Gedichte
Früh geboren

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"Früh geboren"
Veröffentlicht am 07. September 2008, 10 Seiten
Kategorie Gedichte
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Über den Autor:

Ich bin 29, studiere Biologie und schreibe - neben dem Management meiner kleinen Familie mit meinem Mann Ibrahim u. unserem Sohn Jakob Merlin (4) - gerader an meiner Diplomarbeit. Bücher und lesen waren schon immer von großem Wert für mich. Bei einem guten Buch kann ich richtig aufgehen. Das Schreiben fällt mir oftmals leichter als der mündliche Gebrauch der Sprache ;o). Seit ca. 16 Jahren schreibe ich immer mal wieder Gedichte u. manchmal ...
Früh geboren

Früh geboren

In meinem Innersten fühlt' ich dich wachsen.
Ganz tief in meinem Bauch.
Du machtest so einige Faxen
und schlugst manchmal Purzelbäume auch.

Eines Tages kam dann die Stille.
Keine Deiner sanften Tritte waren zu spüren.
Nur noch manchemal konnt' ich dich fühlen,
kaum noch etwas von Deinem eisernen Willen.

Am nächsten Morgen kamen die Wehen.
Nur leicht, aber alle zehn Minuten.
Was war geschehen?
Ich konnt' es nicht begreifen.
Meine Hebamme war nicht zu erreichen.

Zum Notdienst sind wir gefahren.
Ich weiß noch, dass schrecklich helle Lichter da waren.
Ich wurde in den Behandlungsraum geschoben, 
ein großes Heupferd saß an der Decke oben.
Normalerweise hätt' ich bestimmt laut gelacht, 
doch dann wurde ein Ultraschll gemacht. 
Es ließ mich Schlimmes erahnen,
meine Gedanken zogen finstere Bahnen.
 
Du zogst Dich zurück
in die letzte Fruchwasserpfütze,
die Dich in der Gebärmutter noch schützte.
Schuld daran war ein Blasensprung.
Ich suchte in meiner Erinnerung
nach der entscheidenden Tat,
die  von heute auf morgen alles verändert hat.

Ich sollte gleich ins Krankenhaus,
noch packte mich nicht ganz der Graus.
Die Hoffnung auf Besserung keimte
und trotzdem entging es keinem wie ich weinte.
Ein Glück, das Krankenhaus lag um die Ecke.
Ich hüllte mich ganz tief in meine Decke.

Mit Medikamenten wurde ich vollgestopft,
es raste mir das Herz, ganz wirr war ich im Kopf
und dachte immer nur an Dich.
Wie es Dir geht, was das Zeug mit Dir macht.
Kaum noch zu spüren warst Du für mich,
nicht mal ein Tritt ganz leise und sacht.

Ich hörte Deinen Herzschlag im CTG,
doch meistens bist Du ihm ausgewichen,
weil es unangenehm für Dich war.
Das tat mir in der Seele weh!
Ich wär' so gern nach Haus' geschlichen,
wünschte es wär alles wie gestern noch da.

Immer schneller schlug Dein kleines Herz.
Eine Infektion hatte sich zu Dir gestohlen,
sie wollten Dich jetzt schnellstens holen.
Ich wünschte mir es wär' ein Scherz,
zum Wachsen hattst Du erst 27 Wochen....
Mein Herz fing furchtbar an zu pochen.

Wie würdest Du wohl sein, so klein?
Würdest Du es überleben?
Würde es ein normales Leben für Dich geben?
Solche Fragen stürmten auf mich ein.

Du hast Dich noch einmal umgedreht,
so wie eine normale Geburt gar nicht geht.
Es wurde ein Kaiserschnitt gemacht.
Die lokale Anästhesie wirkte nicht,
den entscheidenden Augenblick verpaßte ich.
Ach, ich hätte Dich so gern selbst zur Welt gebracht!

An dem Tag war es heiß,
oh, wie genau ich das noch weiß.
Doch grad erblicktes Du das Licht dieser Welt,
da gab es ein furchtbares Gewitter.
Und ich habe im Bett um Dich gezittert.

Nach ein paar Stunden wurde ich wach,
sie hatten ein Foto von Dir gemacht.
Es war das erste, was ich von Dir sah,
ich wusste nicht, wie mir geschah.
Dieses kleine Leben war eben noch in meinem Bauch
und jetzt hing es an einem Infusionsschlauch.

37 cm klein und knochig wie ein alter Greis,
ich kam mir vor als hätte ich ein Herz aus Eis,
Dich einfach so im Stich zu lassen.
Ich konnte es noch nicht ganz fassen,
dass dieses da das Leben war
das in mir gewachsen war.

Ich wollte zu Ihm, ihn berühren,
Ihm zeigen, dass ich bei ihm war!
Ich konnte seine Angst hier deutlich spüren.
Wie groß der Seelenschmerz nur war,
dass kann keiner nachempfinden,
der nicht auch so musst' entbinden.

Dann sah ich Dich zum ersten Mal.
Ich konnte es erst gar nicht glauben,
dass dieses kleine Etwas da
eben noch in mir gewesen war.
Die erste Berührung traf mein Herz wie ein warmer Strahl.
Es wollte mir schier die Sinne rauben.
Doch von diesem Moment an war klar,
dass das mein kleiner Sohn war!

Jakob Merlin sollt' sein Name sein,
voller Bedeutung für sein Leben.
Allmächtigen Schutz soll er ihm geben
und Zauberkräfte, um gut zu gedeih'n.

Die Glücksmomente waren schnell vergessen.
Ich kam nun in ein drei-Bett-Zimmer.
Da haben zwei Mütter mit ihren gesunden Babies gesessen,
das machte das Erlebte erheblich schlimmer.
Warum durfte mein Sohn nicht auch so gesund sein
und laut und kräftig sein Leben uns entgegen schrein?

Dann brach es heraus
zwischen all den gesunden Menschenkindern.
Kein tröstendes Wort vermochte meinen Schmerz zu lindern.
Ich wußte Dich im Brutkasten allein,
getrennt von mir durch etliche Wände.
Wie groß war die Sehnsucht in mir,
zu halten Deine noch so kleinen Hände!

Am nächsten Tag legten sie Dich auf meinen Bauch,
zum ersten Mal spürte ich Deinen Atemhauch.
Zum ersten Mal spürte ich das Leben in Dir,
fühlte Dein wunderbares Sein in mir.
Von gewaltiger Liebe durchströmt,
wurde meine Seele verwöhnt.
Ich fühlte mich vollkommen geborgen
und hatte für diesen Moment keinerlei Sorgen.

Drei Monate Krankenhaus folgten danach.
Sie haben Dich mit Nadeln gequält,
um Dein Blut zu untersuchen.
Wie grausam erscheinen musst' Dir die Welt!
So manches Mal wollte ich sie verfluchen.
Doch ich wußte, es wird für Dein Leben gemacht.

Drei Monate zwischen Hoffen und Bangen.
Es folgten Leisten-OP und Beatmungsschlauch,
eine Bluttransfusion die brauchtest Du auch.
Ich wünschte Dich oft sehr zurück in meinen Bauch.
Beinahe hätte ich Dich verloren.
Warum nur wurdest Du so früh geboren?

Das Ganze ist jetzt vier Jahre her.
Du bist ein glückliches, gesundes Kind.
Ich bedanke mich dafür so sehr!
Und dafür, dass wir so glücklich sind!

Du hast meinem Leben so viel Licht gegeben,
mein Herz fühlt sich bisweilen als würde es schweben.
Ich hoffe, es steht in meiner Macht,
dass das Leben Dir stets entgegenlacht!
Es gibt keinen Augenblick an dem ich nicht an Dich denk',
Du bist ein echtes Himmelsgeschenk!
 
 
 
 
07.09.2008
   L. Sp.
 
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Hörbuch

Über den Autor

esclarmunde
Ich bin 29, studiere Biologie und schreibe - neben dem Management meiner kleinen Familie mit meinem Mann Ibrahim u. unserem Sohn Jakob Merlin (4) - gerader an meiner Diplomarbeit. Bücher und lesen waren schon immer von großem Wert für mich. Bei einem guten Buch kann ich richtig aufgehen. Das Schreiben fällt mir oftmals leichter als der mündliche Gebrauch der Sprache ;o). Seit ca. 16 Jahren schreibe ich immer mal wieder Gedichte u. manchmal kurze Geschichten. Früher bin ich immer davon ausgegangen, dass ich irdendwann ein Buch schreiben werde...mal schauen, ob daraus etwas wird...;o)

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esclarmunde Re: Gänsehaut -
Zitat: (Original von Coeur am 21.09.2008 - 20:17 Uhr) und mit gezittert....
LG, Erna


Es freut mich zu hören, dass die Zeilen so tief rühren! Vielen Dank.

LG,
Linda
Vor langer Zeit - Antworten
Coeur Gänsehaut - und mit gezittert....
LG, Erna
Vor langer Zeit - Antworten
esclarmunde Re: Früh geboren -
Zitat: (Original von PaulG am 07.09.2008 - 19:28 Uhr) Da kommt die ganze Mutterliebe zum Ausdruck, diese tiefen Gefühle, zwischen Hoffen und Bangen - ich freue mich für dich, dass alles gut geworden ist...
Sehr ergreifend geschrieben!

LG, Paul


Vielen Dank, Paul! Es freut mich zu hören, dass meine Gefühle in meinem Gedicht so gut zum Ausdruck kommen.

LG,
Linda
Vor langer Zeit - Antworten
PaulG Früh geboren - Da kommt die ganze Mutterliebe zum Ausdruck, diese tiefen Gefühle, zwischen Hoffen und Bangen - ich freue mich für dich, dass alles gut geworden ist...
Sehr ergreifend geschrieben!

LG, Paul
Vor langer Zeit - Antworten
esclarmunde Re: Früh geboren... -
Zitat: (Original von Dany am 07.09.2008 - 17:01 Uhr) ... sehr schön und ausführlich beschrieben- bestimmte sehr interessant so neue Gefühle und Empfindungen zu entdecken, wenn man ein Kind erwartet... nervenaufreiben ist es natürlich auch- das merkte man deinem Gedicht ja auch sehr stark an ;). Hauptsache das Kind ist letzenendes gesund und wohl auf.

L.G.
Dany


Die Erfahrungen der zu Ende gehenden Schwangerschaft und die letzten vorbereitenden Tage in ein ganz neues Leben durfte ich ja leider nicht erleben. Bei mir hieß es "jetzt bist du Mama", als ich gerade anfing die Schwangerschaft wirklich wahrzunehmen und die wirklich Freude erst begann. Aber ein Kind zu erwarten ist eine sehr schöne neue Erfahrung und das gute Ende dieser 3monatigen Tortur und die Zeit bisher hat so ziemlich alle furchtbaren Erlebnisse vergessen lassen. Ich glaube, das ist der besondere Zauber der Kinder - sie führen einen stets in eine harmonische Wirklichkeit und zeigen uns oft den Weg aus der Dunkelheit, so wie das ein Erwachsener nie könnte.
Vielen Dank für Deinen Kommentar!

LG
Linda
Vor langer Zeit - Antworten
esclarmunde Re: Gott sei Dank habe ich diese Erfahrung -
Zitat: (Original von Chrissy55 am 07.09.2008 - 13:03 Uhr) selbst nicht machen müssen, da meine drei Kinder normal geboren wurden. Allerdings habe ich sehr intensiv mit meiner Freundin gelitten, deren Sohn im sechsten Schwangerschaftsmonat per Kaiserschnitt geboren wurde. Leider durfte Manuel nicht leben, aber vergessen werden wir ihn nie.
Du hast dieses Erlebnis mit unheimlich viel Liebe geschrieben, mit einer Liebe, die wirklich nur eine Mutter empfinden kann.
LG Chrissy


Ja, es ist schon eine schlimme Sache, wenn ein Kind so früh ins Leben geholt wird. Es tut mir leid für Deine Freundin, dass ihr Sohn es nicht schaffen konnte. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass unser Sohn so ein Kämpfer ist und sich bestens entwickelt! Ich denke, die enorme Dankbarkeit, die man dem Leben durch diese Erfahrung entgegenbringt, läßt die Liebe zu diesem Kind noch ein bißchen klarer werden.
Vielen Dank für Deine Worte!

LG Linda
Vor langer Zeit - Antworten
Chrissy55 Gott sei Dank habe ich diese Erfahrung - selbst nicht machen müssen, da meine drei Kinder normal geboren wurden. Allerdings habe ich sehr intensiv mit meiner Freundin gelitten, deren Sohn im sechsten Schwangerschaftsmonat per Kaiserschnitt geboren wurde. Leider durfte Manuel nicht leben, aber vergessen werden wir ihn nie.
Du hast dieses Erlebnis mit unheimlich viel Liebe geschrieben, mit einer Liebe, die wirklich nur eine Mutter empfinden kann.
LG Chrissy
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