Vorbemerkung
Bilanz 2019: In den USA sind seit 1950 fast drei Milliarden Vögel verschwunden. Die Anzahl der Vögel hat sich um ein Drittel reduziert.
Aber es gab noch eine ganz gravierendere Vogel Katastrophe in den USA.
(Zur Mahnung wieder eingestellt: 08.03.2020)
Copyright: G..Tetzeli
Cover: G.v.T. Collage (pixabay)
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Die Wandertaube
Es handelt sich um Ectopistus migratorius.
Im Jahr 1914, am 1. September, starb Marta, die letzte Wandertaube der Welt, also vor erst 105 Jahren im Zoo von Cincinnati.
Diese Tatsache ist deshalb so gravierend, weil ca. 1865, rund 45 Jahre zuvor, an die 3,5 Milliarden Wandertauben über die USA zogen. Zur optimalen Zeit soll es sogar 5 Milliarden Wandertauben gegeben haben. Die größte massenhaft vorkommende Wirbeltierart aller Zeiten! (Ausnahme: der Mensch) Außerdem die am häufigsten vorkommende Vogelart, die je auf unserer Erde gelebt hat.
Genetiker versuchen diesem Phänomen auf die Spur zu kommen und sie fanden einiges
heraus. Der Bestand der Wandertaube erlebte offensichtlich in evolutionären Dimensionen ein auf und ab. In den letzen Million Jahren könnte die Population auf 50.000 Individuen gefallen sein und durchschnittlich gehen die Forscher davon aus, dass rund 330.000 Brutpaare normal gewesen seien. Während der letzten, kleinen Eiszeit vor 20.000 Jahren war es mit der Nahrungsquelle, den samentragenden Wäldern, schlecht bestellt, suboptimal, und man vermutet, dass nur wenige überlebten. Diese Bedingungen ändern sich fantastisch für die Wandertaube. Vor 6000 Jahren florierten Buchen-, Eichen- und Kastanienwälder, also vermehrten sich die Wandertauben zu riesigen Schwärmen von
insgesamt vermuteten 1,6 Milliarden Tieren. Schließlich kamen die Europäer ins Land. Man bedenke, dass ein einziger ungeheurer Schwarm an Tauben ungefähr 307.000 Kubikmeter Samen und Nüsse vertilgte. Ach ja, wer viel frisst, scheißt auch entsprechend. Im Wald sorgte der Kot für Waldbrände, der allerdings auch zur Verjüngung der Wälder sorgte. Zum Teil krachten Äste unter dem Gewicht der hunderten von Nestern zusammen. Eine weitere Besonderheit fanden die Genforscher heraus. Die Wandertaube war genetisch gesehen wenig divergent, also ungewöhnlich ähnlich. Das heißt natürlich auch, dass es im Schwarmverhalten, bei der Aufzucht und im Brutgeschäft keinerlei Unterschiede gab, Individualisten, also
Genmutationen waren in der Gemeinschaft nicht gefragt, zu Deutsch nicht überlebensfähig. So hat die riesige Population kaum Möglichkeiten sich veränderten Umweltbedingungen anzupassen.
Aber nun genug der Theorie, wir kommen zur Praxis.
Ab 1800 begannen die Laubwälder zu schrumpfen und solch ein Schwarm, der den Himmel verdunkelte, und zwar über Tage hinaus, war ein Dorn im Auge der Farmer. Es hatte sich auch herum gesprochen, dass diese Viecher wunderbar schmeckten. Eine Ergänzung der spärlichen Nahrung.
Bedenken wir, dass die Tauben allgemein in den Städten fürchterliche Verunreinigungen
anstellen, kann man verstehen, dass die Menschen von solch Schwärmen, schlimmer als Heuschrecken, nicht begeistert waren.
Zudem ließen sich die Täubchen als Nahrungsmittel am Wochenmarkt verkaufen, 50 Cent das Stück. Also fanden sich die Herrschaften massenweise mit Flinten am Waldesrand ein und knallten, was das Zeug hielt. Einzelne führten sogar Schweine mit, um sie sogleich mit den Taubenleichen zu füttern. Ganze Bäume wurden gefällt, damit man auch den hunderten von Nestern habhaft werden konnte, denn der Jungschlupf schmeckte noch viel besser. Die Jagd nahm bizarre Formen an. Gas, Schwefel wurden eingesetzt, um Nistbäume zu entvölkern. In einem einzigen Jahr soll ein Jäger 3 Millionen
Tauben verkauft haben (=1/5 Mio. Dollar).
Die Schusslust verebbte nicht. Als schließlich erkannt wurde, dass der Bestand unter Umständen gefährdet sei, da wurden Gesetze erlassen, die allerdings höchst salopp gehandhabt wurden. Um 1890 war die Wandertaube funktionell ausgestorben.
Im März 1890 nämlich, da schoss ein Junge aus Ohio mit einem Luftgewehr die letzte nachweislich freilebende Taube ab. Fatal, wie oben erwähnt und genetisch bedingt, erwies sich, dass diese Tauben nur in Balzstimmung kommen, wenn sie in Schwärmen leben. Insgesamt spielten Fressfeinde kaum eine Rolle. Es war der mordlustige Mensch, der diese Art vorsätzlich vernichtete.
Marta siechte allein dahin, ohne Ansprache
der Schwarmgenossen, und wie gesagt 1914 war es vorbei.
(von links: Jung - Männchen, Weibchen, wikipedia)
Die Wissenschaftler sabbern vor Glück, dass genügend Genmaterial der vielen Bälger vorhanden ist, die man verwerten kann.
„Wir könnten die Art wiederbeleben“,
prognostizieren sie. Eine Rückzüchtung wäre möglich. Der nächste genetische Erfolg ist um das Jahr 2032 anberaumt.
Was für ein Wahn. Wer stellt denn dieser Art wieder die Buchen-, Eichen- und Kastanienwälder zur Verfügung? Kastanien wurden durch einen Pilz fast vollständig vernichtet, das Abholzen ist auch nicht konstruktiv. Wer mag es wollen, dass es wieder Kot regnet, wo doch Großstädte schon an den ätzenden Exkrementen der Artkollegen verzweifeln? Nein, die Welt ist voran geschritten, nicht zum Besseren, wie ich meine, und die Wandertaube hat unser Raumschiff Erde für immer verlassen.