Aus dem Leben eines Obdachlosen - Kapitel 1.

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AUS DEM LEBEN EINES OBDACHLOSEN - KAPITEL 1.

Thema gestartet
von pentzw
am 11.02.2021 - 19:28 Uhr
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pentzw  Am Tag als meine Mutter starb

1. Vormittags

„Ihre Frau Mama liegt im Sterben!“ So die Altenpflegerin, die an mir vorbeihetzt. „Die Kollegin hat dies gesagt, die 30 Jahre Erfahrung hat", äußert sie, während ich sie von hinten entschwinden sehe.
Es ist arktisch kalt, jeder ist in Bewegung, ich auch, der versucht in Zugwagons zu gelangen, wo es wärmer ist als draußen, wo der Kältetod lauert. Für mich ist heute ein Glückstag, denn ein Passant hat mir eine Karte in die Hand gedrückt, mit der ich noch jemanden mitnehmen und etwas Geld machen kann.
Jubelstimmung bricht bei mir aus.
Es ist schwierig jemanden zu finden.
Ein Dunkelhäutiger mit einem Karren für Kartons. Ich vermute, er bringt diesen Schlepproller zu einem Bekannten, von dem er sich ihn über die Feiertage ausgeliehen hat. Weil sein Bild so, so symbolisch wirkt, traue ich ihn nicht zu fragen. Er bestätigt mir, daß er aus Westafrika ist und begeistert wechsle ich ein paar Französisch-Konversations-Floskeln. Er spricht anfänglich wenig Deutsch, Französisch aber sehr gut. Aber in den folgenden brenzlichen Situationen hat er die richtigen gemeinsamen deutschsprachigen Worte parat. Es hat vielleicht an mir gelegen, der allzu übertrieben und umständlich und unterstützt mit zackigen Handbewegungen geredet und gestikuliert hat. Hat ihn womöglich eingeschüchtert.
Als wir dummerweise einmal umsteigen müssen, drückt er sich unmißverständlich aus. Ich fühle mich nicht getäuscht, es hat womöglich an mir gelegen. Hauptsache im Zug, in der Wärme und ein paar Kröten in der Tasche.
Bald erschöpfen sich meine Französisch-Bemühungen und Deutsch zu sprechen, kann ich schon und die Reise dauert noch eine halbe Stunde, so daß ich mich entspannt in den Sitz zurücklehne.
Ist die Mutter jetzt schon tot?
Eigentlich egal.
Für mich ist sie längst gestorben.
Sie haben mich nicht mehr zu ihr gelassen.
Es ist nur ein Ein-Personen-Besuch erlaubt worden. Den hat sich die Schwester ausbedungen. Wie sie sich alles unter den Nagel gerissen hat. Ich habe zwar Einspruch erhoben, da meine Mutter jedes Jahr eine fehlerhafte Unterschrift geleistet hat, aber das Gericht hat dies nicht nachvollzogen. Das hat mir die letzten Penunzen aus der Tasche gezogen. Denn die Justiz lässt sich üppig bezahlen. Als ich zudem die Stromkosten nicht mehr bezahlen konnte, Mitbewohner des Hauses haben diesen angezapft, meine Schwester hat sich geweigert, dies nachzuprüfen und die Elektrikergebühren konnte ich mir nicht leisten, so daß ich auf der Straße gelandet bin. Jetzt hat die Schwester alles in Hand.
Einer unter hundertausenden Obdachlosen-Schicksalen.
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