarrt stehen. Zyle jedoch wusste, das das nicht halten würde. Es verschaffte ihm jedoch einen kurzen Moment um nachzudenken. Die Wachen waren zu fünft, darunter ein Mensch, den er an seinem roten Umhang als Paladin erkannte. ,,Halt!“ , rief der Mann mit Autoritärer

Stimme. Rennen oder Kämpfen ? Wenn sie flohen wusste er nicht, wohin. Einem sicheren Haus konnten sie sich dann nicht mehr nähern. Und wenn die Stadtwache einmal aufgeschreckt war… Heute wären noch weitere Gruppen unterwegs. Das konnte er nicht zulassen. Zyle gab den zwei Trägern ein Zeichen, die Kiste abzusetzen, bevor er zum Schwert griff. Das Geräusch der Klinge riss offenbar auch die Wachen aus ihrer Erstarrung, denn nun blitzte dort ebenfalls blanker Stahl auf. Abgesehen von Zyle besaßen waren seine Begleiter nur mit Messern oder Kurzschwertern bewaffnet. Waffen, die man leicht verbergen konnte. Sie

konnten sich nicht auf einen offenen Kampf einlassen. Rasch gab er den anderen ein Zeichen, in eine der Seitengassen zurückzuweichen, während die Stadtwache rasch zu ihnen aufschloss. Sobald der erste Wächter heran war, stellte Zyle sich ihm entgegen. Stahl prallte auf Stahl und der Mann musste bald feststellen, dass er es nicht mit einem unerfahrenen Rebellen zu tun hatte, sondern mit einem ausgebildeten Schwertkämpfer. Der Soldat seinerseits war Zyle ihn keiner weise gewachsen. Mit einer raschen Folge von Schlägen trieb er den Mann vor sich her und halb wieder aus der Gasse hinaus. Mehrmals boten sich

Lücken in seiner Verteidigung, aber er zögerte, zuzuschlagen. Das wäre, wie ein Kind zu töten. Und es war nach wie vor einer seiner Leute. Schließlich vollführte der Wachmann eine ungeschickte Drehung. Etwas, das kein Kämpfer mit Erfahrung je tuen würde. Zyle nutzte die Gelegenheit und schlug ihm mit aller Kraft den Schwertknauf vor die Stirn. Sein Gegner brach zusammen, wie vom Blitz getroffen, machte damit aber auch Raum für die verblebenden vier Männer. Zyles Blick wanderte von einem zum anderen. Das sah nicht gut aus. Wenn sie geschlossen Angriffen, war er erledigt. Bevor es jedoch dazu kam, loderten

hinter ihm Flammen auf. Eine Lanze aus Feuer jagte knapp an ihm vorbei und versengte das Fell auf seinen Armen, während es einen der Wachmänner einhüllte. Der Mann stolperte kreischend zurück. Die Überlebenden drei wichen instinktiv zurück und Zyle warf einen Blick zurück auf den Magier, der sich erschöpft an einer Wand abstützte. Er hatte ihnen etwas Atemluft verschafft. Und nun stürzten auch Zyles verbliebene zwei Begleiter vor und stürzten sich auf die Wachleute. Das Blatt wendete sich langsam. Wenn der Lärm bloß nicht noch mehr Soldaten anlockte. Doch bevor Zyle sich groß darüber Gedanken machen konnte, schrie einer

seiner Begleiter vor Schmerz auf. Er hatte den Paladin attackiert, der dem unerfahrenen Kämpfer beinahe Mühelos ausgewichen war… um ihn dann das Schwert in den Bauch zu rammen. Der Träger klappte zusammen, während sich der Paladin nun Zyle zuwendete. Im Gegensatz zu dem Wachmann, den er zuvor bekämpft hatte, erwies sich dieser als viel geschickterer Gegner. Das Klirren von Stahl hallte durch die Nacht, als sich die beiden Kontrahenten ein langgezogenes Duell lieferte. Zyle bot alles auf, was er an Finten und Paraden aufbieten konnte, aber der Mann hatte fast die gleiche Ausbildung wie er… und kannte jede seiner Bewegungen. Genau

so wie Zyle seine mit fast prophetischer Sicherheit vorhersagen konnte. Er fürchtete schon, dass reine Ausdauer den Kampf entscheiden müsste. Er erlaubte sich einen kurzen Moment der Unachtsamkeit und spürte plötzlich, wie sein linker Arm taub wurde. Zyle stolperte zurück. Der Paladin hatte ihn getroffen… ,,Hey Rotmantel !“ Der Paladin war zu diszipliniert um sich durch den Ruf ablenken zu lassen. Das sich einer von Zyles zwei verbliebenen Begleitern plötzlich auf ihn stürzte jedoch, warf ihn aus dem Gleichgewicht. Offenbar war es den Zwei gelungen, die verbliebenen Wachen auszuschalten. Der Paladin

schüttelt den Mann ab und rappelte sich wieder auf. Zyle dachte nicht mehr lange nach, sondern stieß nur blind mit aller Kraft zu. Er rechnete halb damit, dass die Klinge an der Panzerung des Mannes abprallen würde. Stattdessen traf er die Lücke zwischen Schulterplatte und Brustharnisch. Das Schwert durchstieß Stoff und Kettenhemd fast mühelos und bohrte sich schließlich in den Brustkorb des Mannes. Dieser wollte noch Aufschreien, brachte jedoch bloß ein gurgelndes Geräusch Zustande. Zyle hatte zumindest einen Lungenflügel durchbohrt. Er riss die Klinge zurück und setzte nach. Diesmal traf das Schwert den Hals des Paladins und der

Mann brach endgültig in einem größer werdenden Teich seines eigenen Blutes zusammen. Zyle wurde nur langsam bewusst, was er grade getan hatte. Wie erstarrt stand er einen Moment über den Toten gebeugt. Er hatte einen Paladin getötet. Einen der Männer, die in Helike eigentlich die Ordnung erhalten sollten. Es gab von hier kein zurück mehr. Auch wenn niemals jemand erfahren würde, das er und seine Leute die Patrouille ausgeschaltet hatten. Zyle würde es Wissen. Und das reichte. Es war der endgültige Bruch mit den Archonten, ein Bruch, der schon vor langer Zeit begonnen

hatte. ,, Wir müssen weg.“ , raunte einer seiner Überlebenden Gefährten und riss den Gejarn damit aus seiner Trance. Ja… Das mussten sie. Der Lärm musste die halbe Stadt aufgeweckt haben. Rasch luden sie sich Kisten und Säcke wieder auf die Schultern und verschwanden im Eiltempo in der Nacht. Hinter ihnen blieben vier tote Soldaten zurück. Als sie schließlich die Sicherheit einer kleinen Lagerhalle am südlichen Hafenende betraten, wartete Relina dort schon auf sie. Die Magierin hatte die Haare im Nacken zusammengebunden und trug einen untypischen, grünen

Rock. Vermutlich war sie heute ebenfalls Unterwegs gewesen und hatte die Kleidung als Tarnung genutzt. Ihr fiel natürlich sofort der fehlende Mann auf und Zyles verletzter Arm auf. Die Wunde war zwar nicht tief, blutete aber stark genug, das er es merkte, jetzt, wo sein Geist wieder klare Gedanken zuließ. ,, Was ist passiert ?“ , fragte sie, während sie sie rasch von der Tür wegwinkte, die sofort mit einem schweren Bolzen verschlossen wurde. Zyle setzte eine der Kisten ab, die sie geholt hatten. Die Halle, in der sie sich befanden war bis zur Decke gefüllt mit allem möglichen, was man für eine

mehrmonatige See-Reise brauchte. Vorräte, Ersatzplanken und Segel, Werkzeug und auch Waffen und verschiedene magische Gegenstände, welche den Archonten entgangen waren. Oder vielleicht hatte Relina die auch aus den Archiven geschmuggelt. ,, Eine Patrouille.“ , erklärte einer seiner Gefährten. ,, Wir sind ihnen praktisch direkt in die Arme gelaufen. Robert ist tot. Aber wir haben fünf von den Bastarden mitgenommen. Nicht zuletzt dank Zyle hier, ich fürchte, ohne ihn wäre heute keiner von uns zurückgekommen.“ Der Gejarn winkte ab. Das allerletzte, was er wollte, war, jetzt auch noch für

seine Taten gelobt werden. Schon gar nicht von Relina. Er hätte den Paladin bewusstlos schlagen können, wie den anderen Mann. Aber er hatte im Affekt gehandelt und nicht nachgedacht. Das durfte ihm schlicht nicht mehr passieren. ,,Ich verstehe.“ Sie nickte in Richtung Zyle. ,,Euer Arm ?“ ,,Geht schon. Ein Verband und ein paar Wochen Ruhe und ich bin wieder voll einsatzfähig.“ ,, Ich brauche euch allerdings jetzt. In ein paar Wochen sind wir hoffentlich schon weg. Hoffentlich…“ Sie seufzte. ,,Kommt mit.“ Zyle folgte Relina durch das Lagerhaus, während seine zwei Begleiter damit

begannen, die übrigen Kisten einzusortieren und an der Tür Wache hielten, ob noch jemand eintraf. Es war dunkel. Um nicht aufzufallen, erhellten nur eine Handvoll Kerzen den Raum, grade genug, das man sich orientieren konnte, ohne über Ausrüstung zu stolpern. Zyle duckte sich unter einem Haufen Seile durch, die von einem Deckenbalken hingen. Relina arbeitete praktisch Tag und Nacht. War für ihn bereits nicht viel Schlaf drinnen, so bezweifelte er, dass die Gejarn überhaupt noch Ruhe fand. Und das sah man ihr auch an. Sie gähnte mehrmals und bedeutete einigen Helfern, die an irgendetwas arbeiteten, ebenfalls

zum Tor zu gehen. ,,Es gibt sicher auch andere im Untergrund, die die Logistik übernehmen können.“ , meinte Zyle. ,, Ihr solltet euch einmal Ausruhen.“ Sie lachte nur bitter. ,, Ich schlafe, wenn das hier alles vorbei ist. Wir reden hier davon, mehrere hundert Leute sicher über de halben Ozean zu bringen. Und das ohne, das die Archonten etwas davon mitbekommen. Aber… danke das ihr wenigstens auf die Idee kommt.“ Zyle nickte nur. Relina hatte den kleinen… Zwischenfall zwar mittlerweile vergessen wie es schien. Aber er nicht… Der kurze Moment in dem sich ihre Lippen fanden hatte sich in seinen

Verstand eingebrannt. Wieder einer der Momente in denen er schlicht nicht Nachgedacht hatte. Und selbst die Anspannung konnte ihren Zügen für ihn nichts von ihrer Schönheit nehmen. Zyle musste sich zwingen, den Blick abzuwenden und nur auf den Boden vor seinen Füßen zu starren, während er ihr folgte. Anfangs hatte er nichts mit diesem Gefühl anzufangen gewusst. Aber über die Wochen gewann er immer mehr Gewissheit. Er hatte sich in diese Frau verliebt. Anfangs war es vielleicht nur ein simpler Impuls, aber je länger er in ihrer Nähe war, desto weniger konnte er es leugnen. Es sich einzugestehen

machte es aber nicht besser. Im Gegenteil. Sie hatten einen abgeschiedenen Teil des Gebäudes erreicht und Relina bedeutete Zyle, sich auf eine Kiste zu setzen. Dann nahm sie seinen verletzten Arm. ,, Ich will versuchen euch zu heilen.“ , erklärte sie ruhig. ,, Und will euch wirklich nichts vormachen. Das könnte Wehtun.“ Er nickte. Er hatte von den Schmerzen gehört, die eine magische Heilung angeblich mit sich brachte. Auch wenn er diese bisher zum Glück nie bewusst erleben musste… Einer der Gründe, aus denen das Kaiserreich überhaupt noch Feldärzte beschäftigte, anstatt nur

Zauberer zur Wundversorgung heranzuziehen. Scharfes Metall und Nadeln waren den meisten lieber als Zauberei. Zyle zwang sich, sich in der Halle umzusehen. Wenigstens würde ihn das ablenken. Es war nur eine von mehr als einem halben dutzend, die die Magier Helikes in Anspruch genommen hatten. Es schien unmöglich, dass sie das alles ohne Hilfe von außen zusammengetragen hatten. Eine Vermutung, die ihn nicht zum ersten Mal beschlich. ,, Wer hat euch geholfen, das alles zu organisieren ?“ , fragte er, während Relina sich an seinem Arm zu schaffen machte. Sie war überraschend sanft,

während sie die Wunde abtastete, offenbar unsicher, ob er wirklich wusste, auf was er sich einließ. Dann legte sie eine Hand über den Schnitt ,, Ich glaube, ihr könntet sie kennen.“ , antwortete sie schließlich. Woher sollte er ? , fragte Zyle sich, bevor brennender Schmerz alles Denken unmöglich machte. Alles was ihm blieb, war die Zähne zusammenzubeißen und zu hoffen, das das Gefühl, als würde etwas seine Haut Stückweise abziehen und verbrennen, endlich nachließ. Es dauerte nicht lange und das Feuer klang ab. Trotzdem blieb Relinas Hand noch einen Moment auf seinem Arm. ,,Egina.“ , meinte er plötzlich, als ihm

die Antwort wie Schuppen von den Augen fiel. ,, Sie hat euch unterstützt ?“ Das allerdings, machte seine Überlegungen, wer sie hatte tot sehen wollen nicht einfacher. Die Liste ihrer potentiellen Feinde war grade enorm angewachsen. Das wäre ein Skandal gewesen, der den Archontenrat in seiner Gesamtheit untergraben hätte… wäre es bekannt geworden. Eine Archontin unterstützte eine Splittergruppe. Hatte Samiel das mit seinen letzten Worten gemeint? Wenn ja, dann hatte zumindest er davon gewusst. Auf eine seltsame Art stand jetzt alles miteinander in Verbindung. Nur wie genau ? Relina nahm derweil die Hand von

seinem Arm. Sie sah ihn an wie etwas, das sie nicht Verstand. Besorgt vielleicht, aber wenn dann auf eine Art, die Zyle noch nicht gesehen hatte. Und er kannte sie jetzt lange genug um sie schon in den meisten Situationen gesehen zu haben. Wütend, Angespannt, Traurig, Aufgekratzt… Aber nicht auf diese Art besorgt. Sie stand auf wortlos auf und entfernte sich. Ein Teil von ihm wollte sie zurückrufen, ob er dann wie ein Narr dastand oder nicht… Der vernünftige Teil von ihm bestand jedoch darauf, das es besser so war. Er brauchte nicht noch mehr Schwierigkeiten. Und Schwierigkeiten würde es geben, wenn er

Relina seine Gefühle beichtete. Es war ja jetzt schon kompliziert genug.

Kapitel 59 Staatsgründung


Der Ort, an dem sie sich mit Relina treffen sollten, hätte sich nicht deutlicher von dem verfallenen Haus unterscheiden können, in dem Kellvian ihr zum ersten Mal begegnet war. Es war einfach zu finden gewesen und auch ansonsten nicht schwer zu übersehen. Die weiß getünchten Mauern und großen Glasfenster vermittelten einen Eindruck vom Reichtum dieses Ortes. Kell fürchtete erst, er hätte sich vielleicht geirrt oder Zyles Wegbeschreibung wäre nicht korrekt. Als er jedoch an die Tür trat, wurden seine Zweifel geringer. Der

Zugang besaß ein kleines, hervorragendes Dach, das von zwei Säulen getragen wurde. Zwischen den Säulen und der Hauswand waren mehrere Stützstreben angebracht und auf einer davon ruhte eine Papierlaterne mit grünem Schirm. Gefolgt von Eden, Jiy und Erik trat er unter das Dach und an die massive Holztür. Ein Türklopfer aus vergoldetem Messing war daran angebracht und Kell schlug mehrmals dagegen. Eden hatte sie erst nicht begleiten wollen, aber auf der einen Seite, wollte er so viel Unterstützung wie möglich dabei haben und auf der anderen hatte die Gejarn die letzten Wochen nur am

Schiffswiederaufbau verbracht, so das sie sich langsam alle Sorgen um sie machten. Erik schließlich war ebenfalls aufgetaucht, nachdem es ihm gelungen war, sich für eine Weile von Schriften und alten Steintafeln abzuwenden. ,, Es hat eine Weile gedauert mich unter den ganzen Papieren durchzugraben.“ , hatte er nur gemeint. Es dauerte nicht lange und die Tür wurde von einem in graue Roben gekleideten Mann geöffnet. In der Hand hielt er einen Stab, in den ein bernsteinfarbener Kristall eingelassen war. Kellvian konnte die Magie, die davon ausging spüren. Heute wollten die

Magier offenbar nicht das geringste Risiko eingehen. ,, Ja ?“ , wollte der Wachposten wissen. ,, Ich glaube, wir werden schon erwartet.“ , meinte Kell nur. ,, Das glaube ich auch.“ Relina oder Zyle mussten dem Posten eine Beschreibung von ihnen gegeben haben, denn er trat anstandslos zur Seite und ließ sie ein. Drinnen warteten weitere, in grau gekleidete Gestalten, alle mit den gleichem magischen Kampfstäben bewaffnet. Kellvian korrigierte sich. Relina war offenbar nicht bloß Vorsichtig. Sondern auf Ärger eingestellt. ,, Ein Bekannter von mir hat auch so

was.“ , bemerkte Erik seinerseits, als er an dem Wächter vorbeitrat. ,, Zumindest weiß ich jetzt, woher.“ Der Mann schüttelte über den Alten nur den Kopf und deutete auf eine Treppe am Ende des Raums, die offenbar ins Obergeschoß führte. Zumindest das Erdgeschoss war edel eingerichtet. Möbel aus sauber geschliffenem Holz und Metall. Dazu kamen einige große Spiegel an den Wänden, Teppiche aus kostbaren Stoffen und Blumenvasen… Offenbar hatten die Rebellen einige Wohlhabende Unterstützer, dachte Kellvian, den bestimmt würde Relina kein Geld verschwenden, nur um einen großen Auftritt hinzulegen. Blieb nur

die Frage, wozu überhaupt das ganze? Wenn es etwas zu Besprechen gab, hätte dafür nach Kells Zutun auch der verfallene Unterschlupf gereicht. Vielleicht dachte sie, er sei so etwas gewohnt? Wenn ja, könnte er ihr gleich mitteilen, dass er sich einmal fast ein Jahr durch die Wildnis Cantons geschlagen hatte. Auf dem Weg die Treppe hinauf, ließen ihn die Wächter unten nicht aus den Augen. Eigentlich verständlich, aber wenn er nicht auf Seiten der Magier stände, wäre der Ort mittlerweile vermutlich schon von Helikes Soldaten umstellt oder überrannt. Vermutlich sollten sie sich mehr Sorgen um Zyle machen. Kell

wusste nicht, was der Gejarn eigentlich vorhatte. Aber er hatte zugesichert, ihm einfach zu Vertrauen. Für den Moment sollte ihn ohnehin nur Relina kümmern. Welche Gegenleistung sie für ihre Hilfe erwartete, stand nach wie vor nicht fest. Die Treppe endete vor einem Durchgang ohne Tür, der in einen geräumigen Saal führte. Dieser nahm fast den gesamten Dachraum ein. Glasfenster waren auf der Langseite in die Wand eingelassen und erlaubten einen Blick über die Dächer von Helike. Im Zentrum des Raums stand ein großer Tisch mit mehreren, darum verteilten Stühlen. Drei davon waren besetzt. Auf einem Saß Relina, in Rock und Mantel, die Haare zu einem Zopf

geflochten und die Beine überschlagend und scheinbar ungeduldig. Die Gejarn wirkte übernächtigt und nicht ganz bei der Sache. Das änderte sich jedoch Schlagartig, sobald sie Kellvian und die anderen bemerkte. Die Müdigkeit verschwand beinahe sofort aus ihren Zügen. Auf dem zweiten Platz saß Zyle, immer noch in dem grauen Mantel, in dem er am Morgen zur Windrufer gekommen war. Das Schwert jedoch hatte er abgelegt und es ruhte, an einem Gürtel hängend, an der Stuhllehne. Griffbereit, falls nötig, aber weniger bedrohlich und deutlich bequemer, als es direkt zu

tragen. Die dritte Gestalt wiederum kannte Kellvian nicht. Ein stämmiger Mann, der sich , bis auf einen einzigen, dunklen Haarstreifen, den Schädel kahlrasiert hatte. Eine Tätowierung bestehend aus einem ineinanderlaufenden Blattmuster, nahm einen Teil seines Gesichts ein und zog sich in einem Bogen über seine Stirn und über den Kopf bis in den Nacken. Erst beim näherkommen erkannte Kell, das die verschlungenen Muster als gesamtes Betrachtet, einen Drackenkopf darstellten. Er trug Leder-Kleidung in unterschiedlichen Brauntönen, die hier und dort mit Nieten verstärkt war und

hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Die Finger, die in dunklen Handschuhen steckten, hatte er zu Fäusten geballt. Insgesamt wirkte der Fremde eher missmutig. Relina bedeutete ihren neuen Gästen, ebenfalls am Tisch Platz zu nehmen. Es gab ein kleines Tablett mit Backwerk und eine Kanne mit kaltem Tee, der in kleinen Silberbechern serviert wurde. ,,Gut… jetzt wo hier sind, können wir anfangen. Es fehlt zwar noch jemand, aber ich denke, wir können es uns erlauben, nicht auf ihn zu warten“ , meinte die Gejarn und stand von ihrem Platz auf. ,, Endlich.“ , meinte der Fremde Mann.

,, Ich darf euch daran erinnern, das ich nur als Beobachter hier bin.“ ,,Natürlich Abran. Ich darf euch vielleicht trotzdem kurz vorstellen, das ist Kellvian Belfare, seines Zeichens Kaiser von Canton. Und die anderen…“ ,, Jiy, Erik und Eden kennt ihr ja bereits.“ , stellte Kell seine Gefährten vor. ,, Und ich bin Abran von den Whaid.“ Kellvian wusste nicht, was er von der Anwesenheit des Mannes hier halten sollte. Zwar waren die Nomaden der Wüste, wie er gehört hatte, nicht gut auf die Archonten zu sprechen. Aber sie waren seit Jahrhunderten nicht in der Lage gewesen, irgendetwas gegen sie

auszurichten. ,, Dann zum wesentlichen.“ , meinte Relina und zog eine Schublade neben ihr im Tisch auf. Sie holte einen großen Bogen zusammengerollten Pergaments daraus hervor, zusammen mit einem weiteren Dokument, das sie einen Moment nachdenklich betrachtete. . Rasch faltete sie das Blatt auseinander und breitete es über den Tisch aus. Es war eine Karte , wie Kellvian feststellte. Sowohl Canton, als auch Laos waren darauf eingezeichnet, sowie der gesamte Küstenverlauf. Auch wenn sie etwas Älter sein musste, den neben den beiden Ländern gab es einige kleinere Nationen im Gebote der heutigen Grenze. Die

freien Königreiche, die mittlerweile seit langem der Vergangenheit angehörten. ,, Wir haben lange darüber nachgedacht.“ , erklärte die Gejarn. ,, Wie erläutert, hat es für uns keinen Sinn, die Archonten direkt zu bekämpfen.“ Abran gab ein verächtliches Schnaufen von sich. ,, Ja ich weiß, ihr seht das anders. Und niemand hindert die Whaid daran, hierzubleiben. Es geht hier nur um die Magier. Wir haben vor, zu verschwinden. Jeder einzelne, der nicht mit der Herrschaft der Archonten zufrieden ist und mit uns in Kontakt steht, ist eingeladen uns dabei zu

begleiten. Unser Ziel liegt hier.“ Relina deutete auf einen Punkt jenseits von Kalenchor, in einer großen Bucht, noch hinter den grenzen Cantons. Mehrere größere und kleinere Inseln nahmen das gebiet ein. Ein beliebtes Versteck für Schmuggler und Piraten, wie Kellvian wusste. Das Kaiserreich beachtete die Gegend so gut wie nicht, einfach weil es sich nicht lohnte. Aber wenn dort nun hunderte von Abtrünnigen auswanderten. ,, Miss, ihr redet von nichts anderem, als einen neuen Staat zu gründen.“ , erkläre Erik und sprach damit Kellvians Gedanken aus. ,,Genau das ist mehr oder weniger der

Plan. Wenn wir erst einmal dort sind, haben wir das Land unter Kontrolle.“ ,,Bei euch hört sich das beinahe einfach an.“ , bemerkte Jiy. ,, Es ist einfach. Es gibt nur ein großes Problem dabei. Der Grund, aus dem ihr hier seid. Eine neue Nation aus der Taufe zu heben ist eine Sache. Sie zu behaupten eine andere. Seit ehrlich Kellvian, würdet euer Kaiserreich unter normalen Umständen eine Kolonie von… Abweichlern innerhalb seiner eigenen Grenzen dulden?“ ,, Vermutlich nicht. Darum geht es euch also… ihr wollt, das ich euch zusichere, euren neuen Staat auch anzuerkennen.“ ,, Und zwar in allen belangen. Wir sind

zu einem Teil Magier. Das heißt, euer Orden darf sich ebenfalls nicht in unsere Belange einmischen. Ich hätte das gerne schriftlich….“ Relina entfaltete das zweite Blatt. Es war dicht beschrieben und beim Überfliegen stellte Kellvian bereits fest, das die Gejarn an alles gedacht zu haben schien. Von Grenzrechten über Zusicherung von freiem Handel , Neutralität und Unabhängigkeit… Die Tragweite von dem, was hier vor sich ging, wurde ihm nur langsam bewusst. Was er hier in Händen hielt, war praktisch die Gründungsurkunde des ersten neuen Staats seit Ewigkeiten. Auf der anderen Seite hatte er keinen Grund

etwas dagegen zu sagen. Im Gegenteil. Dagian würde ausflippen, dachte er leicht amüsiert. Und selbst wenn er einen Grund hätte, nicht dafür zu sein… Er brauchte immer noch Relinas Hilfe. Wie immer die auch Aussehen würde. ,,Ich glaube, wir werden uns einig.“ , erklärte Kellvian. Er musste nicht lange darüber nachdenken. Es ging nur um ein paar Inseln, wenn überhaupt. Orte, für die Canton keine Verwendung hatte. Er den Siegelring von seiner Hand. ,, Ich denke mit einem kaiserlichen Siegel wird das hier niemand Anzweifeln.“ Relina nickte und als hätte sie damit gerechnet, förderte sie einen Stift Siegelwachs zutage. Zyle musterte die

kleine Gruppe am Tisch nach wie vor Schweigend, trat dann jedoch zurück um eine Kerze zu holen. Irgendetwas schien den Gejarn zu beschäftigen, aber Kell konnte ihn schlicht jetzt fragen. Machte er einen Fehler, oder übersah irgendetwas? Er könnte von Relina zuerst Hilfe fordern, aber es war nicht so, dass ihr eine Wahl blieb. Er erkannte das Dokument vielleicht an, so bald er es unterzeichnete. Das würde ihn aus ihrer Sicht aber nicht daran hindern, sich darüber hinwegzusetzen. Zlye reichte ihm derweil die Kerze, mit der er das goldfarbene Wachs einschmolz und auf den unteren Blattrand tropfte. Er sah kurz zu Jiy,

die nach einem Moment schließlich nickte. Das war die letzte Bestätigung die Kell brauchte. Heilung oder nicht, er tat das richtige. Kellvian drückte das Siegel in das flüssige Wachs, das bei Berührung mit dem kalten Gold und Silber fast sofort erstarrte. Dann griff er nacheiner Tintenfeder, die ihm ebenfalls von Relina gereicht wurde. Direkt neben das erstarrte Siegel von Adler und Löwe setzte er seinen Namen aufs Papier. Die Magiern nahm die Urkunde wieder entgegen, nur um sie an Abran weiterzugeben. ,, Lediglich eine Formalität. Wenn wir uns schon anerkennen lassen, dann von

allen Mächten in Canton. Dazu gehören auch die Whaid.“ Abran schnaufte nur wieder missmutig, griff nach der Feder und zog eine Reihe scharf geschnittener Buchstaben über das Papier. Jetzt würde ihnen nur noch die Zustimmung der Archonten von Laos fehlen, dachte Kellvian. Aber die bekamen sie wohl nicht. Und solange sie innerhalb der Seegrenzen von Canton blieben, würden diese wohl auch nicht wagen, Ärger zu macheen. Abran betrachtete das wertvolle Dokument einen Moment und einen Moment glaubte Kellvian schon, er würde es einfach nicht wieder aushändigen, als Relina die Hand danach

ausstreckte. Für die Whaid war es ganz gewiss ein Verlust, wenn die Magier nicht mehr mit ihnen gegen die Archonten vorgingen. Dann endlich faltete er das Papier zusammen und reichte es der Magierin zurück. Für Relina und die Magier mussten diese paar Zeilen jetzt wertvoller als Gold sein, dachte Kellvian bei sich. Und mehr noch… ,, Es gibt eine letzte Sache, um die ich euch bitten müsste.“ , erklärte Relina da. Hatte er doch gewusst, das es hier um mehr als eine, wenn auch feierliche, Erklärung ging. ,, Und zwar ?“ Es war Zyle, der Antwortete. ,,

Irgendwie müssen die Leute dorthin.“ Kell nickte, das war klar. Nur was hatte er damit zu tun? Die Antwort wurde ihm schnell klar. ,, Ihr braucht Schiffe.“ , stellte er fest. ,, Und soweit ich weiß, liegen im Moment mindestens zwei unbesetzte Galeonen des Kaiserreichs im Hafen von Helike. Schneller als die Galeassen von Laos und besser Bewaffnet. Perfekt um von hier zu verschwinden, selbst wenn die Archonten es rechtzeitig schaffen sollten, den Hafen abzuriegeln.“ ,,Ich werde es so aussehen lassen, als hättet ihr die Schiffe entwendet.“ , meinte er. ,,Zumindest sollte diese Erklärung den Archonten

reichen.“ ,, Sehr gut.“ Relina setzte sich wieder auf ihren ursprünglichen Platz. ,, Und glaubt nicht ich hätte unsere Abmachung vergessen. Bevor wir diese Stadt verlassen, werde ich euch verraten, was ihr braucht.“ ,, Nur eine Frage hätte ich.“ , meinte Eden da plötzlich. ,, Ihr sagtet ihr wollt euch diese Inseln aneignen…“ ,, Wir haben das Land gekauft.“ , erklärte Relina. ,, Genug Geld dafür zusammen zu bekommen, war beinahe so schwer, wie es jetzt auch umzusetzen. Es gibt nicht viel freies Land da draußen. Und das wir es von jemanden aus Canton erwerben mussten, hat die Sache auch

nicht einfacher gemacht.“ ,, Ist er hier ?“ Etwas blitzte in ihren Augen auf. Eine Vermutung. ,, Sollte er eigentlich.“ , meinte Relina,,, Aber…“ ,, Aber ihr solltet das nächste mal vielleicht darüber nachdenken, das ein alter Krüppel keine Treppe mehr hochkommt.“ , rief eine ungehaltene Stimme vom Durchgang her, der zum Untergeschoss führte. Gestützt von zwei Magierin in grauen Roben, schleppte sich grade ein Mann die Treppe hinauf, den Kelvlian schon einmal gesehen hatte. Wenn auch nur Flüchtig. In Lasante. Das von ein paar grauen Strähnen durchzogene, braune Haar hing ihm wirr

ins Gesicht, aus dem ein einzelnes, strahlend blaues Auge herausfunkelte. Der Mann trug einen grünen Gehrock und als er seine zwei Begleiter schließlich abschüttelte, musste er sich am Treppengeländer abstützen. Eines seiner Beine Endete direkt unterhalb des Knies. ,,Vance Livsey stets zu Diensten“ , meinte er vergnügt, während er in den Saal humpelte. Sein Blick richtete sich auf Eden. ,, Aber verdammt Mädchen, was habt ihr eigentlich mit meinem Schiff angestellt ?“

Kapitel 60 Überarbeitet


Eden war sich erst nicht sicher gewesen, ob ihre Vermutung richtig war. Doch als dann Vance auf der Treppe erschienen war, waren einige Puzzleteile an ihren Platz gefallen. Ihr alter Kapitän hatte schon letztes Jahr erwähnt, seine verbliebenen Besitztümer veräußern zu wollen. Jetzt wusste sie zumindest, an wen. Nachdem Kellvian den Magiern seine Unterstützung zugesichert hatte, waren er, Jiy und Erik bereits wieder auf dem Rückweg zum Hafen. Eden jedoch war geblieben, schon alleine weil Vance ein Recht hatte, zu erfahren, was passiert

war. Ein Monat… war kaum genug Zeit. Und Eden fürchtete insgeheim, das selbst Jahre und Jahrzehnte nicht ausreichen würden, irgendetwas zu vergessen. Die Arbeit lenkte sie ab, aber das war eben nur das. Ablenkung. Eine Möglichkeit über etwas Nachdenken zu müssen, das ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Vance alles zu erzählen machte den simplen Frieden, den sie mit sich geschlossen hatte jedoch wieder zu nichts. Alles noch einmal durchzugehen. Von dem Moment, wo sie von aufgeregten Rufen geweckt worden war, nur um zu entdecken, das Cyrus nicht mehr neben ihr lag… bis zu dem Moment im Hafen, wo auffiel, das er und

Zachary fehlten und man ihr die verbrannten Überreste des Amuletts gebracht hatte. Ihre Gefühle für den Wolf jedoch ließ sie außen vor. Vance brachte es fertig, darüber zu lachen, das wusste sie. Und auch wenn er das sicher nicht böse meinte… sie würde das Gegebenenfalls nicht hinnehmen. Stattdessen jedoch wurde der alte Kapitän einen Moment sehr ruhig. Sie saßen im Untergeschoss des Hauses, in einem kleinen Kaminzimmer. Vermutlich wurde das Feuer jedoch nur in den kältesten Nächten entzündet. Normalerweise hielt sie die Hitze des Tages in den Gebäuden. Und jetzt am frühen Abend flimmerte die Luft immer

noch über der inneren Stadt und ließ alle Konturen verschwimmen. Vance räusperte sich hörbar. Offenbar war der Mann zum ersten Mal, seit Eden ihn kannte, unsicher, was er sagen sollte. ,,Und… du bist dir sicher, dass sie beide…“ ,, Sonst wären sie längst aufgetaucht. Aber ich gebe die Hoffnung nicht ganz auf, Vance. Noch nicht.“ ,, Das solltest du auch nicht.“ , meinte er wieder mit einer Spur der alten Selbstsicherheit. ,, Auf keinen Fall, sogar. Verflucht, Eden wenn du aufgibst, können wir hier auch alle einpacken, das wär ja noch zu schön! Du hast nie

aufgegeben.“ ,,Ich weiß…“ Eden zögerte. ,, Weißt du was sie Sklaven antun um sie gefügig zu machen ?“ ,,Ehrlich gesagt wollte ich das nie so genau wissen. Habe auf meine alten Tage mehr als einen Sklaventransport aufgebracht. Wenn man die armen Bastarde schon dem Ritual unterzogen hatte, war das kein schöner Anblick. Wir haben sie so oder so meist getötet. Ich bin nicht besonders Stolz darauf, wehrlose, willenlose Gejarn abzuschlachten, aber ich glaube bis heute, das war für sie ein Gefallen, mehr als alles andere…“ ,, Aus Erfahrung kann ich dich

beruhigen… das habt ihr. Ich habe es erlebt, Vance. Als erstes sperren sie einen ein. In einer verdammten Kiste, grade groß genug, das man noch stehen kann. Kein Licht. Kein Zeitgefühl, gar nichts. Sie warten ein paar Stunden, bis man ganz sicher nicht mehr weiß, wie lange man schon dort ist. Wie lebendig begraben. Und dann kommt die verdammte Magie ins Spiel. Alpträume, Visionen… und man hat das Gefühl, seit Ewigkeiten dort zu sein. Wenn man wieder rauskommt, weiß man nicht mal mehr, welches Jahr ist. Dann würde man alles tun, nur um zu vermeiden, das sich das wiederholt. Man hat nicht mal mehr die Wahl… man reagiert einfach nur

noch.“ Sie sah auf. ,, Genau so fühle ich mich grade wieder.“ Auch wenn sie das Ritual besser als die meisten überstanden hatte, dachte Eden. Sie hatte ihren Willen behalten, irgendwie. ,, Ich habe geschworen auf Zac aufzupassen.“ ,, Es geht aber nicht nur um den Jungen, oder ?“ , wollte Vance wissen. ,,Nein. Verflucht, warum interessiert dich das ? Du bist hier wegen dem Gold für dein Land. Nimm es und verschwinde. Ich komme schon irgendwie klar.“ Sie stand auf und war drauf und dran den Raum zu verlassen, als Vance sich ebenfalls aufrichtete. Mit dem fehlenden Bein viel ihm das nicht

ganz so einfach wie ihr. Trotzdem blieb die Gejarn stehen. ,,Weil ich dich kenne, Eden. Du wirst dich den Rest deiner Tage selber für das fertig machen, was geschehen ist. Obwohl du absolut nichts dafür konntest. Und ich will, das du das verstehst, sonst fürchte ich… sehen wir uns nicht wieder.“ Eden schüttelte den Kopf, obwohl ein Teil von ihm Vance recht geben musste. ,,Ich mache schon nichts dummes.“ , erwiderte sie. ,, Das hoffe ich.“ , sagte Vance nur, als sie schließlich aus der Tür verschwand. ,, Das hoffe ich wirklich. Ich reise Morgen wieder ab. Und ich erwarte, das

du in einem Jahr gesund und munter in Lasanta auftauchst, hörst du ?“ Sie nickte nur und ging. Offenbar glaubte er, das Eden ihn bereits nicht mehr hören konnte, den noch bevor sie das Haus verließ, hörte sie ihn murmeln: ,, Diese Frau bringt mich irgendwann nochmal ins Grab. Ich hoffe ich bekomme was zu trinken, bevor ich mich wieder in einer dieser Barracken verkriechen kann…“ Wenigstens Vance würde sich wohl nie wirklich ändern. Und wie Relina ihn überzeugt hatte, in einen der verfalleneren sicheren Häuser Quartier zu beziehen, wenn hier ein kleiner Palast zur Verfügung stand… Das wollte sie

sich besser gar nicht vorstellen. Vermutlich waren die Rebellen dabei mehrere Fässer losgeworden. Sie hatten es tatsächlich geschafft, dachte Zyle. Er und Relina befanden sich nach wie vor im Obergeschoss des Hauses. Das Gebäude stand, soweit er wusste, leer und die eigentlichen Besitzer hatten es den Magiern und Abtrünnigen zeitweise zur Verfügung gestellt. Ein schönes Gebäude und erneut ein Hinweis darauf, das Relina mehr Verbündete hatte, als man glauben mochte. Ob diese Gönner jedoch mit ihnen aus der Stadt fliehen würden, hielt Zyle für fragwürdig. Sie hatten zu viel

zu verlieren. Die anderen waren schon vor einer Weile wieder in den Hafen zurückgekehrt. Und auch Abran machte Anstalten, sich zu entfernen. ,, Wir brechen heute in zwei Wochen auf. Sollte jemand aus eurem Volk den Wunsch haben uns zu Folgen, soll er sich Morgens am Hafen einfinden. Die Schiffe sind schwer zu übersehen.“ , erklärte die Gejarn ihm, was er mit dem schon fast typischen murren zur Kenntnis nahm um dann die Treppe hinab zu verschwinden. Relina saß derweil am Ende des leeren Tischs, einen ganzen Stapel Papiere vor sich und schrieb Briefe mit Anweisungen und Nachfragen. Das Licht der

Abendsonne verlieh ihren Haaren einen leicht goldenen Schimmer. Zyle zwang sich, den Blick abzuwenden. Er wollte ganz sicher nicht dabei erwischt werden, wie er sie anstarrte. Am liebsten würde er einfach in Worte fassen, wie er sich fühlte. Es einfach hinter sich bringen. Zumindest hätte er dann Gewissheit. Relina würde ihn schlicht abweisen, er hatte es ja bereits erlebt. Aber der kurze Moment wollte ihm keine Ruhe lassen. Noch mehr, wenn er daran zurückdachte, wie sie seine Verletzungen geheilt hatte. Die Gejarn war ohnehin ganz in ihre Arbeit vertieft. Jetzt wo die anderen gegangen waren, war es beinahe gespenstisch still, nur unterbrochen

durch das Kratzen der Feder. Und dann legte Relina auch diese bei Seite. Sie band die Briefe zusammen und legte die Schreibfeder endlich beiseite. Vermutlich würden Morgen mehrere Boten damit losziehen und zu den verschiedenen sicheren Häusern bringen. Heute wäre es dafür zu spät. Die Briefe dürften keinen Stadtwachen in die Hände fallen. Das von Kellvian und den Whaid unterschriebene Dokument hingegen hatte sie längst an einen sichereren Ort bringen lassen. Immerhin, bisher existierte ihre Zuflucht nur auf dem Papier. So wie diese ganze Aktion, dachte Zyle. Relina hatte den Großteil

der Organisation übernommen und war damit der eigentliche Kopf hinter allem. Aber verflucht, sie zahlte einen Preis dafür. Zyle hatte nur die Botengänge erledigt und doch fühlte er sich bereits, als könnte er sich auf den nackten Dielenboden legen und einfach schlafen. Was die Magiern noch auf den Beinen hielt, darüber konnte er hingegen nur mutmaßen. Sie steckte die Briefe ein und machte Anstalten, aufzustehen. Zyle hatte schon damit gerechnet, das sie nicht über Nacht in dem Haus bleiben würden. Auch wenn es sicher war, es war zu auffällig um ihre Flucht aus Helike komplett von hier aus zu Planen. Außer

ihnen befand sich niemand mehr hier, soweit er wusste. Zyle stieg als erster die Treppe hinab und fand seine Vermutung auch bestätigt. Außer einigen Kerzen war es Stockdunkel und die Eingangshalle verlassen. Bevor er jedoch die letzte Stufe erreicht hatte, drehte er sich noch einmal zu Relina um. Was ansonsten geschehen wäre, darüber konnte er nur Mutmaßen. Die Gejarn hielt sich auf einmal am Geländer fest und schwankte plötzlich. Zyle sah sie schon die Stufen hinab stürzen und ohne lange nachzudenken, sprang er die Treppe wieder hinauf. Er erreichte sie grade, bevor sie ihr Gleichgewicht wiederfand. Der Schreck

stand Relina ins Gesicht geschrieben, zusammen mit bodenloser Erschöpfung. ,, Musste ja irgendwann passieren.“ , murmelte sie schwach. ,,Noch ein paar Wochen…“ ,, Ihr macht Witze.“ Sie stützte sich wortlos auf Zyles Schulter, während der Gejarn sie nach unten brachte. ,, Noch ein paar Tage, wenn ihr so weitermacht und ihr kippt irgendwann tot um.“ ,,Mag sein.“Relina klang beinahe gleichgültig, während Zyle sie in ein angrenzendes Zimmer führte. Auch hier sorgten Kerzen und einzelne Laternen für Licht. Offenbar ein Esszimmer. Neben einem großen Tisch, der dem im Obergeschoss entsprach, gab es eine

kleine Ecke mit hohen Sitzkissen, die wohl normalerweise der Dienerschaft überlassen wurden, die nicht am Esstisch platz nahm. Nun half Zyle Relina, sich dort zu setzen. ,, Nichts, mag sein.“ , erklärte er. Die Gejarn hatte schon in letzter Zeit müde und überarbeitet gewirkt, doch nun forderte das endgültig seinen Preis. Die, sonst so ruhelose, Magierin setzte sich widerstandslos. ,, Von euch hängt ihr alles ab.“ , fuhr Zyle derweil fort. Er kam nicht darum herum, einen schmerzhaften Stich in der Brust zu fühlen. ,, Wenn ihr uns eines Tages bewusstlos umkippt, bricht hier das Chaos

aus.“ Sie lächelte schwach und mit halb geschlossenen Augen.. ,, Ach ja ? Es gibt andere, die das Übernehmen können. Ich muss nur durchhalten bis die Schiffe aus dem Hafen sind.“ ,,Niemanden wie euch.“ Zyle schüttelte den Kopf über ihre Unvernunft. ,, Ich brauche nur kurz Ruhe.“ , murmelte die Gejarn verschlafen. ,, Und weckt mich gefälligst ein einer Stunde. Ihr solltet euch nicht so viele Sorgen um mich machen.“ ,,Ich kann nicht anders.“ Jetzt oder nie dachte Zyle. Er nahm allen Mut zusammen. Seltsam, wie er dem Tod ins Auge sehen konnte, aber grade so viel

Angst verspürte, wie selten in seinem Leben. ,, Ich fürchte ich liebe euch ganz einfach.“ Er hielt den Atem an und wartete auf eine Antwort, die nie kam. Nur Schweigen. Eine Stille, so vollkommen, das er meinte, das Rauschen der Kerzenflammen hören zu können. Nachdem mehrere Minuten verstrichen waren, drehte er sich schließlich zu ihr um. Relinas Augen waren geschlossen und sie atmete ruhig und Gleichmüßig. ,, Soviel also dazu.“ Murmelte Zyle leise, um sie nicht zu wecken. Er hatte auch kein Glück. Ihm blieb nur weiter die Unsicherheit. Er stand geräuschlos auf.

Relina wäre hier wohl sicher. Und er würde sicher alles tun, außer sie in einer Stunde zu wecken. Egal, was sie davon hielt. Vielleicht morgen früh. Aber auch nur, wenn sie nicht vor ihm aufwachte. Er nahm sich eine der Kerzen, die den Raum erhellten und trat zurück in die Eingangshalle. Es musste hier ja irgendwo ein Schlafzimmer geben. Und er brauchte auch nicht lange zu suchen. An der Treppe vorbei betrat er schließlich eine großzügige Schlafkammer. Wie alles in dem Haus stellten selbst die Betten Reichtum zur Schau. Vermutlich hätten zehn Leute darin schlafen können, ohne sich in die Quere zu kommen. Zyle ließ sich einfach

in die Kissen fallen und machte sich nur noch die Mühe, die Stiefel auszuziehen. Einen kurzen Moment, dachte er noch darüber nach, Relina eine Decke zu bringen, dann war er jedoch bereits eingeschlafen. Die Dunkelheit trug ihn davon zu unruhigen Träumen… Auch wenn das vielleicht das falsche Wort war, dachte er. Erfüllend schien es eher zu treffen. Vermutlich würde er sich später gar nicht mehr daran erinnern. IN seinem Traum war die Kerze auf dem Nachttisch bereits fast vollständig heruntergebrannt und tauchte seine Umgebung in unstetes Licht. Grade genug um zu erkennen, das sich die Tür

einen Spalt weit öffnete. Zyle wollte aufspringen und nach seiner Waffe suchen, fand sich aber auf einmal zu Träge dazu. Und spätestens, als eine Gestalt durch die Tür hereintrat, wusste er, dass er ohnehin noch schlief. Nur gut, das Relina nie etwas davon erfahren würde. Sie war nackt, wenn man von ihrem Fell einmal absah, das sie fast eins mit dem Halbdunkel werden ließ. Die Gejarn trat praktisch ohne einen laut an das Bett heran und ließ sich an seiner Seite nieder. Ohne Scheu beugte sie sich über ihn. Das war der Moment in dem Zyle am liebsten aufgewacht wäre. Dem bewussten Teil von ihm, war auch der

Traum peinlich. Doch dann verflogen die letzten Überreste des Schlafs… Er war wach. ,,Aber…“ Setze er an, bevor Relina ihre Lippen auf seine drückte. ,,Dummkopf…“ , hauchte sie, als sie sich wieder von ihm löste. Die Haare fielen ihr in einer Kaskade über die Schultern. ,, Warum hast du nichts gesagt ?“ ,, Vor einem Monat…“ ,, Da habe ich dich doch noch nicht gekannt.“ Diese Frau war auf mehr als eine Art unglaublich… Einen Moment hielten sie beide Inne. Er, zu glücklich und immer noch nicht davon überzeugt, das er nicht träumte…

und Relina leicht angespannt. Ihre Brust hob sich mit jedem schweren Atemzug etwas. Zyle brach die Erstarrung und küsste sie erneut. Diesmal jedoch ließ er seine Lippen tiefer wandern, über ihren Hals und Schlüsselbein. Die Gejarn zitterte leicht über ihm und sog scharf die Luft ein, als er eine ihrer Brustwarzen sanft zwischen die Zähne nahm und die andere mit den Händen umschloss und liebkoste. Relinas Hände wanderten forschend unter seine Kleidung. Sie wussten beide, was sie wollten. Ihm schlug selber das Herz bis zum Hals, als sie schließlich wieder einen Moment voneinander abließen. Rasch

entledigte er sich seiner restlichen Kleidung. Relina ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Es war auf eine ihm unvertraute Art erregend, und kaum hatte er sich des letzten Kleidungsstücks entledigt, zog sie ihn wieder mit sich ins Bett. Seine Hand wanderte tiefer und sie öffnete ihre Schenkel leicht, als Zyles Finger begannen ihre Scham zu erkunden. ,, Das ist schön.“ , murmelte sie leise . Ihr heißer Atem streifte ihn, ihre Hände kratzten über seinen Rücken. Nun mutiger geworden, lies Zyle einen Finger in sie wandern. Relina erschauderte unter ihm und seufzte

leicht. Ihr beider Atem ging jetzt schwerer, trotzdem zögerte Zyle noch, als er sich zurückzog. Er war jetzt wie im Rausch und Relina ging es kaum anders. Aber er wollte diesen Moment noch auskosten,. Relina jedoch war nicht mehr zu bremsen. Sie rollte sich sanft auf ihn. Ihre Hände strichen über seine Brust und Schultern, bevor sie ihr Becken hob und sein Glied in sich aufnahm. Relina richtete sich auf und begann sich auf ihm zu bewegen. Beinahe grob erhöhte sie das Tempo und ließ Zyle nur übrig, es ihr gleich zu tun. Sie umschlang ihn mit ihren Beinen, während ihre Lippen ebenfalls erneut

miteinander verschmolzen. Schließlich begann sie, leise zu stöhnen. Beide umfassten sich noch fester, versanken noch tiefer ineinander. Ihre Bewegungen bekamen immer mehr etwas Unkontrolliertes, Forderndes… Sie kamen gemeinsam zum Höhepunkt und sackten schließlich, fest umschlungen, in sich zusammen. Zyle streichelte Relinas Rücken, während er sie an seine Brust zog. Die Gejarn küsste ihn mehrmals tief und leidenschaftlich, bevor ihr beider Atem langsam wieder gleichmäßiger wurde. Und schließlich schliefen sie, nach wie vor eng umschlungen, ein. Doch bevor ihn erneut die Dunkelheit in Anspruch

nahm, fragte sich Zyle, was jetzt nur werden sollte. Nach wie vor… Er musste die Pläne der Archonten beenden. Jetzt erst recht. Er glaubte Wys nicht, das man ihn wirklich unbeobachtet ließ. Ganz im Gegenteil. Morgen würde er zur inneren Stadt gehen. Es gab vielleicht doch einen Weg, wie beide Seiten etwas hieraus Gewinnen konnten. Aber dafür musste er unter anderen an das Ehrgefühl der Archonten appellieren.

Kapitel 61 Ehre

Als Zyle die innere Stadt nach nun fast einem Monat wieder betrat, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Es gab die Möglichkeit, dass er einen Ausgleich für die Abtrünnigen Magier erwirken konnte. Etwas, das über simple Flucht hinausging. Das, wonach Wys immer gestrebt, aber bisher nie erreicht hatte. Den Anstoß für echte Veränderung in Helike. Das war das Risiko Wert, das er Einging. Und behielt er Recht, gewann er alles. Zyle wusste, was er zu tun hatte. Und wenn er sich irrte… würde er die Ratshallen heute nicht Lebend

verlassen. Eine ganze Reihe Paladine hatte vor dem Zugang zu den Hallen der Archonten Aufstellung genommen. OB ihn das militärische Aufgebot einschüchtern sollte, wusste er nicht zu sagen. Aber das die vier Herrscher Wachen für nötig hielten, zeigte ihm, das er ihr vertrauen bereits verloren hatte. Offenbar lag er mit seiner Vermutung richtig. Die Archonten hatten ein Auge auf ihn und ihn trotz Wys Versicherung weiter beobachtet. Und wenn dem so war, dann würden sie früher oder später von den Fluchtplänen erfahren. Besser, er machte jetzt und hier reinen Tisch. Vor den Toren zu den Ratskammern jedoch, hielt

er noch einmal kurz inne. Relina würde was er tat als Verrat empfinden. Ob es zum Besten aller geschah oder nicht. Aber… sie würde verstehen. Wenn die Archonten ebenfalls Verstanden. Mit diesem Gedanken stieß er die Tore auf und trat in den Saal. Licht fiel durch die Buntglasfenster, die sich in einer endlosen Spirale an der Rückwand aufwärts zogen. Bildnisse der sogenannten Helden Helikes. Paladine, Schwertmeister und Archonten, die, für immer im Bleiglas gefangen, auf jeden hinab starrten, der die ehrwürdigen Hallen betrat. Wys, Chonar, Cadus und schließlich Jona, der Händlerkönig, warteten bereits

auf ihn. Nach wie vor klaffte in der Reihe der fünf Throne eine Lücke. Eine, die nie mehr geschlossen werden würde, wie Zyle fürchtete. Er hatte etwas Verstanden, was Wys nicht sah. Laos Gesetze, selbst wenn sie nicht blanke Fälschungen, waren… verrottet, zerfressen durch die Jahrhunderte. Es war Zeit, das sich die Archonten dem Stellten. Während er sich in der Halle umsah, stellte er fest, dass der große Lehrer Helikes fehlte. Das war nicht gut. Seine Anwesenheit könnte vielleicht den Ausschlag geben. Aber auch das ändere nichts mehr an seinem Entschluss. ,, Würdet ihr uns Verraten, wieso ihr euch seit einem Monat nicht mehr

gemeldet habt ?“ , wollte Chonar, der Wolf, angespannt wissen. ,, Vielleicht sollte ich die Archonten fragen, wo in den letzten Jahren ihre so hoch gelobte Weisheit gewesen ist.“ Seine Stimme hallte durch den Raum. ,, Ihr wagt es…“ , setzte Cadus an. ,, Und ich wage noch viel mehr. Ihr hattet mit einer Sache Recht, wie mein Bruder euch ohne Zweifel längst berichtet hat. Es gibt Magier in dieser Stadt. Ich habe mit ihnen gesprochen, sie angehört… und für sie gekämpft!“ ,,Dann sagt uns wo…“ , versuchte Jona nun das Wort zu ergreifen. Zyle würde keinen von ihnen sprechen lassen. Die Zeiten waren

vorbei. ,, Ihr werdet sie niemals finden.“ , erklärte er und er sah ihnen bereits an, das sie ihm glaubten. Sie glaubte ihm und waren verängstigt über sein Auftreten. Hinter den Thronen regte sich etwas. Mehr Paladine, daran hatte Zyle keinen Zweifel. Bereit ihn in Stücke zu hacken, wenn er die Archonten bedrohte. Nicht, das er das vorhatte. Sein Leben war das einzige, das hier gefährdet war. ,, Sie sind zu verstreut, sie haben hunderte Verstecke in der ganzen Stadt und selbst ich kenne nur einen Bruchteil davon. Hinzu kommt, dass niemals viele von ihnen an einen Ort sind. Selbst mit meiner Hilfe, wird es euch niemals

gelingen, sie zur Strecke zu bringen.“ ,, Zyle… Was hast du vor ?“ , fragte Wys besorgt. ,,Hör mir nur zu. Ihr alle. Es gibt eine Gelegenheit für euch. Eine einzige. Und ihr werdet sie nur zu meinen Bedingungen erhalten.“ ,,Ihr wagt es allen ernstes Forderungen zu stellen ?“ , fragte Chonar aufgebracht ,,Ich wage noch viel mehr !“ , rief Zyle und brachte den Archonten dazu, auf seinem Platz zusammenzuzucken. Mit diesen Worten zog er ein Kurzschwert. Sofort kam Bewegung in die Wachen auf der anderen Seite des Saals. Er richtete die Klinge jedoch lediglich auf sich selbst. Direkt an seinen Hals, wo die

Hauptschlagader verlief. ,, Ich fordere. Die Magier arbeiten an einem großen Plan. Eure einzige Gelegenheit, sie aufzuhalten, würdet ihr es wünschen. Se wollen diese Stadt verlassen.“ ,, Das ist ein Skandal. „ , kreischte Chonar nun schon fast. ,,Tötet diesen Irren.“ Die Wachen traten ein Stück vor ,,Ihr werdet bleiben wo ihr seid !“ , rief Jona zurück und sie blieben stehen, wo sie waren. ,, Hört ihn an.“ Wys nickte ebenfalls. ,, Ich werde euch erzählen, wo und wann ihr sie daran hindern könntet. Aber ich habe Bedingungen. Erstens : Ihr werdet niemanden verletzen. Ihr kommt alleine

zu dem Ort, den ich euch Verraten werde. Zweitens: Ihr werdet die Magier anhören. Sprecht mit ihnen. Wenn sie danach bleiben wollen, wenn ihr euc einigen könnt, dann sei das so. Wenn nicht, will ich dass ihr mir bei allen, was euch heilig ist, schwört, das ihr sie ziehen lassen werdet. Mit euerm Segen und eurer Zustimmung. Ihr habt nichts zu verlieren als euren falschen Stolz . In diesem Fall werde ich mit ihnen gehen, denn dann ist Helike wahrhaft verloren ob ihr das erkennt oder nicht.“ Und damit hätten Relina und ihre Leute auch das eine, das ihnen noch fehlte. Die Duldung durch die Archonten. O unter Zwang oder nicht, sie würden sich an ihr

Wort halten müssen, wollten sie nicht jede Glaubwürdigkeit verlieren. Und so bekam er sie alle hoffentlich dazu, einmal aufeinander zu hören. Mehr brauchte es vielleicht gar nicht. Wie Jiy gesagt hatte, er brauchte ein Druckmittel. Nun er hatte keines. Außer seinem Wissen. ,,Ihr habt also allen erstens vor uns Forderungen zu stellen ?“ , fragte Cadus düster. ,, Bis ich euer aller Ehrenwort nicht habe, ja!“ Er packte die Klinge fester. ,, Schwört, oder die Antworten sterben mit mir. Ich bin der einzige, den ihr unter den Magiern habt. Bin ich weg… werdet ihr sie niemals finden.“ Er war nur

durch einen reinen Zufall überhaupt auf Relina gestoßen. Das sich so etwas wiederholte bezweifelte Zyle. Und wenn er starb, würde sie hoffentlich davon erfahren. Sie wäre klug genug, dann alle Pläne zu ändern, dachte er , und vor allem den Abreisetermin zu verschieben. ,, Du bist verrückt.“ , meinte Wys entsetzt. ,, Im Gegenteil Bruder. So sicher bin ich mir schon lange nicht mehr gewesen. Jetzt Schwört bei Laos und allem, das euch etwas bedeutet oder ich schwöre wiederum ich nehme mein Wissen mit in mein Grab!“ Cadus sank auf seinen Platz zurück, genau wie Chonar. Schweigen hatte sich

über de Halle gesenkt. Zyle wartete, ohne jede Regung und den scharf geschliffenen Stahl nach wie vor an seinen Hals gesetzt. Er bluffte nicht, das musste den Archonten klar sein. ,,Also gut.“ , meinte Jona schließlich. ,, Ich habe damit kein Problem. Ich schwöre. Bei meiner Ehre… und meinem Gold wohlgemerkt, wenn ihr uns verratet, wo wir die Magier finden, werde ich sie anhören und im Zweifelsfall, ihnen freies Geleit gewähren.“ ,,Verräter !“ Chonar sprang von seinem Platz auf und schien kurz davor, auf den rundlichen Löwen eizuschlagen. Dieser faltete jedoch nur die

Hände. ,, Schwur ist Schwur.“ , erklärte Wys da. ,, Und ich schließe mich ihm an. Bei meiner Ehre, bei meiner Hoffnung auf Veränderung… Bruder. Und bei meiner Hoffnung, das du weißt, was du tust.“ Cadus schließlich nickte langsam. ,, Ehre… und Rang.“ ,, Auch du ?“ Chonar setzte sich wieder. ,, Auch du… Nun denn… Wie ihr wünscht Zyle. Bei Ehre und gutem Namen. Möget ihr daran ersticken, Verräter.“ Zyle ließ sich nicht einschüchtern. Gerechter Zorn war eine Waffe, wie alle anderen und er hatte mittlerweile gelernt, damit umzugehen. ,,Möget ihr in

ewigem Feuer brennen, wenn einer von euch auch nur jemals darüber nachdenkt, diesen Eid zu brechen. Ich sage euch alles. Wie vereinbart….“ Als Zyle danach die Hallen verließ, stürmte ihm Wys nach. ,, Hast du den endgültig den Verstand verloren ?“ , wollte er wissen, als er den Gejarn einholte. Er stellte sich ihm in den Weg und packte ihn abermals bei den Schultern. ,,Zyle… Das kann nicht dein Ernst sein.“ ,,Wys…“ Er seufzte schwer. ,, Ich wusste, das du dagegen bist.“ ,,Ja, ja verdammt ich bin dagegen.

Selbst wenn die anderen sich an deinen Eid halten, sobald die Magier weg sind, und ich bezweifle nicht das es dazu kommt, sie werden sich nicht einigen, werden sie dich umbringen!“ ,,Dann sei dem eben so. Und ich habe bereits erklärt, wenn die Magier gehen, gehe ich. Nicht nur weil diese Stadt verloren ist. Es gibt wichtigeres als Städte.“ ,, Du redest wie ein Narr.“ Wys ließ ihn endlich los. ,, Ein Narr… der mich zu sehr an mich erinnert. Du denkst mit dem Herzen. Aber das Herz eines Staatsmannes muss in seinem Kopf sein. Das wissen Cadus, das wissen Chonar, und Jona weiß es erst recht. Nur du

nicht.“ ,,Ich tue, was ich für das beste halte. Das beste für Helike und alle in dieser Stadt. Nicht nur diejenigen, die Laos Wort anerkennen. Verzeih mir.“ ,,Genau das gleiche tue ich. Zyle, du stellst alles auf Messers Schneide. Alles. Auch jede kleine Freiheit mehr, für die ich gearbeitet habe…“ ,,Freiheiten , Wys ?“ Zyle schüttelte den Kopf. ,, Ich fürchte, was du für Erfolg hältst, ist viel zu wenig um jemals Dauerhaft zu sein. Und ich habe diese Stadt noch nicht völlig aufgegeben.“ Im Gegensatz zu dir.“ ,, Das ist nicht wahr !“ , rief Wys aufgebracht. Zyle wusste, das er seinen

Bruder diesmal verletzt hatte. In seinem Stolz. Aber das war alles nötig. ,,Dann hilf mir.“ , meinte er sanft. ,, Nichts wäre mir wichtiger, als dich an meiner Seite zu wissen. Aber wenn du das nicht kannst… dann tritt beiseite und überlass mir das Feld, Bruder. Denn was immer geschieht… stell dich mir nicht in den Weg.“ ,, Offenbar sind wir uns nicht so ähnlich, wie ich immer Gedacht habe.“ ,, Es scheint wohl so.“ Er legte Wys eine Hand auf die Schulter. Ihm war auf einmal fast zum Weinen zumute. Auch wenn es nicht so schien, das hier war ein Abschied. Zumindest fürs erste. Sie beide hatten ihren Weg jetzt gewählt,

nicht? ,,Versprich mir nur, das du Vorsichtig bist. Und… sei einmal ehrlich. Das alles für ein paar Magier ?“ ,, Nicht nur.“ , erklärte Zyle ehrlich. ,, Ich wusste es. Ich hatte euch gesehen, Zyle, vor fast vier Wochen. Liebe macht also wirklich Blind.“ ,, Es scheint mein kleiner Bruder steckt seine Nase immer noch in Dinge, die ihn nichts angehen.“ ,, War das denn je anders ?“ Wys versuchte sich an einem Lächeln, das jedoch zur Grimasse wurde. Zyle wollte sich schon umdrehen, als ihn der Archont in eine kurze Umarmung zog. Nun hatten sie es also endgültig

geschafft, dachte er und bei dem Gedanken traten nicht nur ihm Tränen in die Augen. Sie standen auf unterschiedlichen Seiten. Es sollte nicht sein und doch blieb keinem von ihnen eine Wahl. Dieses Mal ließ Wys ihn nur langsam los. ,, Ich tue, was ich für richtig halten.“ , meinte Zyle erneut. ,, Das tuen wir alle. Und wenn du einen Moment nachdenken würdest…“ Wys verstummte, bevor er wieder wütend werden konnte. ,, Wenn dem so ist,, wenn euch das Wort Ehre noch das geringste bedeutet, werdet ihr euch an die Abmachung halten.“ , erklärte Zyle nur und wendete

sich endgültig ab. ,,Ich hoffe eines Tages können wir uns wieder zusammensetzen. Bis dahin jedoch…“ ,, Bis dahin.“ , erklärte der Archont mit ersterbender Stimme. ,, Leb wohl.“ Zyle musste sich zwingen, sich nicht noch einmal umzudrehen. Das war nichts persönliches Wys musste das verstehen. Und es war nur Vorübergehend, dachte er. Wenn alles so verlief wie er es hoffte, gab es keine Flucht aus Helike. Und vielleicht gäbe es dann auch keine Archonten mehr. Gerne hätte er mit Laos darüber gesprochen. Auch wenn der Mann sich auffällig zurück hielt… irgendwie war er sich sicher, dass er Zyles Vorhaben unterstützten würde.

Dann bliebe den Archonten erst recht keine Wahl mehr.

Kapitel 62 RestauratioN


Dagian Einher , der Hochgeneral Cantons, besah sich die Bauarbeiten mit zunehmender Unruhe. Es war eine Sache, Trümmer und Überreste aus dem Meer zu Fischen, die man noch wiederverwenden konnte.. Eine ganz andere, die noch vollständigen Gebäude Stück für Stück abzutragen und Detailgetreu wiederaufrichten. Keine Arbeit für einfache Steinmetze, sondern ein Puzzle, dessen Ausmaße mehrere Morgen Land bedeckten. Die einzelnen Inseln der fliegenden Stadt wieder zu errichten würde wohl noch Monate wenn nicht

Jahre in Anspruch nehmen, aber der Anfang war gemacht. Bereits jetzt breiteten sich auf der Ebene vor der westlichen Steilküste Cantons breite Wege und Villen aus und auch mit der Wiedererrichtung des Kaiserpalasts war begonnen worden. Das Zentrum der Stadt war überraschend intakt geblieben. Zwar hatte die Bausubstanz vielerorts Schaden erlitten, aber sobald der Schutt einmal beiseite geschafft war, konnte man doch hoffen. Eine ganze Reihe Magier halfen ebenfalls beim Wiederaufbau. Es war Magie gewesen, welche die Stadt über die Jahrhunderte erhalten hatte und viele, der Bauten, die noch aus der Zeit

des alten Volkes stammten, sprachen auf Zauber an. Risse schlossen sich und die beim Absturz zersplitterten Silberbrücken fügten sich beinahe wie von Geisterhand wieder zusammen. Kellvian hatte bisher nicht einmal darüber nachgedacht, die fliegende Stadt wiederaufrichten. Doch jetzt, wo Dagian endlich freie Hand hatte, tat sich endlich etwas. Es würde ein Zeichen setzen, wenn die Zitadelle wieder am Himmel über Canton stand. Auch wenn bisher noch keiner der Zauberer die geringste Idee hatte, wie man die einzelnen Stadtinseln wieder in die Luft bringen könnte. Die Magie, die einstmals durch jeden Stein der Paläste geströmt war,

war fort. Vielleicht für immer. Nun selbst wenn die Hauptstadt Cantons in Zukunft auf dem Erdboden verweilen würde, dachte der General, würde es ihnen doch noch dienlich sein. Andre wollte Kaiser werden, so sei es. Und wenn er in der fliegenden Stadt gekrönt wurde, würde das seinen Anspruch nur noch stärken. Dagian betrat den einstigen Thronsaal, einen der ersten Palastteile, der wiedererrichtet worden war. Das Deckengemälde, das die Halle einstmals verziert hatte, war rissig und große Teile waren einfach Herausgebröckelt Einstmals hatte es ein detailgetreues Abbild des Abendhimmels dargestellt. So täuschend echt, das man

oft meinte, unter freiem Himmel zu stehen. Jetzt waren davon nur noch einzelne Splitter von Rot und Orangetönen übrig geblieben. Jedoch wurde bereits daran gearbeitet. Hohe Gerüste waren überall im Saal errichtet worden und dutzende von Maler und Handwerker restaurierten langsam Stück für Stück das Bild. Hinzu kamen weitere Stützen für Steinmetze und die Magier, die die Lichtkristalle in den Wänden reaktivieren sollten. Zwischen abgebrochenen Säulen und zerbrochenen Fließen erhob sich auf einem kleinen Podest ein Sitz aus honigfarbenem, durchscheinendem Stein. Der verwaiste Thron würde es nicht

mehr viel länger sein. Dagian fürchtete Immerson nicht. Mochte er die Krone tragen, die Leute würden sich erinnern, wer eigentlich als erstes wieder die Initiative übernommen hatte. Mehr noch, vor allen die Adeligen Cantons würden nicht vergessen, wer ihnen ihre Villen und Prunkbauten wiedererrichtet hatte. Es war nun ein guter Monat seit Kellvians Abreise vergangen und noch hatte er keine Nachricht von Lucien erhalten. Dagian hatte den Agenten den von Kellvian entsandten Boten hinterhergeschickt, um sie zurück zu holen. Jetzt wo der Kaiser nicht mehr da war, lag der Oberbefehl über das gesamte Militär bei ihm und damit

müsste nicht nur Tamyra sondern auch Syle eigentlich auf ihn hören. Zumindest hatte er das gehofft. Doch das ausbleiben des Agenten ließ für ihn nur den Schluss zu, das er gescheitert war und sie nicht zur Umkehr hatte bewegen können. Sei es drum… Wenn das zutraf, waren sie ohnehin längst tot. Andre de Immerson würde kein Risiko eingehen, da war er sich ganz sicher. Und so leid es ihm tat, gute Leute wegen so etwas Unsinnigem zu verlieren.. hier ging es um etwas größeres, als ein paar Leben. Dagian verließ die Halle wieder und kehrte auf die äußere Baustelle zurück. Es war helllichter Tag und so wurde überall eifrig gearbeitet. Neues

Baumaterial wurde auf Karren herangeschafft, das Hämmern von Meißeln und Zurufe erfüllten die Luft. Der Hochgeneral folgte einer bereits wieder errichtete Straße , an halb fertigen Häusern und einfachen Unterständen für die Handwerker vorbei, bis er schließlich die äußeren Bereiche des Großprojekts erreichte. Hier wurden Steine und Holz gelagert. In Hohen Reihen lagen Marmor und Granitblöcke aufeinander, genug, das man bis zum nächsten Winter wohl eigentlich keine weiteren Vorräte mehr bräuchte. Aber hier ging es um den Wiederaufbau einer gesamten Stadt und Dagian trieb die Konstruktion mit Feuereifer voran.

Selbst wenn das hieß, das er Material aus anderen Teilen des Landes erst mühsam heranbringen musste. Es würde die letzten Überreste des Chaos, das Kellvian über sie gebracht hatte beseitigen. Auf einem kleinen Hügel über der Baustelle schließlich, wartete bereits ein kleiner Stab, bestehend aus Offizieren und einigen hochrangigen Adeligen, die sich im Militär verdient hatten, auf ihn. Die Männer standen vor einer Reihe Zelte. Ein kleines Heerlager, von vielleicht zweihundert Gardisten, die ihren General auf seiner Reise durch das Land begleiteten. Es gab viel zu tun. Die Banner Cantons flatterten an einem Mast

im Mittelpunkt des Lagers. Der Wind, der von der See her kam, brachte einen letzten Hauch von Frost mit sich, doch der Winter hatte seine Herrschaft über diesen Teil des Landes schon lange verloren. Dagian sah über das Meer hinaus nach Süden. Er sollte langsam darüber nachdenken, was er wegen Laos unternahm. Kellvian sollte mittlerweile dort sein, wenn die Sprengfalle ihn nicht auf See erledigt hatte. Er hatte bereits Befehl gegeben, dass sich alle Soldaten Cantons in ihre Garnisonen zurück begaben. Die Garde war bereit, auf seinen Befehl loszuschlagen. Jetzt musste er ihnen nur noch einen Grund

geben. ,, Haben wir schon Nachricht von Kellvian ?“ , fragte er, trotz besseren Wissens, an seinen seiner Offiziere gewandt. Der Mann nahm sofort Haltung an. ,,Nein Herr. Aber das ist nicht weiter verwunderlich. Wenn er eine Botschaft über den Landweg schickt, dauert es Wochen, bis wir sie erhalten. Und selbst über See kann er uns frühestens in einem weiteren Monat erreichen.“ ,,Natürlich.“ , erklärte Dagian gelassen. ,, Aber ich traue den Archonten alles zu. Wenn Kellvian erst einmal dort ist, ist er ihnen ausgeliefert, seine Leibgarde hin oder

her.“ ,,Ihr befürchtet, sie könnten ihn als Geisel nehmen ?“ Dagian musste ein grinsen unterdrücken. ,,Genau das und wenn sich das Bewahrheitet… sie könnten fordern was sie wollen. Das ist nicht akzeptabel.“ ,,Ihr schlagt also vor, anzugreifen, bevor Laos Gelegenheit hat, Forderungen zu stellen.“ ,, Ich schlage vor, unseren Kaiser zurückzuholen.“ , erklärte der General im Brustton der Überzeugung. Und offenbar funktionierte es. ,, Wer ist dabei ?“ Die Männer ließen sich von seiner scheinbaren Loyalität anstecken. ,, Ihr

könnt euch auf uns verlassen.“ , erklärte der erste Offizier und die übrigen schlossen sich ihm mit einem Nicken und einem kurzen Salut an. Dagian nahm es gelassen zur Kenntnis. ,, Schickt Nachrichten an alle Garnisonen, jeder einzelne Mann, bis auf die Nachtwachen von mir aus, macht sich sofort auf nach Süden. Wir sammeln uns bei Kalenchor und ziehen dann gegen Helike. Bevor sie wissen was passiert, haben wir unseren Kaiser zurück.“ ,,Jawohl Herr.“ Das man Kellvian eher in Stücke reißen würde, wenn ihre Armee auftauchte, verschwieg er. Wenn er überhaupt noch lebte. Und zum Glück für ihn schien

keiner seiner Leute dieser Einwand Bewusst zu sein. Quinn brauchte einen Moment um zu verstehen, dass die die Wildnis wirklich hinter sich hatten. Er hatte hier draußen schon jedes Zeitgefühl verloren. Tage und Wochen, in denen sie sich durch die Wälder schlugen und nur ab und an auf eine bewohnte Siedlung stießen, hatten an seinen Nerven gezehrt. Es war eine Sache, in den Herzlanden auf freiem Feld zu übernachten, doch je weiter sie nach Norden vordrangen, desto Kälter wurde es. Lucien hatte mehrere Rehe erlegt und die Felle in einem Dorf gegen warme Kleidung und Zelte eingetauscht,

aber auch das machte die Sache kaum besser. Und es war eine der wenigen Situationen, in denen sich der geschwätzige Agent einmal als nützlich erwiesen hatte. Und Syle betrachtete ihn bestenfalls als Nutzbringenden Ballast. Zu Konzentriert darauf, seinen Herren zu dienen, als das er sich um Quinn Gedanken machte. Das einzige, was ihn wenigstens etwas bei Laune hielt, waren die kurzen Gespräche mit Tamyra, die er sich ab und an erlaubte. Die Frau war wenigstens halbwegs normal. Während der verdammte kaiserliche Agent seine Intelligenz mit dem Unmöglichsten Verhalten zu überspielen suchte, war die

Diplomatin zugänglicher. Der Großmagier wusste nach wie vor nicht, was ihn daran hinderte, endlich zuzuschlagen. Aber vielleicht wäre es wirklich besser, bis Silberstedt zu warten. In dem Fall brauchte er nur dabei zusehen, wie seine drei Begleiter in die Falle gingen. Die Berge ragten wie eine Mauer vor ihnen in die Höhe. Selbst aus der Entfernung hatten sie bereits unüberwindlich gewirkt, doch jetzt, wo sie kurz vor dem Pass nach Silberstedt waren, wirkten sie erst recht einschüchternd. Senkrechte Felswände aus dunklem Granit, auf denen hier und dort Eis glitzerte. Das Land stieg

bereits seit Tagen leicht an. Vom Winter noch gelb verfärbtes Gras und einzelne, hartgefrorene Schneebretter bedeckten den Boden und schimmerten im Licht der untergehenden Sonne rot-golden. Verkrüppelte Bäume ragten hier und dort hervor, wurden aber kaum höher, als Büsche und Unterholz. Und direkt vor ihnen führte ein Pfad zu einem Gebäude, das sich an die Bergflanke schmiegte. Mit Moos und Flechten Mauern umschlossen einen kleinen Komplex, bestehend aus mehreren, großzügigen Wohnhäusern und einem hohen Turm mit kupfernem Dach. Die tiefgrüne Patina auf dem Metall war gegen die grauen Felswände kaum zu übersehen.

Ein Tor aus Metallstreben, die mit einem dunklen Rankenmuster verziert waren, durchbrach die Mauer auf halbem Weg den Pfad hinauf. ,, Sieht nett aus.“ , bemerkte Lucien , während sie den Weg hinauf gingen. ,,Zumindest besser, als die Nacht wieder im Wald zu übernachten.“ , erklärte Quinn. Und wer weiß, wer immer hier lebte war vielleicht bereit, ein paar Fremde für eine Nacht aufzunehmen. Aus den Schornsteinen der Wohngebäude stieg dichter Rauch auf und durch die Gitterstreben des Tores konnte er erkennen, das auf der gegenüberliegenden Mauerseite eine gewaltige Menge Holz lagerte. Man hatte

wohl einiges vom diesjährigen Winter übrig behalten. Der Innenhof war Gepflastert, ausgenommen von einigen kleinen Gärten, die jetzt im beginnenden Frühjahr freilich brach lagen. Und in der Mitte der Anlage erhob sich ein einzelner Baum. Warum man diesen nicht längst beseitigt hatte, war Quinn ein Rätsel. Das Ding war hässlich. Und noch dazu offensichtlich tot. Die Rinde hatte sich schon vor langer Zeit abgeschält und weißes, gebleichtes, Holz freigelegt. In den dürren Zweigen klimperten Windspiele vor sich hin, zusammen mit dutzenden von bunten Glastalismanen. Manche davon so kunstvoll gearbeitet, das Quinn dem

Künstler, der sie erschaffen hatte, doch etwas Respekt zollen musste. Was jedoch wirklich seine Aufmerksamkeit gewann, war der Klang von Klaviernoten, die durch die kalte Luft drangen. Irgendjemand hier spielte… Als sie schließlich alle mit durchgefrorenen Gliedern vor dem Tor standen, wartete Quinn schon darauf, das Syle darauf bestehen würde, das sie weitergingen, und das letzte Tageslicht zu wechseln. Aber scheinbar war der Bär genau so darauf aus, aus der Kälte zu kommen, wie er. Oder etwas anderes. Für Quinn musterte der Gejarn den Baum im inneren der Mauern etwas zu lange. ,, Also gut.“ , erklärte er schließlich und

setzte Rucksack und Gewehr ab. ,, Schauen wir, ob wir hier bleiben können.“ ,,Wir wären heute ohnehin nicht mehr weit gekommen.“ , meinte Tamyra, bevor sie mit dem Schwertgriff gegen das Gitter schlug. Der Klang war laut genug, das ihn auch jemand im inneren der Häuser hören musste. Und tatsächlich öffnete sich bald eine Tür im Gebäude auf der rechten Torseite und drei Männer traten heraus. Alle drei trugen schwere Wollumhänge, die Schutz vor Wind und Witterung boten. Derjenige, der als erstes das Tor erreichte, viel Quinn sofort auf. Vor allem, weil er wie ein Kobold aussah. Wenn auch ein

freundlicher. Flammend rotes Haar, das selbst Tamyra unauffällig wirken ließ und tief grün funkelnden Augen, in denen ständig ein unterdrücktes Lachen zu blitzen schien, rundeten das Bild ab. ,, Ja ?“ , wollte der Mann wissen, als er die vierköpfige Gruppe an den Toren bemerkte. Auch wenn er die besten Jahre hinter sich hatte, war er wohl noch ein Stück vom Greisenalter entfernt. ,, Wir würden euch gerne um Unterkunft für die Nacht bitten.“ , erklärte Syle. ,, Wir werden auch für unsere Unkosten aufkommen. Nur ich und meine Gefährten sind durchgefroren und wollten die Nacht nicht in den Bergen

verbringen.“ Der Alte lächelte verschmitzt. ,, So so… Ich würde sagen, ihr seid am richtigen Ort.“ Mit diesen Worten gab er seinen beiden Gefährten ein Zeichen, die Tore zu öffnen. ,, Man nennt mich gemeinhin Bruder Markus. Ihr scheint ja von weit her zu kommen, die nächste Siedlung liegt mindestens drei Tagesreisen entfernt, aber vielleicht besprechen wir das besser beim Abendessen.“

Kapitel 63 Abendessen


Burder Markus… also war dieser Ort so etwas wie ein Kloster? , dachte Quinn. Der Mann führte sie über den Innenhof und an dem seltsamen, toten Baum vorbei, hinein in eines der Gebäude. Neben dem Turm im Westen der Anlage gab es insgesamt vier Wohnhäuser. Offenbar waren jedoch nicht alle davon belegt, denn der Magier zählte nur fünf weitere Personen, die sich mittlerweile auf dem Hof eingefunden hatten. Als sie schließlich eines der Häuser betraten, schlug ihm bereits die Wärme entgegen.

Das Untergeschoss des Baus bestand aus einem großen Saal. Am Nordende brannte, in einem gewaltigen Kamin, ein Feuer, das die Kälte der hereinbrechenden Nacht vertrieb. Sonst war der Raum spärlich eingerichtet. Es gab ein paar Wandvorhänge, die man vor die Fenster ziehen konnte und ansonsten nur eine lange Reiche von Bänken und Tischen. Offenbar handelte es sich um eine Art Gemeinschaft oder Versammlungsraum, schloss der Magier. Markus bedeutete ihnen, sich zu ihm an den Tisch zu setzen und die anderen nahmen das Angebot nur zu gerne an. Quinn hingegen sah sich weiter misstrauisch um. Er hatte vorhin ein

Klavier gehört… davon fehlte nach wie vor jede Spur. Aber wenigstens waren sie schon einmal in der warmen Stube. ,, Verzeiht, aber das Essen wird noch einen Moment auf sich warten lassen.“ , erklärte Markus derweil. ,, Wir hatten wirklich nicht mit Gästen gerechnet. Ich gebe nur unserem Küchenmeister bescheid…“ Syle nickte. ,, Es hat keine Eile. Wir sind nicht am Verhungern.“ ,, Sprecht nur von euch selbst.“ , warf Lucien ein. ,, Ich bin kurz davor, herausfinden zu wollen, ob Bären schmecken.“ Markus lachte als einziger. ,, ich hoffe, der Herr nimmt auch mit Rind vorlieb.

Die Bärenhatz sparen wir uns hier, außer wenn einer aus den Bergen herab kommt um unser Vieh zu töten.“ Irgendwie bezweifelte Quinn, das ein Haufen Mönche es mit einem echten Bären aufnehmen konnten. Mit einem Gejarn vielleicht, aber ganz sicher nicht mit einem Tier. ,, Verzeiht, aber eine Frage, bevor ihr geht.“ , hielt Syle Markus an, als er sich wieder in Richtung Tür wendete. ,, Natürlich.“ , meinte er freundlich. ,,Was wollt ihr wissen ?“ ,,Mir ist lediglich aufgefallen, das auf eurem Grund ein Geisterbaum steht“ , begann der Gejarn. Das war also der seltsam tote Stumpf innerhalb der

Mauern, dachte Quinn. Er hatte zwar schon von den Geisterbäumen der Gejarn gehört, bisher aber noch nie einen gesehen. So weit er wusste, behielten sie normalerweise ein wachsames Auge darauf, waren es für sie doch die Orte, an denen sich die Seelen ihrer Ahnen sammelten. ,,Ach das alte Gewaächs.“ , Markus winkte ab. Quinn konnte sehen, wie Syles Züge einen Moment entgleisten. ,, Ähm… Ihr… Ihr wisst nicht...“ Markus brach in schallendes Gelächter aus. ,, Ich mach doch nur Spaß. Wir haben einen Kompromiss mit den Gejarn in der Gegend geschlossen, als das

Kloster erbaut wurde. Wir wollten diesen Ort hier, leider stand hier aber auch der Baum. Also haben wir uns letztlich geeinigt. Der Baum blieb und das Kloster wurde darum herum gebaut. Der Clan, der dem Baum zugehörig war, ist aber jetzt schon seit ein paar Jahren nicht mehr hier gewesen. Einige meiner Brüder haben jedoch weiter daran festgehalten, die Zweige zu schmücken und ähnliches. Der gehört jetzt praktisch zum lebenden Inventar. Wobei… leben geisterbäume eigentlich noch ?“ ,, Nicht auf die Art, die ihr Leben nennen würdet, nein.“ , erklärte Syle. ,, Ich dachte nicht das ihr an so etwas glaubt.“ , warf Lucien da ein. ,, Das ist

doch nur eine tote Pflanze.“ ,, Sicher ?“ Syle drehte sich zu ihm um. ,, Wenn dem so ist, habt ihr sicher keine Probleme damit, heute Nacht einfach darunter zu schlafen.“ ,Ähm…“ Der Agent räusperte sich umständlich. ,, Wenn man es recht betrachtet, verzichte ich auf jede Begegnung mit euren Ahnen. Mir haben schon die Lebenden von eurer Sorte zugesetzt.“ ,, Ja wann ?“ , fragte Tamyra. ,, Es gab da einmal ein kleines Missverständnis zwischen, dem Orden, mir, und einer ziemlich widerspenstigen Gejarn. Tolle Frau. Habe leider nie erfahren, was danach aus ihr geworden

ist. Sie hieß Eden.“ ,, Den Namen kenne ich.“ , erklärte Markus da plötzlich. ,, Es ist ein paar Jahre her aber damals habe ich jemanden, der so hieß, aus einem Schneesturm gerettet. Zusammen mit einem Jungen namens Zachary…“ ,,Ich glaube, alter Mann, wir müssen uns einmal unterhalten.“ , erklärte Lucien grinsend. ,, Es gibt einfach keine Zufälle mehr. Aber vielleicht machen wir das beim Essen?“ Markus verabschiedete sich endgültig und lies sie für eine Weile alleine zurück. Quinn nutzte die Gelegenheit, sich etwas umzusehen. Der Raum war zwar groß, nahm aber

längst nicht die Gesamtfläche des Hauses ein. Eine Tür am anderen Ende des Saals zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Draußen wurde es nun endgültig Dunkel, so, dass er lediglich noch die Umrisse der Nebengebäude vor den Fenster erahnen konnte. Der Magier ließ die anderen zurück und zog die hölzerne Tür vorsichtig auf. Dahinter gab es einen kleinen Raum, von dem aus eine kleine Treppe ins Obergeschoss führte. Kisten und Säcke mit Vorräten waren unter die Stufen gestapelt und es sah deutlich weniger gepflegt aus, als der Gemeinschafstraum, den er soeben verlassen hatte. Um wenigstens etwas zu tun, stieg er die

knarzenden Stufen hinauf. Das Holz war trocken und brüchig, trug ihn aber. As er letztlich am Ende der Treppe fand, erinnerte ihn ein wenig an sein eigenes Studierzimmer in der Burg des Sangius-Ordens. Schwere, verblichene Teppiche an den Wänden isolierten den Raum gegen die Kälte. Hohe Bücherregale nahmen die Räume dazwischen ein und weitere Polster dämpften Quinns Schritte, als er sich eines der Regale besah. Mit einigen der Rückentitel konnte er etwas anfangen, mit anderen nicht. Es gab Abhandlungen über verschiedene Themen wie Pflanzenkunde oder metaphysische Fragestellungen, aber auch einige Standardwerke zur

Magie, wie die Schriften eines jungen Simon Belfare zur Natur der Zauberei. Und an einem Fenster stand ein Klavierflügel. Dann hatte er sich also wirklich nicht getäuscht, dachte Quinn bei sich. Irgendeiner der Bewohner konnte wohl tatsächlich spielen. Aus bloßer Neugier und weil ihn nach wie vor niemand zu suchen schien, klappte er den Deckel des Flügels auf und besah sich die Tasten. Hatte der Aufgang auch etwas Vernachlässigt gewirkt, war das Studierzimmer in gutem zustand und das traf auch auf das Klavier zu. Es musste nur ein unvorstellbarer Aufwand gewesen sein, so etwas hier mitten ins Nirgendwo zu bringen. Probehalber

spielte er ein paar Noten. Perfekt Gestimmt. ,,Ihr könnt spielen ?“ , fragte eine Stimme hinter ihm. Quinn zuckte leicht zusammen, obwohl er wusste, zu wem sie gehörte. Das sich jemand so einfach an ihn heranschleichen konnte, machte ihm Sorgen. Tamyra trat neben ihn an den Flügel. ,, Sicher.“ , erklärte der Magier schließlich. ,, Es… beruhigt mich ganz einfach, das ist alles.“ Er ließ die Finger über die Tasten wandern, eine schwere, melancholische Melodie war das Ergebnis. Anders, als die Töne, die ihn zuerst auf diesen Ort aufmerksam gemacht hatten. Eine leichte Übung, aber

die Diplomatin lauschte einen Moment wie verzaubert, bis er innehielt. ,, Ich dachte schon Syle lässt uns die Nacht durchlaufen.“ ,,Ihr schätzt ihn schlicht falsch ein. Wir haben einen Auftrag, oder? Syle will ihn einfach nur erfüllen. Wie wir alle.“ ,, Ja sicher.“ Er musste ein Lachen unterdrücken. Wenn sie wüsste. Besser, er wechselte das Thema. Das konnte nur zu unangenehmen fragen führen. ,, Was unseren Freund Meister Petz angeht, bin ich aber etwas verwirrt. Wie viele Arten von Gejarn gibt es eigentlich ?“ Tamyra zuckte mit den Schultern. ,, Ein paar Duzend in den Herzlanden und wohl nochmal so viele im restlichen Canton.

Die meisten organisieren sich in mehreren Clans. Dann währe da noch die, die zu Laos gehören. Die meisten davon sind sich wohl recht ähnlich. Raubtiere. Es gibt allerdings auch Gerüchte über Vogelmenschen, weit im Süden. Noch hinter den Wüsten bei Helike. Und dann wären da wohl noch die Wasserlebende Gejarn. Die halten sich generell von allem fern. Würde ich vermutlich auch, wenn ich jederzeit mit dem Kopf unter Wasser verschwinden könnte. Kann ich aber nicht. Also mache ich das Beste daraus. “ ,,Seit ihr deshalb Diplomatin geworden ?“ ,,Unter anderem.“ Sie zuckte de

Schultern. ,, Na ja… Ziemlich. Diese Welt ist in den letzten Jahren ziemlich aus den Fugen geraten. Und wenn man den Historikern in Vara glaubt, war es sogar nie besser. Also… tue ich was ich kann.“ Quinn nickte. Auf eine Art konnte er das verstehen. Wenn einem die Welt nicht gefiel, änderte man sie eben und setzte sich nicht zusammengekauert in eine Ecke. Auch wenn seine Welt sicher ganz anders aussähe, als alles, was Tamyra anstreben könnte. Er… ,, Hey, Leute, wo seid ihr ?“ , schallte Luciens Stimme von unten herauf. ,, Ich verhungere immer noch und der komische Mönch rückt mit dem Essen

erst raus wenn alle da sind. Zwingt mich nicht euch zu holen.“ Wenn sie endlich Silberstedt erreichten, würde er verlangen, das man ihm den verdammten Agenten überließ, dachte Quinn bei sich, bevor er aufstand und mit der Diplomatin in die Gemeinschaftshalle zurückkehrte. Grade rechtzeitig wie es schien, denn soeben kehrte Markus in Begleitung der übrigen Bewohner dieses Ortes herein. Zwei davon trugen einen gewaltigen Topf und mehrere Kanten Brot, die sie auf dem Tisch absetzten. Quinns Appetit hatte sich eigentlich verflüchtigt gehabt, doch der Duft von gebratenem Rind und Gewürzen konnte

er sich dann doch nicht entziehen. Nachdem sie sich über Wochen von getrockneten Vorräten und allem, was sie nebenbei fanden ernährt hatten, war die Aussicht auf frisches Fleisch, das ausnahmsweise kein Wild war, zu verlockend. Markus und die anderen setzten sich an den Tisch und der Magier tat es ihnen schließlich gleich. Als Geschirr gab es nur simple Holzschalen, die bald mit einem Eintopf aus Rind und Hirsebrei gefüllt wurden. Während dem Essen wurde wenig Gesprochen. Ein paar der Mönche, denn darum musste es sich wohl handeln, dachte Quinn, wenn Markus diesen Ort als Kloster beschrieb, stellten

verhalten fragen, andere warfen den vier Fremden nur verstohlene Blicke zu. Verstohlen aber freundlich. Und sie wirkten nicht wirklich wie Mönche. Ganz sicher nicht. Eher wie eine zusammengewürfelte Kommune. So weit er sehen konnte, waren fast alle Altersgruppen vertreten, zwei junge Männer und Frauen, ein etwas beleibter Mann mittleren Alters und mit Markus noch einmal vier Personen im fortgeschrittenem Alter. Markus und Lucien waren die einzigen, die praktisch die ganze Zeit sprachen, Der Agent hatte sich ganz ans andere Ende des Tischs zu Markus gesellt. Aber so ging er ihm wenigstens nicht auf die

Nerven. ,, Ihr wirkt mir nicht grade wie ein Priester.“ , bemerkte Lucien grade. ,,Nein… Nein ich würde mich auch nicht als das sehen.“ , erklärte Markus derweil. ,, Wir sind hier nur eine kleine Gemeinde von Gelehrten und Aussteigern. Manche von uns kommen noch aus Lore. Oder aus der Umgebung. Nach den Attacken des Kaiserreichs wollte niemand dort bleiben. Und ich habe diesen Ort schon vor einer ganzen Weile erstanden. Es gibt genug frisches Wasser aus den Bergen, der Sommer lässt ein wenig Ackerbau oder Viehzucht zu und die Wälder sind voll mit

Tieren.“ ,, Und die Mauern verhindern unangenehme Überraschungen.“ , warf Syle ein. ,, Gefällt mir.“ ,, Gibt es denn hier draußen irgendetwas, vor dem man sich schützen müsste ?“ , fragte Tamyra ,, Von ein paar Wilden Wölfen abgesehen nein. Aber wenn ihr weiter in die Berge wollt, solltet ihr Vorsichtig sein.“ ,,Ja ?“ ,, Es gibt Berichte über Wyvern-Angriffe auf den Pässen. Entweder schreckt sie irgendetwas in letzter Zeit auf, oder sie werden wirklich bloß von Jahr zu Jahr

aggressiver.“ ,, Ich habe da schon ein paar Erfahrungen gemacht.“ , meinte Lucien. ,, Niedliche Kreaturen, aber nur solange man weit weg von ihnen bleibt.“ ,,Ich glaube niedlich ist kein Wort, mit dem ich eine Echse von der Größe eines Schlachtrosses beschreiben würde. Aber vielleicht kümmert sich Lord de Immerson jetzt endlich darum.“ , erklärte Markus. ,, Wie kommt ihr darauf ?“ , wollte Syle schließlich wissen. ,, In den letzten Wochen sind immer wieder Männer aus den Pässen gekommen oder dorthin zurück gekehrt. Bewaffnet. Ich habe sie nicht gefragt, aber Andre

de Immerson kann die Drachenangriffe ja kaum ewig ignorieren. Silberstedt ist von der Sicherheit seiner Handelsrouten abhängig.“ Quinn und die anderen sahen sich nur einen Moment an. Die Männer, die Markus erwähnte waren möglicherweise nicht nur zur Wyvernjagd da, das war ihnen allen klar. Und das könnte Ärger bedeuten. Wenn Andre jetzt Leute über die Berge schickte, wusste er vielleicht, das sie kamen. Nun das war nicht sein Problem, dachte Quinn und wendete sich wieder seinem Essen zu, in der Hoffnung, das niemand das schwache Lächeln bemerkte, das über seine Züge

huschte.

Kapitel 64 In der Falle


Lucien erwachte im Morgengrauen und wusste instinktiv, dass etwas nicht stimmte. Das kalte, beißende Gefühl, das seine Nackenhaare aufrichtete, war dem kaiserlichen Agenten nur zu Vertraut. Nach dem Abendessen hatte Markus ihnen mehrere Kammern in einem der Wohnhäuser zur Verfügung gestellt. Gedämpftes Licht fiel in den Raum, den Lucien sich ausgesucht hatte. Einen Moment lauschte er im Halbdunkel und stellte sich weiterhin schlafend. Nichts rührte sich. Syle und die andere schliefen wohl noch.

Sie konnten ihn also nicht geweckt haben. Aber er war hellwach und sein Herz raste. Sein Körper wusste, was seinem Geist noch versagt blieb. Es waren kleine Dinge wie diese, die ihm mehr als einmal das Leben gerettet hatten. Geräuschlos stand er auf und zog sich seine schweren Winterstiefel über. Mit Fell gefütterte Handschuhe und ein Wollumhang folgten, die ihn vor der schlimmsten Kälte schützen würden. Seine Armbrust lag auf dem Nachttisch, zusammen mit einem kleinen Köcher mit Bolzen. Genau so lautlos wie zuvor, zog er einen der zu geschliffenen Stahlstifte heraus und legte ihn auf die sehne der noch gespannten Waffe. Erst dann

schlich er sich weiter ans Fenster, durch das schummriges Tageslicht hereinfiel und spähte hinaus. Es dauerte nicht lange, bis er die Männer entdeckte, die sich in der Nähe des Tores herumtrieben. Lucien zählte insgesamt drei, alle in gleichförmige, mit Pelz verbrämte, graue Kleidung gehüllt. Jedem ragte ein Schwertgriff aus dem Gürtel und zwei trugen Gewehre über den Schultern. Der dritte schlug derweil gegen das Eisengitter. Lucien konnte den Glockenhellen Ton selbst von seiner Position aus noch hören. Langsam, um sich nicht zu verraten, zog er sich vom Fenster zurück. Die Männer bedeuteten ärger. Dazu musste er nicht erst ihre

Waffen sehen. Aber wie großen Ärger ? Lucien musste näher heran. Er öffnete seine Zimmertür und trat hinaus auf einen kurzen Flur, von dem drei weitere Kammern abzweigten. Lediglich durch ein einziges Fenster an der Rückwand fiel Licht, das seine Umgebung erkennbar machte. Kerzen und Öllampen, die den Ort bei Nacht erhellten, waren längst erloschen. Auf der anderen Seite führte eine Treppe hinab ins Erdgeschoss und zur Haustür. Aber wenn er dort herauskam, würden die Fremden ihn ohne jeden Zweifel entdecken. Stattdessen trat er an das Fenster heran und schob es auf. Der Holzrahmen quietschte, als er in den Halterungen

einrastete. Lucien lauschte wieder. Er wollte die anderen erst Wecken, wenn es nötig war. Bei Syles Wachsamkeit tat das auch ein lauter Ruf von draußen. Und mit drei Männern kam er notfalls auch alleine zurecht. Solange sie nicht merkten, das er da war. Der offene Fensterspalt war grade groß genug, das er sich hindurchzwängen konnte. Die Kalte Luft ließ ihn zittern, als er auf das dünne Fensterbrett hinaus trat. Das Haus grenzte direkt an die Mauer, die das Kloster umgab und das Fenster war etwa auf der gleichen Höhe wie der Mauersims. Lucien spähte zum Tor zurück, wo grade ein verschlafener Markus auftauchte. Er hätte den Alten

gerne gewarnt, aber dann waren sie erst recht in Schwierigkeiten. Wenn die drei nicht alleine waren und entkamen, würde es hier schnell ungemütlich werden. Fürs erste war Bruder Markus auf sich gestellt. Lucien schätzte die Entfernung zwischen sich und der Mauer und entschied, dass es zu schaffen war. Wenn nicht, stand ihm ein schmerzhafter Sturz in die Tiefe bevor. Unter ihm befand sich einer der brach liegenden Gärten. Die hart gefrorene Erde würde ihm alle Glieder zerschmettern. ,,Ach was soll es.“ , murmelte er zu sich. ,, Ruhm kommt mit einem Preis.“ Auch wenn der Ruhm hier Zweifelhaft war. Mit aller Kraft stieß er sich von der

Hauswand ab und merkte sofort, das er sich verschätzt hatte. Der Sprung wäre nicht weit genug, schoss es ihm durch den Kopf. Das Blut rauschte ihm in den Ohren und der Agent rechnete jeden Moment damit, dass die Schwerkraft wieder die Oberhand gewinnen und ihn in die Tiefe ziehen würde. Dann schlug er auf den moosbewachsenen Mauersteinen auf und rollte sich instinktiv über die Schulter ab. Sofort sprang er wieder auf die Füße und hechtete hinter das Haus in Sicherheit. Hier konnte man ihn unmöglich entdecken. Direkt auf der anderen Seite des Hofs erhob sich schließlich der Turm, der ihm am Vortag schon

aufgefallen war. Einen Moment überlegte er, sich einen Überblick zu verschaffen. Wenn die Männer Komplizen hatten, würde er sie sehen. Aber ob Markus die drei Fremden so lange hinhalten würde, schien fraglich. Lucien lief bis zum anderen Ende des Hauses, wo er zwangsweise wieder ins Blickfeld geraten würde. Die Mauer war zu hoch um einfach nach unten zu springen und weit und breit war keine Leiter in Sicht. Er ging so weit vor, wie er es wagte und spähte noch einmal in Richtung Tor. Markus unterhielt sich durch die Gitterstäbe mit den drei Männern und war scheinbar drauf und dran, sie auch einzulassen. Aber dann

wären sie zumindest abgelenkt. Lucien schätzte die Entfernung zwischen sich und dem Turm. Rennend könnte er die Entfernung in ein paar Herzschlägen bewältigen und sich dort erneut in Sicherheit bringen. Aber die Fremden mussten nur einmal kurz den Kopf heben um ihn zu entdecken. Egal. Am Ende blieb ihm keine Wahl. Lucien atmete tief durch und sprintete los. Das Geräusch seiner Füße auf dem nackten Stein schien ihm Ohrenbetäubend laut. Dann erreichte er endlich den sicheren Sichtschatten des Turms und stürzte durch die geöffneten Türen ins innere. Staub tanzte in den Lichtstrahlen, die durch eine Reihe von Schießscharten fielen. Eine Holztreppe

führte weiter nach oben oder zurück nach unten. Lucien war es mittlerweile egal, ob die Männer Verstärkung hatten. Er setzte die Stufen hinab und hielt erst wieder an, als er das ebenerdige Stockwerk erreichte. Offenbar wurde der Bau als Nebenlager genutzt, denn neben einigen Ballen Stroh standen verschiedene Kisten und Säcke voller Getreide herum. Getrocknetes Fleisch hing von der Decke und aus einigen kleinen Gläsern stieg der Duft von Gewürzen auf. Lucien trat zur Tür, die auf den Hof führen musste und fürchtete einen Moment, sie wäre verschlossen. Doch diese Bedenken erwiesen sich als Ungerechtfertigt. Das Holz schwang auf

den Druck seiner Hand langsam nach außen. Der kaiserliche Agent öffnete die Tür nur einen Spaltbreit und spähte nach draußen. Markus hatte die Tore geöffnet und führte die Männer grade an dem weißen Baum vorbei in Richtung der Häuser. Aus der Nähe konnte Lucien nun auch einzelne Gesprächsfetzen verstehen. ,,Freunde von uns…“ ,, Wirklich ?“ , gab Markus misstrauisch zurück. ,,… Sind gestern erst hier angekommen… nicht erwähnt, das sie noch Begleiter hatten.“ ,, Ihr sollt uns nur zu ihnen bringen… erkennen uns schon.“ Das reichte ihm. Neben ihnen war gestern hier kein Reisender

angekommen, den Markus erwähnt hätte. Diese Männer hatten sich nach ihnen erkundigt und suchten nach ihnen. Oder nach Syle und Tamyra. Von ihm und dem Magier dürften sie nichts wissen. Zumindest hoffte er das. Ansonsten hätte Andre de Immerson wohl wirklich überall Ohren. Und das es der Herr Silberstedts war, der ihnen eine Gruppe Raufbolde auf den Hals hetzte, daran hatte er keinen Zweifel. Es gab sonst niemanden, der ein Interesse an ihnen haben könnte. Lucien zog die Armbrust unter dem Wams hervor und nahm vorsichtshalber einen weiteren Bolzen in die Hand. Die Spitze war so zu geschliffen, das er ihn im Nahkampf als

Messer-Ersatz verwenden könnte. Erst dann trat er aus der Tür. Markus und seine drei Begleiter traten derweil auf das Haus zu, in dem Syle und die anderen nach wie vor schlafen mussten. Außerhalb ihres Sichtfelds, schlich Lucien lautlos in ihren Rücken. Ing Markus mit ihnen in ein anderes Gebäude, hätte er sich geirrt. Oder zumindest Zeit, die anderen zu wecken und die drei zu stellen. Aber sie hielten nach wie vor auf die Haustür zu. Markus zog derweil einen schweren Schlüsselbund aus seiner Kleidung. ,, Ich wecke sie dann, ja ? Ihr wartet bitte unten, damit…“ Sobald der Alte die Tür aufsperrte, stieß ihn der erste der

drei auch schon beiseite und zog das Schwert. Die anderen beiden hielten Markus fest, während ihr Anführer die Tür aufzog und plötzlich erstarrte. Etwas sirrte durch die Luft und traf ihn mit solcher Wucht in den Rücken, das es aus seiner Brust wieder austrat und zitternd in der Hauswand stecken blieb. Erstaunt und ungläubig starrte der Mann auf die sich ausbreitenden Blutrosen hinab, die sich auf seiner Kleidung abzeichneten. Dann sackte er endgültig in sich zusammen und blieb regungslos liegen. Lucien trat derweil in aller Ruhe aus den Schatten und begann bereits, seine Armbrust wieder über einen Kurbelmechanismus zu

spannen. Die verbliebenen zwei Männer schienen den Tot ihres Anführers noch nicht ganz Begriffen zu haben und hielten weiterhin den verwirrt drein blickenden Markus fest. ,, Guten Morgen die Herren. Wisst ihr, es ist ziemlich unhöflich hier einfach so ohne Einladung aufzutauchen.“ , erklärte der kaiserliche Agent im entspanntesten Plauderton. Wenn er sie lange genug Beschäftigt hielt, um die Waffe nachzuladen, hatte er eine Chance. Doch die beiden Männer schüttelten ihre Erstarrung ab, stießen Markus zu Boden und stürmten mit erhobenen Schwertern auf ihn zu. Na wenigstens sparten sie

sich die Gewehre, dachte er. Ich Glückspilz. ,, Ich sehe schon, die Feierlichkeiten wollt ihr euch nicht entgehen lassen. Markus, holt die anderen.“ Der Mann rappelte sich wieder auf und krabbelte ins innere des Hauses. Luciens Gegner erreichten ihm im selben Moment. Sofort lies er die Armbrust fallen und riss zwei weitere Bolzen aus dem Holster an seinem Gürtel. Elegant wich er dem ersten Schwertstreich aus und versuchte gleichzeitig mit dem Bolzen nachzusetzen. Die geschärfte Spitze schlitzte dem ersten seiner Gegner die Wange auf, bevor der zweite endlich

heran war und sie ihn in die Zange nehmen konnten. Lucien war gezwungen, völlig in die Defensive zu gehen und sich unter Schlag um Schlag hindurch zu ducken. Der Kampf glich beinahe einem Tanz. Einem Tanz freilich, bei dem ein einziger Fehlschritt für ihn tödlich wäre. Lucien tauchte unter einem weiteren Schlag durch und rammte einem seiner Gegner den Bolzen in die Wirbelsäule. Die Verletzung war nur Oberflächlich, aber das Metall, das sich zwischen die Nerven grub, musste höllisch schmerzen. Wenn er stark genug zuschlug, wäre sein Gegner Gelähmt oder Tot. Doch dafür fehlte ihm die Zeit , denn schon war der andere Raufbold heran und versuchte ihn

in einem ungünstigen Augenblick zu erwischen. Lucien löste den Bolzen mit einem Ruck aus dem Körper seines ersten Gegners und wendete sich wieder dem zweiten zu, der mit vorgestreckter Klinge einfach in ihn hineinlaufen wollte. Der Agent wich abermals aus und verpasste dem bereits aus einem Schnitt auf der Wange blutenden Mann eine weitere Wunde quer über seinen rechten Arm. Verflucht, das konnte noch ewig so weitergehen, dachte er bei sich. Er versetzte ihnen jede Menge kleine Nadelstiche, aber die beiden mussten ihn nur ein einziges Mal erwischen. Und endlich kamen sie auf die Idee,

geschlossen gegen den flinken Spion vorzugehen. Sie lösten sich kurz aus dem Kampf nur um dann Seite an Seite auf Lucien vorzurücken, dem nichts blieb, als in Richtung Mauer zurückzuweichen. Als er schließlich mit dem Rücke gegen festen Stein stieß wusste er, das er ihnen nicht mehr ausweichen konnte. Er hatte schon halb mit seinem Leben abgeschlossen, als ein einzelner Schuss über den Hof hallte. Der Schädel eines der Männer löste sich in einer Blutfontäne auf und der verbliebene Rumpf sackte in sich zusammen. Der zweite drehte sich überrascht um und Lucien ergriff seine Chance. Er sprang vor und rammte dem Kerl einen Bolzen

in die Kehle. Ein röchelnder Laut entrang sich dem fremden Krieger und er machte noch einige letzte, Schwankende Schritte, bevor er ebenfalls in sich zusammenbrach. Als der letzte der drei Männer schließlich viel, drehte Lucien sich in Richtung des Hauses um. Syle stand, das Gewehr nach wie vor in Händen, vor der Tür. Hinter ihn folgten bereits Tamyra, ein blankes Schwert tragend und ein verschlafen wirkender Quinn in Begleitung von Markus. Lucien nickte dem Gejarn kurz zu, der breit Grinsend die Waffe nachlud. Der kaiserliche Agent hob derweil die verlorene Armbrust wieder auf. Noch bevor er jedoch dazu kam, einen neuen

Bolzen einzulegen, rief Markus bereits : ,, Vorsicht. Da sind noch mehr…“ Einfach großartig. ,, Sieht aus als nimmt die Party doch kein Ende.“ , erklärte er trocken und wendete sich in Richtung der Tore. Die drei mussten eine Vorhut gewesen sein. Und die übrigen Männer hatten ganz sicher den Schuss gehört… Etwa zehn, ebenfalls in graue Pelzmäntel gekleidete, Kämpfer kamen die gewundene Straße zum Kloster hinauf. ,,Die Tore zu…“ Lucien packte sofort die schweren Eisengitter, während die anderen herbeigelaufen kamen, um ihn zu helfen. ,,Habt ihr irgendwelche Waffen ?“ , fragte er an Markus

gerichtet. ,,Nein.. . Ein paar Bögen, aber… Keiner von uns kann wirklich kämpfen, fürchte ich.“ ,, Gut, dann geht und sagt allen, sie sollen in den Häusern bleiben.“ , erklärte Tamyra hastig. ,, Wir übernehmen das.“ Der Mann nickte und rannte davon. Bevor sie die Tore ganz geschlossen hatten, brach etwas wie ein schwarzer Schatten durch sie hindurch. Lucien und die anderen wurde zurückgeschleudert, als es die Gitter mit Gewalt wieder aufstieß und dann gegen den Geisterbaum im Hof krachte. Das Holz des Baumes splitterte unter dem Aufprall

und wurde hoch in die Luft geschleudert. Die Kreatur blieb regungslos liegen. Nur langsam richtete sie sich unter den Trümmern wieder auf und entfaltete schwarze, ledrige Schwingen. Lucien hatte schon Wyvern gesehen. Einen so großen jedoch noch nicht. Das Ding konnte leicht als echter Drache durchgehen. Voll aufgerichtet war es so hoch wie zwei ausgewachsene Männer. Dunkelrote Augen starrten die vier Gefährten am Tor mit einer Mischung aus Hass und Wut an. Und ein klaffendes Maul voller Zähne schien sie beinahe höhnisch anzugrinsen. Hinter ihnen ein Drache. Vor ihnen eine ganze Meute bewaffneter. Sie saßen in der

Falle.

Kapitel 65 Belagerung


,,Na was für eine Schönheit…“ , bemerkte Lucien spöttisch. Syle musterte die Kreatur ungläubig, die durch die Tore gebrochen war. Der Wyvern sog die Luft durch seine Nüstern ein, so als könnte er ihre Verunsicherung riechen. Mit den zusammengefalteten Flügeln auf dem Boden abstützend, sah er sich in alle Richtungen um. Schaum stand dem Monster vor dem Maul und der Gejarn kam nicht darum herum, die zahlreichen Narben und noch blutenden Schnitte im Schuppenkleid der Kreatur zu bemerken. Jemand hatte sie absichtlich

aufgestachelt dachte er. Und die näher kommenden Schlachtrufe, von Außerhalb des Tores, verrieten ihm auch, wer. ,, Was machen wir jetzt ?“ , wollte Tamyra wissen. Der Drache hatte die Tore zerstört. Sie hatten keine Möglichkeit mehr , die Pforten zu schließen und mit zehn Männern gleichzeitig konnten sie es nicht aufnehmen. Syle sah zu Quinn. ,, Vielleicht kann sich unser Zauberer einmal nützlich machen.“ ,, Ach ? Ich…“ bevor der Magier seinen Satz beendet hatte, preschte der Drache los. Mit zusammenschlagenden Kiefern stürzte er sich auf die kleine Gruppe, die daraufhin auseinander geschleudert

wurde. Der Wyvern derweil krachte ungebremst gegen die Mauern, die unter dem Gewicht der Kreatur erbebten. Syle stürzte zu Boden und überschlug sich mehrmals. Staub und gefrorene Erde wurden aufgewirbelt. Lucien war etwas geschickter, wurde jedoch beinahe von einer Kralle des Monsters gestreift und landete ebenso im Dreck. Quinn und Tamyra dagegen verlieh er im Durcheinander aus den Augen. Sie mussten auf der anderen Seite der Echse sein, die nach wie vor über den Hof wütete und blind um sich schnappte. Der Wyvern hatte sie getrennt. ,,Irgend eine Idee, wie wir den Drachen loswerden ?“ , fragte der Gejarn, als er

Lucien wieder auf die Füße zog. Die Kämpfer draußen mussten ebenfalls jeden Moment hier sein , aber das Monster war ihr größeres Problem. ,, Vielleicht. Ihr habt nicht zufällig irgendwas brennbares, oder?“ ,, Ich habe noch zwei Patronen mit Drachenfeuer.“ Er tastete nach den zwei roten Hülsen und fand sie schließlich auch. Ein Glück, das sie bei dem Sturz nicht zerbrochen waren, oder jetzt würde auch noch ein Feuer wüten. ,, Gut, her damit.“ Der Mann pflückte ihm die beiden Patronen aus der Hand und stürmte, die Armbrust in der Hand, los. ,,Kümmert ihr euch um die Anderen.“ , rief er über die Schulter.

Verflucht. Also gut. Syle rannte ebenfalls los. Hoffentlich war Tamyra unverletzt. Und Quinn auch. Sie würden ihn brauchen, wenn sie hier noch einmal Lebend heraus kommen wollten. Lucien hatte derweil den Wyvern erreicht, der in blinder Wut immer noch um sich schlug und tobte , ohne etwas auszurichten. Als sie sich das nächste Mal aufbäumte, verpasste er ihr einen Bolzen in die mit weicheren Schuppen gepanzerte Halsseite. Ein Stich, nicht mehr, aber es reichte, das sich die glühend roten Augen nun auf ihn richteten. Der grenzenlose Hass für den

erneut zugefügten Schmerz war unübersehbar. ,, Komm schon, ich hab nicht ewig Zeit…“ hastig begann er, die Armbrust erneut zu spannen. Dabei hielt er die zwei Phiolen, die Syle ihm gegeben hatte fest umklammert. Entweder, er hatte Erfolg oder er würde sich bald ein Drachenmaul von innen ansehen können. Hastig zerrte er einen Faden aus dem losen Gewebe seiner Kleidung. Die Kreatur breitete die Schwingen aus und machte einen gewaltigen, halb gleitenden Satz auf ihn zu. Die Erde erzitterte, als sie wieder aufkam und brachte den kaiserlichen Agenten damit fast aus dem Gleichgewicht. Er

schwankte und die Phiolen entglitten seinem Griff. Sobald der erste Behälter auf dem Boden Aufschlug, schossen Flammen in die Höhe und ergossen sich wie Teer langsam über den Innenhof. Die andere prallte zwar auf dem Pflaster auf, zerbrach aber nicht, sondern rollte davon. Lucien blieb keine Zeit mehr, sich danach zu ducken. Der Wyvern hatte ihn erreicht und ging mit Krallen und Zähnen auf das neue Ziel seines Hasses los. Schon wieder blieb dem Agenten nur der Rückzug. Weg von der verlorenen Drachenfeuerpatrone. Verflucht. Die Echse trieb ihn erneut in Richtung der Mauern. Diesmal nicht, dachte Lucien. Er musste irgendwie an

ihr vorbei. Und wenn er noch lange zögerte, würden die in die Luft schnappenden Zähne bald ihr Ziel finden. Er holte tief Luft und rannte los. Offenbar war der Wyvern überrasch, das seine Beute sich ihm plötzlich entgegenwarf. Genug, das die Kreatur, die Chance die sich ihr bot nicht nutzte. Lucien schlug auf dem Pflaster unterhalb der rechten Schwinge des Monsters auf und krabbelte so schnell er konnte in Richtung der verlorenen Patrone. Die rote Form war knapp außer Reichweite seiner Finger, als der Wyvern endlich merkte, dass ihm seine Beute entkommen war. Endlich bekam er die Hülse zu fassen und zog sie zu sich heran. Mit

zitternden Händen band er den zuvor gelösten Faden darum und um einen Bolzen und sicherte sie dadurch. Dann war der Wyvern auch schon über ihm und machte sich bereit, den Agenten zwischen seinen Kiefern zu zermalmen. Er hatte sich verschätzt…. Syle hatte derweil ganz eigene Probleme. Er und Tamyra hatten an den zerstörten Toren Position bezogen und feuerten aus der Deckung heraus auf die näherkommenden Männer. Die meisten Kugeln jedoch verfehlten auf die Entfernung ihr Ziel. Nur die Diplomatin schoss einem der anstürmenden Krieger

in die Beine, so das er im vollen lauf stolperte und im gras liegenblieb. Quinn schien derweil geradezu unbeteiligt und musterte die Kämpfenden nur, als wäre hier nicht auch sein Leben in Gefahr. Im Gegenteil auf seinen Lippen lag nur ein überlegenes Grinsen, das ihm überhaupt nicht gefallen wollte. Wenn der Mann nicht bald etwas tat, sagte sich Syle, war die nächste Kugel für ihn bestimmt. Der Gejarn drehte sich nur einmal um und was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Das Monster hatte Lucien in die Enge getrieben. Hoch aufragend legte es den Kopf zurück um sich im nächsten Moment auf den Mann

zu stürzen. Der Gejarn wollte ihm zur Hilfe kommen, doch bevor er weit kam, stieß das Untier auch schon zu. Und dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Der Kopf des Wyvern explodierte in einer Feuerwolke. Flammen schlugen plötzlich aus seinen Nüstern, brannten sich durch Augenhöhlen und Rachen und brachten das Fleisch von innen zum glühen. Unter Todesqualen warf sich die Bestie herum, stolperte gegen eines der Wohnhäuser und riss teile der Fassade mit sich, dann wurde es endlich ruhiger, stieß noch einmal einen erstickten, grollenden Schrei aus, bevor es schwerfällig in sich zusammenbrach. Lucien rappelte sich derweil wieder auf.

Mit versengter Kleidung und von Geifer triefend, aber am Leben. Triumphierend grinsend trat er an den Kadaver heran. ,, Das wäre Nummer zwei, die ich erlegt habe.“ , erklärte er mit Stolz. ,, Aber diesmal häng ich mir den verdammten Kopf auf. Ich fürchte nur, dazu brauche ich ein größeres Haus.“ ,,Vorsicht.“ Das war Tamyras Stimme, die sowohl Syle aufschreckte, als auch den Agenten aus seinem Siegestaumel riss. Sie und Quinn rannten quer über das Pflaster und vorbei an dem zerstörten Geisterbaum auf sie zu. Die fremden Kämpfer hatten derweil die Tore erreicht und fluteten in den Innenhof. Syle hatte sie auf etwa ein

dutzend geschätzt. So wie es aussah, waren es mittlerweile doch eher über zwanzig. Mit gezogenen Schwertern nahmen sie die vierköpfige Gruppe rasch in die Zange. Und erneut hieß es, zurückweichen, bis unausweichlich irgendwann das Ende ihrer Flucht erreicht wäre. ,,Quinn!“ , reif Syle. Wenn der Magier jetzt nichts unternahm, waren sie gleich alle Geschichte. ,, Was ? Das sind zu viele ! Ergeben wir uns, dann haben wir noch eine Chance.“ ,, Es mag euch entgangen sein, aber die sehen nicht so aus, als wären sie auf Gefangene aus.“ , erwiderte Tamyra angespannt. ,, Die bringen uns alle um.

Ob ihr eigentlich zu uns gehört oder nicht.“ ,, Ich mach es euch ganz einfach,“ , erklärte Syle wütend. ,, Entweder ihr tut jetzt was, oder ich töte euch, bevor diese Kerle Gelegenheit dazu bekommen.“ ,,Also gut, also gut. Schön.“ Quinn machte einen trotzigen Schritt nach vorne und hielt dabei einen schwarzen Stein hoch, der in etwa die Form eines Tropfens hatte. Ein goldenes Symbol schimmerte darauf. Auf einmal schien sich die Konsistenz der Luft selbst zu verändern. Als wäre die Welt in Sirup getaucht, wurden alle Bewegungen träge und schienen auf den

einzelnen Zauberer mit dem Juwel in seiner Hand zuzufließen. Dann kehrte sich das plötzlich ins Gegenteil. Eine Schockwelle raste von Quinn aus auf die Soldaten zu,. Die Erde selbst folgte der Bewegung, die die Männer erfasste und mit unvorstellbarer Gewalt mit sich riss. Als hätte die Faust eines Gottes sie getroffen, wurden sie quer über den Innenhof getragen, bevor sie mit dem Übelkeit erregenden Klang zerbrechender Knochen und platzender Organe gegen die Klostermauern geschleudert wurden. Zwanzig leben in einem einzigen Herzschlag ausgelöscht. Quinn ließ langsam die Arme sinken. Es lag ein gewisser Stolz darin, in der Lage zu

sein, zu was seine drei unfreiwilligen Gefährten niemals die Macht hätten. Es lag Stolz darin… zu Schützen ? Er schüttelte den Kopf. Syle hatte ihm gedroht, das war alles. Wobei… als ob der Bär für ihn eine Bedrohung war. Er könnte ihn mit einem Fingerschnippen töten. Nach die vor spürte er die Energie des Steins durch seine Adern pulsieren. Es war verflucht nahe an Allmacht, dachte er bei sich. Und Simon Belfare hätte einstmals nicht nur einen, sondern neun dieser Steine in seinem Besitz gehabt… Genug um einem Gott gleich zu sein. Doch selbst er spürte das heimtückische darin. Die Macht, die Quinn zurief, das er tatsächlich bereits

Allmächtig war. Der große Fehler, den Magier machen konnten. Ihre Reserven überschätzen… Eine Bewegung riss ihn aus seinen Gedanken. Ein einzelner Mann stand noch, ausgezehrt und schwer atmend, aber am Leben. Er trug eine einfache, graue Robe und seine Haare waren vollkommen erbleicht, Vermutlich hatte er seine gesamten Reserven aufgebracht, nur um Quinns Attacke abzuwehren. Er trug keinerlei Insignien des Ordens. Ein freier Magier, also… Und offenbar im Dienste von Andre de Immerson. ,,Bruder, hört mich an wir können das klären. Hört,

wir…“ ,, Ich habe wirklich keine Zeit für euch.“ Quinn schnippte mit den Fingern. Der Mann wurde auf einmal bleich, dann verfärbte sich seine Haut dunkler und unter einem Aufsteigenden Funkenregen verging er zu Asche. Warum hatte er das getan… Quinn zögerte. Der Mann hatte ihm eine Zusammenarbeit vorschlagen wollen. Er hatte eine Chance zerstört… Nein, Nein das war es nicht. Er würde lediglich den Erfolg mit niemand teilen. ,, Was bei den alten Göttern war das ?“ , rief Lucien, mit einem Blick auf die beinahe unkenntlichen Toten, die vor der Mauer lagen. ,,Eine Träne Falamirs.“ Lügen hatten in

diesem Fall keinen Sinn. Mit einer eleganten Bewegung ließ er den dunklen Stein von einer Hand in die andere wandern, bevor er ihn wieder in den Falten seines Mantels verbarg. ,, Der Leerenstein um genau zu sein.“ ,, Oh Verflucht. Ihr lauft ernsthaft mit einem der mächtigsten Artefakte in ganz Canton in der Tasche herum?“ Der kaiserliche Agent starrte ihn an, als wäre er ein Dämon. Nun… das kam nicht ganz hin, dachte Quinn amüsiert. ,,Könnten wir das vielleicht später klären ?“ , fragte Syle. ,, Wir sollten hier weg. WO diese Kerle herkamen gibt es sicher noch mehr. Und je schneller wir verschwinden, desto weniger

Gefährden wir Markus und seine Leute.“ ,, Einverstanden.“ , meinte Tamyra. ,, Und jetzt wissen wir wenigstens, das Andre wirklich etwas zu verbergen hat. Sonst würde man uns keine Söldner auf den Hals hetzen. Und außer ihm hat niemand dazu einen Grund.“ ,, Das habe ich mir auch schon gedacht.“ , erklärte Lucien. ,, Und wir sollten schleunigst herausfinden, was er in Silberstedt hat, das den Ärger Wert ist ,eine ganze Reihe kaiserlicher Boten verschwinden zu lassen.“ Sie beeilten sich also, schleunigst wieder auf die Straße zu kommen. Nachdem die Leichen beseitigt und die Spuren des kurzen Kampfes beseitigt waren, blieb

ihnen nur, ihre Bündel zu packen. Markus gab ihnen noch einige Vorräte mit und wünschte ihnen alles Gute. Nachdem sich alle verabschiedet hatten, war es jedoch ausgerechnet Lucien, der nochmal auf den Alten zutrat und ihm einen polierten Schädel, halb so groß wie ein ausgewachsener Mann in die Arme drückte. Während sie sich um die toten Soldaten gekümmert hatten, hatte der kaiserliche Agent seine Drohung tatsächlich war gemacht und sich den Kopf des Wyvern geholt. ,, Hebt das für mich auf, ja ?“ , meinte er dem völlig verdutzten Markus gegenüber. ,, Wenn ich mal die Gelegenheit habe, hol ich es

ab.“ Und damit waren sie endlich wieder auf dem Weg, der nun beständig nach oben führte. Hinauf zu den Felsgipfeln, die über ihnen thronten. Und direkt dazwischen hindurch weiter nach Silberstedt. Das würde ein anstrengender Weg… ,,Ihr habt uns heute das Leben gerettet.“ , meinte eine Stimme neben Quinn. Er drehte sich kurz zu ihr um. ,, Als ob ihr mich kümmert.“ , antwortete er Tamyra ungehalten. ,,Verstehe schon.. Und vielleicht seit ihr gar nicht so schlecht, wie ihr selber denkt.“ ,,Ja.

Vielleicht…“ Wenn sie damit Recht hat, sagte er sich, stürz ich mich von der nächsten Klippe. Besser das, als das ihn jemand fremdes besser kennen sollte, als er selbst.

Kapitel 66 Silberstedt


Der Weg durch die Berge war alles andere als einfach. Auch wenn der Winter die Ebenen Cantons nicht mehr im Griff hatte, in der Höhe regierte nach wie vor die Kälte. Sturmböen peitschten Schnee und grobe Eiskörner von den Gipfeln hinab auf die Pässe und machten jede Engstelle zu einem rutschigen Balanceakt. Mal zog sich der Weg dem sie folgten die Gipfel bis über die Schneegrenze hinauf, nur um dann wieder über Felsrücken und Grate hinab zu führen. Bis der nächste Aufstieg begann. Sie hätten einend er größeren

Handelspfade nehmen können. Straßen, die Generationen von Reisenden ausgetreten und befestigt hatten. Aber die Gefahr, dabei einem weiteren Spähtrupp aus Silberstedt in die Arme zu laufen war zu groß. Also blieb ihnen nur der beschwerlichere Weg, entlang der kaum gesicherten Routen. Unter ihnen hatten Flüsse aus Schmelzwasser Täler und breite Schneisen in das Gebirge geschlagen, in denen Herden wilder Ziegen grasten. Ab und an sah man auch ein einsames Haus oder einen Stall. Außenposten, die vielleicht im Sommer von Hirten oder Jägern bewohnt wurden. Jetzt jedoch, wo das Frühjahr grade anbrach, waren sie verschlossen und dunkel.

Immerhin hinderte sie das nicht, sich ab und an ein Nachtlager in einem Stall oder einem der Haine einzurichten. Besser, als auf den zugigen Berghängen auszuharren und letztendlich doch kaum Schlaf zu finden, war es allemal. Zu Beginn der zweiten Woche, die sie sich durch die graue Felslandschaft kämpften, wäre Quinn am liebsten umgekehrt. Er wusste nicht einmal mehr genau, wo sie waren. Je länger er hier blieb, desto unruhiger wurde er. Sie waren nach wie vor weit von der Ordensburg entfernt und würden einen großen Bogen um den Ort machen um Silberstedt zu erreichen. Trotzdem überkam ihn ein Gefühl, das er nicht

ganz beschreiben konnte. Ungewohnt und Wehmütig. Nicht nur weil es ihn an seinen wortwörtlich, tiefen Sturz erinnerte. Er sah nach Westen, wo irgendwo die schwarzen Mauern aufragen mussten und blieb stehen. ,, Schlagt dort keine Wurzeln.“ , rief Syle hinter ihm. Der Grat, dem sie folgten, war grade breit genug, das man hintereinander gehen konnte. ,,Schlag da keine Wurzeln… ich erzähl dir gleich was, Fellknäul…“ , murmelte der Zauberer leise vor sich hin. Also schön. Quinn setzte sich wieder in Bewegung. Der Weg stieg erneut an und führte hinauf zu einem der niedrigeren Gipfel. Und dahinter würde er

Zweifelsohne wieder hinab oder knapp daran vorbei führen. Quinn gewöhnte sich langsam daran. Trotzdem hatte er das Gefühl, die Berge könnten noch ewig so weitergehen. Schnee knirschte unter seinen Stiefeln und der Wind zehrte an seinen Kleidern, dennoch fühlte er sich behaglich. Das war die Sache, die er den anderen voraushatte. Er konnte sich jederzeit mit einem Zauber aufwärmen, wenn das nötig war. Auf Dauer zehrte das zwar ebenso an seinen Kräften, aber solange er den Leerenstein besaß, konnte er ihn auch nutzen. Wenn Kiara ihn schon zu einer solchen Strapaze zwang… nicht das die hohe Magierin etwas davon haben würde, dachte Quinn.

Und dann schließlich, schleppte er sich die letzten Schritte hinauf zum Gipfel und blieb erneut stehen. Dieses Mal jedoch, beschwerte sich niemand. Selbst Lucien schien es endlich einmal die Sprache verschlagen zu haben. Vor ihnen fiel das Land endlich wieder ab. Von Schnee und Eis bedeckt erstreckte sich eine gewaltige Ebene vor ihnen, die am Horizont mit den grauen Wolken verschmolz. Das Eis glitzerte wie Gold im Licht der untergehenden Sonne, die grade noch über den Rand der Berge hinausstrahlte. Kleine Wälder aus Tannen und Kiefern zogen sich entlang der Berge weiter nach Westen. Und dort

schließlich, eingekeilt zwischen weiteren Felsgipfeln, erhob sich die dunkle Silhouette einer Stadt. Quinn hatte Silberstedt vor Jahren einmal besucht, doch seit dem musste die Siedlung massiv gewachsen sein. Auf die Entfernung konnte er es nicht genau sagen, aber sie die Vororte hatten die Mauern längst gesprengt und breiteten sich wie das unterirdische Wurzelwerk eines Baumes, weit über das Umland aus. Keine Überraschung. Silberstedt erhielt seinen Namen nicht von ungefähr und die Minenschächte, die täglich weiter in die Berge getrieben wurden, waren bei Sklaven wie Strafarbeitern berüchtigt und

gefürchtet. ,, Sieht noch jemand, was ich sehe ?“ , fragte Lucien und deutete über die Stadt hinweg auf eine der Felsflanken. Quinn blinzelte. Tatsächlich schien sich ein Stück des Felsens zu bewegen. Ein Erdrutsch ? Er brauchte einen Moment, um seinen Irrtum zu erkennen. Das war nicht der Stein, der in Bewegung geriet. Direkt vor dem Berg schwebte etwas in der Luft und trieb langsam daran vorbei. Und es war nicht das einzige Phänomen seiner Art. Über ein dutzend schwebende Schatten hingen über der Stadt und das waren nur die, die sie erkennen konnten. ,,Ich schwöre ich hab seit Wochen nicht getrunken.“ , erklärte der Agent und

schlug sich die Kapuze seines Wintermantels aus dem Gesicht. Quinn viel noch etwas auf, während er ungläubig hinab auf die Stadt und die fliegenden Objekte starrte. Er hatte sich noch einmal geirrt. Silberstedt war nicht so stark gewachsen, wie er gedacht hatte. Die Umrisse vor den Mauern, die er zuerst für Häuser gehalten hatte, waren zu unförmig dafür. Es waren Zelte… Quinn wusste nicht, wie viele. Hunderte, tausende… ,, Das ist gar nicht gut.“ , meinte Syle und klang zum ersten mal ängstlich. ,,Andre de Immerson stellt eine Armee auf.“ , erklärte Tamyra aufgebracht. Als

wüssten sie das nicht längst. Den Abstieg von der letzten Felswand hatten sie m Eiltempo hinter sich gebracht um sich dann im Schutz der Nacht Silberstedt zu nähern. Auf drei Seiten von Bergen umschlossen, lag die Zitadelle inmitten eines Kessels. Eines Kessels angefüllt mit Zelten und dem Klang von Hämmern auf Stahl, der selbst jetzt, wo es gegen Mitternacht zugehen musste, kaum nachließ. Und keinem von ihnen verschloss sich noch die Bedeutung dieser Töne. Kriegsvorbereitungen. ,, Mir macht etwas ganz anderes mehr Sorgen.“ , bemerkte Syle derweil. Sie hatten ihr Lager in einem kleinen Tannenhein oberhalb der Stadt

aufgeschlagen. Nah genug um alles Überblicken zu können, aber weit genug weg, das sie nicht von einer zufälligen Patrouille bemerkt werden würde. Quinn, der Gejarn und die anderen saßen direkt an einem kleinen Vorsprung, der zwischen den Bäumen hinaus ragte und einen freien Blick auf Silberstedt erlaubte. Syle deutete nur auf den schwebenden Schatten am Himmel, der ihnen schon zuvor aufgefallen war. Aus der Nähe waren die Formen auch bei Nacht klar auszumachen. Quinn wusste ja, das das Kaiserreich seit einiger Zeit mit Ballontechnik herumexperimentierte. Bis zu diesem Augenblick jedoch hatte er das immer

für einen Zeitvertreib exzentrischer Adeliger oder Abenteurer gehalten. Das hier übertraf alles. Andre de Immerson hatte Luftschiffe gebaut, die in ihrem Ausmaßen leicht mit einem der kaiserlichen Kriegsschiffe hätte mithalten können. Rauch stieg aus dem Heerlager unter ihnen auf. ,, Andre de Immerson ist verrückt, wenn er glaubt, Canton herausfordern zu können.“ , meinte Tamyra beruhigend. ,, Armee hin oder her, er muss seine Männer erst einmal alle über die Berge bringen. Und wenn die Garde die Pässe dicht macht, sitzt er wie ein Fuchs in der

Falle.“ ,,Ein verdammt gerissener Fusch.“ , gab Lucien zurück. ,, Ich glaube nicht, das er so dämlich ist.“ Syle schüttelte den Kopf. ,, Ich allerdings auch nicht. Denkt nach. Was will dieser Irre mit einem Haufen Luftschiffe?“ ,,Truppentransporter.“ , erklärte Quinn nur trocken. Die Folgen dieser Schlussfolgerung jedoch entgingen ihm nicht. ,, Damit kann er die Berge ganz einfach umgehen.“ , sprach Lucien seine Gedanken aus. ,, Das wäre ja beinahe Bewundernswert, wenn es nicht grade gegen uns gerichtet wäre. Das ist… das

sit genial. Er muss seine Leute nicht in kleinen Grüppchen über die Pässe schaffen, sondern ist direkt in den Herzlanden. Bevor irgendjemand etwas mitbekommt.“ Tamyra stand vorsichtig auf. ,,Er muss Unterstützung haben. Das kann er nicht alles alleine aufgestellt haben, Silber hin oder her.“ ,, Das befürchte ich auch.“ Syle besah sich weiterhin die Siedlung unter ihnen. ,, Wir müssen sofort zurück und jemanden informieren. Den Hochgeneral, die Garnisonskommandanten, oder von mir aus auch die Adelsversammlung.“ , schlug Lucien derweil vor. Quinn spannte sich an. Wenn sie das vorhatten

musste er jetzt handeln. Direkt, ohne zu zögern. Aber… das war zu wenig Vorbereitungszeit, entschuldigte er sich bei sich selbst. Zu Plötzlich. Es wäre einfach unüberlegt und riskant. ,,Bis wir die nächste Botenstation erreichen, ist es möglicherweise längst zu spät.“ , gab Syle zu bedenken. ,, Wir brauchen mindestens zwei Wochen um wieder über die Berge zu kommen und damit haben wir noch niemanden informiert. In zwei Wochen steht dieser Bastard möglicherweise schon bei Vara und lacht sich ins Fäustchen.“ ,,Was schlagt ihr also vor ?“ , wollte Quinn wissen. ,, Wir zerstören die Schiffe. Andre wird

gezwungen sein, entweder neue zu bauen oder doch den Fußweg zu nehmen. Das verschafft uns hoffentlich genug Zeit, die kaiserliche Garde zu sammeln.“ ,, Dazu müssen wir aber erst einmal in die Stadt gelangen.“ , überlegte Tamyra. ,,Und zwischen uns und dort stehen mehrere tausend Mann.“ ,,Wir werden uns eben etwas ausdenken müssen….“ Quinn wartete, bis er sicher war, das die anderen schliefen. Zwar würde Syle wache halten, aber der Gejarn war auf das Zeltlager vor der Stadt konzentriert. Nicht auf ihn. Wenn er leise war, entkam er, ohne das jemand etwas mitbekam.

Der Magier erhob sich von seinem Lager und sah sich um. Die Überreste eines kleinen Lagerfeuers, auf dem sie ihr Abendessen zubereitet hatten, glommen noch. Er konnte die Umrisse von Lucien und Tamyra erkennen, die, an gegenüberliegenden Enden des Lagers, in ihr Bettzeug gerollt lagen. Der kaiserliche Agent schlief hörbar. Der Mann brachte es vermutlich fertig und verriet sie allein durch sein Schnarchen… Das würde Quinn mehr als nur ungelegen kommen. Syle saß mit dem Rücken zum Lager auf seinem Posten am Waldrand. Das Gewehr hatte er sich über die Knie gelegt und den Uniformmantel dicht um den Körper

gezogen. Quinn kam unbemerkt an ihm vorbei und trat auf den Pfad hinaus, der hinab nach Silberstedt führte. Die Nacht war kalt und das Mondlicht brachte Eis und Schnee zum schimmern. Die gefrorene Erde knirschte unter seinen Füßen, als er sich den dichten Zeltreihen näherte. Bereits auf die Entfernung konnte er Bewegungen ausmachen. Einzelne, bewaffnete gestalten, die das Ödland zwischen dem Waldrand und dem beginn der Stadt durchstreiften. Und natürlich fiel Quinn ihnen bald auf. Drei oder vir der Gestalten gaben sich kurze Handzeichen und rotteten sich zusammen, bevor sie dem einsamen Zauberer entgegentraten. Die Gewehre

im Anschlag und aufs äußerste Gespannt. Im Mondlicht konnte er das Silber von Schwertern und Flinten aufblitzen sehen. Nervös und um sich die Kälte vom Leib zu halten, stampften die Männer auf und ab. Sie trugen graue Uniformen, die denen der kaiserlichen Garde nachempfunden waren. Quinn ging einfach weiter, die Hände ausgebreitet, auf sie zu, bis einer von ihnen laut ,,Halt“ , rief. Als ob sie ihn aufhalten könnten, wenn er das nicht wollte, dachte er, wurde jedoch langsamer und blieb schließlich stehen. ,, Wer seid ihr ?“ , verlangte ein Mann zu wissen, dessen Uniform sich etwas von der der anderen unterschied. Statt

eines einfachen Linienmantels trug er einen schweren Umhang mit silbernen Ziernähten. Offenbar ein Offizier, der Quinn selbstsicher in den Weg trat. ,,Mein Name tut wenig zur Sache. Was wichtig ist, ist das ihr offensichtlich völlig unfähig seid. Bringt mich zu Lord Andre. Ich habe wichtige Informationen für ihn.“ Der Offizier brach in schallendes Gelächter aus. ,, Sagt einmal, wer glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid ? Ihr taucht hier auf, alleine, ihr seid fremd und verlangt, das wir uns einfach zum Herrn dieser Stadt durchlassen, nein besser noch eskortieren? Ihr…“ Der Mann verstummte auf einen Wink von Quinns

Hand und stolpert plötzlich rückwärts, als hätte ihn etwas vor die Brust gestoßen. Er öffnete den Mund, brachte aber keinen Ton heraus. Die übrigen Soldaten musterten ihren Anführer verwirrt, der nach wie vor versuchte, irgendetwas zu sagen. Mit dem Erfolg, das er das Aussehen eines Fischs auf dem Trockenen bekam. ,, Verzeiht, aber ich habe wirklich keine Zeit mir euer Gefasel anzuhören.“ , erklärte Quinn und löste den Zauber um die Stimmbänder des Mannes wieder. ,, Ihr könnt mich jetzt entweder durchlassen oder abwarte, bis die kaiserlichen Agenten, die ihr übersehen habt, hier auftauchen. Und dann werde

ich dafür Sorgen, das Andre davon erfährt. Was glaubt ihr, wie viele von euch werden gleich sterben und wer darf erst noch ein paar Jahre in den Minen schuften? Jetzt bringt mich zu Lord de Immerson.“ Endlich gab der Kommandant klein bei. ,, Wie ihr wünscht… folgt mir eben.“ Quinn atmete auf. Endlich. Er durfte nicht zu lange brauchen. Die Zeit lief ihm davon.

Kapitel 67 Ein Pakt


Der Weg durch die Straßen Silberstedts, bestätigte Quinn endgültig, was Hammerschläge und Heerscharen schon von weitem vermuten ließen. Diese Stadt bereitete sich auf den Krieg vor. Und zwar auf einen, der das Gefüge Cantons in seinen Grundfesten erschüttern würde, wenn er ausbrach. Obwohl es wohl noch eine gute Stunde vor Sonnenaufgang war, war bereits ein Großteil der Stadt auf den Beinen. In Dutzenden von Schmieden stieg dichter Qualm auf, während Karrenladungen mit Erzen

durch die Straßen gezogen wurde. Hin zu den großen Schmelzen Silberstedts. In den Minen wurde nicht nur Silber abgebaut, aber meist wurden die weniger wertvollen Metalle ignoriert. Jetzt jedoch schien sich alles auf Eisen und Stahl zu konzentrieren. Hinzu kamen ganze Straßenzüge, die mit herangebrachten Baumstämmen blockiert wurden. Dutzende Handwerker schnitten das Holz in größere Formen um es dann an Schreiner und Büchsenmacher weiterzugeben, die es zu vollständigen Feuerwaffen zusammensetzten. Hinzu kamen ganze Berge von Rüstungen und Schwertern, die sich teilweise bereits vor den Schmieden stapelten, nur darauf

wartend, an die Armee vor den Toren ausgeliefert zu werden. Quinn besah sich dies alles nur nebenbei. Ihm war längst klar, dass Lord Andre eine schlagkräftige Truppe zusammenstellen musste, wenn er Erfolg haben wollte. Selbst wenn ihm Canton offen stand, das Land war riesig und nicht einfach unter Kontrolle zu bringen. Davon abgesehen, das die Garde eine schlagkräftige Truppe war, die Jahrhunderte an erfolgreichen Schlachten vorweisen konnten. Andres Männer hingegen waren höchstwahrscheinlich Söldner und neu rekrutierte Berufssoldaten. Der Offizier, der den Magier durch die

Stadt führte, folgte der Hauptstraße direkt in den Norden der Stadt, wo sich ein gewaltiges Herrenhaus über den Rest Silberstedts erhob. Eine niedrige Mauer umlief den Komplex, dessen Haupthalle über ein gewaltiges, überhängendes Dach verfügte, das von Säulenreihen getragen wurde. Auf einem kleinen Hügel gelegen, führten vereiste Stufen hinauf zu den Toren der Halle. Die mit Schnitzereien verzierten Balken waren über die Jahre dunkel geworden und hier und da wuchsen Flechten auf dem Holz. Quinns Führsprecher trat als erstes durch die Tür. Drinnen war es, im Vergleich zu draußen beinahe unangenehm warm. Kohlebecken standen in regelmäßigen

Abständen über den ganzen Saal verteilt und erfüllten das Halbdunkel mit einem wohligen, rötlichen Glühen. Quinn lockerte die schließe seines Umhangs etwas und löste die Zauber auf, die ihn warm gehalten hatten. Wie draußen, so trugen auch hier mehrere, verzierte Holzsälen das Dach. Neben ihm und dem Soldaten gab es noch eine ganze Reihe weiterer Personen im Saal. Einige davon ganz offensichtlich Adelige. Die überbordende Kleidung, die ihren hohen Stand kennzeichnete, war nicht zu übersehen. Also würde Andre sich nicht alleine daran versuchen, es mit dem Kaiser aufzunehmen, dachte Quinn. Hinzu kamen einige Wachen an den

Türen, die aus dem Raum führten. Sie trugen die gleichen dunkelgrauen oder schwarzen Uniformen wie der Rest der Armee. ,,Wartet hier.“ , meinte sein Begleiter neben ihm. ,, Ich werde Lord de Immerson informieren, das ihr hier seid und ihn zu sprechen wünscht.“ ,,Tut das. Und vergesst ihm nicht zu sagen, das der Erfolg seines kleinen… Projekts hier, davon abhängt, das er möglichst bald mit mir redet. Er hat Zeit bis Sonnenaufgang. Dann bin ich weg.“ Quinn machte gleich klar, dass er nicht als Bittstellar kam. Er hatte seinen Stolz. Auch wenn er den heute vielleicht einfach hinten anstellen und es hinter

sich bringen sollte Für den Ausgang des ganzen war das unerheblich. Aber Andre wollte die Informationen, die er hatte. Er hingegen könnte jederzeit umdrehen und gehen. Sollte der Fürst nur versuchen, ihn aufzuhalten. Dann konnte er auf dem Rückweg gleich eine kleine Schneise durch seine Armee schlagen. Das lief zwar dann nicht ganz nach Plan, aber Götter, er hoffte beinahe darauf. Der Soldat nickte kurz, bevor er durch eine der Türen verschwand und Quinn alleine mit den verstreuten Adeligen und den Wachen zurück ließ, die ihn misstrauisch beäugten. Sollten sie nur. Er trat an eines der Kohlefeuer und wärmte sich, scheinbar desinteressiert,

die Hände. Wenn Andre ihn warten ließ… Er hatte beim besten Willen keine Zeit für Spielchen. Sie alle hatten das Nicht. Die Zeit für Spiele war entweder bereits vorbei, oder würde es sehr bald sein. Und wie immer das dann auch Ausging, es würde eine Welt in Feuer tauchen. Und er hatte eigentlich vorgehabt, daraus den Größten Gewinn für sich zu schlagen. Nun… dazu ergab sich ja vielleicht noch eine Gelegenheit. Endlich wurde die Tür am anderen Ende des Saals geöffnet und Andre de Immerson trat, in Begleitung des Offiziers und einiger weiterer Wachen, heraus. Sein von silbergrauen Strähnen durchzogenes Haar zu einem Zopf im

Nacken gebunden und gewohnt in die Farben seiner Stadt gekleidet. Ein Umhang aus tiefem Violett und schwarz, das von einer silbernen Brosche zusammen gehalten wurde. Das Silber stellte eine dünngliedrige Spinne da und obwohl es nur ein Symbol war, spürte Quinn den instinktiven Drang, das Ding einfach wegzuwischen. Ein zutiefst menschlicher Reflex. Er fragte sich, wieso der Lord sich ausgerechnet für ein solches Wappentier entschieden hatte. Sicher, er saß wie eine fette Spinne mitten im Zentrum des Netzes für Silberhandel. Aber das war eine Beleidigung… ,,Nun…“ Andre blieb ein paar Schritte

von ihm entfernt stehen und faltete die Hände, wie zum gebet zusammen. ,, Man hat mich informiert, das ihr mir etwas mitteilen wollt.“ ,, Nein.“ So nicht. Er würde sich von dem Mann nicht herunterputzen lassen. Ein Muskel zuckte in der auf einmal erstarrten Mine des Lords. ,, Nein ?“ ,, Mein Name ist Quinn. Ich bin hier um euch Bedingungen zu unterbreiten. Die ihr dann erst annehmen werdet. Und dann erzähle ich euch vielleicht, wenn mir danach ist, was ich weiß.“ ,, Ihr scheint zu vergessen, wo ihr euch befindet.“ , meinte Andre ruhig und nickte einer seiner Wachen zu, die einen drohenden Schritt nach vorne

machte. ,, Dessen bin ich mir nur zu bewusst. In einer Halle. Aus Holz…“ Quinn sah in Richtung eines der Kohlebecken. Es war nur ein kleiner Zauber von Nöten, dann schlugen Flammen aus der Glut, so hoch, das sie beinahe das Dach erreichten. Fast jeder in der Halle zuckte vor der Hitze zurück. ,, Wir verstehen uns…“ , meinte Andre mit einem nervösen grinsen. Trotzdem schien er erstaunlich ruhig. Er war der einzige, der sich durch Quinns Demonstration nicht von der Stelle gerührt hatte. ,,Ihr habt vor, Canton anzugreifen.“ , meinte der Magier derweil. ,, Eure

Armeen scheinen stark genug dafür, aber ihr müsst sie auch über die Berge bringen. Daher die Luftschiffe. Richtig ?“ ,, Warum sollte ich leugnen, was ihr schon wisst. Ich kann es mir schlicht nicht leisten, mich erst mühsam durchs Gebirge zu schlagen. Aber was ist daran so wichtig?“ ,, Wie lange hat es gedauert genug davon zu bauen ?“ ,, Monate. Das Gas, mit dem sie fliegen ist nicht leicht zu bekommen. Schon gar nicht in so großen Mengen. Und es ist… recht instabil. Wir hatten ein paar Kollateralschäden, bis wir herausgefunden haben, wie man richtig

damit umgeht.“ ,,Das heißt, wenn das Kaiserreich von euren Plänen wüsste, könnten ein paar Brandpfeile all eure Ziele zu Nichte machen.“ ,,Ich glaube ich verstehe.“ Andre hielt einen Moment inne. ,, Die Boten, die Kellvian entsendet hat, leben also noch… Und sie sind hier…“ ,,Das sind sie. Und ich werde euch Verraten wo. Doch zuerst solltet ihr alle Luftschiffe auf den Boden bringen. Auf dem Gelände eures Palastes dürfte doch genug Platz sein… Innerhalb der Stadtmauern wären sie unangreifbar. So kann nichts Unvorhergesehenes mehr geschehen. Ich wünsche euch letztendlich

nichts als den Erfolg. Im eigenen Interesse versteht sich.“ ,,In der Tat und was erwartet ihr als Gegenleistung für eure Hilfe zu diesem Erfolg ?“ ,, Da gäbe es so einiges. Den Orden, ein paar Ländereien, das Vorrecht einige Leute selber… beseitigen zu dürfen. Sagen wir fürs erste, steht ihr ohne jeden Zweifel in meiner Schuld. Und solltet ihr Versuchen mich zu hintergehen, vergesst nicht, wer vor euch steht.“ ,,So sei es denn.“ Andre wendete sich an seinen Offizier. ,, Gebt Befehl an die Kommandanten der Luftschiffe. Ich will das alle davon schleunigst auf den Boden

gebracht werden.“ ,,Jawohl , Herr.“ Der Mann verbeugte sich kurz und rannte dann im Eiltempo davon um den Befehl auszuführen. Bis hierin verlief alles hervorragend für ihn, dachte Quinn. ,,Und nun zu euch, Magier. Wo sind die Boten ?“ ,, Sie sind bereits ganz in der Nähe.“ , erklärte er und rieb sich innerlich die Hände. Alles verlief wie am Schnürchen. Das war beinahe zu einfach. Jetzt fehlte nur noch der aller letzte kleine Schritt. ,,In einem Wald direkt vor eurem Heerlager. Ich bin mit ihnen hier angekommen. Ihr solltet euch beeilen, bevor sie wieder nach Canton

aufbrechen. Oder schlimmer, merken dass ich fehle.“ ,,Quinn ist weg.“ , stellte Lucien fest, während er ein gefangenes Kaninchen ausnahm und über das Feuer zum Garen hängte. Es war nicht zu übersehen gewesen, das das Bettzeug des Zauberers verlassen war. ,, Das war beinahe zu erwarten.“ , meinte Syle nur, der sich zu ihm ans Feuer setzte. Das Fleisch begann über den Flammen schnell zu braten und der Duft alleine vertrieb schon etwas die morgendliche Kälte. In der Nacht hatte es gefroren und alles mit einer

glitzernden Schicht überzogen. Stellenweise ragten dünne, filigrane Eisnadeln aus dem aufgebrochenen Boden. Und über Silberstedt zogen graue Schneewolken auf. Syle hatte die Stadt weiter beobachtet und vor einer Weile waren alle Luftschiffe langsam innerhalb der Mauern zu Boden gesunken. Ein Blinder hätte sehen können, dass sich dort irgendetwas tat. Um das Risiko entdeckt zu werden zu minimieren, hatten sie sich etwas vom Waldrand entfernt und ihr zweites Lager im Schutz der dichteren Bäume aufgeschlagen. ,,Wir haben nicht mehr viel Zeit. Weniger vielleicht als Gedacht.“ , erklärte derweil Tamyra, die mit einem

Arm neuen Feuerholzes aus dem Wald auftauchte. ,, Man zieht eine Armee nicht zusammen, wenn man sich nicht sicher ist, auch bald losschlagen zu können.“ Syle nickte und stand auf. ,,Wir müssen nur warten, bis…“ In diesem Moment kam Bewegung in den Wald um sie herum. Der Gejarn warf sich instinktiv zu Boden und riss dabei Lucien mit sich, der sich grade über das Kaninchen hermachen wollte. Etwas streifte ihn am Kopf und sirrte dann zwischen die Bäume davon. Während der kaiserliche Agent noch versuchte, sich wieder aufzurappeln, rollte Syle sich bereits zur Seite, wo sein Gewehr

lag und sichte hektisch die Umgebung ab. Mehr als ein dutzend grau gekleideter Gestalten tauchten aus allen Richtungen auf. Verflucht… Lucien hatte es mittlerweile wieder auf die Beine geschafft, nur um sich direkt wieder hinter einem Baum in Deckung zu werfen, als weitere Schüsse durch den Wald hallten. Tamyra hingegen zog ihr Schwert zu sich heran und suchte scheinbar nach einer Lücke in dem Kreis aus bewaffneten gestalten, der sich langsam um ihr Lager schloss. Da würde sie keinen Erfolg haben, dachte Syle, der mit dem Gewehr anlegte und einen der herannahenden Männer mit einem Schuss in die Brust ausschaltete.

Eines, musste der Gejarn Andres Leuten lassen. Sie wussten, wie man sich anschleicht. Gegen den Wind und praktisch lautlos, hatte selbst er sie nicht bemerkt. Erneut pfiffen ihm Kugeln um die Ohren und schlugen große Splitter aus einem umgestürzten Baum, hinter dem Syle sich geduckt hatte. ,, Das sind zu viele.“ , rief Lucien über den Lärm des Waffenfeuers hinweg. Der kaiserliche Agent hatte die Armbrust an sich gerissen und erledigte den ersten Soldaten, der dumm genug war, sich dem Lager zu nähern. ,, Das ist mir auch schon aufgefallen.“ ,

wollte Tamyra spöttisch wissen. Ein zweiter Kämpfer, der sein Pulver verschossen hatte stürmte unter dem Schutz der Bäume hervor. Tamyra stellte sich ihm in den Weg und brachte ihn mit einem gezielten Schwertstreich zu Fall. ,,Gebt auf.“ Die Stimme sprach genau das aus, was Syle schon erwartet hatte. Und natürlich war es niemand anderes als Quinn, der zwischen den Soldaten hervortrat, als diese eine kurze Pause einlegten. Also gut… Es hatte keinen Sinn mehr weiterzukämpfen. Die Schlacht war entschieden. Aber noch nicht der krieg, dachte Syle bei sich, während er die Muskete wegwarf. Tamyra lies ebenfalls

das Schwert fallen und Lucien zögerte nur einen Moment, bevor er es ihr gleichtat. ,,So ist es schon besser.“ , meinte der Zauberer mit etwas zu viel Genugtuung wie Syle fand. Quinn wendete sich an Andres Männer.. ,, Schafft sie mir aus den Augen. Wohin auch immer Andre sie haben will. Ich kümmere mich später darum. Und ihr…“ Er machte einen Schritt in Richtung Syle und dieser Schlug ohne wirklich nachzudenken zu. Der Prankenhieb brachte den Magier dazu, zurück zu wanken. Blut troff aus mehreren Tiefen Schnitten und nun blitzte nicht mehr Hochmut, sondern blanker Hass in seinen

Augen. Syle war einen kurzen Moment davon überzeugt, der Mann würde ihn auf der Stelle töten. Dann jedoch sammelte er sic wieder. ,,Bringt sie weg.“ , schrie er lediglich, immer noch die verletzte Wange haltend.

Kapitel 68 Spinne


Sie waren irgendwo unter dem Herrenhaus von Andre de Immerson, soviel wusste Syle. Aber wo genau und wie tief, war ihm ein Rätsel. Tief genug, dass der Boden nicht mehr gefroren war. Eiskaltes Wasser tropfte durch die Steine an der Decke und floss über die Treppenstufen ab. Moose und Algen hatten sich in den Fugen abgesetzt. Nachdem sie im Wald gefangen genommen worden waren, hatte man sie nach Silberstedt gebracht und von dort aus zum Wohnsitz von Andre de

Immerson. Den Mann selbst hatten sie dabei jedoch nicht zu Gesicht bekommen. Wohl aber das dutzend Luftschiffe, die auf dem riesigen Areal gelandet waren. Gut zweihundert oder mehr Arbeiter und Soldaten waren an den Konstrukten beschäftigt, kletterten über die Ballonhülle um sie auf Risse zu überprüfen oder besserten die Kanzeln darunter aus. Diese waren einfache, aus Holz und Metall gezimmerte Dinger. Über schwere Nieten und Schrauben mit der Hülle verbunden, erfüllten sie ihren Zweck, das war es aber auch. Eine der Kanzeln war geöffnet worden und erlaubte Syle nur einen Blick, auf eine Vielzahl verwirrender Instrumente,

Hebel und er wusste nicht was. Offenbar war es alles andere als einfach, etwas zu steuern, das durch die Luft schwebte. Vielleicht reichte es ja, wenn sie die Piloten töteten, vorausgesetzt, sie bekamen überhaupt Gelegenheit dazu. Im Moment zumindest sah es nicht danach aus. Der Weg durch die unterirdischen, abschüssigen Tunnel wurde begleitet von den Rufen ihrer Wächter, das sie sich gefälligst beeilen sollten. Syle blieb einmal aus Protest stehen, was aber nur dazu führte, das man ihm einen groben Stoß in den Rücken verpasste, der ihn beinahe das Gleichgewicht verlieren ließ. Auf der Treppe praktisch ein Todesurteil. Seit dem sparte er sich

solche Scherze. Er musste Leben um noch etwas ausrichten zu können. Die anderen hatten sich ebenfalls scheinbar geschlagen gegeben. Auch wenn Lucien nach wie vor seine typischen Sprüche riss… das war bei dem Mann wohl nur eine Art Stressreaktion. ,,Ich hoffe wirklich, ihr denkt mal daran, den Ort hier zu renovieren.“ , kommentierte der Agent, als sie das Ende ihres Abstiegs erreichten. Eine große, eisenbeschlagene Holztür, die im bloßen, unbearbeiteten Fels eingelassen war. ,,Das ist ja eine Schande.“ Ihre Wächter, etwa zwanzig grobschlächtige Soldaten, hatten auch schon gelernt, das man den Spion am

besten einfach reden ließ. Stattdessen zogen vier von ihnen die Tore grade weit genug auf, das die übrigen ihre drei Gefangenen hindurchstoßen konnten. Syle sah blanken Fels und Licht, das von irgendwo her in die Kammer drang… dann fielen die Tore hinter ihnen ins Schloss und er konnte hören, wie sie verriegelt wurden. Der Raum in dem man sie gebracht hatte, hatte nichts von einer Zelle. Eher von einer Höhle. Irgendwo über ihnen, zu hoch um zu klettern, war ein Gitter in die Decke eingelassen, durch die das Licht hereinfiel, das Syle bereits bemerkt hatte. Eiszapfen hatten sich in der Höhe gebildet, doch hier unten war es

überraschend warm. Die Höhle selber war groß genug, das problemlos ein paar dutzend Gefangene hereingepasst hätten. Trotzdem waren sie alleine. Wenn das die Kerker von Silberstedt waren, waren sie mehr als ungewöhnlich. Und verräterisch Leer. Andre fackelt wohl gar nicht lange, was Kriminelle angeht, dachte Syle. Zwei Tunnel zweigten von der Hauptkammer ab. Alte, verwitterte Balken stützten die Decken der Gänge, fast wie bei einer Mine. Oder vielleicht war es genau das, vermutete der Gejarn. Ein aufgegebener Teil der Bergwerke Silberstedts. Tamyra rüttelte derweil an dem Tor, das keinen Fußbreit nachgab.

Versiegelt und vermutlich auch so nur mit viel Kraftaufwand zu öffnen. Lucien hatte sich der Diplomatin angeschlossen und besah sich das Schloss. ,,Sagt bloß, ihr könnt das öffnen ?“ , fragte Tamyra an den Agenten gerichtet. ,,Macht ihr Witze ?“ , fragte er entsetzt. ,,Kommt schon, jetzt macht ihr euch über mich lustig...“ ,,Ich dachte nur…“ ,,Gebt mir fünf Minuten und wir sind hier raus.“ Lucien zog die Hand aus der Tasche und wirbelte ein kleines Messer zwischen den Fingern. ,,Wie bei allen Göttern habt ihr das den Versteckt ?“ , fragte Syle und bereute

die Frage sofort. ,,Es gibt Dinge, für die ist man einfach dankbar, wenn man sie nicht weiß.“ Nur um amüsiert hinzuzufügen: ,,Des Weiteren sind Andres Wachleute auch einfach dumm wie Stroh wie es scheint.“ Immer noch grinsend trat der Agent ans Schloss und machte sich daran zu schaffen. Jedoch nicht lange, den keine drei Herzschläge später sprang ein greller Funken vom Metall des Riegels über und Lucien sprang zurück. ,,Magisches Türschloss. Natürlich kann es nicht mal einfach sein. Das ist echt nicht fair.“ ,,Vielleicht kommen wir da hinten

irgendwo raus.“ Syle deutete auf die beiden Durchgänge, die aus der Kammer führten. ,,Ich glaube zwar nicht daran, aber ein Versuch kann nicht Schaden.“ , erklärte Tamyra. ,,Besser als hier herumzusitzen und zu warten ist es allemal.“ Damit war es entschieden und langsam traten sie in den ersten Tunnel zu ihrer rechten. Syle fand seine Vermutung bestätigt. Tatsächlich schien dieser Ort einmal eine Mine gewesen zu sein. Freilich eine, die seit Jahren verlassen war. In den Wänden glitzerte ab und an noch Erz und zu ihren Füßen verliefen die Überreste eines alten Schienenwegs. Das Holz war längst verrottet, aber die

Metallstreben waren immer noch sichtbar. Auf halbem Weg entdeckten sie Spuren eines Brandes. Ruß und Asche bedeckten die Wände und färbten sich auf ihre Kleider ab, sobald sie einmal dagegen kamen. Es roch allerdings nicht mehr nach Feuer und die Felsen waren kalt. Was immer hier geschehen war, es war schon eine ganze Weile her. Noch weiter jedoch, veränderte sich die Umgebung erneut. Der Ruß war hier überkrustet mit einem feinen Gespinst weißer Fäden. Aber erst als Syle dagegen fasste hatte er Gewissheit. Das waren Spinnweben. Seltsam. Was hatte das hier unten zu suchen? Vielleicht hatte Tamyra doch Recht und es gab einen Ausgang.

Irgendwie mussten die Tiere, die hierfür verantwortlich waren ja hier runter gekommen sein. Offenbar gleich ein ganzer Schwarm wie es schien, den nicht nur die Wände auch Boden und Decke waren zunehmend hinter einem feingewebten Schleier verborgen, der ihre Füße bei jedem Schritt nur wiederwillig frei gab. Stürzen wäre hier wirklich keine gute Idee, dachte Syle. Es würde eine Weile dauern, sich von den ganzen Fäden zu befreien. Endlich kam der Tunnel zu einem scheinbaren Ende. Die Felswände wichen zurück und gaben Raum für eine Höhle, die leicht mehrmals so groß war, wie die am Tor. Allerdings war sie auch um einiges

dunkler, den hier gab es keine Verbindung zur Oberwelt. Nur noch mehr Spinnweben, die Boden, Wände und Decke bedeckten. Syle bekam ein ungutes Gefühl, während er sich umsah. Auf der ihnen gegenüberliegenden Seite führte ein Gang erneut weiter. Ansonsten schien es sich nur um einen weiteren leeren Raum zu handeln. Zumindest, bis sie auf die ersten Kokons stießen. Lucien hatte das Pech als erste über eine der im Halbdunkel fast unsichtbaren Hüllen zu stoßen. Verdutzt blieb der Agent stehen und besah sich das sichte, zylinderförmige Gewebe etwas genauer, während er die anderen herbeiwinkte. Syle ungutes Gefühl wurde endgültig zu

einem ständigen Begleiter. Der Kokon war leicht so groß wie ein erwachsener Mensch… ,,Sagt mir nicht, das das ist was ich fürchte…“ , setzte Tamyra an. Syle antwortete nicht, sondern trat gegen die ausgetrocknete Hülle. Das Material gab unter seinen Stiefeln nach und zerbröselte… nur damit ein Stapel Knochen daraus hervorrollten. Rippen und ein Schädel kullerten ein kurzes Stück über dem Boden. ,,Wir müssen hier weg. Jetzt.“ , erklärte der Gejarn . ,,Warum haben wir nicht einfach vorne gewartet…“ Und in diesem Moment bewegte sich

etwas über ihnen. Ein Schatten, der sich aus dem Gewebe löste. Syle konnte nur Ungläubig zusehen, wie das Ding beinahe elegant an der Wand hinablief. Ohne jede feststellbare Eile. Die Spinne war größer als ein ausgewachsenes Schlachtross. Fänge, von denen das Gift tropfte, klickten zusammen und das dunkle Chitin-Skelett glitzerte im wenigen vorhandenen Licht. ,,Wir sind tot, oder ?“ Lucien starrte das Monster wie erstarrt an. ,,Lauft !“ Syle versetzte dem Agenten einen Stoß und zog auch Tamyra mit sich. Die Tunnel… Diese Kreatur wäre viel zu groß dafür, dachte er. Doch offenbar hatte die Spinne jetzt gemerkt,

dass sich ihre vermeintliche Beute davon machen wollte. Und das Ding war schnell… Ehe Syle sich versah, war es von der Wand hinunter und stürmte den drei Fliehenden nach, die sich nach wie vor mit den Spinnweben abmühen musste. Entkommen war kaum noch eine Option, wie dem Gejarn immer klarer wurde. Die Spinne machte einen Satz vorwärts und Syle musste sich zur Seite werfen um den Kiefern zu entkommen, die so wirkungslos in der Luft zusammenschlugen. Er rollte sich ab und wich einem behaarten Bein aus, das mit aller Gewalt neben ihm auf dem Boden aufkam. Lucien und Tamyra

rannten derweil weiter. Vielleicht, dachte Syle, konnte er das Ding ja ablenken. Einen Moment schien die Spinne nicht sicher, wen sie Verfolgen sollte. Den Gejarn, der sich mühsam wieder aufrappelte oder die reichere Beute, die drohte, in die Tunnel zu entkommen…. Die Entscheidung wurde ihr letztendlich abgenommen, als eine Feuerlanze dicht an der Kreatur vorbeischoss und sie versengte. Das Monster kreischte Ohrenbetäubend während es zurück wich. Syle hinterfragte sein Glück erst gar nicht. Er hatte keine Ahnung, wie Tamyra und Lucien das geschafft haben mochten, als er sich zu ihnen umdrehte.

Die beiden waren stehen geblieben. Und nicht länger alleine… Quinn trat, völlig entspannt aus dem zweiten Tunnel. Noch immer tanzten Flammen um seine Fingerspitzen. Er machte einen Schritt vorwärts, gleichzeitig wich die Spinne zurück. Erneut jagte ein Feuerball aus der Hand des Zauberers und trieb die Kreatur noch weiter in Richtung Wand. Offenbar hatte sie endgültig genug. ,,Na bitte, ganz brav jetzt, du hässliches Mistvieh.“ , kommentierte Lucien, als die Spinne endlich den Rückzug antrat. Mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der sie zuvor die drei Gefährten Verfolgt hatte, verschwand sie wieder die

Felswände hinauf und in der Dunkelheit. ,,Und ihr hättet euch ruhig etwas beeilen können. „ , meinte der Agent an Quinn gerichtet. ,,Das war grade mehr als knapp und ich hatte nicht vor, mein Leben als Futter für Andres Haustier zu beenden.“ ,,Wissen die Götter warum ich zugestimmt habe euch zu helfen.“ , gab der Zauberer nur zurück. ,,Nächstes mal erinnert mich daran euch erst zu befreien, wenn Lucien gefressen wird.“ ,,Vielleicht sollten wir das ausdiskutieren, wenn wir hier raus sind.“ Syle trieb die anderen dazu an, sich wieder in Bewegung zu setzen. Durch den Tunnel zurück, durch den Quinn

aufgetaucht war. ,,Der Schlag tat übrigens weh.“ , bemerkte dieser derweil. Die blutigen Striemen, wo ihn die Krallen erwischt hatten, waren nach wie vor deutlich zu sehen. ,,Sollte es auch. Es musste echt wirken.“ ,,Gebt es zu, ihr habt das genossen.“ Der Tunnel dem sie folgten unterschied sich nicht zu sehr von dem ersten. Ein verfallener Minenstollen. Auch hier gab es wieder Spuren eines Feuers. Irgendetwas musste irgendwann einmal die gesamte Höhle in Brand gesteckt haben. Vermutlich hatte sich die Riesenspinne deshalb so einfach von

Quinn vertreiben lassen. Es hatte Angst vor den Flammen… ,,Und ich konnte mir nicht sicher sein, ob man sich auf euch verlassen kann.“ , fuhr Syle fort. ,,Keiner hätte einem Agenten oder kaiserlichen Soldaten abgenommen, das er sich gegen seine Leute stellt, aber einem Zauberer…“ ,,Wollt ihr etwa andeuten, ich hätte auch nur eine Sekunde darüber Nachgedacht, euch wirklich zurückzulassen ?“ Quinn klang gespielt beleidigt. Syle grinste. Und ob. Er hatte den Plan sogar von Anfang an nicht für eine gute Idee gehalten. Aber offenbar hatte er sich in dem Magier getäuscht. Und zwar

gewaltig. ,,Danke übrigens.“ , überwand er sich. ,, Keine Ursache. Ich habe kein Problem mit Machtgier , aber Andre hat sie nicht mehr alle. Dieser Mann wird halb Canton in Schutt und Asche legen, selbst wenn er Erfolg hat. Für den Augenblick… will ich nur hier raus.“ Und dann mussten sie sich die Luftschiffe vornehmen, dachte Syle. Dank Quinn waren diese nun alle fein säuberlich vor dem Herrenhaus aufgereiht. Nur wie sie dann wieder aus der Stadt gelangen sollten… Das war nebensächlich. Wichtig war, dass diese Konstrukte nie wieder in die Luft steigen würden. Es würde ihnen Zeit

verschaffen oder Andre sogar zwingen, seine Pläne komplett zu überdenken.

Kapitel 69 Entführung


Quinn wusste nicht, ob er das richtige tat. Ein Teil von ihm meinte es jedenfalls. Der größere Teil, mittlerweile zumindest. Der andere war immer noch dafür, dem überheblichen Gejarn und seinen zwei Begleitern bei nächster Gelegenheit eine Lektion zu erteilen. Aber die Entscheidung war gefallen, nicht? Der Zauberer wusste nicht, was den Ausschlag gegeben hatte. Aber als Tamyra den Vorschlag machte, einen von ihnen in die Stadt zu schicken, damit dieser die anderen scheinbar an Andre de Immerson auslieferte, hatte er

sich freiwillig gemeldet. Nicht ohne Protest von Syle, aber am Ende wussten alle drei, das der Magier als einziger in frage kam. Anfangs hatte er noch mit dem Gedanken gespielt, es tatsächlich durchzuziehen. Andre zu informieren… und dann allem seinen Lauf zu lassen. Jetzt nicht mehr. Die kleine Gruppe bestehend aus Syle, ihm, Lucien und Tamyra hatte mittlerweile wieder die Tore erreicht. Quinn stellte erleichtert fest, das alles ruhig war. Nur die beiden Türflügel waren angelehnt, so, wie er sie zurück gelassen hatte. Man hatte noch nicht bemerkt, das er verschwunden war. Sehr gut. Vielleicht kamen sie hier heraus,

ohne dass sie überhaupt entdeckt wurden. Rasch stieß er sie ganz auf und winkte die anderen hinaus auf die, aus grobem Stein errichtete, Treppe. Drei tote Wachleute lagen direkt vor der Pforte. Quinn hatte die Männer auf seinem Weg hinab ausschalten müssen. Doch nun erfüllten sie wenigstens noch einen Zweck. Rasch nahm Tamyra einem der Toten den Degen ab, während Syle sich mit Bajonett und Muskete bewaffnete. Lucien eignete sich ebenfalls ein Schwert an, schien damit jedoch nicht wirklich glücklich. Quinn grinste, bevor er etwas aus seinem Umhang zog. Er warf dem verdutzten Agenten das

Objekt zu, der es grade noch Auffing, bevor es auf dem Boden aufschlug. Es war ein Gürtel mit darin eingelassenen Schlaufen, in denen Stahlbolzen hingen… und Luciens Armbrust. ,,Und ich habe die schon fast vermisst.“ , erklärte der Mann, plötzlich bester Dinge, während er den Munitionsgurt anlegte und einen Bolzen auf die gespannte Sehne legte. ,,Sehen wir zu, das wir hier verschwinden.“ Syle setzte bereits, das Gewehr im Anschlag, die Stufen hinauf und die anderen folgten ihm eilig. Lucien bildete die Nachhut, während Quinn sich schräg zu den anderen hielt. Wenn ihnen jemand entgegenkam, wollte

er freies Feld für seine Zauber haben. ,, Ihr habt die Luftschiffe gesehen nehme ich an ?“ , fragte Tamyra leise, als das Ende ihres Aufstiegs in Sicht kam. ,, Habe ich.“ , erklärte der Gejarn , während er die Tür am oberen Ende der Treppe öffnete. Sie führte hinaus auf einen holzvertäfelten Flur irgendwo im Herrenhaus von Andre de Immerson. Rasch sah Quinn sich nach allen Seiten um, als er Syle nach draußen folgte. Durch einige Fenster fiel Licht auf den Gang und in mehreren Wandhaltern brannten Kerzen. Nichts schien sich in diesem Teil des Hauses zu rühren. Gut. Tamyra spähte derweil vorsichtig durch

eines der Glasfenster nach draußen in den Hof. Nach wie vor wurden die Luftschiffe dort gewartet. Leute hechteten zwischen den Hüllen hin und her, besserten Kanzeln oder Stützt streben aus und machten allgemein das Beste aus der Zwangslandung. Nur dass diese sich noch als großer Fehler entpuppen würde, dachte der Zauberer. Als hätte Syle seine Gedanken gelesen fragte er : ,, Was glaubt ihr, wenn wir es nahe genug heran schaffen… könnt ihr die in Brand stecken ?“ ,,Vermutlich. Ich würde aber eher vorziehen, weit weg zu sein, bevor wir hier Feuer legen. Andre lässt die Stadt scher sofort abriegeln, wenn irgendetwas

schief läuft. „ Tamyra drehte sich zu dem kaiserlichen Agenten um. ,, Lucien, wenn ihr…“ Sie verstummte mitten im Satz. Quinn wurde schnell klar wieso. Lucien war weg. Der Zauberer sah den Gang in alle Richtungen hinab. Nichts. Das war doch wohl nicht möglich. ,, Syle, bitte sagt mir, dieser Narr hat euch gesagt, wo er hin will…“ , seufzte die Diplomatin entnervt. ,,Ich habe ihn nicht gesehen.“ , erklärte der Gejarn. ,, Aber… wie bei allen Göttern kann er so einfach verschwinden ?“ Wie schon Quinn zuvor, sah er sich auf dem Flur um, in Erwartung, den Agenten irgendwo zu

finden. ,, Das ist jetzt auch egal.“ , meinte Quinn. ,,Wir können ihn schlecht überall suchen. Also muss er auf eigene Faust klar kommen. Das muss er gewusst haben.“ ,,Und trotzdem frage ich mich, was er vorhat.“ Syle winkte sie weiter. Sie mussten irgendwie nach draußen gelangen. Der Luft führte weiter durch die Anlage, durch verlassene Säle und Räume, in denen sich außer Dienern niemand befand. Diese schreckten vor der nun nur noch dreiköpfigen Gruppe bewaffneter jedoch nur zurück, bevor sie wieder a ihre Arbeit gingen. In einer Stadt, die

sich auf den Krieg vorbereitete, sah man vermutlich seltsamere Dinge. Quinn hatte bei seinem kurzen Besuch hier nicht viel von den Gebäuden gesehen, aber er wusste ungefähr, wo sie sich befanden. Wenn sie die Haupthalle erreichten, hätten sie es so gut wie geschafft. Die Treppe davor führte direkt in den Innenhof, in dem die Luftschiffe lagen und dann reichte ein einziger Funken aus. Wenn Andre ihn nicht angelogen hatte. Und dazu hatte der Herr Silberstedts keinen Grund gehabt. So oder so, die Ballonhüllen würden brennen wie Zunder und dadurch unbrauchbar werden. Darauf kam es an. Der Magier übernahm die Führung, als

sie dem Eingang näher kamen und trat auch als erstes durch eine der Türen in die große Haupthalle. Ein paar der Wachen drehten sich kurz nach ihm um, kannten ihn aber wohl schon als vermeintlichen Verbündeten von Lord Andre. Zumindest bis zu dem Moment, wo die anderen hinter ihn in den Raum traten und Quinn den ersten Soldaten, der Alarm geben wollte, mit brennenden Kleidern zu Boden schickte. Die anderen wichen vor ihrem sterbenden Kameraden zurück, während Syle den nächsten mit einer Kugel in die Brust zu Fall brachte. Tamyra wiederum schaltete zwei Kämpfer aus, die sich langsamer als der Rest aus ihrer Erstarrung lösten. Sie

versuchten noch, sich mit dem Bajonett zu verteidigen, hatten jedoch zu lange gezögert. Stahl prallte mehrmals auf Stahl und wurde dann begleitet von dem dumpfen Geräusch, mit dem eine Schwertklinge Knochen und Gewebe durchtrennte. Noch bevor der letzte der Wächter in sich zusammengesackt war, rannten sie bereits weiter. Auf die Tore zu, die endgültig ins Freie führen würden. Kalte, klare Luft schlug ihnen entgegen, als Syle die Türen aufstieß und nach draußen stolperte. Die Arbeiter an den Luftschiffen unten im Hof schienen nichts glücklicherweise zu bemerken. Der Lärm, der von Hämmern, Nägeln, Sägen

und Schmiedeöfen herauf drang, war nach wie vor Ohrenbetäubend. Genug um zu verhindern, das einzelne Schüsse und das klirren von Schwertern zu sehr auffielen. Es war an der zeit, zu Enden zu bringen, wofür sie gekommen waren. In diesem Moment jedoch, geschah etwas, mit dem keiner von ihnen gerechnet hatte. Quinn hätte die Zahl der Luftschiffe dort unten auf gut zwanzig geschätzt. Alle in einer Reihe nebeneinander aufgebaut, war die Baustelle übersichtlich und machte einen disziplinierten Eindruck. Alle Arbeiter schienen zu wissen, was sie zu tun hatten. Genau deshalb passte das Bild, das sich ihnen bot nicht in diese

Ordnung. Das hinterste Luftschiff löste sich plötzlich vom Boden. Haltetaue rissen, während Gerüste einfach in sich zusammenfielen, als der Auftrieb den Ballon in die Höhe trug. Einzelne Handwerker, die nicht mehr rechtzeitig über die zusammenbrechenden Gerüste nach unten kamen, sprangen einfach von der Luftschiffhülle ab, um nicht einfach mit in den eisigen Himmel gerissen zu werden. Ein Unfall ? , fragte sich Quinn. Oder etwas Schlimmeres. Ein übereilter Start. Das würde bedeuten, das Andre drauf und dran war, seine kleine Flotte wieder in die Luft zu schicken. So oder so, sie mussten handeln. Wo war nur Lucien wenn man

ihn brauchte? Andre de Immerson hatte es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, die Wartung seiner Luftschiffflotte selbst zu überwachen. Lucien hatte keine Zeit gehabt, sich mit den anderen Abzusprechen. Vermutlich wären sie ohnehin dagegen gewesen. Aber hier ging es um die Sicherheit des ganzen Kaiserreichs. Der Agent hatte sich ohne Probleme aus dem Anwesen und hinaus zu den Baustellen geschlichen und sich die Uniform eines von Andres Soldatenangeeignet. Nun hockte er im Schatten, verborgen zwischen Stapeln

mit Bauholz und einem seltsam dichten Gewebe, das wohl genutzt wurde, um die Außenhüllen der Luftschiffe abzudichten. Die Kälte kroch ihm langsam in die Knochen und machte es schwer, ruhig zu bleiben. Aber wenn er sich bewegte, viel er auf. Jetzt, wo er so nahe am Ziel war, würde er nichts mehr riskieren. Es reichte nicht, einfach Andres Luftflotte zu zerstören. Nein. Seine Armee war groß genug um die Berge zu überqueren. Selbst wenn sich ihr dabei die Garde in den Weg stellte. Andre de Immerson selbst musste ihnen in die Hände fallen. Und Lucien würde genau dafür sorgen. Keine hundert Schritte entfernt stand der

Mann, den er suchte. Auf einen silbernen Gehstock gestützt und eine Hand hinter dem Rücken besah sich der Herr Silberstedts grade eines der Schiffe. Offenbar war dieses so gut wie fertig, denn die meisten Sicherheitsleinen, welche es am Boden hielten, waren bereits entfernt. Nur noch einige wenige Arbeiter machten sich auf den Gerüsten und der Außenseite der Fahrerkanzel zu schaffen. Andre unterhielt sich derweil mit einem Mann, der den grauen Mantel eines Offiziers trug. Die Hand locker auf dem Schwertgriff abgestützt schien er bester Dinge. ,,Die Arbeiten schreiten gut Voran.“ ,

meinte er. ,, Und jetzt wo das…Ärgernis aus dem Weg ist, können wir bald wieder in die Luft. Wenn ihr euch selbst überzeugen wollt, Herr…“ Der Offizier machte eine Geste in Richtung des Luftschiffs, bevor sie beide durch eine Seitenluke in der Kanzel verschwanden. Lucien sah seine Chance gekommen. Er löste sich aus den Schatten und trat ohne zu zögern auf das Luftschiff zu. Ein paar Leute winkten ihm, als würden sie ihn kennen und er nickte nur, freundlich Lächelnd zurück. Die Tarnung war nicht perfekt. Die simpelste Kontrolle würde ihn sofort entlarven. Aber für den kurzen Weg auf der geschäftigen Baustelle reichte es

vollkommen aus. Ohne auf jemanden zu achten, trat er in den Schatten, den die Ballonhülle des Luftschiffs zeichnete, in dem Andre verschwunden war. Rasch näherte er sich der Kanzel. Das Holzkonstrukt war dicht mit Wolle isoliert und besaß nur auf der Vorder und auf der Rückseite richtige Fenster. In den Seiten gab es stattdessen kleine Bullaugen, unterbrochen von einer Luke, die ins innere führte. Unmöglich, das ihn jemand dadurch entdeckte. Trotzdem musste er schnell sein, sobald die Tür offen wäre. Lucien atmete tief durch. Er hatte einen Schuss. Der galt dem Offizier. Wenn Andre noch mehr Begleiter

hatte… Bevor der Agent noch länger zögern konnte, zwang er sich die Tür aufzustoßen und sofort ins innere zu springen. Sein Herz schlug bis zum Hals, als sich seine Augen an das trübe Licht gewöhnten, das durch die Scheiben hereinviel. Andre de Immerson stand mit dem Graumantel an einer Tafel voller seltsamer Instrumente. Lucien war in Vara aufgewachsen und wenn es einem Ort gab, an dem man seltsame Dinge fand, dann dort. Er erkannte ein Barometer, das typische, silberne Schimmern eines Thermometers und eine seltsame Ansammlung von Hebeln und Zahnrädern. Der Offizier wirbelte beim

Klang der auffliegenden Tür zu ihm herum und versuchte noch, zum Schwert zu greifen, wurde jedoch vorher von einem Bolzen in die Brust getroffen, der ihn von den Füßen riss. Andre reagierte langsamer und Luciens Anwesenheit wurde ihm erst bewusst, als der Offizier bereits tot in sich zusammensackte. ,,Was…“ , setzte er an. Lucien warf die Tür zu und verriegelte sie rasch. ,,Andre de Immerson. Im Namen des Kaiserreichs von Canton, ihr steht ab sofort unter Arrest, bis ihr euch zu den Vorwürfen äußern könnt, die man gegen euch hält.“ ,,Nette Ansprache. Wir sind in meiner

Stadt. Wie wollt ihr das bewerkstelligen? Ihr…“ Lucien schubse den alten Mann lediglich beiseite, so das er an das Instrumentenbrett gelange konnte. ,,Ich habe auch nicht vor, euch hier unter Arrest zu stellen. Ich bringe euch weit, weit weg. Was macht der Hebel hier ?“ Er packte einen der silbernen Stifte, die mit einer ganzen Reihe von Getrieberädern Verbunden waren. ,, Ihr glaubt nicht ersthaft, das ich euch verrate…“ Lucien ließ ihn nicht ausreden, sondern zog einfach daran. Durch den gesamten Schiffsrumpf lief ein Beben. Er ruderte mit den Armen um das Gleichgewicht zu

halten, während Andre tatsächlich zu Boden stürzte. Draußen lösten sich mehrere Gerüste ab und fielen Polternd in sich zusammen. ,, Ihr seid Verrückt. Ihr bringt uns beide um! Wenn sich in den Getrieben für die Ruder ein Funken bildet…“ ,,Das riskier ich. Mir war sowieso kalt.“ Lucien drückte weitere Hebel nach unten und das deutliche Knirschen von sich ineinander verhakendem Metall war zu hören. ,, Aber wenn euch euer Leben lieb ist, ,sagt ihr mir besser, wie ich diesen Schrotthaufen in die Luft bekomme.“ Andre sah ihn nur entsetzte an, als er Hand an einen weiteren Hebel

legte. ,, Nicht ?“ , fragte der Agent. ,, Na schön, dann eben…“ ,,Halt !“ Endlich verlor der Lord die Nerven. ,, Also schön. Aber nehmt die Hand von dem Hebel, oder wir werden alle brennen!“ ,,Ich höre…“ Lucien zog den Arm zurück. Andre trat an ihm vorbei und zog selbst mehrere Schalter. Erneut lief ein Ruck durch das ganze Konstrukt… und dann löste es sich tatsächlich vom Boden. Lucien konnte nur erstaunt zusehen, wie der Grund plötzlich unter ihnen zurück blieb. Menschen und Häuser wurden zunehmend Kleiner, während das

Luftschiff über Silberstedt aufstieg. Und dann geschah etwas, das er bereits erwartet hatte. Auf der mittlerweile klein wirkenden Baustelle unter ihnen brach euer aus. Zuerst war es nur eine Flamme, die an der Seite eines einzigen Ballons aufloderte. Aber das würde nicht lange so bleiben. Andre bemerkte es offenbar auch, den Lucien konnte sehen, wie der Mann auf einmal bleich wurde.

Kapitel 70 Entkommen


Syle bemerkte nur, wie der Zauberer stehen blieb. ,, Besser wir beenden es jetzt.“ , meinte er und Tamyra nickte. ,,Also gut. Sobald die Schiffe brennen, schlagen wir uns in die Straßen durch und tauchen unter. Wir versuchen es getrennt wieder aus der Stadt zu schaffen. So fallen wir weniger auf.“ ,, Gut.“ , stimmte Tamyra zu. ,, Wir treffen uns bei unserem alten Lager. Und niemand wartet länger als einen Tag auf den Rest. Quinn zögerte nicht lange, während die anderen ihm die Treppe hinab folgten.

Syle konnte nur sehen, wie in seinen Händen auf einmal Flammen aufloderten. Rot-golden und Grell genug, um das dämmrige Sonnenlicht des winterlichen Silberstedts zu überstrahlen. Wie eine Lanze jagte es aus den Händen des Zauberers auf das erste Luftschiff zu und durchschlug die Außenhülle, als wäre es nichts. Flammen loderten einen Moment daraus hervor, die sich langsam über das Gewebe ausbreiteten. Und dann schien die Welt einen Moment jeglichen Kontrast zu verlieren. Licht brauch aus der sich auflösenden Hülle hervor, während eine aufgeheizte Windböe Syle und die anderen fast von den Füßen riss. Handwerker und Soldaten, die das Pech

hatten, zu nahe an der Explosion zu stehen, wurden wie Spielzeug durch die Luft geschleudert. Schnee und Eis gehörten innerhalb von wenigen Augenblicken zur Vergangenheit und schmolzen zu Pfützen. Brennende Trümmerstücke gingen über ihren Köpfen nieder, oder regneten auf das Herrenhaus und teilweise auf Silberstedt herab. Syle stellte jedoch überrascht fest, das er nicht das Geringste hörte. Als hätte jemand seine Ohren mit Watte ausgestopft war selbst das Geräusch der Explosion nur als tiefes Grollen im Boden unter seinen Füßen zu spüren. Götter, war er taub? Ein Schrei belehrte ihn jedoch eines besseren. Nicht taub,

aber nahe dran. ,,Wir müssen hier weg.“ , rief Tamyra . Ihre Stimme schien, wie alles andere auch, von weit her zu kommen. Weg… Ja richtig. Und zwar sofort. Solange Andres Leute noch durch die Feuer abgelenkt waren. Er machte einen unsicheren Schritt die Treppe hinab. Einen zweiten. Und dann fing das nächste Schiff Feuer… Es hatte etwas faszinierendes, zuzusehen, wie die Flammen übergriffen. Funken und Glut holten, beinahe wie eine Hand, nach den übrigen Luftschiffen aus, entzündeten auch dort die leicht brennbaren Hüllen, so das Gas nach außen trat, das sofort Feuer

fing. Eine weitere Schockwelle jagte über das Gelände, blies den restlichen Schnee beiseite und legte das tote Gras darunter frei. Dachziegel wurden von den Dächern geschleudert und brachte nun auch die drei Gestalten jenseits der Baustelle zum stolpern. Eine zweite Folgte, eine dritte… Syle hielt einfach den Kopf unten und fragte sich insgeheim, ob die Welt nicht jeden Augenblick einfach entzwei springen würde. Erst, als auch die letzte Detonation schon einige Herzschläge verklungen war, wagte er es aufzusehen. Tamyra und Quinn taten es ihm gleich. Von der Baustelle war nicht mehr viel

übrig. Genau so wenig, wie von der Mauer, die den Innenhof einmal begrenzt hatte. Luft und Erde selbst schienen zu brennen. Die Innengerippe der Ballonhüllen ragten wie die Knochen eines gestrandeten Ungetüms aus dem Inferno hervor. Asche wehte durch die Luft. Tote und Verletzte lagen über das gesamte Feld verstreut und selbst jene, die noch aus eigener Kraft gehen konnten, starrten wie gebannt auf die Flammen, die nun zunehmend auch auf das Herrenhaus übergriffen. Die Fenster dort warendurch die Schockwelle längst in ihren Rahmen zersprungen. Das Holz der Dächer geriet in Brand und verstärkte noch den Eindruck, dass die

Welt wirklich komplett in Brand geraten war. Aber das stimmte nicht, dachte Syle. Er brauchte nur nach Silberstedt hinab zu sehen. Zwar waren dort ebenfalls einzelne Feuer ausgebrochen, aber nun zahlte es sich aus, dass Andre sein Anwesen etwas abgeschiedener Gebaut hatte. Die Bewohner unterbrachen ihre Arbeit und stürmten in Scharen auf die Straßen. Doch keiner von ihnen rannte zum Herrenhaus um dort beim Löschen zu helfen. ,, Wir… Nur Weg. Weg von hier.“ , brachte er schließlich erstickt hervor. Der Rauch brannte ihm in den Lungen und die Hitze versengte seine Haare. Durch Flammen und Rauch schleppte

sich die dreiköpfige Gruppe über den Innenhof. Immer darauf bedacht, dem Inferno endlich zu entkommen . Damit hatte er nicht gerechnet, dachte Syle. Er hatte geglaubt, die Schiffe würden einfach abbrennen. Aber das hier… Selbst Quinn sah immer wieder verwirrt, zwischen seinen Händen und dem Flammenmeer hin und her. Der Zauber hätte das garantiert nicht angerichtet. Hinter ihnen ertönte ein lautes Poltern, als die ersten, brennenden Balken ins innere des Herrenhauses brachen. Nun schlug das Feuer nicht nur aus den Dächern, sondern auch aus den zerborstenen Fenstern und den Türen, zu denen die Bewohner herausströmten.

Dichter Rauch hing über der ganzen Szenerie… Endlich hatten sie das Ende der Treppe erreicht. Syles Augen tränten, als er fast in etwas hineingelaufen wäre, das ihm im Dunst kaum auffiel. Es war eine Strickleiter, so völlig irrational das schien. Hatte er zu viel Rauch eingeatmet, halluzinierte er, oder schwebte da wirklich Stufen direkt vor ihm… Die anderen bleiben ebenfalls stehen. ,,Leute, beeilt euch , ich will hier nicht den ganzen Tag warten.“ Syle sah verwirrt nach oben. Durch Rauch und Flammen konnte er wage die Umrisse eines weiteren Luftschiffs ausmachen.

Die Leiter, die ihn kurz so stutzig gemacht hatte, hing aus der geöffneten Tür der Gondel darunter und in der Tür lehnte ein überschwänglich winkender Lucien. Das gab es doch einfach nicht, dachte er, während er die Leiter für Quinn und Tamyra festhielt. Der Mann würde ihm besser erklären, wie er das wieder fertig gebracht hatte. Der Zauberer und die Diplomatin kletterten rasch hinauf, während der Gejarn noch einen Blick zurück auf das Inferno warf. Grade, als er den ersten Fuß auf die Leiter setzte, erzitterte der Boden erneut unter ihm. Während Syle die Leiter erklomm, sah er entsetzt, wie das komplette Anwesen ein Stück

absackte. Risse bildeten sich in den Wänden und die Feuer schienen noch einmal etwas an Intensität zuzunehmen. Und dann fiel es, fast unmerklich langsam, in sich zusammen. Der Boden selbst öffnete sich um die Gebäude zu verschlingen, die, eines nach dem anderen zerbröckelten und in die Dunkelheit stürzten. Eine gewaltige Höhle, die sich einfach unter dem Anwesen auftat…. Syle wendete sich von dem Anblick ab und kletterte rasch weiter die Stufen der Strickleiter hinauf. Oben warteten bereits Tamyra, Quinn und Lucien, die ihm die Hände entgegenstreckten und ihn mit einem Ruck ins Innere der Kanzel

zogen. ,,Wie bei allen Göttern seid ihr an das Luftschiff gekommen ?“ , fragte er. ,,Habe ich mir ausgeliehen.“ , erklärte der kaiserliche Agent nur, während er dem Gejarn endgültig an Bord hievte. In dem Moment jedoch, wo er den ersten Schritt in die Kanzel machte, bewegte sich eine vierte Gestalt im, nach den Flammen dunkel erscheinenden, Raum. Andre de Immerson trat von der Steuerung des Luftschiffs zurück und stürzte sich auf die vier Gefährten. Scheinbar in der Hoffnung, sie alle zusammen hinaus zu stürzen. Etwas blitzte in seiner Hand auf und Syle erkannte grade noch die Klinge eines

Messers, bevor die anderen zur Seite stürzten. Andre hatte sich ganz offenbar in dem Gejarn verschätzt. Der Aufprall nahm Syle zwar kurz den Atem, brachte ihn jedoch nicht zu Fall. Stattdessen trat er nach dem Lord, der zurückstolperte und mit dem Messer zuschlug. Syle riss die Arme hoch, um sich vor der Waffe zu schützen und spürte, wie ihm der Stahl trotzdem die Haut ritzte. Brennende Schnitte, die aber nicht so tief waren, wie Andre wohl beabsichtigt hatte. Syle schüttelte den kurzen Schock lediglich ab und schlug selber zu. Er traf Andre in die Magengrube und der Hieb nahm Andre erneut die Luft. Er klappte zusammen, gab sich jedoch immer noch

nicht geschlagen. Mit einem letzten Aufschrei ging er erneut auf Syle los. Dieses Mal war dieser schneller und wich aus. Weg von der nach wie vor offen stehenden Luke. Andre war zu schnell um sich noch abzufangen. Er schwankte einen Moment in der Tür und verlor dann endgültig das Gleichgewicht. Mit einem Aufschrei stürzte er haltlos in die Tiefe. Syle sah ohne Rührung nach unten. Lord Andre schlug ungebremst im Schnee des Brachlands vor Silberstedt auf und blieb regungslos liegen. Die Stadt lag mittlerweile ein Stück hinter ihnen, trotzdem war der rötliche Schein der Flammen kaum zu übersehen. ,, Hoffentlich ist er Tod.“ , bemerkte

Quinn angespannt. Syle nickte. Das musste er einfach sein. Er wollte sich schon abwenden, dann jedoch bewegte sich der vermeintlich Tote wieder. Andre rappelte sich mit schmerzverzehrtem Gesicht auf und starrte mit leeren Augen nach oben. Blut troff ihm aus dem Mundwinkel und ein Bein war in einem unmöglichen Winkel verdreht. Aber er atmete noch… Syle griff zum Gewehr um dem Mann endgültig den Res zu geben. Bevor er jedoch zum Zielen kam, wurde das Luftschiff von einer starken Windböe geschüttelt, wodurch er fast selber den Halt verlor. Tamyra riss ihn jedoch zurück, bevor er Andres Schicksal

teilte. ,,Lasst ihn.“ , meinte sie. ,, Wir haben erreicht, was wir wollten.“ Syle nickte nur, konnte die Enttäuschung jedoch nicht ganz Verbergen. Sie hätten es grade endgültig beenden können. Ohne einen Anführer und vor allem Bezahlung würden sich Andres Truppen sicher einfach zerstreuen. Mit den Adeligen, die sich ihm vielleicht angeschlossen hatten, wären sie dann einfach fertig geworden. Jetzt… Jetzt stand ihnen immer noch ein Krieg bevor… Und je schneller sie nach Canton zurückkehrten um Dagian oder sonst jemanden mit Befehl über die Garden zu kontaktieren, desto besser. Am liebsten

hätte der Gejarn direkt Kellvian bescheid gegeben, aber der junge Kaiser war eine halbe Welt entfernt. Für den Moment wären sie auf sich gestellt. Slye schloss die Luke der Kanzel. In der Entfernung konnte er nach wie vor die Flammen sehen, die über Silberstedt gen Himmel schlugen. Sie hatten sich Zeit erkauft. Hoffentlich genug. Das war immerhin etwas. Lucien hatte sich derweil der verwirrenden Vielzahl an Instrumenten zugewandt, die in der Kanzel angebracht waren. ,, Ihr hättet ihn nicht zufällig vorher fragen können, wie man das Teil steuert, oder ?“ , fragte er und stand ratlos vor

den hebeln und Anzeigen. Das Barometer fiel, genau wie das Thermometer. Der Wind hatte ebenfalls aufgefrischt und trieb das führerlose Luftschiff immer weiter nach Südwesten. Auf die Berge zu… Der Gejarn setzte sich mit dem Rücken zur Tür und betrachtete die Schnitte, die Andres Angriff auf seinem Armen hinterlassen hatte. Die meisten davon waren nicht besonders tief und würden einfach heilen. Trotzdem riss er ein paar Streifen aus seinem Umhang und Band alle Verletzungen, die stärker bluteten damit ab. Auch die anderen hatten kleinere oder größere Blessuren davon getragen und

ihre Gesichter waren alle Rußverschmiert vom Feuer. Aber sie hatten es geschafft. Sie lebten noch alle. Quinn rang sich ein gequältes Lächeln ab. ,, Mal sehen wo unser unfreiwilliger Kreuzflug endet.“ ,, Bei unserem Glück ?“ , fragte Lucien. ,, Ich würde sagen, direkt über dem Schlund eines Vulkans. Das heißt, wenn uns das Schiff nicht vorher um die Ohren fliegt.“ ,,Ein Berggipfel.“ , fügte Tamyra hinzu. ,, Vermutlich der höchste den wir finden können.“ Syle lehnte sich nur zurück und schloss einen Moment die Augen. Er verstand, das er fürs erste nichts mehr tuen

konnte. Keiner von ihnen. Der Rest, der lag bei anderen… Hoffentlich kehrte Kellvian bald zurück. Bevor das Chaos endgültig seinen Lauf nehmen musste. ,, Spaß beiseite Lucien. Ihr wisst aber schon, wie wir wieder auf den Boden kommen, oder?“ , fragte Syle. ,, Ähm…“

Kapitel 71 Des Rätsels Lösung


,,Ich habs.“ Erik platzte ohne Vorwarnung in die Kajüte der Windrufer, einen ganzen Stapel Schriftrollen in der Hand. Die übermüdeten Augen des Arztes leuchteten, als er ohne die verdutzten Blicke der Anwesenden groß zu beachten, den ganzen Papierstapel auf dem Tisch abstellte. Der Mann hatte zwar gemeint, etwas gefunden zu haben, aber bei der Ansammlung aus Abschriften und mit Runen überzogenem Pergament kamen Kellvian doch leichte Zweifel. Was hatte Erik

vor? Er, Eden Wys und Jiy hatten sich in der Kajüte des Schiffs versammelt um auf ihn zu warten. Die Arbeiten an der Windrufer gingen gut voran und mittlerweile war ein Großteil des Schiffes bereits wieder zugänglich. Die gewaltigen Schäden, die das Feuer zu verantworten hatte, waren so gut wie verschwunden. Nur die Stellen, an denen neue Bretter eingesetzt worden waren, stachen noch als helle Flecken aus dem dunkel gestrichenen Rumpf heraus. Wenn nichts dazwischen kam, wäre das Schiff in weniger als einer Woche wieder Seetüchtig. Eden schien sich jedoch nicht recht

darüber zu freuen. Seit sie sich vor fast einem Monat mit den Magiern Helikes getroffen und dabei auch auf ihren alten Kapitän gestoßen waren, hatte sie sich zwar etwas gesammelt, aber noch immer hätte Kell mit jedem Mitleid, der die Gejarn auf dem falschen Fuß erwischte. Trotzdem, es war schön zu sehen, dass es ihr langsam besser ging. Cyrus und Zachary fehlten ihm selber. Er hatte zwar wenig mit den beiden gesprochen, aber ihr Fehlen hinterließ eine spürbare Lüke. Wie Erik damit klar kam, war für ihn wiederum nach wie vor ein Rätsel. Der Mann hatte sich die letzten Wochen noch mehr in Schriften und Büchern

vergraben. Wenigstens schien es etwas gebracht zu haben. Kellvian hasste sich für den Gedanken, aber er wurde langsam Ungeduldig mit dem Alten. Etwas zerrte schon länger an seinem Verstand. Schwächer , seit sie Canton verlassen hatten, aber immer noch spürbar. Vielleicht war es auch nichts und nur die Folge von zu viel Müßiggang in letzter Zeit. Von den Gelegenheiten, wo er Zyle oder Relina sah um letzte Details abzusprechen oder von einzelnen Besuchen in den Archiven abgesehen, gab es nur abwarten. Jiy hatte Vorgeschlagen, das er für die Flucht der Magier ein Schreiben an die Archonten richtete. Etwas, das er ihnen

bei ihrer Abreise aushändigen könnte. Nur um sicherzugehen, das ihnen klar war, das Relinas Leute auch unter dem Schutz Cantons ständen. Es würde das geringe Vertrauen, das er erworben hatte, endgültig zerstören, aber es war wichtig. Erik riss ihn aus seinen Gedanken. Der Arzt blätterte eifrig die Papierstapel durch und förderte schließlich eine in Pergament eingeschlagene Tafel zu Tage. Sie war aus grauem Stein gefertigt und dicht mit den typischen Symbolen des alten Volkes beschrieben. Breite Risse zogen sich durch den Stein, dort, wo sie zerbrochen und vorsichtig wieder zusammengesetzt worden war. Kellvian

trat an den Tisch und nahm vorsichtig einen der Splitter in die Hand. Er erkannte ein paar Worte der hohen Sprache, aber damit erschöpften sich seine Kenntnisse auch schon. Das Zeichen für Leben tauchte mehrmals auf. Eine verschlungenes Symbol, halb Rune, halb Fließschrift, die von ihrer Form her einem Baum mit vier ausladenden Zweigen glich. ,,Was ist das ?“ , wollte Kellvian wissen, als er das Bruchstück zurück legte. ,, Eine Heidenarbeit , vor allen Dingen.“ , erwiderte der Arzt. ,, Das meiste hier sind meine Aufzeichnungen und einige Schriften, die Querverweise auf diese Schrifttafel enthalten. Ich habe den

ersten Teil der Tafel schon vor einer ganzen Weile gefunden, aber die Archive sind das reinste Chaos. Selbst nachdem ich mich jetzt mehrere Wochen durchgekämpft habe. Also habe ich bis jetzt gebraucht um wirklich sicher zu sein. Diese Tafel enthält einen Bericht über die letzten Tage des alten Volkes.“ ,,Was genau soll das heißen ?“ , fragte Wys. Der Archont hatte die Arme verschränkt und starrte unsicher auf den Stein. Als ob er durch reine Willenskraft enträtseln könnte, was darauf geschrieben stand. ,, Die Gelehrten Cantons wussten immer, das das alte Volk wohl sehr schnell ausstarb. Eine Zivilisation, die einstmals

die gesamte Welt beherrschte verschwand innerhalb weniger Jahre praktisch vollkommen. Und wir haben immer vermutet, dass sie wohl irgendeine Katastrophe ereilt hat. Offenbar hatten wir damit Recht. Sie starben wie die sprichwörtlichen Fliegen, wenn man dem hier,“ , er tippte demonstrativ auf die Tafel. ,,Glauben darf. Ob an einer Seuche oder etwas, das sie selbst über sich gebracht hatten… keine Ahnung. Der Punkt ist, sie gaben sich nicht einfach geschlagen.“ ,, Was haben sie getan ?“ ,,Das ist die Frage. Die Tafel ist unvollständig. Eines ist jedoch klar. Sie haben einen letzten Versuch gestartet,

ihre Art doch noch zu retten, Kellvian. Und zwar genau hier. Diese Maschinen in den Höhlen, das sind nichts als Wächter. Aber sie sahen es als ihre letzte Hoffnung an.“ ,, Und der Meister will, was immer sie dort unten eingeschlossen haben.“ Schlussfolgerte Jiy. ,, Damit kommen wir aber immer noch nicht selber daran. Die Tür ist immer noch verschlossen. Oder enthält diese Tafel auch Zufällig einen Hinweis darauf?“ ,,Geduld, meine Liebe, lasst mich ausreden. Das alte Volk ist etwas zu schlau gewesen um die Antwort auf ein solches Schutzrätsel mal eben in einem ihrer Texte zu vermerken. Aber wir

wissen, dass die Linien auf dem Tor zu irgendeinem Symbol angeordnet werden müssen. Einem aus ihrer Sprache, vermutlich. Etwas, das nur Bedeutung für jemanden hätte, der wüsste, was sich dahinter Verbirgt. Eine Letzte Hoffnung des alten Volkes auf…“ ,, Leben.“ , meinte Eden. ,, Darauf wollt ihr doch Hinaus, oder ?“ ,, Das Symbol für Leben oder ein anderes Zeichen, das damit Verwandt wäre, ja.“ Erik nickte. ,, Und was immer da unten ist, ich würde besser sagen, wir holen uns, bevor unser alter Zaubererfreund auf die gleiche Idee kommt.“ ,,Wir müssen sofort zurück zu den

Minen.“ , erklärte Kellvian aufgeregt. Das war, worauf sie die ganze Zeit gewartet hatten. Und selbst wenn es sich Eriks Vermutung als Falsch erwies, sie konnten die Tür jetzt nicht mehr einfach Unbewacht lassen. Und wenn er recht hatte… ,, Wys, wir werden eure Leute brauchen.“ Die Gardisten aus Kalenchor zurück zu holen, würde zu lange dauern. Und er wollte nicht warten. ,, Wir haben aber keine Ahnung was uns genau erwartet, oder ?“ , fragte Jiy derweil. ,, Aber wir können es uns auch nicht erlauben, zu zögern, Jiy.“ Er wendete sich wieder an den Archonten. ,, Wie

schnell könnt ihr eure Leute zusammentrommeln ?“ ,, Gebt mir eine halbe Stunde, dann habe ich einen Trupp Paladine organisiert.“ , erklärte er und fügte hinzu : ,, Wir treffen uns dann am Stadttor.“ ,, Gebt uns nur Zeit, Zyle zu informieren, dann…“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden. ,,Nein.“ Wys Stimme zitterte wütend. ,, Nein.“ , wiederholte er ruhiger. ,, Wenn ihr Zyle dabei haben wollt… könnt ihr auf meine Hilfe verzichten. Und auf die der Archonten erst recht.“ Mit diesen Worten wendete sich der Archont ab und verließ die Kajüte. Die Tür warf er hinter sich mit lautem

krachen zu. Kellvian blieb nur, sich verwirrt am Kopf zu kratzen. Was war das den bitte grade? ,,Das ist nicht gut.“ , meinte Jiy und sprach damit genau seine Gedanken aus. Wie abgesprochen, standen sie keine halbe Stunde später vor den Toren Helikes. Es war kurz nach Mittag und die Sonne brannte auf die staubigen Straßen hinab, die sich von den Stadttoren aus die Küstenlinie entlang zogen. In der ferne ragte der Leuchtfeuerturm auf, der den Hafeneingang einnahm. Wie üblich war kaum jemand zu dieser Stunde unterwegs, sondern die meisten

Bewohner der Stadt und des Umlands suchten irgendwo Schutz, entweder in ihren Häusern oder im Schatten der verstreut stehenden Bäume und Palmen. Die gut zwei dutzend in Stahl gewendeten Männer, die entlang der Straße Aufstellung genommen hatten, schien das jedoch nicht zu stören. Dabei musste die Hitze sie in ihren Panzerungen und schweren Umhängen geradezu kochen, dachte Jiy. Nicht einmal ein Hauch Wind von der See brachte Kühlung. Trotzdem zeigte keiner von ihnen eine Regung, während sie auf Wys warteten. Der Archont trat als letzter aus der Stadt und warf noch einen letzten Blick zurück auf die hohen

Mauern und Türme, die von bunten Fahnen gekrönt wurden. Dann jedoch wendete er sich, scheinbar entschlossen, ab. Im Gegensatz zu den Paladinen, die in ihrer typischen Rüstung beinahe Fehl am Platz wirkten, trug Wys nur leichte Panzerung und einfache Handschuhe, die die Finger frei ließen. Eine Hand auf die Schwerter an seiner Hüfte gelegt, besah er sich die Soldaten Helikes kurz. ,,Also dann, die Archonten sind informiert, aber außer mir, wollte euch niemand begleiten.“ , meinte er schließlich an die wartende Gruppe, bestehend aus Eden, Kellvian, Jiy, und Erik gerichtet. ,,Wieso nicht ?“ , fragte Jiy. Die Gejarn

sah zu den anderen, die sich die gleiche Frage zu stellen schienen. ,, Diese Frage könnt ihr euch selber beantworten. Jona ist kein Krieger und was die anderen beiden angeht… so fürchte ich ernsthaft, sie hoffen, das ich einfach nicht zurückkehre. Dann haben sie endgültig freie Hand.“ ,, Wenn das so ist, solltet ihr vielleicht hier bleiben.“ , bemerkte Erik. Wys schüttelte nur den Kopf. , Cadus und Chonar wollten nur Truppen losschicken, wenn ein Archont die Aufsicht darüber hat. Ihr seht also. Bleibe ich, bleiben die Truppen. Ich wünschte nur, wir hätten mehr Unterstützung. Aber das ist alles, was

ich ihnen abschwatzen konnte.“ ,, Da kann ich vielleicht Abhilfe schaffen.“ , meinte eine weitere Gestalt, die aus den Stadttoren trat. Das Schwert lose an einem Gürtel über den Rücken gehängt und in eine dunkle Reiserobe gekleidet, wirkte er bester Dinge. ,,Laos… „ Wys klang ernsthaft überrascht. ,,Was tut ihr hier ?“ ,, Wonach sieht es denn aus ?“ , fragte der Mann und gürtete sich das Schwert um. ,, Ich werde euch begleiten. Als Lehrer bin ich Helike nicht mehr von nützen, aber als Klinge schon. Ihr dachtet doch nicht etwa, ich würde nicht mitbekommen, das ihr wieder

aufbrecht?“ ,,Nein Herr, wir dachten nur…“ ,, Schon gut. Ihr sollt euch nicht immer alle vor mir rechtfertigen.“ Laos seufzte schwer. ,, Machen wir uns auf den Weg.“ Der Weg würde sie schon wie beim letzten Mal den ganzen Tag und einen Teil der Nacht kosten. Dieses mal jedoch, fiel es Jiy um einiges Leichter, in der Hitze mit Wys und seinen Leuten Schritt zu halten. Man gewöhnte sich wohl wirklich daran, dachte sie. Und auch wenn sie schnell vorankamen, wurde sie das ungute Gefühl nicht los, das sie beschlichen hatte, seit Erik ihnen seine Entdeckung erläutert hatte. Das Gefühl, das sie grade genau das falsche

taten. Obwohl sie nicht genau benennen konnte, woher der Gedanke kam, aber was, wenn sie genau das taten, was der Meister von ihnen erwartete? Es wäre nicht das erste Mal. Und der seltsame Zauberer musste damit rechnen, oder? Es war nur logisch, das sie nach einem Weg durch das Tor suchen und diesen früher oder später auch finden würden. Entweder also, setzte er darauf, schneller als sie zu sein oder… Etwas holte sie unsanft zurück in die Wirklichkeit. Sie wäre beinahe in Erik hineingelaufen, der ohne Vorwarnung stehen geblieben war. ,, Was ist ?“ , wollte sie wissen, während der Mann scheinbar

Gedankenverloren in die Ferne starrte. Über die endlosen Dünen hinweg, praktisch genau nach Süden. Als ob dort draußen etwas wäre, das nur er sehen konnte. Die anderen machten einfach einen Bogen um den Arzt, aber Jiy blieb stehen. ,,Nichts, ich dachte nur grade an Cyrus und Zac. Ich werde auf eine alten Tage noch melancholisch.“ Er lächelte schief. , , Ach das nimmt mir eh keiner ab. Ich mache mir Sorgen um sie.“ ,,Sorgen ?“ Jiy blinzelte verwirrt. Der erste Gedanke, der ihr kam war, das Erik in der Hitze und dem ganzen obskuren Wissen aus den alten Schriften einfach etwas durcheinander gekommen war. Der

Mann schien seine Worte jedoch absolut ernst zu meinen. ,, Aber… ,,Ich weiß, ich weiß. Aber ich glaube keine Sekunde, dass sie wirklich tot sind, Jiy. Ich habe den Schaden gesehen, den das Feuer angerichtet hat, verdammt ich habe die Verletzten behandelt, die heraus kamen. Es war schlimm, ja aber es hätte auf keinen Fall alle Überreste vernichten dürfen. Das weiß ich einfach…“ Jiy wollte ihm gerne glauben. Und sie hätte es auch getan. Erik wusste normalerweise wovon er sprach. Aber Trauer und Ungewissheit konnten auch den schärfsten Verstand trüben.“ ,,Aber wo sind sie dann

?“ ,, Das ist die frage nicht war…“ Er hielt inne und sah sie an. ,, Ihr glaubt ich rede mir etwas ein, ja ?“ ,,Vielleicht.“ Erik schmunzelte. ,, Wenn man so alt wird wie ich, gewöhnt man sich daran, das die Leute wegsterben, Jiy. Ich halte es auf Distanz… Und auch andere Leute, soweit möglich. Nein. Nein ich mache mir keine falschen Hoffnungen. Ich weiß es ganz einfach nur sicher. Das habe ich auch schon versucht Eden zu sagen. Das habe ich auch schon versucht Eden zu sagen. Und vielleicht solltet ihr einfach nichts auf das Geschwätz eines alten Narren geben.“ Er zwinkerte und setzte

sich wieder in Bewegung.

Kapitel 72 Der zweite Abstieg


Sie waren schneller gewesen, als gedacht. Als sich die Dämmerung über die Wüste senkte, bot sich das altbekannte Farbenspiel, das schon den Sonnenaufgang begleitete. Der Sand strahlte im letzten Tageslicht rot und golden in allen denkbaren Schattierungen. Jiy hatte gemeint, das sie nicht wussten, was sie erwartete. Und das stimmte. Wenn sie sich mit ihrer ewigen Neugier nicht sofort hellauf begeistert davon war… Ein Teil von ihm meinte, das es vielleicht das Beste wäre,

auf sie zu hören. Zu warten, bis sie besser Ausgerüstet waren oder genau wussten, wonach sie eigentlich suchten. Aber verflucht wollte er sein, wenn er jetzt zögerte. Kellvian hatte sich mit Laos und Wys an die Spitze der kleinen Truppe gesetzt, die sich durch die Wüste schleppte. Der Archont war etwas zurückgefallen, während Kellvian grade eine weitere Düne erklomm. Die Minen konnten nicht mehr weit sein, dachte er, als er den Gipfel der Düne erreichte. Laos stand nach wie vor dort und sah auf etwas , das bisher außerhalb von Kellvians Sichtfeld gewesen war. Tatsächlich konnte er knapp vor dem Horizont bereits die steinigen Ebenen

erkennen, welche die Minen umgaben. Und als kaum erkennbarer Schatten die zerstörten Gebäude und Wälle, die sie einstmals geschützt hatten. ,, Es ist nicht mehr weit.“ , meinte Kellvian, hauptsächlich um irgendetwas zu sagen. Laos nickte nur. Der Mann sah alles andere als glücklich darüber aus und setzte sich wortlos wieder die Düne hinab in Bewegung. ,,Erinnert ihr euch was ich euch gesagt habe… das ich nicht weiß, was ich bin ?“ , meinte eine Stimme hinter ihm. ,, Und das ihr fürchtet, das ihr euer Volk in den Untergang geführt haben könntet.“ Laos nickte, als er den Kaiser bei seinem

Abstieg überholte. ,, Mittlerweile bin ich davon sogar überzeugt.“ ,, Ihr habt mir außerdem gesagt, das ihr darauf hofft, das wieder gut machen zu können. Also tut es. Wenn jemand die Macht dazu hat, dann doch wohl ihr ?“ Sie hatten das Ende der Schräge erreicht und traten auf die Geröllebene hinaus, die sie direkt zu den Minen führen würde. Es war nach wie vor ein Stück, aber das schlimmste war geschafft. So weit es die Reise anbelangte zumindest, dachte Kellvian. ,, Ich fürchte, dafür ist es zu spät. Ich habe genug Schaden angerichtet.“ Kellvian wurde langsamer. ,, Das klingt als wolltet ihr

Aufgeben.“ ,, ich habe Aufgegeben. Schon… vor einer ganzen Weile. Ich kann nicht wieder gut machen, was die Jahrhunderte angerichtet haben. Versteht ihr, es ist nicht nur in ihren Köpfen… es ist zum Knochen geworden, der den gesamten Körper trägt. Und was ist ein Körper ohne Knochen noch wert, auch wenn sie morsch sind?“ ,,Besser als eine Lüge ist es doch alle mal.“ Kellvian war sich kurz unsicher ob das stimmte. Vielleicht wollte er es auch einfach nur Glauben. ,, Ihr seid praktisch ihr Gott.“ ,, Und als ihr Gott, muss ich stillschweigen. Was meint ihr, sprechen

die Götter eures Volkes denn noch zu euch?“ ,,Vergebt mir, aber ich habe mich selten um die Götter geschert. Aber ein alter Freund von mir meinte einmal, dass wir alle letztendlich wie Fäden in einem großen Spinnennetz wären. Gewebt aus dem Schicksal von jedem von uns.“ ,, Und glaubt ihr, er hatte recht damit ?“ ,,In Gewisser weise. Er meinte auch immer, dass die einzelnen Drähte darin… schwingen können. Ich schätze, das soll heißen, das nichts je vollkommen Gewiss ist.“ ,,Ihr meint also, das ich es riskieren sollte.“ , schloss Laos. ,,Ich… Nein. Ich will mich nicht

einmischen. Noch weniger will ich euch sagen, was ihr zu tun hättet.“ Kellvian schüttelte den Kopf. Laos war leicht doppelt so alt, wie er. Das ihn diese Mann um Rat fragte oder sich auch nur so ungezwungen mit ihm unterhielt hatte etwas Befremdliches. Andererseits, wen hatte er den noch ? ,, Aber ihr seid kein Gott, Laos. Ihr seid hier, greifbar, für jeden.“ ,,So wie ihr. Und habt ihr deshalb all eure Ziele erreicht?“ Kellvian lachte. ,, Nein.“ Ganz sicher nicht. Er fürchtete sogar, weit davon entfernt zu sein, den ersten Schritt dafür zu tun. ,, Manchmal glaube ich, ich bin alt und grau, bis ich so weit bin, auch

nur anzufangen. Ohne Jiy hätte ich vielleicht schon aufgegeben.“ Er hätte sogar ganz sicher aufgegeben, dache Kellvian. Es gab genug Hürden, bei denen er kurz davor gewesen war. Angefangen von dem Moment, in dem er damals in die fliegende Stadt zurückgekehrt war, bis zur Entscheidung durch die Adelsversammlung. ,,Ihr liebt sie.“ Es war eine Feststellung keine Frage. ,, Nennt mich einen hoffnungslosen Romantiker… aber mehr als mein Leben. Und lasst sie das bloß nicht hören, sonst darf ich mir vermutlich eine Standpauke darüber anhören, was mir wichtiger sein sollte, als sie.“ Ihm fielen wieder die

Ringe ein, die, gut versteckt in einer Schublade an Bord der Windrufer lagen. Nachdem das Schiff wieder repariert war, hatte er keinen Sinn darin gesehen, sie weiter mit sich herum zu tragen, bis er sie wirklich brauchte. Nur bekam er eigentlich je die Gelegenheit dazu? Der letzte Monat wäre perfekt gewesen, aber etwas hatte ihn zurück gehalten. Und jetzt… jetzt ging es wieder ins Ungewisse. Vor ihnen tauchten jetzt die ersten Überreste des Minencamps auf. Die in sich zusammengefallenen Palisaden waren endgültig unter dem sich ansammelnden Flugsand verschwunden. Eden, Jiy, Kellvian, Erik, Wys und

Laos traten vorsichtig zwischen die Ruinen. Zwar war es unwahrscheinlich, dass sie einen Uhrwerkkrieger übersehen hatten, aber keiner von ihnen wollte ein Risiko eingehen. Die Paladine, die sie begleiteten schwärmten aus und sicherten das Gelände zusätzlich ab, während sie sich dem Eingang zu den Höhlen näherten. Mit gezogenen Schwertern traten sie abermals in die Dunkelheit, die gleich darauf von mehreren Fackeln erhellt wurde. Der Abstieg kam Kellvian dieses Mal viel länger vor. Beim letzten Mal hatte ihn die Angst beschäftigt, was geschah, wenn ihr Plan nicht aufging. Dieses Mal jedoch blieb nur Ungeduld darüber, ob sie den Weg umsonst

gemacht hatten… oder ob Erik Recht behielt. Der blaue Lichtschimmer war nach wie vor da und erfüllte den Minenschacht mit einem steten, schummrigen Licht, das wie Wasser über die Felswände floss. Am Boden des Schachts wiederum wurde es hingegen von dutzenden Metallsplittern und den regungslosen Hüllen von dutzenden gefallenen Metallkrieger wiedergespiegelt. Als sie das Ende des Schachts erreichten trat Kellvian vorsichtig an eine der Kreaturen heran und kniete sich auf dem Boden. Die Zahnräder, die am Halsansatz sichtbar waren, waren völlig zerfetzt. Einzelne Bruchstücke lagen um die erstarrte

Maschine verteilt. ,,Wenigstens die werden uns keine Probleme mehr machen.“ , meinte Eden Kellvian nickte. Wenigstens das. Er stand auf und klopfte sich Staub und kleine Steine aus der Kleidung. Hier gab es nichts mehr und es hatte keinen Sinn, den Moment der Wahrheit noch lange hinaus zu zögern. Erik übernahm die Führung, als sie in den Tunnel traten. Das Licht, das das Portal abstrahlte war hier so stark, das sie die Fackeln nicht mehr gebracht hätten. Klar erkennbar, waren die hellen Kristalllinien, die den weißen Stein durchzogen. Gespeist von dem Bernsteinfarbenem Juwel in der Mitte.

Kellvian zwang sich, der Versuchung zu wiederstehen, eine Hand danach auszustrecken. Er wusste nicht, was geschehen könnte. Trotzdem, sobald er wusste, ob es sicher war, würde er den Stein zurück nach Canton bringen. Irgendwo, wo er sicher wäre. Die Macht, die der schimmernde Stein ausstrahlte, ließ ihm selbst auf die Entfernung einen Schauer über den Rücken laufen. Jiys Kette konnte er mit etwas Mühe finden. Er hatte die Träne Falamirs spüren können, die Zachary besaß. Aber das hier war, als sah man direkt in die Sonne. Nicht zu übersehen und beinahe Schmerzhaft. Wieder fragte er sich, zu was man so eine Macht brauchte. Es ging

um mehr, als nur eine Tür. Erik hatte derweil bereits die Hand nach dem Portal ausgesteckt. ,,Bereit ?“ , fragte er. ,, Bringen wir es hinter uns.“ Wys gab seinen Leuten rasch Befehl, Position zu beziehen. In Zwei Reihen vor dem Tor aufgestellt und die Schwerter griffbereit. Was immer sich dahinter verbarg, sie würden sich dem jetzt Stellen. Erik berührte die erste, blaue Kristalllinie, die daraufhin aufleuchtete. Erneut schien der Stein sich teilweise zu verflüssigen und erlabte es dem Arzt, die Linie neu anzuordnen. Das gleiche wiederholte sich bei der nächste und der übernächsten… Kellvian musste zugeben,

das es wohl doch nicht ganz so einfach war, das entsprechende Symbol darzustellen und er wusste nicht, wie der Arzt das fertig brachte. Die Linien passten nur manchmal und Erik fing mehrmals von vorne an, bis er den Bogen raus hatte und die meisten Kristalle endlich richtig anordnen konnte. War das Schauspiel Anfangs noch faszinierend, so wurde es schnell Nerv tötend. Das sie jetzt, so kurz vor dem hoffentlich Ziel noch immer warten mussten, rieb selbst die Disziplin der Paladine Helikes sichtbar auf. Die Männer wurden Nervös, traten von einem Fuß auf den anderen oder sahen sich im

Gang um. Nur Wys blieb völlig ruhig und starrte weiter auf den Arbeitenden Arzt. Kellvian setzte sich auf einem Felsen, der an der Wand lehnte und Jiy gesellte sich zu ihm. ,, Ich fürchte, du könntest recht haben.“ , meinte er nach einer Weile. ,, Wir machen vielleicht einen Fehler.“ Jiy zuckte mit den Schultern. ,, Wir können Wachen hier lassen und wieder kommen, wenn Erik mehr weis.“ ,, Und vielleicht wird er das nie. Es hat einen Monat gedauert, nur eine Antwort auf ein schlichtes Rätsel zu bekommen.“ ,,Und du willst wissen, was da drinnen ist.“ , schloss die Gejarn. ,, Da sind wir

schon zwei.“ In diesem Moment, fügte Erik die letzte Linie an ihren Platz ein. Kellvian sah auf, als ein leises summen die Luft erfüllte. Das Symbol war perfekt. Das direkte Abbild des Zeichens für Leben, das er auf der Steintafel gesehen hatte. Eine gewundene Halbrune, die an einen Baum erinnerte. Freilich war das Symbol hier so hoch wie ein Haus und leuchtete in einem grün-blauem Licht. Einen Moment, geschah gar nichts, außer, das das seltsame Summen noch höher wurde… dann sprangen die Linien auseinander, als wäre das Tor vor ihnen nicht aus Stein sondern wirklich… Wasser. Das Material zerfloss wie Honig.

Erst bildeten sich kleinere, tropfenförmige Risse, die sich jedoch rasch ausweiteten und das Portal verzehrten. Es verschwand einfach im Nichts… Nur eine einzige, feine Steinsäule in der Mitte des Torbogens blieb stehen und schloss den Bernstein, der einmal das Zentrum des Portals gebildet hatte, ein. Einige der umstehenden Soldaten hatten unwillkürlich einen Schritt zurück gemacht, nun jedoch, sammelten sie sich wieder. Der Raum hinter dem Torbogen und der verbliebenen Mittelstrebe, war Schwarz wie die Nacht. Ohne das leuchten der Kristalle, konnte man kaum einen Schritt weit sehen. Und das Licht

der hastig wieder entzündeten Fackeln, reichte nur aus, um einige Schritte weit zu sehen. Dann jedoch bewegte sich etwas in der Finsternis. Kellvian viel es nur auf, weil sich das Feuer darauf spiegelte. Er stand, Jiy an seiner Seite auf und griff zum Schwert. Das Surren und Summen von vorhin war immer noch da… Das Geräusch von Zahnrädern, die ohne jeden Fehler oder Reibung ineinanderliefen. Das Geräusch von nicht einer Maschine, nicht von einem dutzend… sondern von hundert. Als die ersten Maschinenkrieger ins schwache Lichtgeriet, spürte er, wie sich eine eiskalte Klaue aus Angst um sein Herz legte. Das würde kein einfacher

Kampf. Nicht einmal einer, vom dem er glaubte, dass sie ihn gewannen. Erik, der nach wie vor zu nah an dem offenen Portal stand, sah rasch zu, dass er aus der Schusslinie kam. Unbewaffnet war der Arzt kaum ein Gegner für eine dieser Kreaturen. Auch Wys , der in der forderten Reihe stand, wich etwas zurück. Laos hingegen zog das Schwert und blieb genau, wo er war. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht, während weitere Uhrwerksoldaten während bereits weitere Uhrwerksoldaten aus dem Schatten auftauchten. ,,Bereit machen !“ , rief er und löste damit die Erstarrung der anderen. ,,

Wenn sie angreifen, treibt sie zurück. Bleibt dicht zusammen. Achtet auf euren Rücken. Ihr wisst, wie ihr sie bekämpfen müsst, als fürchtet sie nicht. Und wenn ihr Fallt, fallt für eure Stadt.“

Kapitel 73 Die Schlacht in der Tiefe


Laos stürzte sich vor allen anderen den Uhrwerksoldaten entgegen. Einen Moment schienen die neu erweckten Kreaturen nichts mit dem Menschen anzufangen zu wissen, der mit erhobener Klinge auf sie zustürmte. Das änderte sich, als dieser die erste Maschine mit einem einzigen Streich fällte. Die schwach glühenden Kristalle in Brust und Augen erloschen augenblicklich und damit schwand auch auch die kurze Atempause. Uhrwerksoldaten und Paladine prallten in einem unübersichtlichen durcheinander

zusammen und das Aufeinandertreffen von Metall erfüllte die stehende Luft in den Tunneln. Laos ging durch die Reihen der Kreaturen, wie ein heißes Messer durch Butter. Der Mann schien weniger zu kämpfen als zu tanzen und nahm es leicht mit der Geschwindigkeit und Kraft der künstlichen Wesen auf. Kellvian hatte genug damit zu tun, selber am Leben zu bleiben und dem surrenden Metall auszuweichen, das aus allen Richtungen auf ihn Eindrang. Mehrmals entging er nur knapp einem Treffer und ein Schwertarm hinterließ eine blutige Schramme quer über seinen Arm. Nicht tief, aber es würde ihn noch langsamer machen, als ohnehin schon.

Und der fehlerhafte Angriff gab ihm endlich die Gelegenheit zum Gegenschlag. Der Metallkrieger, der ihn ausgeführt hatte, hatte sich noch nicht wieder gefangen und so ließ Kellvian die Klinge in die verwundbare Brust des Konstrukts krachen. Es klappte unter seinem eigenen Gewicht zusammen und verschaffte ihm so eine kurze Atempause. Kellvian nutze den Moment und sah sich nach den anderen um. Erik und Jiy hielten sich am Rand der Kämpfe wie es schien. Wenigstens wären die beiden so halbwegs in Sicherheit. Der Arzt hatte einen ganzen Stapel Messer aus seiner Instrumententasche gekramt und reichte der Gejarn einen

Teil davon. Mit tödlicher Präzision begann er, die Klingen durch die Reihen der Kämpfenden zu Schleudern. Jiy tat es ihm gleich und ob nun Glückstreffer oder nicht, mehr als einer der Uhrwerksoldaten stockte, einen Dolch zwischen den vergoldeten Zahnrädern, die ihn Antrieben. Die knapp zwanzig Paladine waren dem Ansturm der Uhrwerksoldaten trotzdem kaum gewachsen. Eden und Wys kämpften zusammen mit Laos nach wie vor an forderte Front und stellten momentan die einzige Konstante dar. Alle anderen Kämpfenden mussten zunehmend zurückweichen. Kellvian entging erneut nur knapp dem

Tod, als eine der Maschinen die Lücke füllte, die er geschlagen hatte und direkt wieder begann, ihn zu attackieren. Ihm blieb nicht einmal die Zeit, die Schwerthiebe zu parieren, stattdessen musste er sich ganz darauf verlassen, den fliegenden Klingen auszuweichen. Er hatte schon fast wieder vergessen, wie schnell diese Kreaturen waren, egal, wie schwerfällig sie auf den ersten Blick wirkten. Dieses mal gab es kein entkommen für ich. Sobald er auch nur geringfügig langsamer wurde, musste das Monster ihn erwischen… Dann jedoch erstarrte es plötzlich, ein Messer in der Brust. ,,Kellvian.“ Eriks Stimme war selbst

über den Lärm von kreischendem Metall und den Rufen der Verwundeten klar zu verstehen. ,, Wir können uns nicht halten.“ ,,Irgendwelche Vorschläge ?“ , rief Wys zurück, der grade einen weiteren Uhrwerksoldaten fällte. ,, Außer einem taktischen Rückzug ?“ , fragte Eden, die selber Mühe hatte, sich noch gegen den Strom der immer weiter zurückweichenden Paladine zu behaupten. ,, Ich weiß ja nicht, wie diese Dinger auf Magie reagieren, aber das ist im Augenblick das einzige, was mir einfallen würde.“ ,,Sicher das das eine gute Idee ist ?“ ,

fragte Jiy. ,, Nein, ich bin mir sogar sicher, das das eine schreckliche Idee ist. Aber es ist meine einzige.“ ,,Also gut.“ Kellvian wich etwas zurück, so dass er durch die Reihen der Paladine geschützt wurde. Es war eine ganze Weile her, das er das letzte Mal versucht hatte, auf die Magie zurückzugreifen, die sich in einem Teil seines Verstands eingenistet hatte. Es gelang ihm überraschend mühelos. Das Gefühl, das etwas Fremdes, etwas, das ganz und gar nicht er war, nach ihm griff, war überwältigend. In der Zeit in Helike hatte es bisher geschlafen. Dafür spürte er jetzt umso mehr, wie er allmählich

die Kontrolle verlor. Kellvian musste schnell handeln, bevor er dazu nicht mehr in der Lage war. Ein greller Lichtblitz zuckte aus Kellvians ausgestreckter Hand durch die Reihen der Maschinen und machte die Umgebung einen Moment Taghell. Die Kreaturen, die das Pech hatten, im Weg zu stehen, wurden im hohen Bogen in die Luft geschleudert und krachten zurück in die Reihen ihrer Brüder. Ein zweiter Energiebolzen durchschlug die Panzerung von einem dutzend Maschinen und schnitt wie eine Rasierklinge durch die Uhrwerksoldaten, die noch auf den Beinen geblieben waren. Trotzdem reichte es nicht, stellte

Kellvian fest. Der kurze Ausbruch magischer Energie hatte mehr als dreißig der Metallkrieger ausgeschaltet. Geschmolzene Überreste oder reglose Stahlskelette waren alles, was von ihnen blieb. Doch noch immer standen mindestens doppelt so viele auf den Beinen und formierten sich neu. Sie kannten keine Angst, auch nicht vor Magie und Kellvian konnte nicht mehr weitermachen. Wie eine Flutwelle, die aus dem Meer auf eine Flussmündung traf, überspülten ihn wütende Gedanken und drohten, ihn mit sich zu reißen und sich gegen alles zu richten, das ihm in die Quere kam. Der Kühle, rationale Teil hatte zunehmend Schwierigkeiten,

sich zu behaupten und ihm noch eine Form zu geben. Kellvian brauchte, was ihm noch an Kraft blieb, um die Fremden Eindrücke in seinen Geist abermals dahin zurück zu drängen, wo sie gehörten. Weit weg. Das war nicht er. Sobald er die Türen wieder vor der alten Seele verschloss, spürte er, wie ihn die Erschöpfung überrollte. Kellvians Beine gaben unter ihm nach und er sank im Steinstaub auf die Knie. Wys war als einziger noch geistesgegenwärtig genug, den Vorteil zu nutzen, den er ihnen verschafft hatte. ,, Vorwärts, triebt sie zurück.“ Der Ruf des Archonten riss die, beim Anblick von Magie, erstarrten Paladine

wieder in die Wirklichkeit. Mit neuem Mut und weit ausgeglichenen Zahlen, warfen sie sich erneut den Uhrwerksoldaten entgegen. Kellvian konnte nur zusehen, wie die Reihen der Krieger Helikes nun den Spieß umdrehten und die Maschinen weiter zurück warfen. Hinein in die Dunkelheit hinter dem geöffneten Portal. Er lächelte schwach. Zu Tode erschöpft, wäre er am liebsten auf der Stelle eingeschlafen. Aber das war natürlich nicht möglich. Graue Strähnen glitzerten in seinen Haaren, als er sich wieder auf die Füße zwang. Erik und Jiy hechteten an seine Seite. ,, Alles in Ordnung ?“ , wollte die

Gejarn wissen. ,, Ich bin nur müde, das ist alles.“ log er. Niemand dürfte je erfahren, wie nahe er dieses mal daran gewesen war, die Kontrolle zu verlieren. ,, Ihr hattet Recht, Erik. Das war keine gute Idee. Aber es hat funktioniert.“ Er machte einen wackligen Schritt vorwärts und stellte fest, dass zumindest seine Beine ihn wieder trugen. ,, Sehen wir zu, das wir die anderen einholen.“ ,, Kell… Das ist nicht dein ernst.“ , erwiderte Jiy sofort. ,,Du kannst kaum laufen.“ ,, Ihr solltet auf sie hören.“ , meinte Erik warnend. ,, Dringender Rat eures Arztes. Wys und die anderen scheinen

den Rest jetzt alleine zu schaffen.“ Kellvian nickte nur. Ihm fehlte die Kraft für Proteste und sie hatte ohnehin Recht. Im Augenblick war er keine Hilfe mehr. Jiy legte einen Arm als Stütze um ihn und sie beeilten sich, den mittlerweile schon weit vorgedrungenen Soldaten Helikes zu folgen. Jetzt, wo sie neuen Mut gefasst hatten, richteten die Maschinen nicht mehr viel aus. Ein Metallsoldat nach dem anderen blieb als regungslose Hülle unter den Füßen der Paladine zurück und Eden und Wys taten ihr übriges. Laos hingegen war bereits wieder weiter als alle anderen Vorgeprescht. Mit beinahe übermenschlichem Geschick wich er den

Klingen der Uhrwerksoldaten aus und mit jedem aufblitzen seines eigenen Schwerts, fiel eines der Konstrukte zu Boden, tot oder irreparabel beschädigt. Die Halle, in die sie sich vorkämpften, war riesig. Die Wände bestanden nicht aus dem unbehauenen Fels, der sich im Tunnel fand, sondern glattgeschliffenen und selbst nach all der Zeit makellosen Marmorplatten, so dicht ineinandergefügt, das man nur aus nächster Nähe überhaupt Fugen erkennen konnte. Der Boden bestand aus dem gleichen Material und war in einem großen Schachbrettmuster angelegt. Schwarze und weiße Gesteinsplatten, durch die sich bunte Adern aus Opal

zogen und die den Füßen kaum halt boten. Einzelne Sälen, an denen Leuchtkristalle angebracht waren, die die Dunkelheit etwas durchbrachen, strebten hinauf zur Decke. Wie diese jedoch genau aussah, konnte Kellvian nicht sagen. Sie war hoch genug, das er vom Boden aus nur verschwommene Umrisse erkennen konnte. Das Licht der Steine drang nicht weit genug hinauf. Die Anlage musste riesig sein. Kell hatte hier unten kein richtiges Zeitgefühl, aber sie trieben die Überreste der Maschinenarmee nun schon eine ganze Weile vor sich her, ohne, dass sich ihre Umgebung änderte. Es gab keine erkennbaren Abzweigungen

oder andere Hinweise darauf, dass sie sich dem Ende des Gangs näherten. Dann jedoch wurden die Reihen der Paladine vor ihnen langsamer. Ein weiterer Torbogen schälte sich vor ihnen aus dem Zwielicht. Auf den ersten Blick erinnerte es täuschend an das Portal am Eingang. Nur das dieses hier offen stand. Zwi gewaltige Torflügel aus Stein, so breit wie Kellvians ausgestreckter Arm, lehnten an den Wänden. Die Uhrwerksoldaten hatten sich davor formiert und lieferten sich einen weiteren, ernstzunehmenden Schlagabtausch mit den Elitesoldaten aus Helike. Doch nun sprachen die Nummern zu ihren Gunsten. Zu viele der

Maschinen waren während der Scharmützel Tod auf dem Gang zurück geblieben. Sie hatten es so gut wie geschafft, dachte Kellvian erleichtert. Das aufeinanderprallen von Stahl konnte nichts mehr am Ausgang der Schlacht ändern. Immer noch zu Tode erschöpft, hätte er sich am liebsten direkt auf die kalten Steinfliesen gelegt. Und trotzdem überkam ihn ein unbestimmtes Gefühl des Triumphs. Das war vielleicht der letzte Schritt um endlich aufzuklären, was hier vor sich ging. Genau in diesem Moment jedoch, überschlugen sich die Ereignisse. Laos war wie schon im ganzen Verlauf der Kämpfe, wieder weiter vorgedrungen als

alle anderen. Die Maschinen hatten dem Herrn von Helike nicht viel entgegenzusetzen. Doch dieses Mal hatte er sich anscheinend verschätzt. Der Mann verteidigte sich gegen zwei Uhrwerksoldaten gleichzeitig, Die drei Kämpfer bewegten sich so schnell, das man ihnen mit dem Auge kaum folgen konnte. Laos wich Angriffen mit der Geschmeidigkeit einer Wildkatze aus, oder parierte sie direkt. Dann jedoch geschah es. Ob einer Unachtsamkeit von Laos geschuldet oder ob die Maschinen gelernt hatten, plötzlich, durchbrach ein der Schwertarme die Verteidigung des alten Meisters. Die Klinge versank im Körper des Mannes, der getroffen zurück

stolperte. Das Schwert fiel ihm aus der Hand, während er schwankte. Bevor er jedoch stürzen konnte, war Erik auch schon da und fing den schwer Verletzten Krieger auf. Er wurde praktisch sofort gerecht. Eden stellte sich der Maschine in den Weg, als diese ihr Augenmerk auf den Arzt richtete. Bevor der Uhrwerksoldat merkte, dass die Bedrohung aus einer anderen Richtung kam, hatte die Gejarn bereits zugestoßen. Die Klinge traf mit genug Wucht auf die Zahnräder im Herzen des Konstrukts, das Kellvian das Metall Splittern hören konnte. Einzelne Bruchstücke rieselten um die Kapitänin zu Boden, als sie den Säbel aus dem

zusammenbrechenden Körper zog. Die Paladine hatten derweil auch die restlichen Konstrukte erledigt und sammelten sich um ihren gefallenen Anführer gesammelt, um ihn abzuschirmen. Kellvian schleppte sich mit Jiy durch die Reihen der Soldaten. Erik behauptete sich mit Mühe einen freien Bereich um den Verletzte. ,, Lauft mir nicht im Weg rum oder ihr hattet mal einen großen Lehrer ! „ , rief er ungehalten und schubste Wys dabei unsanft aus dem Weg, bevor er sich über Laos beugte. Kellvian und die Gejarn gesellten sich zu ihm, hielten aber einen respektvollen Abstand, während der Mann sich um Laos kümmerte. Dieser sah

überraschend Wach und Ruhig aus, für jemanden, der grade von einer Klinge durchbohrt worden war. ,, Es geht mir gut.“ Er wehrte Eriks Hände ab, als dieser die zerfetzte und mit Blutflecken durchsetzte Kleidung über der Brustwunde bei Seite ziehen wollte. Es war erstaunlich wenig Blut, wie Kellvian feststellte. So froh er war, das der Mann scheinbar nicht so schwer verletzt war, wie Gedacht.. das passte nicht mit den Wunden zusammen, die er schon gesehen hatte. ,, Mein Freund wenn es euch gut geht, bin ich Arbeitslos.“ , erwiderte Erik. Der Arzt gab nicht viel, auf die Proteste seines Patienten und wischte dessen

Hände einfachbei Seite, bevor er die blutdurchtränkten Stofffetzen zurück schlug. ,,Oh verdammt.“ , entfuhr es Wys. Kellvian machte einen Schritt rückwärts und selbst Erik erstarrte einen Moment. In Laos Brustkorb klaffte ein Loch, doppelt so groß wie seine Handfläche… Er kann nicht mehr Leben, dachte Kell entsetzt. Das war völlig unmöglich. Hatte er grade noch geglaubt, sie wären des Rätsels Lösung näher gekommen? In diesem kurzen Moment schienen sie wieder weiter davon abgerückt zu sein, als je zuvor. Laos Verwundung wäre sicher tödlich gewesen. Wenn es an dem Mann etwas zu Töten gegeben hätte.

Gewebe, Muskeln und Sehnen waren durchtrennt worden, als das Schwert des Maschinenkriegers seine Brust durchbohrt hatte. Und noch immer tropfte Blut aus einigen verletzten Arterien, ohne, das es das Ding, das sich als Laos ausgab sonderlich bedrückte. Darunter jedoch lag kein Fleisch, kein Blut oder auch nur irgendetwas, das an ein Lebewesen erinnerte. Wo das Herz des Mannes sein sollte, lag ein glühender Kristall, umgeben von surrenden Zahnrädern und weiterem Metall. Das was sie sahen, war bestenfalls eine Hülle. ,, Was seid ihr ?“ Laos schien jetzt erst zu bemerken, dass

ihn alle anstarrten. Mehr als ein Schwert wurde auf den plötzlich verängstigt wirkenden Mann gerichtet. ,, Die Antwort bleibt die selbe, Kellvian. Ich weiß es nicht…“

Kapitel 74 Rückschläge


,,Vielleicht sollte ich das Aufklären. Wieder einmal habt ihr bewiesen, wie einfach es ist euch zu manipulieren. Man hält euch einen kleinen Köder vor und schon schnappt ihr alle Blind danach.“ Die leicht verzerrt klingende Stimme ließ Jiy die Haare zu Berge stehen, als er sich umdrehte. Mitten im Gang hinter ihnen stand eine einzelne, in eine schwarze Robe gekleidete Gestalt. Die Gesichtszüge der Erscheinung blieben unter einer Kapuze im Dunkeln, obwohl das Licht mehrere Kristalle direkt auf sie fiel. Wie ein lebendiger Schatten

schien der Mann aus dem Boden gewachsen. Sie hatte ihn bisher einmal Gegenübergestanden, auf einer Straße in Lasante… ,,Erklärt euch. Jetzt.“ Wys erkannte die Gestalt offenbar ebenfalls wieder. Die Paladine, die eben noch auf den verletzten Laos, oder was immer das Ding in Wirklichkeit war, konzentriert gewesen waren, wirbelten zu dem Schatten herum. Lanzen und Schwerter wurden auf ihn gerichtet. ,, Aber, Aber…“ Die grenzenlose Selbstsicherheit in der Stimme des Meisters gefiel ihr gar nicht. Jiy trat ein paar Schritte zurück. Nicht aus Angst. Aber sie brauchte einen festen Stand. Sie

hatte noch immer eines der Messer, die Erik ihr gegeben hatte. Die Klinge steckte in ihren Gürtel. Wenn sie nur unauffällig herankäme… Alle Magie würde ihm nichts nützen, wenn sie ihn überraschte. Kellvian hatte sich mittlerweile ebenfalls dem Schatten zugewandt. ,,Ihr.“ ,, Also hat dieser Narr Tyrus wirklich seine letzte Lebenskraft genutzt um ausgerechnet euch zu retten ?“ Der Meister machte einen Schritt auf die kleine Truppe zu. Jiys Hände bekamen den Griff des Messers zu fassen. Wenn er bloß noch ein Stück näher käme… ,, Ich habe gehört ihr seid jetzt Kaiser,

Kellvian. Bravo. Vielleicht wäre etwas Dankbarkeit angebracht, immerhin, es war mein Werk, das euch die Krone verschaffte.“ Kell erwiderte nichts, aber Jiy konnte sehen, wie sich seine Hände zu Fäusten schlossen. Wenn er in seinem ohnehin geschwächten Zustand angriff, wäre das sein Tod. Und vermutlich würde er nicht einmal etwas erreichen, dachte Jiy besorgt. Sie legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. Die Paladine machten jede Bewegung des Zauberers in ihrer Mitte mit, die Waffen immer direkt auf ihn gerichtet. Besonders beunruhigt schien er dadurch jedoch nicht. Sein Blick wanderte kurz

über die Anwesenden, blieb etwas zu lange bei Erik hängen und endete dann bei Laos, der sich schwerfällig wieder aufrichtete. Zahnräder und Metall in seinem Körper gaben ein leises Surren von sich. ,, Aber vielleicht bin ich auch derjenige, der euch dankbar sein sollte. Ohne eure.. Beharrlichkeit, Laos, hätten die Archonten und ihr niemals das Tor für mich geöffnet. Ich hätte die Archive selbst nicht durchsuchen können, ohne mir vorher Helike untertan zu machen. Bis ich einen anderen Weg erdacht habe.“ Jiy konnte das Gesicht des Zauberers nicht sehen, aber sie hätte schwören können, dass sich darauf grade

ein Lächeln zeigen musste. ,,Aber immerhin… war das auch eure einzige Existenzberechtigung, mein Freund. Ihr wart ein nützliches Werkzeug.“ Laos sprang mit einem Satz auf und hatte auf einmal wieder sein Schwert in der Hand. Die Klinge blitzte durch die Luft und in einem hohen Bogen auf die Gestalt des Meisters zu. Kurz bevor sie ihr Ziel jedoch erreichte, erstarrte sie plötzlich in der Luft. Jiy glaubte erst, der Schatten hätte einen Zauber benutzt. Dieser stand jedoch völlig entspannt da, die Klinge nur eine Handbreit von seiner Brust entfernt. Laos Arme zitterten, als hätte er Mühe, das Schwert auch nur festzuhalten. Mit einem Aufschrei riss er

die Klinge zurück und führte sie erneut mit Schwung gegen seinen Gegner. Und abermals gelang es ihn nicht. Kurz, bevor er den Meister traf, fing er seinen eigenen Hieb ab. ,,Tötet ihn endlich.“ , rief Wys in die einsetzende Stille hinein. Der Meister lachte. ,, Oh glaubt mir, es gäbe nichts, das er im Augenblick lieber tuen würde. Leider ist ihm das unmöglich. Wie all meinen Schöpfungen. Nehmt das Schwert runter .“ Laos Arme zitterten. Langsam, Stück für Stück und gegen den Wiederstand seines eigenen Geistes, ließ er die Klinge sinken, bis sie mit der Spitze auf dem Boden aufkam. Er atmete schwer. Nur

freilich, dachte Jiy, waren da keine Lungen, die den Luftstrom auffangen könnten. War das also nur eine Illusion, etwas, das den Eindruck eines echten Menschen perfekt machen sollte ? ,, Ich bin… was bin ich ?!“ Ohne Rührung sah Laos zu dem Schatten vor ihm auf. ,, Laos.“ , gab der Schatten beinahe gelangweilt zurück. ,,Zumindest seine Erinnerungen. So nahe wie man dem original eben kommt, wenn Laos eine willenlose Marionette gewesen wäre. Ein Werkzeug. Ein Verräter an seinem eigenen Volk. Ihr…“ Jiy nutzte ihre Chance. In einer Bewegung hatte sie das letzte ihrer

Wurfmesser gezogen und schleuderte es auf den Zauberer zu. Die Klinge sirrte durch die Luft…und zerbarst an einer schimmernden Wand aus Licht, als der Meister eine Hand hob. Das Metall wurde zu feinem Staub zermahlen, der als Glutfunken verging. ,,Törichtes Mädchen.“ Eine Welle aus verdichteter Luft riss Jiy ohne Vorwarnung von den Füßen. Der Aufprall nahm ihr kurz den Atem. Sofort war Kellvian an ihrer Seite, den Zauberer nicht mehr aus den Augen lassend. Langsam half er ihr auf die Füße. Der Meister ließ derweil die Hand langsam sinken. ,,Glaubt ihr wirklich, ihr könntet euch mir noch

entgegenstellen ? Versucht es nicht und ihr lebt noch etwas länger.“ Er wendete sich kopfschüttelnd ab und trat auf das zweite Tor zu. ,, Ihr bleibt gefälligst hier !“ Eden setzte dem Mann mit erhobener Klinge nach. Mit wenigen Schritten war sie heran und führte das Schwert in einem Bogen gegen den Hals des Zauberers. Er wehrte die Gejarn wie eine lästige Fliege ab. Eine Handbewegung und Eden flog in hohem Bogen durch die Luft und prallte ungebremst auf den Steinfliesen auf. Der Schlag war hart genug, das die Fliesen splitterten. ,,Ich brauche Zeit und ihr kommt grade ungelegen.“ , erklärte der Magier nur

spöttisch. Die übrigen Paladine indes, waren dem Beispiel der Kapitänin gefolgt und versuchten, sich dem Zauberer in den Weg zu stellen. Mit dem gleichen Ergebnis. Die Männer wurden von einer Schockwelle gepackt und über den ganzen Gang verstreut. Einige krachten ungebremst gegen die Wände. Jiy konnte Knochen brechen hören, bevor sich der schwarzgewandete Magier endgültig umdrehte und durch die Tore trat. Bevor einer von ihnen noch wusste, was geschah, begannen die gewaltigen Marmorflügel, sich in Bewegung zu setzen. Praktisch geräuschlos glitten sie über den Boden, schoben dabei die

Überreste von Maschinensoldaten und tote Paladine gleichermaßen bei Seite… und fielen ins Schloss, noch ehe einer von ihnen reagieren konnte. Der Laut, mit dem die Pforte zufiel, hatte etwas traumatisch Endgültiges… Laos konnte sich derweil endlich wieder bewegen. Sobald die Türen sich schlossen, sank er auf die Knie. Er gab nur ein ersticktes Schluchzen von sich, das so gar nicht zu dem nachdenklichen und ruhigen Krieger passen wollte, als den Jiy ihn bisher empfunden hatte. Sie setzte sich mit schmerzenden Knochen auf und stellte zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass der Mann

weinte… Die überlebenden Paladine und Wys wendeten sich betreten ab. Tränen. Verflucht, was war dieser Mann, eine bloße Kopie, von etwas, das einmal gewesen war, ein Konstrukt, das offensichtlich den Maschinenkriegern nachempfunden war, oder etwas anderes? Kellvian schien ähnlichen Gedanken nachzuhängen, als er den verletzten und zu Grunde gerichteten Laos musterte. Irgendwann jedoch, wendete auch er den Blick ab. Laos indes wurde langsam wieder ruhiger. Jiy wusste nicht, wie viel Zeit verging, in der sie einfach nur alle um den knienden Krieger herumstanden, die

Stille nur von ihren Atem durchbrochen. ,,Du hattest vollkommen recht.“ , meinte Kellvian betrübt. ,,Wir hätten nachdenken müssen, wir… Ach verdammt !“ ,, Was machen wir jetzt ?“ , verlangte Wys zu erfahren. ,, Wir… Wir können hier nicht einfach rumstehen. Wir müssen etwas unternehmen.“ ,, Was denn ?“ , fragte Eden leise und mit gereizter Stimme ,, Es ist euch vielleicht entgangen, aber die Tür ist zu.“ ,,Ich zumindest weiß was ich tuen werde.“ Die Stimme brachte sie alle erneut zum Schweigen. Niemand hatte wirklich

damit gerechnet, das Laos noch einmal etwas sagen würde. Es schien Wahrscheinlicher, das er einfach da blieb wo er war, gebrochen und zerstört. Doch der Mann stand nun, ruhig und gelassen wieder auf. ,,Ich werde euch verlassen.“ , erklärte er mit fester Stimme. ,, Was ?“ Wys sah ihn entgeistert an. ,, Ihr könnt uns nicht grade jetzt hier zurück lassen. Ihr seid…“ ,, Was bin ich, Wys ? Ich weiß es nur zu gut. Nicht, für was ihr mich haltet, Gejarn.“ Er seufzte schwer und legte dem Mann eine Hand auf die Schulter. ,, Verratet es niemanden. Das ist meine letzte Bitte, an euch alle. Helike soll

mich trotz allem als ihren Lehrer in Erinnerung behalten. Nicht als… Monster. Eine Abscheulichkeit, geboren aus der Magie… die sie dank mir so sehr verachten.“ Er wendete sich ab und machte sich auf dem Weg den Gang hinab. Niemand machte Anstalten ihn aufzuhalten. Das Loch in seinem Oberkörper hatte sich bereits wieder zu einem Großteil geschlossen, als Haut und Gewebe in einem Atemberaubenden Tempo einfach wieder darüber wuchsen. Doch noch immer schimmerten und surrten die Maschinenteile, die ihn ausmachten. Laos drehte sich nicht um. Und Jiy fand sich selber unfähig, etwas zu tun. Genau

wie all die anderen. Und sie hatte sich einmal etwas darauf eingebildet, das ihre Gefährten sie um Rat fragten? Jetzt wusste sie keinen… ,, Aber wo wollt ihr den hin ?“ , brachte sie schließlich hervor. ,,Nach Süden. Immer weiter nach Süden. Vielleicht bis ich eines Tages sterbe oder die Welt umrunde. Was eher eintrifft….“ Den letzten Satz murmelte er mehr zu sich selbst und war auch schon in der Dunkelheit verschwunden. Sie konnten ihm alle nur einen Moment nachsehen. Nach wie vor saß ihnen allen der Schock in den Knochen. Das geschehene hatte beinahe etwas surreales gehabt und jetzt… jetzt schienen sie

unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen. Durch das massive Steintor gab es kein durchkommen. Erik schien indes der einzige zu sein, der sich nicht viel um alles Schwerte. Stattdessen stand er bereits vor der Pforte und tastete die glatte Steinfläche ab. Wenn er glaubte, damit irgendetwas zu erreichen, so funktionierte es nicht, dachte Jiy. Und vielleicht versuchte er auch nur irgendetwas zu tun, um nicht wie ein Idiot herum zu stehen. Wie sie alle… ,,Lasst es gut sein , Erik.“ , meinte Kellvian nieder geschlagen. ,, Es ist vorbei.“ ,, Es ist vorbei.“ , äffte der Arzt Kell nach. ,, Junge, seit wann gebt ihr den so

schnell auf ? Es ist vorbei, wenn sich diese Tür wieder öffnet und der Meister mit, was immer er da drin will, wieder herausspaziert. Vorausgesetzt wir kommen nicht vorher hier rein und nehmen ihn uns vor. Und dann bringen wir alles mit, was wir aufbieten können. Ich lasse mir von dem doch keine Auswischen.“ Jiy fragte sich, ob der Enthusiasmus des Mannes nicht etwas Fehl am Platz war, aber… auf eine Art hatte ihnen das wohl gefehlt. Die Welt war nicht untergegangen. Schön, ja sie hatten Einstecken müssen, aber das hieß noch nicht, dass das Spiel gelaufen war. ,, Was braucht ihr ?“ , fragte Jiy einfach

nur. ,, Hmm ?“ Erik hob nur die Augenbrauen. ,, Ihr habt einen Plan, das weiß ich.“ Sie rang sich ein halbherziges Lächeln ab. ,,Mein Plan, sieht wie folgt aus, meine Liebe. Ich finde raus, wie man diese Tür aufbekommt. Das Alte Volk war sicher nicht so dämlich, etwas zu Bauen, das man nur von einer Seite schließen und öffnen kann.“ Der Alte tastete weiter den Stein ab und nickte auf einmal zufrieden. ,, Aber sie haben es vielleicht so aussehen lassen…“ Er drückte gegen den Stein, so als würde dieser unter der Bewegung nachgeben. Und tatsächlich veränderte sich das Tor plötzlich. In

dem glatten Material neben der Hand des Arztes bildeten sich plötzlich Risse, die sich zu großen Fugen und schließlich klar erkennbaren Zeichen anordneten. Die Inschrift war nicht groß, aber da. ,,Wie habt ihr das gemacht ?“ , fragte Wys ,, Ich habe in meinem leben ein paar Tricks gelernt.“ , gab der Mann nur zurück. ,, Einer davon : Das alte Volk liebt obskure Rätsel und Versteckte Hinweise, wenn es zu ihren Geheimnissen kommt. Offenbar mussten sie die oft genug auch vor einander Verstecken.“ Jiy besah sich die Zeichen in der Wand. Eine Handvoll der Symbole erkannte sie

zwar aus den Archiven Helikes, aber die Bedeutung verschloss sich ihr. ,, Und was steht da ?“ , wollte die Gejarn wissen. ,, Der Drache hält den Schlüssel“ Erik kratzte sich Gedankenverloren am Kopf. ,, Na das ist wenigstens mal eindeutig.“ ,,Eindeutig ?“ , fragte Kellvian. ,, Ich habe keine Ahnung, was das heißen soll.“ ,, Nehmt es einfach wörtlich.“ , erklärte der Arzt grinsend. ,, Wir brauchen einen Drachen…“

Kapitel 75 Einen Drachen finden


,,Was soll das heißen, wir müssen einen Drachen finden ?“ , wollte Kellvian wissen, als sie wieder ans Tageslicht zurück kehrten. Ein grauer Silberschleier am Horizont war jedoch das einzige, was sie davon im Augenblick zu sehen bekamen. Noch lag die Nacht über der Wüste und ließ sie frösteln, bevor das Feuer wieder die Herrschaft übernehmen würde. ,, Denkt nach, es passt perfekt zu diesen verfluchten Geheimniskrämern.“ , erklärte Erik nur. Offenbar hatte der Arzt wieder neuen Mut geschöpft. Kell

selber war noch nicht ganz überzeugt, als der Mann fortfuhr : ,, Drachen werden uralt. In diesem sinne sind sie die perfekten Wächter für etwas, das nicht verloren gehen darf. Es ist mehr als nur möglich, das der Drache, der hier gemeint ist noch lebt. Und selbst wenn nicht kann uns ein anderer vielleicht zumindest sagen, was aus ihm geworden ist.“ ,, Das heißt aber immer noch, das wir erst einmal einen finden müssten.“ , gab Eden zu bedenken, als sie sich auf den Weg machten. Wys hatte einen Teil seiner überlebenden Männer in den Höhlen zurück gelassen, damit diese das Tor bewachten. Zwar bezweifelte

Kellvian, das die Männer im Zweifelsfall viel ausrichten würden… aber es war besser, als ihren Fehler zu wiederholen. Der Archont hatte sich an die Spitze der kleinen Truppe Gesetzt, die er nach Helike zurückführte. ,, Wir werden uns etwas überlegen.“ , meinte Kellvian. Noch hatte er keine genaue Idee was. In Canton galten Drachen seit Generationen als ausgestorben. Wyvern gab es dafür in den Bergen noch genug, aber das waren hirnlose Bestien. Aasfresser bestenfalls. Echte Drachen hingegen nahmen es an Intellekt leicht mit einem Menschen auf oder übertrafen diesen sogar um ein vielfaches. Hin zu kam, das, wie Erik

schon bemerkt hatte, diese Kreaturen uralt werden konnten, solange sie nicht getötet wurden. Vorausgesetzt, sie fanden irgendwie einen Weg, ausgerechnet den einen Drachen zu finden, den sie suchten… Wie überzeugte man eine Jahrtausende alte Echse davon, ihnen auch zu helfen? ,, Ist Abran noch in der Stadt ?“ , wollte Jiy da wissen. ,, Der Gesandte der Whaid, ?“ Erik zögerte. ,, Nicht das Wys uns hört.“ , meinte er gedämpft.,, Die Archonten bekommen einen Anfall, wenn sie erfahren, das sich ein Whaid nach Helike geschlichen hat. Aber daran hatte ich auch schon Gedacht. Wenn jemand weiß,

ob und wo es in dieser Gegend noch Drachen gibt, dann ihre Anhänger. Bleibt die Frage, ob er es uns auch verrät.“ ,, Das wird er, wenn nicht, wird Relina ihn dazu bringen.“ , meinte Kellvian. ,, Wir überlassen den Magiern mehrere unserer Schiffe. Vielleicht, sollten wir noch eine Gegenleistung dafür verlangen.“ Ihm gefiel die Vorstellung zwar nicht, die Rebellen unter Druck zu setzen… aber in diesem Fall könnte der Zweck die Mittel heiligen. Und es war nicht so, dass er jemals darüber nachdachte, sie wirklich einfach zurück zu lassen. Nur wenn der Gesandte sich stur gab,

brauchte er einen Fuß in der Tür. In Gedanken begann er schon zu überlegen, wie er die Magier am besten kontaktierte. Einfach zu einem der sicheren Häuser zugehe, die er kannte, würde kaum Erfolg haben. Zyle wäre eine Möglichkeit gewesen, aber in den Wochen nach dem sie ihre Abmachung mit Relina geschlossen hatten, war der Mann immer seltener zu finden. Aber vielleicht konnte er ihnen eine Nachricht zukommen lassen. Eine simple Schilderung der Lage und die Bitte um ein Gespräch. Kellvian gähnte, als die Stadtmauern Helikes am Horizont in Sicht kamen. Die Sonne hatte mittlerweile ihren Weg über

denselben gefunden und tauchte das Meer dahinter in goldenes Licht. Er fühlte sich nach wie vor ausgelaugt und hatte kaum Zeit gehabt, sich zu erholen. Aber dafür blieb nun erst recht keine Zeit mehr. Ab jetzt kam es auf jede Sekunde an. Was immer der Meister suchte, sie mussten ihre Antworten haben, bevor er es fand und die Minen wieder verließ. ,,Ich werde die Archonten darum bitten, mehr Männer zurück zu schicken um das Portal abzusichern.“ , erklärte Wys, während sie das Stadttor passierten. Jetzt am frühen Morgen waren die Straßen am vollsten. Wenn die Sonne die Kälte der Nacht bereits linderte, aber einen noch nicht verbrannte, erledigten die meisten

ihre täglichen Besorgungen oder verrichteten schwerere Arbeiten. ,,Ihr klingt nicht so, als wärt ihr davon überzeugt.“ , bemerkte Erik. ,, Nein. Vermutlich läuft alles wieder auf einen Patt hinaus und wir tuen gar nichts. Und jetzt wo Laos weg ist… Ich respektiere seinen Wunsch, aber ich weiß nicht was jetzt werden soll. Er war das einzige, was Cadus und Chonar halbwegs in ihren Schranken hielt. Jetzt… Lasst mich ehrlich sein, je schneller ihr wieder aus dieser Stadt verschwindet, desto sicherer für euch.“ ,, Vermutlich werden wir bald wieder Abreisen.“ , erklärte Kellvian. ,, Wir werden die Whaid

suchen.“ ,, Ihr seid Verrückt.“ , bemerkte der Archont. ,, Sie werden euch nicht helfen. Fremden gegenüber sind sie noch misstrauischer als uns. Und mit dem Archontenrat haben sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesprochen…“ ,, Wir haben vielleicht noch einen Trumpf.“ , meinte Jiy. ,, Dann hoffe ich, ihr findet, was ihr sucht.“ ,, Wir werden Zyle vermutlich um Hilfe bitten.“ , fügte Kellvian noch hinzu. ,, Sollen wir ihm etwas von euch ausrichten ?“ ,, Das er besser genau so zusieht, das er von hier verschwindet. In dieser Stadt

ist kein Raum mehr für Wahrheit. Und ich kann sie trotzdem nicht aufgeben.“ Zyle musste den Brief, dem ihm einer der Untergrundmagier überbrachte, zweimal lesen, bis er ganz Verstanden hatte. Verflucht… Das Schriftstück stammte von Kellvian und war offenbar vor wenigen Stunden vor den Türen eines sicheren Hauses aufgetaucht. Versehen mit dem Siegel des Kaiserreichs von Canton. Als man ihm den Umschlag gebracht hatte, war dieses allerdings bereits zerbrochen gewesen. Natürlich hatten sie nachgesehen, was darin war. Nach wie vor durften sie alle kein Risiko

eingehen. Aber die Zeilen waren in der Amtssprache Cantons verfasst. Zyle bezweifelte, das es viele Menschen oder Gejarn in den Mauern Helikes gab, die etwas mit den Runen anfangen konnten. In diesem Sinne war er also sicher. Aber ohnehin enthielten die Zeilen nichts, was er nicht hätte erklären können. Relina wusste, das Kellvian Kontakt zu den Archonten hatte. Etwas anderes machte Zyle im Moment ohnehin viel mehr sorgen. Laos war fort. Zyle wusste nicht, ob er wirklich Verstand, was mit dem Mann passiert war. Eine bloße Marionette also… Aber sie waren alle so überzeugt gewesen, verflucht, er hatte es ja selber

geglaubt. Auf eine Art, war es wohl wirklich Laos gewesen. Doch jetzt, wo er verschwunden war, wusste er nicht mehr, ob die Archonten sich wirklich an die Abmachung halten würden. Am liebsten hätte er Relina gebeichtet, das er Verhandlungen mit den Archonten anstrebte. Aber das war natürlich unmöglich. Sie traute dem Rat in der inneren Stadt nicht über den Weg und das vermutlich mit Recht, wie Zyle mittlerweile dachte. Würde sie davon erfahren, bevor es für beide Seiten keine andere Wahl mehr gab, würde sie die Abreise ganz einfach verschieben. Und ich darf vermutlich ein paar Wochen auf dem Fußboden schlafen,

dachte er. Zyle musste bei dem Gedanken etwas schmunzeln. Mittlerweile konnte er mit fug und recht behaupten, das er sich Hals über Kopf in diese Frau verliebt hatte. Und seit der Nacht vor zwei Wochen verbrachten sie die wenigen Stunden schlaf, die ihnen blieben meist zusammen. Auch wenn sie meist beide nur froh waren, endlich die Augen schließen zu können. Nur wenn die Umstände sie daran hinderten, blieben sie lange getrennt. Wenn Relina einige Häuser auf der anderen Seite der Stadt kontrollierte und es nicht wagte nach Einbruch der Dunkelheit noch durch die Straßen zu schleichen. Nach außen ließ die Gejarn sich jedenfalls

nichts anmerken und arbeitete einfach weiter mit ihrer typischen stoischen Zielstrebigkeit. Es änderte jedoch wenig an der Tatsache, das er sie und die Archonten eben wirklich a einen Tisch zwingen musste. Den Brief in der Hand trat er in die Lagerhalle am Hafen hinaus. Es gab mittlerweile so viele Angemietete oder leer stehende Häuser, die ihnen als Speicher dienten, dass er langsam die Übersicht verlor. Wie Relina minuziös wusste, was wo wann sein musste war ihm ein Rätsel und nur noch ein weiterer Grund, aus dem er sie von Anfang an bewundert hatte. Zyle gab sich damit zufrieden, alles zu erledigen, was man ihm Auftrug. Seit seinem Duell

mit dem Paladin war er zum Glück nicht mehr auf eine Patrouille der Stadtwache gestoßen, auch wenn andere Rebellen wohl abgefangen worden waren. Die, die Gefangen genommen wurden, hatten bisher jedoch nie etwas Verraten. Nicht ein einziges sicheres Haus war Ziel von Angriffen geworden. Entweder jeder hier stand voll hinter ihnen, woran Zyle eigentlich nicht zweifelte, aber er kannte die Methoden der Archonten, oder diese machten sich gar nicht die Mühe, nach Antworten zu suchen. Offizielle Hinrichtungen fanden normalerweise Abseits der Stadt statt und man erfuhr nur selten, wer genau Opfer geworden war. So konnten sie auch nicht

überprüfen, ob ihre Leute nicht einfach direkt getötet wurden… Für die Angehörigen war das das schlimmste. Aus der Gefangenschaft konnte man wieder entlassen werden. Aus dem Grab… nicht. Es gab ganze Familien, innerhalb und außerhalb Helikes, die die Rebellen mit allem unterstützten, dass sie entbehren konnten. Vor allen Lebensmitteln von den Bauernhöfen an der Küste. Für die bevorstehende Seereise und bis zum Aufbau eigener Farmen wären sie erst einmal darauf angewiesen. Vorräte für mindestens ein Jahr, wenn nicht zwei. Zyle schritt die Container mit gepökeltem Fleisch, eingelegtem Obst

und Sackweise Salz und Zucker ab. In der ganzen Halle duftete es nach Gewürzen und Trockenfleisch, die in Regalen Lagerten, die die vom Boden bis zur Decke reichten. Relina stand vor einer Reihe Container und unterhielt sich mit einer jungen Frau, die die typischen Roben einer Magierin trug und ging offenbar grade mehrere Listen durch. Zyle hätte anfangs nicht vermutet, wie viel Bürokratie hinter ihrem Plan steckte, tatsächlich jedoch hätten allein die Papiere wohl noch einmal eine eigene Halle eingenommen, wenn sie diese nicht regelmäßig vernichten würden. ,, Was ist mit Obst ?“ , wollte Relina

grade wissen. ,, Wenn wir bei der Überfahrt Leute an Skorbut verlieren, werde ich sauer. Wir brauchen auch noch Saatgut, möglicherweise Baumsetzlinge, aber nur wenn wir noch die Mittel dafür haben… Die können wir auch später holen, wenn sich die Dinge etwas beruhigen.“ Zyle machte sauf sich aufmerksam. ,,Verzeiht. Ich habe eine Nachricht von Kellvian für euch.“ Relina sah auf. ,, Wieso hat man mir die nicht direkt gebracht ?“ ,, Sie war wohl an mich adressiert.“ Die Zauberin nickte und schickte die junge Frau mit einer Handbewegung fort, bevor Zyle ihr den Brief reichte.

Relina entfaltete das Papier und überflog die Worte einen Moment. Offenbar konnte sie sie lesen. ,, Abran ist gestern wieder in die Stadt gekommen.“ , erklärte sie schließlich. ,, Er hat es offenbar noch nicht ganz aufgegeben, zumindest einige Magier zum bleiben zu überreden.“ ,, Und wir lassen ihm das durchgehen ?“ ,, Ich zwinge niemanden mit uns zu kommen, Zyle. Was wir vorhaben bedeutete Jahre, wenn nicht Jahrzehnte der Unsicherheit. Wir müssen eine völlig neue Gesellschaft schaffen, Infrastruktur, Bildung, Regierung, alles von neu aufbauen. Mir war von Anfang an klar, dass einige lieber den Kampf

hier fortführen. Das steht ihnen frei. Aber ohne mich.“ ,, Du wirst Abran also bitten, uns zu den Whaid zu führen ?“ Relina nickte. ,, Du hast also vor, sie zu begleiten ?“ Sie klang plötzlich besorgt. ,, Da draußen entdecken die Archonten mich schon nicht.“ , antwortete er nur. Und er kannte sich hier zumindest besser aus, als Kellvian. Und Abran würde sicher nichts dummes Versuchen, wenn ihm das den Zorn der Magier Helikes und des Kaiserreichs einbringen würde. Dazu musste er aber, als Vertreter der Rebellen, dabei sein. ,, Und ich kann dir das auch nicht ausreden

?“ ,,Vielleicht , aber ich würde dich bitten, es zu lassen. Das ist wichtig. Das weißt du.“ ,, Wir wollen in einigen tagen bereits auslaufen.“ , bemerkte Relina und machte einen Schritt auf ihn zu. ,, Wirst du vorher zurückkommen?“ ,, Wenn nicht…“ Es gab kein wenn nicht. Er musste bis dahin wieder hier sein. Die Archonten mussten sich an ihr Versprechen halten. ,, Ich werde hier sein.“ , erklärte Zyle. ,,Dann gebe ich Abran bescheid. Vielleicht könnt ihr dann noch heute aufbrechen. Nur… Pass auf dich auf.“ Sie sah sich einen Moment in der

Lagerhall, als wollte sie sichergehen, dass sie alleine waren. Dann gab sie ihm einen Kuss. Ihre Lippen fanden sich und schienen mit einem mal überempfindlich geworden zu sein. Genug um Zyles Gedanken du Sorgen wegzuspülen und sie mit einem Gefühl beinahe ekstatischer Glückseligkeit zu tauschen. Das war kein bloßer Abschiedskuss mehr. Sie hielt ihn umschlungen, ihre Hände liebkosten seinen Rücken… ,,Relina ?“ Sie fuhren auseinander, als hätten sie sich verbrannt. Relina richtete kurz ihre Kleider, bevor sie sich zu dem Neuankömmling umdrehte. Offenbar ein

Bote. ,,Ja ?“ ,, Wir haben Probleme genug Trinkwasser für die Überfahrt zu organisieren. Die Wasserhändler fangen schon an Fragen zu stellen und die Archonten könnten aufmerksam werden.“ ,,Gut ich… ich komme gleich. Wartet draußen.“ , erklärte sie. Der Bote nickte und verschwand, dann wendete die Magiern sich wieder Zyle zu. ,, Pass… einfach nur auf dich auf ja ?“ Sie gab ihm einen letzten, kurzen, Kuss auf die Stirn und beeilte sich dann, dem Mann zu folgen. ,,Sicher doch.“ , murmelte er.

Kapitel 76 DerDrachenfriedhof


Als Zyle mit Abran die Stadttore erreichte, warteten die anderen dort schon auf ihn. Er hatte den Abgesandten der Whaid bei seiner Unterkunft getroffen um sich dann mit ihm gemeinsam auf den Weg zu machen. Die ganze Zeit über hatte der Mann kaum etwas gesagt und Zyle hatte seine Halbherzigen Versuche, ein Gespräch zu beginnen, bald unterbunden. Auf der einen Seite war Abran offenbar ohnehin nicht der Gesprächigste, auf der anderen… Er war ein Schwertmeister und ob nun Ausgestoßen oder nicht, der

Whaid konnte ihm bestenfalls mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen. Eden, Jiy und Kellvian wirkten so Niedergeschlagen, wie er es erwartet hätte. Nur Erik war scheinbar bester Laune. Der Mann trug seinen typischen, blauen Gehrock, hatte sich aber offenbar bereits darauf vorbereitet, eine längere Zeit in der Sonne zu verbringen. Ein Breikrempiger Hut, der schon bessere tage gesehen hatte, bedeckte seine grau melierten Haare. ,, Ich habe euren Brief bekommen.“ , begann Zyle. ,, Es hätte nicht schlechter laufen können, oder ?“ ,,Ich fürchte es.“ , antwortete Kellvian. ,, Aber noch geben wir uns nicht

geschlagen.“ Er sah zu Abran, der schweigend hinter Zyle herlief. ,, Ihr werdet uns also zu den Whaid bringen ?“ ,,Ich kann nur nicht garantieren, das man euch willkommen heißt.“ ,, Das sind wir mittlerweile gewohnt, falls es euch entgangen sein sollte.“ , gab Eden bissig zurück. Die Gejarn schien dem Abgesandten so wenig zu trauen, wie dieser ihr. Allerdings traute Abran auch niemanden, dachte Zyle. ,, Können wir aufbrechen ?“ Der Mann nickte nur. ,, Je früher, desto besser. Wir werden mindestens zwei Tage brauchen, bis wir meine Leute erreichen. Und ob sie euch dann

anhören, liegt an ihnen. Nicht an mir.“ Zwei Tage… Das bedeutete, selbst wenn sie sofort ihre Antworten bekamen, etwas, das keineswegs selbstverständlich schien, wären sie frühestens in vier Tagen zurück. Eher fünf. Vielleicht konnten sie etwas Zeit durch Eile gut machen, aber Zyle wusste nur zu gut, das zwei Tage für die gewaltigen Wüsten des Südens keine Entfernung waren. Immer wieder hatten Wagemutige versucht, sie komplett zu durchqueren, waren aber nach Wochen und Monaten ohne Erfolg zurückgekehrt oder nie wieder gesehen worden. ,, Dann los.“ , meinte Kellvian., als er seinen Rucksack schulterte. ,, Ihr

zuerst…“ Abran gab ein unfreundliches Brummen von sich und setzte sich in Bewegung. Erneut zogen sie durch das mit Gräsern bewachsene Land um Helike, bis die Umgebung langsam trockener zu werden begann. Zuerst wurden aus den Gräsern gelbfleckige, stachlige Pflanzen, die zunehmend seltener wurden und schließlich nur den nackten Erdboden zurück ließen. Dann wurde dieser zunehmend steiniger, bis er endgültig in endlosen Sand überging. Das Geschick und die Geschwindigkeit mit dem der Whaid die Dünen hinauf und über den felsigen Untergrund setzte, ließ Zyles Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr

noch kleiner werden. Zwei Tage für den geübten Wüstenläufer hießen zwei ein halb oder sogar drei für sie, wenn sie nicht mithielten. Er würde rechtzeitig wieder in Helike sein, dachte Zyle. Aber es würde knapp werden. Als die Sonne am höher stieg, begann der Sand unter ihren Füßen zu brennen und die Luft zu flirren. Und so sehr zumindest Zyle versuchte, mit Abran mitzuhalten, schließlich musste er sich eingestehen, das es nichts brachte, wenn er sich hier draußen Verausgabte. Es würde sie nur noch langsamer machen. Und selbst der Whaid bremste seine Schritte etwas, damit die anderen wieder zu ihm aufschließen konnten. Zumindest

lief er ihnen nicht einfach davon, dachte der Gejarn. Etwas, das er durchaus für Möglich gehalten hätte. Stattdessen jedoch passte er seine Laufgeschwindigkeit zunehmend an ihre an, so das Zyle ihn schließlich einholte. ,, Langsam.“ , brummte der Mann nur. ,, Wenn ihr mir überhitzt und umfallt, schleife ich euch nicht den Rest des Weges mit.“ Er griff an seinen Gürtel und hielt dem Schwertmeister einen vollen Wasserbeutel hin. ,,Danke.“, murmelte Zyle nur betreten, weil im mittlerweile selber klar war, wie recht Abran hatte. Er nahm einen tiefen Schluck, bevor er das Gefäß zurück

reichte. Abran lachte etwas in sich hinein. Offenbar besserte seine düstere Laune sich, jetzt, wo sie Helike immer weiter hinter sich ließen und Zyle fragte sich langsam, ob er sich nicht einfach etwas in dem Mann getäuscht hatte. ,,Ihr Stadtbewohner seid schon ein lustiger Anblick, wenn ihr versucht hier draußen zu Überleben. Es gibt einen Grund, aus dem uns die Archonten nie erwischt haben und der ist nicht, dass ihr uns Gnade erweisen würdet. Jede eurer Armeen, die ihr in unsere Wüste entsendet, haben wir ausgetrocknet und dezimiert zurück gesandt. Wenn wir sie noch einmal gehen ließen. Im Sand

ruhen mehr eurer Krieger als von unseren. Und wir werden hier draußen bestattet. “ , führte er aus und Zyle entging der leichte Spott in seiner Stimme nicht. Er setzte sich wieder in Bewegung. Mittlerweile hatte die Sonne ihren Zenit überschritten und begann sich langsam wieder Richtung Horizont zu senken. Doch noch immer flimmerte die Luft um sie herum, als befände sich ein riesiger See immer grade außer Reichweite. Mittlerweile mussten sie bereits ein gutes Stück weiter als die Minen sein. Weiter, als sich die meisten in die lebensfeindliche Einöde hinaus wagten. Kellvian schleppte sich bereits nur noch voran, genau wie Jiy und Eden.

Erik schien zwar noch nicht so erschöpft, aber sein Übermut war auch lange der Hitze zum Opfer gefallen. Abran jedoch ließ keine Zweifel daran aufkommen, das er das zur Verfügung stehende Tageslicht nutzen wollte und machte keine Anstalten, eine Rast zuzulassen. Zyle hätte ohnehin dagegen protestiert. Er suchte den Horizont nach einem Zeichen dafür ab, das sie in irgendeiner weise vorangekommen waren, sah aber nichts. Oder doch ? Er konnte sich irren, aber ragten da nicht Bäume aus dem Sand? Die verschwommene, beinahe dickflüssig wirkende Luft, verhinderte, dass er mehr erkannte. Aber es war ganz klar keine

bloße Luftspiegelung oder ein Streich seiner Augen. Es war da. Und Abran schien es ebenfalls zu bemerken, denn er wurde abermals langsamer. ,, Was ist das ?“ , wollte Erik wissen und überzeugte Zyle endgültig davon, das er sich nicht irrte. ,,Ich dachte, wir würden darum herum kommen.“ , murmelte der Whaid mehr zu sich selbst. ,, Dieser Ort ist eigentlich nicht für Außenstehende bestimmt. Aber wir werden wohl hindurch müssen. Das ist jetzt der kürzeste Weg. Ich bitte euch nur, eure Finger bei euch zu behalten.“ ,, Wir stehlen euch schon nichts.“ , meinte Jiy nur , sah dabei aber zu Eden.

Die Gejarn zuckte nur mit den Schultern. ,,Ich bin nicht an Bäumen interessiert. Selbst wenn sie im Sand wachsen.“ ,,Bäume…“ Abran sah sie verwirrt an. ,, Dann tut weiter so, als sei es das. Bäume.“ Mehr würde er offenbar nicht mehr dazu sagen, denn er lief bereits weiter und überließ es den anderen, ihm zu Folgen. Schon, als sie näher kamen, merkte Zyle bereits, wie sehr sie sich getäuscht hatten. Die Umrisse, die aus dem Sand ragten, erinnerten tatsächlich vage an Bäume. Aber nur Aufgrund ihrer Größe. Von Sand und Zeit blank poliert, ragten Knochen aus dem Sand. Rippenbögen, so groß wie ein kleines Haus, Beinknochen so hoch wie er

selbst…. Und skelettierte Schwingen, die man als Zelt hätte verwenden können. Das Gebeinfeld zog sich scheinbar Meilenweit. Zwischen halb zerfallenen oder im Sand versunkenen Überresten ragten auch immer wieder erstaunlich Intakte Skelette auf. In allen Größen, angefangen von geflügelten Kreaturen, so groß wie Pferde, bis hin zu Giganten, deren Gewicht die Knochen in den Boden gedrückt hatte. Zyle trat fasziniert zwischen die Skelette. Eigentlich hätte dieser Ort etwas Abstoßendes abstrahlen müssen, dachte er. Aber es wirkte erstaunlich friedlich… Man konnte sich hier beinahe sicher fühlen.

Die anderen sahen sich ebenfalls ungläubig um. Erik trat auf einen Schädel zu, der leicht als kleiner Berg durchgegangen werde. Die leeren Augenhöhlen über der langgezogenen Schnauze, waren groß genug, das man darin hätte sitzen können… Der Arzt betastete einen der Zähne, leicht so groß wie er selbst, die aus dem Kiefer der Kreatur ragten. ,,Der muss ja Uralt sein.“ , meinte er mit leuchtenden Augen. ,, Das ist… das… Kellvian ! Könnt ihr das glauben ?“ ,,Ihr habt uns zu einem Drachenfriedhof geführt.“ , meinte dieser grade an Abran gerichtet, der das Knochenfeld nur

stumm musterte. ,,Nicht irgendeinem Drachenfriedhof.“ , bemerkte Erik. ,, Ich meine… wir wussten immer, das es einen Ort wie diesen geben muss. Es gibt in Canton einige davon, aber… die sind winzig im Vergleich hierzu. Ein paar dutzend Tote Drachen. Das hier müssen hunderte sein. Und noch mehr, die schon im Sand verschwunden sind. Generationen, ganze Familien liegen hier.“ ,, Das ist richtig.“ , bemerkte Abran. ,, Und ihr werdet hier nichts anrühren.“ ,,Keine Sorge“ , beschwichtigte Jiy ihn. ,, Ich wüsste auch nicht, was ich mit Knochen anfangen sollte.“ , bemerkte

Eden ,, Warum sollten wir auch ?“ , fügte Zyle hinzu. ,, Weil der Sanguis-Orden seit Jahren nach diesem Ort sucht.“ , platzte Erik heraus. ,, Habt ihr eine Ahnung, was die Magier dafür geben würden, einen Tag an diesem Ort arbeiten zu können ?“ ,, Was will der Orden mit alten Kochen ?“ , fragte Eden. ,, Ich zeige es euch…“ Erik sah sich im Sand um, bis er einen kleinen Flügelknochen entdeckte und vorsichtig an sich nahm. ,, Ihr erlaubt ?“ Er sah in Richtung Abran. Dieser nickte. Erik nahm den Knochen zwischen beide Hände und schlug mit aller Kraft auf

sein ausgestrecktes Bein. Der Knochen splitterte praktisch sofort, doch was darunter zum Vorschein kam, war kein Mark oder vertrockneter Staub. Im inneren glitzerten blau-weiße Kristalle, fast wie bei einer Geode. Zyle betrachtete die seltsame Begebenheit, genau wie alle anderen. ,, Die Knochen sind im inneren kristallin.“ , führte Erik aus. ,, Und sie sind eines der Ausgangsmaterialien für die künstlichen Speichersteine, die der Orden herstellt. Im Gegensatz zu denen des alten Volkes, verbrauchen die sich, die Zauberer müssen also ständig für Nachschub sorgen. Und in Canton gibt es keine Drachen mehr… Sie brauchen zwar

nicht viel, aber auch die Drachenfriedhöfe, die wir kennen geben nicht mehr viel her.“ ,, Ihr schändet vermutlich auch die Überreste der Ahnen.“, bemerkte Abran nur kopfschüttelnd. ,, Ich bin selten einer Meinung mit den Archonten, aber wenn eure Zauberer so etwas tun, können Laos und seine Leute sie von mir aus alle umbringen.“ Zyle überging die unverhohlene Drohung und suchte schnell ein unverfänglicheres Thema. ,, Ich hätte nie Gedacht, das die so groß werden.“ Er sah hinauf zu dem Schädel des Drachen, vor dem Erik angehalten hatte. ,, Im Gegensatz zu den meiste anderen

Lebewesen, hören Drachen nie wirklich auf zu wachsen, soweit ich weiß. Das heißt, je älter sie werden, desto größer sind sie auch.“ ,, Nur aus reinem Interesse.“ , begann Eden. ,, Wie alt müsste ein Drache genau werden, damit man ihn mit einer Insel verwechseln kann ?“ Erik sah sie einen Moment an, als hätte er einen Geist gesehen. ,, Nebelküste ?“ , fragte er nur. ,, Genau da.“ , antwortete die Gejarn. ,, Ich hoffe wirklich, ihr hattet einen sehr , sehr guten Grund dafür.“ ,,Ist ein Haufen Gold Grund genug ?“ Der Gesichtsausdruck des Arztes verdüsterte sich Zusehens. Offenbar

lautete die Antwort Nein. ,, Können wir weiter ?“ , fragte Abran , der langsam ungeduldig zu werden schien. ,, Es ist noch ein Stück. Und falls ihr nicht hier übernachten möchtet, schlage ich vor, das wir das Tageslicht nutzen, das uns bleibt um diesen Ort zu verlassen.“ Zyle nickte. Zwar war hier alles tot, aber er konnte sich schöneres Vorstellen, als zwischen turmhohen Knochenbergen schlafen zu müssen. Und die Zeit lief ihm ohnehin davon. ,,Gehen wir.“ , erklärte er und setzte sich wieder in Bewegung. Über das Knochenfeld langsam immer weiter Richtung Süden. Jetzt, wo es langsam

dunkel wurde, ließ auch die ewige Hitze etwas nach und sie kamen schneller voran. Als die Sonne grade den Horizont berührte, hatte die kleine Gruppe schließlich das Ende des Friedhofs erreicht. Im Schutz einer kleinen Sanddüne errichteten sie schließlich ihr Nachtlager. Feuerholz gab es weit und breit keines, so dass sie ihre Zelte im Sternenlicht aufbauen mussten. Aber Zyle störte es nicht. Es war eine Weile her, das er eine Nacht unter freiem Himmel verbracht hatte. Und grade hier draußen, wo nicht einmal das Licht einzelner Öllaternen die Sterne überstrahlte, konnte man beinahe meinen, die Zeit stehe still. Als er

schließlich einschlief, waren seine Träume zum ersten Mal seit langem nicht unruhig und von düsteren Vorahnungen getrübt.

Kapitel 77 Die Oase


Am zweiten Tag waren sie bereits früh Die Sonne war noch nicht aufgegangen und verriet sich nur als silberner Streif am Horizont. Der Weg durch den noch kalten Sand gestaltete sich deutlich einfacher, als noch am Vortag und Abran schlug erneut ein schnelleres Tempo an. Sie mussten ihr Ziel heute noch erreichen und tatsächlich stießen sie kurz vor Mittag auf etwas, mit dem hier draußen wohl schon niemand mehr gerechnet hatte. Jiy musste sich erst zu den anderen Umdrehen, um sicherzugehen, dass sie

keiner simplen Täuschung aufsaß. Dieses mal gab es keinen Zweifel daran, das es tatsächlich Bäume waren die vor ihnen inmitten der endlosen Sandflächen wuchsen. Palmen, dichte Sträucher und Gräser, die das Ufer eines flachen Sees bewuchsen. Wasser, das die Farbe des Himmels wiederspeigelte umspülte die Wurzeln der Pflanzen und bewässerte eine Reihe von Feldern, die jemand zwischen dem Unterholz abgewonnen hatte. Goldenen Ähren wiegten sich im schwachen Wind, der einzelne Sandkörner mit sich trug. Etwas Abseits vom Wasser standen mehrere, verfallen wirkende Häuser. Offenbar aus Lehmziegeln errichtet, waren sie wohl

schon lange nicht mehr bewohnt. Die Dächer der meisten Gebäude fehlten. Von anderen war kaum mehr als eine einzelne Wand und die Grundmauern übrig geblieben. Doch trotzdem war der Ort ganz offenbar nicht verlassen. Viele der Ruinen waren mit Tüchern und Planen notdürftig gedeckt worden und von einem offenen Herd im Zentrum der Siedlung stieg Rauch auf. In einer Umzäunung näher am Seeufer, wo spärliches Gras wuchs, waren mehrere Tier eingepfercht. Kühe, Schweine und ein paar Hühner, die frei herum liefen. Vermutlich hätte es die Barriere ohnehin nicht gebraucht. Das Vieh konnte letztendlich nirgendwo hin, dachte

Jiy. ,,Das ist es.“ , erklärte Abran. Der Whaid hatte auf dem Gipfel einer letzten Sanddüne angehalten, als die Oase in Sicht kam. ,,Wir waren schneller, als ich dachte.“ ,,Wie geht es von hier aus weiter ?“ , wollte Zyle wissen, der die fernen Bauten ebenfalls musterte. ,, Wenn wir ankommen, überlasst mir das reden. Währt ihr nur Fremde, würde ich euch alleine hinab gehen lassen. Wir kennen die Regeln der Gastfreundschaft und wer sich hier draußen verläuft kann damit rechnen, das man ihm zurück hilft.. Aber nachdem ihr nun einmal aus Helike kommt würde man euch kaum

sehr freundlich aufnehmen.“ ,,Verstehe…“ Sie machten sich also gemeinsam auf den Weg zu der Wasserstelle. Jiy fragte sich, woher das Wasser nur stammen mochte. In der Hitze des Tages verdunstete normalerweise sämtliche Flüssigkeit in wenigen Herzschlägen. Selbst ein See dieser Größe wäre doch nach ein paar Wochen ausgetrocknet. Aber den alten bauten nach zu urteilen, lebten hier seid Jahrzehnten Menschen. Als sie das obere Ende der Wasserfläche erreichten, trat die Gejarn neugierig ans Ufer. Das Wasser war so klar, das man ohne Probleme bis auf den Grund sehen konnte. Einige Fische schwammen vor

ihrem Schatten davon, als sie vorsichtig mit den Händen Wasser schöpfte. Es war eiskalt, noch etwas, das sie überraschte. Und der See war nicht so flach, wie sie vermutet hatte. Man konnte den Grund lediglich viel näher sehen, als sie es gewohnt war. Irgendetwas stimmte nur mit dem Wasser nicht, es schmeckte jedoch ganz normal… Auch in den Minen unter dem Sand hatte es Wasser gegeben, das sich auf dem Boden sammelte und in kleinen Strömen die Felsen hinab lief. Gab es da einen Zusammenhang? Sie wollte grade Erik fragen, wurde aber jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sich bei den Ruinenhäusern etwas tat. Mehrere

Menschen in brauner oder sandfarbener Kleidung tauchten aus den Gebäuden auf. Viele trugen wie Abran auffällige Tätowierungen im Gesicht oder an den Armen. Die meisten zeigten alle das gleiche. Drachen oder große Schlangen. Vermutlich waren sie mehr als nur am richtigen Ort, dachte sie. Einige der Männer trugen Waffen, manche der Frauen hatten sich mit Werkzeug bewaffnet... Wie Abran sie schon gewarnt hatte, Willkommen waren sie nicht. Dieser breitete jedoch nur die Arme aus. ,, Frieden. Ihr erkennt mich doch hoffentlich wieder…“ Die Bewohner blieben stehen und

tatsächlich wurden ihre Minen etwas freundlicher. ,,Abran.“ , meinte ein etwas älterer Mann, der sich auf eine Schaufel stützte. Besonders gefährlich wirkte er damit nicht, aber seine grauen Augen blickten wachsam in die Runde. ,, Aber wen bringt ihr da mit euch zurück ?“ ,, Freunde und vielleicht Verbündete. Ich bin Nach Helike aufgebrochen um mit den Magiern zu reden, wenn ihr euch erinnert, Halin.“ ,, Das tue ich.“ Der Mann, den Abran als Halin angesprochen hatte, gab den anderen ein Zeichen, das sie sich wieder zurückziehen sollten und die Männer und rauen kehrten nach einem kurzen

Blick auf die Neuankömmlinge an ihre Arbeit zurück. Einige machten sich auch auf zu den Feldern am Seeufer und Jiy vermutete, das die Bewohner wohl irgendwie vorgewarnt gewesen waren, dass sie kamen. Bis grade eben hatte das Dorf bis auf die Feuer noch verlassen gewirkt. Ob sie Späher draußen in der Wüste hatten? Halin wies sie an, ihm zu den verfallenen Häusern zu folgen, wo jetzt auch einzelne Kinder aus den Zelten und Hütten auftauchten. ,, Man könnte beinahe meinen, wir ziehen fremde in den letzten Wochen grade zu an.“ , meinte er, als er sie zum Eingang eines größeren Hauses führte,

das intakter war, als der Rets. Er zog einen bunt bestickten Vorhang beiseite und bedeutete ihnen einzutreten. Auch wenn es eines der größeren Gebäude in der Oase war, besonders geräumig war es mit sieben Personen darin nicht. Durch ein mit Holz vergittertes Fenster fiel Licht in einen Raum, in dem Kissen auf dem Boden verteilt lagen. Hinzu kam eine kleine Schlafstelle in einem abgeschlossenen Teil des Hauses und eine offene Vorratskammer, in der sich irdene Krüge und Gefäße stapelten. ,,Also Abran.“ , meinte Halin, während er Platz nahm. ,, Was ist passiert ?“ Auch die anderen setzten sich in einem Kreis auf den Fußboden oder die

verfügbaren Kissen. ,, Ich berichte wenig neues.“ , gab der Whaid zurück. ,, Die Magier lassen sich nicht von ihrem Plan abbringen, Laos komplett den Rücken zu kehren.“ ,, Damit bleiben wir alleine zurück… Nun, wir haben es auch zuvor geschafft, nicht?“ ,, Und wir werden es auch weiterhin schaffen.“ , erklärte Abran. ,, Nun denn, aber was ist mit euren Gefährten ? Was treibt euch zu uns?“ ,, Wir erbitten eure Hilfe.“ , begann Kellvian. ,,Besser gesagt, wir erbitten eure Hilfe, bei der Suche nach etwas.“ ,, Ach ?“ Halin schien nicht zu gewillt, sich auf lange Wortspiele einzulassen. ,,

Und was genau sucht ihr ?“ ,, Einen Drachen.“ , erklärte Erik. ,, Ich denke ihr wisst, wo man einen findet.“ ,, Und verratet ihr mir auch, wieso ich das tun sollte, vorausgesetzt, ich wüsste es ? Es gibt mehr als einen unter den fremden, die unsere Ahnen töten würden, ohne einmal nachzudenken. Oder… sie würden es versuchen.“ Halin griff nach einem der Gefäße, die im Raum verteilt standen und entfernte den Deckel. Ohne sich erst zu erklären, schüttete er den Inhalt in die Mitte des Kreises, den seine Besucher bildeten. Schwarzer Staub wirbelte auf und Jiy stieg der Geruch von Kohle und Asche in die Nase. Und eine ferne Erinnerung an etwas anderes.

Schwefel… ,, Das ist alles, was von dem letzten Narren blieb, der unsere… Hilfe in Anspruch nahm. Im guten Willen haben wir sie auch gewährt. Und er dankte uns, indem er versuchte, uns zu verraten. Solltet ihr das gleiche Versuchen wollen, geht jetzt in Frieden. Oder ich schwöre ihr werdet diesen Ort nicht mehr verlassen.“ ,,Wir bleiben.“ , erwiderte Jiy sofort. Wenn der Mann ihnen Angst machen wollte, hatte er damit keinen Erfolg. ,,Mutig. Aber gut. Das ist aber immer noch keine Garantie dafür, dass man euch auch anhören wird. Selbst wenn ich euch zu meinem Herren bringe,

Feryakin hat selbst für uns nur selten Ohren. Nur mit einem der Fremden, die vor ein paar Wochen hier ankamen, scheint er sich jederzeit zu Unterhalten.“ ,,Diese Fremden…“ , begann Kellvian. ,, Sie sind nicht hier.“ Halin winkte ab. ,, Kann man ihnen trauen Abran ?“ Das war der Moment , auf den es ankam. Jiy beobachtete Abran genau. Der Mann zögerte mit seiner Antwort. Wenn er sich jetzt nicht für sie aussprach, dann hätten sie den Weg vermutlich umsonst gemacht. Und sie würden wohl nie eine Chance bekommen, das zweite Rätsel zu lösen… Was das dann bedeutete, darüber wollte die Gejarn am liebsten erst gar

nicht nachdenken müssen. ,,Ich glaube ja.“ , erwiderte der Whaid. ,, Aber letzten Endes Schließe ich mich eurem Urteil natürlich an.“ ,, Dann vertraue ich dem euren.“ Er sah die fünf Fremden der Reihe nach an.,, Können wir gleich aufbrechen ? Feryakin besucht uns nur selten, wir werden uns also auf dem Weg zu ihm machen müssen. Je eher wir dort sind, desto eher, werden wir sehen ob ihr die Wahrheit sagt.“ Niemand hatte etwas dagegen und so machten sie sich bereits nach wenigen Stunden erneut auf den Weg. Jiy und die anderen nutzen die kurze Pause, um sich etwas in der Ruinenstadt umzusehen und

ihre Wasserreserven aufzufüllen. Es lebten vielleicht knapp hundert Whaid hier. Aber das konnte nicht alles sein, dachte die Gejarn. Nach dem, was sie bisher über sie gehört hatte, beherrschten die Halbnomadisch Lebenden Männer und Frauen die Wüste hier draußen. ,,Gibt es eigentlich noch weitere solcher Siedlungen ?“ , wollte sie daher von Abran wissen. Der Mann hatte bereits klar gemacht, dass er sie nicht begleiten würde, sondern hierblieb. Offenbar hatte er fürs erste genug von Helike und Ihnen. Halin würde sie alleine weiter führen und für den Rückweg würde man ihnen wohl nur die Richtung weisen.

,, Natürlich. Wenn auch verstreut. Jede Wasserstelle im Umkreis von hundert Tagesreisen steht unter unserer Kontrolle. Aber die meisten sind so klein, das sie nur wenige Leute ernähren können.“ ,,Und die Ruinen ?“ ,, Dieses Land war einmal viel grüner. Aber das liegt so viele Generationen zurück, das sich nicht einmal mehr alle Drachen daran erinnern können. Deshalb und um nicht entdeckt zu werden, leben wir sehr Verstreut. Selbst ein ortskundiger findet uns wohl nur durch Glück. Die Wüste verändert sich

ständig.“ Das leuchtete ein. ,, Und wie findet ihr euch dann zurecht ? Verzeiht, ich stelle zu viele Fragen.“ Abran musterte sie kurz , als ob er feststellen wollte, ob sie die Antwort wirklich interessierte. ,, Dazu muss man die Gegend nicht nur kennen. Man muss in ihr aufgewachsen sein.“ ,, Wie man sich in einem Wald zurecht findet, den man gut kennt. Obwohl sich alles verändert, bleiben einem doch immer Anhaltspunkte.“ ,, Auch wenn ich nicht wüsste, wo es Wälder gäbe, die groß genug sind um sich darin zu

verlaufen.“ ,,Ihr solltet vielleicht wirklich einmal erwägen, nach Canton zu ziehen.“ ,, Da ist es kalt. Ich bin nie weiter als Kalenchor. Die Leute, die aus eurem Land kommen, tragen oft Pelzmäntel mit sich. Was soll ich an einem Ort, an dem selbst Tagsüber das Wasser gefriert?“ ,, Und was soll ich an einem Ort, wo man selbst ohne ein Feuer lebendig gekocht wird.“ , gab Jiy bissig zurück. ,,Mit dem Unterschied, das ihr nun einmal hier seid.“ Schließlich brachen sie auf und verließe die kleine Oase nach Südwesten. Halin schweig während der meisten Zeit und

begnügte sich damit, sie anzuhalten, hinter ihm zu bleiben. Wieso, erklärte er jedoch nicht. Vermutlich wollte er nur sichergehen, dass sie alle in seiner Nähe blieben. Gegen Abend wichen die Sanddünen einer steinigen Ebene, aus der ein niedriger Berg aufragte. Die Veränderung der Landschaft war so plötzlich, das Jiy sich fragte, ob sie die Wüste tatsächlich hinter sich lassen könnten. Aber dem war nicht so. Um die Ebene herum zogen sich weiterhin die altbekannten Dünen und ewigen Sandflächen. Nur hierher schien sich nicht einmal ein Körnchen zu verirren. Ob dies etwas zu bedeuten hatte, oder

nur eine Laune der Natur war, Halin führte sie direkt auf den Berg zu. In der Ebene wirkte er größer, als er eigentlich war. Nackter Fels und Erde bildeten die Hänge, die Steil zum Himmel ragten. Nicht einmal Vögel kreisten um den kahlen Gipfel. Und wovon hätten die sich hier draußen auch ernähren sollen? Beim näherkommen bemerkte Jiy schließlich, das sich ein Pfad die Bergflanken hinauf wand. Ein schmaler Felsgrad, in den Treppenstufen und Absätze gemeißelt waren. Halin führte sie zielsicher zum Beginn des Wegs und begann, die Stufen hinauf zu steigen. Die anderen folgten ihm. Außer dem Geräusch ihrer Füße auf dem Stein, war

es still. Nur nicht vollkommen still, dachte Jiy bei sich. Sie konnte sich täuschen und es war zu weit weg, aber waren da nicht Stimmen? Je weiter sie den Weg hinauf kamen, desto mehr war sie davon überzeugt, dass sie sich nicht täuschte. Und als sie schließlich das Ende der Treppe erreichten, erstarrten alle. Ihr Weg mündete auf einem kleinen Fels-Plateau etwas unterhalb des eigentlichen Gipfels. Hier in der Höhe war es kühler und Regenwasser hatte einen kleinen Teich entstehen lassen. Der unterhalb der Felsflanke lag, die weiter hinauf führte. Laublose Bäume standen um das Wasser und teilten sich ihren Platz mit dürftigen Gräsern. Und

im Schatten des Hangs lag etwas. Der Drache war größer, als Jiy erwartet hatte. Sie konnte wenig gegen das ungute Gefühl der Angst ausrichten, das sich ihrer bemächtigte… Genug, das sie die beiden gestalten, die in der Nähe der Kreatur saßen beinahe übersehen hätte…

Kapitel 78 Feryakin


Eden hätte beinahe einen Schritt zurück gemacht, als sie den Drachen das erste Mal sah. Die Kreatur, die dort im Schatten der Felswand ruhte, war leicht groß genug, um die Windrufer in den Schatten zu stellen. Olivgrüne Schuppen, die das Sonnenlicht mehr zu schlucken schienen, als das sie es wiederspiegelten, bedeckten den kompletten Körper. Das Wesen ruhte auf dem Boden und hatte den Kopf zwischen die gewaltigen, Krallenbewehrten Füße gestützt. Tiefrote, träge Augen musterten die kleine Gruppe von Neuankömmlingen,

schienen sich aber nicht wirklich zu beachten und wendete sich stattdessen wieder den beiden Gestalten zu, die vor ihm saßen. Eine war ein gutes Stück kleiner als die andere und schien sich ungezwungen mit der Kreatur vor ihm zu unterhalten. Diese neigte nur leicht den Kopf, wie um einer Aussage zuzustimmen oder kniff leicht die Augen zusammen, wodurch sie noch verschlafener wirkte. Die andere Person sah nur zwischen dem Drachen und dem Jungen hin und her. Er trug seine typische schwarze Kleidung und auch wenn er mit dem Rücken zu ihr saß, erkannte sie den Wolf doch sofort. Und noch mehr den Jungen, der ein paar

Schritte neben ihm saß und den Kopf zu ihr umwandte. Ein paar türkisfarbener Augen, die unter Strähnen dunklen Haars hervorlugten und in denen auch sofort das Wiedererkennen stand. Ihr Herz hätte beinahe einen Schlag ausgesetzt, als die Erkenntnis einsetzte. Eden versuchte ihre Gedanken zu Ordnen. Wie… das war unmöglich… Sie konnte nur wie gebannt auf die beiden Totgeglaubten starren, während Wochen der Unsicherheit plötzlich wieder in ihr hochkochten. Sie hatte nie geweint, seit Jahren nicht, trotzdem konnte sie nun nicht verhindern, das ihre Augen wässrig wurden. In die Dunkelheit

damit… Die Gejarn zwang sich, einen unsicheren Schritt auf die beiden zuzumachen. Zachary zog Cyrus am Ärmel, der offenbar noch nicht gemerkt hatte, dass sie Besuch hatten. Als der Wolf sich zu ihr umdrehte, bekam sie de zweiten Schock. Wo sein linkes Auge gewesen war, trug der Mann eine dunkle Augenklappe, die nur unzureichend das Narbengewebe abdeckte, das sich darum gebildet hatte. Das hinderte sie aber kaum daran, die kurze Entfernung zwischen ihnen endgültig zu überbrücken. Bevor der Gejarn oder Zac ihre Überraschung überwunden hatten, hatte sie die beiden auch schon in eine

heftige Umarmung gezogen. Ein Teil ihres Verstands wollte immer noch an einen bösen Trick glauben. Aber der Großteil war viel zu überzeugt von dem was sie fühlte. Zwei durch und durch lebendige , die eigentlich nicht hier sein sollten. ,, Ich dachte ihr wärt tot.“ , brachte sie schließlich hervor. ,, Ich zumindest bin es gleich , wenn du mich erdrückst.“ , erklärte Cyrus grinsend. ,,Aber…“ Sie erstickte seine Proteste mit einem langen Kuss, der Zachary nur dazu veranlasste, beschämt den Kopf wegzudrehen. Wenn es irgendwie ginge, sie hätte keinen der beiden mehr

losgelassen. Schließlich jedoch räusperte sich Halin und sie lösten sich wiederwillig voneinander. ,, Wie… Götter, wie ist das möglich?“ ,, Frag Zac, ich habe keine Ahnung.“ , erwiderte Cyrus und kratzte sich verlegen am Kopf. Von den anderen war nach wie vor niemand näher gekommen.. ,, Ich weiß nur, das ich dank ihm noch am Leben bin.“ ,, Was ist mit dir passiert ?“ Zachary schien äußerlich unverletzte, aber dir breite Narbe in Cyrus Gesicht machte ihr Sorgen. ,, Das meiste ist ja noch dran.“ , meinte er

spöttisch ,,Viel hässlicher konntest du ohnehin nicht mehr werden.“ ,,Danke…“ Sie gab ihm einen weiteren, kurzen Kuss, bevor sie sich endgültig Zachary zuwendete. Das Gefühl endloser Erleichterung schien sich nur noch zu Verstärken… Es ging beiden gut, dachte sie nur immer wieder. Sie ließ sich auf ein Knie nieder und schloss den Jungen noch einmal in eine Umarmung. Und dann konnte sie doch die Tränen nicht mehr zurück halten… ,,Hey… Hey, es geht mir gut.“ ,, Erschreck mich nur nie wieder so.“ Sie richtete sich auf. ,, Und… bevor ich

es vergesse.“ Sie zog das Amulett mit Falamirs Träne daran hervor. ,, Das gehört immer noch dir.“ Eden legte Zac vorsichtig das Band um den Hals. ,, Ich nehme also an, ihr kennt euch ?“ Zu Edens Überraschung war es der Drache, der Sprach. Die Stimme der gewaltigen Kreatur war tief und brachte den Boden unter ihren Füßen kaum merklich zum zittern. Die Kapitänin nickte nur und wagte es einen Moment nicht, etwas zu erwidern. Der Drache richtete sich etwas auf, wobei jede schwerfällige Bewegung von einem weiteren kleinen Erdbeben begleitet wurde. ,,Passt mir nur gut auf den Kleinen auf.“

, meinte er schließlich. ,, Er hat einen hellen Kopf. Der andere nicht so sehr. Er langweilt mich eher und hatte das Glück, das ich bis jetzt keinen Hunger bekommen habe.“ ,, Na klar, verfluchtes ,undankbares, Schuppenvieh.“ , murmelte Cyrus leise, der Drache hatte es jedoch offenbar trotzdem gehört. ,, Aber zumindest fehlt es ihm nicht an Mut. Ich habe die beiden gefunden, als sie an einer der Oasen meiner Kinder aufgetaucht sind. Er war tatsächlich dumm genug mich kurz anzugreifen… Als ob mich ein einzelner sterblicher Verletzen könnte.“ Der Drache senkte den Kopf wieder, bis er auf Augenhöhe

mit Cyrus war. ,, Das war beinahe niedlich.“ ,, Draco magnus viridis. Und ich dachte von euch gäbe es seit dem Drachenfeldzug unter den Ordeal-Kaisern keine mehr.“ Erik hatte sich unter den anderen zuerst aus seiner Erstarrung gelöst und trat ohne ein Zeichen von Angst auf die riesige, geflügelte Echse zu. ,,Ich ziehe den Namen Feryakin vor, wenn es keine umstände macht.“ Erik machte nur eine angedeutete Verbeugung. ,, Verständlich.“ ,, Und ihr solltet euch nicht vor mir beugen, Ältester. Wir sind

gleichgestellt.“ Ältester ? Gleichgestellt? Eden schossen tausend Fragen gleichzeitig durch den Kopf. ,,Das musstet ihr jetzt natürlich laut sagen.“ , grummelte der Arzt. ,, Vergesst das bitte einfach wieder alle, ja ? Das ist weder eine Geschichte, die ich erzählen will, noch eine, die mir gefällt.“ ,,Sie…“ , setzte der Drache an. ,, Nein und das werden sie auch nicht“ , gab Erik zurück. ,, Und jetzt klappe halten !“ Tatsächlich zog Feryakin sich etwas in seine Felsnische zurück. Was bitte ging den da vor

sich? Zyle konnte sich über das Geschehen nur Wundern. Erst tauchten Cyrus und Zachary wie aus dem nichts an allen orten ausgerechnet hier wieder auf und dann machte Erik einem Drachen Angst. Wobei… vermutlich würde er auch zusehen, das er sich von dem Mann fernhielt, wenn er sich nicht sicher wäre, auf welcher Seite er stand. Halin und die anderen schienen sich genau so unsicher wie er, was hier grade geschah. Aber es war auch egal, nicht? Sie waren wegen etwas völlig anderem hierher gekommen. ,,Verzeiht.“ , begann Kellvian und nahm

Zyle damit ab, selber etwas zu sagen. Vermutlich war es ohnehin besser, wenn er Kell sprechen ließ. Er war aus Helike, der Mensch nicht. Feryakin wäre sicher nicht gut auf einen Schwertmeister zu sprechen. Der Drache wendete seine Aufmerksamkeit nun Kell zu, der vor der gewaltigen Kreatur wie ein Zwerg wirkte. ,, Verzeiht, wiederholte er.,, Aber ich fürchte, wir haben nicht viel Zeit.“ ,, Dann schlage ich vor, ihr nehmt sie euch. Ich halte nicht viel von Hektik.“ Jetzt, wo Erik sich zurückgezogen hatte, wurde das Biest offenbar wieder Überheblich. Zyle fragte sich insgeheim,

ob alle Drachen so waren oder dieser hier nur ein besonders nerv tötender Vertreter seiner Art. ,, Ich brauche nur die Antwort, auf eine einzige Frage, das ist alles.“ Zyle konnte sehen, wie der Mann sich anspannte. ,, Unser aller leben könnte davon abhängen, das ich sie bekomme.“ ,, Oder es könnte davon abhängen, das ihr sie nicht bekommt, Junge.“ Ein Teil der Überheblichkeit verschwand aus Feryakins Stimme. ,,Wie lautet euer Name ?“ ,,Kellvian Belfare.“ ,, In euch lauert etwas, nicht wahr ? Wut, ungebremste Ambitionen und das Potential zu großer

Zerstörung.“ ,,Das bin nicht ich.“ , erklärte er nur. ,,Nicht…ganz. Ich kann es in euch sehen. Aber ihr könnt nicht alles in euch Verleugnen, das dunkel ist. Genug davon, stammt nur von euch selbst. Ob ihr mir glaubt oder nicht.“ ,,Und mir fehlt immer noch die Zeit für Wortspielchen.“ Kellvian schloss die Augen. ,, Nun gut… Werdet ihr uns anhören, Feryakin ?“ Wenn nicht, hatten sie einen noch weiteren Weg umsonst gemacht, dachte Zyle. Der Rückweg würde sie noch einmal anderthalb Tage kosten, wenn nicht mehr. Es wurde knapp, wenn er noch vor dem Auslaufen der Schiffe

wieder in Helke sein wollte. Und das musste er, dachte Zyle. Ansonsten würde er die anderen einfach hier zurück lassen und alleine losgehen. Sie konnten nachkommen, wenn sie ihre Antworten hatten… ,,So oder so“ , begann der Drache wieder zu sprechen. ,, Ihr seid schwerlich eine Bedrohung für mich. Stellt eure Frage.“ ,,Der Drache hält den Schlüssel.“ , meinte Kellvian und Zyle stellte zufrieden fest, das das die Mine des Drachen sich kurz veränderte. Er wusste jetzt schon, um was es ging. ,, Das ist der Wortlaut einer Inschrift in den Katakomben nahe Helike. Ich denke, ihr wisst wovon ich spreche. Ich muss dort

hinein.“ ,, Was wollt ihr an diesem Verlorenen Ort ? Dort unten lauert nur Verderben und Wahnsinn. Es hat offenbar nicht funktioniert. Was glaubt ihr also, dort zu finden, das so wichtig ist, das ihr mich mit alten Erinnerungen stört?“ ,, Ich weiß es nicht.“ , erklärte Kell. ,, Ich weiß nur, das ich es vor jemand anderem erreichen muss. Gelingt mir das nicht, wissen die Götter, was geschehen wird. Und ich werde nicht mit leeren Händen zurückgehen und abwarten! Ihr wisst, wovon ich spreche… Noch mehr, ich glaube ihr wisst sogar ganz genau, was dort Unten ist. Aber wenn ihr es uns schon nicht verraten könnt… lasst es uns

wenigstens selbst herausfinden. Bitte.“ ,,Nach all den Jahrhunderten, kommt ihr um vielleicht zu Ende zu bringen was das alte Volk begann.“ Der Drache zögerte noch immer. ,, Es ist nicht meine Aufgabe, es euch vorzuenthalten. Nur wenn ihr dort seid, wenn ihr es seht… vergesst eines nur nicht und glaubt meine Worte, denn ich war dabei: Es hat nicht funktioniert. Das Versprechen den Tod zu Überwinden, es ging schief. Und alles was es euch bringen wird ist Verdammnis. Zerstört es, wenn ihr könnt. Aber lasst euch niemals dazu Verführen, es zu benutzen.“ ,, Ich habe keine Ahnung, wovon ihr

sprecht.“ , bemerkte Kellvian nur. ,, Das werdet ihr früh genug. Und vielleicht ist es dann zu spät. Aber wie ich sagte, es ist meine Aufgabe zu Wachen, nicht euch aufzuhalten. Wenn ihr den Schlüssel wirklich wollt, kann ich ihn euch geben.“ ,, Es ist nicht so, das ich eine Wahl habe.“ Kellvian trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Normalerweise hätte das komisch gewirkt, aber Zyle war selber angespannt. Dass der Drache in Rätseln sprach machte es nicht besser. Feryakin erhob sich langsam aus seiner Felsnische. Jede Bewegung des Drachen ließ die Erde erneut unter ihren Füßen

zittern und Sorgte dafür, dass sich kleine Gesteinsbrocken von den Berghängen lösten. War die dunkelgrün geschuppte Echse im Liegen schon groß gewesen, so wichen sie nun endgültig alle ein Stück zurück, als sie sich voll aufrichtete. Der Kopf des Drachen ragte irgendwo über ihnen in die Höhe und die Schwingen, obwohl er sie dicht an den Körper gefaltet trug schleiften auf dem Boden, breit genug, um im Flug die Sonne auszublenden… Schließlich machte Feryakin einen Schritt zur Seite weg, so dass sein Körper die Felsnische freigab, die er verborgen hatte. Zyle blinzelte ein paar Mal um sich zu Überzeugen, das er nicht

abermals irgendeiner optischen Täuschung aufsaß. Der Fels öffnete sich zu einer kleinen Höhle, in der das Sonnenlicht Gold und Juwelen zum Glitzern brachte. ,, Drachen sind wirklich schlimmer als Elstern.“ , bemerkte Erik nur trocken, als er die Reichtümer bemerkte. ,, Ich hoffe wirklich, ihr wisst noch, unter welchem Goldstapel sich euer… Schlüssel… befindet.“ Feryakin ging nicht auf den Arzt ein, sondern räumte lediglich Geschickt einige Münzen und Edelsteine beiseite. Zyle konnte die Prägungen auf einigen der Goldstücke erkennen. Offenbar waren manche davon alt genug, um noch

Wappen von lange verschwundenen Reichen zu tragen. Einiges davon musste noch aus der Zeit vor Laos stammen…. Das jedoch, was sie eigentlich interessierte, unterschied sich maßgeblich von den übrigen Schätzen, die der Drache über die Jahrhunderte gehortet hatte. Mit der gleichen Vorsicht, die man einer so großen Kreatur gar nicht zugetraut hätte, förderte Feryakin schließlich einen einzigen Gegenstand aus dem Hort zu Tage. Wie ein Schlüssel wirkte es wirklich nicht. Es war ein Ring aus weißem Marmor, in dessen Zentrum ein blauer, undurchsichtiger Stein eingelassen war. In den Rand des Rings

waren Zeichen eingeätzt, die Zyle bereits einmal gesehen hatte. Die Schrift des alten Volkes… Kellvian hob den etwa Faustgroßen Gegenstand vorsichtig auf und betrachtete ihn von allen Seiten. Die Symbole am Rand der Steinscheibe glitzerten silbrig in der Sonne, als wären sie nicht aus dem gleichen Material wie der Rest. ,, Und es wird funktionieren ?“ , wollte der Mensch wissen. ,, Das öffnet uns den Weg ?“ ,, Wenn ihr die erste Tür öffnen konntet… wird die zweite damit auch kein Hindernis darstellen.“ Zyle seufzte. Gab diese Kreatur ihnen

den jemals eine eindeutige Antwort? ,, Könntet ihr vielleicht etwas genauer sein ?“ , begann er. ,, Was machen wir mit dem Stein, wenn wir an dem Portal sind ? Was wird passieren? Und was ist dort unten, das selbst euch Angst zu machen scheint?“ ,,Stellt ihr alle immer so viele Fragen…“ Feryakin legte sich demonstrativ wieder hin und schloss träge die Augen. ,, Von so was wird man Müde.“ Das war doch jetzt ein böser Scherz. Zyle trat wütend auf den Drachen zu. ,, Ich bin es hingegen Müde, im dunkeln zu tappen. Ihr wisst mehr, als ihr uns verrate. Verdammt, jeder weiß mehr, als

er mir verrät, selbst die Archonten! Ich brauche ein paar Antworten.“ Feryakin öffnete ein einzelnes, rotes Auge wieder. ,,Vielleicht habt ihr recht, kleiner Gejarn. Vielleicht sollte ich euch auch einfach fressen, wenn ihr nicht die Stimme senkt. Ich werde euch eine einzige Antwort geben. Stellt eure Frage also weise. Ihr habt viele und nur eine davon kann es sein…“ ,,Und wenn ihr die Antwort nicht kennt ?“ ,, Ihr wollt eine Antwort und die bekommt ihr, kann ich sie euch nicht geben, stellte eine andere…“ Zyle hielt inne. Eine einzige Frage. Er wüsste zu gerne, was sie dort unten

erwartete. Aber es gab noch ein weiteres, ungelöstes Rätsel. Es schien unwahrscheinlich, das der Drache etwas darüber wissen konnte, das ihm noch unbekannt war. Oder ? Die Whaid hielten sich auch in Helike auf, genau wie die Magier. Nun er konnte nichts verlieren, wenn er keine Auskunft erhielt. ,, Wisst ihr wer Archontin Egina vor einem anderthalb getötet hat ?“ Der Drache schien von seiner Frage ernsthaft überrascht und schreckte etwas aus seinem halbschlummer hoch. Die roten Augen fokussierten sich ganz auf den Gejarn und Zyle fühlte sich kurz mehr als unwohl in seiner Haut. Dann

wanderten sie tiefer zu dem Silberband an seinem Handgelenk… ,,Ich verstehe…“ , sagte der Drache so leise, wie es ihm wohl möglich war. Trotzdem hörten die anderen ihn wohl noch mehr als deutlich. Zyles Herz schlug auf einmal schneller. Er wusste etwas? Das konnte doch nicht sein… ,,Könnt ihr die Frage beantworten ?“ , wollte er wissen. Ihnen lief die Zeit davon. Jetzt wo sie den Schlüssel hatten, mussten sie sich auf den Rückweg machen, oder riskieren, zu spät zu kommen. Er würde das nicht zulassen. ,, Ansonsten sagt mir was uns in den Katakomben erwartet…“ ,, Geduld.“ , meinte der Drache. ,, Ich

habe euch Versprochen, auf eure frage zu antworten. Und das tue ich. Die Antwort lautet : Die, die ihr am aller wenigsten dafür in der Lage haltet.“ Zyle kam sich mehr als betrogen vor. Das war gar nichts. Nicht einmal der beginn einer Spur. ,, Das war keine Antwort !“ , protestierte er. ,, Es war die Wahrheit.“ , korrigierte Feryakin ihn. ,, Die Wahrheit, so weit ihr sie ertragen könnt.“ ,, Von wegen. Ihr habt mich hereingelegt.“ Wen er am wenigsten dazu in der Lage sah? Das wäre so ziemlich jeder, der hier Anwesenden. Aber irgendetwas sagte ihm, das er die

verdammten Andeutungen einfach nicht richtig Verstand. ,, Wen meint ihr ?“ ,, Ihr wisst es also wirklich nicht… In diesem Fall fürchte ich, seid ihr schon verloren. Ich habe mich an mein Wort gehalten und euch eine Antwort gegeben. Es war nicht ausgemacht, das ich euer Händchen halte, bis ihr sie erreicht, Sterblicher.“ Er wendete sich an die anderen. ,, Geht jetzt. Ihr habt was ihr wolltet, also stört mich nicht länger.“ ,,Aber…“ , setzte Zyle an. Erik legte ihm eine Hand auf die Schulter. ,, Glaubt mir, es haben schon ganz andere Versucht, aus einem Drachen eine vernünftige Antwort heraus zu bekommen. Ihr könnt ein Jahr hier

verbringen und doch kein Stück schlauer sein.“ ,Der Gejarn wendete sich enttäuscht ab. ,, Redet ihr da aus Erfahrung ?“ , wollte er mit einem matten Lächeln wissen. ,, In etwa.“ Mit gemischten Gefühlen machten sie sich an den Abstieg und zurück zum Lager der Whaid. Halin und Abran blieben beide dort zurück, während die kleine Gruppe weiter in die Wüste aufbrach. Zurück nach Helike… Sie hatten Zachary und Cyrus wieder gefunden und Zyle hatte Eden selten glücklicher erlebt. Sie hatten einen Schlüssel, von dem sie nicht wussten, wie sie ihn verwenden sollten… Und er

hatte noch mehr Rätsel. Rätsel, um die er sich später kümmern musste. Was jetzt zählte war, dass sie rechtzeitig zurück zu Relina gelangten…

Kapitel 79 Verrat


Es war der Tag der großen Flucht, wie Zyle mit erschrecken klar wurde, als die Sonne langsam am Horizont auftauchte. Das Licht tauchte eine Hälfte der Stadt vor ihnen in lebhafte Gold und Rottöne, während der andere noch im Schatten blieb. Helike hatte sich während ihrer kurzen Abreise nicht verändert. Aber er konnte die Spannung, die in der Luft lag grade zu schmecken, als er mit den anderen durch die Stadttore trat. Wenn alles gut ging, würde der heutige Tag endlich eine Wende für Helike bedeuten. Und wenn

nicht… Wenn nicht, würde er die Stadt heute zum letzten Mal betreten, so oder so. Kellvian und die anderen müsste dann alleine zu Ende bringen, was sie begonnen hatten. Das zweite Tor öffnen und den Meister aufhalten. Aber für den Moment zählte nur eines: Zyle musste zum Hafen… ,, Relina ist vermutlich schon bei den Schiffen.“ , erklärte er, ,, Besser, wir beeilen uns…“ ,, Sie werden schon nicht ohne euch ablegen.“ , meinte Kellvian beruhigend. Er kannte den wahren Grund für Zyles Unruhe natürlich nicht. ,,Wenn ihr sie begleiten wollt heißt

das.“ ,, Das wird sich heute entscheiden müssen.“ Er beschleunigte seine Schritte, als sie sich dem Hafenbezirk näherten. Obwohl es noch früh war, waren bereits mehr als genug Leute auf den Straßen Helikes. Angst und Ungewissheit wuchsen mit jedem Schritt in ihm, selbst als die Hafenmole endlich in Sicht kam. Dieser Teil der Stadt lag noch im Schutz der Dunkelheit verborgen, aber er war leicht der geschäftigste. Leicht hätte man die dutzenden von Männern und Frauen, die Fässer und Kisten an Bord der intakten Schiffe am Hafen luden , für reguläre Arbeiter halten können. Aber Zyle

wusste genau, wer sich unter der Kleidung von Seemännern und Werftarbeitern verbarg. Ein paar Gesichter, die Körbe trugen oder Fässer rollten kamen ihm vage bekannt vor, obwohl sie sich unter schichten aus Schmutz und Kohle verbargen, die die Täuschung noch verbesserten. Eine Täuschung, die nicht lange halten würde, wenn die Archonten verdacht schöpften. Und dafür hatte er gesorgt… Es musste einfach funktionieren. Seine Hände schwitzten , als sie die Windrufer passierten. An dem Schiff wurde nach wie vor gearbeitet, so dass die Magier es kaum verwenden konnten. Und Eden hätte dem wohl auch nie zugestimmt.

Und dann kamen die kaiserlichen Galeonen in Sicht, die die Magier für ihre Flucht nutzen wollten. Seit dem Rückzug der Garde war es an Bord wohl nicht mehr so geschäftig gewesen. Relina hatte wieder einmal ganze Arbeit geleistet… und er hatte dabei auch seinen Anteil gehabt, dachte er mit einem gewissen Stolz. Obwohl mehrere hundert Menschen und Gejarn an Deck standen, Segel vorbereiteten, Fässer mit Vorräten unter Deck brachten oder sich bereits wieder auf den Weg machten, neue zu holen, entstand kein Chaos. Jeder wusste, was er zu tun hatte… Einige Schaulustige hatten sich ebenfalls eingefunden, welche die seltsamen

Vorgänge an der Hafenmole begutachteten. Aber niemand schien misstrauisch. Zyle wurde klar, das es ein weiterer Geniestreich Relinas gewesen war, die kaiserlichen Schiffe für die Flucht der Magier zu verwenden. Die Archonten würden vielleicht von Kellvian erfahren wollen, wieso er Vorräte und Ausrüstung an Bord von angeblich leeren Schiffen brachte, aber es war nicht ihr Zuständigkeitsgebiet. Und wenn sie es als Hinweis auf eine baldige Abreise der Fremden aus Canton deuteten, würden sie sich kaum darüber beschweren… Und dann sah Zyle sie. Relina trug die gleiche unauffällige Kleidung, wie die

meisten anderen. Braun-graue Stoffe, wie sie typisch für die Handwerker Helikes waren. Trotzdem bildete sie das deutlich sichtbare Zentrum des organisierten Chaos um sie herum, gab letzte Anweisungen und wies allen, die untätig zu werden drohten, neue Aufgaben zu. Und dann drehte sie sich zu der kleinen Gruppe um, die sich durch den Strom der getarnten Rebellen kämpfte. ,,Zyle !“ Die Gejarn verließ ihren Posten unter den Arbeitern und kam lächelnd auf sie zu. ,, Du hast es geschafft.“ ,,Ich…“ Ihm fehlten plötzlich die Worte und stattdessen zog er sie einfach einen

Moment an sich. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Stadt direkt mit ihr zu verlassen, dachte er. Was interessierte ihn, wenn Helike sich zu Grunde richtete. Aber es war seine Heimat. Er hatte getan, was er für richtig hielt. Und jetzt oder nie musste sie die Wahrheit erfahren. ,,Relina.“ , begann er. Seine Stimme musste ihr schon verraten, dass etwas nicht in Ordnung war und sie rückte etwas von ihm ab. ,, Ich fürchte, ich habe einen Fehler gemacht… und du wirst mich dafür hassen, aber, versuch es zu verstehen. Gib ihnen nur eine Chance…“ ,, Wovon redest du ?“ Und als er nicht

gleich antwortete. ,, Zyle, was hast du getan ?“ In diesem Moment kam Unruhe in die Menge am Hafen. Die Schaulustigen sprangen panisch auseinander und mehr als einer konnte sich nur mit einem Sprung ins Wasser retten. Andere wiederum kamen gar nicht mehr rechtzeitig weg und wurden von den Nachströmenden Flüchtlingen niedergetrampelt. ,, Was ist da los ?“ Relinas Aufmerksamkeit lag plötzlich ganz bei den Vorgängen an der Mole. Zyle stellte sich die gleiche Frage. Mittlerweile waren auch Schreie zu hören, während sich ihre Reihen immer

mehr lichteten. Die letzten, die entkamen, waren teilweise Verletzt. Schrammen von dem Gedränge und blaue Flecken… aber mehr als einer stolperte auch mit blutgetränkter Kleidung davon oder musste von einem Gefährten gestützt werden. Die Leute rannten nicht einfach auseinander, sie flohen um ihr Leben… Zyles Hand flog zum Schwertgriff, als die Menge endlich den Blick auf den Grund für die Unruhe freigab. Zyle hatte noch nie so viele Soldaten in den Straßen von Helike gesehen. Die ganze Mole bis hin zu dem Punkt, wo der offene Hafen in die Stadtmauer überging glänzte von Stahl, der die Morgensonne wiederspiegelte.

Dazwischen konnte er immer wieder rote Mäntel erkennen. Und sie töteten ohne Unterschied, wie er mit einem Schaudern feststellte. Wer sich ihnen in den Weg stellte oder auch nur das Pech hatte, dazwischen zu geraten, wurde ohne ein Wort niedergemacht. Panik und rasende Wut kämpften einen Moment in ihm um die Oberhand. Auch Kellvian und die anderen sahen verwirrt zu dem Vorgänge am Hafen. ,, Was soll das ?!“ , schrie Zyle über den Lärm von Verwundeten hinweg. Er erhielt keine Antwort, nur den gebrüllten Befehl eines Offiziers, der ihm das Blut in den Andern gefrieren

lies… ,, Tötet sie alle. Säubert den ganzen Hafen, wenn es nötig ist. Die Befehle der Archonten waren eindeutig… uns entkommt niemand.“ Ein paar von Relinas Leuten waren bereits geistesgegenwärtig genug, zu den Waffen zu greifen und eilten der langsam und geschlossen Vorrückenden Front aus Soldaten entgegen. Bald wurde die Luft nicht nur von Geschrei sondern auch von Aufeinanderprallenden von Stahl erfüllt. Nur Zyle stand wie erstarrt… Relina konnte ebenfalls nur ungläubig zusehen, wie sich die eben noch so organisierten Vorbereitungen in heilloses

Durcheinander verwandelten. Die Arbeiter brachten alles, was sie packen konnten an Bord der Schiffe, andere warfen direkt alles von sich und stürmten an Bord… Irgendwo in den Reihen der Paladine stieg eine Feuerwolke auf und warf die vorrückenden Angreifer etwas zurück. Das musste einer der Magier gewesen sein, dachte Zyle. Aber es war bei weitem nicht genug. Was hier vor sich ging war keine Schlacht… Es war ein Massaker. ,, Woher haben sie das gewusst ?“ , fragte Relina und packte ihn bei den Schultern. ,, Zyle, woher wissen die wo wir sind ?!“ Der Griff war schmerzhaft,

aber er machte keine Anstalten, sich daraus zu befreien. ,, Sie haben mir ihr Wort gegeben, das sie euch anhören , Relina.“ Der Druck auf seinen Schultern verstärkte sich. ,, Jeder einzelne von ihnen. Jeder Archont. Sie haben mir ihr Wort gegeben, das niemand zu Schaden kommen würde, verstehst du das? Und sie haben mich angelogen… Selbst mein Bruder.“ Die grenzenlose Enttäuschung gewann rasch die Oberhand über seine eigene Wut. Und die plötzliche Erkenntnis, die in Relinas Augen aufflackerte, gab ihm den Rest. Er hatte grade Jahrzehnte an Arbeit in wenigen Augenblicken zunichte gemacht… Er hatte alles zerstört, wofür

sie gekämpft hatte. Und dafür würde er einen Preis zahlen… ,,Ihr hattet einen Pakt mit den Archonten ?“ , wollte Erik ungläubig wissen. Hinter sich konnte er nach wie vor das Schreien der Sterbenden und Verwundeten beider Seiten hören… und die Hitze weiterer Flammen und Blitze, die durch die Reihen der Paladine fegten. Nur würde das alles nicht mehr reichen, das unvermeidbare Aufzuhalten. Sie waren zu wenige. ,, Du bist hierfür verantwortlich… Du hast uns alle verraten.“ Relinas Stimme war ruhig, zu ruhig, als sie ihn endlich losließ.

,, Vergib mir. Ich habe getan, was ich für richtig hielt. Oder töte mich, es kümmert mich nicht mehr. Ich habe schon versagt…“ Der Schlag, der ihn traf, riss ihn von den Füßen. Eine Kugel aus verdichteter Luft, die ihn völlig unvorbereitet mit sich riss. Zyle spürte, wie mehrere seiner Rippen knackten, bevor er hart auf dem Pflaster der Hafenmole aufschlug. Gebrochen, oder kurz davor. Es machte auch keinen Unterschied mehr. ,,Du Bastard…“ Relinas Stimme klang immer noch viel zu ruhig… Der Schwertmeister richtete sich

schwerfällig wieder auf. Die anderen wollten ihm zur Hilfe kommen, aber er gab ihnen ein Zeichen, zu bleiben, wo sie waren. Dann wurden ihm erneut die Beine weggefegt. ,, Warum ?“ Dieses Mal machte er sich gar nicht erst die Mühe, wieder hoch zu kommen. Konnte er nicht einfach hier sterben? Das wäre besser, als alle anderen Möglichkeiten. ,, Warum was ? Ich habe euch verraten, weil ich es für das richtige hielt.“ Relina zog ihn grob wieder auf die Füße. ,, Das meine ich nicht. Aber warum mich lieben? Was hat dir das gebracht…“ Er brachte nur ein trauriges Lächeln zu Stande. ,, Weil es einfach so ist. Ich

wollte das Beste für uns alle erreichen.“ Die Gejarn schüttelte nur den Kopf, bevor sie sich von ihm abwendete. ,, Das Beste…“ Sie formte die Hände zu einem Trichter. ,, Zurück! Zurück zu den Schiffen. Nehmt was ihr könnt und dann alle auf See.“ Damit drehte sie sich um und machte sich selber auf den Weg. Die Paladine wären bald hier, vor allem jetzt, wo sich die letzten Verteidiger zurückzogen. Zyle hielt sich auf sein Schwert gestützt aufrecht. Es war vorbei… Und zwar alles. Das Feuer der Zauber hatte mittlerweile auf mehrere Gebäude übergegriffen. Und zum zweiten Mal brannte der Hafen

lichterloh. Diesmal mit dem Unterschied, das niemand da war um die Brände zu loschen. Das trockene Holz der einfacheren Bauten brannte wie Zunder und so verbreiteten sich die Flammen rasend schnell. Bald wirkte die Szenerie mehr wie ein Ausblick auf das Ende der Welt, nicht wie eine Stadt, die vor wenigen Augenblicken noch voller Leben gewesen war. Und Hoffnung… ,, Einen Moment. Bitte, hört mir wenigstens kurz zu. “ Es war Kellvian, der hektisch zwischen den fliehenden Magiern und den anrückenden Soldaten der Archonten hin und her sah, bevor er Anstalten machte, der Zauberin zu folgen. ,,Vielleicht können

wir…“ Relina wurde nur unmerklich langsamer. ,, Es ist zu spät irgendetwas zu ändern. Und es gibt keine Heilung für euch, wenn es darum geht.“ Zyle würde sich gerne davon überzeugen, das sie nur aus Wut auf ihn sprach und einen Teil davon jetzt an Kellvian ausließ. Kell blieb stehen. ,, Ich… verstehe.“ , murmelte er. ,, Hattet ihr Angst, ich helfe euch sonst nicht ?“ ,, Ich musste einfach sicher gehen. Vergebt mir.“ Der Mensch lachte bitter. Zyle war nicht der einzige Verräter hier, wie es schien. ,,Alles, was ihr hättet tun müssen wäre

mit dem Lügen aufhören und mich einfach zu bitten…“ Relina blieb vor der Rampe, die hinauf auf eines der Schiffe führte, stehen ,, Auch dafür ist es jetzt wohl zu spät.“ Mit diesen Worten war sie in wenigen Schritten auch schon an Deck und begann Befehle zu geben. Die Laufplanken wurden eingezogen und einige letzte Nachzügler hievten sich an Seilen oder den Händen, die ihnen entgegengestreckt wurden, an Bord. Zyle, Kellvian, Jiy und die anderen blieben alleine im Hafen zurück. Alleine, bis auf die rasch näher kommenden Paladine. Auch wenn die Magier, die ihnen Zeit verschafft hatten,

gewaltige Lücken in ihre Reihen gerissen hatten, waren es immer noch genug, um sie mühelos zu umstellen. Und noch brauchten die Schiffe Zeit, dachte Zyle. ,, Wen ihr euch einfach zurückhaltet, werden die Archonten euch vielleicht gehen lassen.“ , meinte er an die anderen gerichtet. ,, Als ob.“ , bemerkte Cyrus und zog seine Axt. ,, Aber sehen wir es positiv, der Tag kann unmöglich noch schlimmer werden. Verschaffen wir euren Magiern etwas Zeit, was meint ihr?“ Er nickte dem Wolf nur schwach in Richtung des Wolfs .Und auch die anderen, Eden, Kellvian, Jiy, Zachary und nicht zuletzt Erik stimmten ihm der

Reihe nach zu. Sie kamen hier nicht mehr raus. So viel stand fest. Also machten sie eben das Beste daraus…

Kapitel 80 Helden, Brüder, Feinde


Zyle hatte Mühe, sich noch aufrecht zu halten und gleichzeitig, einen Schwertstreich abzuwehren. Eine gute Sache hatte es, am äußeren Ende der Hafenmole festzusitzen. Die Soldaten der Archonten konnten nur aus zwei Richtungen auf sie zu kommen. Gemäß ihren befehlen, fragten die Paladine erst gar nicht danach, wer sich ihnen vor den zwei kaiserlichen Galeonen in den Weg stellte. Sie griffen einfach an. Mittlerweile brannte beinahe der gesamte Hafen und nach wie vor schien es

niemand für nötig zu halten, die Feuer zu löschen. Hoffentlich würden wenigstens die Bewohner der anliegenden Bezirke darum kümmern. Sonst wäre die äußere Stadt Helikes bald endgültig dem Untergang geweiht. Und Zyle konnte nur hoffen, das die Flammen dann auch auf die innere Stadt übergriffen. Sollten sie alles verzehren, vor allen jene, die sie gesät hatten… Seine Trauer und das entsetzliche Gefühl von allen belogen worden zu sein wandelten sich zunehmend in blanken Hass. Genug, um ihn weiterzutreiben. Stahl prallte auf Stahl, als Zyle sich in einem kurzen Schlagabtausch mit einem Rotmantel wiederfand. Die

angebrochenen Rippen machten ihm zu schaffen. Jede Bewegung schmerzte, jeder parierte Hieb drang ihm bis ins Mark und presste ihm den Atem aus den Lungen… Aber aufzuhören und sich den Schmerzen zu ergeben hätte den sicheren Tod bedeutet. Als sein Gegner das nächste mal vorpreschte, ließ Zyle seinen Angriff absichtlich ins leere laufen und versenkte die Schwertklinge im Hals des Paladins. Der Mann war noch nicht zusammengesackt, als schon ein anderer seinen Platz einnahm. Kellvian und die anderen hatten ebenfalls Mühe, sich zu halten. Erik, Jiy und Kellvian waren hinter den Halbkreis zurück gewichen, den Eden, Cyrus, er

selbst und Kellvian bildeten und taten von dort, was sie konnten. Endlich hisste das erste der Schiffe am Hafen die Segel. Gleich hätten sie es geschafft, dachte Zyle, während er sich bereits einen Schlagabtausch mit einem neuen Gegner lieferte. Ein junger, unerfahrener Gejarn-Soldat. Selbst in seinem Zustand konnte er dem Schwertmeister kaum das Wasser reichen. Und dieses Mal konnte Zyle es nicht riskieren, Gnade walten zu lassen. Der Mann hieb mit der Klinge nach ihm, stand plötzlich offen und Wunderte sich offenbar nur darüber, wie Zyle so schnell zuschlagen konnte. Der Schwerthieb spaltete dem Mann die Brust

und er brach zusammen, tot oder verletzt. Im selben Augenblick begannen die Schiffe endlich, sich zu bewegen. Erleichtert atmete er auf, als die Segel sich im Wind spannten, der von der Küste kam und die großen Kriegsschiffe langsam vorwärts trieb. Weg von der untergehenden Stadt und dem sicheren Tod, der hier wartete. Zyle musste wieder daran denken, wie sich die Paladine einfach durch die Reihen der Zuschauer geschlagen hatten. Ohne Unterschied zwischen Freund oder Feind zu machen. Die Archonten mussten den Verstand verloren haben. Ihr eigenes Volk abzuschlachten. Auch die erneute

Wut darüber konnte nicht mehr viel gegen die zunehmende Müdigkeit ausrichten, die sich seiner Bemächtigt hatte. Zunehmend musste die kleine Gruppe Boden abgeben. Und auch das blieb nicht ohne Preis. Zyle selbst blutete aus einem dutzend kleinerer und größerer Schnitte. Keiner davon Lebensbedrohlich, aber sie machten ihn zunehmend langsamer. Schließlich kam der Moment, in dem sie nicht mehr zurückweichen konnten. Zyle versuchte es und fand, das sein Fuß plötzlich in der Leere über dem Hafenbecken schwebte. Rasch zog er das Bein zurück und parierte einen Schwerthieb, der ihm durch Mark und

Bein ging. Aber jetzt konnte er den Attacken nicht mehr einfach ausweichen. Auch die anderen erreichten das Ende ihres Rückzugs. Nun blieben ihnen zwei Dinge. Weiterkämpfen und sterben… oder den Sprung in die Tiefe wagen. Es war zu schaffen, aber wenn sie erst einmal im Wasser wären, würden die anrückenden Soldaten den Hafen mit Pfeilen spicken. Ein genau so sicheres Todesurteil. Vielleicht hätten sie versuchen sollen, im letzten Moment an Bord der Schiffe zu gelangen. Die anderen zumindest. Zyle würde lieber hier bleiben, als Relina noch einmal unter die Augen zu treten. Und sie waren letztlich alle geblieben. Die

Entscheidung stand. Ein greller Lichtblitz aus Kellvians Händen schleuderte mehrere Soldaten davon und verschaffte ihnen so eine kurze Atempause. Aber auch Kell und Zachary zusammen konnten kaum eine ganze Armee aufhalten… Immer mehr Klingen drangen gleichzeitig auf sie ein und immer öfter mussten sowohl Zyle als auch Eden, die nach wie vor am verbissensten kämpften, kleine Wunden hinnehmen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der erste von ihnen fiel... ,,Halt!“ Die Autoritätsgewohnte Stimme, die über das Feld hallte, nahm Zyle endgültig alle Hoffnungen. Jeder

andere… nur nicht er. Die Soldaten hielten inne, die Schwerter nach wie vor auf die verzweifelte Gruppe aus Kämpfern gerichtet, die mit dem Rücken zum Wasser standen. Dann wichen sie langsam zurück. Ihre Reihen teilten sich um vier ihm nur zu bekannten Gestalten Platz zu machen. Jona… Zyle glaubte nicht, das der Händlerkönig hierfür gestimmt hatte. Dazu wirkte er zu geschockt von dem Massaker, das die Krieger Helikes am Hafen angerichtet hatten… Cadus und natürlich Chonar der Wolf… Zyle hatte keine Sekunde Zweifel daran, wem er all dies letztlich zu Verdanken hatte. Seine Hände schlossen sich fester

um den Schwertgriff. Wenn sie schon starben, würde er die beiden mitnehmen, schwor er sich. Und dann waren alle schwüre auch schon wieder vergessen, als Wys als letzter zwischen den Paladinen hervortrat. Mit dem abgehärteten Blick des Kriegers musterte er das außer Kontrolle geratene Chaos um sich herum… Hätte Zyle dies je für möglich gehalten? Nein. Er wusste, dass die Archonten Skrupellos waren, wenn es um ihren Machterhalt ging. Aber das hier hatte er nie für möglich gehalten. Das diese Männer, deren einzige Aufgabe doch das genaue Gegenteil war, all ihre Ehre über Bord

warfen… Neue Wut flammte in ihm auf, als ihm mit einem Mal die Erkenntnis überrollte. Er war blind gewesen. Mehr als nur blind. Ignorant und das mit Absicht. Weil er das offensichtliche nicht wahr haben wollte. Helike war nie zu retten gewesen. ,,Zyle…“ Er achtete nicht auf die besorgten Rufe der anderen, als er ruhig vortrat. Es gab nichts mehr hier, das ihm etwas Wert war. ,, Ihr wart es.“ Hatten die Archonten damit gerechnet, dass sie sich ergaben? Das sie die Waffen weglegten? Oder gar, das die

kleine Gruppe einen letzten Angriff wagte? Es spielte keine Rolle, denn damit hatten sie offenbar überhaupt nicht gerechnet. Die vier Gestalten blieben so stumm, wie zuvor. ,, Ihr wart es alle.“ , fuhr er fort. ,,Das war es, was Samiel mir sagen wollte. Cadus, Chonar, Samiel… und ihr Jona ? Welche Rolle habt ihr dabei gespielt?“ Jona schien der erste zu sein, der Verstand, worauf er hinaus wollte. ,,Ich leugne nicht, das ich entsprechende Kontakte nach Canton gehabt habe , einige davon, die sicher auch an euch interessiert waren. Aber ich habe sie nicht getötet… Ich…“ ,, Ihr wart nur Ablenkung. Wusstet ihr

überhaupt von allem ? Natürlich habt ihr es irgendwann erfahren… aber ihr seid kein Mörder. Das glaube ich nicht. Es ist auch egal. Egina hat die Rebellen unterstützt. Ihr wusstet das alle drei.“ Er musste nur in ihre Gesichter sehen um zu wissen, dass er Recht hatte. Und der Rest… der Rest fügte sich daraus bereits zusammen. Sie waren sich ihrer Schuld nur zu bewusst. ,,Und das konntet ihr nicht zulassen. Eine Archontin, die sich gegen Laos Wort stellt, die euren ewigen Konservatismus brechen wollte, die sich gegen euch stellt, so offen, das sie euren Feinden das Messer gibt… Aber natürlich konntet ihr sie nicht einfach

Ausschalten. Wenn ihr einfach eine Archontin ermordet, was wäre das erst für ein Skandal. Man würde euch durch die Straßen Helikes treiben und hängen, wie es längst hätte geschehen sollen!“ ,,Ihr wagt es !“ , brauste Cadus auf. ,, Ich wage es. Ich wage noch viel mehr. Ihr konntet Egina nicht offen töten. Also brauchtet ihr eine Ablenkung. Den Artefakthandel. Euch waren die Artefakte in Helike nie etwas Wert. Also, warum sie nicht einmal für eure Zwecke nutzen? Das ihr damit dem Orden in die Hände spielt, wen kümmert es? Das ihr euer eigenes Volk Verratet, egal, Hauptsache eure eigene Position bleibt gefestigt. Und da passt eine

abweichlerische Archontin nun einmal nicht rein! Also habt ihr dafür gesorgt, das sie darauf Aufmerksam wurde, habt sie in eine Falle gelockt… Und ich war euer Sündenbock. Grade zur perfekten Zeit am perfekten Ort, wie Chonar ?“ ,,Ihr müsst verstehen Zyle…“ , begann der Wolf ,,Ich verstehe genug ! Ich verstehe, dass ihr euer eigenes Volk hintergangen habt. Ihr habt heute hunderte getötet, weil sie euch einfach nur im Weg standen. Und es wären tausende geworden, hättet ihr Erfolg gehabt. Wie viel Blut ist euch genug? Bis ihr darin ersauft?“ ,,Wir haben nur einen Skandal verhindert.“ , gab Chonar

zurück. ,,Natürlich habt ihr das… Das war ja der Sinn des ganzen. Ich habe genug, davon. Bringt es zu Ende. Und wenn noch ein Funken Anstand in euch ist, stellt euch mir !“ Er rief laut genug, damit alle umstehenden seine Herausforderung auch hörten. Zyle hob die Klinge, obwohl ihm bereits alle Muskeln schmerzten. Sie würden es ohnehin nicht wagen. Aber wenigstens würden sie damit nur vor aller Augen bestätigen, was er schon wusste. Dann jedoch trat der eine Mann vor, den Zyle hier am liebsten nicht sehen wollte. Wys wirkte zutiefst erschüttert, aber als

er sprach, war seine Stimme trotz allem fest und klar. ,, Was du sagst Bruder… ist Hochverrat.“ ,, Hochverrat hat hier jemand ganz anderes begangen, Wys.“ ,,Du zerstörst die komplette Autorität des Rats.“ , protestierte er. Natürlich konnte Wys das nicht verstehen. Er Untergrub, auf was sein Bruder die ganze Zeit aufgebaut hatte. Es sah so aus, als müsste er heute mehr als einen Plan zunichte machen. Dieses Mal jedoch, tat es ihm nicht leid. Wys wusste nicht, was er wusste. Aber sein Streben würde bis in alle Ewigkeit fruchtlos

bleiben. ,, Und was ist diese Autorität Wert, kannst du mir das verraten ? Das hier geht dich nichts an, wenn Cadus und Chonar beide zu Feige sind, sich mir zu stellen, dann werde ich sicher nicht zulassen, dass du es an ihrer Stelle tust. Geh zurück. Wir sind Brüder keine Feinde.“ ,,Du hast dich dazu gemacht. Ich bin ein Archont. Du fordert uns heraus… gut. Wenn es niemanden außer mir gibt, der sich dir entgegenstellen will, bleibt mir keine Wahl. Oder du gibst auf….“ ,,Nein.“ Das durfte nicht sein, dachte Zyle. Musste den alles um ihn herum erst endgültig zu Asche verfallen… Er würde

nicht weichen. Er würde auch nicht nachgeben, sonst wären sie alle Tod. Wys wusste das genau so sehr wie er. Ohne ein Duell würden die Archonten nicht riskieren, sie am Leben zu lassen. Zyle hoffte inständig, das sich sein Bruder dessen genau so bewusst war. Und nur deshalb darauf beharrte. Es war einfacher, als die Alternative. Das Wys zu verblendet war, das offensichtliche zu sehen. Er musste damit einfach Recht haben. Vielleicht schaffte er es, Wys nur zu verwunden… Zyle brachte das Schwert neben seinem Fuß zur Ruhe. Wenn ihr nicht mit dem Herzen hinter etwas steht… ist es manchmal besser zu

verlieren, als damit zu Leben, schoss es ihm durch den Kopf. Die Worte seines alten Lehrers. Dieser Kampf war widernatürlich und trotzdem fand er statt. Ein Schwertmeister und ein Archont, die die Waffen gegeneinander erhoben waren schon undenkbar. Brüder… Zyle schüttelte langsam den Kopf, als Wys ebenfalls seine Schwerter zog. ,, Zwei Waffen ?“ , fragte er mit einem schwachen Lächeln. Er könnte zumindest Zeit schinden und auf ein Wunder hoffen, dachte Zyle. Wys war wortlos eine der Klingen weg und brachte die andere ebenfalls neben seinem Fuß mit der Spitze zum Boden.

Soviel also dazu, Zeit zu gewinnen, dachte Zyle betrübt. Einen Moment schien die Welt den Atem anzuhalten, während die umstehenden Paladine den beiden Kontrahenten raum machten. Zyle wusste, das ihre Fähigkeiten praktisch gleich waren. Aber er war angeschlagen und verausgabt. Wys hingegen unverletzt und frisch. Er machte sich keine großen Hoffnungen. Einen Herzschlag lang noch, tat sich nichts. Nur das Knistern der Feuer und das nervöse Gerassel von Panzern und Schwertern durchbrach die Stille. Am Ende, sah niemand den Schlag kommen. Wys und Zyle stürzten gleichzeitig vor, während das Geräusch

von Stahl auf Stahl und dann von Stahl auf Fleisch die Ruhe zerschnitt. Die Beiden Brüder standen sich wieder gegenüber, dieses Mal auf vertauschten Positionen. Zyle die Archonten im Rücken, Wys seine Gefährten. Beide atmeten schwer und waren auf ihre Schwerter gestützt. Beide trugen sichtbare Wunden. ,, Pures Glück.“ , meinte Wys betrübt. ,, Es scheint wohl so.“ , antwortete Zyle Nur einer von ihnen ging zu Boden.

Kapitel 81 Zyles Tod

Kellvian sah den Schlag nie. Die beiden Schwertmeister waren viel zu schnell, als das das bloße Auge der Bewegung hätte folgen können. Aber er sah, was die Attacke angerichtet hatte. Zyles Hemd war Blutdurchtränkt. Das Schwert entglitt den plötzlich kraftlos gewordenen Händen des Gejarn. Auf den Schiffen, die grade erst den Hafen verließen, sahen dutzende Gesichter zu ihnen zurück. Kell war sich nicht sicher, meinte aber Relina zu erkennen, die plötzlich die Hände vors Gesicht

schlug. Wys fing seinen Bruder auf, als er fiel. ,, Warum hast du auch nie auf mich gehört…“ Der Archont sank, den sterbenden Gejarn noch immer in den Armen, auf die Knie. ,, Du wusstest doch genau wie das enden muss.“ Zyle jedoch, gab keine Antwort mehr. Stille senkte sich erneut über den Hafen, während Wys den toten Körper seines Bruders vorsichtig auf das Steinpflaster bettete. Blut hatte seine Hände und Kleider verfärbt, als er schließlich einen Moment die Augen schloss. Eine Träne löste sich unter den Liedern des Gejarn, dann eine zweite… Wys weinte, nach wie vor über den Leichnam gebeugt. Als

hoffte er noch darauf, das der tödlich Verwundete durch ein Wunder wieder anfangen würde zu atmen. Aber es gab keine Wunder in dieser Stadt. Nur immer wieder Betrug und Verrat. Ränkespiele, in die nie jemand hineingezogen werden wollte… Das konnte einfach nicht sein, dachte Kell. Ein Teil seines Verstandes weigerte sich einfach, das Bild vor ihm für Wahr zu halten. Das war ein Irrtum, ein schrecklicher Irrtum, der niemals hätte geschehen dürfen. ,,Zyle…“ Jiys Stimme war kaum lauter, als ein Flüstern und über das Rauschen der Flammen, die sich nun rasend schnell über den Hafenbezirk ausbreiteten, kaum

zu verstehen. Kellvian war unfähig, irgendetwas zu erwidern. Mit einem Mal war es, als hätte jemand alle Gedanken und Worte von ihm genommen. Selbst die Archonten schwiegen. Jona wendete sich, sichtbar geschockt ab. Chonar und Cadus jedoch, betrachteten die Szenerie nur mit versteinerter Mine. Es war Wys, der die Stille schließlich brach. Der Gejarn schloss seinem Bruder in einer letzten Geste die Augen, bevor er sich zitternd aufrichtete. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, aus denen Blut tropfte. Seines oder Zyles. ,, Ich hoffe, ihr seid zufrieden. Das hoffe ich wirklich.“ , sagte er, als er

sich zu den Archonten umwendete. ,, Warum weint ihr noch um ihn ?“ , wollte Chonar bloß wissen. ,, Er war ein Verräter.“ ,,Nein, Chonar… Wenn Zyle ein Verräter war, dann waren wir es lange vor ihm. Mein Bruder hat immer nur getan, was er für richtig hielt. Egal was alte, verstaubte Texte dazu zu sagen haben. Und er hat den Preis gezahlt, von dem er glaubte, dass er ihn zahlen müsste. Zyle Carmine war ein Held, mehr als ihr alle zusammen. Ich habe einen Bruder verloren, Archont. Und ich habe genug von euch!“ Die Archonten mussten bei Seite springen, als Wys wütend durch ihre

Reihen stürmte, den Körper seines Bruders zurück lassend, und in den brennenden Straßen verschwand. Keiner der umstehenden Wachen hielt ihn auf. Was vermutlich auch das Beste für sie, dachte Kellvian. Die Lähmung klang nur langsam ab. ,,Wir…“ Jona war der erste, der sich wieder fing. ,, Wir müssen etwas tun, bevor das Feuer auf den Rest der Stadt übergreift.“ ,, Und was ?“ , wollte Cadus wissen. ,, Die Fremden sind doch dafür verantwortlich ! Sie haben mehrere Paladine getötet. ,,Ich sage, lasst ihnen das gleiche Schicksal zukommen, wie dem Verräter.“

, erklärte Chonar. ,, Die Flammen erlöschen irgendwann von selbst.“ Jona starrte die beiden Archonten an, als hätten sie den Verstand verloren. Etwas, das Kellvian für gar nicht so unwahrscheinlich hielt. Wer konnte dieses tobende Inferno noch mit einem Schulterzucken abtun? Hier draußen an den Docks waren sie relativ sicher, aber die Hoch zum Himmel schlagenden Flammen und die dichten Rauchwolken wirkten wie etwas, aus einem Alptraum. Der Himmel spiegelte die Feier blutrot wieder. Kell trat vor. Das konnte er auch nicht zulassen. Egal wie tief der Schock saß, die Angst überwog ihn. ,, Darf ich euch vielleicht daran

erinnern, wen ihr hier bedroht ? Kehre ich oder einer meiner Gefährten nicht unverletzt nach Canton zurück, verspreche ich euch, ist das hier nichts gegen das, was auf euch zukommt!“ Er würde nicht noch jemanden verlieren. Nicht, wenn es irgendwie in einer Macht lag. ,, Das Risiko gehe ich ein.“ , erwiderte Chonar, bevor er den umstehenden Soldaten ein Handzeichen gab. ,,Tötet sie. Und danach will ich, dass jedes verfügbare Schiff die Magier verfolgt. Lasst Helike brennen. Heute ist der Tag der Abrechnung, Mensch und er hat grade erst begonnen.“ Jiy versuchte, auszusprechen, was er

dachte. ,, Ihr verfluchten, ignoranten…“ Das Wort wurde ihr abgeschnitten, als ein hohes Pfeifen durch die Luft drang. Kellvian brauchte einen Moment, um es zuzuordnen. Und selbst als er es als das erkannte, was es war, konnte er sich nicht erklären, was es war. ,,In Deckung.“ Er warf sich zur Seite und riss dabei Jiy und Zachary mit sich. Erik und die anderen reagierten ebenfalls und warfen sich zu Boden, kurz bevor etwas in eines der brennenden Ruinen gegenüber der Mole einschlug. Das Gebäude erzitterte unter dem Einschlag und verlor endgültig seine Stabilität. Funken stoben auf, als brüchige Balken in sich zusammenfielen

und sich einzelne Ziegel vom Dach lösten. Und dann erfolgte auch schon ein zweiter Einschlag ein paar Häuser weiter und zerschmetterte den noch intakten Dachstuhl eines weiteren Hauses. ,,Was ist…“ , setzte Eden an, kam aber nicht weit, als eine dritte Kanonenkugel die Mole traf. Stein und Holzbalken brachen und die Soldaten Helikes, die nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnten, wie Spielzeug durcheinander gewirbelt. Und dann brach ein wahres Trommelfeuer über die Stadt herein. War die Feuersbrunst bereits schlimm genug, so verstärkte der überraschende Beschuss die Zerstörung nur noch. Von den Flammen noch unberührte Bauten,

brachen nach wenigen Treffern in sich zusammen. ,, Wir müssen hier weg !“ , schrie Jona über das Getöse. ,, Sofort.“ Kellvian rappelte sich wieder auf. Er hinterfragte sein Glück und das der anderen nicht. Woher auch immer der Angriff kam, er könnte ihnen das Leben retten. Zuerst dachte er an die Schiffe, aber die Magier wussten sicher nicht, wie man die schweren Geschützte an Bord benutzte. Das hier war ein koordinierter Angriff. Ein Angriff, wie ihn die kaiserliche Garde durchführen mochte, um eine Festung sturmreif zu schießen oder einen Gegner zur Aufgabe zu

zwingen. ,, Sehen wir zu, das wir hier verschwinden.“ , rief Kell den anderen zu, während er sich bereits einen Weg durch die völlig verdutzte Paladine bahnte. Niemand hielt sie auf. Die Männer waren zu beschäftigt damit, selber dem Dauerfeuer auszuweichen, das den Hafen und die übrigen Stadtbezirke auf der gleichen Seite langsam zu Staub zermahlte. Er wurde nur langsamer, als sie Zyles Leiche passierten, die vergessen inmitten von Trümmern und Glut lag. ,, Auf Wiedersehen Freund…“ , murmelte er. ,,Ein baldiges, wenn wir nicht hier

wegkommen.“ , ermahnte Erik ihn und trieb sie zur Eile an. ,, Den Toten ist nicht geholfen, wenn wir mit ihnen sterben.“ Kell nickte. Aber es fühlte sich einfach nur falsch an, Zyle hier zurück zu lassen. Ob tot oder nicht. Ein vernünftiges Begräbnis wäre das Geringste, das er dem Mann schuldete. Mach dir Gedanken um Dinge, die du beeinflussen kannst, ermahnte er sich und beinahe war es ihm, als wäre es Tyrus Stimme, nicht seine eigene. Das hätte zu dem alten Leuteschinder gepasst. Bevor sie jedoch weit kamen, stellte sich ihnen Chonar mit gezogenem Schwert in

den Weg. ,, Zu mir. Lasst diese Verräter nicht entkommen. Das ist doch garantiert euer Werk!“ Cyrus zog die Axt, bevor er drohend einen Schritt auf den Archonten zumachte. ,, Der Kerl hat vielleicht Nerven. Jemand etwas dagegen, wenn ich ihn einen Kopf kürzer mache ?“ ,,Ihr könnt es gerne Versuchen.“ Kellvian wollte dazwischen gehen. Hier lief einfach alles aus dem Ruder. Wenn jetzt noch ein Archont starb, war es endgültig um Helike geschehen, fürchtete er. Das Eingreifen wurde ihm jedoch von einem Paladin abgenommen, der von den Mauern her auftauchte. Der Mann war offenbar verletzt und seine

Panzerung wies mehrere große Dellen auf, wo er von Kugeln getroffen worden war. Blut lief dem Menschen aus einem Schnitt über seine Wange. Er schleifte eine Hellebarde hinter sich her, die er jedoch fallen ließ, als er den Archonten bemerkte. ,, Herr… Wir werden angegriffen.“ Chonar ließ das Schwert sinken. Weitere Bewaffnete kamen herbei gelaufen und nahmen die kleine Gruppe um Kellvian erneut in die Zange. Lanzen und Schwerter auf sie gerichtet, blieb ihnen schnell kein Fluchtweg mehr. ,, Das ist mir auch schon aufgefallen“ , erklärte der Archont, als er sich dem Boten zuwendete. ,,Wer ist da draußen

?“ ,,Die Garde Cantons, Lord Archont. Ich habe noch nie so viele auf einmal gesehen. Es sind tausende, wenn nicht mehr.“ ,,Die Garnison in Kalenchor besteht aus ein paar hundert Mann.“ , rief Cadus, der ebenfalls wieder zu ihnen aufgeschlossen hatte. ,, Wo kommen die alle so schnell her ?“ ,, Wüsste ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie haben all ihre Truppen zusammen gezogen. Sie haben vor der Stadt Aufstellung genommen und beschießen die Wälle. Unsere Späher haben sie erst bemerkt, als es fast zu spät war. Offenbar marschieren sie unter

dem Befehl ihres Hochgenerals…“ ,,Ihr !“ Cadus wirbelte zu Kellvian herum. ,, Ihr habt das von Anfang an geplant, oder ? Uns in den Rücken zu fallen, sobald wir abgelenkt sind, ist es das ?“ ,, Ich habe nie einen solchen Befehl gegeben.“ , rief Kellvian. In seinem Kopf arbeitete es. Wie konnte das sein ? Es schien völlig unmöglich. Und wenn es Dagian war, der die Armee anführte… Verflucht, was dachte sich der General dabei? Selbst wenn er vielleicht meinte, Kellvian so zur Hilfe zu kommen, das ging bei weitem über seine Befugnisse. ,, Sie handeln ohne meine Anweisung.“

Aber er wünschte beinahe, sie täten es. In ihm kochte alles. Verflucht, wie hatte das alles so schnell so schief gehen können? Er hatte innerhalb einer Stunde Zyle und die Hoffnung au Frieden mit Laos verloren. Und noch dazu vermutlich das Vertrauen der Magier eingebüßt. In seiner Tasche befand sich ein Schlüssel, von dem er nicht wusste, wie er funktionierte. Und jetzt das ! ,, Natürlich. Als ob ich euch ein Wort glaube.“ Sowohl Cadus als auch Chonar bebten vor Wut. ,, Vielleicht ziehen sie sich zurück, wenn wir ihnen den Kopf ihres Kaisers zurück schicken, was meint ihr ?“ Er war so kurz davor, den tobenden

Sturm in seinem Innern einfach gegen die Archonten zu richten. Aber dann würden sie unter Garantie sterben. Jeder einzelne von ihnen. Mühsam hielt er Wut und Enttäuschung zurück. ,, Wenn ihr mich hierfür verantwortlich machen wollt, schön. Aber dann lasst meine Gefährten gehen. Sie haben nichts damit zu tun.“ ,, Für wie dämlich haltet ihr mich ? Ich werde…“ ,, Wir brauchen sie alle Lebend.“ , unterbrach ihn eine ruhige, Gefasste Stimme. ,, Was wird die kaiserliche Garde tun, wenn ihr Kellvian tötet, Chonar, habt ihr einmal darüber nachgedacht ?“ Es war Jona, der sie

endlich im Chaos wiedergefunden hatte. Kellvian hatte den Archonten aus den Augen verloren, genau wie die anderen. Aber er wirkte abgehetzt und winkte einer Gruppe Paladine zu, die Wasser aus dem Hafenbecken schöpften und gegen die Feuersbrunst ankämpften, die nun bereits auf weitere Bezirke übergegriffen hatte. Wenigstens einer, der versuchte etwas zu tun, dachte Kell. ,, Sie werden uns ohnehin töteten, wenn sie niemand aufhält.“ , erklärte der Wolf. ,, Bravo, ihr habt das Problem also schon einmal erkannt. Ihr scheint ja doch ein Hirn zu haben. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich würde

gerne noch etwas weiterleben. Die Garde wird sich zurück ziehen, wenn ihr ihnen im Austausch dafür Kellvian gebt. Sie sind dem Kaiser hörig, ihnen bleibt gar keine Wahl, als dann zu tun, was ihr von ihnen verlangt.“ Kell wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte, oder noch wütender. Aber es war besser, als die Alternative, die ihnen blieb, soviel stand fest. Blieb nur noch abzuwarten, ob die beiden anderen Archonten auf den Vorschlag des Händlerkönigs eingingen. ,, Also schön. Schafft sie mir aus den Augen. Alle. In einen sicheren Bezirk. Sperrt sie ein, bis ich dazu komme, einen Boten vor die Stadt zu

schicken.“ ,, Die Mauer halten noch.“ , ermahnte ihn Jona. ,, Aber von Helike bleibt bald nicht mehr viel, wenn ihr nichts unternehmt.“ Cadus nickte wiederwillig. ,, Jeder einzelne Soldat, ob Paladin, Schwertmeister oder Rekrut, soll sich sofort an die Löscharbeiten machen, wenn er nicht für die Verteidigung gebraucht wird. Schafft mir Sand und Wasser heran. Und jetzt, weg mit dem Kaiser und seiner

Bande.“

Kapitel 82 Fluchtversuch


Er wusste nicht, wie lange er schon lief. Jedes Zeitgefühl war ihm schon vor einer Weile abhanden gekommen und die Landschaft veränderte sich so wenig, das er schon halb davon überzeugt war, überhaupt nicht vorwärts zu kommen. Selbst der Zyklus von Tag und Nacht gab ihm keinen Anhaltspunkt mehr. Der Schlaf fehlte ihm nicht. Hunger und Durst bedrückten ihn nicht. Und Laos von Helike wusste nur zu gut, das sie das nie mehr würden. Es war einfacher nicht darüber nachzudenken. Tatsächlich hatte er einen brüchigen

frieden darin gefunden, es ganz sein zu lassen und sich nur darauf zu konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzten. Nun jedoch, wo seine Stiefel abermals im Sand verschwanden, blieb er zum ersten Mal seit unbestimmter Zeit wieder stehen. Wohin er sich auch umsah, das Land um ihn herum sah überall gleich aus. Trocken, Öde… und keine Spur mehr von einer Stadt oder Siedlung. Vielleicht sollte er sich hier einfach hinsetzen und warten, bis der Sand ihn verschlang oder die seltsamen Mechanismen, die ihn am Leben hielten versagten. Wohin wollte er überhaupt gehen? Er war ein nichts. Weniger als ein nichts, er war eine

Kopie. Noch dazu eine, die hoffnungslos Versagt hatte. Was blieb ihm den übrig, außer wegzulaufen? De Archonten stellen? Er hatte keine Autorität. Er war eine Maschine, nichts lebendiges. Er war nicht Laos, egal was die Erinnerungen in seinem Kopf ihn sagten. Er ließ sich zurück in den Sand fallen und starrte einfach direkt nach oben. Laos konnte die Hitze zwar spüren, aber einem anderen hätte sie wohl dazu veranlasst, sich rasch wieder aus dem aufgeheizten Sand zu erheben. Für ihn war es fern. Eine kleine Unannehmlichkeit. Er fragte sich insgeheim, ob er überhaupt sterben konnte, vorausgesetzt, sein Körper wurde

nicht völlig zerstört. Die grässliche Verletzung, die er sich in den Katakomben zugezogen hatte, war spurlos verheilt. Zwar konnte er sich nicht vorstellen, wie ein Körper aus Metall und Magie erschaffen Wunden heilen konnte, aber es war ein Rätsel, das ihm egal sein konnte. Der Wind frischte auf und wehte einzelne Sandkörner mit sich, die gegen seine Haut prasselten. Auch das spürte er. Es wäre so einfach, sich davon zu überzeugen, echt zu sein. Jedoch kannte er jetzt die Wahrheit. Laos blieb einfach ruhig sitzen, während die Luft um ihn herum immer mehr von Sand und kleinen Steinen erfüllt war.

Das war keine einfache Windböe mehr… Tröge hob er den Kopf. Im ersten Moment glaubte Laos, das die Dunkelheit des Todes sich nun endlich über ihn senkte. Dann jedoch wurde ihm klar, was da die Sonne ausblockte und in rasender Geschwindigkeit auf ihn zukam. Flugsand, von einem Sturmwind getrieben und so dicht, das es mit einem mal Nachtschwarz wurde. Laos tat den näher kommenden Sandsturm mit einem Schulterzucken ab. Stattdessen saß er nur in der Dunkelheit und wartete darauf, dass es vorbei ging. Der Sand wirbelte um ihn herum und verschlang endgültig das letzte Sonnenlicht. Er konnte keine Hand breit mehr sehen. Das

Heulen des Windes schickte sich an, sogar seine eigenen Gedanken zu übertönen. Vielleicht war das ja doch wirklich das ersehnte Ende. Die Natur selbst brachte ihn noch zum schweigen. Und er verdiente es kaum besser, dachte Laos. Er hatte sein Volk im Stich gelassen. Der Lehrer hielt inne. Das war neu. Der Gedanke gehörte nicht zu dem zerstörerischen Mantra, mit dem er sich zum weiterlaufen zwang. Er hatte Versagt. Er hatte Helike den Rücken gekehrt, weil er dort nichts mehr ändern könnte. Und er hatte sie damit alle im Stich gelassen. Laos versuchte, sich gegen den Wind aufzurichten, stellte

jedoch fest, das der Sturm ihn fürs erste noch Gefangen hielt. Er kam nicht dagegen an. Er hatte die erste Gelegenheit ergriffen, die sich ihm bot um die Stadt mit gutem Gewissen zu verlassen und als selbsterwählter Exilant in die Wüste zu gehen… Und es war unvorstellbar selbstgerecht, dachte er, bevor er etwas dagegen tuen konnte. Kopie hin oder her, Gesetze hin oder her, er hatte ein ganzes Volk zu beschützen. Mochte er sein, was er war, das durfte ihn nicht daran hindern, das richtige zu tun und stattdessen wegzulaufen, wie ein Feigling. Und genau das war es doch, was er hier tat. Sich verstecken vor der

Last, die er sich aufgebürdet hatte. Die Bürde der Gesellschaft, die er aufgebaut und gleichzeitig zerstört hatte, die Wahrheit zu sagen. Der Sturm ließ langsam nach und die ersten Sonnenstrahlen fanden ihren Weg wieder unter der Decke aus Sandkörnern hindurch, die um Laos zu Boden rieselten. Er machte einen erneuten Versuch aufzustehen. Er wusste, was er zu tun hatte. Und dieses mal trottete er nicht vor sich hin. Laos fing an zu laufen und dann zu rennen… Auch die Erschöpfung war nur eine kleine Unannehmlichkeit. Eine Maschine wurde nicht Müde. Und er musste auf dem schnellsten Weg zurück

nach Helike. Die Sanddünen flogen geradezu an ihm vorbei, als er sich einen Weg dazwischen hindurch suchte. Klettern würde zu lange dauern. Trotzdem brauchte er den ganzen Tag und die halbe Nacht, bis Helike schließlich wieder vor ihm am Horizont auftauchte. Und was er dort sah, erschreckte ihn zutiefst. Laos hielt auf dem steinigen, mit Steppengras bewachsenem Ödland an, das die Stadt umgab. Aus dem Hafen stiegen dichte, ölige Qualmwolken auf und selbst auf die Entfernung war der rote Schein der Feuer nicht zu übersehen. Irgendwo im Osten hingegen, donnerte es. Eine Reihe von Lichtblitzen auf einem Hügel

mehrere tausend Schritte vor der Stadt wurde von ohrenbetäubendem Lärm und dem fernen Geruch von verbranntem Schwefel begleitet. Kurz darauf schlugen mehrere Geschosse in den äußeren Wall der Stadt. Die Treffer brachen große Trümmerstücke aus der Barrikade, die polternd in die Tiefe stürzten, wo sich bereits weitere Überreste befanden. Langsam aber sicher zermürbte der stetige Angriff die Mauern Helikes… Nur wer dort draußen in der Dunkelheit stand und die Stadt unter Feuer nahm, war Laos ein Rätsel. Weitere Geschützte wurden abgefeuert und das Licht der Lunten zeigte ihm kurz mehrere hundert Männer, in Uniformen, wie er sie bisher

nur bei den Soldaten gesehen hatte, die Kellvian begleiteten. Was ging hier nur vor sich? Mit einem mal wurde ihm klar, das er vielleicht zu lange gezögert hatte. Ihm blieb nicht viel Zeit, wenn überhaupt noch. Das musste heute ein Ende finden. Doch zuerst würde er sich umhören, ob ihm jemand verraten konnte, was passiert war… Das Donnern der Geschützte flaute auch in der Nacht kaum merklich ab. Die Mauern Helikes waren erstaunlich stabil, aber wie Sandpapier irgendwann auch einen Stein zu Krumen schleift, so ließ jede neue Salve aus den Kanonen der

kaiserlichen Armee die Wälle etwas schwächer werden. Man hatte Kellvian und die anderen zu einem Gebäude auf der anderen Stadtseite gebracht. Weg von dem Wallabschnitt, den die Garde unter Beschuss nahm und Weg von den Flammen. Trotzdem war der Brandgeruch, der durch die vergitterten Fenster hereinkam, unverkennbar. Der Raum, in dem man sie eingesperrt hatte, gehörte wohl zu einer der Kasernen Helikes. Durch ein einzelnes Fenster konnte Kell hinab in einen kleinen Innenhof sehen. Freilich befand sich dort unten niemand mehr. Alle Soldaten der Stadt waren vollauf damit

beschäftigt, die letzten Brandherde zu bekämpfen oder auf dem, was von den Wällen übrig blieb, wache zu halten. Und dabei auf das zu warten, was früher oder später eintreffen musste. Wenn die Verteidigung Helikes nachgab, würde der Kampf Mann zu Mann ausgetragen werden und wie das ausging, schien ungewiss. ,,Kleine Räume mit Gittern….“ Eden ging unruhig auf und ab, so weit ihr das er begrenzte Platz erlaubte. Mit sechs Leuten war die Zelle eigentlich hoffnungslos überfüllt. Kellvian saß wie die meisten anderen an der Wand, hauptsächlich, damit die Gejarn Platzt zum laufen hatte. ,, Wenn es einen Ort

gibt, an dem ich mein Lebtag nicht mehr enden wollte, dann ist das eine kleiner , verschlossener Raum… Und ihr seid euch sicher, das ihr die Tür nicht aufbekommt ?“ ,,Ich habe es auch schon versucht.“ , meinte Zachary beschwichtigend. ,, Es geht nicht.“ ,,Die Archonten wären auch dumm uns in einem Raum einzusperren, aus dem man mit Magie entkommt.“ Erik hatte sich gegen die Fensterbank gelehnt und stopfte sich grade eine Pfeife. Man hatte es nicht für nötig befunden, sie zu entwaffnen oder zu durchsuchen. Es blieb ja dabei: Sie konnten nirgendwo hin. Irgendwie kam Kellvian diese

Situation zu Vertraut vor. Nur, das Erik dieses Mal mit ihnen eingesperrt war… und Melchior eine halbe Welt entfernt sein Unwesen trieb. ,,Dagin muss den Verstand verloren haben, einfach anzugreifen, ohne mir vorher auch nur eine Nachricht zukommen zu lassen.“ , erklärte Kellvian. Er konnte sich nach wie vor nicht erklären, was die Garde hier zu suchen hatte. Im schlimmsten Fall war es Hochverrat und selbst im besten noch offene Meuterei. ,, Ich muss zu ihm und das hier beenden, bevor er noch mehr Schaden anrichtet.“ ,, Wir sind Geißeln, oder ? Früher oder später müssen die Archonten uns doch

ausliefern.“ Jiy klang alles andere als begeistert von der Aussicht. ,, Wenn Dagian darauf eingeht.“ ,, Ihr glaubt nicht daran ? Er ist der Hochgeneral.“ , meinte Cyrus. ,, Er wird euer Leben nicht gebärden. Und unseres damit gleichzeitig auch nicht. Hoffe ich.“ ,,So oder so, wir müssen hier raus.“ Eden hatte ihre Runde durch die schmale Zelle beendet, drehte sich um und lief zurück. ,, Und zwar bald, wenn möglich. Hat den keiner noch eine Idee?“ Erik sah von seinem Platz am Fenster auf. ,, Eine letzte hätte ich da. Zac, meint ihr ihr bekommt unseren alten Trick noch einmal hin

?“ ,,Trick ?“ Der Junge sah auf. ,, Ich glaube ich verstehe. Aber wie…“ ,, Seht euch die Wand an, alle.“ Der Arzt trat an Eden vorbei zur Tür und spähte darunter. Aber wenn er hoffte, dadurch etwas zu erkennen, wurde er enttäuscht. Die Pforte schloss so dicht mit dem Boden ab, das nicht einmal ein Fingernagel darunter gepasst hätte. ,,Gibt es irgendwo einen Riss oder eine Öffnung ? Ein Mauseloch von mir aus. Es muss nur nach draußen führen…“ Kellvian zuckte mit den Schultern. Wozu sollte das gut sein? Aber letztendlich war es besser als nichts… Es wäre ein seltsamer Anblick für eine Wache

gewesen, die zufällig nach den Rechten gesehen hätte, ihre Gefangenen allesamt vor der Wand Knien zu sehen. ,, Hier.“ , rief Jiy vom anderen Ende des Raums und trat von der Mauer zurück. Tatsächlich lief ein Riss durch den Stein, vielleicht so hoch, wie Kellvians Handfläche, aber von irgendwo her drang Licht hindurch… Es war allerdings immer noch kein Ausweg. Erik besah sich die Öffnung. ,, Was meinst du, groß genug ?“ , fragte er an Zyle gerichtet. ,, Vielleicht.“ , meinte der junge Magier. ,, Wir müssen es eben ausrobieren.“ ,, Hauptsache, es bringt uns irgendwie

hier raus.“ , erklärte Eden und trat von einem Fuß auf den anderen. ,, Meldet ihr euch Freiwillig ?“ , fragte Erik mit einem verschmitzten Grinsen. ,,Freiwillig wofür ?“ , wollte Eden wissen. ,,Zac und ich haben schon auf der Fahrt hierher einen neuen Zauber entwickelt, der einen Menschen oder Gejarn verkleinern kann. Klein genug um durch ein Loch in der Wand zu gelangen. Leider ist er aber nicht sehr stabil. Der Spruch hält nicht lange an, sobald Zachary die Kraft ausgeht, kehrt er sich wieder um. Wir bräuchten also jemanden, der schnell ist, hier raus geht, die Zellenschlüssel besorgt und die

anderen befreit.“ ,,Und da denkt ihr an mich ?“ Eden hob eine Augenbraue. ,, Ich bin alt und träge.“ , erklärte Erik. ,, Und Außerdem hatte ich schon meinen Spaß damit. Also ? Das wäre euer schnellster Weg hier heraus.“ ,, Heute ist mal wieder mein Glückstag…“ Sie seufzte. ,, Also gut. Nur eine Frage noch. Was passiert, wenn ich noch in der Wand bin… und der Zauber versagt ?“ ,, Sagen wir einfach, ihr solltet zusehen, das das nicht passiert.“ Eden nickte, bevor sie etwas von den anderen zurück trat, in Richtung der Öffnung, die Jiy entdeckt hatte.

Zachary sammelte sich einen Moment. ,, Und du bist dir ganz sicher ?“ , fragte er besorgt. ,, Ich bin…“ Sie hielt inne. ,, Halt. Nur für den Fall, das ich das wirklich nicht Überlebe, möchte ich noch was loswerden. Vermutlich weil ich sonst nie mehr die Gelegenheit dazu habe. Zac… Cyrus. Ich liebe euch. Beide.“ Eden schüttelte den Kopf. ,, Götter, das habe ich jetzt nicht wirklich gesagt. Zac, mach einfach, bevor ich mich hier noch um Kopf und Kragen rede…“ Der Junge nickte, bevor er die Augen schloss und eine Hand vorstreckte. ,, Es wird nicht wehtun, hoffe ich…“ Mit diesen Worten begann sich ein blasser

grüner Schimmer um seine Hände zu sammeln und sprang dann in einem grellen Blitz auf die Gestalt der Kapitänin über. Diese zerfiel praktisch sofort zu Funken, die einen Moment noch ihre Silhouette darstellten. Und innerhalb des Umrisses, kaum mehr so hoch wie ein Schuh, stand Eden und blickte sich verwundert um. ,, Das ist… wirklich seltsam.“ , erklärte sie mit plötzlich viel dünner klingender Stimme. Kellvian, Cyrus, Zachary und die anderen kamen vorsichtig näher. ,,Sie ist ja fast niedlich wenn sie so klein ist“ , erklärte der Wolf grinsend. Die Gejarn erwidertet nichts,, sondern

zog lediglich das Schwert und hieb damit nach den Füßen des Gejarn. Die Klinge hinterließ einen blutigen Kratzer über doe Zehen und Cyrus machte einen Satz zurück ,,Autsch…“ Die Erschütterung des kurzen Sprungs brachte Eden fast aus dem Gleichgewicht und sie ruderte mit den Armen um stehen zu bleiben. ,, Also gut, genug herumgealbert, Eden, ihr habt nicht viel Zeit. Versucht, rauszukommen, oder wenn ihr glaubt, dass es keinen Weg gibt, kommt zurück.“ , erklärte Erik. Eden trat mit einem unguten Gefühl in

den dunklen Tunnel, der quer durch die Mauer verlief. Für die anderen war es kaum mehr, als ein schmaler Spalt im Stein, etwas, das man normalerweise einfach übersah. Heute hingegen könnte es ihre Rettung sein. Trotzdem war ihr alles andere als Wohl bei dem Gedanken, sich durch die Dunkelheit zu tasten. Bevor sie es sich doch noch anders überlegen konnte, zwang sie sich einfach einen Schritt nach dem anderen nach vorne zu machen. Der Weg durch die Öffnung in der Wand war gar nicht so seltsam, wenn man erst einmal vergaß, dass man grade alles aus der Perspektive einer Maus erlebte. Zersplitterte Ziegelsteine ragten um sie

herum auf, wurden aber weiter im inneren durch grob behauenen Fels ersetzt, so dass man leicht das Gefühl bekam, sich in einer einfachen Hähle zu befinden. Von irgendwo her drang ein schwacher Lichtschimmer, der sich in Glimmer und Quarzeinschlüssen Wiederspiegelte. Eden wischte mit der Hand ein paar Spinnweben beiseite und hoffte inständig, dass die dafür verantwortlichen Tiere schon lange tot waren. Die Hand am Schwertgriff tastete sie sich weiter durch das Halbdunkel. Der Gang beschrieb vor ihr einen kleinen Bogen. Offenbar verlief der Riss nicht ganz grade durch die Wand. Dahinter jedoch, wurde das Licht deutlich heller.

Eden beschleunigte ihre Schritte etwas. Sie wusste nicht, wie viel Zeit ihr genau blieb, aber je früher sie hier raus war, desto besser. Der Gang weitete sich hinter der Kurve zu einem kleinen Zwischenraum, wo Mörtel und Füllmaterial über die Jahre verwittert waren. Und ganz am anderen Ende, konnte sie eine Öffnung erkennen, due auf einen gefliesten Korridor hinaus führte. Eden atmete erleichtert auf. Sobald sie hier durch war, hätte sie es geschafft… Die Geschehnisse am Hafen steckten ihnen allen noch in den Knochen . Die Panik eingesperrt zu sein und nichts tun zu können, hatte sie bisher a Nachdenken

gehindert. Jetzt jedoch konnte die Gejarn zum ersten Mal auf alles Zurückblicken. Hauptsächlich um sich von den Huschenden Bewegungen in den Schatten abzulenken. Nur Mäuse sagte sie sich. Die würden ihr nichts tun. Zumindest hoffte die Gejarn das. Die Ereignisse hatten sich so schnell Überschlagen, das es ihr bestenfalls unwirtlich vorkam. die Garde vor der Stadt, die Archonten offenbar übergeschnappt… und Zyle Tod… Ich wird ihn vermissen, dachte sie. Mehr als nur etwas. Aber noch blieb keine Zeit für Trauer oder ähnliches. Sie mussten hier raus und dafür Sorgen, das nicht alles noch schlimmer wurde.

Endlich hatte Eden das Ende ihres Wegs erreicht und trat vorsichtig hinaus auf den Korridor. Niemand war zu sehen, als sie aus einer Wandnische hervortrat. Licht fiel durch eine Reihe von Fenstern, die für sie so hoch waren, das sie sie nur erahnen konnte. Eden spähte den Gang hinab und hätte am liebsten Laut geflucht. Sie würde eine Ewigkeit brauchen, um in ihrer Momentanen Form auch nur die nächste Tür zu erreichen. An die Wand geduckt, um bloß niemanden aufzufallen, der zufällig vorbei käme, machte sie sich auf den Weg. Bevor sie jedoch weit gekommen war, schien die Welt um sie plötzlich eine seltsame Wandlung durchzumachen.

Es gab keinen Übergang oder Vorwarnung. Auf einen Schlag, stand sie wieder auf Höhe der Fenster und konnte in den Innenhofhinaus spähen. Ihr Kopf schien plötzlich viel zu weit über den Boden, hoch genug, das Eden kurz schwindlig wurde. Daran musste man sich offenbar erst weder gewöhnen, dachte sie. Aber sie hatte immerhin ihre normale Größe zurück. Lediglich ein feiner, grüner Schimmer blieb einen Moment in der Luft zurück, wo sie eben noch gestanden hatte. Das sollte es doch deutlich einfacher machen, an die Zellenschlüssel zu gelangen. Eden wollte sich grade wieder in Bewegung setzten, als sich ihr eine Klinge ins Kreuz

drückte. ,, Stehenbleiben.“ , befahl eine Stimme. ,, Und ganz langsam umdrehen.“ Verflucht auch… Sie musste einen Wachposten übersehen haben. Oder vielleicht war der Mann auch grade erst aufgetaucht. So oder so… Wenn man sie erwischte, würde das kaum ein zweites Mal funktionieren. Geschwiege denn, das ihnen die Zeit dafür blieb. ,,Wird’s bald…“ Eden drehte sich langsam um. Der Mann trug tatsächlich die Rüstung der Krieger Helikes. Das ist vermutlich der einzige Gefängniswärter in der ganzen Stadt, der nicht an den Löscharbeiten oder der Verteidigung beteiligt ist, dachte Eden.

Und natürlich musste ausgerechnet sie ihm über den Weg laufen. Konnte sie den Versuch Wagen, ihn zu entwaffnen? Wenn Eden schnell genug wäre und sich einfach auf ihn stürzte, bestand die Chance, dass er die Waffe verlor. Die andere, wahrscheinlichere, Möglichkeit war jedoch, dass er einfach das Schwert hochreißen und sie sich in die Klinge stürzen würde… Ihr Verstand suchte noch Fieberhaft nach einer Lösung, als der Wachmann plötzlich erstarrte. Er öffnete den Mund zum Schrei, brachte aber nur ein schwaches Gurgeln zustande, als eine Schwertklinge seine Brust von hinten durchbohrte. Eden konnte nur die Bewegung einer

Silhouette hinter ihm ausmachen. Sofort wurde die Waffe zurückgerissen und senkte sich in den Hals des Mannes, der tödlich Verwundet zusammenbrach. ,, So weit muss es erst kommen.“ Ihr Retter zog die Klinge aus dem toten Körper und wendete sich ihr zu. ,, Ich frage gar nicht erst, wie ihr entkommen seid, was ?“ ,,Zyle ? Eden blinzelte verwirrt. ,, Das ist doch völlig unmöglich…“

Kapitel 83 Getrennte Wege


Eden erkannte ihren Fehler schnell. Im Licht der Morgensonne, das durch die Fenster fiel hatte die Gestalt eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Zyle. Aber Kleidung und Statur waren leicht anders und ließen kaum einen Zweifel an der wahren Identität des Mannes. ,, Ich wünschte es .“ , meinte Wys niedergeschlagen, während er das Schwert an der Kleidung der toten Wache säuberte. Der Archont erhob sich und löste gleichzeitig einen kleinen Eisenring vom Gürtel des Toten. Mehrere Schlüssel hingen daran. Mit

einer Bewegung warf er Eden den Schlüsselbund zu, die ihn grade noch Auffangen konnte. ,, Warum helft ihr uns ?“ Wys seufzte. ,, Ich weiß nicht, welcher Wahnsinn meinen Bruder getrieben hat, aber jetzt kann ich nur noch hoffen, das er gerechtfertigt war. Und ausreicht zu Retten, was von dieser Stadt noch übrig ist.“ , erklärte er nur. ,, Holen wir eure Freunde.“ Mit diesen Worten schob er das Schwert zurück in die Scheide und hastete auch schon vor Eden den Gang hinab zu den Zellen. Die Gejarn folgte ihm in einigen Abstand. Wenn es noch weitere Soldaten gab, wäre es besser, sie sahen Wys vor

ihr. Aber ihre Sorgen stellten sich als Ungerechtfertigt heraus. Die Kapitänin und der Archont erreichten die Zellentür ohne weitere Zwischenfälle. Rasch suchte sie den passenden Schlüssel aus dem Bund, den Wys ihr gegeben hatte und öffnete das Schloss. Kellvian, Jiy, Cyrus, Zachary und Erik waren von der Tür zurück gewichen und standen in einem Halbkreis darum herum. Angespannt und bereit sich auf einen Wächter zu stürzen, der dumm genug war, in die Zelle zu treten. Cyrus hatte sich sogr eines der wenigen Möbelstücke, einen klapprigen Stuhl geschnappt und über den Kopf erhoben.

Sobald er sie jedoch erkannte, ließ er die improvisierte Waffe sinken und auch die anderen entspannten sich sichtlich etwas ,, Ich wusste doch, ihr schafft das.“ , meinte Erik mit nicht wenig Stolz in der Stimme. Der Arzt eilte als erstes aus der Zelle und sah sich auf dem Flur um. Bis sein Blick auf Wys hängen blieb. ,, Was macht ihr hier ?“ , wollte Cyrus wissen, als er den Archonten ebenfalls entdeckte. ,, Euch helfen. Und hoffentlich helfe ich damit auch eurem Volk.“ , er wendete sich an Kellvian. ,, Sagt mir die Wahrheit, die Gardisten vor unseren Stadtmauern, stehen die unter eurem Befehl

?“ ,, Nein.“ , erklärte dieser. ,,Sie sollten überhaupt nicht hier sein.“ ,, Und ihr werdet ihnen den Rückzug befehlen ?“ Kellvian nickte. ,, Ihr habt mein Wort.“ ,, Versprechen gelten in Helike wenig… wie ihr vielleicht gemerkt habt. Aber mir bleibt keine große Wahl. Cadus und Chonar weigern sich noch, euch einfach den Gardisten zu übergeben. Sie glauben wir können es mit der Armee Cantons aufnehmen.“ , erklärte Wys. Er war also erst noch beim Archontenrat gewesen, dachte Eden. In dem ganzen Chaos hatten die Herrscher Helikes sich sicher in die innere Stadt zurückgezogen. ,,Und

vielleicht stimmt das auch, aber… heute sind schon genug gestorben.“ ,, Wir müssen zu den Stadttoren.“ , meinte Erik. ,,Die werden bewacht sein , aber ich habe ein paar Leute angewiesen Pferde bereit zu halten. Wenn wir erst einmal durchkommen, holt uns niemand mehr ein.“ ,, Dann los.“ Der Archont lief vorne weg, als sie sich auf den Weg durch das Gebäude machten. Die Straßen Helikes waren wie leer gefegt, als sie es schließlich aus der Kaserne heraus schafften. In sämtlichen Bezirken waren Häuser und Geschäfte

verriegelt und je näher sie dem Hafen wieder kamen, desto deutlicher wurde auch der Brandgeruch in der Luft. Wys Befürchtungen Bewahrheiteten sich, als die Tore in Sicht kamen. Die schweren Flügel der Pforte waren geschlossen worden und Kellvian zählte leicht fünfzehn bewaffnete Soldaten, die davor Wache hielten. In einem kleinen Verschlag in der Nähe schnauften Pferde, aber die würden ihnen wenig bringen, wenn sie erst gar nicht aus der Stadt kamen. Von irgendwo jenseits der Stadtmauern konnte Kellvian immer noch das Donnern einzelner Kanonen hören, aber mittlerweile war der Beschuss Helikes fürs erste zu einem halt

gekommen. Wenigstens etwas. Entweder ging der Armee die Munition aus, oder Dagian war klar geworden, das er die Wälle nicht einfach mürbe schießen konnte. In den Hauseingang einer noch glimmenden Ruine geduckt, besahen sie sich die Lage. ,, Wir kommen da nicht ohne Kampf vorbei, oder ?“ , fragte Jiy. ,, Dafür sind es zu viele.“ Wys spähte nachdenklich zu den Soldaten herüber. ,, Und ich habe keine Ahnung, ob es einen Wachwechsel gibt, den wir ausnutzen könnten.“ ,,Also müssen wir es riskieren ?“ Kellvian gefiel die Aussicht nicht. Sie

waren in der Unterzahl und mit einem hatte der Archont Recht. Es hatte heute genug Tote gegeben. Und wenn sie noch länger zögerten, würden es noch mehr. ,,Zachary, du könntest uns nicht zufällig vor die Mauer bringen ?“ , wollte Cyrus wissen. Der Junge schüttelte den Kopf. ,, Wir könnten wieder sonst wo landen. Und der Zauber für Eden hat Falamirs Träne erschöpft. Es wird eine Weile dauern, bis sich der Stein wiederherstellt.“ ,,Dann eben auf die altmodische Art.“ Ihnen blieb wohl wirklich keine Wahl, dachte Kellvian. ,, Ich gehe vor.“ , erklärte Wys. ,, Und ihr folgt mir auf dem Fuß. Haltet eure

Waffen verborgen, bis wir nahe genug sind. Das verschafft uns vielleicht einen Überraschungsmoment, in dem wir sie ausschalten können.“ Bevor der Archont jedoch dazu kam, aus der Sicherheit der Hausruine zu treten, schallte plötzlich der Ruf eines Horns über die Stadt. Laut und unüberhörbar drang der Ton mehrere Herzschläge lang durch die Straßen. Die Wachen am Tor drehten sich in Richtung der inneren Stadt um und schienen plötzlich noch angespannter als zuvor. ,, Offenbar haben sie unsere Flucht bemerkt.“ , meinte Eden. ,, Jetzt oder nie, Archont. Wir haben nur die eine

Gelegenheit.“ Wys nickte, bevor er auf die Straße hinaus trat. Kellvian und die anderen hielten sich dicht hinter ihm, während er zielstrebig auf die verschlossenen Tore zuging. Die Wachen bemerkten den Archonten natürlich sofort, dieser hob jedoch nur beschwichtigend eine Hand. ,,Herr Archont.“ Einer der Soldaten stellte sich ihnen in den Weg. ,, Was tut ihr hier ? Es ist gefährlich hier draußen. Ich schlage vor, ihr kehrt in die innere Stadt zurück und…“ Er bemerkte Kellvian und die anderen. ,, Wer ist das ?“ ,,Nur ein paar Freunde. Seid doch bitte

so gut und öffnet die Tore, ja ?“ ,, Sind die übrigen Archonten damit einverstanden ?“ Der Wachmann wurde misstrauisch. ,, Ich bin mir nicht sicher, ob…“ Wys wartete nicht einmal, bis der Mann den Satz zu Ende gebracht hatte. Stattdessen holte er mit der Faust aus und schlug ich mit aller Kraft vor die Schläfen. Geotroffen taumelte der Wachmann zurück, ging jedoch nicht zu Boden. Wys setzte nach und zog seinen Gegner die Beine weg, so dass er endgültig das Gleichgewicht verlor und auf das Straßenpflaster stürzte. Die verbliebenen Soldaten griffen nun zu den Waffen, um sich der plötzlichen

Bedrohung entgegen zu stellen. Plötzlich von einem ihrer Archonten angegriffen zu werden, schien sie jedoch zu verunsichern. Stattdessen gingen sie auf Kellvian und die anderen los. Sie vermuteten wohl schon, dass der Alarmruf von eben ihnen gegolten haben könnte, dachte Kell, während er den ersten Schwertstreich parierte. Es war ihnen gelungen, sie zu überraschen. Schon nach wenigen Augenblicken, war alles vorbei. Vor allen, da die Soldaten zögerten, Wys anzugreifen, hatte er leichtes Spiel. Er brauchte kaum mehr tun, als zu warten, bis sie sich im Zweikampf mit Eden, Cyrus oder einem der anderen befanden und sie dann mit

einem gezielten Schlag auszuschalten. Am Ende gab es nur einen einzigen Toten. Den letzten Wachmann, der endlich die Erstarrung abschüttelte und Wys attackierte. Der Gejarn wich dem Hieb jedoch lediglich entspannt aus und fällte den Mann mit einem gezielten Schwertstreich, der ihm tief in den Brustkorb drang. ,,Beeilung jetzt.“ Wys lies das Schwert einfach fallen und rannte zum Tor, das mit mehreren schweren Eisenbolzen gesichert war. Der Reihe nach zog er alle davon aus dem Sand, der sich in den Fugen darunter angesammelt hatte. Kellvian und die anderen beeilten sich derweil, die Pferde zu holen. Es gab nur

vier Tiere. Sie müssten sich also jeweils eines teilen, dachte er. Mindestens. Das würde die zwar langsamer machen, aber sie kamen hier schon irgendwie heraus. Und Endlich war Wys auch soweit, das er den letzten Torriegel aufschob. Cyrus kam ihm zur Hilfe und gemeinsam packten sie einen der schweren Türflügel und zogen ihn weit genug auf, das ein einzelner Mann sich sicher hindurchzwängen konnte. Kellvian ging als erster. Das Pferd am Zügel haltend und beruhigend auf das Tier einredend, trat er endlich ins freie. Keine Meile vor der Stadt konnte er bereits die Reihen der kaiserlichen Armee erkennen. Uniformen in allen Farben der

verschiedenen Regimenter. Vom Blau der Leibgarde des Kaisers bis zu den braun-roten Mänteln der Söldner Cantons. Dagian musste wirklich jeden Mann abgezogen haben, der zur Verfügung stand. Er war beinahe versucht zu glauben, der Hochgeneral hätte sich derartige Sorgen um ihn gemacht. Aber die Armee hier ohne ein einziges Wort der Rücksprache aufmarschieren zu lassen… Kell wusste nicht, ob er sich freuen oder den Mann besser entlassen sollte, sobald er ihn fand. Noch in Gedanken darüber, wie er sich der Armee nähern sollte, schwang er sich aufs Pferd und wollte sich grade noch einmal nach den anderen umdrehen. Sie

mussten sich beeilen. Wys hatte bereits das zweite Pferd am Zügel ergriffen und machte soeben Anstalten, sich durch das einen Spalt geöffnete Tor zu zwängen, als Bewegung auf den Mauern und in den Straßen aufkam. Erst ein dutzend, dann immer mehr Paladine und Soldaten strömten aus den Straßen herbei. Entweder hatten die Archonten nach ihrer Flucht nur veranlasst, die Tore besser zu überwachen, oder schon vermutet, das sie hier entlang kamen. ,, Raus da.“ , rief Kell noch. Er wollte sich wieder aus dem Sattel schwingen um den anderen zur Hilfe zu kommen. Wys jedoch, kam ihm in di Quere. Beim

Anblick der neuen Bedrohung, ließ er sein eigenes Pferd los und verpasste Kellvians Reittier einen unsanften Tritt. Das Pferd, offenbar die Grobe Behandlung nicht gewohnt, machte Anstalten mit ihm durchzugehen. Kellvian versuchte noch, die Zügel herumzureißen, bevor er endgültig die Kontrolle über das Tier verlor und es plötzlich mit ihm auf den Rücken auf die Ebene hinaus schoss. ,, Wir kommen hier zurecht, sie werden uns nicht töten, Kellvian. Haltet ihr eure Leute auf.“ Der Archont stürzte bereits wieder zu den Toren hinein, das Schwert in der Hand. Kellvian konnte nur bestürzt zusehen,

wie die Stadttore hinter ihm wieder zufielen. Keine Chance für ihn, zurück zu gelangen. ,, Die Götter mögen geben, das ihr Recht habt.“ , murmelte er nur. Wenn Wys zuließ, das Jiy oder sonst jemanden etwas geschah, wären die Archonten sein geringstes Problem. Ihm blieb nur, das Beste zu hoffen. Und jetzt schleunigst zu Dagian Einher zu gelangen. Der Mann schuldete ihm eine verflucht gute Erklärung, für das Chaos, das er hier mit angerichtet hatte. Kellvian gewann etwas die Kontrolle über das Pferd zurück und lenkte es nach Südosten, zum Außenflügel der Truppen, die vor der Stadt Aufstellung genommen

hatten. Dort waren die Reihen weniger dicht und die Chance, dass man ihn ausversehen erschoss hoffentlich niedriger. Und dort wehten die typischen Banner, die die Stellung der Befehlshaber und Strategen kennzeichneten. Wenn er Dagian irgendwo fand, dann wohl dort. Der Hochgeneral würde ihn ohne Zweifel erkennen. Nur ob das auch auf die einfachen Soldaten zutraf, war fraglich. Wenn die Männer entschieden, dass er ein Feindlicher Späher war, würde er nicht weit kommen. Helike blieb langsam hinter ihm zurück und er schloss einen Moment die Augen. Die anderen mussten einfach in

Sicherheit sein, sagte er sich. Wenn er noch jemanden neben Zyle verlor… Kellvian konnte jetzt schon spüren, wie kalte Wut in ihm hochbrodelte, die er kaum noch kontrollieren konnte. Der Tod des Freunds hatte ihm einen Schock versetzt, der nur langsam abklang. Es war einfach unvorstellbar. Der Gedanke, das Zyle einfach weg war hatte sich noch nicht richtig gesetzt. Er würde sich nicht verlieren, sagte Kell sich. Noch nicht. Regina mochte keine Heilung für ihn haben, aber er würde das hier zu Ende bringen. Zum Guten oder zum Schlechten. Was Jiy und die anderen anging, würden sie ihre eigene Schlacht zu schlagen

haben.

Kapitel 84 Chonars Ende


Sie hatten nie wirklich eine Chance gehabt, dachte Jiy. Sobald sie einmal umstellt waren, blieb ihnen nur, die Waffen niederzulegen. Etwas, das beinahe schon begann, Gewohnheit zu werden. Wenigstens Kellvian war es gelungen, zu fliehen. Er musste es einfach bis zur Armee schaffen. Jiy wollte sich erst gar nicht vorstellen, was geschah wenn nicht. Im Augenblick hing alles an ihm und daran, wie vernünftig die Archonten sein würden. Als sie die Ratshalle betraten, warteten

dort bereits die drei verbliebenen Archonten Helikes. Die meisten der Soldaten, die sie in die innere Stadt eskortiert hatten, blieben vor der Tür zurück. Lediglich eine Handvoll Kämpfer positionierte sich an den Ausgängen der Kammer. Offenbar war auch die innere Stadt nicht ganz vom Beschuss durch die kaiserlichen Garden verschont geblieben. Mehrere der großen Buntglasfenster, die sich spiralförmig im Rücken der Halle zur Decke hinauf zogen, waren zersplittert, so das Wind und Sand von draußen hinein gelangt waren. Wys versuchte, die Hände der Wächter abzuschütteln, die ihn festhielten, sobald

er die Jona, Cadus und Chonar erblickte. Die Männer waren offenbar nicht darauf vorbereitet, einen Archonten festzuhalten und ließen fast widerstandslos gehen. Der Gejarn trat auf die drei Gestalten zu, die auf ihren Thronen Platz genommen hatten. Wys wollte ebenfalls auf das niedrige Podest treten, doch auf einen Wink von Chonar stellte sich ihm ein Paladin in den Weg. ,,Ihr habt es tatsächlich gewagt, euch gegen uns zu stellen ?“ , fragte der Archont. ,, Grade ihr Wys hättet wissen sollen, das das keinen Erfolg haben kann. Wegen euch ist uns Kellvian entkommen. Und der Rest dieser… Fremden… kann uns die kaiserliche

Armee nicht vom Hals halten. Jona hob eine Augenbraue. ,, Ihr wart es doch, die gezögert haben, einen Boten an den General der Garden zu senden.“ ,,Schweigt. Ich will verflucht sein, wenn ich zulasse, das wir noch irgendetwas tun, das Canton zu gute kommt. Und Wys hat uns alle hintergangen. Wenn ihr glaubt, dass ich zulasse, dass dieser Mann noch einmal für uns spricht, dann habt ihr euch getäuscht. Zuerst werden wir ihn und die Fremden endlich los und dann werden wir auch einen Weg finden unsere Stadt zu verteidigen.“ ,,Habt ihr nicht schon genug zerstört ?“ , fragte Jiy aufgebracht. Irgendwo in ihrem inneren legte sich ein Schalter

um. Warum stand sie immer wieder Sturköpfen gegenüber, wenn es um ihre eigene Art ging? Erst die Clans der Herzlande und jetzt das. ,, Eure Stadt liegt bereits in Trümmern, euer Volk stirbt da draußen und alles was ihr noch tun könnt ist uns alleine dafür verantwortlich zu machen ? Seht gefälligst einmal in den Spiegel.“ ,,Ich kann mich nicht erinnern, euch nach eurer Meinung gefragt zu haben.“ , erwiderte Cadus. ,, Und hat sie den kein Recht dazu ?“ , wollte Jona wissen. ,, Sind wir schon so weit, das wir niemanden mehr anhören, wenn er etwas zu sagen hat ?“ ,, Fremde haben in diesen Hallen

überhaupt nichts zu sagen.“ , gab Chonar scharf zurück. ,, Aber ich !“ , rief Wys. ,, Wir haben diese Stadt in den Ruin geführt, Chonar, seht ihr das eigentlich nicht ? Wenn ihr so weitermacht, wie bisher, wird es Helike in einer Woche nicht mehr geben. Die Leute , die ihre Häuser verloren haben fliehen schon den Magiern nach über die See. Jiy hat Recht, ob ihr das seht oder nicht. Wir verlieren alles, wenn ihr stur bleibt. Uns zu töten, ändert daran gar nichts mehr. Wir haben alle versagt!“ Chonar schüttelte nur den Kopf. ,, Aber ihr könnt eure Fehler noch korrigieren.“ , erklärte Jiy. ,, Wenn ihr

nur einmal aufhört nur euch selbst zu vertrauen. Wir haben euch nie absichtlich geschadet, oder?“ ,,Nein.“ , meinte Jona. ,, Genau davon rede ich doch die ganze Zeit.“ Er presste eine Handfläche gegen die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen. ,, Aber auch auf mich hört hier ja mittlerweile niemand mehr.“ ,,Ich…“ Cadus zögerte. Wenn sich nur einer der beiden Archonten gegen den anderen wendete, hätten sie gewonnen, dachte Jiy. Dann musste der andere klein beigeben. ,, Nein. Wir haben Jahrhunderte auf unsere Art überlebt. Es tut mir leid. Aber wir werden das jetzt ganz sicher nicht ändern. Ich plädiere

für euren raschen Tod… Mehr kann ich nicht tun.“ Ihre Hoffnungen zerfielen zu Asche. ,, In diesem Fall, tut es mir ebenfalls Leid.“ , meinte Jona und stand auf. ,, Wisst ihr, warum ich Archont geworden bin ?“ ,, Ist das wichtig ?“ , wollte Cadus wissen. Jona nickte und griff mit einer Hand in seine Robe. Bevor jemand wusste was geschah, hallte ein Schuss durch den Saal. Cadus Augen weiteten sich plötzlich, als sich ein roter Fleck langsam auf seiner Brust ausbreitete. ,,Warum….“ Er sank auf seinem Thron zusammen, während Chonar nur

fassungslos auf die beiden Archonten starren konnte. Der eine Tod, der andere nach wie vor eine rauchende Steinschlosspistole in Händen. ,, Das war für meine Familie, Bastard…“ Jona ließ die leergeschossene Pistole fallen. ,, Und ich habe viel zu lange darauf gewartet.“ Im Saal brach endgültig Chaos aus. Einige ihrer Wächter sahen sich nur verwirrt um, während andere versuchen, auf die Tribüne zu gelangen. ,,Bleibt wo ihr seid.“ , rief Jona. Die Männer wurden tatsächlich langsamer. ,, Seid ihr völlig Irre ? Verhaftet ihn, sofort !“ Chonar war Aufgesprungen und deutete auf den Händlerkönig, der die

Hände lediglich hinter dem Rücken verschränkte. ,, Wagt ihr es einen Archonten zu bedrohen ?“ , fragte er nur an die Soldaten gerichtet. Die Männer schienen endgültig nicht mehr zu wissen, was sie tun sollten und blieben einfach stehen, die Waffen jedoch immer noch erhoben. ,, Seid ihr eigentlich völlig unselbstständig ?“ , rief Wys und sprang nun selber auf die Tribüne hinauf. ,,Das haben sie nie anders gelernt.“ , meinte Jona nur betrübt. ,, Natürlich nicht. Oder keiner von uns wäre noch hier. Was meint ihr Chonar, wollen wir hier bis in alle Ewigkeit herumstehen?

Es sieht nämlich so aus, als würden die sich bald in Bewegung setzen.“ Der Wolf zog nun selber das Schwert. ,,Ihr verfluchter, elender…“ Bevor er den Satz beenden konnte, flogen die Türen zur Ratshalle erneut auf und gaben den Blick auf einen Mann frei, der in Begleitung mehrere Paladine den Raum betrat. Jiy hatte eigentlich nicht geglaubt, ihn je wiederzusehen. Im Gegenteil. ,, Würde mir vielleicht jemand verraten, was hier eigentlich los ist ?“ Laos sah nicht so aus, als wäre er besonders glücklich darüber, sein selbstgewähltes Exil wieder verlassen zu haben. ,, Meine Stadt halb niedergebrannt, eine Fremde

Armee vor unseren Toren… und ihr steht hier und bringt euch gegenseitig um ?“ Und an Jiy und die anderen gerichtet fügte er hinzu : ,, Ich hätte längst zurückkommen sollen. Vergebt mir.“ ,, Das ist alles ihre Schuld.“ , rief Chonar und deutete auf Jiy. ,, Canton greift uns an und sie haben das von Anfang an geplant.“ ,, Sicher. Ich glaube eher Chonar, das ich mich nicht nur auf eure Worte verlassen werde. Ich habe schon eine Weile da draußen gestanden. Und ich habe ein paar Dinge gehört. Ihr tötet unschuldige Bürger? Ihr nehmt politische Gäste als Gefangene? Und jetzt das hier ? Wo ist eigentlich Kellvian? Und Zyle

?“ ,, Mein Bruder ist tot.“ , antwortete Wys leise. ,, Was ?“ ,, Kellvian hingegen ist vor der Stadt.“ , antwortete Wys. ,, Er wird der Garde den Befehl zum Rückzug geben.“ ,, Sehr gut.“ Laos nickte. ,, Ein Problem weniger, mit dem wir uns herumschlagen müssen. ,, Ihr glaubt ihm das doch nicht etwa ?“Chonar sah mit zunehmenden Unbehagen in die Runde. ,, Der Kaiser wird uns angreifen, sobald er die Gelegenheit dazu hat.“ ,, Ich respektiere ja eure Sorge, Archont.“ , erklärte Laos. ,, Aber ich

werde auch nicht länger hinnehmen, das diese Stadt im Chaos versinkt. Ich enthebe euch beide fürs erste aus euren Ämtern. Euch, Jona, wegen Mordes. Und euch Chonar, weil ihr offenbar im Augenblick unzurechnungsfähig seid.“ Jona nickte nur und trat langsam von der Tribüne hinunter. ,, Ich stelle mich meiner Schuld… Das war es mir Wert.“ Nur Chonar blieb wie erstarrt stehen, wo er war. ,, Das könnt ihr nicht tuen !“ Laos sah nur mit kaltem Blick zu dem Archonten. ,, Ich kann und ich werde. Diese Stadt wird nicht untergehen, nur weil ihr darauf beharrt, Recht zu behalten. Wache… lasst die Gefangenen gehen und wenn er nicht von selbst

verschwindet, schafft ihn mir eben aus den Augen.“ ,, Ich fordere einen Zweikampf.“ , rief der Wolf panisch, als der erste Paladin einen Schritt in seine Richtung machte. Laos hob eine Hand und bedeutete seinen Männern, innezuhalten. ,, Sicher das ihr das wollt.“ ,, Hier und jetzt !“ , erklärte Chonar nur. Vermutlich, dachte Jiy, ah er darin seine letzte Chance noch irgendwie aus der ganzen Sache heraus zu kommen. Denn wenn Laos sie alle anhörte, würde der Archont vermutlich nie wieder einen Fuß in die innere Stadt setzen. Aber darauf konnte er doch unmöglich eingehen, oder? Niemand würde dem

Mann einen Vorwurf machen, wenn er den Gejarn jetzt einfach abführen ließ. Genauer gesagt, war nicht einmal mehr jemand übrig, der es könnte. Sie hatten die Stadt mit fünf Archonten betreten. Jetzt waren zwei übrig, den ob Wys dieses Amt noch einmal auf sich nehmen würde, schien ungewiss. ,, Das… ist euer gutes Recht.“ , meinte Laos zum erstaunen aller. ,, Macht Platz.“ Die Wachen und die kleine Gruppe um Jiy machte einen Kreis frei. Chonar trat zögerlich die Stufen von der Tribüne hinab, das Schwert in der Hand. ,, Bis zum ersten Blut.“ , erklärte Laos. ,, Ich will nicht mehr Tote.“ Jiy begriff,

was er da tat. Ein Schwert konnte ihn nicht töten, ein Duell bis zum Tod wäre damit völlig unfair gewesen. Sie wusste nicht, ob sie den Mann für sein Ehrgefühl bewundern oder verfluchen sollte. Es war vorbei und Chonar bereits erledigt. Wieso ihm eine Chance geben? Das erste Aufeinanderprallen der Klingen wischte sämtliche Gedanken über Recht und Unrecht fort. Jetzt käme es nur noch darauf an, wer der beiden Kämpfer am Ende die Oberhand behielt. Sowohl der Archont als auch Laos waren überragende Krieger und sich leicht mehr als ebenbürtig. Was Chonar an der übermenschlichen Geschwindigkeit fehlte, über die Laos verfügte, machte er

mit Technik wieder wett. Jiy hätte nicht zu sagen gewusst, wer von den beiden besser war. Laos hielt sich defensiv, während der Archont mit einer Serie aus ungezielten Hieben auf ihn eindrang. Laos parierte entweder, oder wich aus, bevor er selber zum Angriff überging. Kurze, gezielte Schwerschläge, die Chonar langsam aber sicher zurücktrieben. Die Leute sprangen auseinander, um den Kämpfenden Platz zu machen, als diese sich durch die offenen Tore der Ratshalle kämpften. Chonar versuchte, nach Laos zu treten. Dieser machte sich gar nicht erst die Mühe, auszuweichen. Der Tritt prallte ab und brachte stattdessen den Archonten

dazu, rückwärts auf den Platz vor den Ratskammern hinaus zu stolpern. Laos trieb ihn weiter zurück, auf den Platz hinaus, wo nach wie vor der Kristallsarg in seiner Halterung über dem Boden hing und das Sonnenlicht reflektierte. Der Archont sah darin offenbar eine Gelegenheit, denn plötzlich ließ er die Waffe sinken und sprang unter den Sarg. Als Laos ihm nachsetzen wollte, geschah, worauf Chonar gesetzt haben musste. Das Licht blendete seinen Gegner einen Moment. Der Mann riss die Hand hoch, um seine Augen abzuschirmen. Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit und mehr war auch

nicht nötig. Der Archont schlug zu und das Schwert bohrte sich durch Laos Brust. Zu Chonars Überraschung jedoch, blieb das getroffene Laos einfach stehen. Auf seinem Gesicht zeichnete sich kein Schmerz ab, sondern betrübte Sorge. Und Jiy Verstand auch warum. Er könnte jetzt unmöglich noch verheimlichen, was er war. Kellvian und sie hatten darüber geschwiegen, jetzt jedoch blieb ihm keine Wahl mehr. Chonar erstarrte ebenfalls, bevir er versuchte, die Klinge zurückzureisen. Bevor er jedoch dazu kam, wurde aus dem besorgten Gesichtsausdruck von Laos ein schwaches Lächeln. Sein Blick

wanderte zu Jiy und den anderen und er nickte langsam. So als wollte er sie noch einmal bitten, stillschweigen zu bewahren. Was hatte er vor ? Und dann wurde es Jiy mit Übelkeit erregender Sicherheit bewusst. Sowohl er als auch Chonar standen nach wie vor unter dem arg. Bevor der Wolfwusste, wie ihm geschah, hatte Laos das Schwert gehoben und eines der Halteseile des Kristallsarkophags durchtrennt. Keiner von beiden machte auch nur einen Versuch, auszuweichen. Der Sarg stürzte herab und zersplitterte beim Aufprall in einen Berg aus glitzernden Trümmern, der sowohl den Archonten als auch Laos unter seinem Gewicht begrub. Chonar

konnte das nicht überlebt haben und Laos… Ein einziges, vergoldetes Zahnrad sprang unter den Kristallscherben hervor und Jiy stellte sich rasch mit dem Fuß darauf, bevor es jemandem Auffiel. Sie würde sich an den letzten Wunsch des Mannes halten. Geschockt und unfähig, irgendetwas zu sagen, starrten die Umstehenden Paladine und der letzte Archont Helikes, Jona, auf die Trümmer. Laos hatte die einzige Möglichkeit gewählt, die ihm geblieben war, dachte Jiy. Sie konnte nur hoffen, dass er dadurch auch so etwas wie Frieden gefunden hatte.

Kapitel 85 Das Heerlager


Dagian sah den Reiter schon kommen, bevor ihn einer seiner Offiziere darüber informierte. Die einsame Gestalt, die sich über die Ebene zwischen Helike und der kaiserlichen Garde näherte musste ja völlig Wahnsinnig sein. Auch wenn der Reiter das Tier in einem Bogen auf die schwache Flanke der Armee zu lenkte, was erhoffte er sich eigentlich, ausrichten zu können? Hochgeneral Dagian Einher stand auf einem kleinen Hügel über den Reihen der Armee und sah mit einem Fernrohr auf die Stadt hinaus. Die Offiziere der

Garden, die ihn begleitet hatten, standen um ihn herum verteilt, Boten kamen und gingen mit neuen Befehlen und soweit hatte es niemand gewagt, gegen ihn die Stimme zu erheben. Lediglich die gut zweihundert Gardisten, die sie in Kalenchor vorgefunden hatten, schienen seinen Befehlen mit wenig Enthusiasmus nachzukommen. Es waren die Männer, die ursprünglich Kellvian begleitet hatten. Offenbar hatte der junge Kaiser die Schiffsexplosion überlebt und die Gardisten danach aus der Stadt geschafft. Sei es auch drum, jetzt, wo Helike unter Belagerung stand, konnte Kellvian nicht mehr weit kommen. Kurzentschlossen, hatte Dagian die

Männer an die forderte Front gestellt. Dort würden sie noch am ehesten Fallen und aus dem Weg sein. Das würde später unangenehme Fragen vermeiden. Es hätte kaum besser für ihn stehen können. Sie waren auf erstaunlich wenig Wiederstand gestoßen. Vermutlich wollten die Archonten tatsächlich warten, bis die Garde die Wälle durchbrach und sich ihnen dann in den verwinkelten Straßen entgegenstellen. Eine Strategie, die ihnen mehr als nur einen Vorteil verschaffen würde, dachte Dagian. So wären sie gezwungen auf ihrem Terrain zu kämpfen und könnten die Geschütze nicht mehr zum Einsatz

bringen. Aber er hatte überhaupt nicht vor, auf diesen Köder einzugehen. Wozu auch ? Er würde Helike von außen in Schutt und Asche legen, ohne den Ort einmal zu betreten und dann wieder abziehen. Wenn sie Laos noch einmal von diesem Schlag erholte, wäre er doch sehr Verwundert. Aber der einzelne Reiter, der sich ihnen näherte, machte ihm doch etwas Sorgen. Er fürchtete zu wissen, um wen es sich dabei handeln könnte, aber selbst das Fernrohr reichte nicht aus, die Züge des Fremden zu erkennen. Egal. Wenn Kellvian es irgendwie geschafft hatte, bis jetzt zu Überleben, hätte er ihm kaum einen größeren Gefallen tun

können. Die Männer würden einen Fremden nicht einmal auf Rufweite heran kommen lassen. Und selbst wenn, so würde Kell niemals dazu kommen, zu sprechen, bevor ihn eine Projektilsalve erledigte. Oder ? Dagian klopfte nervös auf den griff des Reitsäbels, der an seiner Hüfte hing. Nein, Kellvian war tot. Da war er sich ganz sicher. Kellvian zügelte das Pferd, als die ersten Gardisten aus der Masse an Uniformen sichtbar wurden. Die Hände über den Kopf erhoben, hoffte er, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, während das Tier unter ihm in einen leichten

Trab verfiel. Mittlerweile konnte er die erste Schützenlinie deutlich vor sich sehen. Hundert oder mehr Männer, die bereits auf die Knie gesunken waren, die Gewehre im Anschlag. Der Wind brachte den fernen Geruch von verbranntem Schwarzpulver mit sich. Die Kanonen, die nun schon seit fast zwei Tagen Helike bombardierten, mussten ganz in der Nähe sein. Vielleicht direkt hinter dem Hügel, auf dem sich die Heerführer aufhalten mussten. Kell wappnete sich innerlich bereits für den Aufprall von dutzenden Kugeln, die ihn aus dem Sattel werfen würden. Er schloss die Augen halb und wartete nur auf den Klang von hundert Musketen, die

gleichzeitig abgefeuert wurden. Das tödliche Salvenfeuer blieb jedoch aus. Kellvian öffnete ein Auge wieder und stellte fest, das sich einer der Soldaten aus den Schützenlinien erhoben hatte und aufgeregt winkte. Die anderen drehten sich zu ihm um, während er irgendetwas über die Köpfe der Armee hinweg rief. Und als er näherkam, standen immer mehr der Männer auf und ließen die Waffen sinken. ,, Nicht feuern. Das ist der Kaiser.“ , konnte Kellvian jetzt einzelne, aufgeregte Rufe vernehmen. Er atmete erleichtert auf. Sie erkannten ihn. Und jetzt, wo er näher ehran war, erkannte er ebenfalls einige bekannte Gesichter.

Unter den Soldaten der Garde befanden sich einige der Männer, die er selber nach Kalenchor geführt hatte. Rasch gab er dem Pferd wieder die Sporen und hielt das Tier erst kurz vor den Reihen der Soldaten an. ,,Herr ?“ Einer der Männer, der die Uniform eines Offiziers trug, trat vor. Die blaue Uniform der kaiserlichen Leibgarde die er trug, war Dreckverkrustet. ,, Seit ihr das wirklich, oder träume ich ? Heerführer Einher meinte, ihr wärt tot oder Gefangen.“ Womit er gar nicht so unrecht hätte, dachte Kellvian. ,, Nun ich bin hier.“ , meinte er, während er vom Pferderücken sprang. ,,

Ich will, das ihr sofort das Feuer auf Helike einstellt.“ , erklärte er weiter, an den Offizier gerichtet. ,, Geht sofort los und sagt den Kanonieren bescheid. Ich werde in der Zwischenzeit Dagian alles erläutern.“ ,, Ja, Herr.“ Der Offizier salutierte kurz, bevor er durch die Reihen der Gardisten verschwand, die sich vor ihm und Kellvian teilten. ,, Wo kann ich den Hochgeneral finden ?“ , wollte dieser derweil von einem weiteren Musketier wissen. ,, Als ich ihn das letzte mal sah, befand er sich bei seinen eigenen Offizieren. Oben auf dem Hügel bei den Standarten. Ihr könnt es nicht verfehlen.“ Ein

Gardist in grüner Uniform deutete auf eine Ansammlung von Zelten und Flaggen, die Kellvian schon zuvor aufgefallen war. Er nickte und machte sich auf den Weg, den Hügel hinauf. Der General würde ihm immer noch einiges zu erklären haben, aber ein Teil seiner Wut verrauchte. Das alles hier war ein Missverständnis, das er Dagians Übereifer zu verdanken hatte. Aber wenn der General wirklich befürchtete, er könnte Tod oder Gefangen sein, konnte er ihm kaum einen Vorwurf daraus machen. Nur wie kam er auf die Idee ? Kellvian hatte von Anfang an klar gemacht, das er eine Weile fort sein

würde. Die Monate, die er in Helike verbracht hatte, waren nichts. Er beschleunigte seine Schritte und verließ schließlich die Schützenlinien. Ein halbes dutzend Zelte , die man zu einem Halbkreis angeordnet hatte, krönten den Gipfel des Hügels. Im Zentrum des Kreises stand ein überdachter Kartentisch, an dem sich mehrere Männer versammelt hatten, zusammen mit einer Gestalt, die Kellvian sofort wiedererkannte. Dagian Einher hatte sich seit ihrem letzten Treffen kaum verändert, die Gestalt hatte lediglich einige silberne Strähnen im braunen Barthaar. Und die Augen des Mannes weiteten sich, sobald er Kell

entdeckte. Beinahe hätte er gemeint, aus Furcht oder Entsetzen. ,,Kellvian…“ Er stemmte sich vom Tisch hoch und blinzelte einen Moment, bis der Eindruck von Verwirrung und Panik in seinen Zügen verschwand. ,, Ihr lebt noch. Aber wie…“ ,, Wieso Dagian, sollte ich nicht leben ?“ , fragte Kellvian und trat auf den Tisch zu. Die anderen Offiziere wichen etwas von dem Hochgeneral zurück. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, was er von dem ganzen halten sollte. Ob Missverständnis oder Absicht. ,, Kann mir das jemand verraten ?“ Kellvian drehte sich zu den übrigen Offizieren. ,, Wer hat behauptet, ich sei

in Gefahr ?“ Am Ende war er es zwar tatsächlich gewesen, aber wenn Dagian nicht zufällig in die Zukunft sehen konnte… hätte er das niemals erfahren können. Irgendjemand hatte gelogen. Und er musste herausfinden wer. ,, Hochgeneral Einher fürchtete, die Archonten könnten uns hintergangen haben, Herr.“ ,, Warum ? Dagian, ich bin hier. Welcher Wahnsinn hat euch geritten, mir zuvor nicht wenigstens eine Nachricht zukommen zu lassen?“ Der General seufzte schwer. ,, Es wäre auch zu viel verlangt gewesen, das ihr uns allen den gefallen tut und anständig

sterbt…“ , murmelte er. ,, Dann eben so !“ Bevor Kellvian reagieren konnte, hatte Dagian eine Steinschlosspistole gezogen und auf ihn gerichtet. Mit der anderen Hand stützte er den Waffenlauf ab. Mit einem Mal schien alles ein gutes Stück klarer ,, Also wart ihr es, der uns die Überraschungen beschert hat, den Sprengsatz auf der Windrufer…“ ,, Das Meer hätte euch verschlingen sollen.“ ,, Warum Dagian ?“ , rief Kellvian. Erst Tyrus, jetzt der General… Das durfte einfach nicht wahr sein. Sicher, Dagian hatte ihn nie leiden können, aber er hatte

sich trotzdem immer Loyal verhalten. Etwas, wofür er ihn letzten Endes respektiert hatte. ,, Ihr seit wie euer Vater auf seine alten Tage , Kellvian. Ihr habt vergessen, was Canton groß gemacht hat. Und es war nicht, das wir jedem die Hand gereicht haben, der sich uns in den Weg stellt. Wir haben sie ihm abgehakt. Und ihr ignoriert diese Stärke einfach. Ich habe nicht zugelassen, das Konstantin zerstört, was Jahrhunderte Aufgebaut haben.. Und ich werde es euch ebenfalls nicht erlauben.“ ,, Was soll das heißen, ihr habt es meinem Vater nicht erlaubt ?“ Es fiel ihm auch nach fast einem halben Jahr

noch schwer, den Mann wirklich als seinen Vater zu sehen. Er hatte das nie getan. Wenn etwas dem je nahe gekommen war, war das Tyrus gewesen. Egal als wie streng er den alten Ordensmeister immer empfunden hatte. Trotzdem ließ ihn die Gewissheit in kleinster weise kalt. Kellvian spürte plötzlich, wie sich eine Klaue um sein Herz legte. Die Wahrheit, die er schon erahnte, wollte er erst gar nicht hören. Und doch musste er es. ,, Glaubt ihr wirklich, selbst die Clans wären dämlich genug, einen Kaiser auf offenem Feld zu töten , statt ihn gefangen zu nehmen oder nur zu verwunden ? Egal wie aufgebracht sie

waren? Nein… Konstantin wollte allen ernstes auf die Forderungen dieser Wilden eingehen. Und ihr musstet es ihm ja natürlich gleich tun. Ich tue nur, was ich tun muss.“ Dagian drückte ab. Kellvian sah den Blitz des Pulvers so deutlich vor sich, als wäre die Zeit einen Moment eingefroren. Und er hatte sich immer Gefragt, ob der Tod des Kaisers ein bloßer Unfall gewesen war. Das Projektil raste dicht an ihm vorbei. Er hat nicht getroffen, dachte Kellvian ungläubig. Dagian hatte ihn allen ernstes auf kurze Distanz verfehlt. Bevor er jedoch Zeit hatte, sich darüber zu freuen, hatte Dagian bereits eine weitere Waffe

gezogen und richtete sie auf ihn. ,, Wollt ihr jetzt ernsthaft noch einen Kaiser erschießen, Dagian ?“ , fragte Kellvian ruhig. ,, Wozu ? Alle hier haben eure Worte gehört. Mich zu töten bringt euch nichts mehr.“ ,, Das sagt ihr. Es wird dafür Sorgen, das bald jemand unendlich fähigeres als ihr den Thron besteigen kann.“ Kellvian hob eine Augenbraue. Wovon redete er ? Es gab keine anderen Thronanwärter. Wenn Dagian ihn erschoss, würde sich der Adel im Kampf um die Kaiserkorne bestenfalls gegenseitig zerfetzen. War der Hochgeneral schon so weit, das als die bessere Alternative anzusehen? Die eben

noch erstickte Wut flackerte erneut in ihm auf. ,, Dann tut, was ihr nicht lassen könnt.“ Kellvian trat einen Schritt zurück. Einen Moment zitterte die Hand des Generals. Dann feuerte er die Waffe erneut ab. Die Kugel jedoch erreichte Kellvian nie. Er erlaubte es, seinem Wunsch danach, diesen Mann zur streckte zu bringen, ganz die Kontrolle über sich zu überlassen. Und jetzt gab es nur noch eines, was ihn stillen konnte. Blut. Ein Teil der Magie des alten Volkes durchströmte ihn, aber das war lange nicht alles. Kellvian verstand Feryakins Warnung nun zum ersten mal. In dem Moment, wo der General den

Abzugsbügel betätigte, verschwand Kellvian in einem kurzen Lichtblitz nur um direkt neben ihm wieder mit gezogener Klinge aufzutauchen. Er stieß ohne nachzudenken zu. Das Schwert drang bis zum Heft in Dagians Körper und trat am Rücken wieder aus. Dieses mal weiteten sich die Augen des Mannes vor Schmerz und Überraschung. ,, Ihr werdet nie wieder irgendjemandem Schaden, General. Ich habe euch vertraut, verdammt!“ Kellvian riss die Klinge aus dem sterbenden Mann und trat einige Schritte zurück. Dagian schwankte, während seine Hände noch versuchten, die tödliche Wunde in seiner Brust zu

verdecken. Blut färbte seinen Bart und Kleidung dunkel. Er spuckte Blut, während sich seine Lippen zu einem grausigen Lächeln kräuselten. ,, Und ich dachte, euch fehlt die Kraft für so etwas.“ Der General sank auf die Knie und stürzte dann zur Seite in den Staub. Kellvian stand einen Moment nur schwer atmend da, während sich eine Blut-Pfütze zu seinen Füßen ausbreitete. Nachdenklich schob er das Schwert zurück in die Scheide und setzte sich an den Kartentisch. ,, Ihr werdet die Belagerung Helikes aufheben.“ , erklärte er kühl. Es war genug. Er hatte eine Grenze überschritten und es war an der Zeit, das

alles zu Ende zu bringen. ,, Sendet Boten in die innere Stadt um über sicheren Abzug und einen Waffenstillstand zu verhandeln. “ ,, Sofort.“ , meinte einer der verbliebenen Offiziere, sobald er sich von dem Anblick des toten Hochgenerals abwenden konnte. ,, Was werdet ihr tun ?“ ,, Gebt mir einen kleinen Geleitschutz. Ich werde weiter nach Süden ziehen. Dort gibt es einige Minen.“ Er zog den steinernen Schlüsselring aus der Tasche. ,, Und etwas, das noch erledigt werden muss. Wenn jemand nach mir fragt… sie sollen so schnell wie möglich nachkommen. Ich kann nicht mehr

warten. Wir haben schon zu viel Zeit verloren.“

Kapitel 86 Die Hallen des alten Volkes


Jiy sah die weißen Flaggen und hätte am liebsten laut gejubelt. Kellvian hatte es geschafft… Über den Köpfen der Armee, die vor der Stadt lagerte, wurden dutzende weißer Flaggen gehisst, die nach und nach das Doppelbanner des Kaiserreichs ersetzten. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Alles könnte irgendwie wieder gut werden. Fast alles zumindest. Jetzt hoffte sie nur, das Kellvian bald auf dem Weg hierher wäre. Die Gejarn wollte ihn in die Arme schließen und wenigstens für einen Moment vergessen, dass nach wie vor eine ganze Stadt in

Trümmern lag. Teilweise wegen ihnen. Mal wieder. Der Gedanke brachte sie zum schmunzeln. Jona und Wys, die letzten Überlebenden Archonten, sahen ungläubig zu, als sich die riesige Streitmacht Stück für Stück ergab. ,, Das ähm… Unglaublich.“ , murmelte der Händlerkönig nur. ,, Sagt mir die Wahrheit, dieser Mensch ist vollkommen irre, oder ?“ ,,Diesen Eindruck habe ich manchmal selbst.“ , erklärte die Gejarn nur. Sie standen mittlerweile alle auf der Mauer, die die innere Stadt umgab. Noch immer stieg Rauch aus dem zerstörten Hafen der Stadt auf, aber zum ersten Mal

seit zwei Tagen schwiegen die Kanonen wieder. Auch wenn sie dafür einen hohen Preis gezahlt hatten. Jona stieg über eine Treppe die Mauern hinab, während die anderen ihm folgten. Die innere Stadt war von den Kämpfen weitgehend verschont geblieben, sah man von den Schäden ab, die Laos letztes Gefecht mit Chonar verursacht hatte. Der Marmorsockel und der Sarkophag des großen Lehrers Helikes waren zerstört und ruhten nach wie vor als Schutthaufen auf dem Platz im Herzen der Stadt. Und darunter, was auch immer von Laos und dem Archonten geblieben war. Bisher hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Trümmer zu beseitigen und

Jiy fürchtete, was sie dabei finden konnten. Sie hatte sich bereits zur Aufgabe gemacht, das Vertrauen, das Laos in ihr Schweigen gesetzt hatte, nicht zu enttäuschen. Und dazu gehörte auch, zu verhindern, dass andere die Wahrheit erfuhren. Vermutlich würde das Helike den Rest geben, dachte Jiy. Es würde Laos Opfer zunichte machen… und auch Zyles. ,, Es wird eine ganze Weile dauern, alle Schäden zu beheben.“ , meinte Wys, während sie den Boden erreichten. ,, Die äußere Stadt und besonders der Hafen… Es ist praktisch nichts übrig, Jona.“ ,, Vielleicht solltet ihr auch damit Anfangen…“ , schlug Jiy vor. Das

würde immerhin etwas Zeit erkaufen. ,,Die innere Stadt wird leichter repariert sein.“ Wys schien nicht darauf eingehen zu wollen. ,, Und dann können wir unsere ganze Energie in den hauptsächlichen Wiederaufbau stecken.“ ,, Ich meine, es wird viel zu viele Arbeiter brauchen, Sarg und Glastrümmer zu beseitigen. Vielleicht solltet ihr es ganz lassen. Einfach nur um… sicherzugehen.“ Jona schien den Wink mit dem Zaunpfhal zu verstehen. Er runzelte einen Moment die Stirn, als Fragte er sich, wieso Jiy darauf bestand, dann jedoch meinte er nur : ,, Ichpersönlich halte es ohnehin wirklich für das beste, erst den Rest der

Stadt wiederaufzubauen. Die Leute die im Hafen gewohnt haben, sind größtenteils mit dem Schrecken davon gekommen. Aber jetzt stehen sie vor dem nichts. Viele haben Helike praktisch sofort verlassen. Wir brauchen neue Häuser für sie. Das sollte unsere erste Priorität sein. Und dann, irgendwann, können wir uns auch darum kümmern, dass es in der Ratshalle nicht mehr zieht. Es gibt viel für uns zu tun…“ ,, Ihr habt jetzt die Chance, wirklich etwas zu tun.“ , meinte Cyrus. ,, Das ist doch zumindest etwas Positives…“ ,, Es wird sich sogar einiges ändern müssen.“ , gab Jona zurück. Wys nickte. ,, Und wir müssen

irgendwann auch neue Archonten ernennen, oder wir werden nicht besser, als Cadus und Chonar.“ ,, Sicher. Aber es schadet nicht wenn wir auf Sturköpfe verzichten. Ich habe da beispielsweise schon zwei Kandidaten aus dem Händlerbezirk im Auge, aber dazu vielleicht später mehr, Wys.“ Jona sah in Richtung der Tore der inneren Stadt, wo eine große Erdrampe hinab nach Helike führte. ,, Ich glaube wir bekommen Besuche.“ Eine einzelne Gestalt in blauer Uniform trat grade unter dem Steinbogen hindurch, eine weiße Flagge locker über die Schultern gelegt. Einige Paladine beäugten den Mann misstrauisch bis Wys

ihnen ein Zeichen gab, den Gardisten durchzulassen. Dieser verbeugte sich kurz. ,,Verzeiht. Ich bin hier mit Nachricht von Kaiser Kellvian Belfare für die Archonten von Laos. Ihr wisst nicht zufällig, wo ich sie finden kann ?“ ,, Was vom Archontenrat Helikes übrig ist, steht vor euch.“ Jona und Wys traten vor. ,, Und ihr seid willkommen. Ich hoffe Kellvian geht es gut ?“ ,, Als ich ihn zum letzten mal sah, war dies zumindest der Fall, die Herren.“ ,, Wann genau war das ?“ , fragte Jiy aufgeregt. ,, Keine Stunde ist das her. Er lässt euch ausrichten, das wir bereit sind über

Bedingungen für einen friedlichen Rückzug und einen einstweiligen Waffenstillstand zu verhandeln.“ Wys nickte. ,, Wir werden jemanden schicken, sobald wir wieder etwas… Ordnung in alles gebracht haben. Wie ihr vielleicht seht, kommt ihr in einem äußerst chaotischen Augenblick zu uns. Fürs erste jedoch, kann eure Armee vor der Stadt lagern, vorausgesetzt, das weitere Kampfhandlungen ausbleiben.“ ,, Unsere Befehlshaber werden das sicher gerne hören. Der Kaiser hatte eigentlich Befehl zum Rückzug gegeben. Aber das erspart uns den Rückmarsch nach Kalenchor aufs erste.“ Der Bote wendete sich zum gehen, wurde

jedoch von Jiy aufgehalten ,,Nur einen Moment noch. Und wo ist er selbst jetzt? Ist Kellvian noch im Heerlager?“ ,, Nein… Herrin.“ Der Mann schien unsicher, was er von ihr halten sollte. ,,Er ist mit einer kleinen Gruppe seiner Leibgarde nach Süden in die Wüste aufgebrochen. Es steht euch frei ihm zu folgen aber…“ ,, Dieser arme Irre.“ Eden schlug sich vor den Kopf. ,, Er wird doch nicht etwa…“ ,,Alleine gehen ?“ , fragte Jiy. ,, Und ob. Er bringt es fertig und lässt uns hier stehen. Aber er hat maximal zwei Stunden Vorsprung…

Wys…“ ,, Geht.“ , erklärte der Archont nur. ,, Geht und findet ihn.“ Die Gejarn nickte. ,, Beeilen wir uns.“ , schlug Erik vor. ,, Vielleicht holen wir ihn ein, bevor er bei den Minen ist. Und irgendetwas dummes tuen kann.“ Kellvian hatte seine Begleiter am Eingang der Minen zurück gelassen. Was immer ihn hier unten auch erwartete, Gewehre würden wenig dagegen ausrichten, dachte er. Die Uhrwerksoldaten waren Geschichte. Er stolperte über mehrere Metallene Körper, während er sich seinen Weg suchte.

Vereinzelt stoben Funken von Verbogenen Zahnrädern oder gesplitterten Kristallen auf, welche die Höhlenwände in einem Miniaturgewitter zum leuchten brachten. Kell hatte mittlerweile das erste, nach wie vor offen stehende Tor erreicht. Die einzelne Steinsäule, die dort durch die Mittelaxe verlief, wo sich der Stein aufgelöst hatte, glühte im Licht des dort eingelassenen Bernsteins. Vielleicht, dachte er, gab es einen Weg, den Stein sicher zu entfernen. Er wollte ihn zumindest ganz sicher nicht hier lassen. Für den Moment jedoch musste er bleiben wo er war. Er erinnerte sich nur zu gut an Eriks Warnung auf die Frage,

ob sie das Tor einfach einschlagen könnten. Kellvian würde nichts Derartiges riskieren. Seine Schritte halten von den Steinfliesen wieder, als er schließlich die Tunnel betrat. Wie schon im Hauptschacht der Mine bedeckten Überreste von Maschinenkriegern den Boden. Zahnräder, Metallplatten oder vereinzelt auch komplette Körper. Totes Metall, dachte er nur. Wenn von ihnen noch Gefahr ausging, hätte er das längst gemerkt. Sie waren schnell und stark gewesen, hatten aber nie Heimtücke gezeigt. War eine der Kreaturen noch intakt, dann würde sie ihn auch angreifen. Aber nichts dergleichen

geschah. Die Hallen des alten Volkes blieben so ruhig, wie sie es in den Jahrtausenden zuvor wohl gewesen waren. Es musste eine Unmenge an Handwerkern gebracht haben, die Gänge hier auszuheben. Oder, was wahrscheinlicher war, unvorstellbare Magie, präzise und mächtig genug, schnurgrade, geometrische Gänge in den Fels zu graben. Kellvian konnte das sanfte Prickeln von Phantomzauberei auf seiner Haut spüren. Die Überreste der alten Zauber, die diesen Ort geformt hatten. Vor ihm schälten sich mehrere, mit Leuchtkristallen besetzte, Säulen aus dem Dunkel und erhellten das vorläufige Ziel seiner Reise. Das große Steintor,

das ihren Weg beim ersten Mal blockiert hatte. Kellvian zog den Steinring mit den darauf eingeätzten Symbolen heraus. Ein leichtes Rätsel- Das schwererer blieb, was machte er jetzt, wo er einmal hier war? Er hatte den Schlüssel und war vor Ort. Der Rest musste sich einfach ergeben. Unruhig trat er auf das Tor zu und blieb davor stehen. Die Innschrift im Stein des Portalflügels war klar erkennbar. Kellvian besah sich wieder den Steinring und die Symbole darauf. Es waren Buchstaben in der niederen Sprache des alten Volkes. Die meisten kannte er noch aus Tyrus Unterricht. Dreißig Symbole.

Nur ein Ausschnitt aus dem Alphabet des alten Volkes, das neben einfachen Buchstaben auch komplexe Piktogramme und die Symbole der hohen Sprache umfasste. Aber es war genug. Der äußere Marmorring, der um den blauen Stein angeordnet war, ließ sich drehen. Es war ein Kombinationsschloss. Der Drache hielt den Schlüssel. Rasch drehte er die Steinscheibe weiter und besah sich dabei die Symbole. War es Möglich, das sie ein Doppelrätsel vor sich hatten? In der blauen Steinkugel war eine feine Markierung eingearbeitet. Kellvian drehte die Scheibe so lange, bis der erste Buchstabe für das Wort Drache in der

alten Sprache an der Stelle lag. Eine kleine Welle schien durch die Luft zu laufen und bestätigte ihm seine Vermutung. Innerhalb weniger Augenblicke hatte er das komplette Wort gebildet. Sobald der letzte Buchstabe an seinem Platz einrastete , zitterte der Boden unter Kellvians Füßen. Langsam, beinahe unmerklich, setzten sich die zwei großen Flügeltore in Bewegung. Der Stein protestierte mit lautem ächzten, als das Portal aufschwang. Steinstaub rieselte herab und bedeckte alles mit einer feinen, grauen Schicht. Dann schrammten die Flügel plötzlich über den Boden und verhakten sich halb offen. Offenbar waren die Jahrtausende

dem Mechanismus nicht gut bekommen und das einmalige Schließen und wieder öffnen, war zu viel dafür gewesen. Der entstandene Spalt war jedoch immer noch groß genug, das drei Mann Seite an Seite hätten hindurchschreiten können, ohne sich zu berühren. Kellvian entzündete eine Fackel, bevor er hindurchtrat. Der Boden war mit Schwarzen und Weißen Steinfliesen bedeckt, die zu einem Rautenförmigen Muster angeordnet waren. Auf jeder der vier Eckpunkte, wo sich die dunklen Steinrauten mit dem sie umgebenden hellen Marmor berührten, stieg eine Säule auf. Die dünnen Steinträger strebten der Decke zu und fächerten dort

in einzelne Adern auf, die mit türkisfarbenen Kristallen besetzt waren. Man konnte den Eindruck gewinnen, sich in einem seltsamen, nach genauen Richtlinien gewachsenen Wald zu befinden, dessen Blätter schwach Leuchteten. Kellvian wurde langsam klar, das der Abschnitt zwischen erstem und zweitem Tor bestenfalls der Eingangsbereich gewesen war. Er kniff die Augen zusammen und versuchte das Ende der Säulenreihen zu erkennen, aber wenn es eines gab, so verschwand es irgendwo im Halbdunkel. Kellvian fühlte sich wie in den großen Hallen der fliegenden Stadt. Klein. Alles hier war darauf ausgelegt, einen Besucher

einzuschüchtern mit Prunk und gewaltiger Architektur. Und auch nach all den Jahrhunderten hatte es diesen Zweck nicht verloren. Was war nur hier unten? Beunruhigt, setzte er seinen Weg durch den steinernen Wald fort. Ab und an gab es Gänge, die vom dem Hauptkorridor abzweigten, den er folgte. Aber irgendetwas riet ihm, weiter grade aus zu gehen. Wenn er sich hier unten verlief, gab es kein zurück mehr. Trotzdem nahm er sich einmal die Zeit, in eine der Abzweigungen zu spähen. Kellvian wusste nicht, wie lange er nur dastand und die Stirn runzelte. Er wusste was er sah, aber die Götter waren seine

Zeugen, er verstand es nicht. Linien aus Kristallen bedeckten die Wände in undurchsichtigen Mustern. Manche leuchteten auf und verloschen wieder. Andere glühten beständig und erfüllten die Luft mit stetigem, kaum wahrnehmbarem Klang. Ein tiefes Sirren, das an den Nerven zehrte. . Kellvian musste sich zwingen, weiterzugehen. Auch wenn er seinen Zweck nicht begriff, die riesige Mechanik war faszinierend. Von irgendwo vor ihm drang ein hellerer Lichtschein zwischen den Säulen hervor und zeichnete kaum wahrnehmbar Schatten auf dem Boden. Nicht das blaue, kalte Licht der langsam

ersterbenden Magie, sondern flackerndes, unstetes Glühen. Fast wie von einem Feuer, dacht Kellvian. Der Säulengang endete abrupt und führte hinaus in einen kreisrunden Saal. Kellvian blieb am Rand der Kammer stehen. Der Boden bestand im Gegensatz zum Rest seines Wegs aus Buntglasplatten in allen Farben, die in einer Spirale von den Wänden her zum Zentrum des Raumes liefen. In der Mitte verschwand der Strudel aus Farben unter einem niedrigen, runden Stein, in dem ein Symbol eingemeißelt war, das Kellvian mittlerweile nur zu gut kannte. Das ausufernde Zeichen für Leben. Fast schien es, als wäre es in diesem Fall

wie ein Pfeil angeordnet worden. Die Wurzeln des Baumpiktogramms zeigten auf den Gang, aus dem er grade kam. Und die Krone quer durch die Kammer auf eine halb geöffnete, dritte Tür. Der Lichtschein, der Kellvian schon zuvor aufgefallen war, kam direkt von dort. Ein oranges Leuchten, das stetig pulsierte und sich veränderte. Er nahm zusammen, was ihm an Mut geblieben war und trat durch den Saal auf die Tür zu.

Kapitel 87 Die Lebensschmiede


Die Halle war riesig. Als Kellvian durch die halboffene Tür trat, blieb ihm nur, sich ungläubig umzusehen. Im Gegensatz zu der Kunstfertigkeit der Hallen, die er soeben verlassen hatte, war hier alles direkt aus dem Felsen geschlagen und nur grob bearbeitet. Felsnadeln stiegen aus dem Boden auf und machten die Weite Höhle so gut wie unpassierbar. Doch in der Dunkelheit konnte Kellvian das deutliche Sirren von weiteren Kristallen hören. Die ganze Kammer vibrierte vor magischer Energie, die sich

ab und an in Form kleiner Blitzte auf den Felsnadeln entluden. Grell und völlig lautlos hatte es etwas gespenstisches, diesen kurzen Explosionen zuzusehen. Als flackerten überall Sterne auf, nur um dann kurz darauf wieder zu vergehen. Kell streckte eine Hand vor und sah, wie sich die Haare auf seinen Armen aufstellten. Hierhin also floss all die Magie, die durch die Gänge hier unten strömte. Nur zu welchem Zweck ? Vom Tor, das er soeben passiert hatte, führten drei Stufen hinab zu einem mit weißem Marmor gepflasterten Weg, der durch den Steingarten führte. Das orange Licht spiegelte sich auf den polierten

Steinplatten und sorgte dafür, das er ohne Schwierigkeiten sehen konnte. Und nun konnte Kellvian auch die eigentliche Quelle des Leuchtens erkennen. Der Marmorweg weitete sich an seinem Ende zu einem großen Platz, der ungefähr den Grundriss eines Uhrglases hatte. Dort, wo die beiden Hälften zusammenliefen, erhob sich eine Apparatur, deren Zweck er nicht einmal erahnen konnte. Nur, das das zusehen alleine ihm bereits Angst machte. Zuerst hielt Kellvian es für einen Schmelzofen. Und das war es vermutlich auch zum Teil. Die untere, erste Hälfte bestand aus einem vergitterten Schacht, aus dem Flammen schlugen. Flammen,

die für das seltsame Licht verantwortlich waren, den ein Feuer wie dieses hatte er noch nie gesehen. Ein normaler Brand war unstet und die Flammen variierten ihre Fabre über Gelb, Rot und einem leichten blauen Schimmer. Diese hier nicht. Die Feuerzungen hatten die Farbe von glühendem Stahl. Ein tiefes Orange, das aus einer Reihe von Kristallen hervorbrach, die im Boden des Ofens angebracht waren. Daneben erhob sich etwas, das ihn an eine Schmiede erinnerte. Feine Hämmer, deren Köpfen aus Silber, Gold oder glühendem Kristall gefertigt waren, hingen in einer Halterung, die offenbar über mehrere Zahnräder betrieben

wurde. Für den Augenblick jedoch, stand die Maschinerie still auch wenn die Werkbank klare Zeichen von Benutzung aufwies. Industriell, war das erste Wort, das ihm in den Sinn kam, als er die Arbeitsflächen betrachtete. Jemand hatte das alles gebaut um irgendetwas herzustellen. Und zwar im großen Stil. Er trat vorsichtig näher an die Tatsächlich fand er etwas, dass ihm beinahe das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war ein kleines, vergoldetes Zahnrad, das sich im Kopf eines der Hämmer verfangen hatte. Das also war hier getan worden, dachte er. Die Uhrwerksoldaten hatten diesen Ort nicht nur bewacht, sie waren ganz

offenbar auch hier geschaffen worden. Eine Schmiede und ein Hochofen, auch wenn beide höchst ungewöhnlich waren, dachte Kellvian. Die Flammen, die durch das Gitter schlugen, strahlten Magie ab… aber kaum Hitze. Mit dem Rest der Konstruktion konnte er jedoch erst recht nichts anfangen. In der zweiten Hälfte der Sanduhr ragten Kristalle auf, die leicht so groß waren wie Kellvian selbst. Tiefblau schimmernd spiegelten sie das Licht der Schmiede wieder. Und in jeden der Steine war etwas eingeschlossen. Er erkannte die Metallskelette wieder. Mehr Maschinenkrieger. Allerdings waren diese kleiner als die, denen er

bisher begegnet war. Jedem fehlte die typische Panzerung, so dass die Form beinahe zerbrechlich wirkte. Und viel zu sehr wie ein menschliches Skelett, schoss es ihm durch den Kopf, bevor er etwas dagegen tun konnte. Es waren insgesamt zwölf Steine, jeder davon mit einem Metallkörper im inneren. Als Kellvian den letzten erreichte, betrachtete er die Form noch einmal. Die tote oder inaktive Maschine war genau Auf Augenhöhe mit ihm. Und nicht nur in etwa, dachte er erschreckt. Sie war bis auf den Haaransatz genau so hoch wie er selbst… ,, Gefallen sie euch ?“ Kellvian wollte sich umdrehen, kam

jedoch nie so weit. Seine Beine wollten der Bewegung schlicht nicht folgen, egal wie sehr er sich anstrengte… ,, Keine Sorge, das ist nur vorübergehend. Nur, damit ihr mir nicht davon lauft, jetzt, wo ihr endlich hier seid. Ihr habt mich warten lassen.“ Er drehte den Kopf und entdeckte die schwarzgekleidete Gestalt, die hinter ihm aus den Schatten getreten war. Der Meister hatte es offenbar nicht eilig, während er sich entspannt neben Kellvian stellte und die Kristallfiguren betrachtete. ,,Ihr… Was habt ihr…“ Kellvian kämpfte gegen den Zauber an, der ihn an Ort und stelle hielt. Die dünnen,

magischen Fäden, die sich um seine Beine gewunden hatten und ihn daran hinderten irgendetwas zu tun, rührten sich jedoch nicht. Genau so gut hätte er in Mörtel eingegossen sein. Der dunkle Zauberer überging ihn einfach. ,, Natürlich würdet ihr mir folgen und einen weg hierher finden. Aber ich brachte etwas Zeit um mich…vorzubereiten. Wo sind eigentlich eure Freunde? Ich hatte wirklich gehofft, noch mit euch allen abrechnen zu können.“ ,, Die sind in Sicherheit.“ , erklärte Kellvian, auch wenn er sich dessen alles andere als sicher war. Nun, vermutlich weniger gefährdet als er im

Moment. ,,Natürlich… Wisst ihr übrigens, wie man diesen Ort nennt?“ ,, Könnt ihr es vielleicht einfach zu Ende bringen.“ , knurrte er nur und versuchte wieder, irgendwie gegen den Zauber anzukommen. Es war zwecklos. ,, Das wäre doch nur halb so viel Spaß. Ihr seid immerhin nicht ohne Grund hier Kellvian.“ Der Mann trat dicht vor ihn, so dass er einige verschwommene Züge unter der Kapuze des Magiers erkennen konnte. ,, Ihr werdet mir immerhin helfen, eine ganze Welt wieder ans Tageslicht zu holen ! Das sollte den ganzen Ärger, den ihr mir gemacht habt, wieder

aufwiegen.“ Etwas blitzte in den kaum sichtbaren Augen seines Gegenübers auf und er wusste nicht, ob es Wahnsinn oder Siegesgewissheit war. ,, Wenn ihr wirklich glaubt, ich helfe euch, bei was auch immer ihr vorhabt, dann habt ihr euch aber verrechnet.“ Kellvian gab es auf, sich gegen den Zauber zu wehren. Aber der Meister konnte den Spruch ja unmöglich ewig aufrechterhalten. Wenn er irgendwie Zeit schindete, vielleicht… ,, Es ist nicht so, das ich nach eurem Einverständnis Frage.“ Sein gegenüber trat einige Schritte zurück. ,, Aber vielleicht könnt ihr verstehen. Man

nennt dies hier die Lebensschmiede. Ein Treffender Name, den in gewisser weise ist es genau das, was dieser Ort tut.“ ,,Leben…“ Kellvians Kopf arbeitete. ,, Ihr redet von dem… Wesen, das sich als Laos ausgegeben hat ?“ ,, Es war Laos. Mein… erster Versuch, wenn ihr so wollt. Ich kann den Prozess zwar nachstellen, aber es dauert Wochen oder Monate. Die Artefakte hier hingegen, erlauben es mir, alles auf wenige Stunde zu verkürzen. Nur das alte Volk war jemals genial genug, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu wollen“ Er wendete sich wieder Kellvian zu. ,,Wovon sprecht ihr überhaupt ? Ich

verstehe kein Wort.“ Der Zauber gab etwas nach. Kellvian konnte sich täuschen, aber sein Fuß hob sich das kleinste Stück vom Boden und schob sich vorwärts. Lass ihn weiterreden, sagte er sich. Solange er sprach, war er wohl noch sicher. ,, Das alte Volk.“ , erklärte der Meister ruhig. ,, Das hier, Kellvian, war der letzte Trumpf, den sie hatten. Versteht ihr das ? Ihre Seelen sind nicht auf die gleiche Art sterblich wie eure. Wenn ein Mensch stirbt verliert sich seine Seele im Nichts. Das alte Volk hingegen… Manche von ihnen konnten sich neue Körper suchen. Ihr seid das beste Beispiel dafür, Seelenträger. Aber selbst

während ihrer Blütezeit war das nur wenigen vergönnt. Und als ihr Fall begann… Verzweiflung treibt seltsame Früchte. Aber warum sollte man den Prozess denn nicht herbeizwingen können? Das ist es, was dieser Ort tut. Ein Konstrukt als Träger für den Geist, den man herbeirufen will.“ Kellvian verstand langsam. Das eine, was alle Magier für Unmöglich hielten, möglich machen. Die Toten zurückholen. Indem man einen Umweg nahm. Und es funktionierte offenbar, wenn man Laos als Beispiel nehmen konnte. Aber wieso hatte Feryakin ihn dann gewarnt, das es das nicht täte? ,, Wen… wollt ihr zurück holen? Darum

geht es euch doch, oder?“ So Ausweglos das ganze im Augenblick aussah, es hatte etwas unvorstellbar Faszinierendes. ,,Nicht wen… Was.“ Der Zauberer trat an einen der Kristalle und strich über die Oberfläche des Steins. Beinahe verträumt, wendete er sich dann wieder Kellvian zu. ,, Es gibt eine Schuld, die ich wieder gutmachen werde. Ich werde das alte Volk zurück bringen, Kellvian. Sie alle. Ich werde zu Ende bringen, was ihnen damals versagt blieb!“ Der Mann war völlig übergeschnappt, entschied Kellvian für sich. Er sprach doch nicht grade wirklich davon, nicht nur einen Toten zurück zu holen…

sondern ein ganzes Volk? Das war doch Wahnsinn, schon allein, wenn er für jeden davon eine Hülle erschaffen müsste. Und wozu brauchte er ihn dabei ? Kellvian überlegte, ob der Meister ihn vielleicht einfach anlog und seine wahren Ziele und damit vielleicht auch den wahren Zweck dieses Ortes verschwieg. Aber… dazu hatte er keinen Grund. Er hatte Kellvian bedauerlicherweise genau da, wo er ihn haben wollte. Erneut versuchte er gegen den Zauber anzukommen und sein Fuß bewegte sich ein Stück vorwärts. Es war, als ging er durch zähen Morast, aber langsam konnte er sich wieder Bewegen. Wenn er nur

noch ein paar Augenblicke mehr gewinnen könnte, wäre er frei und könnte sehen, dass er hier weg kam. Oder irgendetwas unternahm, dachte Kellvian. ,, Warum würdet ihr so etwas tun wollen ?“ , fragte er. ,, Was hättet ihr davon ?“ ,, Was soll das heißen, was ich davon hätte ?“ Die vermummte Gestalt schüttelte den Kopf. ,,Sagt mir, was würdet ihr bitte dafür geben, jeden Lieben, den ihr verloren habt, noch einmal wiederzusehen ? Euern Vater, Tyrus… und diesen Zyle. Ja ich weiß was geschehen ist. Ihr würdet alles tun, oder?“ ,,Das beantwortet meine Frage nicht.

Natürlich würde ich das. Ich konnte mich von keinen von ihnen auch nur verabschieden, das…“ Er stockte. ,, Das geht euch überhaupt nichts an.“ ,, In diesem Fall sind wir gar nicht so verschieden, ihr und ich. Man fühlt sich einsam, wenn die Leute um einen herum wegsterben. Nur eure Verluste kommen meinen nicht einmal nahe. Immerhin… ihr habt ein paar Freunde und Familie verloren. Ich… mein ganzes Volk.“ Mit diesen Worten schlug der Magier vor ihm die Kapuze zurück. ,, Ich musste mich verstecken Kellvian. Für so lange Zeit. Mich zurückhalten und auf meine Gelegenheit warten, während ich die Ruinen meiner Zeit

überdauerte…“ Das Gesicht, dem Kellvian gegenüber sah, war alt. Er hätte niemals zu sagen gewusst, wie alt genau, aber wenn er sich klar machte, was er hier gegenüberstand… Die Züge waren schmaler als bei den meisten Personen, die Kellvian je begegnet war. Scharfe, fein geschnittene Züge, die Hochmut zu verraten schienen. Silbergraue Haare fielen ihm auf die hohe Stirn. Kellvian hätte sich leicht davon überzeugen können, einem, vielleicht etwas hageren , Menschen gegenüber zu stehen, wären da nicht die Auge und die Ohren gewesen, die leicht spitz zuliefen. Die Augen wiederum

sahen unter Brauen von der gleichen Farbe wie die Haare hervor. Die Pupillen war jedoch nicht rund, sondern verlief in einem vertikalen Schlitz, wie bei manchen Gejarn. Und hinter der grauen Iris schimmerte der Wahnsinn in einer Mischung mit Verzweiflung und bösartiger Intelligenz, die Kellvian dazu brachte, einen unbewussten Schritt zurück zu machen. Der Zauber, der ihn an Ort und Stelle hielt, war gebrochen. Doch jetzt hielt ihn etwas ganz anderes, an Ort und Stelle erstarrt. ,,Wer… was seid ihr ?“ ,, Man nannte mich einst Ismaiel. Meisterzauberer, des alten Volkes.

Erzmagier von Ion, einem Ort den ihr nicht einmal mehr aus euren Geschichtsbüchern kennt. Und ich werde uns wieder unseren rechtmäßigen Platz in dieser Welt verschaffen, Kellvian. Und euch euren zuweisen.“

Kapitel 88 Das Replikat


Kellvian machte einen vorsichtigen Schritt in Richtung Schmelzofen. ,, Wie habt ihr überlebt ? Euer ganzes Volk ist weg, aber ihr nicht…“ ,, Ich habe einen simplen Fehler gemacht, belassen wir es dabei. Aber das streben nach Perfektion hat schon größere Opfer gefordert. Ein Königshaus, eine Dynastie, eine ganze Zivilisation, was ist schon dabei? Doch jetzt, endlich habe ich die Gelegenheit alles wieder richtig zu stellen, die Dinge so zu gestalten wie sie sein sollten und ihr Kellvian steht mir dabei nicht im

Weg.“ Der Meister wendete sich der Schmiede zu. Offenbar war ihm noch nicht aufgefallen, das Kellvian sich wieder bewegen konnte. Das musste er ausnutzen. ,, Diese Narren schickten mich fort, bevor es fertig gestellt war. Sie haben ihre einzige Chance vernichtet. Und dann mussten sie natürlich alles mit einem Siegelrätsel versehen. Eines, das ihr ja zum Glück für mich gelöst habt.“ ,,Es wird nicht funktionieren.“ , erklärte Kellvian ruhig. Das hatte Feryakin zumindest gesagt. Und er musste Zeit gewinnen um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Zauberer des alten Volkes zu

bekommen. Das Licht des orangenen Feuers lies die silbernen Haare des Mannes aufleuchten. ,, Und das wisst ihr woher ?“ , fragte der Zauberer ungehalten. ,, Ihr habt es selber gesehen…“ ,, Laos, war noch keine Jahrtausende… tot.“ Er musste weiter über die Worte des Drachen nachdenken. Vielleicht hatte er nur wirklich verhindern wollen, das sie die Lebensschmiede auch verwendeten. Aber diese Antwort schien zu naheliegend. Es war der kleine Unterschied, zwischen dem wahnsinnigen Geist, der sich an seine eigene Seele klammerte und dem gelassenen Mann, den er als Laos kennen gelernt hatte.

,, Ich kann alle wieder zurück bringen.“ , meinte der Zauberer nur überzeugt. ,, Zurück bringen ? Ich bin was dabei herauskommt, wenn ihr das tut, falls es euch entgangen ist. Die Seelen des alten Volkes sind längst alle Wahnsinnig. Laos hat sich nicht an seinen Tod erinnern können und was danach geschah. Aber das alte Volk… Es sind Jahrtausende vergangen. Was passiert wohl, wenn ihr sie einfach zurück in die Welt reißt?“ ,, Wir werden es herausfinden, Kellvian. Tatsächlich hatte ich vor, mit euch anzufangen.“ Kell hatte es fast bis zur Schmiede zurück geschafft, als der Magier sich

ihm endlich wieder zuwendete. ,, Tatsächlich dachte ich sogar daran, mit euch anzufangen…“ ,, Das könnt ihr lange drauf warten.“ Kellvian wusste, dass er aufgeflogen war Er konnte es alleine nicht mit dem Zauberer aufnehmen. Rasch schleuderte er einen Lichtblitz auf den Mann und rannte los. Der Meister wehrte den Blendzauber mühelos ab, noch bevor Kell den vermeintlichen Schutz der Schmiede erreicht hatte. Es war, als wäre er gegen eine massive Steinmauer gelaufen. Der Schlag riss Kellvian von den Füßen und warf ihn zurück. Bevor er sich wieder aufrappeln konnte, hatte der Zauberer

bereits die Hand auf den Kristall gerichtet, in dem Kellvian eines der Metallskelette entdeckt hatte. Plötzlich schien der Stein von innen zu glühen und die Statische Elektrizität, die in der Luft hing, wurde noch einmal stärker. Ein blauer Funken sprang in die ausgestreckte Hand des Magier über, so dass auf einmal eine grell leuchtende Verbindung zwischen diesem und dem Kristall entstand… Dann jagte der Blitz weiter und wie ein Pfeil auf Kellvian zu. Er hatte nie eine Chance auszuweichen. Der Zauber traf ihn völlig unvorbereitet und der Schock, der durch seinen Körper jagte, sorgte dafür, dass sich jeder einzelne Muskel verkrampfte. Seine Füße

verloren den Halt, so dass er endgültig völlig Hilflos eine Handbreit über den Boden schwebte. Kellvian fühlte sich, als wollte ihm jemand bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust reißen. Das blaue Band, das ihn über den Meister mit dem seltsamen Stein verband, war kaum mehr als ein ferner Schatten. Er musste sich bereits anstrengen, nur weiter zu atmen. Der Schmerz füllte augenblicklich sein ganzes Bewusstsein aus. Der Lichtstrahl wurde heller, während sich nun auch noch irgendetwas in seinen Schädel zu bohren schien. Kellvian spürte, wie ihm etwas Warmes den Hals hinab lief. Blut… Es war einer der wenigen

Gedanken, die er überhaupt zustande brachte. Sein Sichtfeld verengte sich langsam, während dieses Etwas einen Teil seines Selbst aus ihm herausschnitt… und ihn dabei ganz offenbar umbrachte. Er hatte immer Gedacht, die Vorstellung sollte ihn mehr beunruhigen, aber mittlerweile war alles bereits so weit weg, das selbst der Schmerz nachließ… Ein Schatten huschte am Rande seines Gesichtsfelds vorbei, auf die Gestalt zu, die ihm grade das Leben auspresste. Irgendetwas sagte ihm, das er die flinke Erscheinung kennen müsste. Graues Fell bedeckte die Hand, die plötzlich ein Messer hielt… und ohne zu zögern auf

den Magier einstach. Die Wirklichkeit kehrte mit einem Schlag zurück, als der Meister getroffen zurücktaumelte. Die Klinge hatte sich ihm bis fast zum Heft in die Schulter gebohrt. Das Energieband verlosch und Kellvian stürzte hustend zu Boden, während alles plötzlich wieder Farbe bekam. Der ihm so vertraute Schatten hatte derweil ein zweites Messer gezogen und hielt damit den Zauberer in Schach. Jiy… Bevor Kellvian dazu kam, sich noch einen Reim auf alles zu machen, war sie auch schon an seine Seite gestürzt, das Messer nach wie vor auf den verletzten

Magier gerichtet. ,, Man kann dich auch keine Sekunde alleine lassen.“ , meinte sie , während sie ihm eine Hand unter dem Arm legte und ihm langsam aufhalf. ,, Ich versuche es mir abzugewöhnen…“ , brachte er hervor, seine Stimme kaum mehr, als ein Flüstern. Blut lief ihn aus Nase und Ohren und Kellvian wischte es hastig weg. ,, Wir sind so schnell gekommen ,wie wir konnten.“ , meinte Cyrus. Neben ihm tauchten nun auch Zachary und Eden auf. Die Gejarn hatte eine Säbelklinge locker über die Schulter gelegt, während der junge Magier die Hand um das Amulett an seinem Hals geschlossen

hatte. ,, Und wie es aussieht, war das grade noch rechtzeitig.“ , fügte eine weiter, Kellvian bekannte Gestalt hinzu. Erik ließ eine Steinschlosspistole um den Finger kreisen, während er den Meister ganz genau im Auge behielt. Dieser hielt sich die verletzte Schulter. Blut hatte einen Teil seiner Robe noch dunkler verfärbt, trotzdem breitete sich ein bösartiges Grinsen auf seinen uralten Zügen aus. ,, Und trotzdem zu spät.“ , erklärte er, während er in Richtung der Kristalle zurück wich. Bevor einer von ihnen reagieren konnte, hatte er eine Hand auf den Obelisken gelegt, der eben noch mit

Kellvian verbunden gewesen war. Sofort wurde das bläuliche glühen in dem Stein noch einmal heller. Und die Juwelen an dem Metallskelett im inneren Leuchteten auf. ,, Ich habe von euch genau das bekommen, was ich wollte Kellvian. Eure eigene Seele… ist für mich ohnehin wertlos. Es nimmt mir nur das Vergnügen euch direkt töten zu können.“ Irgendetwas an der Gestalt im Kristall veränderte sich, während der Stein begann, langsam zu splittern. Das rohe Metallskelett verschwand, als sich Adern Und Gewebe darüber zogen und schließlich die Magie sogar Kleidung erschuf, die Kellvians eigener entsprach.

Tatsächlich sah ihm die Gestalt zunehmend unangenehm ähnlich. Und schließlich erreichten die ersten Risse den Sockel des Steins. Der Kristall zersplitterte im selben Moment zu tausenden, winziger Splitter, die über sie niedergingen. Einige der Bruchstücke landeten im Schmiedefeuer und vergingen zischend zu Rauch. Kellvian und die anderen wichen zurück, während die Gestalt aus dem Stein einen Moment vor sich hin stutzte, als wüsste sie weder wo noch wer sie war. Geschweige denn was. Kellvian war, als sähe er in einen Spiegel. Freilich, gab es kleine Unterschiede. Zumindest die Kleidung dieser… Kopie schien um

einiges Dunkler geraten zu sein. Der Meister faltete ruhig die Hände zusammen. ,, Und ihr Narr meintet, es würde nicht funktionieren. Seht ihr jetzt, welcher Fehler s war, mich abermals herauszufordern? Sobald ich hier fertig bin werdet ihr…“ Weiter kam er nicht, den in diesem Moment setzte sich das Konstrukt in Bewegung. Eine beinahe beiläufige Handbewegung wurde von einer Schockwelle begleitet, die sie alle von den Füßen riss und selbst den Meister zu Boden warf. Der eben noch selbstsichere Ausdruck des Zauberers wurde zu einem Fragenden, dann zu einem entsetzten, als

sich das Wesen ihm zuwendete. ,, Was tut ihr ?“ Statt einer Antwort stolperte das Wesen rückwärts und presste plötzlich eine Hand gegen die Schläfen. ,,Nichts stimmt.“ , meinte sie mit einer Stimme, die zu Kellvians Erleichterung seiner nicht unähnlicher hätte sein können. Tiefer, heißer, ein Flüstern, das er manchmal hörte, wenn Wut und Verzweiflung ihn zu verschlingen drohten. ,, Nichts stimmt. Das ist alles verkehrt…“ Der falsche Kellvian stolperte noch einen Schritt weiter. Dann nahm er die Hand weg, sah sich erneut mit dem Blick eines Stutzers um… und

ging auf die Gestalt des Meisters los. Mit einer seltsamen Mischung aus Faustschlägen, die vom Aufblitzen von Zaubern begleitet wurden, prügelte er auf den Zauberer des alten Volkes ein, der die Attacken hastig abwehrte und dem Wesen schließlich einen magischen Stoß versetzte, der es zurück gegen die Kristalle warf, die unter der Wucht des Aufpralls brachen. ,, Ich hätte es ganz zu Ende bringen sollen.“ , murmelte er. ,, Das ist nicht möglich, ich muss irgendwo einen Fehler gemacht haben…“ ,, Ich habe es euch gesagt.“ Kellvian schüttelte den Kopf, während sich sein Doppelgänger augenscheinlich unverletzt

wieder aufrichtete. ,, Das Ding ist völlig Wahnsinnig…“ Der alte Zauberer starrte nur mit weit aufgerissenen Augen auf das Ergebnis seines Fehlschlags. ,, Das… Nein. Ich brauche nur mehr Zeit. Und ihr…“ Er zuckte mit den Schultern, bevor er sich plötzlich in einer Rauchwolke auflöste. ,, Ihr habt ganz andere Probleme.“ ,, Ist der grade wirklich einfach abgehauen ?“ , rief Cyrus, während das Konstrukt wieder auf sie zukam. ,,Ich fürchte es.“ Kellvian sammelte sich für einen Zauber und stürzte vor. Egal, was dieses Ding war, wenn er es zu Asche verbrannte, wäre es sicher

erledigt. Als er die Hand vorstreckte, stieg jedoch nicht die erwartete Feuersäule auf. Lediglich ein paar harmlose Funken sprangen aus seinen Fingerspitzen hervor, tanzten einen Moment in der Luft… und verloschen dann. Es war weg… Entsetzt versuchte er es noch einmal, als die Kreatur näher kam. Dieses Mal schlug ein Miniaturlichtbogen aus seiner Handfläche und versetzte ihm einen schwachen Schock. Alles war weg. Die Magie, die er noch vor wenigen Augenblicken so instinktiv und leichtfertig beherrscht hatte fehlte völlig. Sie war noch da, aber er wusste beim besten Willen nicht ehr, wie er

darauf zugreifen sollte. Natürlich nicht… Er sah auf, als die Maschine das letzte Stück weg zwischen ihnen überbrückte. Das war Teil der fremden Seele gewesen, der er sich jetzt hier gegenübersah. Der Schlag warf Kellvian über den Platz zurück, bis er mit dem Rücken gegen den Schmelzofen prallte. Einen Moment blieb er benommen liegen. Die anderen hatten ähnlich viel Glück. Eden schlug mit dem Schwert zu, das auch tatsächlich einen langen Hautfetzen vom Arm der Kreatur trennte. Dieses nahm die Wunde jedoch kaum zur Kenntnis, sondern fing das Schwert beim nächsten Schlag mit der Hand ab und entwand es dem Griff der

Gejarn. Cyrus sprang sofort herbei und rammte dem Konstrukt die Axt zwischen die Augen. Nur um durch einen magisch Verstärkten Hieb ebenfalls durch den Raum zu fliegen. Der Wolf kam ungünstig auf und überschlug sich mehrmals, bis er schwer atmend liegenblieb. Jiy warf ihr letztes Messer, während Erik auf die Brust des Wesens zielte. Die Kugel durchschlug den Rumpf, brachte es aber nach wie vor nicht zum stehen… Kellvian rappelte sich derweil neben dem Ofen wieder auf. Entweder, ihnen fiel schnell etwas ein, oder das Ding würde sie der Reihe nach auseinander nehmen. Sein Blick fiel auf die orangefarbenen

Flammen, die neben ihm loderten. Einen Versuch war es Wert entschied er. ,, Bringt es zu mir.“ , rief er den anderen zu , während er die eigene Waffe zog und das Schwert nach der Maschine warf. Es würde ihm ohnehin nichts nützen, wie es schien. Die Klinge bohrte sich dem Duplikat in den Rücken. Dieses drehte sich langsam zu ihm um und stakste, das Schwert immer noch zwischen den Rippen, auf ihn zu. Kellvian positionierte sich zwischen den Feuern und der Kreatur. Genau in dem Moment, wo es sich auf ihn stürzen wollte, ließ er sich zu Boden fallen. Der eigene Schwung des Konstrukts trug es über ihn hinweg und

mit dem Oberkörper in die Flammen hinein, die sich plötzlich golden verfärbten. Rasch griff das Feuer auf das Fleisch des Wesens über und brannte es von den stählernen Rippen und Gliedmaßen. Kellvian trat rasch nach und beförderte das Wesen endgültig ins Feuer. Es schrie nicht als es starb. Es gab überhaupt keinen Laut von sich, sondern versuchte nur wieder, aus dem brennenden Ofen zu gelangen. Ohne großen Erfolg. Die Arme schmolzen einfach, als es sie nach dem Rand der Ummauerung ausstreckte… Ungläubig sahen sie alle dabei zu, wie am Ende nichts von der Kreatur blieb, als eine kochende Pfütze

Metall. ,,Ist es wirklich vorbei ?“ , fragte Jiy. ,, Ich glaube schon.“ Kellvian atmete schwer. ,, Verschwinden wir von hier.“ Es gäbe noch viel zu tun, dachte er. Aber für den Moment hatten sie es geschafft. Nur eines wollte er noch tun… Die anderen nickten nur, während sie sich auf dem Weg zurück durch die Hallen machten. Als sie das äußere Tor erreichten, hielt Kellvian sie jedoch noch einmal an. Er wusste nicht, ob das, was er tat, das richtige war. Aber hierlassen konnte er es auch nicht. Es würde hoffentlich verhindern, das irgendjemand diesen Ort je wieder benutzte. Vorsichtig trat er an

die Mittelsäule heran, die einmal das Tor gebildet hatte und streckte eine Hand nach dem runden Bernstein aus, der darin eingelassen war. Die Oberfläche fühlte sich warm an… Beherzt zog er leicht an dem Juwel, das ohne jeden Wiederstand aus seiner Fassung fiel. Einen Moment leuchtete es noch in seiner Handfläche auf und wurde dann dunkel. ,,Also… nachdem das geklärt wäre… was machen wir jetzt ?“ , fragte Cyrus. Erik klopfte ihm Freundschaftlich auf die Schulter. ,, Ich persönlich werde mir ein ruhiges Fleckchen und die größte Flasche Rum suchen, die ich finden kann, mein Freund. Was ist mit euch

Eden, seit ihr dabei?“ ,, Immer. Denkt mir nur an Zachary…“ Der Schiffsarzt winkte ab. ,, Und ihr Kellvian ? Jiy ?“ ,,Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“ , gab er zurück. ,, Die Armee braucht Anweisungen um zurück nach Canton zu gelangen. Die Archonten lassen uns sicher nicht direkt gehen.. . ,, Nicht heute.“ , erklärte Jiy entschlossen. ,, Morgen, aber nicht heute.“ ,,Und jemand wird sich um Zyle kümmern müssen…“ , fuhr Kellvian fort. ,, Wir haben noch einiges vor uns.“ ,, Also… alles fast wie immer

eigentlich.“ ,,Ja.“ Kellvian seufzte. ,, Aber nur fast.“

Epilog


Als Relina den ersten Blick auf die Insel warf, schien der ganze Aufwand der letzten Monate plötzlich, wie die kleinere Herausforderung. An Deck eines der entführten Schiffe stehend, spähte sie über die Reling um mehr zu erkennen. Sie hatte gewusst, dass die Insel unbewohnt war, aber trotzdem… Was sie dort vor sich im Licht der ersten Sonnenstrahlen sah, war vor allem eine Lebensaufgabe. Das Land vor ihnen hatte in etwa die Form eines Hakens. Ein bewaldeter

Bergrücken zog sich durch die Mitte davon. Vögel schwebten über den Bäumen, flogen zu den näherkommenden Schiffen hinaus und tauchten ins Wasser, wenn sie einen Fisch erspähten. Ansonsten war alles ruhig und ihr einziger Begleiter blieb der Morgennebel. Es würde Jahre dauern, bis sie hier alles Aufgebaut hätten. Die Schakalin ließ das Fernrohr sinken. Nun, sie hatten garantiert schlimmeres Überstanden. Das Bild der brennenden Stadt in der Ferne, hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt. Und die namenlose Wut auf die Archonten… und den Mann, der sie alle Verraten hatte. Grade, als sie sich von der Insel abwenden wollte, um

alles für die Landung vorzubereiten, tauchte einer ihrer Matrosen an Deck auf. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich alle an das Leben auf See gewöhnt hatten, doch mittlerweile konnte Relina sich auf die meisten ihrer eingeteilten Seeleute blind verlassen. Ihr selber war vor allen in der Anfangszeit leicht übel geworden. Und selbst jetzt noch suchte sie das heim. Vor allen Morgens. Das würde sicher besser, wenn sie erst einmal Land erreichten ,, Was haltet ihr davon ?“ , wollte die Zauberin wissen. ,, Sieht gut aus.“ , meinte der Mann. ,, Das Land ist brauchbar, wenn man erst einmal die Bäume wegschafft. Aber bis

dahin brauchen wir Unterschlupf. Die Schiffe sind dafür auf Dauer keine Lösung.“ Sie nickte. ,, Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Seit ihr nur deshalb hier? ,, Nein… wir… haben vielleicht ein Problem.“ , erklärte er. ,, Sprecht frei. Wir sind aus Helike geflohen, damit wir nicht mehr Schweigen müssen. Also..“ ,,Wir haben einen Blinden Passagier. Er ist uns eben erst aufgefallen, als wir die Vorratskammern überprüft haben. Ich habe keine Ahnung, wie er uns so lange entgehen konnte. Es ist beinahe so, als sei er eben erst aufgetaucht.

“ Relina folgte dem Mann ohne ein weiteres Wort unter Deck. Wer könnte sich bei ihnen an Bord geschlichen haben? Und vor allem wieso ? Sie waren seit einiger Zeit auf See und sie führte streng über alles Buch. Eigentlich hätte ihnen auffallen müssen wenn sich ein blinder Passagier an ihren Vorräten bediente. Der Matrose führte sie durch einen kurzen Korridor und eine Treppe im Schiffsinneren hinab, bevor er vor einer verriegelten Holztür anhielt. ,, Er hat mir schon mehrmals versichert, er hätte keine Ahnung, wie er an Bord gelangt ist.“ Der Mann zog die Tür auf

und erlaubte Relina somit, eine der Vorratskammern des Schiffs zu betreten. In Säcken und Fässer lagerte trockenes Bort, gesalzener Fisch oder Pökelfleisch und Unmengen Saatgut für den Moment, in dem sie erste Felder anlegen wollten. Und im hintersten Winkel der Kammer bewegte sich etwas. Die Gestalt stand schwankend auf, offenbar war sie den Wellengang, der das Schiff ständig hin und her schaukelte nicht gewohnt. Bemerkenswert, nach all der Zeit. Alle Fragen, die das hätte aufwerfen können, verpufften jedoch, als Relina den Mann erkannte, der da vor ihr stand. ,,Du…“ Ihr wurde leicht schwindlig. Sie war sich so sicher gewesen, ihn sterben

gesehen zu haben. Und doch stand er vor ihr. Ein Teil von ihr wollte sich darüber freuen. Der andere sofort vollenden, was die Archonten offenbar nicht geschafft hatten. ,, Wie bei allen Göttern, kommst du hierher ?“ ,,Ich weiß es nicht.“ Zyle Carmine schien genau so ratlos wie sie. ,, Ich weiß gar nichts mehr…“

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...Was gibts über mich zu wissen ? Ich schreibe gerne, deshalb bin ich auf der Seite angemeldet. Muss man mehr wissen ?Ich freu mich natürlich immer über konstruktive Kritik und Kommentare zu meinen Texten.Sonst noch was über mich..
Malt und Metalhead und Laborheini mit einem Faible für Philosophie, Pfeifen und Fantasyliteratur. Erwarte also bitte niemand zu viel von mir :-)

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JeanneDarc War ja schon mal hier beim RE 5 jetzt RE 7, an meiner Meinung hat sich nix geaendert ;)
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter vielleicht solltest du dich bei FiaSophia melden und bescheid geben das du die Story schon kennst ^^
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
JeanneDarc hab ich schon gemacht ;)
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Alternativvorschlag von mir :
http://www.mystorys.de/b127299-Fantasy-und-Horror-Glas.htm
Eine Kurzgeschichte^^
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
JeanneDarc Guck ich mal morgen oder so rein - hab gerade mein soll im Nano geschrieben, nu geht nix mehr ;)
Vor langer Zeit - Antworten
JeanneDarc Aufguend Reading Exchange 5 bin ich hier gelandet.
Also die Geschichte ist sehr spannend geschrieben, sie entspricht zwar nicht dem was ich üblicherweise lese, aber Geschmaecker sind ja verschieden und das hat nichts mit der Qualitaet der Geschichte zu tun. Ich kann keine so langen Geschichten lesen, (würde nix bringen weil ich irgendwann eh nicht mwhr wüsste wie sie angefangen hat) aber schon der Anfang zeigt dass sie wirklich gut und spannend geschrieben ist. Auch das Cover finde ich sehr ansprechend, also mach weiter so ;)
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Danke :-)
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Terazuma Hallo Eagle!

Alsooooo.... jetzt bin ich echt baff. Damit habe ich auch nicht mehr gerechnet. Zuerst gab es noch eine kurze Zwischenhoffnung, als Eden Wys mit Zyle verwechselt hat, dann aber habe ich mich doch wohl oder übel mit Zyles Tod abgefunden. Und jetzt??? Zyle, hat doch noch irgendwie überlebt und wird wahrscheinlich sogar Papi!!! XDDD
Nicht dass ich da etwas dagegen hätte! Aber auf die Erklärung bin ich echt schon mehr als gespannt. ^^
Und damit beendest du dein zweites Buch wieder einmal mit einem überaus fiesen Cliffhänger, dass man sofort weiterlesen möchte. Grrr...

Die andere Sache betrifft Kellvian und die Archonten. Ehrlich gesagt gab es auch hier Überraschungen ohne Ende. Obwohl, dass der Meister ein uralter Überlebender des alten Volkes ist, war davon noch die geringste. Seine übermenschlichen magischen Fähigkeiten haben das schon irgendwie vermuten lassen. Und verrückt ist er genauso wie alle anderen seines Volkes! Zumindest hat seine Begegnung mit Kellvian etwas Gutes gehabt: Kellvian ist die verrückte Seele in seinem Inneren los!
Die Heilung die er angestrebt hat und die ihm niemand geben konnte, hat schließlich das alte Monster vollziehen können. Das nenne ich genial! So hat sich alles wohl noch zum Guten gewendet.

Was Dagian angeht, so hat er sein Ende mehr als verdient. Dass er dabei auch noch ausplaudert, dass er es war, der Konstantin ermordet hatte, freute mich. So wenigstens wurde das offenbart, was wohl niemals sonst offenbart hätte werden können.

Eine sehr tragische Figur war Laos, finde ich. Seine Seele wurde einfach in eine Maschine hinein versetzt. Er weiß noch alles, dennoch fehlten ihm Jahrhunderte und das was von seinen Lehren noch übrig war, war auch noch dazu verfälscht. Zumindest hat er für sein Volk noch etwas tun können und wenn es nur das war, dass er Chonar tötete.
Die Szene, in der Jiy ihren Fuß noch schnell auf ein Zahnrad stellt um Laos und sein Geheimnis zu schützen fand ich übrigens mehr als großartig.

Großartig, so wie das ganze Buch. Ich bin wahrlich auf meine Kosten gekommen. Tragik, Dramatik, ein wenig Romantik und Spannung pur. Dazu wunderbare Beschreibungen, ein tolles Tempo, Überraschungen, unvorhergesehene Wendungen und genug NO GO Charaktere, die es einem leicht machen, sie zu verwünschen. (Dagian ist zwar tot, aber Andre de Immerson und der verrückte Ismail des alten Volkes erfreuen sich leider immer noch ihrer unerwünschten Lebendigkeit. Grrr...)

Zum Schluss kann ich nur sagen, dass es mir leid tut, dass dieses Buch schon zu Ende ist. Zum Glück hast du ja bereits weiter geschrieben. Und so wie ein Schreibtempo voranschreitet, werde ich noch ein langes Lesevergnügen vor mir haben. ^^

LG Tera
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Freut mich, wenn ich bis hierhin begeistern konnte. Und ich darf hoffen, das du auch weiter dran bleibst.^^
Ich sage es mal so. Band 3 wird voraussichtlich noch ein gutes Stück Länger als die bisherigen zwei Bücher ^^ Mittlerweile sin des 73 Kapitel, es gibt aber noch keine Komplett,ausgabe". Sollten aber alle recht einfach über die Suchfunktion zu finden sein.

http://www.mystorys.de/b120575-Fantasy-und-Horror-Der-Herr-der-silbernen-Stadt--Prolog.htm

http://www.mystorys.de/b120597-Fantasy-und-Horror-Der-Herr-der-silbernen-Stadt-Kapitel-1-.htm

http://www.mystorys.de/b120610-Fantasy-und-Horror-Der-Herr-der-silbernen-Stadt-Kapitel-2.htm

lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
Terazuma Hey! Natürlich bleibe ich weiter dran! Wie kannst du daran nur zweifeln? Gerade deine Geschichten, die fernab von Klischee und sonstigen trivialen Inhalten liegen haben es mir angetan. Und ich lese gerne lange Storys die in sich logisch stimmig sind. Das ist auch eine außerordentliche Gabe. Wenn man die beiden Bücher hernimmt, so habe ich bis jetzt noch keine Ungereimtheiten entdeckt. Auch wenn es Überraschungen gab, so hast du sie immer gut erklärt und in das Geschehen super mit eingebaut.
Wenn dein drittes Buch noch länger wird, so freut mich das umso mehr!
Danke auch für den LInk und du hörst auf jeden Fall von mir, sobald ich etwas gelesen habe! ^^ (Ich fürchte, das wird eher früher als später der Fall sein. XDDD)
LG Tera
Vor langer Zeit - Antworten
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