mySTORYs Schreibratgeber
Für Anfänger und Fortgeschrittene

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Folgerichtig

Ohne Moral - Die Prämisse

Die Prämisse kennen wir aus der Logik und aus dem alltäglichen Sprachgebrauch als Voraussetzung. Das hilft uns aber wenig bis gar nichts, wenn wir den Begriff klären wollen, wie er von Schreibschulen und Schreibratgebern verwendet wird. Wir sollten also unser Gehirn freimachen von bisher Bekanntem, um Platz zu schaffen, für die Verwirrungen, die die Prämisse ohnehin mit sich bringt.

Denn leider ist die Prämisse in Autorenkreisen höchst umstritten, sowohl hinsichtlich ihrer Begrifflichkeit als auch hinsichtlich ihres Nutzens. Meiner Meinung nach ist es müßig, sich über den Begriff zu streiten. Und wenn man ihren möglichen Nutzen erst einmal begriffen und verinnerlicht hat, ist sie ein wichtiges und grundlegendes Werkzeug zur Abfassung eines Manuskripts.

1. Was ist eine Prämisse?

Im Grunde genommen ist eine Prämisse ein ganz einfaches Ding. Man könnte sagen, wenn der Autor weiß, wo seine Geschichte beginnt und wo sie endet, dann muss er das nur noch aufschreiben und hat seine Prämisse. Denn die Prämisse beinhaltet letztlich nicht mehr als eben diesen Anfangs- und Endpunkt.

Die Prämisse trifft also eine Aussage zum Anfang und zum Ende einer Geschichte. Wäre dann die Aussage „Thomas steht an einem Dienstagmorgen auf und geht am Sonntag darauf glücklich ins Bett“ schon eine Prämisse? Schließlich könnte es doch eine Geschichte geben, die genau so beginnt und endet. Nein! Der Text könnte so beginnen und enden, die eigentliche Geschichte beginnt später und endet früher.

Dazu müssen wir uns noch einmal klarmachen, dass die Geschichte durch den zentralen Konflikt bestimmt ist. Damit beginnt sie mit dem Auftreten des zentralen Konflikts und endet, wenn dieser gelöst ist. Alles, was davor erzählt wird, ist Vorgeschichte, alles, was danach erzählt wird, ist Nachgeschichte.

Die Prämisse könnte man demnach folgendermaßen definieren:


Die Prämisse stellt dem zentralen Konflikt einer Geschichte sein Endergebnis gegenüber.

2. Wie kommt man zu seiner Prämisse?

Wir wollen also die Geschichte von Thomas erzählen, der an einem Dienstagmorgen aufwacht, sich frisch macht und sich vor dem Frühstück die Zeitung holt. Bis dahin ist alles Alltag. Nun findet er im Briefkasten auch einen Briefumschlag. Als er ihn beim Frühstück öffnet, stellt er entsetzt fest, dass es das Kündigungsschreiben seines Arbeitgebers ist. Und damit dringt der Konflikt in Thomas’ Alltag ein.

Hier setzt demnach auch unsere Prämisse ein. Da der zentrale Konflikt immer der des Protagonisten ist, bezieht sich also auch unsere Prämisse immer auf den Protagonisten. Der erste Teil der Prämisse bezieht sich folgerichtig auf Thomas’ Kündigung.

Als nächstes müssen wir uns fragen, wie das alles für Thomas endet. Was am Ende der Geschichte als Folge des Konflikts mit Thomas geschieht. Es geht also nicht darum, was Thomas als nächstes tut, wie er auf die Kündigung reagiert, sondern darum, wie sein Konflikt letztendlich gelöst wird.

Selbst wenn wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Schimmer einer Ahnung haben, wie sich die Geschichte entwickeln wird, können wir jetzt schon festlegen, ob sie gut oder schlecht für Thomas ausgehen soll. Vielleicht wollen wir eine traurige Geschichte erzählen, in der Thomas am Ende auf der Straße und von der Hand in den Mund leben muss. Oder gar eine, in der er am Ende keinen anderen Ausweg sieht, als sich umzubringen.

Oder wir wollen eine Geschichte erzählen, in der es Thomas am Ende besser geht als zuvor. Sagen wir also mal, Letzteres läge uns im Sinn und Thomas soll am Ende der Geschichte rundum glücklich sein.

Jetzt haben wir Anfangs- und Endpunkt der Geschichte, können also unsere Prämisse formulieren:

Die Kündigung führt ins absolute Glück.

Und damit sind wir beim sicherlich größten Problem der Prämisse und der Diskussion über sie angelangt. Dieser Satz klingt nach einer moralischen Weisheit, etwa im Sinne von „Geld macht glücklich“ oder „Einsamkeit macht unglücklich“. In unserem Fall liegt sogar eine höchst zweifelhafte Moral vor, die wohl die Wenigsten als wahr anerkennen würden.

In Wirklichkeit ist das nicht das Problem der Prämisse, denn die trifft keinerlei moralische oder sonst wie wertende Aussage, sie stellt einfach fest, wo der Ausgangspunkt der Geschichte ist und wie es am Ende ausgeht.

Das Problem ist ein rein formales, weil uns die Form aus moralischen Lehrsätzen bekannt ist und wir das nicht aus dem Kopf bekommen.

Nun ist die Prämisse, wie wir noch sehen werden, ein reines Werkzeug für den Autor. Wir müssen sie niemandem zeigen, wir müssen uns damit nicht um einen Verlagsvertrag bemühen und der Leser muss sie auch nicht kennen, um das fertige Werk zu lesen und zu verstehen.

Es gibt also keinen Grund, warum wir es uns mit der Prämisse so schwer machen müssen. Wenn wir es nicht schaffen, uns von den moralischen Hintergedanken zu befreien, formulieren wir die Prämisse einfach eindeutiger:

In meiner Geschichte führt die Kündigung ins absolute Glück.

Das ist immer noch übersichtlich und leicht zu erfassen, aber durch den eindeutigen Bezug auf die eine Geschichte nicht als Moral misszuverstehen.

Eine Variante wäre:

Thomas’ Kündigung führt für ihn ins absolute Glück.

Auch hier gibt es durch die Nennung des Protagonisten den eindeutigen Bezug zur Geschichte.

Um es noch einmal deutlich zu machen, formulieren wir jetzt noch die Prämisse für diejenigen, die sich bei Thomas’ Ausgangslage lieber für die tragische Geschichte entscheiden würden:

In meiner Geschichte führt die Kündigung zum Selbstmord.

Oder:

Thomas’ Kündigung treibt ihn in den Selbstmord.

3. Was macht man nun mit der Prämisse?

Ich sagte es schon: Die Prämisse ist ein Werkzeug für den Autor. Und zwar eines, das ihm helfen soll, einen schlüssigen und konsequenten Plot zu entwickeln.

Es ist, als würden wir uns eine Landkarte vornehmen, auf der wir unseren Ausgangspunkt und das Ziel der Reise markieren. Nun müssen wir nur noch den günstigsten Weg dorthin herausfinden und einzeichnen.

Oder als stellten wir uns eine große Schüssel Pflaumen auf den Tisch und würden uns vornehmen, einen Pflaumenkuchen daraus zu backen. Wir werden ganz bestimmte weitere Zutaten brauchen und ein Rezept, das unsere Pflaumen schließlich in den Kuchen verwandelt.

Mit der Prämisse wissen wir, wir sind in Hamburg und wollen nach München. Oder wir wissen, wir haben Pflaumen und es soll ein Pflaumenkuchen entstehen. Wir wissen, Thomas wird gekündigt und er soll am Ende glücklich sein.

Das Rezeptbeispiel zeigt uns auch sehr schön, dass wir nicht wahllos irgendwelche Zutaten dazumischen können, um das Ziel (Pflaumenkuchen) zu erreichen. Es bringt uns unserem Ziel nicht näher, wenn wir eine Salami aus dem Kühlschrank holen. Auch ein Fleischwolf dürfte in der Regel nicht nützlich sein, es sei denn wir verwenden ihn in einer neuen und für das Rezept zuträglichen Weise.

Die Prämisse gibt uns also nicht nur vor, wo wir beginnen und wo wir enden sollen, sie ermahnt uns gleichzeitig, einen schlüssigen Weg dorthin zu finden. Denn dass Thomas in unserer Geschichte am Ende sein Glück findet, muss direkt auf seine Kündigung zurückzuführen sein. Schlussendlich muss die Geschichte beweisen: Wäre Thomas nicht gekündigt worden, hätte er nicht dieses Glück gefunden. (Oder: Wäre Thomas nicht gekündigt worden, hätte er nicht Selbstmord begangen.)

Die Prämisse hält uns also dazu an, eine Folge von Ereignissen zu entwickeln, die auf dem Ursache-Wirkungs-Prinzip beruhend bis zu dem gewünschten Ergebnis des zentralen Konflikts führt.

Thomas, Tischler in einem kleinen Betrieb, wird von der Kündigung überrascht. Er hat immer die beste Arbeit abgeliefert. Doch seinem Chef gehen die Aufträge aus und, wenn auch mit schlechtem Gewissen, entscheidet er sich, Thomas zu kündigen und den Betrieb mit seinem Sohn allein weiterzuführen.

Thomas versucht seinen Chef zur Rede zu stellen, doch der weicht ihm aus. Thomas lässt es auf sich beruhen und glaubt, es könne nicht schwer sein, einen neuen Job zu finden. Doch er täuscht sich, die Auftragslage sieht allgemein schlecht aus.

Noch einmal versucht es Thomas bei seinem alten Chef. Es scheint, als könne er ihn schließlich überzeugen. Doch der Chef kann sich doch nicht dazu durchringen, Thomas den Vorzug vor dem eigenen Sohn zu geben.

Je länger seine Situation andauert, desto verzweifelter wird Thomas. Sein Ehrgeiz bei der Jobsuche lässt nach. Stattdessen verbringt er mehr und mehr Zeit in Kneipen.

Weil er sich für seine Situation schämt, sucht er sich eine neue Lokalität. Dort lernt er die Tochter des Besitzers kennen und lieben. Anfangs erfindet er eine Karriere, um sie zu beeindrucken. Doch weil es ihn immer öfter in die Gaststätte zieht, durchschaut ihn Mona schnell.

Er erzählt ihr die wahre Geschichte und sie sagt, sie wolle ihn unterstützen, wenn er sich wieder um Arbeit bemühen wolle. Thomas findet neue Motivation durch seine neue Freundin. Aber ein Job ist noch nicht in Sicht.

Mona freut sich über den wiedererwachten Ehrgeiz von Thomas und verrät ihm, dass ein Onkel von ihr seine Werkstatt verkaufen will. Mit Unterstützung ihres Vaters können sich die beiden eine neue Existenz aufbauen.

Das ist jetzt sicher ein recht grob gestricktes und etwas naives Beispiel, aber es zeigt wie die Prämisse erfüllt wird, indem die Kündigung eine Reihe von Ereignissen auslöst, die schließlich dazu führen, dass Thomas absolutes Glück erlebt.

Die Prämisse hilft dem Autor also, seine Handlung zu entwickeln und zu strukturieren. Sie ist damit die Basis für sinnvolles Plotten. Und sie kann auch bei der Ideenfindung helfen, denn man braucht nur den Ausgangs- und Endpunkt der Geschichte, um dann kreativ zu werden.

Wie in der nachfolgenden Übung bieten sich zum Beispiel Sprichwörter und Ähnliches an, um eine (moralfreie) Prämisse aufzustellen, die Grundlage für spannende Geschichten sein kann.

Nehmen wir etwa das Sprichwort „Lügen haben kurze Beine“. Wieder machen wir uns klar, dass wir diesen Satz als Prämisse keinesfalls als Moral missverstehen dürfen.

In seiner Funktion als Prämisse beinhaltet der Satz nun einen Konflikt und dessen Lösung.

Wir könnten damit die Geschichte eines Protagonisten erzählen, der sich in einer oder mehreren Situationen der Lüge bedient, was zu einer Ereigniskette führt, in der schlussendlich die Wahrheit ans Licht kommt, sodass der Protagonist überführt wird und möglicherweise Konsequenzen zu tragen hat.

Ebenso lässt sich der Prämisse eine neue Richtung geben, etwa „In meiner Geschichte führt eine Lüge zu Reichtum“ oder „Bernds Lüge führt zu seinem Liebesglück“.

Veröffentlicht am 06.10.2010
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Kommentare
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Gast Danke, das hat mir auch gerade weitergeholfen!
Vor langer Zeit - Antworten
Gast e
Vergangenes Jahr - Antworten
Gast Vielen Dank hierfür.
Endlich habe ich den Sinn von Prämissen verstanden.
Lg Jana
Vor langer Zeit - Antworten
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