Kurzgeschichte
Das Vorstellungsgespräch

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"Das Vorstellungsgespräch"
Veröffentlicht am 09. September 2008, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.
Das Vorstellungsgespräch

Das Vorstellungsgespräch

Beschreibung

Es ist mir klar, dass es im richtigen Leben meist anders läuft.

Da sitzt sie nun also im Vorzimmer der Anwaltskanzlei. Sie hat ihre Hände in ihrem Schoß liegen und spielt nervös damit herum. Das ungewohnte Kostüm, das sie sich extra für diesen Termin besorgt hat, kneift und drückt. Von der Sekretärin fühlt sie sich ständig beobachtet, auch wenn diese so tut, als würde sie arbeiten. Tatsächlich mustert sie die Neue über ihre Brille hinweg. Sicherlich wird sie gleich zu ihrem Chef gehen und ihm sagen, dass er das mit der Anstellung vergessen kann. Die Frau da draußen verfügt über kein Selbstbewusstsein. Plötzlich treffen sich ihre Blicke und die elegante Frau hinter dem PC lächelt. Sie erkennt aber sofort, dass es ein gekünsteltes Lächeln ist, ohne irgendwelche Gefühle.

Ist es hier so heiß oder schwitzt sie nur so? Auch das noch, was, wenn ihr Deo versagt? Sie will diesen Job, sie braucht diesen Job, wenn sie ihn nicht bekommt, dann ist alles vorbei. Dann wird sie ihre Wohnung verlieren, ganz bestimmt. Vielleicht nehmen sie ihr dann sogar die Kinder weg. Dann würde sie nicht mehr leben wollen, denn was wäre ein Leben ohne ihre Kinder?

Beim Bewerbungstraining haben sie ihr gesagt, sie solle sich überlegen, weshalb ausgerechnet sie für diesen Job geeignet wäre. Sie solle sich über den Betrieb informieren, weil sie damit rechnen könne, dass einige Fragen in diese Richtung zielen werden. All das hat sie gemacht: Sie hat sich über dieses Büro informiert, sie hat sich genau überlegt, weshalb ausgerechnet sie für diesen Job geeignet ist. Sie ist sogar extra gestern noch zum Friseur gegangen und hat sich dieses neue Kostüm gekauft, das eigentlich überhaupt nicht ihr Stil ist.

Jetzt steht die Sekretärin auf. Jetzt geht sie zu ihrem Chef und steckt ihm, dass er die Frau im Vorzimmer besser nicht einstellen soll. Sie reibt nervös ihre Hände am Rock trocken. Eigentlich trägt sie viel lieber Hosen, aber was tut man nicht alles für einen Job?

Jetzt geht die Tür auf und die Sekretärin sagt: „Frau M. kommen Sie bitte herein.“ Auch dabei lächelt sie, diese falsche Schlange.

Zaghaft betritt sie das große Büro. Ein Mann mittleren Alters tritt auf sie zu und streckt ihr freundlich die Hand entgegen. „Kommen Sie rein, setzen Sie sich.“ Er zeigt auf einen schweren Ledersessel, der vor einem riesengroßen Schreibtisch steht. Sie hat das Gefühl, in diesem Sessel hinter dem enormen Schreibtisch zu versinken und noch kleiner zu werden. Am liebsten würde sie jetzt wegrennen, aber dafür ist es zu spät. Also nimmt sie zaghaft Platz.

Der freundliche Mann setzt sich an seinem Schreibtisch, lächelt sie an und fragt: „Möchten Sie etwas trinken? Vielleicht einen Kaffee?“ Das ist doch bestimmt eine Fangfrage, sagt sie ja gerne, dann denkt er: Ach, die wird später sicherlich den halben Tag lang nur Kaffee trinken. Sagt sie aber nein Danke, dann denkt er: Die ist aber unhöflich. Scheu sieht sie ihm ins Gesicht und sagt überhaupt nichts.

„Weshalb meinen Sie, dass ich ausgerechnet sie einstellen sollte?“ fragt er nun. Wo sind die Worte, die sie sich noch gestern so schön zurechtgelegt hatte? Alles weg, ihr Kopf ist leer, wie ausgebrannt. Ihr wird heiß und kalt. Sie kann nur denken: Ich will diesen Job, ich brauche diesen Job, sonst ist alles aus. Was soll sie nur machen?

„Ich würde gerne Probearbeiten“, flüstert sie: „Dann kann ich Ihnen zeigen, was ich kann.“ Wo hat sie nur den Mut zu diesen Worten hergenommen? Er aber spürt ihre Nervosität, steht auf und sagt: „Das ist eine gute Idee. Zeigen Sie mir, was Sie können und wir unterhalten uns dann später.“

Ja, so war es, die Sekretärin, übrigens eine ausgesprochen nette Person, mit der sie sich später sogar angefreundet hat, hat ihr alles gezeigt. Bei der Arbeit ist die Nervosität sehr schnell verflogen. Die verschwundenen Worte kamen zurück. Nach ein paar Stunden Arbeit hat sie sich bei einer Tasse Kaffee mit ihrem zukünftigen Chef sehr nett unterhalten und gemerkt: Hier kann ich mich wohlfühlen. Ich will diesen Job, weil ich die Beste dafür bin, das konnte ich jetzt zeigen. Es geht mir gut.

Ja, sie hat den Job bekommen. Sie hat die Wohnung behalten und konnte ihre Arbeit sehr gut mit der Kindererziehung unter einen Hut bringen. Endlich ging es wieder bergauf.

Zum Abschied schüttelte ihr neuer Chef ihr freundlich die Hand und sagte: „Ach übrigens, ich möchte Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber das Kostüm steht Ihnen nicht. Es passt auch nicht zu unserem Stil. Tragen Sie in Zukunft besser Hosen – wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Sie jubelte innerlich.

Aber diese Geschichte ist eben nur eine Geschichte. Im täglichen Leben geht es meist anders zu, leider.

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Hörbuch

Über den Autor

Chrissy55
Es fällt mir nicht leicht, etwas über mich zu schreiben. Also ganz kurz: 52 Jahre alt,glücklich geschieden, Mutter von drei Superkindern, Psychologisch-technische Assistentin - fühle mich viel jünger als ich bin. Noch Fragen, dann fragt ruhig, ich stehe jederzeit Rede und Antwort.

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Chrissy55 Re: aber... -
Zitat: (Original von Meryl am 09.09.2008 - 19:51 Uhr) es ist eine wunderbare Geschichte,
eine voller Herzenswärme und Menschlichkeit, wie es sie leider nur selten oder nur in Geschichten gibt *zwinker*
aber ich habe tatsächlich etwas Ähnliches erlebt und du hast mich jetzt wieder daran erinnert... verdammt lange her, aber es war eine schöne Zeit

wie immer lesens- und empfehlenswert,
wie immer toll geschrieben !

liebe Grüße in deinen Abend
Meryl


Danke Meryl, es freut mich besonders, dass es dich an eine schöne Zeit erinnert, denn meist verknüpft man mit Vorstellungsgesprächen eher Panik als eine schöne Zeit. Ich freue mich sehr, dass dir meine Texte gefallen.
Auch dir einen schönen Abend.
LG Chrissy
Vor langer Zeit - Antworten
Chrissy55 Re: Die Nervösität... -
Zitat: (Original von evchen am 09.09.2008 - 19:51 Uhr) ...vor so einem persönlich wichtigem Gespräch kann ich sehr gut nachvollziehen. Mir ging es schon sehr oft ähnlich. Ich finde es schön, dass deine Frau M. ihren erwünschten Job bekommen hat, aber wie du schon sagtest im realen Leben kommt es meistens anders, weil auf diese Stelle sicher etliche nich halb so nervöse Bewerber gewesen wären. Und der Chef hätte sich wahrscheinlich nicht die Zeit genommen ihre wahren Qualitäten zu erforschen, leider. Aber dennoch ist es eine sehr schöne Geschichte und ich habe mich innerlich für Frau M. gefreut. vlg evi


Ich danke dir, Evi, als mir die Idee zu diesem Thema gekommen ist, habe ich schnell festgestellt, dass ich das nicht in ein Gedicht verpacken kann, unmöglich, das, was ich ausdrücken wollte in ein paar Reime zu quetschen. Schade, dass es im wahren Leben meist nicht so zugeht. Ich freue mich aber sehr, dass es dir gefällt, obwohl auch der Chef sich dadurch etwas durch die Lappen gehen lassen kann.
LG Chrissy
Vor langer Zeit - Antworten
Meryl aber... - es ist eine wunderbare Geschichte,
eine voller Herzenswärme und Menschlichkeit, wie es sie leider nur selten oder nur in Geschichten gibt *zwinker*
aber ich habe tatsächlich etwas Ähnliches erlebt und du hast mich jetzt wieder daran erinnert... verdammt lange her, aber es war eine schöne Zeit

wie immer lesens- und empfehlenswert,
wie immer toll geschrieben !

liebe Grüße in deinen Abend
Meryl
Vor langer Zeit - Antworten
evchen Die Nervösität... - ...vor so einem persönlich wichtigem Gespräch kann ich sehr gut nachvollziehen. Mir ging es schon sehr oft ähnlich. Ich finde es schön, dass deine Frau M. ihren erwünschten Job bekommen hat, aber wie du schon sagtest im realen Leben kommt es meistens anders, weil auf diese Stelle sicher etliche nich halb so nervöse Bewerber gewesen wären. Und der Chef hätte sich wahrscheinlich nicht die Zeit genommen ihre wahren Qualitäten zu erforschen, leider. Aber dennoch ist es eine sehr schöne Geschichte und ich habe mich innerlich für Frau M. gefreut. vlg evi
Vor langer Zeit - Antworten
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