Beschreibung
Diese Geschichte ist mir eingefallen, weil meine Freundin vor einigen Monaten etwas Ähnliches erlebt hat, allerdings war das Ende dann doch anders als bei dieser von mir erdachten Geschichte.
Das Telefon klingelte. Kennt jemand das Gefühl, am Klingeln des Telefons erkennen zu können, dass dieser Anruf nichts Gutes verheißt? Genau so erging es mir an diesem Tag. Missmutig hob ich ab und meldete mich mit meinem Namen. Es erklang die blecherne Stimme eines Mannes: „Ilonka, Mädchen, hier ist dein Papa.“
„Hier ist keine Ilonka“, antwortete ich: „ Ich kenne auch keine Ilonka.“
„Doch, ich habe gewählt die Nummer von meine kleine Ilonka. Kann ich ihr sprechen?“
„Ich glaube, sie haben sich verwählt. Einen schönen Tag noch, “ sagte ich und legte auf.
Aber schon einen kurzen Moment später klingelte das Telefon erneut. Ich sah den Apparat an, als würde er dann aufhören zu läuten, aber es half nichts. Also ging ich nochmals dran.
„Ilonka, Kleines, hier ist Papa, nicht mehr böse sein, Papa hat es nicht so gemeint. Sag, dass du wieder gut bist mit deine alte Papa, bitte.“
„Entschuldigen Sie“, unterbrach ich seinen Redeschwall mit einem deutlichen Akzent, Ungarn, tippte ich, ohne zu ahnen, ob ich richtig lag: „Hier wohnt keine Ilonka und hier hat auch nie eine Ilonka gewohnt. Welche Nummer haben Sie denn gewählt?“
„Na, die Nummer von Ilonka. Wo ist mein kleines Mädchen? Ich will jetzt sprechen ihr.“
„Hören Sie, guter Mann“, ich sprach betont langsam, weil ich hoffte, dass er mich dann besser verstehen würde: „In diesem Haus gibt es keine Ilonka, wirklich nicht. Sie müssen die falsche Nummer gewählt haben. Sagen Sie mir doch, welche Nummer sie wählen wollten, dann sage ich Ihnen meine Nummer und dann werden Sie merken, dass sie sich verwählt haben.“
„Ich habe gewählt die Nummer von meine kleine Ilonka.“ Er klang jetzt auch ein wenig ungeduldig und trotzig: „Warum will sie nicht sprechen mit ihre alte Papa? Ist sie immer noch böse auf mir? Ich will mit ihr sein wieder gut. Sagen sie Ilonka.“
Ich atmete tief durch und versuchte einen neuen Start der Erklärung, diesmal im Telegrammstil kurz und knapp: „Hier wohnt keine Ilonka, hier hat nie eine Ilonka gewohnt und hier wird auch nie eine Ilonka wohnen. Sie haben sich verwählt.“ Und wieder legte ich auf.
Gerade, als ich mich von diesem verhängnisvollen Telefon entfernen wollte, klingelte es erneut. Ich blieb stehen, warf einen kurzen Blick zum Telefon, seufzte, drückte meinen Rücken kräftig durch und entfernte mich einige Meter vom Telefon, das klingelte und klingelte und klingelte. In diesem Moment wusste ich, er würde keine Ruhe geben. Ich musste mir jetzt ganz schnell etwas einfallen lassen. Was also sollte ich machen? Sollte ich mich selbst als Ilonka ausgeben? Was aber, wenn er anfangen würde, ungarisch zu sprechen? Dann würde der Schwindel sehr schnell auffliegen, denn ich würde ihm sicher nicht erklären können, dass ich, seine vermeintliche Tochter, urplötzlich meine Muttersprache verlernt habe. Sollte ich ihm sagen, seine Tochter könne jetzt nicht mit ihm telefonieren, weil der Arzt ihr aufgrund einer Kehlkopfentzündung jegliches Sprechen verboten habe und so tun, also würde ich zwischen Vater und Tochter vermitteln? Selbst ein längerer Spaziergang weit entfernt von diesem Telefon würde das Problem nicht lösen, denn dieser Mann erschien mir sehr hartnäckig zu sein. Eine Lösung musste her und zwar schnell.
Gott sei Dank habe ich Kinder. Mein Sohn hat sich eine zeitlang einen Spaß daraus gemacht, sich nicht mit seinem Namen, sondern als Polizeistation zu melden. Das fiel mir jetzt ein und könnte die Rettung sein.
Ich ging also an das Telefon und sprach mit dumpfer, förmlich klingender Stimme: „Hier ist der automatische Anrufbeantworter der Justizvollzugsanstalt Neumünster, private Telefonate mit Inhaftierten müssen vorher angemeldet werden. Falls Sie dieses beabsichtigen, halten Sie sich bitte an die dafür vorgesehenen Zeiten…“
Offensichtlich hatte er aufgelegt. Jetzt würde ich wohl endlich Ruhe haben. Der Name Ilonka schwirrte mir noch den ganzen Tag über im Kopf herum.
Am nächsten Morgen entschloss ich mich, einmal beim Einwohnermeldeamt nachzufragen, ob ein beantragter Ausweis mittlerweile eingegangen sei. Also rief ich an. Es meldete sich eine sehr nette Frauenstimme, die mir sagte: „Ich habe Sie eigentlich gestern Nachmittag schon telefonisch darüber informieren wollen, dass Ihr Ausweis hier jetzt vorliegt, aber als ich Ihre Nummer wählte….“
So kann es gehen im Leben.