Der wahre Tod eines Dichters anno 2022

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DER WAHRE TOD EINES DICHTERS ANNO 2022

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von pentzw
am 24.01.2023 - 17:28 Uhr
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pentzw  „Mensch, der Peter kommt gar nicht mehr aus seiner Bude. Den laden wir mal ein zum Trinken!“
Und so waren wir mit ihm einen heben, oben auf dem Spezikeller-Berg, beste Aussicht auf den Main und die Altstadt.
Sichtlich genoß er diese Einladung: schwankend erhob er sich schließlich. In seinem sächsischen Akzent verabschiedete er sich: „Und war die Sonne noch so schön, am Ende muß sie untergehn.“ Und weg war er.
Trieb ihn der Urin, daß er sich in eine Hausecke stellte und dort hineinpisste; war er so geladen, daß man befürchten mußte, er falle; oder war's die luftig-laue Nacht, daß er sich auf einen Eckstein setzte, das Kinn in die Hände gelegt und rezitierte: „Ich saß uff einem steine, dachte bein mit beine und habe mein Kinn in die Hand gesmogen...“, als eine Streife vorbeikam.
Jedenfalls soll er nur geraunt haben: „Ich bin Zettel. Zettel's Traum“, ein Zitat aus Shakespeares Sommernachts-Traum, glaube ich. In der Tat war es eine sommerlich-warme Nacht, traumhaft schön.
Diese geschwollene Sprache weckte bei den nüchternen, ziemlich einsilbigen Polizisten Argwohn und man kann nicht erwarten, daß sie sich noch dazu in mittelalterlicher und fremdländischer, zumal Shakespeares Literatur auskannten (und ich kenne ich mich auch nicht so gut aus bei diesem dramatischen Stückeschreiber erster Klasse, sagt man.)
„Wo möchten Sie eigentlich wohnen?“
Warum fragte der Polizist in dieser Weise? War Peter denn obdachlos? Mitnichten!
Das rührte an diesen stolzen Dichters Herzen: „Worte, Worte, nichts als Worte.“
Wer könnte es ihm verübeln? Bei der Frage!
„Wohin wollen Sie eigentlich gehen?“
„Wohin gehen wir?“, antwortete nun Peter und begann die Frage selbst zu beantworten.
Die Polizisten hörten aufmerksam zu. Der war aber merkwürdig, ein höchst verdächtigter Zeitgenosse, welch ein obskurer Fisch der Verdächtigkeit ist ihnen da in die Fänge geraten?
„Immer nach Hause!“
Diese Antwort hatte ihnen vielleicht etwas gesagt, denn sie boten ihm bald ein Zuhause an.
Noch aber hakten sie geringschätzig nach: „Immer nach Hause, gehen wir?“
„Oh ja!“
"Wir bieten Ihnen das schönste Heim, die Sie sich vorstellen können." Der Polizist, angesichts der düsteren, nur von einem schummrigen Straßenlaternenlicht überspülten Szene, machte mit der Hand eine Kreisbewegung vorm Gesicht, das er gegen seinen Kollegen hin gewendet hielt, damit der Bescheid wußte, um wen es sich hier handelte. Es drehte sich nur um die Klärung der Frage, ob gutmütig oder allgemeingefährlich. Damit hätte, und für letzteren traf dies zu, eigentlich die Sache gegessen sein müssen: einen harmlosen Spinner lassen wir laufen.
"Wir nehmen ihn mit!“, hetzte jedoch der andere, der Untergebene. Weil bei solchen Uniformierten gibt es stets einen Oben und einen Unteren.
„Harmlos, harmlos!“
„Wer weiß, wer weiß!“
„Hm!“
Jago dann: „Wir sind schließlich in Bayern!“
Und da kann man wenn immer, selbst aufgrund des Verdachtes des eines Hetzers, jeden wegsperren.
„Schaden tut's bestimmt nicht.“
„Hat's auch nichts genützt, so hat's wenigstens nicht geschadet!“, erwiderte der Aufgestachelte. Darin sollte er sich schwer täuschen, dieser Othello.
Entschlossen und unter die Arme gegriffen, wurde der strampelte Peter wie ein schwerer Sack in den Fond des Polizeiautos verfrachtet. Hier geriet er in Panik, er schlug gegen die Sitzkopfstützen sowie das Gitter, ein Beamter sprang von der anderen Seite ins Fahrzeug hinein und legte den renitenten, strampelnden Hampelmann Handschellen an. Dieser wehrte sich zwar weiter, aber es half nichts, er saß in der Falle.
Einer der Polizisten raunte ihm ins Ohr, wonach Peter verstummte: „Wohin zieht es uns? Immer zu den Müttern.“ Er kannte diesen Spruch natürlich und ließ ihn nachdenklich werden, trotzdem es aus jenem Mund wie eine ordinäre Zote drang.
Im Revier ging es weiter mit der näheren Personendatenaufnahme.
"Wo möchten Sie geboren sein?"
Er schluckte. Sagte er die Wahrheit, würde ihm nicht geglaubt werden. Da es im Konjunktiv stand, hatte es einen zukünftigen Aspekt. Geburt und Tod lagen ja so nebeneinander wie nichts sonst.
"Wanderer, wo wirst Du begraben liegen?
Unter Palmen am Meer oder unter Linden..."
"Wo wir uns finden...". Dazu lachte der sarkastische Polizist prustend. Das könnte heißen, er als Pistolenmächtiger machte den Verdächtigen möglicherweise den Garaus: im Töten würden sie sich einig werden, der Gefangene und der ihn Gefangenhabende.
"Da fällt mir übrigens ein schönes Heim ein."
Man kann sich vorstellen, wie es mittlerweile im Kopf von dem Dichter aussah.
Pause.
„Es ist das beste Etablisement, das wir Ihnen bieten können.“
Pause. In dieser schnaubte Peter schon wie eine Lokomotive.
"Kennen Sie sich aus in Bamberg?" Eine rhetorische Frage. "Aber natürlich, diese Stadt ist ja seit Jahren ihre zweite Heimat geworden." Inzwischen hatten die Ordnungshüter die Daten von diesem komischen Kauz, Schabernack treibenden Til Eulenspiegel und wirren Kasper, herausgefunden.
"Obere Sandstraße!"
Kunstpause.
"Na, klingelt's jetzt?"
Wer wußte in Bamberg nicht, was dort stand. Man kann von der Straße her fast in die Zimmer der Eingesperrten hineinglotzen. Für die Insassen eine doppelte Strafe. Eine dreifache, wenn sie zu einer Partymeile umfunktioniert wurde. Dabei muß man sich diese Partystimmung allerdings so vorstellen, wie ein Sex-Laden hieß: „Ehehygiene“.
Peter würde es allmählich schwummrig zumute: diese Aussicht war, wie wir bald gut nachvollziehen werden, der worst case, der Super-Gau, der Schlimmst-Mögliche-Unfall.
Eine Nacht in der Zelle mußte sein, bis die Ordnungshüter geprüft hatten, ob Knast oder Psychiatrie fällig wäre für diesen komischen Kauz.
Und so schütteten sie weiter Öl ins Feuer.
Der sächsische Dichter war insofern ein gebranntes Kind: Bautzen, Moabit, Stasi-Gefängnis und und. Deshalb auch hat er sein angestammtes Heimatland verlassen, vom Freistaat Sachsen in den Freistaat Bayern, von Osten nach dem westlichen Oberfranken, vom mittlerweile Regen in die Traufe, er war geflohen und hat sich hier niedergelassen, in diesem gelobten Land, die ihm heute Nacht zur Hölle wurde. Die Jahre in den quälenden Zellen der Staatssicherheit waren für Peter Schnetz ein Martyrium, ein Traumata, die wahre Hölle. Als er allmählich zur Besinnung kam oder auch schon früher, hatte er also ein Déjà-vu-Erlebnis der unangenehmsten Art. Er rüttelte und schüttelte voll Panik und Verlorenheit und Wir-Können-Es-uns-Nicht-Ausmalen an den Stäben der Zelle, unausgesetzt, die ganze verdammte schöne Nacht hindurch, so daß er am nächsten Morgen, als er entlassen worden ist, blutige Hände besaß, beidseitig.
„Wir lassen Sie jetzt frei!“, wurde ihm von Othello gönnerhaft verkündet.
„Sie sind doch Schriftsteller, Herr Schnetz?“, ergänzte Jago.
Peter wollte einlenken, er sei kein Schriftsteller, sondern...
„Deswegen schreiben Sie mal einen Bericht, sie Schriftsteller!“ Nur Jago lachte.
„Nicht unter Menschen kam ich, sondern unter Handwerker...“, murmelte und nuschelte Peter, dem klar darüber klar wurde, daß dies ein zu hartes Zitat war.
Jedenfalls kam er nicht weiter.
Die Zuhörer hatten glücklicherweise nur ein Wort verstanden.
„Eben. Schriftsteller gehören doch auch zu den H a n d w e r k e r n, im wahrsten Sinne des Wortes.“ Und Othello grinste freudig und breit übers ganze Gesicht über seine treffende Erkenntnis, die Hand und Fuß hatte, sich selbst bewies und im Deutschen fast unwiderleglich gilt.
„Aber ich bin Poet!“
Ach Peter, hättest Du doch lieber Dichter gesagt, wenngleich ich befürchte, dass es dir damit auch nicht besser ergangen wäre wie jetzt.
Othello prustete dieses Wort so hervor: „Po-o-o-o, und et dazu! Hast Du das gehört.“ Er war ein ehemaliger Lateiner gewesen.
Dieses Wort kommt nur schwer deutschsprachigen Sprechern über die Zunge und nur mit einem Schwall Speichel in diesem Fall.
Von Peter zu Jago hatte er dabei den Kopf gewendet.
Peter ließ es sich ungerührt über sich ergehen, wohingegen Jago sich erst das Gesicht abwischte, als sich sein Vorgesetzter wieder abgewendet hatte.
Peter gab es nicht auf. Allerdings blieb er beim Versuch stecken, den Unterschied zwischen einem Poeten und einem Schriftsteller zu erklären.
„Jetzt dürfen wir sie bitten, das Präsidium zu verlassen.“
Peter ging, fragte nicht, bis wann er diesen Bericht abzuliefern hatte. Er hielt diese Direktive für einen bösartigen Witz. Oder doch vielleicht nicht?
So saß er in seinem Bamberger Turm, erste Stock-Wohnung und fragte sich tagtäglich bange, ob die heutigen sogenannten Schutz-, Ordnungs- und Sicherheitsmänner, kurzum die Polizei oder die Sanitätskräfte oder wer weiß wer, ihn wer weiß wohin wegsperren würden – wie die Stasi-Offiziere schon einmal in Dresden ihn, wie die Staatssicherheit bei Erich Friedel in Österreich, der sich über den Ausbruch der Barberei aus dem Fenster stürzte...
Bald darauf verstarb Peter Schnetz.

Nachwort
Als die Mauer fiel, habe ich ihm gesagt: „Du bekommst jetzt Entschädigung.“ Er hat mich wütend angeschaut, als wäre ich der Staatssicherheitsdienst-Chef persönlich. Er hat aber ohnehin von der Sozialfürsorge gelebt hierzulande. Naja, glücklicherweise trennten sich bald unsere Wege.
Imponiert hat er mir insofern, als er seine Bücher selbst vertrieben hat, von einem Buchladen, von einem Lehrstuhl, von einem Gönner zum anderen ziehend, um sein neuestes Werk anzubieten. Ich habe den Eindruck gehabt, viele lächelten zwar darüber, aber die meisten haben ihm doch ein Buch abgenommen. Er hat leider keinen großen Verlag gefunden, aber alles unternommen, um bekannt zu werden, selbst in „Who-is-Who in der deutschen Literatur“ hat er sich eintragen lassen und den diversen Nationalbibliotheken des Landes, gar der bayerischen, die als einzige keinen müden Knopf für ihren Wahlbürger übrig hatte, hat er die Bücher übergeben.
Einige seiner Werke habe ich irgendwo herumliegen. Sein bestes Gedicht, für mich, heißt: „Warum ich gerne eine Frau sein möchte.“ oder „Ich möchte gerne eine Frau sein!“
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