Ich finde, dass Spielsucht wirklich eine Krankheit ist.
Zum Glück kann mir in dieser Hinsicht nichts passieren. Ich bin dagegen gefeit.
Gute Unterhaltung!
Copyright: G.v.Tetzeli
Cover: G.v.Tetzeli
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Ich schlenderte durch Rio. Natürlich vermied ich die Favelas, die Armenviertel, aber alleine die Prachtstraßen abzulaufen, war auf die Dauer langweilig. Außerdem hatte ich vom Touristennepp die Schnauze voll. Ich wollte das wirkliche Leben kennenlernen, wie es im Ausland die Korrespondenten immer aufstöbern.
So bog ich in diverse Nebenstraßen ab, bis ich zu einem runden Platz kam, in dessen Mitte eine große Platane Schatten warf. Im Schatten herrschte reges Treiben. Wahrscheinlich fand eine Art Bazar statt. Ich schnürte darauf zu, als mir am Straßenrand fünf riesige, alte, aber chromblitzende
Cadillacs auffielen. Sie schienen frisch aus der Fabrik gekommen zu sein, obwohl sie seit Jahren nicht mehr produziert wurden. Tolle Oldtimer in einem fantastischen Zustand! Merkwürdig, vor allem in dieser Gegend, die bestimmt nicht diejenige der Superreichen war. Am Bazar ging es hoch her. Und ich näherte mich dem Pulk der wild gestikulierenden Leute. Da zupfte mich Jemand am Ärmel und meine Hand jagte sofort in die vordere, enge Hosentasche. Dort hatte ich mein Geld gebunkert. Wer in diesem fremden Land seine Brieftasche in der hinteren Hosentasche trug, der war selber schuld.
Jose´ würde er heißen, stellte er sich vor. Er
sprach fließend englisch und grinste aus einem hübschen Gesicht, wie ein Honigkuchenpferd. Perlzähne blitzten zwischen fleischigen Lippen hervor. Sie waren größer, als es seiner kleinen Statur zukam. Jose´ mochte vielleicht zwölf Jahre alt gewesen sein. Ein netter Bengel. "Es ist ein Spiel", erklärte er. "Es gibt Cadillacs zu gewinnen. Da drüben, siehst du?" Ich nickte. "Sind alles Gewinne!" "Soso." "Soll ich dir zeigen?" Die Augen traten aus den Höhlen, wie Fixsterne. "Nee, nee, lass mal", versicherte ich und streckte den Hals. Vielleicht konnte ich doch erhaschen, worum es bei diesem Tumult wirklich ging.
Jose´ ließ sich nicht beirren, nahm mich bei der Hand und ruderte durch die Wogen, die
wie Gischt vor einem Seeungeheuer davon spitzten. Jose´ hatte mich zum Zentrum des Geschehens durchgeboxt.
"Guck!"
Ach Gottchen, ein Hütchenspieler war es. Einen einfachen Tisch, der wie eine Tapezierplatte aussah, hatten sie aufgestellt und ein Mann mit rotem Jackett stand dahinter. Wie ein Livree. In Brasilien liebten sie Uniformen. Drei goldene Becher prangten, wie in einer Arena. Er plapperte. Praktisch wie ein Marktschreier, forderte er die Menge heraus. Mich würdigte er kaum eines Blickes. Jose´ zupfte.
„Er hat noch kein Vertrauen zu dir."
Der Knirps hatte doch nicht alle an der Waffel. Wer hier zu wem kein Vertrauen hatte, dürfte
wohl klar sein. Ein Hütchenspieler! Dabei weiß doch jedes Kleinkind, dass es sich dabei um eine abgefeimte Betrugsmasche handelte. Und jetzt, da ich die Proszeniumsloge der Arena erreicht hatte, blieb ich extra stehen, ob sich nicht doch ein Gimpel finden würde, der auf diese Falschspielerei hereinfiel. Jose´ zupfte wieder.
"Alles legal", krähte er. „Guck!“
Da sah ich im Hintergrund mehrere bewaffnete Männer, auch in Uniform.
„Sind Sheriffs“, plusterte sich Jose´ auf. „Die verstehen keinen Spaß.“
Das glaubte ich sofort. Die Muskel-bepackten Kerle hatten giftige Gesichter, als hätten sie an einer Zitrone ohne Tequilla abbeißen
müssen. „Polizei?“
„Jou“, nickte Jose´ mit Schreckensweiten Augen, die wirklich groß und hübsch und blau waren. „Wenn da was nicht stimmt, dann…“
Ich stellte mir 100 Kilo frisches Hackfleisch vor.
Es tat sich was am Tisch.
Das rote Jackett ließ die bunte Glaskugel durch seine langen, geschmeidigen Finger wandern, während ein unscheinbarer Blödian vortrat, um sein Unglück herauszufordern. „Es ist jetzt erst einmal ein Test“, dozierte Jose´.
Hätte er mir nicht berichten müssen. Die Masche war sonnenklar. Man lässt das Opfer in der Gewissheit, dass es errät unter welchem Becher die Glaskugel liegt, wiegt es in Sicherheit und dann erst trickst man den
Deppen aus. Der Magier versteckte die Glaskugel unter einem der Becher und schob die drei umgedrehten Becher in komplizierten Kreisen durcheinander. Das einheimische Opfer starrte wie eine Schlange auf die Bewegungen. Er schlängelte mit seinem Hals so mit. Die drei Becher standen nun in Reih und Glied, der Spielmacher straffte sich. Wie eine Chamäleonzunge schnellte der Zeigefinger des Mitspielers auf den Becher rechts. Als er umgedreht wurde, lag die Kugel tatsächlich darunter. Alles grölte und ich schnalzte mit der Zunge. „Kein Wunder!“ Jose´ widersprach. „Das war Spitze, nicht?“ Ich zuckte gelangweilt mit den Schultern. Der Brasilianer wurde gefragt, ob er nun richtig spielen wollte, aber er traute sich nicht. Das
Bürschlein war schlauer, als ich gedacht hatte.
Nun aber schob sich ein schmaler Herr nach vorne. Er wolle es versuchen. Ich hatte gedacht, dass irgendein ärmlicher Bauernlümmel in schmutzigen Kleidern so hirnlos sein könnte, aber weit gefehlt. Der Mann war gut angezogen und sehr gepflegt. Er strahlte eine gewisse Autorität aus. Er wusste, was er wollte. Volles Risiko! Nun wanderte zu meinem Erstaunen kein Geld über den Spieltisch, sondern der Mann unterschrieb einen Zettel. Alles applaudierte. Jose´ schien angespannt, nicht mehr so lebensfroh.
„Er muss dreimal richtig tippen“, bedauerte Jose´. Ich war fasziniert.
Die Becher kreisten, der gut aussehende Brasilianer zündete sich ein Zigarillo an, aber seine lässige Haltung hatten nichts mit seinen flinken Katzenaugen zu tun, die punktgenau den wichtigsten Becher verfolgten. Der Spielführer lehnte sich zurück und der glimmende Zigarillo zeigte auf den mittleren Becher. Juhu, es der richtige! Die Kugel stolperte heraus. Bravo! Beim nächsten Durchgang war der Mann wieder erfolgreich. Jose´ drückte die Daumen, auch ich war spannungsgeladen. Es folgte der dritte Durchgang. Diesmal überlegte der Mann mit der Zigarillo, dann wählte er den Becher rechts. Der Magier machte es spannend. Der Becher kippte um und entließ die Glaskugel. Applaus
brandete auf. Auch ich fieberte und johlte. Der Mann ließ sich feiern und schritt durch das Spalier von sechs bewaffneten Uniformen, strich über den Lack, nahm Schlüssel und irgendwelche Papiere entgegen, plumpste in den weichen Ledersitz. Der Cadillac blubberte mit seinem V8 5 Liter Motor und schwebte unter unglaublichen Tumult davon.
Wieder nahm das rote Jackett seine Berufung auf. Diesmal hatte er einen Blick für mich und lächelte aufmunternd. Ich schüttelte den Kopf, wusste nicht, ob ich dabei lachen, oder ein grantiges Gesicht machen sollte. Jose´ zupfte.
„Mach doch einfach ein Probespiel! Du bist doch kein Feigling!“
Die angebliche Memme wollte das nicht auf
sich sitzen lassen.
Ich trat vor.
Der Magier grinste.
Waren vorher noch ein paar wenige dem Cadillac mit Applaus hinterhergelaufen, so kehrten sie jetzt schnurstracks zu einem weiteren Event zurück.
Alles drängelte und der Spielmacher ließ mich ausgiebig sehen unter welchem Becher die Glaskugel verschwand. Erst kurbelte er die drei goldenen Hauben gemächlich durcheinander, dann aber steigerte er die Geschwindigkeit. Ich war unheimlich fixiert. Die Umgebung, die Geräusche verschwanden. Ich war reinste Konzentration. Die Becher standen wieder in Reih und Glied. Am Schluss war es so schnell gegangen,
dass ich mir nicht hundertprozentig sicher war, aber wahrscheinlich war links der richtige Becher. Noch zögerte ich, dann folgte ich einer inneren Eingebung, einem Bauchgefühl und zeigte auf die Mitte.
Hurra, es war richtig und endlich tauchten die Geräusche wieder auf. Ich lachte, während der Lärm der Begeisterung über mich hereinschlug. Ich ertappte mich dabei, wie ich Jose´ über seinen Kopf wuschelte.
„Now? Would you try, play“, fragte der Magier in erstaunlich verständlichem Englisch. Ich gebe zu, ich war euphorisch. „Kein Geld?“„Nao, unicamente Cadillac."
Er wies auf die drei verbleibenden Superschlitten. Einer hatte sogar die berühmten Schwanzflossen, Baujahr 1959,
Sedan deVille, Coupé. Mann, was für ein herrliches Auto!
„Wenn dann um diesen“, sagte ich. Der Magier lächelte. „Naturalmente.“
Jose´ rief an meiner Seite „Cool!“
Man muss sich absichern, nicht die Katze im Sack kaufen, also fragte ich.
„Und was ist, wenn ich verliere, äh, malo?. „Aqui Contracto."
Der Spielleiter hielt mir den Zettel hin und ich meinte, dass die Polizisten die Uzis irgendwie fester im Griff hielten.
Jose´ sprang zum Glück herbei.
„Was steht da, Jose´? Ich kann kein Portugiesisch lesen.“
Contracto, Vertrag, normalo“, meinte er wichtig, gesetzt.
„Was steht da?“ Ich bestand auf eine ordentliche Auskunft„
“Nur eine, nur eine einzige.“ „Um heißt eins, das weiß ich auch und weiter?“ „Orgao, ist doch einfach Organisation. Du sollst für sie etwas organisieren.“ „Was, ein Event?“ „Sim, ja, Party, doacao. publicamente “
„Ganz offiziell? Öffentlich?“
„Sim, ja, mit Sheriff, die aufpassen. Nada ilegal!“
"Wenn‘s weiter nichts ist.“ Ich unterschrieb, Begeisterung brandete auf. So viel Trubel und Lautstärke erlebt man in unseren Breiten nicht.
Das echte Spiel ging los und ich hatte Herzrasen. Der Magier machte es mir in der ersten Runde leicht. Es war geradezu
lächerlich einfach den richtigen Becher zu wählen. Jose´ hüpfte wie ein Känguru und patschte glückselig in die Hände. Ich wuschelte wieder lachend über seinen Kopf. Die zweite Runde. Diesmal war es schwierig, aber ich hatte Schweiß überströmt wie eine Gottesanbeterin die verdeckte Kugel verfolgt. Dabei machte ich selbst so wenig Bewegung, wie nur möglich, um das Auge auf dem richtigen Becher festzunageln. Ich musste mich entscheiden und war mir fast sicher. Der mittlere Becher war der richtige. Langsam kippte ihn die Rotjacke weg. Die Kugel blitzte hervor und ich machte einen Luftsprung. Nachdem sich der irrsinnige Applaus wieder gelegt hatte, faltete sich eine Stille, wie ein Handtuch über den Platz. Die Spannung war
unerträglich. Wieder mischte der Spielleiter. Ich wuchs über mich selbst hinaus und hatte den Becher wie ein Lasso mit dem Auge eingefangen. Sooft er sich losreißen wollte, ich ließ nicht locker. Als die drei Becher wieder ausgerichtet waren, wusste ich es genau, kein Zweifel. Der mittlere Becher war es. Und da ich mir so sicher war, ließ ich noch etwas Zeit wegen der Spannungssteigerung verstreichen, bis ich auf den mittleren zeigte. Der Becher kippte um und ich auch. Er war leer. Es war der falsche. Ich war noch ganz benommen, als mich die Menschenmenge hoch zerrte und in die starken Arme der bewaffneten, uniformierten Aufpasser warf. Ich wurde in ein Auto gedrängt und auf die Rückbank geschmissen. Links und rechts
stiegen zwei Gorillas ein und quetschten mich in die Mitte. Vorne zwängte sich ein Kerl hinter das Steuer, der einen etwas moderateren Eindruck machte. Ich war nicht nur unglücklich, sondern ängstlich. „Sie sind Deutscher?“
Er fragte auf Deutsch. Irgendwie keimte Hoffnung auf. Wenigstens einer, mit dem man reden konnte. „Ja“, wimmerte ich. „Können sie mir helfen?“ „Ich heiße Miguel. Wir fahren sie jetzt erst einmal ins Krankenhaus.“ Ich atmete auf. Als Miguel den Motor anließ, da sah ich, wie der gewonnene Cadillac in das Rondell einbog und sich wieder zu den anderen drei einreihte. Der Gewinner mit der Zigarillo stieg aus und machte Handshake mit dem Spielleiter. Sie gratulierten sich und ich
konnte noch hören wie die Rotjacke sagte: "E, seo filio Jose`,simple bravissimo! Cumprimentos!"
Wir fuhren ab.
An der nächsten Ecke, ca. 200 Meter weiter, da stand der kleine Jose´. Er hielt offensichtlich nach irgendjemand Neuem Ausschau.
Wir kamen im Krankenhaus an. Meine ursprünglichen Ängste legten sich nun endgültig. Ich hatte schon gedacht auf einer Müllkippe zu landen. In der Großstadt Rio war ja viel möglich. Die drei führten mich zu einem Besprechungszimmer, nahmen selbst davor Platz.
Der Arzt ließ nicht lange auf sich warten. ein
echter Brasilianer!
„Freut mich, dass sie zu uns gefunden haben“, säuselte er. "Sie haben das unterschrieben?"
Er hielt mir den Zettel vor die Nase, den ich gut kannte. Ich nickte fassungslos.
„Aber das ist doch nur eine organisatorische Angelegenheit, verdammt!"
"Tzzz, tzzz, tzzz! Orgao heißt Organ und doacao heißt Spende. Und hier steht noch in einem öffentlichen Krankenhaus."
Vor seinem Schreibtisch baute er drei Hütchen auf.
Meine Augen weiteten sich.
„Sie haben unterschrieben, dass sie ein Organ spenden wollen. Ich finde es nur fair,
dass wir nun darum spielen, welches es denn sein wird. Wenn sie etwas Glück haben, ist es nicht das Auge, sondern nur eine Niere, oder ein Stück Leber. Die Brasilianer selbst spielen das Hütchenspiel nicht, weil sowieso jeder betrügt. Da wird’s langweilig. Ich verspreche Ihnen, dass ich fair sein werde", grinste er wölfisch. "Nach einer gewissen Erholungszeit, je nach Schwere des Eingriffs, entlassen wir sie wieder." Ich überlegte mit welchem Organ man den meisten Gewinn einfahren konnte.
Hoffentlich war es nicht das Auge.
welpenweste Danke! Günter (Der Protagonist war vom Beruf her wahrscheinlich Banker, oder Politiker!) |
Friedemann Lieber Günter, dass ich die 22 Seiten durchgelesen hatte, habe ich nicht bereut, denn es ist äußerst spannend geschrieben. Liebe Grüße, Friedemann |