Mama & Papa 03 - Mutter oh Mutter

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MAMA & PAPA 03 - MUTTER OH MUTTER

Thema gestartet
von bujerl
am 27.10.2023 - 22:15 Uhr
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bujerl  Mama & Papa 03 - Mutter, oh Mutter
(Nach dem Gedicht-Zyklus "Vater, oh Vater" zu lesen)

Ich war am 02. Februar 2002 bei meinen Eltern zu Besuch, habe mit ihnen Mittag gegessen, einen Kaffee getrunken, und wahrscheinlich einen von Mutters immer so köstlichen Kuchen verspeist, und habe mich gegen 14.00 Uhr verabschiedet. Mein Vater ist ins Wohnzimmer gegangen. Meine Mutter hat mich zur Haustüre hinaus begleitet. Ich habe ihr dort noch einen Abschiedskuss gegeben, und da kam auf einmal von hinten aus dem Wohnzimmer so ein gehauchtes "Pfiaaa-tii". Ich habe auch "Pfiiaaati!" gerufen. Ich bin dann mit dem Auto weggefahren. Plötzlich, ich war schon gut fünf Kilometer weg, da läutete mein Handy. Mama war am Telefon, und weinte: Der Papa ist gestorben! Er liegt tot im Wohnzimmer. Ich habe an der Trauner Kreuzung umgedreht, und bin zurück gefahren.

Vater lag in einem Sofa. Das knochige, so abgemagerte Gesicht, die Kinnlade hing herunter. Ein letzter Speichel tropfte auf sein Hemd. Ich habe schon beim zurückfahren geweint, doch da zerfetzte es mich. Ich habe mich an Mama festgehalten. Ich wusste nicht, was tun?
Doch meine Mama war immer eiskalt, wenn irgendeine Scheiße am Dampfen war. Entschuldigt, bitte, den Ausdruck. Doch so war sie. Da könnte ich ein paar irre Geschichten erzählen.

Sie hat mich festgehalten, und mir so nebenbei gesagt, dass sie schon den Notarzt verständigt hätte, der Hausarzt unten in Neubau hat Notdienst. Er würde gleich kommen. Und vom Begräbnis-Institut in Leonding kommt auch bald wer. "Und jetzt muss ich Deinen Bruder anrufen, oder mach Du Das. Ich muss das Festtagsgewand für den Papa heraussuchen." Da hat sie mich los, also alleine gelassen, und ist irgendwie total verwirrt, doch mit Schwung ins Schlafzimmer fort gerauscht.

Man muss sich das ja einmal vorstellen! Da schmiert diese eins-achtundsechzig kleine Frau diesem eins-neunzig-Meter-Mann, diesem Herrn Zurucker, eine Fotzen ins Gesicht, dass er fast abgehoben hat. Die Kinder, die hinter ihm und auf der Stiege gestanden sind, haben ihn aufgefangen. Und die Erwachsenen oben ebenso, ach ja, sie haben es auch gesehen, und auch gehört.

Ich kann es mir heute noch nicht verzeihen, dass ich da nicht dabei gewesen bin. Ich war dreizehn, oder vierzehn, und ging in Linz, ins 3. BRG, den Berg hinauf, oben rechts am Bindermichl. Die Hin- und insbesondere die Heimreise mit dem Bus nach Hörsching dauerte immer gut eine Stunde, oder gar länger.

Und man muss sich den Grund für diesen Irrsinn vorstellen! Mama muss dringend wohin! Sie kommt in unseren Fahrrad-Keller und sieht: Verdammt! Ein Patschen!
Der Fred! (Ihr Bruder!)!!! Den habe ich doch gerade draußen gesehen und kurz mit ihm gesprochen. Mama fetzt die Kellerstiege hinauf, aus der Haustüre hinaus, schaut nach links, - ihr Bruder wohnte einen Wohnblock weiter, zwei Eingänge links - und da ist er noch der Fred, kurz vor seiner Haustüre. "Hey, Fred! Hey Fred!"

Und dann holt Mama schon den Werkzeugkasten, und der Fred fängt an den Reifen zu reparieren. Da steht auf einmal nach gut fünf Minuten, dieser Zurucker in der Kellertüre.
"Wos mocht'n Der do? Der 'g'hert net in des Haus!" Dieser Zurucker hasste alle, die ihm nicht brav zuhörten.

Meine Mama: "Mei Bruada richt ma mein Raf'n her! Oiso vertschüss di! I hob beim Dokta an Termin!"

"Hey, des is a mei Haus! Geht's aus meim Haus außi, richt's des scheiß Radl draußen, - oder ??? (Oder so ähnlich.)

Mama steht auf. Sie ist zuvor auf der anderen Seite gekniet, und hat ihrem Bruder geholfen. Sie steht also auf, eilt aus der Fahrrad-Keller-Türe hinaus, und zum Zurucker hin zur Kellertüre.

"Oder WAS?" Er soll angeblich gestottert haben, was, das hat hinterher kein Zuhörer im Stiegenhaus nachstottern können. Er hat wohl das Kriegerinnen-Gesicht meiner Mama mitsamt ihren Augen gesehen.

Und da hat ihm meine Mama eine geknallt. Und dann hat sie sich umgedreht und hat ihrem Bruder, dem Fred, beim Umdrehen des Fahrrads geholfen. Er hat während ihres kleinen Disputes mit diesem Herrn Zurucker den Reifen fertig gepickt und die Luft aufgepumpt.
Und Mama hat ihren Termin beim Zahnarzt nur leicht verspätet eingehalten.

Oh, Du zu uns Menschen immer so liebe Mutter Erde, wieso sind WIR heute nicht mehr so? Der Bruder hat einfach gewusst, seine große Schwester, die ihn ab 1946 nach dem Krieg aufgezogen hat, als seine Mutter an Unterleibskrebs bei den Elisabethinen in Linz elendiglich verreckt ist, weil es damals keine Medikamente und schon gar kein Morphium gegeben hat, würde mit diesem Vollidioten auch alleine zurecht kommen. Er hat es einfach gewusst! Und hat den Reifen fertig repariert. Und dabei war er ein "Moarli", ein Mairhofer. Mit ihm hat sich eigentlich Niemand gerne angelegt. Und so nebenbei hatte er auch noch zwei ältere Brüder. Ebenfalls so "Moarlis". Der Zurucker muss wohl einen totalen Aussetzer gehabt haben.

Nun ja, ich war nicht selbst dabei. Ich habe mir diese Geschichte bloß aus den Erzählungen der Dabei-Gewesenen zusammen gereimt. Ich habe Onkel Fred einmal gefragt, wieso er nicht auch aufgestanden ist, und Mama geholfen hat. Da hat er bloß gemeint: "Du kennst Deine Mama nicht! Die ist sogar mit den Amis in Hörsching nach dem Krieg zurecht gekommen, als sie dort im Typhuslager für sie gearbeitet hat! Und sie hat damals unsere ganze Familie versorgt! Und wenn er, dieser Zurucker, zurückgeschlagen hätte, dann hätte ich ihn schon alle gemacht!" Mehr hat er nicht gesagt. Und ich denke heute oft: Verdammt! Ich hätte gerne das Gesicht von meiner Mama gesehen, wie sie diesem Ekel aus unseren zwei Wohnblocks eine geschmiert hat.

Wieso? Nun dann hätte ich endlich gewusst, ob es in ihrem Gesicht einen Unterschied macht, ob sie mir eine "Kleine" schmiert, weil ich wieder einmal einen Blödsinn angestellt habe, oder diesem Zurucker?

Ich war ein paar Mal dabei, wenn Mama eine Sache richtig gestellt hat, doch ich habe dabei NIE ihr Gesicht gesehen. Immer nur von Hinten. Doch die Kinder, die hinter dem Zurucker gestanden sind, haben gemeint, ihre Augen hätten so rot geleuchtet, wie die Augen eines Teufels. Ggggggrrrrrrhhhhhh!

Wenn ich von meiner Mama so ein Watscherl bekommen habe, dann hat es nie richtig weh getan. Da hatte ich andere Auseinandersetzungen mit vielen Jungs, die haben mehr weh getan. Ich wusste halt hinterher, dass ich nie wieder so einen Blödsinn machen sollte. Doch mir sind damals immer wieder so blöde Geschichten passiert. Ich und meine Freunde haben mit 10 das Feuer entdeckt. Und dann, dass unsere Mädels keine Schwanzerl haben, so wie wir. So unaufgeklärt, wie Wir Kinder damals alle halt waren. Dabei habe ich oft einen Blödsinn angestellt. Natürlich völlig unwissentlich. Eine Aufklärung, oder was auch immer, also so ein Intenet, das gab es damals ja noch nicht. Und die Erwachsenen haben ja zumeist selber nicht viel davon gewusst. Also, wie sollte so eine Aufklärung funktionieren.

Mama & Papa ?? - Das Typhuslager der Amis in Hörsching
Mama, am 25.12.1929 geboren, war 1946 also gerade einmal 16/17 Jahre alt, als die Amerikaner in Hörsching ein Typhuslager für die damals im Land herumziehenden, gerade frei gelassenen und oft so typhus- und so viel anders kranken Juden und Jüdinnen errichtet haben. Am Flughafen. Dort stehen heute mehrere Neue-Heimat-Wohnblocks, und die Gegend heißt auch heute noch: "Das Lager".

Und Mama hat dort mit 17 in der Küche zu arbeiten begonnen!!!!! Und sie war ein verdammt hübsches Mädchen, mit allem Drum und Dran! Und diese Amis, verdammt noch mal, waren auch nicht ohne. Also auch so Arschlöcher, wie Männer in Kriegen nun einmal sind, insbesondere wenn sie ihn gewonnen haben.
Bald geht es weiter!

Copyright by Lothar Krist (am 05./06./07.08.2023 von 22.30 bis 23.40 Uhr, von 20.30 bis 23.30 Uhr und von 18.40 bis 22.15 Uhr)

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