Verbrechen wider Willen XXI. - Gelegenheit macht Mörder

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VERBRECHEN WIDER WILLEN XXI. - GELEGENHEIT MACHT MÖRDER

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von pentzw
am 23.11.2021 - 21:03 Uhr
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pentzw  Der Polizistenneffe traf Ernst nicht mehr in seinem Appartement an. Er mußte leider zum Dienst, so daß er ihm nicht gleich hinterherfahren konnte, um ihn in seinem Elternhaus anzutreffen. Aber morgen war der Kunstgewerbemarkt im Ort, wo er ihn schon finden würde, zwar schwierig, ihn dann im Trubel zu entdecken, aber, was denke ich, dachte er, spätestens spätnachmittag löste sich dieser auf, wenn die Leute wieder nach Hause fahren würden.
Ernst war in seinem Elternhaus zu Besuch, sein Bruder in seinem Familienhaus, welches nicht das des vom Griechen gemietete war und all den Unbill verursacht und losgetreten hatte. Er war ein liebe- und treusorgender Familienvater, der sich um seine Familie kümmerte an Wochenenden, an Fest- und Feiertagen und Ereignissen wie diesen heute. Nach dem Pflichtgang durch den Markt mit seiner Familie beabsichtigte er allein loszuziehen. Darauf freute er sich schon, würde er doch den ein oder anderen Bekannten treffen, mal beim Stammtisch des Gasthaus Krone vorbeischauen und bei der ein oder anderen Tante einen Blick reinwerfen. Die Aussicht auf ein, zwei oder drei heißen Glühwein wärmte ihn jetzt schon, zumal der Haussegen ziemlich schief hing. Die Gemahlin war noch immer stinksauer und sprach kein Wort mehr mit ihm, wenn es nicht nötig war.
Auch Ernst war natürlich auf dem Markt unterwegs in der Hoffnung, auf seinen Bruder zu stoßen. Ihn dann begleiten, wie es sich gehört zwischen Brüdern, eine Gelegenheit abwarten, wo er ihn befragen konnte, was so erbärmlich heiß auf seiner Seele brannte: warum die Krankenschwester eigentlich hatte sterben müssen? Ob das notwendig gewesen wäre?
War es notwendig gewesen?
Warum hatte aber hattest Du mit der Krankenschwester ein Verhältnis gehabt? Mußte sie deswegen sterben, weil dies mit der Entführung ans Tageslicht gekommen war?
Warum hast Du in einem Porno in solch herausragender Rolle mitgespielt und und und...
Tatsächlich traf er seinen Bruder, mit dem er dann zum Familiengrab auf dem Friedhof ging. Einige der umliegenden Nachbarn waren namensgleich. Mit gesenkten Oberkörper verbeugte man sich beim Beten. Jeder jeweils murmelte das Gebet laut vernehmlich herunter, synchron. Ebenso machten sie zeitgleich ein Kreuz über der Brust und sie wandten sich ab.
Erst außerhalb des Friedhofs schien Ernst pietätvollerweise der Ort und der Zeitpunkt gekommen, seinen Bruder zur Rede zu stellen.
„Weißt Du schon, die Krankenschwester...“
„Ja!“, sagte der Bruder, rückte seine Sonnenbrille etwas zurecht und wendete den Kopf zur Sonne. Trotz tiefstem, kühlem Herbst schien die Sonne blank vom stahlblauem Himmel. „Ach, wie schön es doch ist zu leben." Atmende Menschen stießen weiße Fahnen aus, die von weitem sicht- und erkennbar waren. Gut für Spione, die hinter nahen modrig-stinkenden, laubgelb-braun-roten Kastanienbäumen lauerten und die beiden beobachteten, aber nicht hören konnten, was sie redeten. Das war aber nicht entscheidend.
„Brüderchen!“, sagte der Arzt. „Ich kann mir vorstellen, wie Du Dich fühlst. Aber ich sag Dir eins: es hat sein müssen. Glaub mir!“ Er fühlte sich also so gut und so sicher, daß er fand, sich nicht noch einmal zu wiederholen und die ganze Argumente erneut aufzuzählen. Aber er blieb stehen, legte die Arme auf Ernst Schultern: „Aber ich danke Dir dafür, was Du getan hast. Ich danke Dir sehr!“
Ernst war natürlich geschmeichelt, so ein unverhohlenes Lob von seinem Bruder zu bekommen.
Nach einer Weile des Weitergehens jedoch war es ihm doch nicht genug. Mochte auch alles zum Wohle der Familie geschehen und so unhinterfragbar sein, so waren doch da seine Gefühle, die im Innern rumorten wie ein kurz vorm Ausbruch stehender Vulkan.
„Nun aber...“, setzte er an, aber sein Bruder stieß einen Laut aus, der ihm gebot zu schweigen. Dabei blieben sie stehen und jener begann zu sagen: „Hör mal Ernst. Ich erzähl Dir jetzt mal einen Witz.“ Und das machte er auch. Daraufhin mußte Ernst so stark schlucken, daß ihm für lange Zeit, für etliche Minuten, die Stimme versagte und außerstande war, noch etwas zu sagen.
„Kommt ein Patient zum Arzt und fragt: Was ist nun das Ergebnis Ihrer Untersuchung von letzter Woche? Der Arzt sagt: zunächst die schlechte Nachricht. Sie sind unheilbar krank und leben nur noch wenige Wochen. Der Patient, ganz aufgeregt, fragt: und die gute Nachricht? Der Arzt zeigt aus dem offenen Zimmer: sehen Sie die Arzthelferin dort? Ja, sagt der Patient. Die gute Nachricht ist, daß ich die gestern gefickt habe.“

Ernst war perplex und mußte erst einmal diesen Witz verdauen. Dann wurde er wieder sehr schnell schlecht drauf, richtig niedergeschlagen. Was sollte er machen, wenn ihm diese Fragen quälten, worauf sein Bruder keine Antworten liefern wollte oder konnte?
Sie erreichten nun die Bude der freiwilligen Orts-Feuerwehr. Beide wurden freudig empfangen. Jeder bestellte einen Glühwein, auch Ernst, weil es so erwartet wurde von lauter guten Bekannten.
Ernst ließ es sich zwar nicht nehmen, die Zeche zu bezahlen und sich auch einen Becher voll dampfenden Rotweins mit Nelken und Zimt zu reichen, kehrte dann aber dem Stand den Rücken zu, wartete, bis sein Bruder seinen ausgeleert und ausgetrunken hatte und drückte ihm dann aufdrängelnd seinen regelrecht in die Hände, ein bißchen mit der Rechtfertigung seines Asketentums, denn so puritanisch hätte er auch nicht sein müssen: „Du weißt doch, Alkohol und Medikamente!“
Das Wort „Gift“ vermieden beide wohlwissend. Der Bruder nickte wissend und ließ sich den zweiten Becher nicht entgehen.
Ein anderer Kumpel schenkte schon ein: „Das geht auf Kosten des Hauses!“, wobei er dazu feist lachte. Das Haus war nur ein Brettergestell, wennzwar robust, aber liebevoll geschmückt. Unweit davon war inmitten eines großen Platzes ein großes Feuer, ein Holzfeuer mit einem Eisenofen inmitten desselben, auf das dann die Brüder zugingen.
„War das Deine Freundin? Äh, ich meine, habt ihr miteinander geschlafen.“
Sein Bruder war bester Laune, schaute ihn nicht einmal an, als er sagte: „Was denkst Du? Händchengehalten?“
Sie trafen Bekannte. Diese hatten einige Flaschen Wein in der Hand, die sie großzügig in weiße Plastikbecher füllten und verteilten. Davon bekamen auch die Brüder etwas ab. Das Feuer züngelte, war aber beileibe nicht warm genug.
Danach lösten sich die Brüder wieder und gingen ziellos weiter.
„In dem Film, den ich gesehen habe, diesem Video, spielst Du auch mit und die Frau, die Frau, war das die Hilde?“
Sein Bruder wandte sich ihm abrupt zu: „Ernst, laß Dir eins gesagt sein. Es mußte sein, diese Frau war gefährlich, sie war ein Erpresserin, eine wie die Ganoven, die uns entführt haben.“
„Was, steckte sie mit diesen unter einer Decke?“
Der Bruder, noch mehr genervt: „Das zwar nicht. Sie hat ihr eignes Ding gedreht, nämlich nach der Entführung.“
„Als die Ganoven schon tot waren?“
„Genau.“
„Hat sie Geld von Dir erpressen wollen?“
„Das nicht, aber meine Ehe zerstören wollen!“ Das stimmte haargenau. Und für Ernst war das ja auch bislang ein nicht hinterfragbares Argument gewesen, diese Person unschädlich zu machen. Aber wie passte dies mit dem Porno zusammen, wo er und sie zusammen...?
Gezwungen wird sie ihm wohl nicht haben, mit ihr zu bumsen. Das kann keine Erpressung erzwingen. Es scheint ihm doch so, als ob sein Bruder dies freiwillig getan hätte. Aber dies passte nicht zum Bild von seinem Bruder: der und ein schamloser Sexaktivist, oder Pornoschauspieler, oder wie immer man solche Personen titulieren mußte? - nein! Irgendetwas stimmte da nicht. Logisch war nur, daß er gerne mit der Krankenschwester diese Schweinereien gemacht hat und dann, dann hieß dies, daß er seine Ehefrau betrogen hat, da mit den Ruf der Familie gefährdet hat und all das...
Und dafür nun hatte er das Leben eines Menschen ausgelöscht, der ihm sympathisch und gut gegen ihn gewesen war, auch wenn es eine Frau war. Von denen hatte er bis zu dieser Krankenschwester keine gute Meinung gehabt. (Freilich, so wie er erzogen war und daran war seine Erziehung schuldig, aber das hatte er noch nicht verstanden und reflektiert.)
Allmählich wird es Ernst wieder schummlig zumute, einerseits das Unrecht, diese Person auf diese Art und Weise bestraft zu haben, allein hat sie letztlich nicht die Familie bekämpft und in Gefahr gebracht, da ist der Bruder schon ein stückweit mit schuld. Andererseits seine warmherzigen Gefühle zu dieser, wenn er an sie dachte. Das brachte Ernst furchtbar durcheinander.
Jetzt kamen sie zum Seniorenheim der Stadt, einem Haus, in dem in einem kleinen Saal, im Speisesaal ältere Damen und Herren versammelt waren und darauf warteten, von Bekannten und Verwandten besucht zu werden. Die Tante begrüßte erst ihre Neffen freudig, als sie sich nach einigen intensiven Outungen als solche zu erkennen gaben und geben mußten. Sie war ja schon über 90, also was wunder.
Auch hier gab es wieder Alkohol zu trinken.
Ein dichtes Gedränge am Tag der offenen Tür dieses Hauses ging durch diesen Saal und in die umliegenden Zimmer, dazwischen eine misstrauisch um sich blickende Gestalt.
Nach einiger Zeit Herumsitzen und Trinken, die Tante war auch nicht mehr ganz bei Trost und nicht gerade die eloquenteste, charmanteste und schlagfertigste Gastgebern so gesehen, gingen die Brüder wieder und weiter den Kirchberg hinauf, der danach wieder nach unten und ans andere Ende der kleinen Stadt führen würde.
Diesen Weg drängte es Ernst zu gehen, zwar planlos, aber dieser Berg hatte irgendetwas Verlockendes. Mal sehen, was und wofür?
Oben angekommen verschnauften sie sich und blickten auf die rot-grün-umbrabraunen Dächer der fränkischen Kleinstadt herab, die sich vor ihnen ausbreiteten. In diesem Anblick vertieft begann Ernst plötzlich wieder die wohltuende Körperwärme der Krankenschwester zu empfinden. Freilich fühlte es sich nur in seiner Erinnerung so wohl an. Aber dafür eindeutig, was es ehemals nicht und nur mit zwiespältigen Gefühlen einhergegangen war. Nun aber übermannte ihn die Sehnsucht.
Er schaute seinen Bruder haßerfüllt von der Seite an, weil ihm so schmerzhaft bewußt wurde, was ihm dieser genommen und weggenommen hatte.
Der Kirchenbereich war mit einer knapp über einen Meter hohen Mauer umgeben. Es könnte klappen, dachte er, als er seinen Bruder so dicht davorstehen sah, wenn er ihn von hinten mit Anlauf, starkem Druck, vielleicht an den Beinen hoch gehievt darüber hinweg stoßen würde. Er würde darüber hinweg geschleudert werden, ja.
Danach würde es wie ein simpler Unfall aussehen.
Sofern niemand Zeuge war.
Ein Windstoß fegte jetzt über die Anhöhe hinweg, so daß Ernst Haare wie vom Blitz getroffen aufgewühlt zu Berge standen. Sein Körper wankte leicht; vielleicht wegen der möglichen Aussicht, die sich ihm hier bieten würde. In der hereinbrechenden Dämmerung war aber der Versuch, sich richtig umzuschauen und die Möglichkeiten abzuklopfen, sehr unsicher.
Etwas weiter weg schienen noch andere Leute in diesem Kirchhofsbereich sich aufzuhalten, aber viele schienen es nicht zu sein.
Eine günstige Gelegenheit, Mann!
Ist es dort ein Funkeln zweier beobachtender Augen?
Aber das könnten auch Katzen sein.
Die Straßenlaterne an einer Ecke dort verbreitete einen derart trüben Lichtschein, daß selbst dieses Funkeln Einbildung sein könnte. Es war einfach zu wenig hell, um abzusehen, wer alles von wo hierher schauen konnte, entschied Ernst.
Dann blickte er in die Tiefe des Berges hinunter.
Die Aussicht war reizvoll. Es würde wie ein simpler Unfall aussehen. Ein zufälliger, glatter Genickbruch, nicht ausgeschlossen aus dieser Höhe. Aber leider nicht zwingend. Genauso gut hätte der Unglückrabe auch mit ein paar bösen Prellungen davonkommen können.
Nein, das war zu unsicher.
Dann lieber die Giftspritze, die in seiner Jackentasche ruhte mitsamt dem Giftfläschchen. Zu dieser Tat brauchte er allerdings eine gewisse Vorbereitungszeit, auch einen abgeschotteten Raum. Vielleicht ein verschließbares Klo. Ein solches bot sich leider momentan nicht, soweit er sehen konnte.
Also weitergehen.
Wo war hier ein Plastikklo zum Beispiel?
Man hatte aber einen Art Bauwagen in funktionierende Toiletten umgebaut nahe einer weiteren Feuerstelle, die man mit dicken, breiten Holzscheiten und abgrenzenden, großen Gesteinsbrocken errichtet hatte. Das Feuer loderte verheißungsvoll, da die ersten Holzscheite bereits auseinanderbrachen; Funken sprühten und große, züngelnde Flammen schossen empor; bläuliche und bernsteinfarbige Enden der Flammen loderten in den Augen von Leuten, die in einem großen Gedränge herumstanden.
Natürlich wurde der Bruder wieder einmal mit einem großen Hallo dort hingelockt. Ernst dachte, daß sich da im dichten Gedränge vielleicht die Möglichkeit ergab, seinem Bruder einen Spritze zu setzen.
Schnell sagte er zu seinem Bruder: „Du, ich muß mal!“, wobei jener dies nur mit einer jovialen Geste der Zustimmung beantwortete und sich nicht davon abhalten ließ, in sein Glück zu stolpern oder Pech, was sich noch herausstellen sollte.
Allerdings würde dies von einem düster dreinblickenden Fremden mitverfolgt werden, der so fremd nicht war. Sehr bekannt sogar. Wenngleich er so tat, als sei er fremd und nichtexistent.
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