Verbrechen wider Willen XXIII. - Einigkeit vertuscht

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VERBRECHEN WIDER WILLEN XXIII. - EINIGKEIT VERTUSCHT

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von pentzw
am 07.01.2022 - 21:16 Uhr
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pentzw  Der Arzt beugt sich über Ernst und sagt: „Jemand muß die Sanis holen, rasch!“
„Ich erledige dies schon! Ich hol sie!“, sagt der Polizist. Aber die nächste Bemerkung hindert den Polizisten, sofort loszustoben. „Mensch, es ist nicht gut, wenn er hier inmitten der vielen Leute herumliegt. Es geht auch vom Boden her kalt hoch.“
„Bei mir ist's warm. Bring ihn in meine Wohnung.“ Damit überreicht der Polizistenneffe seinem Onkel noch schnell den Schlüssel für sein Haus, das keine zehn Meter vom Unglücksort entfernt ist, in einem der kleinen Altstadtgässchen, die sternförmig vom Marktplatz aus weggehen.
Der Arzt nimmt sich Ernst hoppla-di-hopp auf den Rücken. Es herrscht gerade hier die allerhöchste Leuteansammlung, so daß bei dieser dichtgedrängten Menschenmenge dieser Unfall mit dem Zum-Boden-Fallen Ernst fast gar nicht aufgefallen ist. Man muss sich deswegen leider etwas durch die Menschen kämpfen und schreien. Zudem denken die meisten „Alkoholleiche“ und grinsen sich einen über den kuriosen Anblick Quasimodo-mit-geschultertem-Körper.
„Hat einer etwas zu tief in die Flasche geguckt.“ „Schnapsleiche, was? Ab in die Ausnüchterungszelle!“ Einer gibt Ernst gar mit der Hand einen Klapps auf den Hintern.
Der Arzt zuckt mit den Schultern, sich nicht aufregen, wäre eh sinnlos. Er sagt nur immer Ja und Amen zu allen Kommentaren und Bemerkungen und ruft unaufhörlich eindringlich: „Weg hier, ich muß durch. Macht Platz, Leute, macht schnell Platz.“
So bringt er Ernst in die Wohnung, legt ihn sanft auf die Wohnzimmer-Coach und öffnet die Jalousien, die ihn den Blick auf die Straße eröffnen. Er muß auf der Hut sein, um die Sanitäter schnell hereinzulassen.
Wer aber klingelt, ist zunächst nur der Polizist.
„Die Sanitäter kommen gleich!“
„Hast Sie informiert?“
„Ja, ich war bei ihnen, sie sind gerade in einer Notlage, sie kommen sofort herüber, kann sich nur um Sekunden handeln. - Kannst Du ihn inzwischen etwas versorgen?“
„Worauf Du Gift nehmen kannst!“, sagt der Arzt fachgewiß und beugt sich über seinen Bruder, um ihn mittels einer Mund-Zu-Mund-Beatmung Sauerstoff in den Brustkorb zu pumpen. Ernst Leben kommt ein stückweit zurück und seine Augen öffnen sich; er sieht seinen Bruder ganz nah vor sich: ist es wahr, sein Bruder küsst ihn wirklich? Ja, so kommt es ihm vor, ja, er hat seinen Bruder auch immer geliebt.
Er sieht sich selbst, wie er freudig die Rolle des große Aufpassers vom dem ach so kleinen Neuankömmling übernommen; wie er den kleinen Bruder die Hände über die Schultern gelegt und ihn umarmend hierhin und dorthin geführt; wie er ihn sich auf den Schoß gesetzt und stundenlang Hoppe-Hoppe-Reiter gespielt hatte.
Wie er seinen Bruder doch geliebt hatte!!! So sehr, daß er ihn nicht mal strafen, will heißen in seine Schranken weisen konnte.
Dies wird ihn jetzt auf einmal richtig bewußt. Innig, hingebungsvoll und inbrünstig lässt er sich den Kuss auf seine Lippen gefallen, spürt elektrische Schauer von dort aus bis tief in seine innersten Fasern wetterleuchteten und versucht den Kuß, die Zuneigung und Hinwendung zu erwidern, wenn er nicht zu wenig Kräfte hätte, die er spürt, wie sie nachlassen.
Zwischendrein kommen unscharf häßliche Szenen mit seinem älteren Bruder auf und verschwinden wieder, da sie von Dunkelheiten aktuellen Schmerzens übertüncht werden.
Trotzdem, jetzt zu sterben, als er sich seiner warmen Zuneigung zu dem immer noch Küssenden bewußt wird, denkt er, nun, wo er sich seines Bruders so nahe fühlt, dass darf nicht sein, das ist eine Ungerechtigkeit, dies ist das traurige Ende...

Der Sanitäter kann nur den Exitus von Ernst feststellen. Als er gegangen war, zeigte der Polizistenneffe die abgebrochene Spritze, die er auf dem Boden neben Ernst gefunden hatte.
„Woher hast Du die?“, fragt der Arzt. Was hatte er mit der Spritze vorgehabt? Dort draußen, unter vielen anderen Menschen, hat er sie sich heimlich herausgeholt, um, um... irritierend, fast sieht es so aus, als ob Ernst seinen eigenen Bruder, ihn, hatte töten wollen. Weil sich selbst töten, kann man besser im stillen Kämmerlein.
Des Polizistenneffe Verdacht ging jedoch in letztere Richtung.
„Ernst wollte sich umbringen, äh, hat sich damit getötet.“
Der Arzt ist erstaunt über diese Theorie, schaut sich erst einmal um, aus Verlegenheit, um sich zu orientieren. Ihm fehlen die Worte.
An den vier Deckenecken sind mittelalterliche Schilder platziert, vor denen je zwei sich kreuzende Schwerter aufgehängt sind. Ebenfalls erhöht an den Wänden hängen Schrotflinten, längliche und kleine, handliche, Gewehre, Revolver, die man nur noch mit Schrot hatte stopfen müssen, um zu schießen. Auch einige Dolche haengen dort. Zudem Orden. Es war fast so etwas wie eine mittelalterliche Kamenade, in denen die wichtigen Gegenstände eines kriegerischen Gesellen wie Ovotunalien an den Wänden hingen.
Der Inhaber jedenfalls war ein Waffennarr.
Nun, diese Suizid-Theorie, recht besehen, passte dem Arzt gut in den Kram.
Gleichsam um sein Schweigen zu erklären, in das er gerade verfallen war, äußerte er Zweifel: „Es fällt mir schwer zu glauben, daß Ernst sich, na, entleibt hat. Aber gut. Nehmen wir mal an, es war so. Dann stellt sich die Frage: Warum hat er das getan?“
In den Schildern waren Wappen eingraviert, jeweils unterschiedliche. Woher nur hatte sein Onkel diese Dinger? Von ausgestorbenen Geschlechtern, adligen Häusern, ritterlichen Festungen? Wie kam er dazu?
Komisch, komisch!
Sein Bruder wollte ihn töten, Mann!
Was sollte er glauben? Egal momentan. Einfach den Dummen mimen vorerst. Mein-Hase-ich-weiß-von-Nichts-Spielen ist meist nicht das Dümmste.
Der andere, im Besitz der geheimen Information, daß Ernst höchstwahrscheinlich die Krankenschwester auch mit so einem Gift getötet haben dürfte, laut des Kriminalers nämlich, protzte damit zu sagen: „Er ist wohl nicht über seine Tat hinweggekommen?“
„Welche Tat?“
Hätte er jetzt besser vielleicht nicht erwähnen sollen. Kann er ihm diese Wahrheit eröffnen? Als Beamter, so gesehen, nicht. Schadete es, wenn sein Onkel es, bevor es amtlich war, erfahren würde? Wahrscheinlich nicht.
„Ich sag's Dir im Vertrauen. Ernst hat damit die Krankenschwester getötet.“
„Was?“, wieder sehr entsetzt. „Aber warum?“
„Warum? Warum? Mein Gott, Du kennst doch Ernst. Vielleicht hat er eine Affäre gehabt, oder sich eingebildet, zu haben mir ihr.“
„Mit diesem Luder von Krankenschwester?“
„Ja, irgendetwas war nicht, wie es sein sollte. Vielleicht ist ihm diese Hure zu nahe getreten, ohne daß sie es gemerkt haben. Die Hemmschwellen bei Menschen sind manchmal unterschiedlich. In diesen Fall können Sie mir nicht unterschiedlicher sein, oder?“
Der Arzt fühlte sich seinem Polizistenneffen in diesem Punkt sehr nahe. Er war ihm jetzt Kumpel, Blutsbruder und Verwandter in Personalunion.
„Das sprichst Du etwas Wahres!“
Sie steckten jetzt fürwahr unter einer Decke.
Der eine wusste nur zu genau, worauf es hinauslief, wenn der andere, der Arzt, hinter allem steckte und Ernst nicht allein gehandelt hatte. Aber nein, es mußte so gewesen sein, daß Ernst mit der Krankenschwester herumgevögelt hatte, was zwar sicherlich nicht in dessen ehrenwürdigem Bild passte, aber nichtsdestotrotz, trotz dem er ein „Idiot“ war, mußte es sich so verhalten haben. Ja, er war von dieser Hure von Krankenschwester verführt, verrückt, haltlos gemacht worden, daß sich sämtliche Schutzschilder von Seriosität in Luft aufgelöst hatten.
Vor diesem Scherbenhaufen familiärer Ehrlosigkeit standen beide und schüttelten darob vor Rat- und Fassungslosigkeit die Köpfe.
Mensch, die Krankenschwester hatte diesen unschuldigen, integren, unbedarften Kerl völlig umgedreht, jawohl!
So nur war Ernst Bild wieder harmonisch und als Mitglied der ehrenwerten Familie erkennbar.
„Und erfahren werden wir es nicht mehr.“
„Sieht ganz so aus!“
Der Arzt roch an der Spritze, nannte irgend einen lateinischen Ausdruck, daß für den Polizisten wie Honolulu klang. Danach beugte sich der Fachmann zum Toten hinab, kramte in seinen Taschen herum und stellte fest: „Nichts darin, eine Abschiedsnachricht hat er nicht hinterlassen.“ Damit richtete er sich zufrieden auf.
„Vielleicht finden wir, falls vorhanden, sein Tagebuch.“
Der Arzt war nahe dran, spontan auszustoßen: „Gott bewahre!“, fing sich aber und sagte nüchtern: „Wird sich zeigen!“
„Ja, wir werden sehen.“
„Genau!“
Dabei hoffte er auf Erfolglosigkeit. Lieber Gott, laß ihn keine Tagebuch geführt haben, dieser tauben Nuss, dachte er inbrünstig. 'Käme die Wahrheit ans Tageslicht, daß das Gift in der Spritze auf meinem Mist gewachsen ist, dann Gnade mir Gott."
Täuschte ihm aber sein Wissen nicht, würde das nahezu unmöglich sein.
„Aber Gift muß im Spiel gewesen sein! Das steht fest!“
„Woher er das wohl hat?“
Und der gewiefte Polizist drückte diese Vermutung aus, immer voreilig wie diensteifrig und wahrheitsliebend wie er nun einmal zurzeit war: „Hilde!“
„Du meinst die Krankenschwester? Hm!“
Hilde, dieser Name, als wäre ihm dieser breits aus dem Gedächtnis entschwunden. Dabei war sie ein gutes Jahr lang seine Sexgespielin gewesen. Und das erst vor ein paar Wochen noch.
„Nun, Krankenschwester pflegen oft ihren eigenen Giftschrank zu haben und deponieren dort schon mal das ein oder andere Präparat, so gesehen.“
Hauptsache, die beiden haben nichts Schriftliches, keine privaten Notizen, Tagebücher und Aufzeichnungen, aber auch keine Sprachnachrichten hinterlassen, weder von Ernst noch von dieser Hexe, dann würde alles gut.
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