Der ultimative Heimatkrimi und Arztroman XI - Der Schnüffler kennt keine Grenzen...

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DER ULTIMATIVE HEIMATKRIMI UND ARZTROMAN XI - DER SCHNÜFFLER KENNT KEINE GRENZEN...

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von pentzw
am 18.06.2021 - 10:26 Uhr
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pentzw  ne Grenzen...

Die Entführer hatten es vielleicht übertrieben.
Zum einen hatte sie die Gier am Schlawittchen, denn sie wollten das Lösegeld noch einmal um eine Null erhöhen – und hatten erneut die Ehefrau angesimst, die Order hinzugefügt, das Auto abzuschließen, da jemand zufällig vorbeikommen, die Geldablage beobachten oder auch einfach so im Gefährt nach Verwertbaren rumschnüffeln konnte und am Ende auf die lieben Scheinchen stieß.
Auch hätte die Ehefrau trotz Warnung doch die Polizei eingeschaltet und wenn diese fix reagiert hätte, hätten sie den Aufenthaltsort des Anrufers peilen können. Und damit wären sie längst schon unter Beobachtung gestanden. Die wollten natürlich die Gängster nicht ohne Lösegeld kaschen. Und so fühlte sich Blondie nunmehr besonders unter Beobachtung. Aber er würde auf der Hut sein.
Eine kleine Weile schlich er um den Parkplatz.
Aber Nachdenken, Argwohn und Vorsicht hin oder her, er hielt es schließlich nicht mehr aus, ging so achtlos wie möglich zum Cabrio, scharwenzelte doch erst einmal wie ein Betrunkener drumherum, tat so, als beäugte er die Reifen, warf einen Blick auf den Unterbodenschutz, dann auf die Schlagschlösser – und ging wieder weg. Legte sich doch noch einmal auf die Lauer, wartete ungeduldig das hereinbrechende Zwielicht der Abenddämmerung ab. Zwar hätte es noch dunkler werden müssen bis zum optimalen Zeitpunkt, aber es wurde ihm doch zu blöd. Er ging stracks aufs Auto zu, tat aber so, als wollte er es öffnen ohne die geringsten Hilfsmittel, stampfte mit dem Fuß auf, ging vom Auto weg, aber – jetzt war es ihm wirklich zu bunt – kehrte um und riß den Autoschlag auf.
Das Geld war da!!
Oder?
Er beugte sich zum Koffer, der da auf dem Beifahrersitz lag, raffte ihn an sich, öffnete ihn an seiner Brust, sah die Blüten, klappte den Behälter wieder zu, bewegte seinen Oberkörper aus dem Auto, schlug den Schlag zu, schloss zu – warum eigentlich, wußte er momentan nicht, vielleicht springt noch eine Fahrt im Cabriolet heraus – und machte sich auf den Heimweg.
So, jetzt war wieder ein neuralgischer Punkt.
Haben ihn die Verfolger nicht durch Peilung des Handys entlarvt, so mochten sie ihn von einem Satelliten aus im Visier haben oder welche technischen Möglichkeiten unbekannter Art die Behörden auch immer hatten. Er könnte zudem direkt verfolgt werden. Dies galt es einen Riegel vorzuschieben im wahrsten Sinne des Wortes. So wählte er natürlich den Weg zum Tunnel. Was einmal funktioniert hatte, nämlich beim Polizisten, würde es wieder tun. Er lief einige Zickzacks, trotz Dunkelheit, aber er kannte sich hier wie in seiner Westentasche aus, gelangte zur kleinen, röhrenförmigen Bahnunterführung, blickte sich um, was zwar eine überflüssige Geste war, denn er war sich seiner Sache sicher. Sollte sich jemand verdeckt an seine Fersen gehaftet haben, dann war hier Ende der Fahnenstange, wäre er doch längst über alle Berge, nachdem er die Tunneltür verschlossen hatte. Das Fahrradschloß hielt gut die eiserne Tür fest zu.
Nur hatte er nicht mit einem wie dem Ernst gerechnet.
Denn zur selben Zeit kam dieser zum Parkplatz, beobachtete die Lösegeld-Abnahme und stieß auf Blondie.
Ernst kam nun auch in den Tunnel, fand ihn versperrt, stach aus dem Tunnel heraus, krabbelte den Bahndamm hoch und stand vor den Gleisen im Dunkeln.
Es war wie russisch Roulette.
Würde er entkommen – trotz der Gefahr?
Er mußte einfach Erfolg haben, es allen beweisen, was für einer er war und so lief er los, von einem Gleis zum anderen – ein Hochgeschwindigkeitszug rauschte knapp vorbei – er fiel hin, aber nur aufs Schotter. Flüssigkeit rann ihn an der Backe herab, aber er war schon über die Hälfte des Wegs und stürzte dann das letzte Stück noch weiter, fiel den Bahndamm hinunter, schürfte sich die Innenflächen der Hände auf, kam auf die der Bahngleise entlangführenden Asphaltstraße zum Halt, wobei er sich in sehr günstiger Position befand, da er liegend kaum gesehen und einen Blick auf Blondie erhaschen konnte. Als dieser gerade das Gartentürchen öffnete, wußte Ernst, wo die Erpresser wohnten.
So war er sehr zufrieden, wenn er auch starke Schmerzen an Händen und Gesicht verspürte, aber die zählten jetzt nicht. Nachdem er sich zum Haus hingeschlichen hatte, erkannte er durch das Store in den beleuchteten Räumen sich Menschen hin und her bewegen.
War der Täter dort drinnen?
Unbedingt, denn die Gartenzäune grenzten jeweils an weitere Grundstücke, dort, wo er gerade stand, war der einzige von außen zugängliche Weg hinein.
Er duckte sich und verharrte in gekauerter Haltung.
Die Polizei, seinen Neffen, anzurufen jetzt, verkniff er sich. Sich den besten Bissen vom Fang wegschnappen zu lassen, ha! Killerinstinkt - wie seinerzeit Angela Merkel sich vom großen Vorbild Helmut Kohl distanzierte...
Plötzlich nahm er ein Polizeiauto wahr. Bevor sie ihn entdeckten, nachfragten, was er hier zu suchen habe, schlug er sich lieber in die hohen Ginstersträuche vor dem nahen Bahngleisdamm. Gut versteckt, verfolgte er von dortaus das weitere Geschehen.
Das Auto hielt direkt vor seiner Nase. Zwei Uniformierte und ein Ziviler stiegen aus, standen einen Moment unschlüssig vor dem Gartentürchen, der Zivile zeigte mit dem Finger zum Haus, sie öffneten das unverschlossen Gartentürchen, gingen die paar Meter hintereinander zur Eingangstüre und klingelten.
Ernst verspürte jetzt unbändig seine Wunden überall.


'Fuck, das mach ich jetzt schon seit meinem vierzehnten Lebensjahr! Aber gut, mittlerweile habe ich Untergebene. Na, wozu hat man schließlich studiert?'
Diese Frage stellte sich ein Abteilungsleiter eines florierenden Einkaufszentrum zehnmal am Tag, während er grimmig seinen Staplerwagen um die Ecken schiebt und über die knochenharte, primitive Arbeit, Waren auf Paletten herumzuschippern und dann in Regale einzuordnen, schimpft und flucht.
'Mittlerweile bin ich ja endlich Herr und Meister, habe Beschäftigte, die endlich mal nach meiner Pfeife tanzen müssen. Aber halt, was denke ich da, 's geht einfach nur darum, dass manche Menschen Führung brauchen, jemanden, der sie an der Hand nimmt und zeigt wo's langgeht. Sonst sind's bloß verirrte Schafe, mutterlose Kinder, Verlorene auf dieser Welt, so schaut's aus!'
Da sah er Blondy.
Auf ihn hatte er es besonders abgesehen, der ihm suspekter als suspekt vorkam. Schon allein seine wegstehenden Haare! Außerdem war er einmal hier mit einem dunklen Typen erschienen, eindeutig Ausländer. Wenn jemand in solch einer Gesellschaft verkehrt, sagt dies ja wohl alles über ihn aus.
'Na, der kommt mir grad recht! Leere Pfandflaschen aus Mülleimer gefischt hier zu vergolden, um seine 12köpfige Familie aus Syrien, Rumänien oder Weiß-der-Teufel-Woher zu versorgen, statt geregelter Arbeit nachzugehen, aber nicht mit uns! Das Pfandgeld kann er sich an den Hut stecken!'
Dieser unliebsame Kunde ist nicht nur auf des Kapos Schirm, auf den des Rampen-Abteilungsleiters, auf den des Vidoemeisterns, des Lehrlings und und und.
Aber einer nach dem anderen.
Das letzte Mal wollte Blondy nur eine Flasche einlösen, der türkische Lehrling war sich aber nicht sicher, ob er diese entgegennehmen darf. Blondy wurde wütend, was gibt es da zu zweifeln angesichts dieses eindeutigen Flaschenpfandlogos: „Sie sehen es doch!“ „Trotzdem! Ich muss den Chef fragen!“, wandte sich um und ging ins Büro des Abteilungsleiter, kam wieder heraus und ging an ihm vorbei: „Herr Abteilungsleiter telefoniert noch. Er kommt gleich. Warten Sie hier!“ Blondy wartete und wartete. „Was soll das, der telefoniert und telefoniert und lässt einen Kunden sich den Körper in den Bauch stehen!“ Er wurde immer wütender. Schließlich drückte er auf den Knopf der Flaschenmaschine und eine weibliche Roboterstimme ertönte: „Ein Mitarbeiter bitte zum Flaschenautomaten!“ Nichts tat sich. Noch einmal gedrückt und wieder nichts und wieder gedrückt. Unterdessen hörte der Chef den Lärm mit, wie die blöde monotone Maschinenstimme immer wieder die ganze, lange Halle beschallte, konnte aber nicht vom Telefon gehen, weil er in einem wichtigen Gespräch verwickelt war. Dementsprechend belferte er den Blonden an, als er endlich herauskam: „Können Sie nicht mal warten, wenn ich telefonieren muß!“
„Wer ist hier König, der Kunde oder der Verkäufer!“
Der Abteilungsleiter unterdrückte seine Wut diesmal und händigte ihn zähneknirschend den 25-Cent-Pfandgut-Bon aus.
'Schau, dass die schleichst, du räudiger Hund, du!'

Mitarbeiter X verstand sofort, sowie ihm der Videomeister einige Aufnahmen von Blondy vorführte.
„Man kann nichts erkennen. dass er sich etwas in die Tasche steckt! Aber...“
Mitarbeiter X wurde hellhörig und aufmerksam. Da musste nur etwas nachgeholfen werden, dachte er. Er war ein Psychologie, ehemaliger Stasimitarbeiter, agent provocateur, der heutzutage die falsche und denkbar unterqualifizierteste Arbeit erledigen musste: Pfandflaschen-Verwaltung. Man konnte ganz andere Flaschen „entsorgen“.
„Operation 'Jäger und Sammler'
Der Videomaster schaute seinen Mitarbeiter an.
„Wir starten die Operation 'Jäger und Sammler'
Die Stirn des Gegenüber runzelte sich.
Der Pfandflaschen-Fachmann erläuterte leicht oberflächlich: „Na, da müssen wir ein bißchen nachhelfen. Ein klein wenig provozieren, Sie verstehen.“ Und schnell sagte er: „Aber lassen Sie mich nur machen. Ich kenne solche Typen. Mit denen bin ich schon immer fertiggeworden. Die sind leicht auf die Palme zu bringen, werden schier tobsüchtig und dann machen sie die dümmsten Sachen, die man sich vorstellen kann. Gerade solche, die man wünscht, die verboten sind, Sie wissen schon, wie ich's meine?“
Der Herr über das im ganzen Areal, den Hallen, dem Vorhof, bis in die Parkplätze gegenüber der Straße reichenden Videoimperium nickte leicht, zwar mit einem etwas beklemmenden Gefühl in der Brust, aber letztendlich ist jeder selber schuld, wenn er sich in die Nesseln setzt oder treiben läßt, entscheidend ist immer die Tat, das Ergebnis, der Effekt – wie es in der pragmatischen Welt gilt. Und gegenüber dem Chef stand er schon in Zugzwang, denn die teure Überwachungsanlage musste sich endlich lohnen – bei bislang nur einem Kaufhausdiebstahl innerhalb eines Jahres tat es sich entschieden nicht. Sollte der extreme, verrückte, ehemalige Stasioffizier nur schalten und walten, aber wenn sich dadurch ein Kleinkrimineller auf frischer Tat ertappen und überführen ließ, war das große Los gezogen.
„Sehen Sie mal, was ich jetzt mache“, sagte er. „Ich setze das Programm in Alarmbereitschaft mit der Bilderkennungssoftware. Wann immer der Vogel hier erscheint, blinkt es rot auf und...“ Auf dem rechten, oberen Bildrand erschien jetzt auf jedem der circa zehn Bildschirme im Raum die verhaute Gestalt Blondys. Und auf den Videokameras, auf den er aufgefangen, ins Bild gesetzt und verfolgt wurde, leuchtete eine rote Aura um seine Gestalt herum auf, ein quasi unsichtbarer Astralleib oder elektronisch-fluoreszierendes Kraftfeld, als würde er gerade wie Kapitän Kirk von der Enterprise weggebeamt werden. Auf einem anderen Bildschirm, einem geometrischen Grundriß des Kaufhauses blinkte ein roter Punkt auf, der sich durch die Halle bewegte. An einem anderen Bildschirm wiederum zoomte jetzt die andere Kamera direkt auf Blondy zu, so daß er unmittelbar von oben und auf einem zweiten Bildschirm, der ihn auch gleichzeitig herangezoomt hatte, von schräg oben mit beinahe voller Körpergestalt von vorne zu sehen ist, während er auf den Flaschenautomaten zugeht.

Nun, heute, drückt der Administrator eine Taste, die ein Alarmlicht auf einem Bildschirm hinter dem Flaschenpfandautomaten auslöst mit dem blinkendem Schriftzug „Operation 'Jäger und Sammler'. Dies las Herr Stasi-X grinsend. 'Endlich ist es so weit. Das Mammut läuft direkt in die Falle. Heute wird er erledigt.'
Daß es dazu kommen sollte, lag daran, daß der Provokateur vom Dienst Blondy schon seit Wochen mit einer Herausforderung oder besser Unverschämtheit nach der anderen aus seinem Loch gelockt hatte. Er ließ sich auch herauskitzeln. Zu seiner Schande und wegen seiner Schwäche und Labilität. Aber auch andere Mitarbeiter beteiligten sich an der Hetzjagd.
So zum Beispiel der Lehrling, der direkt dem Flaschenmeister zugeteilt war. Dieser dachte, daß solch ein Verhalten Teil seiner Ausbildung sei, als er instruiert wurde anhand eines Bildes, eines Computerausdrucks, das vom Videomaster erbeten worden war, worauf deutlich und sichtbar zu sehen war, welche Gestalt das urzeitliche Tier besaß. Zwar hatte der Lehrling kein gutes Gefühl, aber Blondy gegenüber verhielt er sich zumindest sehr verhalten, um nicht zu sagen schroff ablehnend.
Aber nicht nur er. Dazu später mehr.

Blondy kam heute mit seinem Rad, allerdings mit Blackys Fahrradschloß an das Einkaufszentrum gefahren. Seins hing ja noch am Tunneleingang. Beim Rückweg würde er's holen.
Er war ziemlich erregt und wütend. Blacky hatte nicht wie vereinbart und angekündigt die Pfandflaschen entsorgt, als er das Lösegeld hatte holen müssen.
„Hast wohl etwas Besseres zu tun gehabt?“
Ohne zu wissen, dass er damit voll ins Schwarze getroffen hat, antwortete Blacky süffisant: „Das hatte ich allerdings!“
Diese unverschämte Antwort machte Blondy natürlich wütend und geladen machte er sich auf den Weg zum Einkaufszentrum. Flaschenentsorgen, Mineralwasser kaufen und sonst noch einiges mehr, was für die große Reise ins Reich der Freiheit nötig ist.
'Immer bleibt alles an mir hängen!'
Ärgerlich!
„Muß ich immer der Depp sein? - Na warte!´“
Eigentlich hätten sie ja so etwas wie Pfandgeldeinlösen nicht mehr nötig, aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier.
Etliche der Pfandflaschen wollte er zunächst beim Automaten in der hinteren Ecke der Einkaufshalle einlösten. Die blöde Maschine quittierte diese allerdings wieder einmal nicht. Blondy schlug leicht mit dem Fuß gegen die wackelnde Blechkiste und drückte auf die Klingel, um die sterile Maschinenstimme ertönen zu lassen: „Mitarbeiter, bitte an den Automaten kommen!“ Mitarbeiter X trat aus dem Hinterraum hervor, erbot sich zunächst recht freundlich, natürlich sofort nach der von der Maschine verschluckten Flasche zu suchen.
„Warten Sie hier. Bin gleich zurück!“
„Warten“, dieses Wort brachte Blondy in seinem Zustand und in diesem Raum ziemlich aus dem Häuschen. Dazu hatte er zu oft mit den Mitarbeitern wegen der Unzuverlässigkeit des Flaschenautomaten Scherereien gehabt.
„Ich geh mal schnell zur Metzgerei davorne. Wenn Dein Chef kommt...“ Der danebenstehende Lehrling nickte und fuhr unverdrossen mit seinem Palettengabler weiter. Er konnte sich doch nicht auch noch mit Sonderwünschen verrückter Kunden abgeben. Jedenfalls war er längst wieder an anderer Stelle zugange, als der Mitarbeiter aus der Tür neben dem Automaten hervortrat und weit und breit keinen Kunden mehr erblickte. Auch er stand unter Zeitdruck. Nun aber mußte er warten. Er tat dies so ungern, daß er, als Blondy mit einem verpackten Batzen Hackfleisch von der Fleischdecke wiederkam, jener das Anliegen mürrisch, mit einem wegwerfenden Schulterzucken abtat.
„Da hat sich keine Flasche gefunden!“
„Heißt wohl, ich bekomm keinen Bon, was! Dann ruf ich ihren Chef!“ Schon wendete sich Blondy dem Geschäftsbüro des Einkaufszentrum zu.
„Halt!“ Er blickte in die grinsende, verquerte, verlogene Visage. Dieser hielt bereits einen vorbereiteten, handschriftlich ausgestellten Bon in der Hand hoch.
Blondy hatte noch eine zweite Flasche in petto.
Eigenartigerweise fehlte diesem das Pfandemblem.
„Da kann ich nun wirklich nichts machen!“
„Aber...!“
„Nun aber wirklich. Tut mir leid!“
„Kommen Sie mal mit. Ich zeige Ihnen etwas!“
Blondy lief wütend um die Ecke zu solchen verkaufbaren Flaschen.
„Okay, dann halt!“ Mitarbeiter X lachte und zeichnete die leere Flasche gegen.
Blondy kochte das Blut in den Adern.
Wütig lief er zur Kasse und unterließ in seiner Wut das zu zahlende Fleischprodukt zu begleichen. Es steckte uneinsehbar in seiner Jackentasche. Er ließ sich den Wertschein ausbezahlen und verließ eiligst das Geschäft.
'Gerechtigkeit muss sein! Verarschen laß ich mich nicht. Widerstand ist nötig, um nicht sein Gesicht zu verlieren.'
Er trat aus dem Einkaufsareal hinaus und spürte eine Hand auf seiner Schulter.
„Kommen Sie mit, junger Mann!“
Der stinkige Abteilungsleiter und der aufstierende, unseriöse Mitarbeiter X forderten ihn entschieden auf, mit ins Geschäft hinein zu kommen.
„Wieso?“
„Wir müssen da ein paar Dinge klären!“
Sie hatten seine Unterlassung auf Video aufgezeichnet und verfolgt und weil jeder Diebstahl zur Anzeige gebracht und dafür kein Verständnis aufgebracht wurde, zudem sich die Zaungäste gleichgültig gegenüber anderen verhielten, waren die Warenhausbetreiber sicher und fühlten sich im Recht und riefen die Polizei.
Während Blondy allein im Mitarbeiter-Aufenthaltsraum der Mitarbeiter auf die behördlichen Ermittler warten musste, wurde ihm allmählich seine Lage klar. Rational sagte er sich zwar in etwa, dass letztlich geschissen war auf die Tatsache, dass er nicht umhinkäme, eine kleine Strafzahlung für einen kleinen Diebstahl zu entrichten – aber was war das schon im Vergleich zur Höhe des Erpressungsgeldes, das auf ihn wartete?
Aber, je länger er zuwartete, desto nervöser wurde er.
Wenn sie Verdacht schöpften, wenn die Arztfamilie vielleicht doch die Polizei eingeschaltet hatte nämlich und diese in dieser Gegend hier auch die Entführer mutmaßte, wovon entschieden auszugehen war, würden die schönen Scheine und herrliche Freiheit unwiederbringlich flöten gehen. Was war mit dem Herumliegen auf einer Insel, die vielen Tussis und vor allem das beschwerliche, widerliche, bekackte Leben hierzulande hintersichlassen?
Mensch, er musste sich verdünnisieren.
Er spürte seine Waffe in der Westentasche, das erste Mal, seit er hier ist.
Das beruhigte ihn ungemein.

Er spitzte aus dem Raum, sah dort den Besitzer und den Administrator an den kurz unterhalb der Decke entlangführenden Rohrleitungen Muskelübungen machen wie im Fitnesscenter, was angesichts deren bulliger Korpulenz aussah, als ob Rindviecher, nur wie im Schlachthaus nicht umgekehrt, herunterhingen. Zu allem Übel, aller Bedrohlichkeit und vor allem jetzt Scham kam noch eine schnucklige Verkäuferinnen herein, um sich aus dem Kühlschrank etwas zum Vespern zu holen. Sie lächelte verlegen.
'Bin ich denn der Depp!', entfleuchte es ihm, verschluckte aber diesen Wortschwall. Stattdessen grinste er Zähne fletschend gen schönem Engel, deren Erscheinung bald vorüber war.
Dann kamen zwei schneidige Polizisten in den Gang, wo Geschäftsleiter und Videospitzel ihre Muskelübungen vollführten.
„Zum Videoraum?“
„Gehen wir dort hinein!“
Alles war so schnell gegangen, daß Blondy keine Chance hatte, etwas zu sagen oder zu fragen, ob auch er die Videos mit ansehen könne. Blondy war Spezialist in Videoschnitt, anhand des selbstgedrehten Pornos bewiesen. Er wußte, mit Videobildern sind schier unbegrenzte Manipulationsmöglichkeiten eröffnet, ja selbst der Timecode, die Zeitangabe unten am Rand der beweglichen Bilder konnten nach Belieben verändert werden. Wer weiß, welche Szenen die den Polizisten präsentierten? Auch die, wo er provoziert worden ist? Wer weiß, was Geschäftsleitung und Polizisten untereinander ausmachten nach dem Motto: Seh über diese uns kompromittierende Szene hinweg, dann wird die Grillfleischladung für die nächste Betriebs-Festaktivität doppelt so groß ausfallen, bei gleichem Preis, versteht sich.
„Ja, wirklich, ich bin der totale Depp!“
Blondy saß auf der Stirnseite eines langen, fast den ganzen Raum durchziehenden Tisches. Auf diesem lagen verschiedene Dinge wir eingewickelte, belegte Brote, Gemüse, Obst oder Trinkgefäße – der Proviant der Mitarbeiter. An der Wand darüber hingen etliche Fotos von lustig dreinschauenden Kaufhauspersonal auf Geschäftsfeten, Ausflügen oder Kaufhaus-Events, in die die schnuckeligen Verkäuferinnen nur so feist herauslächelten, daß es Bondy ganz anders zumute wurde. Dazwischen hing ein Kalender, ein Putz- oder Abspülplan für die Mitarbeiter. Und inmitten dieser kunterbunten Poster-, Bilder- und Mitarbeiterplan-Wand glaubte Blondy ein großes, farbiges Bild von einer sehr bekannten Person zu erblicken – aber das war doch unmöglich!
Abrupt sprang er auf, ging ein Stückchen um die Bank herum näher an das Konterfei heran.
Von oben herab war von dem Mann die Tonsur zu sehen, dessen zu lange Haare wie dem Filmhelden von Eraserhead von David Lynch wie unter Strom- und Blitzeinfluß weg standen - er selbst, Blondy war es.
Darüber stand in bunten Lettern: „Operation JÄGER UND SAMMLER“. Und darunter weiter: MOST WANTED. Nicht genug damit. Man hatte in sein Gesicht mit rotem Filzstift eine Clowns- oder Pappnase gemalt.
Er konnte es einen langen Moment nicht fassen. Er war als der größte Clown, die größte Pappnase, der allergrößte Depp weit und breit in aller Öffentlichkeit verhöhnt und an den Pranger gestellt.
Manches der eigenartigen Verhaltensweisen der Verkäuferinnen wurde ihm mit einem Mal etwas erklärlicher, wenn sie ihm verwegen ins Gesicht oder hinter vorgehaltener Hand anlächelten und angrinsten.
Er bekam es plötzlich mit der Angst zu tun, mit der Angst davor, was er am liebsten jetzt getan hätte, nämlich sich ein paar Geiseln zu nehmen, mit an die Schläfen angelegtem Pistolenlauf durch die Menge draußen im bunten Kaufhaustreiben zum Erschrecken aller zu gehen, um sich seinen Weg freizukämpfen. Er rannte über diese Vorstellung geschwind aufs Klo hinten am Ende des Personalaufenthaltsraumes.
Dort entleerte er sich mit einem gehörig lauten Plippfff.
Muffensausen hatte ihn am Wickel.
Denn die Polizei war ja da, mit der er ja so seine Erfahrungen gemacht hätte. Das waren Profis, die ihn unerbittlich in zunächst gebührendem Abstand folgen würden, aber nicht locker lassen würden, egal welche Kapriolen er sich auch leisten würde.
Erneut erzeugte sein Durchfall einen hohen Laut.
Er griff nach seiner Pistole in der Seitentasche, zog sie hervor und legte sie flach auf die Handfläche. Mußte man dieses Gerät nicht entsichern vorm Einsatz? Er öffnete die Schusstrommel und vergewisserte sich, daß sie Patronen enthielt. Die Trommel klickte zurück und ein.
Da war so ein Hebel, den er betätigte. So jetzt müßte sie schussbereit sein. Er hob sie und hielt sie gegen die verschlossene Klotür.
Nein, cool bleiben, Nerven behalten, erst mal schauen und abwarten.
Was, mit entsicherter Pistole hier warten, bis die Tür eingetreten werden würde, weil er nicht öffnen würde? Dann ballern, sowie die Tür zersplitterte? Quatsch, man würde sicherlich mit einem Dietrich zugange sein und dann hätte er freie Schussbahn, wenn sich die Tür sesam-öffne-Dich auftat.
Er würde ein Blutbad verursachen, das sich gewaschen hätte. Nur würde er dadurch nicht entkommen. Die Nachfolger standen schon bei Fuß. Und auch die zu überwältigen, ginge vielleicht noch an, aber beim Durchqueren der Verkaufshalle würden sich ihm doch einige Mitarbeiter in den Weg stellen.
Wobei allerdings die Vorstellung sehr anregend wirkte: das kühlte sein Mütchen angesichts der nun erfahrenen Ungerechtigkeit.
Er merkte, daß sein Blick starr auf die Tür gerichtet war genauso wie seine Knarre.
Er war also bereit, selbst zu einem Massaker.
Das Bild von der Schießerei in der Kaufhalle – obwohl es auch witzig war: Tomatendosen explodierten mit rotem Schwall durch verirrte Kugeln – das Glas der Wursttheke explodierte und leblose Menschenkörper fielen auf die Fleisch- und Wurstauslagen – igitt – erfüllte ihn jetzt doch mit einer Gemengelage aus Abscheu, Befriedigung und Scham, die ihn verlegen machte. So wanderte sein Blick automatisch die Tür hoch, über die Decke, bis er im äußerten Blickwinkel ein Klappfenster sah. Sofort sprang er auf, zog die Hose hoch, steckte die Pistole weg und beäugte diese Öffnung genauer.
Aufgeklappt.
Wunderbar!
Das war's - ab die Wurscht!
Er klappte den Klodeckel auf, stieg auf den Pissoirsockel und ging mit dem Fenster zuwerke. Nur durfte der Fensterrahmen nicht herausbrechen – was auch nicht tun würde!
Das Fenster selbst ließ sich locker aus seiner Halterung ziehen und so konnte sich Blondy hoch wie an einer Stange nach oben ziehen, ha, es lohnte sich doch, tagtägliche Krafttraining zu machen. Verdammt, dann stieß er gegen ein Gitterwerk. Dieses war, weil eingerostet, nur schwer zu öffnen, aber Blondy drehte sich dort oben am Fensterrahmen akrobatenartig um seine eigene Achse und stieß den Rost mit einem Fußschlag aus der rostigen Verankerung.
Der Weg war frei!
Draußen auf dem horizontalem Hallendach lief er über 50 Meter diagonal in eine äußere Ecke, schaute erst einmal vorsichtig nach unten, ob man schon auf ihn wartete und ob der Weg frei wäre, was er war, da zufällig keine Menschenseele da hinten weilte oder hin- oder herging. Doch ging er leiber ein paar Meter die Längsseite entlang zurück, um von dort aus, an einer Regenrohrleitung wie ein Affe herunterzuklettern. Schnell sprang er um die Ecke zum Fahrrad, öffnete das Schloß und fuhr los.

Und er wurde verfolgt.
In seiner Begeisterung und Freude über das Entkommen schaute er sich nicht nach Verfolgern um.
Die Aussichten waren düster: nun würde die Polizei erfahren, wo er logierte, kämen ins Haus gestürzt ohne Kenntnis der Entführung und sie beide, Blacky und er, würden sich wehren.
Nur wie?
Diese Situation würde fatal werden. Zu welchen unschönen Szenen es kommen könnte?
Wohl hatten sie jetzt eine Knarre. Trotzdem, er hatte keinerlei Erfahrung im Umgang ihr. Wie sollte er sich da gegen Profis wie Polizisten wehren können?
Blondy hatte einfach deshalb schon einmal ein ungutes Gefühl. Und er fühlte sich deshalb allmählich verfolgt.
Wohin wollte er ursprünglich?
Aha, er fuhr kurzerhand zum Tunnel, um ganz sicher zu gehen. Noch nicht genau wußte er, wieso er dies tun sollte... Aber mochten die Verfolger, Profis wie sie waren, noch so zaghaft und vorsichtig vor sich gehen, und sicher war sicher - beim Tunnel war Ende der Fahnenstange - denn dort konnte er diese abhängen - genau, das Schloß!
Er rollte das Fahrrad hinein, hastete zum anderem Tunnelende, öffnete das noch vorhandene Schloß am anderen Eingang, verschloß es erneut hinter sich, stellte das Fahrrad ab, nahm Blackys Fahrradschloß an sich und stieg den Bahndamm hoch.
Er hatte da so eine Idee. Und er hatte auch eine Befürchtung.
Und tatsächlich, in der Ferne, über den Bahndamm geblickt, auf der anderen Seite, sah er ein Polizistenauto langsam des Weges kommen.
Er überquerte sehr vorsichtig die Fahrgleise - sie würden ihn von der anderen Seite nicht sehen können, waren doch die Bahndämme mit hohen Gestrüpp und Baumstämmen begrenzt.
Er sah das Polizeiauto stoppen. Zwei Uniformierte sprangen heraus, auch der Abteilungsleiter und hastig stürmten sie in den Tunnel hinein. Blondy sprang die Böschung hinunter, ging an die vordere Tunneltür heran und machte sie mit seinem zweiten Schloß dingfest.
Fast hüpfte er Richtung nach Hause.
Die drei Personen im Tunnel saßen in der Mausefalle. Weder vorne noch hinten kamen sie heraus. Es war ziemlich dunkel dort und roch beizend nach Urinsäure und Hunde- und Menschenkot. Ob ihre Walkie-Talkies durch die dicken Mauern Funkverbindung herstellen konnten? Ansonsten, würden die womöglich dort unten im wahrsten Sinne des Wortes versauern... Nicht auszumalen, oder?
Blondy lachte und freute sich: Gerechtigkeit muß siegen!
Gleichzeitig machte er sich auch Sorgen. Hier in diesem Tunnel konnte man sich, da seine Stammkneipe nur visavi der Straße war, sorgenlos und ungebremst auskotzen. Jeder Rausch mußte raus! Wie würde es sich in Ballermann-Regionen verhalten? Konnte man sich dort auch so ungezwungen auskotzen wie in der Heimat?

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