Stofftiere bringen mir kein Glück - oder Gezerre überall

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STOFFTIERE BRINGEN MIR KEIN GLÜCK - ODER GEZERRE ÜBERALL

Thema gestartet
von pentzw
am 04.07.2020 - 13:34 Uhr
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pentzw  I. Gezerre

a) am Bahnhof

Sie fühlt sich schon seit einigen Stunden unwohl, als ob sie hohes Fieber hätte und gleichzeitig merkt sie, daß ihr Zahnfleisch entzündet ist. „Ich muss halt einfach mal wieder die Zahnbürste mit einer neuen austauschen“, beschwichtigt sie sich. Das Wetter ist warm, der Himmel wolkenlos, warum sich also grämen?
Weiter, Richtung Bahnhof!
Mit der Karte in der Tasche, zumal, wenn sie noch einen mitnehmen kann, denn das Ticket ist letztlich für zwei Personen gültig, wäre alles perfekt, sonnenklar und umwerfend und der Tag gerettet. Mal schauen, wer so am Bahnhof herumschleicht an Bekannten, und wenn nicht bekannt, was soll’s, sie traut sich auch einen Wildfremden ansprechen. Jedermann, der in die gleiche Richtung fährt, überlegt es sich gut, wenn er hört, daß er nur den halben Preis bezahlen müsse, wenn er mit ihr führe. Dieses mit einem Papier vorm Kartenautomaten-in-der-Luft-Schwenken, diese Offenheit, ob jemand mitfahren würde, erfüllt sie mit Zuversicht. Ha, sie sieht sich schon dastehen, mit ihrem Zettelchen hin- und herwedeln, wenn sie das Angebot einer Schar von Menschen offenbart hat, worin sich bestimmt einer befände, der auf das Angebot eingehen würde. Ha, wie sie das liebt, diese Schreck-, Sturm-, Stillmomente, wenn einer überlegt, sich die Karte in seiner Hand befindet, musternd, überprüfend, grübelnd, bis die Entscheidung getroffen ist, ob er mitfahren würde – das ist schön, das ist befreiend und abenteuerlich!
Obwohl der Anlass weniger erfreulich ist, diese Reise anzutreten, es ist im Grunde leichtsinnig, jemanden mitzunehmen, wer wußte denn, warum sie dazu beordert worden ist, in der Großstadt einen Termin beim Gesundheitsamt wahrzunehmen? Geht das nicht auch in der Kleinstadt? Ob sie überhaupt krank ist? Nein, nicht! Es bestünde kein Verdacht, nur reine Vorsichtsmaßnahme. Wenn man halt diesen Gaunern, Halsabschneidern und Blutekeln von Ärzten trauen könnte? Letztlich weiß man nie, woran man ist. Aber vielleicht ist es auch besser so!
Sie schaut ihren offenen Hals hinunter.
Recht attraktiv fühlt sie sich heute, hat sie doch von ihrer Mitbewohnerin Loulou ein buntes Halsband geschenkt bekommen, daß über ihren dicken Hals schwenkt, baumelt und rutscht.
„Süße! Du siehst so etwas von verführerisch aus!“
Ja. Leider aber einen dicken Hals hat sie, weil zugenommen in letzter Zeit allüberall. Bailey, Liköre und sonstige zuckerhaltige Getränke anstatt des bitteren Schnaps fordern ihren Tribut. Ihre Dicke, ihre Schwemme, ihr Kokon ist nur insofern vorteilhaft, als sie dadurch jünger aussieht oder anders betrachtet, weniger alt. Ältere Menschen sehen je älter aus, je dünner sie sind, man meint doch, sie stehen kurz vor dem Tod. Das Skelett und der Tod, ist das nicht nur sinnbildlich, sondern geradezu greifbar?
Dumm nur, krank oder nicht, daß sie dafür eine längere Zugfahrt zurücklegen muss, immerhin, blöd ist sie nicht, würde sie sich doch mit einem Mitfahrer lustig die Zeit vertreiben, verscheuchen, versüßen, verkürzen.
Sie pfeift gerade vor sich hin. Das Wetter ist aber wirklich zu schön!
Erneut und erneut führt sie ihr Wohlgelauntsein, Euphorie und Über-den-Dingen-Schweben auf den zweiten glücklichen Umstand zurück, daß sie mit ihrer Karte in der Hand nicht nur die Hälfte des Fahrpreises zahlen muss. Zudem besteht nämlich die Möglichkeit, sogar umsonst fahren zu können, überzeugte sie noch jemanden, daß er mit ihr heimfahre.
Ah, dort ist sie schon fast am Bahnhof. Hinter der nächsten Kurve wird sie sehen, was sie erwartet.
Am Taxistand vorbei beginnt sie, trotz Bestaunens eines Fahrers, sich langsam tastend und tapsend an die Ecke heranzuschleichen. Erst einen Blick werfen, um das Terrain zu erkunden. Druckt erst einmal einer vor dem Terminal herum, würde dieser sie bestimmt ansprechen, wenn sie sich auf die Bank davor hinsetzt ohne Anstalten des Lösens einer Karte. „Kannst Du nicht zwei Personen mit Deiner Karte mitnehmen?“ Dass diese Möglichkeit existiert, wissen mittlerweile nämlich alle.
Der Nachteil liegt nur darin, daß viele der notorischen, stadtbekannten Schmarotzer eher eine Stunde Herumstehens in Kauf nehmen, auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit, als sich eine Karte zu lösen und wie sie sich selbst sehr gut kennt, kann sie nicht nein sagen, wenn sie angesprochen wird.
Aber umsonst will sie keinen mitnehmen. Nimmt sie sich zumindest fest vor!
Es hat sie also zu all dem schönen Wetter nun der Rausch des Geldes am Wickel.
Sie sieht jemanden.
Lieber die halbe Stunde, die sie Zeit bis zum Zug, totschlagen, hinter dieser Ecke kauern, als einen umsonst mitzunehmen. Zu hoffen ist, diese Trittbrettfahrer verdünnisiert sich bald, und verzieht er sich nur in die Bahnhofshalle, um sich einen Flachmann, einen Burger oder einen Kaffee zu erstehen, so daß der Weg frei wäre, jemanden anderen zu fragen. Zu dieser Tageszeit ist ohnehin ein starkes Gedränge. Ja, sie sieht jetzt, daß sich sogar zwei kleine Schlangen von vier Personen aufgereiht haben.
Die hat sie gar nicht gesehen, so fixiert war sie auf das Gaunern, tzz.
Also, da kann man immerhin zwei Mal vier Personen fragen - eine günstige Gelegenheit, ein mathematische Chance und nahezu Jackpot im Vergleich zur Null-Pfennig-und-Heller-Aussicht bei einem solchen Schmarotzer, an einem klebenden lalabernden Mitfahrer, deren Gesprächsstoff einem sattsam bekannt, deren Selbstmitleid einem schrecklich gleichgültig und deren Übellaunigkeit einem auf dem Nerv geht, kurzum einem schier alles zum Hals heraushängt an diesen, steckt man nur selbst bis zum Hals im Sumpf, nur der andere dies nicht wissen will oder kann, gleichgültig oder schadenfreudig wie sie doch sind. Und sich in gegenseitigem Selbstmitleid zu suhlen, ist eh Feuer ins Öl schütten.
Nein – heute ist ihr Tag, ein Tag des Geldes, des Ersparens, womöglich des Gewinnens, denkt sie an die Aussicht, von Nürnberg aus einen Rückfahrer zu bekommen, was ihr sogar ein Plus von Einnahmen bescheren würde – wenngleich diese Möglichkeit sehr unwahrscheinlich ist. Bein einem Unbekannten könnte sie immerhin den Vorschlag anbringen, sofern er zaudert: „Einen Euro, symbolisch, kannst Du mir schon geben fürs Mitfahren!“
Obwohl, was ist heutzutage schon ein Euro? Weniger als Nichts. Wenngleich für sie sehr viel!
Schlecht ist zudem ein Konkurrent. Mit so einem würde sie selbstverständlich nicht wetteifern. Dazu ist der Tag zu schön, um sich Stress zu machen.
Am schlimmsten, stellte sie sich vor, stünde Fido dort.
Und tatsächlich, dort steht er, dessen Hemd genau so aus der Hose hängt wie seine Zunge aus dem Mund.
Spricht er einem mit seiner lispelnden Stimme an, müssen viele spontan lächeln, mag es auch an einer Behinderung, seiner fremdländischen Sprachherkunft oder medikamentösen Behandlung liegen. Von daher sein Erfolglosigkeit, einem Mitfahrer anzuwerben, wohingegen er oft genug einen Euro zugesteckt bekommt. Ist ja auch etwas!
Weil, vielen lästig ist er, ist er abgeblitzt, daß er denjenigen ohne Umschweife noch gleich bittend und bettelnd so nah auf die Pelle rückt, um einen Euro zu ergattern und jener nicht ablehnen kann. Bei keinem scheut er mit dem Du. Im Gleichklang des Lispelns lächeln die meisten darüber oder schütteln sachte den Kopf in der Annahme, es müsse sich um den Dorftrottel handeln. Trotzdem warten, postieren und begeben sich daraufhin viele möglichst weit weg von ihm zum Zugsteig.
Gina gibt es auf, länger herumzustehen und darauf zu rechnen, daß sie zum Zuge käme, sowie Fido einen Passanten zum Mitfahren überredet hätte. Wahrscheinlich würde er sogar bis zum nächsten Zug und darüber hinaus auf der Sitzbank dort vor den Terminals sitzen bleiben.
"Ein Vollmedikamentöser! Bedauerliches Individuum“, denkt Gina mitleidig und etwas befriedigt, denn auch sie schluckt bereits solche bunten, lustigen, trügerischen Pillen, Tabletten und Dragees. Nichtsdestoweniger kommt sie sich entschieden als Auf-Rote-Rosen-Gebettete, Glückskind und Privilegierte vor – bei einem Schlechter-als-man-selbst-Draufseienden und bei dieser schönen, bunten Halskette!
Diese baumelt lustig hin und her, funkelt, blitzt und glitzert wie ein Kaleidoskop, als sie sich ihm nun nähert.
Zu ihrem Glück muss sie sich mit Fido nicht gleich abtun, denn wen sieht sie?

Unsereiner kommt gerade von der anderen Seite her um das Bahnhofsgebäude gebogen, so daß wir drei Personen zusammenstoßen. Meine Person zieht allerdings mitnichten das Interesse Ginas auf sich. Es ist noch ein Vierter im Bunde, derjenige, der sofort im Mittelpunkt des Geschehens steht.
Gina tut so, als wäre sie auf niemanden sonst lieber getroffen.
Beluntschi!
Genau, ich habe ihn unterm Arm geklemmt. Ich will ihn nach Hause bringen. Zwar nicht in eine geliebte Hundehütte, sondern – äh, ich weiß noch nicht, was ich mit ihm anstellen werde, ehrlich gesagt – und alles ist offen! (Beluntschi ist ein Stoffhund – für die Neueinsteiger. Siehe vorhergehende Kapitel, wobei dieses Kapitel hier ohne die vorhergehenden gut lesbar ist.)
Aber ich hätte ihn in meinen Rucksack verstauen sollen, anstatt so.
„Ach, mein liebster Beluntschi, mein...“
So tritt sie gleich zu mir heran, streichelt den Wuschelkopf des Hundes und intoniert, stimmt an und läßt alle Facetten menschlicher Stimmen verlautbaren: Grummeln, Grunzen, Röhren, Kichern, Giggeln, Tschirpen, Tirilieren, Maunzen, Miauen, Bellen, Brummen, Knurren, kurzum Geräusche in allen Stimmlagen, Tonhöhen und Frequenzen, einfach alle wie auch immer mit dem Mund, Brust und sonstigem Bereich des menschlichen Körpers, der zu einem Klangkörper taugt, zu bildende Kehlkopf-, Schnalz-, Gaumen- Zungen-, Zahnlaute, einfach alle.
Fido bricht darüber, über Ginas Verhalten der totalen Zuneigung, in entfesseltes Lachen aus.
Ich meinerseits pikiere mich darübe: ist solch ein ungeniertes Lachen eines Fremden über eines anderen Fremden Verhalten gerechtfertigt?
„Ihr kennt Euch wohl?“
„Ja, natürlich. Aber wir sind nicht lädiert!(=liiert).“ Dies hat Fido gesagt.
„Euer Glück!", sage ich, aber meine Aussage erreicht sie nicht. So sind sie im Streicheln des Stoffhundes vertieft.
„Vorsicht!" Fido zupft meines Dafürhaltens zu sehr an Beluntschis Ohren. "Du reißt ihm noch die Lauscher heraus!"
„Was, ich einem Tier Schmerzen zufügen! Ihn verletzen. Niemals!"
„Mann, sei nicht so cholerisch!“, will ich ihn beschwichtigen. Dies macht ihn aber nur wütender.
„Ich habe nicht die Cholera! Ich bin erst letzte Woche bei einer Generaluntersuchung beim Amtsarzt gewesen und gestern habe ich das Ergebnis erhalten. Total gesund, keine Krankheit. Also keine Cholera!"
„Okay, okay Mann, ist ja gut."
So erhitzt, aufgebracht und wütend ist er, daß ich lieber davon absehe, ihm den Unterschied zwischen cholerisch und Cholera zu erklären. Zwar haben beide Worte, gemäß den Regeln der deutschen und anderer Grammatiklehren, zwei gleiche Vokale und müssten von daher verwandt sein. Aber das eine Latein, das andere eingedeutscht ach, dies zu erklären, zu mühselig. Ich schweige lieber und fange Ginas Blick ein.
Sie blinzelt, wohl nicht wegen der Sonne.
„Freust Dich, deinen Lieblingshund wiederzusehen!“
„Ja, ich bin ganz cholerisch deswegen.“
„Ich verstehe.“
„Tja, Gina. Was einem fehlt, vermißt man am meisten.“
„Ohja."
Ob er wirklich fehlt?
Hm.
Oder entfacht sich Liebe so stichflammenartig nur aufgrund der Zufallsbegegnung?
Schon hat sie sich wieder auf Beluntschi gestürzt und zerrt mit Fido an ihm herum, daß ich ihn schon in Fetzen gehen sehe.
„Vorsicht, daß ihr nicht in eurer Zuneigung mit dem Kopf kollabiert.“
Was in meiner Absicht liegt, geschieht, denn Gina lacht und tritt dabei etwas von Beluntschi zurück. Was ein Wort doch alles bewirken kann, Donnerwetter! Wenn auch ein falsches Wort! Höchstwahrscheinlich sogar deshalb!

Mittlerweile hat sich um uns ein Auflauf gebildet, weil das Getue von Gina und Fido solches Aufsehen erregt hat. Sie stimmen ins Lachen ein, was verständlich ist. Überkandidelten Getue ist infektiös. Dann aber beginnt manch einer auch damit, über das Fell des Stofftiers zu streicheln und ähnlich irre Laute auszustoßen. Ich wende mich ab, aber die Ohren zuzuhalten, wäre auffällig gewesen.
Ist dies eigentlich Tierquälerei, was die da treiben? Würde ich dafür verantwortlich gemacht werden?
Angstschweiß feuchtet meine gefaltete Stirn.
(Leser, Du fragst Dich, wie komme ich darauf? Dann wirst Du nicht wissen, in welchem Land ich lebe.)
Was kann ich in dieser verzwickten Lage nur tun?
Es werden auch immer mehr Leute...
Zug, wo bist du?
Aber weit und breit ist keiner zu sehen.
Obwohl der Blick auf die Uhr anzeigt, daß er überfällig ist.
Ich trete hin und her mit meinen Füßen vor Ungehaltenheit und leichter Verzweiflung.
Wenn jetzt die Uhr noch vorgeht?
Plötzlich kommt mir eine Idee.
Vielleicht kann ich den Hund abgeben?
Nein, ein Geschenk verschenkt man nicht weiter, zumal nicht an die Geschenkte selbst.
Und Fido?
Nein, trotz Stoff wäre es Tierquälerei. Dafür liebe ich ihn zu sehr, auch wenn er ein Menetekel, ein Symbol, eine Narbe meiner Niederlage darstellt.
Immer furchtbarer leide ich an diesem zunehmender Menschenauflauf, an diesem Gekreische von Gina, von Fido und den völlig Fremden.
Schamesrot wechselt zu purpurner Farbe.
Und dann dieser geistlose Senf, den sie dazu abgeben, ausgestoßen in den höchsten, nein allen Tönen, so daß neu Hinzukommende, Sich-Nähernde, Von-Weitem-Beobachtende denken müssen, hier probe ein Chor, oder spiele die Heilsarmee auf, oder es handele sich um das Straßen-Spektakel einer avantgardistischen, spontanen, street-off-enen (=straßen-offenen) Schauspielgruppe.
Was soll schließlich an einem Stoffhund so Tolles dran sein?
Daran ist nichts besonderes, aber drinnen – was ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß.

b) auf dem Klo

Der Zug kommt nun doch - ich bin erlöst. Als wir einsteigen, werden wir von allen Seiten mit Tschüssi, Herzchen, Küsschen, Winke-Winke und allem Möglichen außer einem winkendem Taschentuch verabschiedet. Wir finden einen Viererplatz und noch halte ich den Hund in Armen. Damit dies so bleibe, nehme ich ihn sogar aufs Klo mit, wohin es mich drängt. "Du hast noch Beluntschi!", ruft mir Gina zu, der ich schon fast aus dem Abteil bin. Aber ich will ihn nicht wieder hergeben. "Ja, auch Beluntschi muss hin- und wieder!" "Seit wann?" "Was, hat er nicht bei dir müssen?" "Nö" "Na so etwas, bei mir geht er regelmäßig aufs Klo wie ich", und ich drehe mich um, um es zu tun. Es sind noch etliche andere Fahrgäste im Waggon und absehbar ist, was geschehen würde, wenn sie ihn in ihren Händen hielte und wieder mit ihrem Getüttle anfinge.
In der kleinen Kabüse ist es so eng, daß ich den Hund nicht ablegen kann, sondern in Händen halten muss. Ich muss mich schwer abquälen, drücke und drücke, wobei ich allerdings dessen Bauch verknautsche und dabei gegen etwas Hartes stoße. "Beluntschi, seit wann haben Stoffhunde harten Stuhlgang", frage ich ihn und komme mir darüber blöd vor, was ich schnell wieder vergesse. Oder sind es Gallensteine - bei diesem Ärger, Hin-und-Her, auf die Straße-Geworfen-Werden und was nicht alles, wäre es nicht wenig verwunderlich gewesen.
Auch so ein blöder Gedanke.
Ich drehe ihn in der engen Kabine mit einigem Bemühen, um einen Weg zu diesen harten Dingern zu finden. Zuerst mache ich das Falsche, aber Naheliegenste, weil Ästhetischte, nämlich durch den Mund in den Bauch zu gelangen. Aber die aus hartem Kunststoff geformten Hackerchen verwehren mir den Zugriff.
Na klar, da ist der letzte Weg, um ins Innere eines Stofftieres zu gelangen.
Ich kreisele ihn planlos in meinen Händen, bis ich auf die widersinnigste, widerlichste und theoretisch unappetitlichste Alternative stoße: durch seinen Hintern dort hineinzugelangen. Ich merke erst, daß es hier entlang geht, als ich schon mit der ganzen Faust drinnenstecke. Wenn ich jetzt nicht rauskomme, hängenbleibe - eine Vorstellung, die mich schaudert und die Stirn feuchtet, gerade da ich an eine der adretten Schaffnerinnen denken muss, die neuerdings auf der Bildfläche des Zugbordes erscheinen... plötzlich spüre ich zwischen meinen Fingerspitzen ein zelluloid-artiges Etwas, das mich zunächst beängstigt, weil es sich fremd, abweisend und leicht kühl anfühlt. Aber ich schiebe es beherzt in meine Faust, weil mir klar wird, daß alles bloß in meiner Einbildung stattfindet - von wegen Skorpion, Schlange oder sonstiges Ungetier. Es handelt sich einfach nur um ein Stück Abfall, jawohl! Die Gefahr vom Kopf her gebannt, abgeklärt und vorüber und schon komme ich trotz leicht vergrößerter Faust wieder heraus.
Na, flutscht doch – und was sehe ich nun in meinen Händen liegen?
Ein kleines Plastikbeutelchen. Alles halb so wild, denke ich. Nichtsdestoweniger, was immer darin stecken mag, es fühlt sich nicht wie weiches, biegsames Material gleich Baumwolle oder so an an – da ist etwas viel Härteres drinnen.
Ich halte den Beutel gegen das Licht, das hier drinnen sehr schummrig ist und zudem wackelt ja die Klo-Kombüse aufgrund ihrer Enge und der rasanten Zuggeschwindigkeit wie eine Boje auf See. Der Inhalt des Beutels ist eine Alu-Folie, wie ich zu sehen glaube und es ertaste. Und was ist in der Alu-Folie? Aha, ein pralinenartiger dicker Drop, diskusartig, oder doch eher quadratisches, oder kleines quaderförmiges Ding, also so ein kleines schäpses, schräges Plättchen halt.
Ich betaste es erneut und spüre durch das Aluminium den sehr harten Kern, der aber nicht wie ein Bonbon, Dragee, Drop oder eventuell Praline zerstört und zerstäubt werden kann – was ist es aber dann?
Ich lange in die Folie hinein und ziehe es heraus. Dann entfalte ich das Alu.
Nun, was ist wohl im Beutelchen drinnen?
Raten Sie dreimal!
Wie aber kommen diese Drogen dahinein?
Klar, das kann nur ein Versteck von Gina sein, die ihre Giftchen vor den neidvollen Menschen um sie herum zu verstecken sucht.
Was ist jetzt zu tun?
Bekommt Gina die Dinger zu sehen und ich und Leser werden ahnen, was dann geschehen wird, wird sie Tod und Teufel in Bewegung setzen, um - als maßlose Süchtlerin aller Arten von Betäubung, Stimulierung und Beruhigung - daran zu kommen. Und ich fühle es als meine Pflicht, es zu verhindern.
Oder?
Willst Du es wohl selbst einstecken, was?
Könnte es also kein Pflichtgefühl sein, was hinter meiner Handlungsabsicht steckte?
Nicht Um-sie-sich-kümmern?
Quatsch! Doch, doch...

Als ich zurückkomme, summe ich vor mich hin - aus Verlegenheit, aus Täuschung, um mir nichts anmerken zu lassen, eben aus dem Bemühen heraus, wieder einen lockeren Eindruck zu vermitteln - bis ich verstumme, den Ginas Gesichtsausdruck ist ernst, so ernsthaft, daß ich sie unwillkürlich frage: "Ist etwas vorgefallen?"
Zuerst blickt sie eine geschlagene Minute aus dem Fenster, bis sie sich mir abrupt zuwendet, den Ellenbogen auf die Tischplatte setzt, sich vorbeugt und bitterernst fragt: „Was hast Du eigentlich in meinem Zimmer gesucht?"
Ich falle aus allen Wolken.
Natürlich ist mir sofort klar, daß sie die Nacht meint, wo ich ihren Stoffhund versehentlich zerrissen, aus dem Bett gezerrt und zum Fenster hinausgeworfen habe. Aber das ist natürlich nicht der Inhalt der Anklage, sie will etwas anderes erfahren. Der Hund ist nur ein Vorwand.
Ich frage sie leichthin: "Wie kommst Du auf diesen absurden Gedanken? Äh, dass ich Deinem Zimmer gewesen sein soll!", und summe weiter, unterbreche mich aber einen Moment, und füge hinzu: "Das glaubst Du wohl selbst nicht? Was soll ich schon in deinem Zimmer gesucht haben, sag mir mal das!"
"Zum Beispiel meinen Stoffhund Beluntschi aus dem Fenster hinauswerfen!"
Auch das weiß sie also!
Na, dann weiß sie wohl zu viel, wenn auch nicht alles.
Da ich schließlich auch nicht vom hintern Mond bin, kapiere ich sofort, dass Leugnen nur alles verschlimmern wird, wobei, was ist schon daran, in ihrem Zimmer herumgeschnüffelt zu haben, und in solchen Fällen ist Zugeben, Nicken und Jasagen die beste Methode, um sich aus dem Schlamassel zu ziehen, wie ich weiß und ich weiß zwar nicht, wie ich da wieder herauskomme, aber dies wird sich, wie meistens in einem solchen Fall, schon ergeben und meist kommt nur etwas Harmloses heraus.
"Ja, stimmt, jetzt, wo Du’s sagst, erinnere ich mich. Ich war in Deinem Zimmer."
Pause.
Sie erwartet eine Erklärung, ganz klar.
Nun, sagen wie es ist, dann wird es sich schon zeigen, genauer gesagt, hier ganz langsam vorangehen, Schritt für Schritt erklären, vielmehr zunächst wahrheitsgetreu schildern, bis eine Ausflucht, eine Spalte in der plötzlich sich auftuenden Fluchttür, eine einleuchtende Erklärung am heiteren Himmel erscheint.
"Ja, an diesem Abend bin ich zu Dir hochgegangen..."
Pause.
Sich nur an Fakten zu halten, dann wird es schon irgendwie.
"Aber da warst Du nicht in Deinem Zimmer."
"Das weiß ich", sagt Gina prompt und bleibt nach wie vor ernst, wenn auch nicht mehr so wie vorhin und ich spüre, meine Strategie hat Erfolg und ich überlege: was nur sagt man in so einem Fall?
ICH WAR ZU DIR HOCHGEKOMMEN, WEIL ICH FEUER FÜR MEINE ZIGARETTE BRAUCHTE UND UNSER FEUERZEUG LEIDER LEER GEWESEN WAR.
Nicht sehr überzeugend.
Mit härteren Bandagen muss ich kommen, mit etwas Überraschendem, das wird funzen. - Ja, ich muss eine Platte auflegen, die ihr unbekannt und überraschend ankommt. - Eine kleine Schwäche eingestehen, dann braucht es nicht die Offenbarung der alles in allem himmelschreiend-peinlichen großen Schwäche - so geht man vor, dies weiß jeder Schüler, der Schwierigkeit hat, sich in eine Schule einzufügen, wo er doch immer ins Fettnäpfchen tritt und nicht weiß, warum.
Ich spüre jetzt das Plättchen in der Hosentasche.
Warum jetzt merke ich es?
Wahrscheinlich, weil ich mich so unbehaglich fühle und da ist jede Erbse für einen Prinzen ein harter Brocken.
Mensch, genau, da ist die Lösung, kommt es mir - und gleichzeitig empfinde ich noch etwas Bedauern, weil ich damit das Haschisch mit Gina teilen muss und es doch nicht gut für sie ist. Manchmal muss man halt Dinge opfern und fallenlassen, damit einem nicht noch Wichtigeres, wertvollere Dinge und Angelegenheiten verlustigt gehen.
"Na, ich habe so einen dringenden Bedarf nach“, spiele, spiele jetzt, "nach, na ja, einem Joint gehabt." Dabei rauche ich so gut wie niemals Haschisch, Marihuana, Ganja und dergleichen, wirklich, so gut wie gar nicht. Eigentlich gar nicht.
Sie lacht süffisant, schmalzig und widerlich
Doch ich spüre Erleichterung, Entwarnung, Erlösung.
Sie hat es geschluckt.
"Aha, ich wusste nicht, daß Du rauchst", und ihre Augen weiten sich in Erinnerung des Rauchens, ihrem letzten Joint, Highsein und Wohlbefinden.
Jetzt das Eisen schmieden, solange es noch heiß ist.
"Ja, sehr selten zwar, aber manchmal überkommt es mich unbändig - wie an diesem Abend."
Ist das nicht dünn?
Aber nicht für eine Kifferin wie Gina!
Jetzt mein genialster Schachzug: "Aber bitte, sag es nicht Loulou!"
Sie lacht noch mehr und streckt die Hände von ihrem Körper von sich. "In solchen Dingen kann ich Schweigen wie ein Grab."
"Schwörst Du das?"
"Echt! Ich tu’s!", und sie besiegelt dies mit einem eindeutigen Zeichen.
Ein dumme Frage zwar, aber naja und vor allem: erfolgreich!
Nicht gerade ein Ruhmesblatt, aber was macht man nicht alles, wenn es einem an den Kragen geht?
Damit ist jedoch noch nicht die blöde Sache mit dem Stoffhund erledigt. Habe ich erhofft, daß Gina vor lauter Freude über unsere Eintracht daran nicht mehr denken wird, dann habe ich mich sauber getäuscht.
"Und - warum hast du dann den Stoffhund aus dem Fenster geworfen?"
Tja.
Aber eine Schnauf-, Denk- und Ruhepause habe ich ergattert, so daß es mir erlaubt scheint, danach zu fragen, woher sie dies denn wisse. Sie berichtet, daß sie es von diesem Barkeeper, Bartender oder Mixer weiß, als es sie an jenem Abend in die Sisha-Bar gezogen hat. Er habe in der Nacht beobachtet, als er gerade die Bar schloß und sich auf den Weg nach Hause machte, wie sich so ein langer Typ mit schwarzen Haaren aus dem Fenster des II. Stockes gebeugt und ein Stofftier hinunter auf die Straße geschleudert habe.
Auweh!
Ich ducke mich.
Nicht nur innerlich.
Ich ziehe die Schultern ein und hoch bis beinahe zu den Ohren...

c) um ein Fundstück

Aber mir fällt nichts mehr ein, keine Entschuldigung, keine Erklärung, keine überzeugende Geschichte, blockiert, phantasie- und ideenlos bin ich. Deswegen werde ich in diese Verwicklung hineingezogen, unter der ich heute noch bitterlich leide. In die Ecke gedrängt, aus Ausweglosig- und Hilflosigkeit heraus tue ich schließlich das Aluminiumpäckchen hervor, in der nicht zugestandenen, dumpfen Erwartung, besser dem Wissen, dass, wenn Gina damit in Kontakt komme, alle Fragen ein Ende haben. Für sie ist dies d i e Antwort auf alle Fragen, letztlich auch, wie ich dazukomme, ihr Stofftier nachts in ihrem Zimmer mir nichts, dir nichts auf die nächtliche, schmutzige, befahrene Straße zu werfen.
Es ist einfach zu viel für mich! Ich habe es tun müssen...
Später wird mir auch klar, warum nun Gina so hemmungslos zugreift. Sie ist auf dem Weg zum Bezirksgesundheitsamt, das sie auf Herz und Nieren testen wird, weil man beabsichtigt, sie auf eine Suchttherapie zu schicken. Wird sie später noch getestet werden - der zweite Test würde nach einigen Tagen erfolgen - dann hat sie keine Chance, keinen Freiraum und Gelegenheit mehr, wenn sie sich nicht ins eigene Fleisch schneiden will, Drogen zu sich zu nehmen. Es ist ihre letzte Möglichkeit, bevor sie monatelang, wer weiß wie viel länger noch, auf Eis gelegt sein würde. Gina will sich zum letzten Mal einige schönen Stunden gönnen - das ist's! Für mich ist es nur der Fluchtweg, aus einer extrem beängstigenden, peinlichen Situation, in die ich blindlings geschlittert und geraten bin, herauszukommen. Insofern sollte man es gutseinlassen, sogar meinen, das ist das beste für beide und da es schon geschehen ist, sei’s drum und Schwamm drüber!
Natürlich ahne ich dumpf, daß das alles keinen Zweck hat, weil, auch nach dem dicksten, heftigsten und umwerfendsten Rausch, würde sie doch wieder nüchtern werden und erneut nachhaken, nachfragen und um Antwort drängen. Beklemmend, peinlich die Vorstellung und unaushaltbar die daraus sich ergebenden Konsequenzen, kommt mir nur ein Gedanke: wo ist der Fluchtweg? Aber mir fällt keiner ein. Ich muss jetzt weitergehen...
Um es ihr zu zeigen, hebe ich das starke Stück hoch, stark, weil sich Haschischplätten sehr hart anfühlen.
„Woher hast Du das?", ist sie sofort Feuer und Flamme.
"Ich habe es grade in Deinem Stoffhund gefunden. Wer hat es wohl darin aufbewahrt?" Ich bin mir sicher, daß es nur eine Person sein kann und zwar diejenige, die mir gerade gegenübersitzt.
"Achnee. Nein, ich nicht. Das muss irgendjemand anderes hineingetan haben, als es unterwegs war. Gell, Beluntschi, mein Liebling!“, und sie beugt sich vor, streichelt ihm über den Schädel und krault ihm unter der Kehle.
Obwohl ich ihr nicht glaube, überlege ich und spreche quasi zu mir selbst laut.
"Hm, ja, ich habe ihn auf die Straße geworfen, dann hat ihn jemand gefunden. Dahinein aus welchen Gründen auch immer hat er sein Haschisch getan und verstecken wollen..."
"Genau, einer, durch dessen Hände mein Beluntschi gegangen ist, hat dieses Ding hineingesteckt! Gell, mein liebes Hündchen, was hat mir dir angetan, diese Tierquäler, die vor nichts zurückschrecken...", wobei sie ihm über die Schnauze fährt.
Bevor es zu noch drolligeren Verrenkungen und Gehätschle mit dem obligaten Tönen auf und ab der Tonleiter, die nur peinlich sind, kommt, rede ich schnell weiter. Deswegen habe ich es auch gesagt.
"Wenn... Hm, wüßten wir nur wer, könnten wir das Fundstück dem Besitzer zurückgeben!" Ein völlig unrealistische Annahme natürlich. Wie sollten wir das erfahren?
Ginas Augen verengen sich bei dieser Vorstellung, die mit dem Gedanken verbunden sein mochten, ich muss wohl völlig den Verstand verloren haben. Niemals würde sie es freiwillig zurückgeben. So einen gefundenen Goldbatzen geben nur Verrückte, bis zur Dummheit Ehrliche oder skrupellose Ignoranten zurück. Wahrscheinlich zählt sie mich zu letzteren.
Und ehe ich mich versehe, greift Gina zu mir herüber und versucht sie mir das Stück aus der Hand zu nehmen mit den Worten: "Lass mal sehen." Sie will natürlich nicht bloß sehen, sondern besitzen.
Mist!

Aber dazu kommt es nicht. In diesem Moment merke ich, daß dort, wo sich das kleine Klo befindet, bei dem ich vorhin gewesen bin, polternd die Tür zum hinteren Wagon aufgeht und ich verstecke schnell das Haschisch unter der Tischplatte. Dafür nimmt Gina den Stoffhund.
Soll sie!
Das andere hinter uns, was kann dies bedeuten?
Dreierlei.
a) es ist jemand von der letzten Station, der eingestiegen ist und sich bislang für keinen Platz entscheiden konnte oder wollte oder das gleiche, er sich auf der Suche nach einem Bekannten, Freund, Freundin befindet, der just am anderen Ende des Zuges sitzt, von wo aus er unglücklicherweise eingestiegen ist.
b) jemand, der auch aufs Klo ging oder schlimmstmöglichster Fall:
c) Kontrolleure.
Nicht daß wir keine Karten besitzen, schließlich habe ich einen gültigen Fahrausweis. Genauso Gina. Aber wir sind gerade dabei, uns über ein Haschischblättchen zu beugen, um es uns gegenseitig aus den Händen zu reissen und wer ist so gewitzt und geistesgegenwärtig, um es schnell in seiner Tasche verschwinden zu lassen, oder im Hemdtäschchen oder zurückzustopfen in den Allerwertestes des Stoffhundes?
Keiner? Wir nicht!
Noch mehr Mist!
Und dazu noch giftiger Mist!

Zwar habe ich das Haschisch in Händen, aber ich brauche auch das Stofftier.
Ich höre ein Geräusch der auf- und zugehenden Klotür und erkenne, die vermeintlichen Personen sind noch beschäftigt. Mir bleibt nur wenig Zeit.
So greife ich geschwind zu Gina hinüber, weil ich, der näher zur Bedrohung sitzt und zudem meine Sieben Sinne noch beieinander hat, Monsterschritte immer näher herankommen höre. Liegt es daran, daß ich nicht viel reden und erklären kann, so von wegen: "Geb schnell her!" oder "Gib mir Beluntschi schon!" oder "Kontrolleure kommen!" - alles hätte die Aufmerksamkeit erregt, die der Nachbarn und der nahekommenden Katastrophe.
Es wird schlimmer als ich vermute. Gelbwesten sind es. Also dies sind Menschen, die eine gelbe Weste tragen, auf der in Schwarzen Buchstaben „Sicherheitskräfte" stehen.
Schnell wende ich wieder meinen Oberkörper zu Gina hin. Ich greife ein paar Mal ins Leere, da Gina das lauschige Tierchen immer wieder zurückzieht. Sie hat nicht die leistest Ahnung, in welcher Gefahr wir uns befinden. Schließlich zische und raune ich in meiner Panik eindringlichst: „Mensch, gib schon her. Siehst Du nicht, was hinter uns...“
Schon mein Verhalten, sprich das Sich-Vorbeugen, das Ins-Leere-Greifen – ist alles sehr verdächtig.
Immerhin erstarrt sie jetzt im Schreck, als sie auch die Lawine sieht, die auf uns zurollt und lockert endlich ihren Griff. Ich kann unseren Talismann, na endlich, schließlich an mich nehmen.
Aber es wird schon zu spät sein.
Sowie ich die Plättchen in den Anus des Hundes stopfen will, legt sich eine widerlich kalte Hand um mein Handgelenk, mit einem genauso abstoßenden Ton begleitet: "Lassen Sie doch mal sehen!"
Aber ich reisse mich los, reise das Tier einfach nach links zur Fensterseite hin, wo der eisigkalte Geldhemdler schlecht ranreicht und sage: "Was geht Sie unser Stofftier überhaupt an? Sie dürfen hier nur kontrollieren, oder?“ Dabei stopfe ich das prekäre Teil mehr schlecht als recht hastig und flüchtig in den After.
Der Gelbwestler verzieht grienend seine Schnute und schnaubt und stößt aus, als wolle er die ganze Welt auslöschen: "Ich bin noch zu ganz anderen Dingen berechtigt, das kannst Du mir glauben. Und nun Bürschchen, wollen wir mal sehen. Geb schon her! " Dabei macht er Hand und drei Fingern diese Gib-Her-Bewegung, langsam, bedrohlich und furchterregend.
„Wenn Sie unbedingt wollen!“
Ich unterbreite ihm die Fahrkarte auf den Tisch und sage: „Bittesehr, hier sind sie!“
Er schaut einen kurzen Moment seine Gefährtin an, mit einem Blick, der schwer zu beschreiben ist: „Der traut sich was“, und macht schließlich Nägel mit Köpfen, indem er ruckartig nach dem Hund greift.
Aber ich bringe das begehrte Objekt schnell hinter meinen Rücken und setze dem Zudringling meine breite Brust entgegen - lachhaft! – gegenüber der anderen, die mit schinkenartigen Fettpölsterchen garniert ist, plus fettestem Hängebauch, mag diese Tatsache noch so wie ein Klischee klingen, aber es ist wahr.
Apropos Klischee. Ich habe einmal eine Beschreibung eines typischer Stasispitzel gelesen, die ziemlich auf diese Gelbwesten-Typen zutreffen, also vor allem was die Kondition und imposante körperliche Beschaffenheit in der Weite und Schwere anbetrifft, nur ein Punkt war noch hinzugesetzt, daß diese wie wild nach Pornoheftchen gewesen sein sollen, was ich hiermit von den westlichen Gelbwesten mangels Kenntnisse noch nicht behaupten kann - wenngleich eben alles andere durchaus und unumwunden zutrifft!
Spaß habe ich noch gehabt bei dem Gerangel mit Gina, weil nichts auf dem Spiel gestanden ist, aber mit diesem Wildfremden... Befremdlich, beklemmend sogar wird es, zumal er signalisiert, kein Jotachen Spaß verstehe er. Er beugt sich rücksichtslos mit seiner Wampe über die Tischplatte, daß zu befürchtet sei, sie krache gleich zusammen samt dem Metallgestell darunter und stürze wie ein Kartenhaus ein und schlage auf meine Beine. Geschickter als Gina hat er gleich mit dem ersten Klammergriff seiner Klauen das Stofftier umfasst. Ich traue mich natürlich nicht entgegenzuzerren, ohne Beluntschi etwas Schlimmes zuzufügen.
Ich gebe mich geschlagen, lasse locker und der Gelbwestler nimmt den Stoffhund befriedigt in seine Arme. „Na, warum nicht gleich so!“ Er fingert unverzüglich im Anus herum, wo er wohl etwas gesehen hat, daß ich dorthinein etwas gestopft habe. Ist aber für ihn nicht gar so leicht. Sein erweiterter Bauch hindert ihn daran, exakt an das Wesentliche, Eigentliche, Zu-Suchende zu gelangen. Wäre witzig gewesen, wenn...
"Na, verarschen kennen wir uns selbst!", sagt er weich, lüstern und selbstsicher dazu. Ein ausländischer Akzent, wobei ich Ausland ein Land um und außerhalb von Bayern meine: ein „Pälzer“.
"Nun, ei-ei-ei, was haben wir denn da?" Und damit zieht er das Plättchen hervor. Er legt es auf den Tisch, setzt sich ungefragt neben Gina in den Sitz, wobei er sich mit ausfahrenden Ellenbogen rüde Platz verschafft. Dann beginnt er das Aluminiumplättchen auszufalten, wie jemand, der gerade einen Obstkuchen vom Bäcker gekauft hat und nun zum Schmaus daS auf einem Teller gelegte Stückchen vom Einwickelpapier und schließlich Folien zu befreien, indem er Teil für Teil, dreieckige Spitze für Spitze aufklappt, zu Seite legte und glättet.
„Lecker, lecker!“, ruft er, als er tatsächlich auf dem Tisch einen braunen Batzen sieht, entkleidet und entblößt in seiner nackten Schönheit. Nur ein Kuchen ist es dennoch nicht. Dies juckt diesem Feinschmecker, Gourmand und Weckfresser natürlich überhaupt nicht. Er hebt schwungvoll seinen Kopf hoch und wirft einen triumphierenden Blick seiner Partnerin zu.
Damit kommt zutage,was unsereiner befürchtet und Gina erhofft hat, deren Augen nun fast aus den Höhlen treten, deren Zunge sich über die feuchten Lippen fahren und deren Kehlkopf einen deutlichen, beweglichen Knollen bildet, weil ihr wohl der Speichel rinnt wie ein Rinnsal.
Sie wird nicht zum Zuge kommen!
Schade.
Immerhin, besser als diesen Knechten es zu überlassen, wäre es schon gewesen...
Darüber entscheiden nunmehr diese und es ist klar, wofür sie sich entscheiden.

d) um die Wahrheit

„Es ist ein Irrtum!“ Sie schauen mich mit gerunzelter Stirn und hochgezogenen Brauen an. So schnell will ich mich nicht geschlagen geben.
„Der Schein trügt. Ich, ich habe das Plättchen gerade im Klo entdeckt. Es gehört nicht mir!“
Stirn und Brauen verengen sich noch mehr.
„Aha! Im Klo!“ Er wendet sich seiner Begleiterin zu: „Also im Scheißhaus!“ Beide verschlucken ihr Lachen. Dann wendet sich mir der Dicke wieder voll zu und geht auf die Vollen: „Hat wohl jemand vorher geschissen!“ Plusterndes Lachen, die andere mit. Beinahe hätte ich eingestimmt, ist wirklich ein guter Witz.
Ich fühle mich beschämt. Wieviel Augen und Ohren haben mitgesehen und mitgehört? Die Frivolität des sogenannten Sicherheitspersonal, sich so ordinär auszudrücken, schlägt mich umsomehr, als ich annehme, es befinden sich viele Zeugen um uns herum. Leider habe ich von meinem Sitzplatz aus keinen guten Überblick über die Bereiche des Wagons, hätte ich gehabt, hätte ich gewußt, du brauchst dich nicht zu schämen, denn kaum ist jemand anwesend, was ich aber später erst erkennen kann. Ich wage es kaum, nur aus den Augenwinkel zu schauen, so entblößt fühle ich mich.
Das mit dem Fäkalieren - nein, das kann ich nicht stehen lassen, diese Unverschämtheit sondersgleichen. Statt zu protestieren, ducke ich mich jedoch und antworte kleinlaut: „Das nun nicht! Aber ich hab’s halt aufm Klo gefunden und und bevor es ein Jugendlicher entdeckt und damit Unfug macht, nicht, habe ich gedacht, nehm es lieber mit.“
„Ach, Du wolltest, daß ein unschuldiger Jugendlicher davor bewahrt wird, drogenabhängig zu werden, indem Du das gefundene Haschisch konsumierst.“
„Nein, nur mitnehmen!"
„Achso, bloß mitnehmen!“
„Äh, so in etwa!“
„Verarschen können wir uns selber!“ Da ist es wieder. Ich schaue einen Moment aus dem Fenster, überlege und denke, die Wahrheit, die Wahrheit ist das beste.
„Aber. Naja, ich sag’s Ihnen ehrlich. So war’s wirklich. Das Plättchen war in diesem Stofftier versteckt und...“
Noch bevor ich meinen Satz beenden kann, lacht der Pfälzer wieder hellauf: „Das glaube ich nämlich auch!“
„Aber ich wusste das nicht.“
Dann bleibt ihm doch die Spucke weg.
Aber die Strohblonde schaltet sich ein: „In diesem Hund da, sinnig, ja!“
Damit lachen sie beide unisono.
Aber der Dicke hält gleich inne. „Wem gehört aber dieser Stofftier?“ Ich bin schon froh, daß er nicht wieder sagt: „Verarschen kennen wir uns selbst!“
Ich kann schlecht sagen, er gehört eigentlich Gina und sie hat ihn mir geschenkt. Dann wird Gina herangezogen. Das kann ich nicht machen. Gina steckt schon bis zum Hals in allen möglichem Scheiß, mit Verlaub.
Also, was?
„Naja, er gehört mir. - Eigentlich gehört er mir nicht. Ich habe ihn gefunden, vorhin am Bahnhof. Herrenloser Hund. Er tat mir leid, ich habe eine Viertelstunde gewartet, solange, bis der Zug kam, dann habe ich ihn an mich genommen. Sonst wäre er vom Wind auf den Asphalt geweht, schmutzig geworden, das kann man doch diesem schönen Hündchen nicht zumuten, oder? - Oder noch schlimmer: am Ende wäre er gar vom Zug überfahren worden. Stellen Sie sich dies einmal vor!“ Am liebsten würde ich noch sagen, stellen sie sich mal dieses Blutbad vor, aber ich halte mich zurück, weil ich nicht glaube, sie haben dafür genügend Phantasie.
Die beiden schauen mich an, als ob ich von einem anderen Stern komme.
„Weil um dieses Ding da, wäre es doch zu schade...“, ich hebe ihn über zwanzig Zentimeter bis über meinen Kopf hoch, damit ihn wirklich alle sehen. Ich spekuliere dabei auf die Mitfahrenden hier, bei denen ich wahrscheinlich am meisten Verständnis, Mitleid und Emphatie ergattern kann. „Von jemanden mißhandelt worden wäre und in den Schmutz gezogen? Nicht schön, oder?!“
Ich spekuliere bei dieser Gestik, daß die Schönheit Beluntschis bei Dritten anrührig wirkt. Als ich jedoch die zwei perplexen Gesichter vor mir wahrnehme, ist mir klar, daß dies Perlen vor die Säue schmeißen heißt. So viel Süßholz raspeln, kommt bei diesen Sauerminen nicht an.
Dabei will ich nur Mitleid!
Mitleid!
Wer’s glaubt?
Der Dicke schaut die etwas weniger Dicke undurchdringlich an. Allmählich kapiere ich, daß jedesmal wenn der Mann am Ende mit seinem Latein ist, die andere ihm helfend in die Presche springt. Von daher zuckt jene nur beiläufig, als wären solche Entdeckungen, vielmehr Ausreden und surrealen Märchen an der Tagesordnung. Ich beiße mir auf die Unterlippe, spüre gleichfalls einen Speichel-Schluck-Reflex, der meine Kehle zum Tanzen bringt, allerdings aus anderen Gründen als bei Gina.
„Na, das wird die Justiz klären müssen. Sie verstehen, wir müssen nur unsere Pflicht tun.“
„Ja, ich verstehe!“
Sie nehmen mir diese hanebüchene Story nicht einmal übel, sehr professionell. Sie zeigen sich im Gegenteil tief beeindruckt, vermitteln mir das Gefühl, ich sei ein großer Geschichtenerzähler. Aber ich falle nicht darauf herein.
Sie spüren, daß ich sie durchschaue und ändern die Strategie, indem sie mit einemmal recht freundlich tun. Fast hätte man meinen können, ihre Erheiterung rühre daher, daß wir genau uns so verhalten haben, wie sie vermutet haben. Verdächtige, Delinquenten und suspekte Personen werden gepastet, welche dann irgend einen haarsträubenden Mist erzählen. Ihre unverhohlene Genugtuung rührt bestimmt daher, daß wir uns, besser ich mich genauso verhalte, wie sie beauftragt sind, die Kontrolle darüber zu erlangen, wenn sich solche Leute wie ich nun mal so verhalten, nämlich verlogen und widerspenstig.
Nur kurzzeitig irritiert mich das, bis ich es durchschaut habe.
Sie können sich ihre Freundlichkeit, Erheiterung und Genugtuung sonstwohin stecken!
Aber ich habe resigniert. Die nehmen mir im Leben nicht die Wahrheit ab. Die nicht. An ihrer Stelle, zugegeben, würde ich vielleicht sogar auch so handeln. (Nein, ich an ihrer Stelle könnte das nachvollziehen. Deswegen bin ich auch nicht an ihrer Stelle. Genau das ist der Punkt. Letztlich ist die eine Version so glaubwürdig wie die andere und die Letzte ist die Wahrheit, wenngleich sie auch unrealistisch klingt. Dabei verstehe ich sie auch nicht ganz.)
Ihre scheinheilige Freundlichkeit signalisiert nur, daß sie uns die Angst vor dem Unangenehmen, dem uns Blühendem abnehmen wollen, indem sie herüberbringen: alles halb so schlimm, ihr kriegt eine kleine empfindliche Strafe, das ist es auch! Danach verhaltet euch, wie ihr wollt, unseretwegen auch wieder gegen die Regeln, ihr seid es dann gewohnt, bestraft zu werden und merkt, alles halb so schlimm, es ist fast so, als ob ihr nur euren Arbeitgeber gewechselt habt, nämlich den des Staates, für den ihr buckelt, tut und euch abmüht, um das Geld zu verdienen, daß ihr ihm in den Rachen stecken müsst. (Zensur: oder in den Arsch wie einer fetten Gans!) Statt Urlaub im Ausland, halt Balkonien in Frankonien oder so ähnlich. Anderen geht es auch nicht besser (außer – vielleicht -uns natürlich, den Kontrolleuren, den Staatsvertretern, den Sicherheitsmännequens.).
Wie zwei Weckfresser verziehen sie gleichzeitig ein Lächeln bis über beide Ohren und verharren dabei. Das trockene Knistern des Walkie-Talkie untermalt schaurig, weil nach Regen, der auf Blech trifft, ähnelt, die Stille. Der Zug rumpelt schwergewichtig über die Gleise, es dröhnt als er über eine eiserne Brücke kracht und es schwankt scheinbar leicht, als er über einem hochhaushohen Vidukt zum stehen kommt. Wie wir verharrt der Zug, bevor er in den Bahnhof einfährt und wir unserem Verderben, dem polizeilich, sicherheitsrelevanten Gerangel, Hinundher und Gezerre jedenfalls um was auch immer, nur nicht um die Wahrheit. In dieser zufälligen Hängepartie, in der sich der Zug, die Sicherheitsmenschen und wir, Gina und ich befinden, muss auch einmal durchbrochen werden. Findet kein Anruf auf den Walkie-Talki statt, keiner auf dem Smart-Phone von Gina oder auf meinem Handy, wird keiner schnell durch dieses Abteil schreiten, sich drängeln und zur Seite schieben, werden wir bis an unser Lebensende, so oder so, also sie oder wir, die ganze Welt baumeln.
Wer diesen Durchhängezustand nicht mehr aushält ist der fette, feiste, adipöse Sicherheitsmensch – ich gönne es ihnen, den "Kranken", daß sie für etwas tauglich sind, bzw. gemacht werden, oder für etwas Sinnvolles eingesetzt werden, wenngleich sie sich doch etwas zurückhaltender verhalten sollten mittlerweile, finde ich inzwischen wirklich entschieden - und schließlich mit seinen fetten Wurstfingern sein um seine Schulter hängendes schweres Walkie-Talkie grabscht, er immer noch im feisten Grinsmodus und mit spitzen Fingern auf einen Knopf tippt, als wär’s derjenige zum Jackpot und sich das Unding an die Ohren hält. Nahezu ein Pfeifen produziert er, der Mann, nicht das Telefonmonster, zumindest ein eigenartiges sirrendes Geräusch mit den Zähnen. Kreisende Augäpfel drehen sich langsam in den Höhlen, als wäre ihm leicht schwindlig oder er drohe gleich in Ohnmacht zu fallen oder was immer er Bizarres ausdrücken will, dieser Witzbold.
Als Empfang hergestellt ist, tritt er pietätvoll zwei Schritte zurück, öffnet hinter sich mit seinen Händen gekonnt die Raumtür und beginnt, schlagartig mit seinem imaginären Gegenüber zu feixen, zu lachen und zu kichern, daß es so schaurig, unheimlich und überirdisch wie in einer Gespensterbahn klingt.
Natürlich ist es nicht unschwer zu erraten, was und wer und weshalb all dies - man würde uns vielleicht wie den Bundespräsidenten mit einer Ehreneskorte dort empfanden, wo dieser Zug hier halten wird, in der wir auf frischer Tat ertappt worden sind. Vielleicht wird auch uns zu Ehren noch die Blaskapelle aufspielen.
Davon allerdings gehe ich nicht aus.
Im Gegenteil!

e) um ein bisschen Mitleid

Einen Moment der Stille entsteht.
Wir lauschen?
Was wird kommen?
Was wird bald geschehen?
Uns beiden?
Mehr ich als sie lauscht und schweigt, im Gegensatz zu ihr, die immer noch nicht den Ernst der Lage erfasst zu haben scheint, weil sie, wenn auch verhalten und durch mein Stillsein beeindruckt, Faxen macht. Auch die Gelbwesten, die leicht verächtlich lächeln, gehen nicht auf sie ein, so daß sie doch etwas nachdenklich wird. Jene haben sie auf den Vierertisch gegenüber niedergelassen, einer spielt mit seinem Smart-Phone, die andere, die mir diagonal gegenübersitzende, schaut mich unverwandt prüfend an.
Will die mich provozieren?
Was will sie eigentlich?
Das Anglotzen nervt!
Ansonsten hätte ich nur mit den Axeln gezuckt, oder einfach ein Buch herausgezogen und gelesen, oder gelangweilt aus dem Fenster geglotzt, wenn es hochgekommen wäre frivol reagiert. Nun aber fühle ich mich doch ins Unrecht gesetzt, in die Defensive, unter Druck gesetzt, zu handeln, zu reagieren, zu tun und machen, als würde etwas geschehen müssen, da wir ja so etwas von schuldig wären – was wir ja nicht sind, vor allem ich nicht, das weiß ich genau.
Und Gina? Versteckt womöglich ihre Suchtmittel in einen Stoffhund, der von mir aus ihrem Zimmer geworfen worden ist, durch allerlei Odysseen wieder ausfindig gemacht wird und schenkt es einem Bekannten, einem Gast, dem Freund ihrer Mitbewohnerin, mir, ohne daran zu denken oder es vergessen hat, daß in diesem Geschenk ein schweres Delikt versteckt ist, das, wenn von der Polizei entdeckt, wie jetzt, dem Besitzer ungeheuerliche Schwierigkeiten brächten. Dass sie dem vermeintlich Beschenkten mit diesem verbotenem Suchtmitteln heimlich eine Freude hat machen wollen, ist auch nicht auszuschließen, so suchtmäßig sie angeschlagen ist und von daher außerstande zu erkennen, wie die Uhren der Realität ticken. Aber von mir hätte sie wenigsten wissen müssen, daß ich darauf nicht stehe oder nicht!? So lange kennen wir uns auch wieder nicht...
Aber das ist kein Trost!
Gut, vielleicht hat sie mir eine Freude machen wollen, mich beglücken, mit einem Geschenk, welches in ihren Augen zumindest eines darstellte, das leider seine Wirkung verfehlt hat, mit anderen Worten ganz schön in die Hosen gegangen ist. Jetzt kann ich sie aber nicht fragen. Aber wahrscheinlicher ist doch ihr Vergessen, daß sich in dem abhandengekommenen Stofftier ein Versteck befunden, welches sie selbst gewählt, aber in dem ganzen Trubel, der Schmach ihrer Liebesbegegnung und Freude auf das Widerauftauchen ihres abhandengekommenen Ach-So-Vermißt-Habenden-Lieblingstiers vergessen hat.
Seufz – wer weiß es schon?
Und die andere abstrusere, unwahrscheinlichere, phantastischere Möglichkeit: jemand hat in dieses Stofftier Drogen versteckt? Aus Versehen? Hm? Aus übler Absicht? Hm? Quasi ein schlechter Scherz! Hmhm. Oder hat Gina einen Intimfeind? Hmmm. Den sie wahrscheinlich selber nicht kennt.
Jedenfalls musste dieser Spur nachgegangen werden, wozu ich sie momentan nicht befragen kann. Sie kann darauf Gift nehmen, daß ich das nachholen werde!
Aber, über was Ursache ist zu spekulieren, spielt momentan überhaupt keine Rolle. Ich sitze sauber in der Tinte. Die Frage ist: wie komme ich aus dieser unbescholten, möglichst – haha, ein zynisches Auflachen – wieder heraus, ohne mich großartig bekleckert zu haben: Strafe, Vorstrafe, Geldstrafe und und nicht auszudenken.
Später, eine Spur Rachsucht spielt mit, werde ich Gina zwar noch wie eine Zitrone ausquetschen, schwöre ich mir. Aber jetzt nicht.
Meine Lage. Meine beschissene Lage. Alles sehr beklemmend.
Damit fällt wieder mein Blick auf die mich anglotzende Kuh!
Dies und das Schweigen, das ich nicht mehr aushalte, lässt mir die Worte heraussprudeln: "Was passiert jetzt?" Im gleichen Moment kommts mir: blöde Frage, das kommt so rüber, als hätte ich die Hosen voll, fürchtete mich und bekenne meine Schuld damit.
Diese Sicherheits-Frau mir gegenüber verzieht ihren Mund zu einem grellen Lächeln, als hätte sie nur auf diese Frage gewartet. Ihre Schminke kriegt Falten dabei, ihr Lippenrot wird brüchig. Aber alles kein Trost.
Meine Stimme hat doch fest geklungen, oder, alles andere als durch einen dissonanten Furchtton durchsetzt? Jedenfalls muss die Gelbwesten-Tussi einen solchen herausgehört haben, weil sie sich so ausgelassen freut, scheint mir, verhalten zwar in der Freude, aber aus dem Innersten blinkt es mir entgegen: Du sitzt ganz schön in der Patsche, Kleiner; Dir blüht noch einiges; Du kannst Dich auf eine saftige Strafe gefasst machen.
Als ob ich in letzter Zeit nicht genug an die Justiz geblecht hätte – dies zu erzählen führte jetzt zu weit. Ärgerlich, wirklich sauärgerlich ist in diesem Fall, daß ich hier eindeutig unschuldig wie die Lilie auf dem Felde bin. Aber meine Erfahrung sagt mir, daß Dir dies nichts helfen wird. Die Herren Richter werden nicht viel Federlesens machen, wenn Du Dich als Besitzer dieses haschischträchtigen Stoffhundes outest. Du stehst dafür grade und musst dafür bezahlen. Punktum. Die machen sich keinen Kopf und versuchen Dir zu glauben, von wegen dies und das. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche!
Der mit dem Smart-Phone-Spielende tut so, als wäre er nicht auch gefragt worden, als ginge ihm dies überhaupt nichts mehr an und am Allerwertesten vorbei, als kennte er solche Szenen zur Genüge und zum Überdruß. Nicht mehr interessant, weiterspielen eben.
Die Gegenspielerin verharrt in ihrem Grinsen und läßt mich nicht mehr länger hängen und sich herab, verzögert aber immerhin, schließlich zu antworten: "Wir fahren geradeweg Richtung Hauptbahnhof Nürnberg!" Als ob ich das nicht wisse und komme aus Hintertupfing, Buxtehude, Deppen-, Düsseldorf, Lausitz oder Braunau. Frau, mein Akzent muss mich eindeutig verraten, daß ich von hier bin, warum redetest Du so drumherum?
Absichtlich?
Um den Druck zu erhöhen, um ihn auszukosten, um ihn qualvoll in die Länge zu ziehen? Und da ich so gespannt bin, unter extremster Nervenanspannung leide und wer kann es mir verübeln, reagiere ich zwar nicht so wie sie es gewünscht und heraufbeschworen hat, aber in der gleichen Intensität, allerdings in anderer Richtung und zeige die Nebenseite der Angst, nämlich Wut: "Meinen Sie, dies wüsste ich nicht!" Gut, ich gebe zu, ich hätte einen Zahn weniger aufdrehen und sagen können: "Das weiß ich selbst!" Aber nein, es entfährt mir halt diese wiederum anstachelnde Antwort, die wie ein Befehl klingt. Das Buschfeuer ist damit entfacht!
Sie knöpft weiter etwas ihre Bluse auf. Wölbungen wallen daraus hervor, Frau!
Sie versucht mich also anzumachen!
Natürlich gelingt es ihr. Bei meiner permanenten Notstandslage wundert es nicht. Ich versuche dem zu entkommen. Fixiere das Außen des Zuges, was aber nur vorbeisausende Bäume sind. Also sehe ich keinen Wald mehr vor lauter Bäumen.
Ich schließe die Augen und warte sehnsüchtig auf die Ankunft des Zuges.
Immer wieder zwischendrein blinzele ich durch meine Sehschlitze in den Zugspiegel.
Sie knöpft etwas mehr ihre Bluse auf. Wedelt mit einem Blatt vor ihrer Nase und sagt bösartig: „Ganz schön warm hier!“ Der Dicke lacht: „Da sagst Du was!“ Der kennt dieses Spielchen in- und auswendig.
Zuerst habe ich vermutet gehabt, der Pfälzer da, der „Verarschen-kennen-wir-uns-selbst“ ist der Provokateur, aber die Platin-Blonde ist wirklich gefährlich, nämlich die Anmachtussi vom Dienst - da sag einer einmal, die Kontrolleure und Provokateure und Intriganten haben nichts dazugelernt. Wie lockt man eine Grille aus ihrem Loch: mit Kitzeln.
Ich schaue Gina an. Engelchen. Wenigstens ist an Dir nichts Künstliches. Man liebt ja auch durch den Kopf.
Das sagt sich so leicht.
Rechts im Blickfeld, in der Spiegelung des Fensters, bewegt sich etwas. Na, jetzt legt sie die Beine übereinander. Ist zwar eng der Sitzplatz, aber es gelingt ihr. Und deswegen sieht man um so mehr vom Schinken, puh. Zwar nur ein voraussehbarer logischer Schritt – was nicht heißt, daß er weniger effektiv wäre. Meine Endorphine, Serotonine und andere Glückshormone zirkulieren schon im Achterbahn-Modus - Mist!
Aber was sehe ich dann da? - Berechenbare Sexmaschine femininer Art, von welcher Weichenstell-Kombüse aus wirst Du ferngesteuert? - Dort, eine Markierung am Oberarm, auf chinesisch, Liebe: hier übertragen in lateinischer Schrift – Ai. (Meine Tastatur kann leider dieses chinesische Pikto- oder Ideogramm nicht wiedergeben).
Ob sie überhaupt weiß, was dieses Zeichen bedeutet?
„Ai!“, stoße ich jetzt laut aus, um einen Übergang zur Erklärung der Bedeutung dieser beiden Vokale hinsichtlich des chinesischen Schriftzeichen auf dem Oberarm der Platin-Blonden herzuleiten.
Das ist zwar nur mehr grotesk! Aber glücklicherweise geht jetzt meine Besserwisserei, mein Belehrenwollen, mein Lehrerkomplex im Verhalten Ginas unter.
„Kann ich wenigstens meinen Beluntschi wieder haben?“
Der Pfälzer versteht sofort und reicht ihn ihr.
Und ich, wo bleibe ich?
Ich beuge mich zu Gina vor, sie sich mir entgegen.
„Aber ich kriege ihn wieder!“ „Na klar!“
Wir fahren in den Hauptbahnhof ein...

f) um ein Taschentuch

Als wir uns auf den Weg machen, wird mir Beluntschi in die Hand gedrückt. Warum nicht Gina, bleibt mir zunächst unklar, doch bald geht mir ein Licht auf, nämlich, dass es eine Art Strafe, Beschämung und Irritierung sein soll.
Wir werden irgendwohin eskortiert, ich vermute zu einem Büro. Spießrutenlauf durch die Massen? Mitnichten. Ich merke erstaunt, all die Glotzer schauen auf Beluntschi, nicht auf die Abgeführten. Denken diese, Beluntschi spielt eine wichtige Rolle in einem gefährlichen Krimi? Er ist Träger von tausenden von Tonnen illegalen Rauschgifts oder in ihm wurden Waffen entdeckt? Jedenfalls ist er derjenige, der auf die Bevölkerung verdächtig wirkt, nicht wir. Es ist nicht so, daß ich fast eifersüchtig auf Beluntschi werde, weil er es ist deswegen, im Gegenteil, ich gönne es ihm. Es befreit uns vor bohrenden Blicken.
Während dieser langen Wanderung durch die ewigen Hallen des Bahnhofsgebäudes bekomme ich das Gefühl nicht los, daß die Leute nur mich anschauen. Besonders eindringlich bewusst wird mir dies, als wie einmal Halt machen. Na klar, die halten mir für übergeschnappt, überkandidelt, wenn nicht einer Vom-anderen-Ufer oder ein Gender Zwölften-Grades-Wurzel-aus-Sechs oder einfach jemand, der nicht genau weiß, welchen Geschlechtes er angehört – mit diesem riesigen Stoffhund in Händen?!
Schnell drücke ich Beluntschi der lieben Gina in die Hände.
Sie ist eine Frau. Mit einem Stoffhund in den Armen wirkt sie weniger verdächtig als ich!
Sofort staune ich wieder, wieder verfolge ich perplex, wie die Aufmerksamkeit magnetisch sich auf ihn konzentriert. Ich bin raus, gelobt sei’s!
Allmählich beginnt sich mein Bild von Beluntschi zu wandeln. Vom Symbol einer sehr peinlichen, aus dem Ruder gegangenen Störungs-Handlung meinerseits, zum Blitzableiter für eine falsche Verdächtigung der Behörden und deren sehr unangenehmen Folgen durch Neugierigen-Blicke, Schandtaten-Stalkern-Aufdringlichkeiten und einfach Gelangweilten-Interessierten-Maßlos-Bohr-Blicken andererseits. Es ist nicht leicht, von vielen Menschen als vermeintlicher Übeltätiger, ich weiß nicht, was: Obdachloser, Kleinkrimineller, Missbraucher von jungen Mädchen im Zug, gar jungen Buben im Klo angesehen zu werden, was immer gegenwärtig die nationalen Paranoia-Haß-Objekte sein mögen. Wenigstens als Terroristen aus dem Dschihadisten-Milieu werden wir nicht eingestuft, vermute ich. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir vielleicht ins Schema passen: Hass-Terroristen aus dem rechten Spektrum? – schließlich sind diese mittlerweile mit allen Wassern gewaschen.
Es geht durch etliche dicke Verbunds-Glas-Türen, die zig-fach gesichert sind, wo davor Pin-Nummern-Maschinen oder Responder-Anlagen angebracht sind. Je weiter es geht, desto weniger Bedienstete, Personal, Menschen begegnen wir. Zum Schluß wird eine dicke Stahltür mit klobigen, großen, antiquierten Schlüsseln geöffnet. Selbst als das Schloß geöffnet worden ist, muß noch eines, eines, das kleiner ist, mit den entsprechenden kleineren Schlüsseln bewegt werden.
Man fragt sich, ob diese Angelegenheit wirklich so wichtig ist?
In einem schlichten Büro müssen wir uns jeder auf einem Stuhl vor einem altmodischen Pult niederlassen, hinter dem sich ein Blau-Uniformierter mit roter Kappe setzen wird. Aber liebevoll dreht dieser uns seinen Rücken zu, daß ich gleich verwundert aufblicke und mit allem rechne.
Aber damit habe ich nicht gerechnet. Er hängt liebevoll, behutsam und hingebungsvoll seine grelle Rot-Käppchen-Mütze über einen braunen Holz-Garderobenständer Marke „Hirschgeweih“. Und ohne Witz, er streichelt noch einmal mit einer Hand über die Kappe, bevor er sich uns zuwendet, sich setzt und uns völlig außer Acht lässt, weil er mit weiteren Schlüssel-Aktionen beschäftigt ist.
Was hat das zu sagen? Ich überlege einige Sekunden, bis...
Der Bahnbediensteten ergreift erneut seinen Schlüsselbund, öffnet eine Schublade, entnimmt dieser einen kleineren Bund von Schlüsseln, womit er mit einem davon eine weitere Schublade öffnet. Aus dieser zieht er einem Stapel Papiere, wahrscheinlich hochwichtige, geheime und verschlußsachemäßige. Eingestuft im oberster Prioritäts-Bereich der komplizierten, umständlichen und nerventötenden Zugänglichkeit. Dann legt er ihn gewichtig als wäre er fünf Kilo schwer langsam --auf einen grünen Büroableger auf dem Tisch.
Ja, oja, denke ich, warum bin ich nicht gleich daraufgekommen? Ordnung muss sein und jedes Ding an seinen Ort und damit ist das Leben gemeistert, weil Ordnung das halbe Leben bedeutet! Solche Sprüche hat man uns in der Schule eingetrichtert, mit einemmal, was damals nicht in meinen Schädel ging, erhellt sich diese Kenntnis wie ein Sonnenaufgang. Damit denke ich schuldbewußt, daß ich bei mir Zuhause vielleicht auch mehr Ordnung in die wüste Bude bringen sollte. Dazu öffne ich meinen Rucksack, ziehe mein Tagebuch hervor und beginne eine Strategie, die Reihenfolge der Aufräumaktion zu konzeptionieren. Ich muss schließlich die Zeit wie aus einer Zwangshandlung heraus sinnvoll gestalten, weil ich es bald nicht mehr nervlich aushalte, wie ich es bedrohlich spüre.
Ich reihe Erledigungen auf, die gemacht, längst hätten gemacht werden müssen – bis ich über ein Hindernis stoße, daß ich mich blockiert, mir den Kopf zerreißt und Schmerzen bereitet – was soll ich mit all den Schuhen im Keller tun, über die ich stets stolpere, sobald ich ihn betrete, wo der Keller schon in allen Ecken, Ritzen und Nischen vollbestellt ist?
Während ich also tatsächlich, ich kann nicht an
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