Kapitel 22 Wiedervereint
Als Kellvian und Zyle die Stadttore erreichten, bot sich ihnen ein seltsames Bild. Auf dem Platz vor dem schweren Holzportal stand eine einzelne Person. Um sie herum hatten ein dutzend Soldaten der Stadtwache Aufstellung genommen und die selbe Zahl an Musketenmündungen auf den Fremden gerichtet. Dieser war jedoch scheinbar völlig entspannt. Die Arme verschränkt musterte er seine potentiellen Gegner. Ein dunkler Reisemantel fiel ihm über die Schultern bis fast auf den Boden und verdeckte, außer an den Händen, fast
überall das verräterische Fell. Darunter schimmerte eine leichte Panzerung hervor. Ein Kürass, der mit einem Rankenmuster verziert worden war. Auf dem Rücken wiederum trug der Mann ein einfaches Rundschild und an seiner Hüfte blitzten die Griffe von zwei Degenklingen auf.
Braun-grüne Augen sahen unter einigen Strähnen dunkelgrauen Haares heraus und richteten sich einen Moment direkt auf Kellvian und dem ihm folgenden Gejarn.
Abgesehen von der Kleidung und den Augen hätte er den Mann kaum von Zyle unterscheiden können, dachte Kell. Als Zyle den Fremden bemerkte, stieß er
sofort einen der Wache haltenden Gardisten zurück und rannte auf ihn zu.
,,Das ist mein Bruder…“
Kellvian gab dem übrigen Soldaten schnell ein Zeichen, ebenfalls die Waffen zu senken. Bevor die Männer sich zurückziehen konnten, fielen sich die beiden Gejarn auch schon in die Arme.
Zyle lachte, als ihn der Fremde an den Schultern festhielt, scheinbar um sich zu vergewissern, das er sich nicht täuschte.
,,Laos, was führt dich denn hierher ?“ , fragte Zyle verwundert. ,,Ich dachte schon manchmal ich sehe nie wieder einen von euch wieder.“
,,Ich hatte auch schon befürchtet, wir hätten uns zum letzten mal gesehen.“ ,
meinte sein gegenüber , ebenfalls grinsend. ,,Aber dazu später mehr.“
,,Zyle ?“ Kellvian hatte die beiden Brüder erreicht. ,,Ich unterbreche das Wiedersehen ja wirklich ungern, aber vielleicht stellt ihr uns kurz vor ?“
,,Sicher.“ , meinte der Gejarn. Kell fragte sich, ob er den Mann schon mal glücklicher erlebt hatte. Offenbar nicht , den Zyle strahlte übers ganze Gesicht. ,,Kellvian, das ist mein Bruder. Wys Carmine. Schwertmeister und Archont Helikes.“
Der als Wys angesprochene Gejarn machte eine leichte Verbeugung, allerdings, ohne dabei die Augen von Kellvian zu lassen. Er hatte das Gefühl,
der Mann würde jede seiner Bewegungen genau Verfolgen. Der Blick eines Kriegers, der sich noch nicht sicher war, ob er Feind oder Freund gegenüberstand.
,,Wys…“ , fuhr Zyle fort. ,,Darf ich dir Kellvian Belfare vorstellen. Seines Zeichens seit ein paar Wochen Kaiser Cantons.“
,,Sehr…. Erfreut.“ Die Stimme des Gejarns klang kühl, als er sein Gegenüber musterte und Kellvian verstand nur zu gut wieso. Zyle mochte darüber hinweg sein, aber zwischen Laos und Canton bestand nach wie vor ein bestenfalls angespanntes Verhältnis. Und das sich einer der Archonten nun dem Herrn über das Kaiserreich gegenüber
sah, trug wohl kaum zu dessen Entspannung bei.
,,Aber du hast mir noch nicht verraten, was dich überhaupt hierher bringt ? Oder sag bloß, du hast die Wochen auf See oder über die Straßen nur auf dich genommen um deinen Bruder zu besuchen? Wie sieht es in Helike aus?“
,,Glaub mir, ich wäre fast so weit. Aber nein. Ich fürchte, ich bin der Überbringer schlechter Nachrichten, Bruder.“
,,Verstehe schon, sie lassen mich nicht zurück, oder ?“ , fragte Zyle. Zu enttäuscht klang er nicht. Es würde ihm zumindest den Rückweg sparen, nur um es selbst heraus zu
finden.
Aber Wys blinzelte verwirrt. ,,Nein… nein, darum geht es nicht. Du bist mehr als wieder Willkommen, Zyle. Mehr noch, ich fürchte, wir werden jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können.“
,,Was ist passiert ?“
,,Das verstehen wir selbst noch nicht ganz. Aber… können wir uns vielleicht nicht unbedingt in aller Öffentlichkeit unterhalten?“ Der Gejarn sah zu Kellvian. ,,Oder sehen die Gebräuche des Kaiserreichs es vor, eure Gäste unter aller Augen auszuhorchen ?“
Kellvian war sich nicht sicher, ob der Mann seine Worte ernst meinte, oder sich einen Scherz erlaubte. Er bedeutete
den beiden Brüdern lediglich, ihm zu Folgen. ,,Natürlich. Kommt mit, ich denke die Patriziervilla ist so gut wie jeder andere Platz.“
Als sie das weiß getünchte Gebäude mit seinem weitläufigen Grundstück schließlich erreichten, war es bereits früher Nachmittag. Die Sonne stand bereits über den Häuserdächern, als die drei Männer durch ein Tor in die Gärten traten. Auch wenn der Winter noch nicht ganz aus dem Land verschwunden war, zumindest die Herzlande erwachten langsam wieder zum Leben. Die ersten kleineren Blüten standen an den verwilderten Rosenbüschen und das Gras
nahm bereits wieder eine Grüne Farbe an, statt das tote Gelb des Winters zu zeigen. Trotzdem hatte sich Wys seinen Umhang um den Körper gezogen.
,,Es ist kalt hier.“, bemerkte er.
,,Du hast den Winter nicht hier verbrach.“ , meinte Zyle nur. ,,Ich sag dir, das ist erst kalt.“
,,Ich dachte, das hier wäre Winter.“ , bemerkte der andere Gejarn todernst. ,,Das Nordvolk muss verrückt sein.“
,,Was Kellvian angeht bin ich mir da sogar ziemlich sicher. Und bei einem gewissen Schiffsarzt ebenfalls.“
Kell ignorierte die Bemerkung und auch wenn ihn Wys nach wie vor nicht aus den Augen ließ, so schien er doch
weniger misstrauisch, als noch an den Stadttoren. Kellvian beschloss, nicht direkt durch die Haupttür zu gehen, sondern lenkte seine Schritte auf den Pfad Richtung Garten. Als der Pavillon im Zentrum der Blumenbeete und überwucherten Zäune in Sicht kam, entdeckte er dort bereits Eden und Jiy, die sich ihrerseits zu den Neuankömmlingen umdrehten.
,,Kellvian.“ Jiy stand von ihrem Platz auf. ,,Zyle… Und wer seit ihr?“
Nachdem sich erneut jeder Vorgestellt hatte, nahm die kleine Gruppe unter dem Dach Platz.
,,Also, was ist passiert Wys ?“
,,Helike ist in Aufruhr, Zyle.“ , begann
der Archont schließlich.,,Wir wissen noch nicht genau, was es ist. Kreaturen aus Stahl die uns im Untergrund aufgelauert haben. Sie haben uns aus den Mithril-Minen vertrieben Bruder. Und bisher konnten wir sie nicht zurück schlagen.“
,,Wie bitte ? Was… Geht es allen gut?“
,,Wie gesagt, wir wissen nach wie vor kaum etwas.“ , erklärte sein gegenüber. ,,Und die anderen vier Archonten haben dafür gestimmt, die Minenzugänge aufs erste einfach zu versiegeln, bis wir uns der Sache annehmen können.“
,,Das sind tatsächlich keine guten Nachrichten.“
Wys nickte. ,,Aber das ganze hat auch
ein gutes. Auf Anordnung der Archonten soll jeder sofort zurück nach Helike, egal wo er sich grade befindet.“ Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr und seien Augen ruhten die ganze Zeit auf Kellvian. ,,Wir haben schon die meisten Soldaten von der Grenze abgezogen und jeden unserer Späher informiert. Fehlen nur noch alle, die weiter weg sind und das bist im Augenblick nur du. Ich wollte mir die Gelegenheit nicht nehmen lassen, dich selbst zurück zu bringen.“
,,Und ihr wisst wirklich sonst nichts ?“ , fragte Jiy.
,,Einige unserer Gelehrten sind bereits dabei, die Archive nach Aufzeichnungen zu durchsuchen, irgendetwas, das uns
einen Hinweis gibt, aber die Bibliotheken sind riesig und kaum geordnet. Es ist also fraglich, dass sie etwas finden. Doch so tief wie es unter der Erde war… Irgendeine Konstruktion des alten Volkes.“
Eden sah auf. ,,Eine Konstruktion ? Also geht es nicht nur darum, das ihr angegriffen wurdet, oder?“
,,Nein.“ , gab der Gejarn zu. Offenbar viel es ihm nach wie vor schwer, mit Zyle auch Kellvian und den anderen alles anzuvertrauen. ,, Anfangs glaubten wir an einen Angriff des Wüstenvolkes. Ein Überfall auf unsere Bergarbeiter… aber als wir dort ankamen, waren die Minen längst wieder verlassen und alle Tod.
Unsere Arbeiter haben eine Tür gefunden. Zumindest sieht es aus wie ein Tor. Die Stahlmonster von denen ich sprach, haben es offenbar nur bewacht, bis sie… jemand aufgeschreckt hat.“
,, Jemand ?“ , fragte Zyle.,, Wer ? Wys, du kannst allen hier vertrauen. Wer war dafür verantwortlich?“
,, Ich war selbst dort, aber… ich kann es nicht genau sagen. Ich glaube es war ein Mann. In jedem Fall beherrschte er Magie. Mehr kann ich nicht sagen. Der Kerl trug einen bodenlangen schwarzen Umhang und eine Kapuze unter der nur Schatten waren. Vielleicht hat er sein Gesicht mit einem Zauber verschleiert oder es war einfach zu dunkel… Er trug
jedoch ein Juwel mit sich, den er an der Tür angebracht hat. Ein Bernstein, glaube ich.“
Schweigen senkte sich über die kleine Gruppe. Kellvians Hand schloss sich um die Armlehne seines Stuhls. Das gab es doch einfach nicht, dachte er. Und er konnte das gleiche ungläubige wiedererkennen in den Gesichtern aller anderen sehen. Natürlich konnten sie sich täuschen. Aber sie alle hatten der Gestalt, die Wys beschrieb schon einmal gegenüber gestanden.
,,Ihr wisst, von wem ich rede , oder?“ , fragte der Archont angespannt.
Kellvian nickte. ,, Das wissen wir allerdings. Er nennt sich offenbar nur
Meister.“
,, Ziemlich arrogant, wenn ihr mich fragt.“ , bemerkte Eden.
,, Der Zauberer, den ihr beschreib hat versucht mich vor einem halben Jahr zu töten.“ , fuhr Kellvian fort. ,, Er hat unser Land an den Rand eines Bürgerkrieges getrieben und einen Mann den ich für einen Freund hielt gegen uns alle ausgespielt. Und was den Stein anging, so hat er diesen gestohlen. Als er unsere Hauptstadt in Trümmer legte.“
,, Aber was sucht ein Zauberer aus Canton in Laos ?“ , fragte Jiy und sprach damit seine Gedanken aus.
,, Das wäre grade die Frage…“ Kellvian wusste nur, das es wohl kaum etwas
gutes war. Und nach dem was Wys ihnen berichtet hatte, ging der Mann wieder einmal über Leichen um irgendetwas zu bekommen. ,, Ihr verschweigt uns nichts, oder ?“
,, Da war noch ein zweiter Mann in den Minen, im gegensatz zu der Gestalt, die ihr den Meister nennt, hat er mir und meinen Leuten allerdings das Leben gerettet. Er blieb leider ebenfalls in d er Tiefe zurück.“
,, Und die Archive geben nichts her ?
,, Zumindest nichts, was eine gewaltige Tür mitten im Untergrund vor Helike erklären würde.“ , erklärte Wys sarkastisch.
,, Was sind das eigentlich für Archive ?“
, wollte Kellvian wissen.
,, Nach Laos Gesetz können wir keine Artefakte des alten Volkes einsetzen und auch was wir an Schriften finden ist für uns uninteressant.“ , erklärte Wys. ,, Leider ist vieles davon auch nicht so einfach zu zerstören, also haben die Archonten der letzten Generationen begonnen, alles zu sammeln und sicher weg zu schließen.“
,,Die größte Sammlung an Aufzeichnungen des alten Volkes, die es gibt, Kellvian.“ , fügte Zyle hinzu und in den Augen des Gejarn blitzte plötzlich etwas auf. ,, Wenn… Ihr habt doch vor uns zu helfe, oder ?“
,, Selbst wenn ich das nicht hätte, ich
kann kaum ignorieren, das der Meister wieder irgendwo auftaucht. Das letzte Mal haben wir das teuer bezahlt.“
Zyle nickte. ,, Und denkt einmal nach, Kellvian. Aufzeichnungen und Schriften des alten Volkes, das…“
,, Könnte genau sein, was du brauchst.“ , beendete Jiy den Satz für ihn.
,, Und selbst wenn nicht, es wäre nur ein weiterer Grund eurem Volk zu helfen, Wys.“ Und eine Weile auch einfach der Politik Cantons zu entkommen. ,, Wenn ihr einverstanden seid, werde ich mit euch nach Helike kommen. Wie viele Männer braucht ihr?“
,, Ihr schlagt nicht ernsthaft vor, das ich euch… zusammen mit kaiserlichen
Truppen, nach Helike bringe, Mensch ? Das könnt ihr unmöglich auch nur denken, ob ihr nun der Kaiser dieses Landes seid, oder nicht. Für wie dämlich haltet ihr mich eigentlich?“
Kellvian zuckte mit den Schultern. ,, Nicht für so dämlich, Hilfe auszuschlagen, wenn sie euch jemand anbietet. Oder ? Ich kann euch versprechen, das jeder einzelne Soldat, der mich begleiten würde, auch wieder mit mir abzieht, wenn die Sache geklärt ist. Notfalls komme ich auch alleine mit.“
Wys schien nicht überzeugt und sah hilfesuchend zu Zyle. Der Gejarn seufzte.
,, Können wir uns irgendwo unter vier Augen unterhalten ?“ , fragte Zyle.
,, Natürlich. Das Patrizierhaus ist momentan leer.“ , antwortete Kellvian. ,, Die Tür zum Empfangszimmer sollte offen sein.“
Die beiden Gejarn standen auf und nach einem letzten, misstrauischen Blick zurück auf die kleine Versammlung, folgte Wys seinem Bruder schließlich in Richtung der Villa.
Es sah so aus, als wären die Dinge grade nicht unbedingt einfacher geworden, dachte Kellvian. Aber es gab ihm vielleicht eine Chance. Eine, die über die Möglichkeit einer Heilung oder einen
abtrünnigen Magier zur rechenschafft zu ziehen hinausging.