Humor & Satire
Gehirne müssen draußen bleiben

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"Gehirne müssen draußen bleiben"
Veröffentlicht am 01. September 2014, 18 Seiten
Kategorie Humor & Satire
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Gehirne müssen draußen bleiben

Gehirne müssen draußen bleiben

Titel

Neulich war ich mal wieder in München, jenem sauberen, ordentlichen und - sagen wir’s, wie es ist - sterilen Gegenentwurf zu Berlin, wo die Coolness der Hauptstadt nur einmal im Jahr erreicht wird, nämlich im Herbst, wenn der Begriff »Maßhalten« für ungefähr zwei Wochen eine völlig neue Bedeutung erhält, die für Zugereiste gerne mal mit ausgepumptem Magen in der Notaufnahme endet. Die Mitarbeiterin eines Kunden beklagte sich während unserer Mittagspause, dass es in München einfach keine Möglichkeit mehr gäbe,

abends anständig wegzugehen. »Das kenne ich«, sagte ich. Einmal war ich in der Münchener City in einem völlig überteuerten Hotel einquartiert, das dem Gast als Gegenwert vor allem einen Hauch von nichts bot – dafür aber besonders elegant – und versuchte dort gegen Abend, auszugehen, um ... eine Dönerbude zu finden. Ich war einigermaßen lange unterwegs, flanierte an haushohen Plakaten vorbei, von denen mich Horst Seehofers Konterfei wie das Auge Saurons beobachtete, doch das Einzige, was dem Anspruch »Fleisch von Brot umgeben« einigermaßen nahekam, war die »Leberkassemmel«. Die bekommt man in München nämlich an jeder Ecke.

Wo man in Berlin darauf achten muss, nicht in Hundescheiße zu treten, da sollte man in München den Gehweg im Auge behalten, um seinen Fuß nicht versehentlich in eine Leberkassemmel zu bohren. Widerwärtig, das Zeug! Ein anderer Kollege grub seine Zähne gerade in ein solches Machwerk und meinte schmatzend zu mir: »Dich kriegen wir auch noch dazu!« Kleine Leberkassemmelpartikel verließen dabei seinen vollen Mund wie surrende TIE Fighter den Todesstern. »Nee«, sagte ich, »von Leberkäse (oder Fleischkäse, wie dieser unheilige, dekadent dick geratene Brotbelag bei uns genannt wird) hab ich mal eine ganze

Nacht lang kotzen müssen. Seitdem nie wieder!« Der Kollege glotzte seine Semmel an, als habe er ein überfahrenes Stinktier von der Straße gepopelt und sei gerade dabei, dessen Gaumeneignung zu erproben, zuckte dann mit den Schultern und aß genüsslich weiter, als hätte ich nichts gesagt. Wohl bekomms! »Ich meine doch, zum Tanzen weggehen«, ergänzte die eingangs erwähnte Kollegin und guckte mich mit schiefem Grinsen an, als wollte ich sie verscheißern. Weggehen! Zum Tanzen! Wer wollte denn da wen verscheißern? Was das angeht, könnte ich mich ja in Rage

reden. Hab ich dann natürlich auch getan. Die folgenden drei Minuten waren ein verbaler Blitzkrieg, der über Wuthausen hinwegfegte und nichts als verbrannte Gegenargumenterde zurückließ. Wenn ich Lust habe, abends wegzugehen, dann verlasse ich die Wohnung und stolpere in die erstbeste Kneipe mit guter, handgemachter Rockmusik. Da wird man gefragt, was man trinken möchte – Bier! – und keine fünf Minuten später kann man sich gemütlich zurücklehnen, den Alkoholpegel die Hopfenleiter raufjagen und nebenher über alternative Wirtschaftsordnungen philosophieren.

Klar wäre das Bier, das ich so auch im Edeka um die Ecke kriege, daheim günstiger, die Musik aus der erlesenen Playlist noch besser und das über Jahre hinweg liebevoll durchgesessene Sofa noch bequemer, aber man ist schließlich kein Misanthrop. Die einzige philosophisch veranlagte Person im Haus wäre ansonsten die Katze, und die ist nur dann zu hitzigen Diskussionen aufgelegt, wenn der Inhalt des Futternapfes sich dem Ende zuneigt. Aber tanzen gehen? Warum sollte man so etwas Unsinniges tun? Tanzen, das ist Bewegung ohne Gegenwert. Wenn man so weit überhaupt kommt. Es fängt ja schon an der Tür zum Zappelschuppen

an: Kann ich eine Kneipe zumindest in Berlin notfalls auch im versifften Morgenmantel und mit Plüschpantoffeln an den ungewaschenen Füßen betreten, während auf der Gesichtshaut noch die Abdrücke vom Kopfkissen zu sehen sind, und werde trotzdem nicht hinauskomplimentiert, schaffe ich es als derart optischer Schrotthaufen nicht mal über die Türschwelle eines Clubs. Schlimmer noch, es geht mitunter ja sogar so absurd zu wie folgt: Trägste keine schwarzen Lacktreter an den parfümierten Haxen, kommste nicht rein, weil ... ja, das kann einem auch keiner wirklich sagen. Gern hätte ich das eine oder andere Mal eine

zorngetränkte Diskussion mit dem Türsteher geführt, ihn mit Molotovcocktailargumenten beworfen und Freiheit fürs Schuhwerk proklamiert. Da aber der Umfang jedes Ringfingers eines handelsüblichen Türstehers für gewöhnlich in etwa das Doppelte meines kumulierten Oberarmumfangs misst, habe ich bisher aus gesundheitlichen Gründen davon abgesehen. Kommste mit Freunden, alle männlich, kommste nicht rein, weil im Inneren des Ladens schon zehn Männer auf eine Frau kommen, Tanzschuppen sowieso nichts anderes sind als stickige Balzareale für Alphatiere, denen die Sexualhormone bereits zu den Ohren

rausquellen. Microsoft Word schlägt als Synonym zur Diskothek nicht umsonst den Bumsschuppen vor. Siehste scheiße aus, kommste nicht rein. Wäre ja auch noch schöner, wenn der talentbefreite Fotograf, der für die mit Comic Sans gestaltete Homepage des Ladens diese Duckface-Fotos völlig verschwitzter Hüpfdohlen knipst, die aussehen, als hätten sie Überstunden im Puff um die Ecke geschoben, plötzlich nur noch hässliche Leute vor die Linse kriegt. Wer den ganzen Tag Nutella frisst, kriegt schließlich auch automatisch einen Arsch wie’n Brauereipferd, trotzdem schmückt der Hersteller sein Produkt in der Werbung

ausschließlich mit durchtrainierten Fußballstars. Kommt da einer wie ich um die Ecke, die Füße in leicht angeschmuddelte Sneakers gestopft, vom Ausdruck »weibliche Begleitung« so viel Ahnung wie von Quantenmechanik und mit dem Aussehen eines Einzellers ausgestattet, der während der ersten zwanzig Jahre seines Lebens das Nerdtum perfektioniert hat und es hinterher nie wieder los geworden ist, ja dann kann er von Glück reden, wenn er nicht von einer Horde gackernder Türsteher mit einem nassen Handtuch den Arsch versohlt kriegt und in die Nacht hinausgejagt wird. Ist ja auch ein »Club«, nech? Schon

der Begriff suggeriert, dass man hier nicht jede dahergelaufene Hackfresse reinlässt. Da wird einem immer vorgegaukelt, es sei ja egal, wie man sei und aussehe, man sei genauso viel wert wie alle anderen, und dann beginnt beim Tanzen die Apartheid schon an der Eingangstür. Und selbst, wenn man die Gesichtskontrolle gerade noch so passiert hat, aber auch nur, weil eine der fünfzehn Schwestern des, nach dem Gesichtsausdruck zu urteilen, unter Dauerverstopfung leidenden Türstehers heute geheiratet hat, dann wird man auch noch zur Kasse gebeten. »Ja, aber da kriegst du doch auch was für geboten«, warf die Kollegin ein,

als ich mit meiner sachlichen Erörterung an eben dieser Stelle angelangt war. Was!? Bitte?! Kriege?! Ich?! Denn?! GEBOTEN?! In meinem linken Auge platzte ein Äderchen, rote Punkte des Zorns spielten in meinem Sichtfeld »Dirty Dancing« nach, mein Puls kletterte in einen Formel-eins-Boliden und gab ordentlich Gas. Ich stellte diese Frage lauter, als ich es eigentlich vorgehabt hatte. Kollege Leberkassemmel hielt überrascht beim Abbeißen inne, während ich die Aussage der Kollegin filigran wie ein Panzerabwehrgeschütz demontierte. Ja, was also kriegt man für sein Geld geboten, hat man erst einmal die heiligen

Hallen eines Clubs betreten? Da wäre zuerst einmal das laute Gebollere aus den Boxen, das nur mit viel Wohlwollen und nach reichlichem Alkoholkonsum im Entferntesten als Musik ausgelegt werden kann. Da wäre weiter die schiere Dunkelheit, die vom nervigen Stroboskoplicht – optisches Waterboarding für Epileptiker – nur noch unerträglicher wird. Wo die Augen nicht viel zu tun haben, werden die restlichen Sinne geschärft, sodass die akustische Diarrhö aus den Lautsprechern nur noch weniger zu ertragen ist, während man das Gefühl nicht los wird, nicht einfach nur durch stickige Luft zu waten, sondern durch ein finsteres Becken aus

gasförmigem Schweiß. Der Fußboden im Tanzbereich klebt derweil, als hätte jemand liebevoll Erdbeermarmelade darauf verstrichen, während selbiger auf dem Klo Befürchtungen weckt, aggressivere Verwandte des Fußpilzes könnten sich vom versifften Bodenbelag durch die eigenen Schuhsohlen fressen, wenn man sich mit dem Pinkeln, Koksen oder Poppen der Tussi, die ihre Unterwäsche schon vor dem Laden ins Gebüsch geschmissen hat, nicht beeilt. Und bei alldem bloß nichts anfassen! Die Hände wäscht sich hier nämlich keine Sau. Bleibt also der Alkohol, weil die Geschichte schließlich eines bewiesen

hat, nämlich dass man sich alles und jeden schönsaufen kann, nicht wahr? Nope! Denn spätestens, wenn man an der Bar laut brüllend gegen die Bässe anschreit, die bis in die Unterhose hineinwummern, um ein Bier zu ordern und dann zurückgebrüllt wird, dass man für die gleiche Plörre, die es im Späti um die Ecke für ein bisschen Hartgeld gibt, ungefähr so viel zu latzen habe wie für ein Dreigängemenü im Ritz Carlton, dann verreckt spätestens an dieser Stelle das letzte bisschen Spaß im Stalingrad der Clubkultur. Nachdenken darf man über all das nicht, Gehirne müssen sowieso draußen bleiben. Als ich mit meinen Ausführungen

zum Schluss gelangt war, schauten mich meine Zuhörer entgeistert an, einer noch am Rest der Leberkassemmel kauend. »Ist doch wahr!«, sagte ich und trank einen Schluck Kaffee. »Und wenn man dann denkt, schlimmer geht’s mehr, spielt der DJ Helene Fischer.« Neben mir begann der Kollege zu husten und versuchte, den letzten Bissen Leberkäse wieder aus dem Hals herauszukriegen. Endlich verstand mich einer.

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Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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Gunda Na gut, dass ich meinem beschaulichen Städtchen mit derlei gar nicht in Berührung komme ...
Ich schmeiß mich weg, Thomas. Eine herrliche Milieustudie und mit der tanzwütigen Kollegin und dem Semmeln mümmelnden Kollegen hat du einen sehr anschaulichen Rahmen drumherum gebaut.

Klasse.
Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Gunda,

ich hatte mich schon gefragt, wo du wohl abgeblieben sein magst. :-)
Wenn es was Gutes am Älterwerden gibt, dann dass man keine Ausrede mehr braucht, um am Freitag- oder Samstagabend zu Hause zu bleiben, statt sich unters feiernde Volk zu schmeißen. An diesen "Zappelschuppen" konnte ich nie was finden. Da war ich immer außen vor. Übrigens haben mich die Münchener Kollegen auf meine Schimpftirade hin tatsächlich ziemlich entgeistert angeguckt. Als externer Berater reißt man sich ja normalerweise eher zusammen, aber da konnte ich einfach nicht anders. :-D

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Lach ... Das war wirklich authentisch?

Naja ... abgeblieben ... Ich war irgendwie ... unmotiviert. Sowohl was Schreiben als auch was Lesen angeht. Muss erst wiede Anlauf nehmen :o)
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Das war, abgesehen von einigen Übertreibungen, tatsächlich authentisch, jepp. Ich kann mich über so was ganz hervorragend ärgern. :D

Na dann willkommen zurück, würde ich sagen. Ich hab gerade auch ein kleines Tief. Es gibt aber auch einfach zu viele gute Fernsehserien und frecherweise wird auch noch von einem erwartet, dass man arbeiten geht. Tz!
Vor langer Zeit - Antworten
shirley Oh, ich danke dir für diese Offenlegung. Und ich dachte immer nur, ich einfach nur zu alt für diesen schwachsinn. Aber NEIN!- es liegt nicht an mir. Andere empfinden wie ich. Danke!
LG Shirley
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Shirley,

nee, es ist einfach nur eine Sache des persönlichen Geschmacks. Ich kann mich damit absolut nicht identifizieren. Konnte ich noch nie. Drum nehm ich mir auch das Recht heraus, mich darüber aufzuregen. ;-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
shirley ...und wie du dich aufgeregt hast, war völlig genial. Die Steigerung, besonders, wenn man auf deinen titel zurückkommt, wäre dann Balllermann und co......kenne ich nur aus TV, und finde es abartig.
Da würde ich noch lieber in eine D I S C O laufen. Sagt man das heute überhaut noch, bin ja schon ein wenig älter.
LG Shirley
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Heute sagt man "Club", mein ich. Aber ich finde das Wort ziemlich scheußlich. Schließlich ist es ja kein wirklicher Club. Ich zahle keine Mitgliedsbeiträge oder so und bin auch nicht Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft. Letztlich geht es nur darum, jungen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, so gut es eben geht, indem man ihnen laute Musik, überteuerte Getränke und grässliches Ambiente in einer ebenfalls überteuerten Lokation "bietet".

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
MarionG Ich war zueletzt ein verlängertes Wochenende im München. Ich traue mich es hjetzt nicht zu sagen.....aber .....
mir hat es super gefallen, sogar im Hofbräuhaus. Und abend im Olympiapark - Open air - kostenlos. Das ist doch mal was. Allerdings war ich in keinem Club.
Liebe Grüße
Marion
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Hallo Marion,

ich find München auch okay. Ich war letztes Jahr im November im Circus Krone, als Stephen King da war. Das ist ein wahnsinnig schöner Zirkus. Kann man sich definitiv mal angeschaut haben. Überhaupt ist die Innenstadt streckenweise sehr schön. Nur mir als Berliner ist sie viel zu steril. Die wirkt mitunter ja, als wäre sie am Reißbrett entstanden. Leider ist das hier auch zunehmend so. Was ich auch noch über die Münchener sagen muss: Ich habe selten bis nie einen so hilfsbereiten Menschenschlag erlebt. Gut, die Rheinländer waren mir vom Gemüt her immer am sympathischsten, aber dennoch war das für mich eine große Überraschung, weil man ja sonst immer nur Leute wie Horst Seehofer im Fernsehen sieht, und dann erwartet man von Bayern im Allgemeinen ja schon nicht mehr viel. So, gleich mal mehrere Lanzen gebrochen. ;-)

Liebe Grüße
Thomas

PS: Mit Leberkäsebrötchen kann ich mich aber trotzdem nicht anfreunden. Bäh!
Vor langer Zeit - Antworten
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