Verbrechen wider Willen XXII. - Schrecken ohne Ende

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VERBRECHEN WIDER WILLEN XXII. - SCHRECKEN OHNE ENDE

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von pentzw
am 14.12.2021 - 13:50 Uhr
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pentzw  Hin- und hergeschwenkt werden Becher voll Bier mit schwungvollen Armen. Ernst tritt hinzu und aus einem Becher Bier kommt ihm einen Gischt entgegengezischt. Er weicht davor zurück, stößt hinter sich gegen jemanden und spritzt sich die Spritze in seinen dicken, wollenen Wärmeschutz. Glück gehabt, daß nicht in seinen eigenen Körper gestochen!
Man beschwichtigte Ernst wegen des kleinen Malheurs, das da nur zu sein schien Flicken am Anorak und er tat auch so, als sei es nicht weiter erwähnenswert, mußte natürlich zurück aufs Klo, um sich zu waschen und die unberechenbare Flüssigkeit aus dem Stoff zu bürsten. Noch einmal eine Dosis Gift aufzuziehen, kam hier nicht in Frage. Er mußte auf eine bessere Gelegenheit warten.

Danach gingen die Brüder zu den wahren Künstlern, die Ateliers gemietet hatten. Eigentlich waren diese Räume nur ehemalige Hopfen-, Getreide oder Obstkeller mit meist einer durch einen mittelalterlichen Eisenriegel verschlossenen höchstens zwei Quadratmeter großen Tür vor einer Luke zur Straße, in der hinein eine Stiege oder Rutsche ein paar Meter hinunterführte, auf der einst die Lebensmittel hinuntergerollt, gestoßen und geschubst wurden, als es noch eine florierende Landwirtschaftskultur gegeben hatte. Die dunklen Katakomben waren von Steinmetzen, Holzplastik-Modellatoren oder sonstigen nicht genau zu definierenden Künstlern besetzt.
Die Brüder gingen über den Haupteingang des kleinen Familienhauses via zwei Treppen nach oben in einen Flur hinein, von dem aus es über schmale, sehr eng gewundene Stufen in einen düsteren Keller hinunterging. Ein beklemmendes Gefühl entstand durch die niedrig herabhängenden Decken, dies so alt waren wie die Zeiten, als Menschen nicht größer als 160 Zentimeter maßen. In den düsteren Ecken standen zwar brennende Kerzen, Laternen oder Lampions, um den Raum etwas zu erhellen, aber dennoch war es überall duster und dunkel, zudem wegen mangelnder Zugig- und Luftigkeit bedrückend dumpf gleich Lochgefängnissen und Folterkammern. Die Wände und Böden waren bestellt mit undefinierbaren Plastikfiguren, Wesen und Gebilden wie Gnomen, Wurzelzwergen, Hexen, Riesen, Krüppeln, buckligen Alten und verformten Behinderten, Einäugigen und Zyklopen, Golems, Wolperdinger, was aus auch immer Erdenklich- und Formbarem. Ein Künstler bearbeitete gerade einen klobigen Holzklotz auf einen dicken, breiten Holzpodest, so dass es krachte, sprühte und die Späne durch den Raum segelten. Drumherum standen Väter und Mütter mit ihren Kindern und staunten sich Bauklötze aus den Augen.
Der Arzt war wohl schon so angeheitert, daß er gleichfalls fasziniert von dem Budenzauber in Bann geschlagen war. Ernst stattdessen sah bedrohliche Schatten an den Wänden flimmern, die die kleinen, schwachen Flammen der Lampions und Kerzen warfen, aber eine umso größere, stärkere Wirkung auf sein Gemüt aussendeten. Ein Gefühl der Angst schnürte ihm die Kehle zu vor diesen Monstern, urigen Wesen und Gespenstern mit verkrümmten Händen, Nasen und Beinen, die ein Schauspiel vollführten, die Ernst einen Schauder über den Rücken sendeten.
Um sich loszueisen und keine Widerrede zuzulassen, entschuldigte er sich schnell von seinem Bruder und rannte die Treppe zurück in die Parterrewohnung hinauf, in der er richtig einen frei zugänglichen Kloraum benutzen konnte.
Im diesem erholte er sich nach wenigen Sekunden wieder, fühlte sich bald wieder so gestärkt, daß er meinte, daß er es noch einmal versuchen könne, den Urheber seiner Qual, seiner vergeblichen schmerzhaften Sehnsucht nach Hilde, auszuschalten. So zapfte er die letzten Gifttropfen aus dem Glasbehälter, machte den Wassertropfentest, verbarg die Kanüle unter seinem offenen Winteranorak und ging wieder nach unten, wo sein Bruder nicht mehr dort stand.
Ernst blickte sich panisch um, um ihn sonstwo hier unten zu entdecken – vergebens. Dann sprang er hektisch wieder die Treppe nach oben, aus der Tür und ins Freie der engen Kopfsteinpflaster-Gasse. Dort sah er seinen Bruder, der sich mit einem Bekannten unterhielt.
„Suchst Du mich?“
„Ja!“
„Sorry, ich habe es nicht länger im dunklen Keller ausgehalten. Ich mußte die Flucht ergreifen, wie ich mich gefürchtet habe.“ Die umstehende Mischpoke lachte darüber, weil sie meinten, dies sei ein Scherz extra für die Kleinen.
Der Arzt ergriff in diesem Tumult des Lachens die Gelegenheit, seinen Bruder schnell ins Ohr zu flüstern: „Das hat mich an meine Gefangenschaft erinnert. Du weißt schon, dies mit der Halskrause und so.“
Ernst nickte verständnisvoll dazu.
Er fühlte so starkes Mitleid mit seinem Bruder, daß es ihm unmöglich war, ihn jetzt zu attackieren. Er freute sich richtiggehend mit seinem Bruder, daß er so beliebt war bei anderen Menschen. Nur am Rande zählte das Kalkül, daß es ohnehin schwierig werden würde, ihn in dieser Gesellschaft klammheimlich und unbemekrt mit einer Spritze zu attackieren. Nein, sein Mitgefühl hatte überhand und rt lachte mit allen feist zu dem kleinen Späßchen, das sich sein Bruder geleistet hatte.
Dabei steckte er sich die Spritze in die untere, linke, innere Jackentasche, wobei sie etwas über die Schließlasche hinausreichte. Gefährlich, aber nicht zu ändern unter diesen Umständen. Hauptsache aber, daß sie verdeckt war und nach außen nicht erkenntlich.

Dann kamen sie an einen Stand vorbei, der des örtlichen Nähclubs, wo ihre Cousine Präsidentin ist.
„Kommt doch mal beide her!“, winkt sie ihnen zu.
Neben der Cousine sitzen reihum ein Dutzend Hausfrauen mit umgebundenen Küchenschürzen, wozu, wissen nur sie selbst. Schließlich repräsentieren sie keine Küchenutensilien oder dergleichen.
Sowie die beiden herangetreten sind, kommt schon die Cousine mit einem Meterband vor sich hin gestreckt auf Ernst zu und legte sie ihm um die Taille: „Ernst, Du kriegst von mir eine tolle Hose genäht!“ Mit Ernst konnte man so etwas machen, ihn einfach so ungefragt eine Hose verpassen, mit ihm konnte man immer Spaß machen und so wußte man nicht zu sagen, ob sie dies ernst meinte oder aus Gaudi tat.
„Leg mal Deine Jacke ab und probier mal diese Hose an!“
Ernst legte seine Jacke ab, legte sie sorgfältig in zwei Doppelhälften übereinander, wie man solch ein Kleidungsstück über einen Arm hängen würde beim Promenieren oder in der Oper.
„Halt mal!“, sagte er zu seinem Bruder. Dieser nahm sie entgegen.
Nun lachten alle Umsitzenden freudig und erwartungsfroh, besonders die auf den Stühlen sitzenden Frauen giggelten wie die aufgescheuchten Hühner. Ernst bekam die breite Hose überreicht, die er sich hinter einem Paravent der Bude anzog. Als er zurückkam, legte die Cousine mit Nadeln und Maßband einen Schnitt an die weite Hose.
„So, damit die Hosen passt. Ich bin jetzt fertig, Ernst.“
Ernst, überrascht von allem, stand einfach untätig herum und wusste nicht, was tun.
„Jetzt, Ernst, jetzt kannst Du Dich wieder umziehen.“ Und alle Anwesenden lachten wieder, ein bißchen hämisch, schien es, ob Ernst Tollpatschigkeit und Nicht-wissen-was-tun-sollen.
„In ein paar Tagen komm ich zu Euch nach Haus mit der neuen Hose. Wirst sehen, dies wird eine Überraschung werden.“ Und die Damen klatschten sogar über diese frohe Botschaft. „Ernst, da wirst Du Augen machen!“
Ernst, wie immer lieb, nett und gefügig, sagte: „Ja, Cousine, ich freu mich schon!“, und wandte sich seinem Bruder zu, der ihm wieder seine Kleidungssachen reichen wollte. Da das Lachen aber etliche Leute angezogen hatte, gab es plötzlich ein Gedränge, so daß sich der Bruder gegen Ernst stemmen mußte, sich fast festhalten, um nicht umgestoßen zu werden. Unglücklicherweise fand dabei die Spritze ihren Weg in Ernsts Hand hinein, welche dabei abbrach und zu Boden fiel.
Der Tumult war so stark und laut, daß der Arzt nichts merkte, sein Bruder fast auch nichts spürte, nur einen kleinen Stichschmerz. Dann konnten sich beide abseits der Nähbude in Sicherheit bringen und Ernst sich Pullover und Winterjacke anziehen.
Dann gingen sie weiter.
Einem jedoch war voriger Vorfall nicht entgangen und dieser hob nun den auf dem Boden liegenden Gegenstand auf, inspizierte diesen von links nach rechts, oben nach unten, konnte sich natürlich keinen Reim darauf bilden, roch daran, was ihm auch nicht weiterbrachte, da er keine Fachmann war, um den leicht ätzenden Geruch zuzuordnen und so steckte er ihn sich in die Seitentasche und folgte wieder den Brüdern.
Ernst fühlte sich schlecht, schlechter und immer schlechter, verkrampfte sich immer wieder, wand sich vor Schmerzen und lag plötzlich auf dem Boden. Sein Bruder beugte sich über ihn, um ihn dem Puls, der rasend hämmerte, abzutasten. Er ahnte, was sich da tat, konnte aber jetzt in dieser Situation auf offener Straße kaum etwas machen.
Hinter ihm erschien plötzlich das vor Wut funkelte Gesicht des Polizistenneffe.
„Was hast Du gemacht?“
„Ruf jemand schnell den Notdienst, los!“, rief der Arzt voll der Panik. Der Polizist durchbohrt mit seinem argwöhnischen Blick Arzt und Patienten.
Was geht hier vor?
Ist es schon zu spät?
Es schien schon zu spät zu sein.
Sein Onkel, Ernst krümmte sich vor Schmerzen auf dem Boden.
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