Clodine, das Glühwürmchen und die Geschichte vom Großvater
Es gab einmal ein Glühwürmchen, das hatte wie alle Lebewesen auf unserer Erde, eine Mutter und einen Vater.
Das Glühwürmchen hieß Clodine und war, was selten ist bei Glühwürmchen, sehr hübsch. Ein Blumenkranz zierte ihren Kopf und Clodine strahlte oder glühte im allerschönsten Licht.
Ihre Eltern waren sehr besorgt und achteten jeden Morgen und Abend darauf, dass Clodine das Zähneputzen nicht vergaß… aber das gibt es ja auch
bei uns Menschen.
Clodine hatte eine große Familie und alle wohnten zusammen und passten auf einander auf. Es war selbstverständlich, jedem in der Familie zu helfen und natürlich galt das auch für alle anderen Lebewesen.
Eines Abends kam Großvater vom Glühen nach Hause. Großvater war sehr müde und er fühlte sich nicht so recht.
„Ach, ihr Lieben“, sagte Großvater, „es wird immer schwerer für mich zu leuchten. Die Menschen sind so anders geworden. Sie haben keine Zeit mehr uns
zuzuschauen, was kann man da nur machen? Es bringt einfach kein Spaß mehr zu leuchten… “
Er legte sich ins Bett und schlief sehr unruhig ein.
Clodine war ganz traurig. Sie hatte ihren Großvater sehr lieb und beschloss, Großvater zu helfen, damit er wieder Spaß am Leben bekam.
Sie flog also hinaus in die Nacht und sah sich das Treiben in der Stadt an und tatsächlich, die Menschen hatten andere Dinge zu tun, als in den Himmel zu sehen und Glühwürmchen zu bewundern.
Hektisch rannten die Menschen in den Straßen herum, um einzukaufen, zur Arbeit zu gehen oder schnell nach Hause zu kommen.
Sie waren mit ihren Handys beschäftigt, oder hatten Kopfhörer auf und hetzten durch die Stadt, ohne die anderen Menschen wahrzunehmen.
Einige waren so sehr in Gedanken vertieft, dass sie nicht einmal ihre anderen Mitmenschen ansahen. Es kam sogar vor, dass sie sich anrempelten und sich dann böse Blicke zuwarfen.
„Oh, oh“ dachte Clodine, „die Menschen sind wirklich nicht zu beneiden.“
Sie flog weiter und sah an einer Ecke einen kleinen Jungen, der weinte.
Clodine flog näher heran und konnte den Jungen wimmern hören: „Wo ist meine Mama?“ schluchzte er.
Clodine flog ganz dicht an ihn heran und flüsterte ihm zu: „Soll ich dir helfen, deine Mama zu finden?“
Nun muss man wissen, dass Glühwürmchen ein ganz leises und dünnes Stimmchen haben. Clodines Stimme war besonders leise und klang wie ein Glockenspiel, so schön und zart.
Außerdem kann auch nicht jeder die
Sprache der Glühwürmchen verstehen, nur besondere Menschen.
Der Junge, der übrigens Franz hieß und ein besonderer Junge war, konnte Clodine hören. Er hörte auf zu weinen und fragte genauso leise zurück: „Du kannst mir helfen? Ja, wie denn?“ Und dabei sah er Clodine ungläubig an. „Ich flieg einfach ganz hoch und halte mal Ausschau.“ Antwortete Clodine.
Und schon flog sie hoch, ohne zu wissen wie die Mama von Franz aussah, aber vieles ergibt sich ja manchmal einfach so.
Und richtig, da war eine Frau, mit einem
roten Hut auf dem Kopf. Sie schien etwas zu suchen, schaute nach links und nach rechts, lief vor und wieder zurück. Sie war nur drei Einkaufsläden von Franz entfernt, bei einem Spielzeugladen.
Clodine flog zu Franz und piepste fragend: „Hat deine Mama einen roten Hut auf?“ „Ja!“ antwortete Franz. „Dann habe ich sie gefunden. Lauf nur drei Geschäfte vor, zum Spielzeugladen.“
Franz lief sofort in die Richtung, ohne sich zu bedanken.
Und wie schön, da war seine Mama.
Clodine wollte gerade weiterfliegen, da rief der Junge: „Glühwürmchen, Glühwürmchen, wo bist du denn?“
Mama sah ihren Jungen erschrocken an, aber sie kannte das schon. Immer wieder erfand Franz Geschichten und lebte dann urplötzlich in seiner neuen Welt.
Clodine flog zu Franz herunter, an die linke Seite, denn rechts stand seine Mutter. „Da bin ich doch“, flötete sie in sein Ohr.
„Danke, danke! Dafür will ich dir auch helfen, wann immer du meine Hilfe
brauchst.“
„Franz, was ist denn? Nun, komm endlich, wir müssen nach Hause.“ rief seine Mutter etwas beunruhigt.
Sie war wieder einmal sehr besorgt, denn es kam öfter vor, dass Franz irgendwas erzählte und um sich herum alles vergaß.
Einmal zum Beispiel hatte Franz mitten in der U-Bahn ganz laut gerufen: „Ich verzaubere euch, ihr Unholde…“
Ein Ehepaar hatte gedacht, Franz hätte sie gemeint und war empört gewesen. „Unglaublich, das gibt`s doch gar nicht,
Frechheit!“ und stiegen sicherheitshalber bei der nächsten Haltestelle aus.
Franz schaute seine Mutter verschmitzt an und meinte: „Ich habe mich gerade bei einem Glühwürmchen bedankt und versprochen, ihm zu helfen.“
„Na, dann ist es ja gut, mein Junge“ und sie verdrehte die Augen, als ob sie sagen wollte: „Dieser Junge…“
„Hmmm“ dachte Clodine, „In der Tat, einen Gefallen könnte Franz mir tun.“
Sie flog noch dichter an sein Ohr und
erzählte ihm von ihrem Großvater. Franz meinte: “Ich könnte mich doch jeden Abend vor´m Zubettgehen an mein Fenster stellen und deinem Großvater zuwinken.“
„Das ist eine prima Idee!“ rief Clodine glücklich, fast ungewöhnlich laut.
„Dann wird Großvater wieder neuen Lebensmut bekommen und alles ist wie früher!“ säuselte Clodine.
Franz erklärte ihr noch schnell wo er wohnt, das war leicht zu finden.
Er wohnte in der ersten Straße gleich vorne an der Stadtgrenze.
Sie verabredeten sich gleich für den nächsten Tag und Clodine flog erleichtert
nach Hause.
Um Großvater die Nachricht zu überbringen flog sie so schnell es nur ging. Als sie endlich zu Hause ankam, schlief Großvater aber immer noch.
Großvater schlief und schlief…
Clodine war doch so aufgeregt und wollte endlich Großvater alles erzählen, aber sie blieb geduldig und weckte Großvater nicht.
So vergingen drei Tage und endlich wachte Großvater auf. Er reckte sich und dabei fing er etwas an zu leuchten.
„Du, Großvater“ sagte Clodine vorsichtig. „Ich habe da einen tollen Ort gefunden, an dem sich das Leuchten lohnt. Da gibt es jemanden der sich sogar darüber freut und winkt!“
„Wo denn Clodine?“ Großvater schien interessiert und Clodine erklärte ihm wo er hinfliegen musste. „Na gut, dann will ich da mal morgen hinfliegen. Bin gespannt, ob ich das auch erleben darf.“
Am nächsten Tag flog Großvater zu dem beschriebenen Platz.
Clodine flog in kleinem Abstand hinter ihm her, um sicher zu sein, dass Großvater auch wirklich das richtige Haus findet.
Schließlich sah Großvater das Haus, aber niemanden der winkte.
„Hmm, vielleicht muss ich erst mal ein wenig leuchten?“ dachte er und fing an zu glühen.
Aber als nach 10 Minuten immer noch keiner am Fenster auftauchte, sagte er zu sich selber: „Hab ich´s doch gewusst. Bringt doch echt keinen Spaß. Ich glaube, ich fliege zurück nach Hause und lege mich wieder ins Bett.“ Meinte er enttäuscht zu sich selber.
Clodine beobachtete das Fenster von Franz mit Hochspannung und rief die ganze Zeit: „Franz, wo bist du. Franz,
wo bist du denn nur?“
Eine Träne kullerte ihr aus dem Auge, weil sie traurig war und dachte, Franz hätte den Termin vergessen, doch genau in diesem Moment bewegte sich der Vorhang am Fenster.
Franz schob seinen Arm durch den Vorhang und winkte. Er hatte den Termin nicht vergessen, aber seine Schularbeiten waren noch nicht fertig und im letzten Augenblick schaffte er es dann doch noch.
Großvater traute seinen Augen nicht, als sich der Vorhang bewegte und jemand
anfing zu winken. Er glühte so stark wie in jungen Jahren und freute sich sehr über das seltene Ereignis.
Clodine klatschte in die Hände und flog fröhlich nach Hause.
Als Franz ins Bett musste, flog Großvater nach Hause, sehr glücklich.
Er freute sich schon auf den nächsten Tag.
So hatte Clodine Großvater lange nicht mehr erlebt. Er erzählte ganz aufgeregt von dem kleinen Jungen, der im Fenster stand und ihm zuwinkte. Jetzt war er überzeugt, dass es noch mehr Kinder und
auch Erwachsene geben musste, die doch noch Zeit für Wunder haben.
Am nächsten Tag wollte er sie voller neuem Tatendrang suchen, bevor er wieder zu Franz flog.
Lieber Leser, ich bin sicher, Du würdest auch winken...oder?
© Jürgen Wagner 21.12.2009 / 03.01.20013