Kurzgeschichte
Die Zeit steht still

Ich betrat die alte Fabrikhalle. Ein kalter Windstoß schlug die Tür hinter mir zu und ließ mich frösteln. Ich schritt weiter in den düsteren Raum hinein. Der Boden war schmutzig, sodass ich die vielen Fußspuren, der Leute, die sich hier trafen, erkennen konnte. High Heels mit Pfennigabsätzen, schwere Boots, einfache Turnschuhe. Und plötzlich roch ich den Tod. Ich schob den schwarzen Vorhang zur Seite, der hier vorher noch nicht gehangen hatte. Vor mir war eine Empore gezimmert worden. Die Seiten waren mit schwarzem Samt verhangen und auf der Empore lag in einem Meer aus weißen Rosen meine Schwester. Sie wurde fast von den Stoffmassen des blutroten Kleides, das aus einer vergangenen Zeit zu kommen schien, verschluckt. Dort auf ihrem Totenbett hatte sie ihre Hände mit einer Rose darin gefaltet, die Augen geschlossen und ihre schwarzen Haare waren sorgfältig hergerichtet. Es sah aus, als würde sie schlafen. Doch ihre Haut war dazu leider viel zu blass. Gestern war sie nicht Heim gekommen. Und heute habe ich sie hier gefunden. Tot. Bitte lass das nur ein Alptraum sein!, dachte ich. Ich wollte zu Luci und sie wecken, um mit ihr nach Hause zu gehen. Ich wollte, dass sie die Augen öffnet und mir sagt, dass alles OK ist! Ich stürzte zu ihr und wäre dabei fast über noch jemanden gestolpert. Am Boden lag ein Typ, der nur ein paar Jahre älter sein musste als meine Schwester Luci, in seinem Blut. Der Tod war so verschieden: Luci war schon fast liebevoll in die Rosen gebettet worden, während der andere offenbar grausam hingerichtet worden war. Ich ging hastig einige Schritte rückwärts und bemerkte plötzlich, dass etwas auf den Boden geschrieben worden war und ich mich in einem Salzkreis befand.

„Er hat dir so viel Schmerz und Kummer bereitet, Luci! Ich werde mich für dich an ihm rächen, für all deine Tränen! Er hat es nicht verdient, weiter auf dieser Welt zu sein, wenn nicht einmal du es bist, meine Liebste! Ich werde ihn in die Hölle schicken und ihn dir zu Füßen opfern! Ich habe dich schon immer geliebt!“, stand dort mit Wachs auf den Boden geschrieben. Mir wurde eiskalt und auf einmal roch dieser Ort für mich nach Kerzenwachs und Räucherstäbchen. Ich sah den Stern in dem Salzkreis und das weiße Wachs, das die Kerzen zurückgelassen hatten. Mir war, als würde ich die mächtigen Kräfte, die bei diesem Ritual heraufbeschworen worden waren, noch in der Luft spüren. Obwohl ich nicht an Zauberei glaube, fragte ich mich unwillkürlich, ob der junge Mann, der dort so reglos auf dem Boden lag, nun wirklich in der Hölle war, so wie sein Mörder es wollte.

Und das alles für Luci.

Wo sie jetzt wohl war? Im Himmel? In der Hölle? Oder war ihre Seele noch hier?

Ich wollte schreien, doch ich konnte es nicht! Ich lief aus der Halle und draußen rannen endlich die Tränen über mein Gesicht.