Diotima von Morra atmete tief ein und aus, um ihre angespannten Muskeln zu lockern. Doch das Brennen in ihrer vernarbten Hand ließ nicht nach. Sie wechselte ihren Krückstock von der Rechten in die Linke und vergrub ihre schmerzenden Finger in den Falten ihres perlenbestickten Gewandes. Schließlich nickte sie ihrer Zofe zu. Eilfertig öffnete das Mädchen die Tür zur Burgkapelle und kündigte sie an. Begleitet vom leisen Kratzen ihres Stockes auf dem Steinboden schritt Diotima auf den Altar
zu. Heute war ihr Hochzeitstag. Sie hatte sich immer ausgemalt, wie ihr Herz an diesem Tag in doppeltem Tempo schlagen würde. Doch das tat es nicht. Warum auch? Sie heiratete Messèr Francesco Adelardi nicht aus Liebe. Im Gegenteil. Ihrer Einwilligung in diese Heirat lag die nüchterne Erkenntnis zugrunde, es könne sich um ihre einzige Chance handeln, der elterlichen Burg mit ihrer bedrückenden Atmosphäre mitleidiger Zurückhaltung zu entkommen. Ihre Schwestern wollten tanzen, auf die Jagd reiten, sich amüsieren. Dass sie dies nicht länger konnte, war kein Grund jeden Spaß aus
Morra zu verbannen. Sie brauchte kein Mitleid. Gräfin Judith und Graf Léon von Morra hatten ihr Gespräch mit dem Priester unterbrochen und sahen ihr entgegen. Das Gesicht ihres Vaters war bar jedes Ausdrucks, das ihrer Mutter zeigte unverhohlene Besorgnis. Die Mienen ihrer Schwestern Iliane und Hilda dagegen verrieten vorsichtige Erleichterung, so als wagten sie noch nicht an die bevorstehende Abreise ihrer verkrüppelten Schwester zu glauben. Ihr Blick wanderte weiter zu dem in teures Schwarz gekleideten Mann, der in Vertretung des Bräutigams mit ihr die Ehe schließen würde. Sein Name war
Fulco. Er hatte ein sanftes, ovales Gesicht, das von hellblonden Locken umrahmt wurde. Seine Umgangsformen waren untadelig und er hatte während der Verhandlungen mit ihrem Vater nicht ein einziges Mal die Stimme erhoben. Diotima hoffte, dass der umgängliche Charakter seines Stellvertreters dem ihres zukünftigen Gemahls entsprach. »Ima?« Ihr Vater trat auf sie zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Bist du dir ganz sicher, Kind? Niemand zwingt dich, zu heiraten, wenn du es nicht willst.« »Ich weiß.« »Deine Mutter fürchtet, du könntest dich aus den falschen Gründen entschlossen
haben Messèr Adelardi zum Mann zu nehmen.« »Ihre Sorge ist unbegründet.« »Ima, du weißt, dass wir ...« »Vater. Es ist gut.« Er musterte sie eindringlich, mit Augen, deren intensiver Farbton sie immer an das Blau der Ysopblüten im Burggarten erinnerte. Sie hatte die Augenfarbe von ihm geerbt, zusammen mit dem Safrangold ihres Haares. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sie darauf sehr stolz gewesen war, doch inzwischen hatte sie begriffen, dass ihr Aussehen weder den Gehstock noch die Narben aufwog. Ihr Vater nickte knapp und kehrte an seinen Platz neben ihrer Mutter zurück.
Er griff nach der Hand seiner Frau und drückte sie. Ima schluckte gegen die altvertraute Welle der Übelkeit an und setzte sich Richtung Altar in Bewegung. Fulco empfing sie mit einer vollendeten Verbeugung und einem warmen Lächeln. »Seid Ihr bereit, Signorina Diotima?« Nein. »Gewiss, mein Herr.« »Nun, dann seid so gut, mit der Zeremonie zu beginnen, Don Michele«, forderte er den Geistlichen auf. Diotima ließ ihn gewähren. Das Sakrament war die notwendige Bekräftigung eines geschäftlichen Handels und verdiente nur beiläufige Aufmerksamkeit. Sie ließ ihre Gedanken wandern. Es würde klappen. Es
musste klappen. Sie wollte ihren eigenen Hausstand. Wollte beweisen, wozu sie fähig war, wenn man sie endlich nicht mehr wie ein rohes Wachtelei behandeln würde. Wenig später steckte ihr Fulco einen Ring an den behandschuhten Finger und Don Michele erkläre sie mit strahlender Miene zur rechtmäßigen Gemahlin des Nobiluomo Francesco Adelardi. Fulco verbeugte sich erneut und wich hastig einen Schritt zurück, um dem Überschwang ihren Schwestern zu entgehen, die kichernd ganze Wolken farbenfroher Blütenblätter in die Luft warfen, um dem Brautpaar Glück zu
wünschen. Diotima fröstelte. Sie hatte sich immer wieder gesagt, dass diese Heirat der Preis war, den sie für ein Leben ohne mitleidige Blicke in Kauf nehmen musste. Aber das traf nicht zu. Innerhalb einer Familie sollte es keinen eiskalten Hauch der Entfremdung geben, keine lähmende Scham, die von ihr verlangte, sich zu verstellen. Fulco räusperte sich diskret und Ima wandte sich wieder ihm und den praktischen Fragen zu. Sie wäre am liebsten sofort zu ihrem neuen Heim aufgebrochen, doch in dieser Angelegenheit hatten ihre Eltern nicht mit sich reden lassen. Ein Festmahl
musste es geben, doch zumindest hatten sie sich von dem Gedanken abbringen lassen, dazu sämtliche Nachbarn einzuladen. So waren es nur die Burgleute, die hinter ihnen in den Saal strömten. Fulco führte sie zu den Ehrenplätzen an der Stirnseite der Tafel und rückte ihr den Stuhl zurecht. Auch hier waren Iliane und Hilda am Werk gewesen und hatten das Tischtuch üppig mit Blütenblättern bestreut. Ungeduldig wischte Ima eine Rosenknospe von ihrem Teller. Sie verspürte keinen Appetit, obwohl ihre Mutter dafür gesorgt hatte, dass alle ihre Lieblingsgerichte auf den Tisch kamen. Sie ließ sich vom Entenbraten vorlegen. »Erzählt mir ein
wenig von meinem neuen Heim«, bat sie. Fulco ließ sich das nicht zweimal sagen und erging sich in ausschweifenden Beschreibungen des Hauses, der Obstgärten und Weinberge, die zum Besitz gehörten. Das monotone Gleichmaß seiner Stimme war ermüdend. Glücklicherweise schien er nicht von ihr zu erwarten, dass sie sich am Gespräch beteiligte. Eine leichte Unruhe am Eingang des Saales erregte ihre Aufmerksamkeit. Einer der Pagen führte einen Mann in einem wappenlosen Waffenrock herein. Der Mann verneigte sich vor ihren Eltern und sprach eine Weile mit ihrem Vater. Dieser wies schließlich in ihre Richtung. Der Bote
trat vor sie und verbeugte sich erneut. »Monna Diotima, ich bin beauftragt, Euch dieses Geschenk zu überreichen.« Diotima nahm das Päckchen in die Hand und drehte es um. Es war in Wachstuch eingeschlagen und enthielt keinerlei Hinweis auf den Absender. Sie legte es auf den Tisch. »Wer hat Euch beauftragt?«, fragte sie. »Öffnet es«, erwiderte der Bote. »Der Inhalt wird Euch die Herkunft des Geschenks verraten.« Ima entfernte das Wachstuch und fand ein kleines Holzkästchen. Es enthielt eine mit Edelsteinen besetzte Schmucknadel und eine Botschaft. Hitze stieg in ihren Nacken und die Wangen.
Sie starrte auf die Botschaft, die aus willkürlich aneinandergereihten Lettern und Zahlen zu bestehen schien. Lautlos zählte sie die Buchstaben ab und verschob sie, wie es der Lösungsschlüssel vorgab. Meglio un anno come un leone, da cento anni come una pecora. Bleib stark. Und ergreife dein Glück mit beiden Händen, sobald du es siehst. Diotima schloss das Kästchen und wandte sich wieder ihrem Essen zu. Fulco schien eine Reaktion von ihr zu erwarten, denn als sie nichts sagte, sah er sie an und fragte: »Habt Ihr
herausgefunden, von wem das Geschenk stammt, Monna?«
»Von meiner älteren Schwester Roana. Ihr kennt sie nicht. Sie hat nach Sizilien geheiratet.«
»Sizilien? Das ist weit. Wie kann sie so schnell von Eurer Vermählung erfahren haben?«
»Es war kein Hochzeitsgeschenk«, sagte Ima.
Ganz im Gegenteil. Das Kästchen enthielt eine tödliche Waffe.
Am nächsten Morgen brach Diotima mit Fulco, seinen Reitknechten und Dienern und den Soldaten ihres Vaters zu ihrem neuen Heim auf. Noch im Morgengrauen hatte sie eine Runde durch die Burg gemacht, um sich zu verabschieden: von der Köchin, dem Falkner, dem Stallmeister und einigen Freunden aus Kindertagen. Den Abschied von ihren Eltern und den Schwestern hielt sie bewusst kurz. Ihr Vater schien damit zufrieden. Ihre Mutter dagegen war ärgerlich. »Deine Abreise scheint dich ja nicht sonderlich zu
betrüben. Du kannst es anscheinend nicht erwarten, so weit wie möglich von uns fortzukommen.« »So weit wie möglich?«, sagte Diotima. »Wohl kaum. Das Haus meines Gemahls liegt nur lächerliche vier Tagesritte entfernt. Da können wir ja beinahe noch Signalflaggen benutzen, um uns zu verständigen.« Das war ein hässlicher Schlag, aber Ima konnte kein Bedauern aufbringen. Mit Fulcos Hilfe bestieg sie ihren Reisewagen und machte es sich neben ihre Zofe Bianca auf dem gepolsterten Sitz bequem. Unter Peitschenknallen und den Rufen der Knechte setzte sich das Fahrzeug knirschend in Bewegung. Fulco
hatte für die Gepäckwagen fünf Reisetage veranschlagt, eine Aussicht, die Ima wechselweise mit Ungeduld oder Unruhe erfüllte. Sie wäre lieber geritten, doch der Preis, den sie für diese Eitelkeit zu zahlen haben würde, war nicht akzeptabel. Sie hatte nicht vor, ihrem Gemahl als zitterndes, hilfloses Bündel unter die Augen zu kommen, das vor Schmerzen nur noch halb bei Verstand war. Fulco schien ein wenig von ihrem Dilemma zu erahnen, denn erließ seine Stute neben dem Wagen kantern und gab sich redlich Mühe, sie mit lustigen Geschichten und Anekdoten aus ihrer trüben Stimmung zu reißen. Zur Mittagszeit des fünften Reisetages
überschritten sie die Grenze zum Landbesitz ihres Gemahls und näherten sich dem Valle del Tasso mit dem befestigten Landgut der Adelardi. Ima saß neben dem Kutscher, um einen besseren Ausblick zu haben. Vergnügt lächelnd zeigte Fulco auf die Weinberge, die sich rechts des Weges erstreckten, und die jetzt Anfang August voller rotvioletter Trauben hingen. Das Tal empfing sie mit milchweißem Himmel über dunstig verhangenen Bergen. An einer Stelle schien der silbrige Schleier ein wenig dunkler. Fulco richtete sich in den Steigbügeln auf und reckte den Hals. »Stimmt etwas nicht?«, fragte
Ima. Fulco winkte ab. »Einen Augenblick lang dachte ich, ich sähe aus dem Tal Rauch aufsteigen. Vermutlich nur eine Wolke, die mir ein Trugbild vorgegaukelt hat.« Diotima blickte ihn an. »Sagt, sollten wir nicht einen Boten vorausschicken, der unsere Ankunft meldet?« »Das ist nicht nötig, Monna Diotima. Hinter dieser Anhöhe senkt sich der Pfad und geht in das Tal über. Dann sind es nur noch drei Meilen bis zum Haus.« Einer der Soldaten zügelte plötzlich sein Pferd. »Es riecht hier tatsächlich nach Rauch, Messèr Fulco!« Fulco spornte sein Pferd an. Mit einem Satz war das Tier auf und davon und
stürmte von seinem Reiter angetrieben den Hügel hinauf. Ima blickte mit offenem Mund auf den Soldaten und dann dem verschwindenden Fulco nach. Im nächsten Augenblick entriss sie dem verblüfften Kutscher Peitsche und Leinen und trieb die Zugpferde an. Wenig später hielten Soldaten und Wagen in einer Staubwolke an Fulcos Seite auf der Hügelkuppe. Im Westen wellten sich Wiesen und Weinberge grünlich schimmernd dahin und senkten sich zu einer zinnengekrönten Umfassungsmauer ab. Dahinter lagen die Casa Adelardi mit ihrem viereckigen Turn, die Wirtschaftsgebäude und Ställe. Einen Augenblick lang war nichts zu
sehen, und einer der Soldaten begann zu scherzen. »Ich hoffe, Eure neue Köchin ist nicht mit meiner Alten verwandt. Die hat nämlich drei Monate gebraucht, bis sie Bescheid wusste, wie man aus einem anständigen Stück Fleisch keine Stiefelsohlen macht.« Der Wind strich ihnen um die Gesichter und schlug um. Eine große Säule, schwarz wie die Mitternacht, stieg am Ende des Tales auf und hing schwankend über dem Horizont. Fulco galoppierte mit blitzartiger Schnelle den Hang hinab und die Soldaten hinter ihm drein, aus Leibeskräften brüllend. Die Knechte schlossen sich an und Ima und der
Kutscher blieben sich selbst überlassen. Resigniert nahm sie die Leinen auf und machte sich daran, für den Wagen einen Weg ins Tal zu finden.
Leone Savelli hasste es, vor Tau und Tag aus dem Schlaf gerissen zu werden. Als die Alarmglocke erklang, dachte er zuerst, er sei im Feldlager und sie würden von feindlichen Truppen angegriffen. Er rappelte sich hoch, den kalten Griff seines Schwertes in der Hand und sah, dass er sich auf dem Heuboden ihrer Unterkunft in der Nähe von Verona befand, während sich seine gleichermaßen verwirrten Kameraden neben ihm fluchend aus ihren Decken
schälten. Von der Luke her erklang eine sanfte Stimme, die Leone als die des Venezianers Belladonna erkannte und die auf griechisch zu ihnen sprach. »Meine Herren. Der Capitano lässt um Entschuldigung bitten für die Störung Ihrer Nachtruhe. Ihre Anwesenheit wird im Hof verlangt, gerüstet und abmarschbereit in fünfzehn Minuten. Ferner wurde ich gebeten, auszurichten, dass jeder, der nicht pünktlich eintrifft, in Zukunft auf sich selbst gestellt ist.« Keiner der Männer verspätete sich.
Doch die Qualität der Stille, mit der sie ihrem Anführer entgegensahen, war so ätzend wie Brandkalk. Santiago Diaz war zwei Tage fort gewesen und er sah aus, als habe er in dieser Zeit nicht eine Minute geschlafen. Seine Kleidung, schwarz und kostbar, wirkte ein wenig schlampig, sein sonnengebräuntes Gesicht zeigte eine aschgraue Tönung. Er trug die Augenklappe, was nach Leones Erfahrung bedeutete, dass er sich mit heiklen Angelegenheiten beschäftigt hatte, die es nötig machten, sein Geheimnis
zu verbergen. Doch in Santiagos bersteingoldenem Auge stand ein mutwilliges Funkeln. Er zog ein in Leder eingeschlagenes Päckchen aus seiner Satteltasche und warf es Leone zu. »Lies vor«, sagte er liebenswürdig. Leone öffnete das Päckchen und entrollte eine auf lateinisch verfasste Urkunde. Er überflog die Worte und hob dann den Kopf. »Großer Gott, Capitano, was ist das?« Santiago sah ihn nur wortlos an. Leone vertiefte sich eilig wieder in den Text und begann mit seinem
Vortrag. »Wir übergeben als Eigen den uns früher zu Eigentum gehörenden Besitz im Valle del Tasso durch dieses Schriftstück mit allen Rechten ... cum omnibus eidem praedio iuste et legaliter pertinentibus mobilibus ... die diesem Besitz nach Recht und Gesetz zugehören, beweglichen und unbeweglichen Dingen, Flächen, Gebäuden, Äckern, bebautem und unbebautem Land, Wiesen, Weiden und gemeinsamen Weideflächen, Jagden, Gewässern und Wasserläufen, Fischgründen, Mühlen, erschlossenen
und unerschlossenen Gebieten, Zutritts- und Wegerechten, Forderungen und Außenständen und allem übrigen, was man auf beliebige Weise als Zubehör anführen kann, derart, dass der ehrenwerte Messèr Santiago Diaz von nun an die freie Verfügungsgewalt über diesen Besitz haben soll und dazu Erbrecht, Vergabe-, Verkaufs- und Tauschrecht oder was auch immer ihm für seinen Vorteil zu tun beliebt ...« Niemand regte sich. »Ich wiederhole meine Frage«, ließ sich Leone vernehmen. »Was ist
das?« »Das«, sagte Santiago im gleichen liebenswürdigen Ton, »ist die Besitzurkunde für das neue Hauptquartier unserer Truppe.« »Und - wird man uns mit Pfeilen und Schwertern empfangen, wenn wir versuchen, es in Besitz zu nehmen?« »Mitnichten.« Er legte Belladonna, dessen richtiger Name Darius Katsaros lautete, die Hand auf den Arm. »Unser Freund hier hat dafür gesorgt, dass wir eine ordentliche Kaufurkunde bekommen. Wirklich, Leone, du hättest sehen sollen, mit
welch vollendeter Eleganz er den Florentiner Bankier gemimt hat.« »Mich interessiert viel mehr, wer der bedauernswerte Wicht ist, den ihr dabei übers Ohr gehauen habt«, sagte Leone. »Ich fürchte, ich muss dich enttäuschen«, erwiderte Santiago mit trügerischer Milde. »Es war ein schlichtes Wechselgeschäft.« Von Leone kam ein explosiver Laut. »Erzähl das deiner Großmutter, falls du eine hast«, erwiderte er. »Mit wie vielen Gegnern bekommen wir es zu
tun?« Das unheilverkündende Funkeln wurde plötzlich zur Flamme. »Du, mein Lieber, bekommst es gleich mit einem Gegner zu tun. Nämlich mit mir.« Er und Leone starrten sich an. Dann fügte Santiago hinzu, und die Sanftheit war ganz aus seiner Stimme verschwunden: »Ich habe meine Versprechen gehalten. Ich habe euch mit erstklassigen Waffen ausgerüstet. Eure Bäuche sind voll und es kann keiner behaupten, er hätte sich unter meiner Führung jemals den Hintern
abfrieren müssen. Jetzt habe ich euch ein festes Dach über dem Kopf verschafft, was bedeutet, dass wir es auch im nächsten Winter warm und behaglich haben werden. Frag deine Kameraden, ob sie der Meinung sind, sich darüber beklagen zu müssen.« Daraufhin setzte Santiago sein Pferd in Bewegung und die Männer zeigten Leone, wie nutzlos es war, sich mit dem Capitano über die Angelegenheit zu streiten, indem sie ihre Pferde wortlos hinter ihrem Anführer einreihten. Mit grimmig verzogenen Lippen trieb
Leone sein Pferd an. Im Grunde konnte er Santiago nichts vorwerfen. Er hatte Wort gehalten, und sich in den Monaten, seit er begonnen hatte seine hoch qualifizierte Kompanie auszubilden, nicht geschont. Er hatte brauchbare Männer angeworben, hatte sachkundig und geschickt die besten Waffenmeister ausfindig gemacht, die die Männer einem knochenharten Training unterzogen und sie zu dem formten, was nach Santiagos Willen einmal die schlagkräftigste Söldnertruppe des Landes werden sollte. Nun hatte er
auch seine letzte Zusage wahr gemacht und ihnen ein festes Quartier beschafft. Doch etwas an dieser Wechselgeschichte war nicht richtig. Da war ein Unterton in Santiagos Stimme gewesen, der ihm die Eingeweide zusammenzog. Leone wusste nicht, ob mit einer unmittelbaren Gefahr zu rechnen war, aber der etwas überstürzte Aufbruch im Morgengrauen schien darauf hinzudeuten, das Santi Komplikationen erwartete. Belladonna dagegen saß mit seiner üblichen Unbekümmertheit im Sattel.
Aber wenn Leone in den vergangenen sechs Monaten eines geschärft hatte, so war es sein Instinkt für feine Nuancen. Belladonna war ebenso wachsam wie ihr Anführer. In flottem Trab bewegten sie sich durch die sommergrüne Landschaft. Die Luft war angenehm frisch und die Hitze der vergangenen Woche schien nur noch eine ferne Erinnerung. Seit sie aufgebrochen waren, hatten weder Santi noch Belladonna ein Wort gesprochen. Leone war es recht. Seine Arbeit als Baumeister konnte
er ohnehin nicht in Angriff nehmen, bevor er das Haus gesehen hatte und für müßiges Geplauder war er zu dieser frühen Stunde nicht zu haben. In Gedanken ging er eine Reihe von Berechnungen durch, die mit der Unterbringung ihrer siebzig Männer zu tun hatte. Er sagte: »Woher wissen wir eigentlich, dass dieses Haus für unsere Zwecke geeignet ist? Es könnte zu klein sein, alt, baufällig ...« »Ist es nicht«, erwiderte Santiago. »Ich habs mir angesehen.« Damit gab er seinem Pferd die Sporen und ließ
es galoppieren. Die Straße führte jetzt sanft abwärts und lief in einem Bogen auf den Eingang des Valle del Tasso zu. Leone hing seinen Gedanken nach und machte einen Satz im Sattel, als sich von der Seite her Santiagos Hand um die seine schloss und ihn zum Anhalten veranlasste. »Verdammt, Leute, riecht ihr das?«, fragte Belladonna. »Rauch!« Er trieb sein Pferd vorwärts. Kaum war er um die Biegung der Straße
verschwunden, hörten sie auch schon seinen Schrei. »Santi! Schnell! Der Feigling hat das Haus angezündet!«
»Darius! Nimm dir zwanzig Männer und sichere die Straße!«, befahl Santiago. »Der Rest kommt mit mir!«
Die gegen die Mauer aufgetürmte Reisigbündel flammten lichterloh, als Santiagos Trupp auf das Haus zugestürmt kam. Sie rissen die Reisighaufen weg und brachen mit Äxten durch das Haupttor und dann abermals durch die Tür zur Halle. Dort fanden sie die weiblichen Bediensteten des Hauses vor, die sich schreckensstarr aneinanderklammerten. Santiago überließ sie der Obhut seiner Männer und begab sich mit Leone nach
draußen, um die restlichen Gebäude der Hofanlage in Augenschein zu nehmen. Kaum hatten sie jedoch eine Hausecke umrundet, blieben sie abrupt stehen. Sie tauschten einen Blick, ein paar knappe Handzeichen und gingen lautlos auf das Getrampel und Geschrei zu, dass jetzt deutlich hinter der nächsten Biegung der Straße zu hören war. Über den Lärm hinweg ertönte die Stimme von Belladonna laut und aufgebracht. Ein schallendes Gelächter folgte. Santiago und Leone überquerten den Wassergraben, schlugen sich in die
Büsche und hatten einen Augenblick später ihre heiteren Kameraden eingeholt. Es war ein erstaunlicher Anblick. Die meisten Männer waren vom Pferd gestiegen und hielten ein kleines Kontingent fremder Soldaten in Schach. Die Straße war vollgestopft mit behelmten Köpfen, allesamt lautstark streitend, von denen sich jedoch keiner dem Reisewagen näherte, der wie eine Insel aus dem freien Raum um ihn herum aufragte. Den meisten Lärm machte Belladonna, der allein mitten auf der
Straße stand, das Gesicht seinen Männern zugekehrt und lautstark gegen eine Armbrust protestierte, deren Bolzen auf seinen Magen gerichtet war, ohne zu wanken. Die Armbrust hielt eine junge Frau, die nicht älter als achtzehn sein konnte. Der Anblick war selbst aus dem Dickicht heraus, in dem Santiago und Leone standen, aufsehenerregend. Das Sonnenlicht fiel auf safrangoldenes Haar, das von der glatten Stirn bis zur Hälfte ihres Rückens reichte, und ihr Gesicht in seiner quellwasserähnlichen Reinheit
wühlte die Sinne auf wie der Klang aufeinanderprallender Schwerter. Sie sah aufgebracht aus. Ein kleines, ersticktes Geräusch stieg aus Leones Kehle auf, ohne dass er es merkte. Santiagos Geste brachte ihn zum Verstummen. »Reiß dich zusammen. Eine hübsche Blume, da bin ich ganz deiner Meinung, aber ein wenig zu giftig, um sie abzupflücken.« Und er nahm die Hand weg und verschmolz mit der Umgebung. Leone trat einen Schritt vor, dann einen zurück; und dann blieb er, wo er war, die Linke zur
Faust geballt, die Nägel in die Handfläche gebohrt. Inzwischen hatte sich der Lärm noch verstärkt. Während er dem Getümmel lauschte, begriff Leone bald, was geschehen war. Die junge Frau und ihre Eskorte hatten den Rauch gesehen und eine Gruppe bewaffneter Fremder vorgefunden. Dass die Frau den Fremden die Schuld an dem Feuer gab, war nur natürlich. Während die Männer sich mit ihrer Eskorte beschäftigten, hatte sie Belladonna geschickt isoliert und eine Armbrust in Anschlag
gebracht. Jeder aus Santiagos Truppe hätte sie überwältigen können, selbst auf die Gefahr hin, dass die Frau tatsächlich geschossen hätte. Belladonna hatte genug Tricks auf Lager, um einem Treffer zu entgehen. Doch nach der so rüde unterbrochenen Nachtruhe hatte die Männer vermutlich das Gefühl, sich ein wenig Spaß verdient zu haben. »Habt Erbarmen, Monna«, schrie einer der Bogenschützen. »Er ist der einzige Ernährer seiner alten Mutter und seiner zehn vaterlosen
Vettern!« Und Belladonna keifte zurück: »Wir haben das Haus nicht angesteckt, wir haben den Brand gelöscht! Nehmt um Himmels willen die Waffe herunter. Mit Verlaub, Monna, Ihr könntet aus Versehen den Abzug berühren. Wir sind keine Wegelagerer, Monna, wir gehören zur Compagnia der Skorpione - könnt ihr verdammten Mistkerle jetzt wohl das Maul halten?« Leone machte einen hastigen Schritt nach vorne und blieb gleich wieder stehen, denn Santiago hatte ein Stück
hinter der jungen Frau den Weg betreten. Seine Männer konnten ihn vermutlich nicht alle sehen, denn das Geschrei endete nicht abrupt, sondern erstarb nach und nach. Nur die Frau, die Belladonna weiterhin mit der Armbrust bedrohte, bemerkte nichts. »Kompanie der Skorpione? Ich sehe da keinen Unterschied zu einem Trupp Wegelagerer«, gab sie bissig zurück. »Männer wie Euer verlotterter Haufen haben gewiss keine Skrupel ein Haus anzuzünden, nachdem sie es ausgeplündert
haben.« »In diesem Fall schon«, erklang Santiagos kalte Stimme. »Es wäre schließlich ziemlich dumm, sich das eigene Dach über dem Kopf anzuzünden, findet Ihr nicht?« Wie gewöhnlich hatte er sich mit der Lautlosigkeit einer Raubkatze herangepirscht. Er wirkte vollkommen sorglos; mit den Händen im Schwertgurt erweckte er den Eindruck, er gehe spazieren. Seine Männer hatten nach einem kurzen, verwirrten Schweigen pflichtschuldig weitergebrüllt, wenn auch merklich
harmloser, bis er schließlich knapp ein Dutzend Schritte von der jungen Frau entfernt stehen blieb. Leone hatte erwartet, dass die Frau herumfahren würde, doch zu seiner Verblüffung tat sie es nicht. »Ihr da, hinter mir. Keinen Schritt näher, oder Euer Mann fängt sich einen Bolzen ins Gemächt«, drohte sie ruhig. Santiago stürzte sich mit der Schnelligkeit einer Jagdkatze auf die Frau. Leone preschte aus seiner Deckung und sah den Bolzen harmlos gen Himmel sausen. Santiago riss der Frau die Armbrust aus den Händen
und warf sie Leone zu. »Hab ich es nicht gesagt? Unsere Blume ist giftig«, bemerkte er in zuckersüßem Ton. Leone warf einen Blick auf die Frau, die mit züchtig gesenkten Blick dastand und sich in ihr Schicksal ergeben zu haben schien. Doch im nächsten Moment fuhr sie herum und verpasste Santiago mit ihrem Krückstock einen Stoß in den Unterleib, der ihn schlicht umwarf. »Lügner«, sagte die Frau mit klarer Stimme. »Dieses Haus gehört Messèr Francesco Adelardi. Und somit auch
mir. Ich bin seine Ehefrau.« »Bringt sie ins Haus und sperrt sie ein«, stieß Santiago keuchend hervor. »Aber keiner rührt sie an, bevor ich zurückkomme, verstanden? Ich habe noch etwas zu erledigen.« In kurzen Stößen atmend, das Gesicht kalkweiß rappelte er sich auf und ging davon. Im ersten Moment ließ selbst Leone sich täuschen, doch dann fiel sein Blick auf die sich entfernende Gestalt Santiagos. Er sah die seltsam abgehackten Bewegungen und begriff, dass er seinem Anführer bei einem heimlichen
Rückzugsgefecht zusah. Eilig übergab er die Frau an zwei Soldaten und sprintete hinter Santiago her. Er fand ihn zusammengekrümmt im Dickicht neben der Straße. Selbst Leone, der schon stürmische Zeiten erlebt hatte, hatte noch nie einen Mann so qualvoll erbrechen sehen. Schwer atmend ließ er sich neben Santiago auf die Knie nieder und stützte ihn, bis es vorüber war. Dann half er ihm mit sanfter Gewalt auf die Füße und führte ihn auf den Weg
zurück. »Glaubst du, das Mädchen sagt die Wahrheit?«, fragte er. Santiago befreite sich behutsam aber nachdrücklich aus seinem Griff. »Vermutlich. Ich sehe keinen Grund, warum sie lügen sollte.« »Francesco, der eingefleischte Hagestolz. Kommt dir der Zeitpunkt der Heirat nicht ein wenig plötzlich vor?« Santiago zeigte ein kurzes Aufblitzen weißer Zähne. »Ich wette, unsere Blume verfügt über eine Mitgift, die ihre Dornen vergessen
lässt.« »Du denkst, er hat sie nur geheiratet, um an ihr Geld zu kommen? Armes Mädchen.« Santiago warf ihm einen eisigen Blick zu. »Vergiss die Göre. Denk daran, wir sind gewöhnliche, grobschlächtige Kämpfer, keine gottesfürchtigen Betschwestern, die sich Sorgen um gefährdete Jungfrauen machen müssen.« Bei den unbekümmerten Worten biss Leone die Zähne zusammen. »Was hast du jetzt vor?«, fragte er knapp. »Ich? Mir ein Bett suchen und
schlafen.«
Die gegen die Mauer aufgetürmte Reisigbündel flammten lichterloh, als Santiagos Trupp auf das Haus zugestürmt kam. Sie rissen die Reisighaufen weg und brachen mit Äxten durch das Haupttor und dann abermals durch die Tür zur Halle. Dort fanden sie die weiblichen Bediensteten des Hauses vor, die sich schreckensstarr aneinanderklammerten. Santiago überließ sie der Obhut seiner Männer und begab sich mit Leone nach
draußen, um die restlichen Gebäude der Hofanlage in Augenschein zu nehmen. Kaum hatten sie jedoch eine Hausecke umrundet, blieben sie abrupt stehen. Sie tauschten einen Blick, ein paar knappe Handzeichen und gingen lautlos auf das Getrampel und Geschrei zu, dass jetzt deutlich hinter der nächsten Biegung der Straße zu hören war. Über den Lärm hinweg ertönte die Stimme von Belladonna laut und aufgebracht. Ein schallendes Gelächter folgte. Santiago und Leone überquerten den Wassergraben, schlugen sich in die
Büsche und hatten einen Augenblick später ihre heiteren Kameraden eingeholt. Es war ein erstaunlicher Anblick. Die meisten Männer waren vom Pferd gestiegen und hielten ein kleines Kontingent fremder Soldaten in Schach. Die Straße war vollgestopft mit behelmten Köpfen, allesamt lautstark streitend, von denen sich jedoch keiner dem Reisewagen näherte, der wie eine Insel aus dem freien Raum um ihn herum aufragte. Den meisten Lärm machte Belladonna, der allein mitten auf der
Straße stand, das Gesicht seinen Männern zugekehrt und lautstark gegen eine Armbrust protestierte, deren Bolzen auf seinen Magen gerichtet war, ohne zu wanken. Die Armbrust hielt eine junge Frau, die nicht älter als achtzehn sein konnte. Der Anblick war selbst aus dem Dickicht heraus, in dem Santiago und Leone standen, aufsehenerregend. Das Sonnenlicht fiel auf safrangoldenes Haar, das von der glatten Stirn bis zur Hälfte ihres Rückens reichte, und ihr Gesicht in seiner quellwasserähnlichen Reinheit
wühlte die Sinne auf wie der Klang aufeinanderprallender Schwerter. Sie sah aufgebracht aus. Ein kleines, ersticktes Geräusch stieg aus Leones Kehle auf, ohne dass er es merkte. Santiagos Geste brachte ihn zum Verstummen. »Reiß dich zusammen. Eine hübsche Blume, da bin ich ganz deiner Meinung, aber ein wenig zu giftig, um sie abzupflücken.« Und er nahm die Hand weg und verschmolz mit der Umgebung. Leone trat einen Schritt vor, dann einen zurück; und dann blieb er, wo er war, die Linke zur
Faust geballt, die Nägel in die Handfläche gebohrt. Inzwischen hatte sich der Lärm noch verstärkt. Während er dem Getümmel lauschte, begriff Leone bald, was geschehen war. Die junge Frau und ihre Eskorte hatten den Rauch gesehen und eine Gruppe bewaffneter Fremder vorgefunden. Dass die Frau den Fremden die Schuld an dem Feuer gab, war nur natürlich. Während die Männer sich mit ihrer Eskorte beschäftigten, hatte sie Belladonna geschickt isoliert und eine Armbrust in Anschlag
gebracht. Jeder aus Santiagos Truppe hätte sie überwältigen können, selbst auf die Gefahr hin, dass die Frau tatsächlich geschossen hätte. Belladonna hatte genug Tricks auf Lager, um einem Treffer zu entgehen. Doch nach der so rüde unterbrochenen Nachtruhe hatte die Männer vermutlich das Gefühl, sich ein wenig Spaß verdient zu haben. »Habt Erbarmen, Monna«, schrie einer der Bogenschützen. »Er ist der einzige Ernährer seiner alten Mutter und seiner zehn vaterlosen
Vettern!« Und Belladonna keifte zurück: »Wir haben das Haus nicht angesteckt, wir haben den Brand gelöscht! Nehmt um Himmels willen die Waffe herunter. Mit Verlaub, Monna, Ihr könntet aus Versehen den Abzug berühren. Wir sind keine Wegelagerer, Monna, wir gehören zur Compagnia der Skorpione - könnt ihr verdammten Mistkerle jetzt wohl das Maul halten?« Leone machte einen hastigen Schritt nach vorne und blieb gleich wieder stehen, denn Santiago hatte ein Stück
hinter der jungen Frau den Weg betreten. Seine Männer konnten ihn vermutlich nicht alle sehen, denn das Geschrei endete nicht abrupt, sondern erstarb nach und nach. Nur die Frau, die Belladonna weiterhin mit der Armbrust bedrohte, bemerkte nichts. »Kompanie der Skorpione? Ich sehe da keinen Unterschied zu einem Trupp Wegelagerer«, gab sie bissig zurück. »Männer wie Euer verlotterter Haufen haben gewiss keine Skrupel ein Haus anzuzünden, nachdem sie es ausgeplündert
haben.« »In diesem Fall schon«, erklang Santiagos kalte Stimme. »Es wäre schließlich ziemlich dumm, sich das eigene Dach über dem Kopf anzuzünden, findet Ihr nicht?« Wie gewöhnlich hatte er sich mit der Lautlosigkeit einer Raubkatze herangepirscht. Er wirkte vollkommen sorglos; mit den Händen im Schwertgurt erweckte er den Eindruck, er gehe spazieren. Seine Männer hatten nach einem kurzen, verwirrten Schweigen pflichtschuldig weitergebrüllt, wenn auch merklich
harmloser, bis er schließlich knapp ein Dutzend Schritte von der jungen Frau entfernt stehen blieb. Leone hatte erwartet, dass die Frau herumfahren würde, doch zu seiner Verblüffung tat sie es nicht. »Ihr da, hinter mir. Keinen Schritt näher, oder Euer Mann fängt sich einen Bolzen ins Gemächt«, drohte sie ruhig. Santiago stürzte sich mit der Schnelligkeit einer Jagdkatze auf die Frau. Leone preschte aus seiner Deckung und sah den Bolzen harmlos gen Himmel sausen. Santiago riss der Frau die Armbrust aus den Händen
und warf sie Leone zu. »Hab ich es nicht gesagt? Unsere Blume ist giftig«, bemerkte er in zuckersüßem Ton. Leone warf einen Blick auf die Frau, die mit züchtig gesenkten Blick dastand und sich in ihr Schicksal ergeben zu haben schien. Doch im nächsten Moment fuhr sie herum und verpasste Santiago mit ihrem Krückstock einen Stoß in den Unterleib, der ihn schlicht umwarf. »Lügner«, sagte die Frau mit klarer Stimme. »Dieses Haus gehört Messèr Francesco Adelardi. Und somit auch
mir. Ich bin seine Ehefrau.« »Bringt sie ins Haus und sperrt sie ein«, stieß Santiago keuchend hervor. »Aber keiner rührt sie an, bevor ich zurückkomme, verstanden? Ich habe noch etwas zu erledigen.« In kurzen Stößen atmend, das Gesicht kalkweiß rappelte er sich auf und ging davon. Im ersten Moment ließ selbst Leone sich täuschen, doch dann fiel sein Blick auf die sich entfernende Gestalt Santiagos. Er sah die seltsam abgehackten Bewegungen und begriff, dass er seinem Anführer bei einem heimlichen
Rückzugsgefecht zusah. Eilig übergab er die Frau an zwei Soldaten und sprintete hinter Santiago her. Er fand ihn zusammengekrümmt im Dickicht neben der Straße. Selbst Leone, der schon stürmische Zeiten erlebt hatte, hatte noch nie einen Mann so qualvoll erbrechen sehen. Schwer atmend ließ er sich neben Santiago auf die Knie nieder und stützte ihn, bis es vorüber war. Dann half er ihm mit sanfter Gewalt auf die Füße und führte ihn auf den Weg
zurück. »Glaubst du, das Mädchen sagt die Wahrheit?«, fragte er. Santiago befreite sich behutsam aber nachdrücklich aus seinem Griff. »Vermutlich. Ich sehe keinen Grund, warum sie lügen sollte.« »Francesco, der eingefleischte Hagestolz. Kommt dir der Zeitpunkt der Heirat nicht ein wenig plötzlich vor?« Santiago zeigte ein kurzes Aufblitzen weißer Zähne. »Ich wette, unsere Blume verfügt über eine Mitgift, die ihre Dornen vergessen
lässt.« »Du denkst, er hat sie nur geheiratet, um an ihr Geld zu kommen? Armes Mädchen.« Santiago warf ihm einen eisigen Blick zu. »Vergiss die Göre. Denk daran, wir sind gewöhnliche, grobschlächtige Kämpfer, keine gottesfürchtigen Betschwestern, die sich Sorgen um gefährdete Jungfrauen machen müssen.« Bei den unbekümmerten Worten biss Leone die Zähne zusammen. »Was hast du jetzt vor?«, fragte er knapp. »Ich? Mir ein Bett suchen und
schlafen.«
Als Diotima endlich aus ihrem Gefängnis befreit wurde, war der Abend schon angebrochen. Belladonna führte sie in die Wohnhalle, komplimentierte sie auf einen der mächtigen Stühle vor dem Kamin und brachte ihr Wein. Fulco war da, der Anführer ihrer Soldaten und Leone Savelli, Baumeister und Kriegsingenieur der Compagnia. Vom Anführer der Truppe war nichts zu sehen. Belladonna und Leone unterhielten
sich angeregt und gaben sich Mühe, sie in die Unterhaltung mit einzubeziehen, doch ihre Antworten fielen so knapp aus, dass sie es schließlich aufgaben. Dann kam der Einäugige herein. Elegant und weltmännisch, im dunkelroten, mit Goldstickerei verzierten Surcot, kam er näher, ohne Diotima auf dem großen, hochlehnigen Stuhl eines Blickes zu würdigen. Fulco sprang auf. »Ich protestiere gegen diese Behandlung! Ihr habt kein Recht, Monna Adelardi in ihrem
eigenen Haus wie eine Gefangene zu halten. Wer seid Ihr überhaupt?« »Stell mich vor, Leone«, bat der Einäugige in gelassenem Ton und drehte sich endlich zu dem Stuhl um, auf dem Diotima saß. Sie hatte schon vermutet, dass er spanischer Herkunft war und sein Name, Santiago Diaz, bestätigte ihr diese Annahme. »Als ich Francesco Adelardi vor fünf Tagen getroffen habe, war er nicht verheiratet«, sagte Santiago. »Wie kommt es, dass er jetzt plötzlich eine Ehefrau hat?« »Die Trauung fand vor drei Tagen
statt«, warf Fulco ein. »Eine Ferntrauung. Die Urkunde ist bezeugt und gesiegelt.« »Meinen Glückwunsch«, spöttelte Santiago. »Nur leider macht es die Signora nicht zur Besitzerin dieses Anwesens. Ich habe es Francesco Adelardi vor fünf Tagen abgekauft. Die Urkunde ist bezeugt und gesiegelt. Dieses Land, mit allem was darauf ist, gehört mir.« Fulco schüttelte den Kopf. Er war blass geworden. »Das ist nicht möglich. Francesco hatte nicht den Wunsch, zu
verkaufen.« »Das war nicht zu übersehen«, sagte Belladonna. »Schließlich hat er versucht, das Haus anzuzünden.« Fulco bestritt dies in aufgebrachtem Ton und darüber entspann sich ein hitziges Streitgespräch zwischen den beiden Männern. Santiago beachtete sie nicht. Er lehnte in nachlässiger Haltung an der Tischkante und sein Gesicht unter der schwarzen Augenklappe zeigte keine Regung. Diotima streckte ihm ihren Pokal entgegen und er folgte ihrer stummen
Aufforderung und schenkte ihr nach. Bedächtig trank sie einen Schluck und musterte ihn dabei über den Rand ihres Trinkgefäßes. »Ich möchte den Kaufvertrag sehen«, sagte sie. »Selbstverständlich.« Er schnippte mit dem Finger, um Belladonnas Aufmerksamkeit zu erregen, und verlangte die Urkunde. Ima entrollte das Blatt und studierte den Text und die Siegel. »Leone kann für Euch übersetzen«, sagte Santiago. Anscheinend hielt er ihre gerunzelte Stirn für Unverständnis. »Nicht nötig«,
beschied sie ihm knapp. »Die Formeln eines Kaufvertrages sind mir durchaus geläufig.« Und zu ihrem Ärger fand sie am Wortlaut des Vertrages nichts auszusetzen. Blieb nur die Frage, warum ihr Gemahl sich zu diesem höchst unpassenden Schritt entschlossen hatte. Diotima rollte die Urkunde zusammen und gab sie Santiago zurück. »Mein Gemahl hatte Schulden bei Euch, Messèr Diaz, nicht wahr? Wie viel?« Ein kleines, maliziöses Lächeln lief
über Santiagos Züge. Er nannte einen Betrag, der Diotima die Sprache verschlug. »Die Summe ist ein wenig höher als der Gegenwert dieses Anwesens, Monna, aber ich bin ja kein Unmensch. Ich betrachte mich als zufriedengestellt.« Ima stellte ihren Weinkelch auf dem Boden ab, »Ich kaufe das Haus zurück«, sagt sie mit einer Stimme, die selbst in ihre Ohren unnatürlich hoch klang. Schweigen. »Warum?«, fragte
Santiago. »Ich brauche ein Dach über dem Kopf.« »Da wo Ihr herkommt, hattet ihr eins.« »Ich will meinen eigenen Haushalt.« »Sucht ihn Euch anderswo.« Sie schoss von ihrem Stuhl hoch. »Ich will aber dieses Haus -« Ima fand, es klang ein wenig würdelos und wählte eine andere Formulierung. »Werft mich hinaus und ich komme zurück.« Das Blut schoss ihr in den Kopf. »Mit einer Armee.« Santiago lachte sie einfach
aus. Ima starrte ihn einen Moment lang empört an, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Das war keine sonderlich geistreiche Bemerkung, nehme ich an. Aber Ihr müsst zugeben, meine Lage ist auch nicht gerade alltäglich.« »In der Tat. Was soll ich jetzt mit Euch anfangen?« »Nun, Ihr könntet Messèr Adelardi benachrichtigen, damit er uns neue Anweisungen zukommen lässt«, sagte Ima. »Ich fürchte, das geht nicht«,
entgegnete Santiago. »Euer Gemahl hat Verona noch vor uns verlassen. Er könnte inzwischen überall sein.« »Dann sucht ihn für mich.« »Findet Ihr nicht, Ihr fordert ein bisschen zu viel von mir?«, fragte er und verschränkte die Arme. Ima spürte ihr Herz rasen. Sie war einer Panik nahe. Sag es nicht, sag es nicht, sag es nicht, dachte sie flehentlich, süßer Jesus, mach, dass er es nicht sagt ... Aber offenbar waren die himmlischen Heerscharen anderweitig beschäftigt. »Ihr reist morgen ab«, sagte
Santiago. »Wohin auch immer.« »Du meine Güte ... Ihr könnt uns doch nicht einfach vor die Tür setzen«, mischte sich Fulco ein. »Das widerspricht jedem Gebot der Gastfreundschaft.« »Ihr seid nicht vom Himmel gefallen« erwiderte Santiago. »Geht einfach dorthin zurück, woher ihr gekommen seid.« »Ist das Euer letztes Wort?«, fragte Ima leise. »Es gibt nichts, womit ich Euch umstimmen könnte?« Santiago bewegte sich mit der
Geschmeidigkeit einer Katze. Ohne Rücksicht auf den schockierten Protest Fulcos, trotz Leones Ruf und Belladonnas hämischem Gelächter zog Santiago sie mit einer festen, geschickten Bewegung an sich. »Es gäbe da durchaus etwas«, murmelte er an ihrem Ohr. »Ich bin ein Anhänger von Laster und menschlichen Freuden. Ich biete dir die Chance, in meiner Währung zu bezahlen. Willst du sie?« Diotima starrte ihn an und fühlte sich unter seinem goldfarbenen Blick wie das Kaninchen vor der Schlange.
Das war es - oder nicht? Sie wollte auf keinen Fall nach Morra zurückkehren und er bot ihr eine Möglichkeit, das bisschen Freiheit zu verteidigen, welches sie gerade erst gewonnen hatte. Aber - »Was«, fragte sie heiser, »muss ich tun? Mit Euch würfeln?« »Nein, meine Blume, darin bin ich dir zu sehr überlegen. Ich dachte an etwas anderes.« Sie spürte seinen Atem, der warm an ihrem Ohr entlangstrich. »Sei für die nächsten sieben Tage die willige Gefährtin meiner Ausschweifungen.
Teile Tisch und Bett mit mir und am Ende der Woche überlasse ich dir die Hälfte des Hauses.« Sie wich hastig einen Schritt zurück. »Seid Ihr noch bei Trost?«, fuhr sie ihn an. »An Eurer Schmutzwühlerei und Euren Weibergeschichten wünsche ich nicht teilzuhaben!« Ein grashalmfeines Lächeln erschien auf Santiagos Gesicht. »Dachte ich es mir doch«, bemerkte er. »Unsere Rose ist dornig. Euer Gemahl wir sicher viel Freude an Euch haben.« Ihm gegenüber erhob sich Fulco von seinem Sitz, »Das geht jetzt aber
wirklich zu weit, Ihr Flegel«, schnauzte er. »Habt die Güte und besinnt Euch darauf, mit wem Ihr sprecht.« Belladonna warf ihm einen seltsamen Blick zu, schaute dann kurz zu Santiago und sagte: »Ich frage mich, wie viel Lösegeld wir für sie wohl bekommen würden. Seine frisch angetraute Ehefrau sollte Adelardi doch ein paar Münzen wert sein.« »Hm«, machte Santiago und wiegte bedenklich das Haupt. »Ich weiß nicht, Belladonna. Würdest du für eine solche Kratzbürste bezahlen?
Ich glaube, ich wäre froh, sie loszusein.« Diotima spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich, und sie brachte kein Wort heraus. Sie verspürte den unbezähmbaren Drang, ihn ihren Gehstock spüren zu lassen und seine selbstherrliche Eitelkeit gehörig zu erschüttern. Doch stattdessen zwang sie sich zu der gelassenen Haltung, die sie unter der strengen Aufsicht ihres Schwagers so mühsam erlernt hatte. »Ich durchschaue Euch«, teilte sie ihm mit. »Ihr seid ein Mann, der
einen Ruf zu wahren hat und da macht es sich nicht gut, sich vor den eigenen Männern eins mit dem Stock überbraten zu lassen, habe ich recht? Also denkt Ihr Euch irgendwelchen Unsinn aus, um mich zu demütigen. Konventionell und gütig zu sein wäre ja auch zu langweilig, nicht wahr?« Santiago sah sie an. »Eure Vorwürfe könnt Ihr Euch sparen«, erwiderte er kühl. »Sie nützen nichts, und ich will sie nicht hören. Morgen früh verschwindet Ihr von hier.« Diotima spürte ihr Herz bis in die Kehle, und ihre Hände wurden
feucht. Mit einem Mal war sie wütend und sie brauchte ihre ganze Beherrschung, um ihre Stimme zu einem ruhigen Tonfall zu senken. »Ich wünsche, zu meinem Gemahl gebracht zu werden. Nirgendwohin sonst.« »Es ist nicht meine Aufgabe, nach Eurem verloren gegangenen Ehemann zu suchen«, beschied ihr Santiago brüsk. »Leone wird Euch jetzt Euer Zimmer für die Nacht zeigen. Ihr solltet besser nicht auspacken.« Damit drehte er sich um und ließ sie einfach
stehen.