Kurzgeschichte
Mein Heiler, mein Henker

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"Mein Heiler, mein Henker"
Veröffentlicht am 26. Oktober 2013, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Ich bin 17 und bevorzuge es, Kurzgeschichten zu schreiben. Für eine richtig grosse Story fehlt mir einfach die Geduld ;p . Ich lebe in der Schweiz und bin eine leidenschaftlicher Fan. Von praktisch allem. Ich bin ein Whovian, Sherlocked, ein Trekker, ein Mitglied der #SPNFamily und des #TeamInternet, ich bin ein Jäger, Tribut und eine der Gefährte , ich bin eine Hexe die noch auf ihren Brief wartet und ich weiss dass der Winter kommt. Und ja, ...
Mein Heiler, mein Henker

Mein Heiler, mein Henker

Beschreibung

Ein schon etwas älterer Text, der aus der Sicht eines jungen Mädchens spielt und von Drogen und Sucht handelt. Obwohl ich keinen persönlichen Bezug dazu habe, fand ich das Thema doch recht packend und so ist dieser Text entstanden. Ich hoffe ihr habt Freude daran :)

Mein Heiler, mein Henker

Ich schluchze. Tränen laufen mir über die Wangen und tropfen auf mein Top, aber ich ignoriere sie. Mein Körper zittert, doch mein Kopf ist klar und ruhig. Ich kann mein Leben wie eine Karte vor mir sehen, sehe meine eigene Geschichte, zu Beginn noch gemalt in schillernden Farben, doch gegen Ende immer matter, verwischt von den Tränen, die diesen Abschnitt begleiten. Ich frage mich nicht, wie es so weit gekommen ist, dass ich in einer schmutzigen Gasse hocke, allein, nur mit der Spritze, die meine tauben Finger umklammern. Mir ist, als hätte ich schon von Anfang an gewusst, dass es so enden wird. Von dem Moment an, als es begonnen hat, als mein Leben zu einer endlosen Abwärtsspirale wurde. Es war der Tag, an dem meine Mutter starb. Noch heute höre ich ihre Stimme, rieche ihren Geruch, wenn ich die Augen schliesse. Ihr Tod war ein Unfall. Niemand trug Schuld, niemand hätte es verhindern können. Sie war bloss zur falschen Zeit am falschen Ort. Und das war vielleicht das Schlimmste, denn so hatte ich niemanden, gegen den ich meinen Zorn richten konnte. Dafür, dass sie mich einfach so alleine gelassen hatte.

Mein Vater tat das Gegenteil. Je heftiger ich tobte, desto stiller wurde er. Mit jeder zerbrochenen Vase, jedem geschrienen Wort zog er sich mehr zurück. Die Flasche wurde sein ständiger Begleiter. Er liess mich mit meiner Wut und meiner Verzweiflung allein. Alleine in einem Haus, das mich mit den glücksseligen Erinnerungen an meine Kindheit jeden Tag aufs Neue verspottete. Ich verbrachte Stunden in den Gassen, streifte umher. Mit 15 verbrachte ich meine erste Nacht auf der Strasse. Mit 16 war es schon meine erste Woche. Die Schule hatte ich mit Ach und Krach bewältigt. Es war meiner Mutter immer sehr wichtig gewesen, dass ich eine anständige Bildung erhielt. Ich hatte es nicht über mich gebracht, ihren Wunsch zu ignorieren. Aber für mehr hat meine Energie nicht gereicht. Als ich die Schule hinter mir hatte, stand ich vor einem Abgrund, an dem kein Weg vorbeiführte. Das war die Zeit, in der ich mit den Drogen begann. Sozusagen der Anfang vom Ende, wenn man es dramatisch ausdrücken will.

Während meiner Zeit auf der Strasse hatte ich viele Menschen kennengelernt. Die meisten verbrachten ihre Zeit mit Trinken oder Rauchen. Alkohol war mir schon seit Jahren nichts Neues mehr. Aber von den Drogen hatte ich mich immer fern gehalten. Die gute Erziehung die ich genossen hatte steckte mir noch immer in den Knochen und die Schule gab mir etwas in meinem Leben, an dass ich mich halten konnte. Irgendwie verband ich in meinem Kopf den Schulabschluss mit einem Neuanfang. Ich klammerte mich an die Hoffnung, dass alles besser werden würde. Doch als der Tag gekommen war stürzte das gesamte Gebilde aus Selbsttäuschung in sich zusammen. Mein Vater machte sich nicht mal die Mühe, an dem Tag aus dem Bett zu steigen. Er vergass es, er vergass mich, so wie er mich schon seit dem Tod meiner Mutter vergass. Der Tag endete in einer schmutzigen Fabrikhalle, ein Päckchen Speed in den schweissnassen Händen. Bald wurde es mehr als ein Päckchen. Und häufiger als einmal in der Woche. Aber ich machte mir keine Sorgen. Ich glaubte die Drogen im Griff zu haben. Sucht, dachte ich, existiert nur, wenn es jemanden gibt, der dich als süchtig ansieht.  Und ich hatte niemanden. Nur einen Vater, der trank, stundenlang Fotoalben anstarrte und die Erinnerung daran, dass Leben auch etwas anderes sein konnte, als Verzweiflung, Alkohol und Drogentrips. Doch bald reichte mir der kurze Kick nicht mehr. Als ich das erste Mal Heroin nahm, war mir, als wäre ich durch eine Tür in den Himmel getreten. Ich schwebte in einer Wolke aus Glück und tiefe Gefühle des Schutzes und der Sicherheit durchfluteten mich. Gefühle, wie ich sie seit Jahren nicht mehr gehabt hatte. Das Heroin gab mir die Geborgenheit, die ich Zuhause so schmerzlich vermisste. Schon nach meiner ersten Dosis war ich verloren. 

Nach zwei Wochen war ich süchtig und pleite. Ich wurde von einer ständigen Angst begleitet, brach grundlos in Tränen aus oder begann zu schwitzen. Die Droge bestimmte mein Leben.

Heroin- mein Helfer, mein Heiler. Heroin- mein Henker, mein Tod. Ich liebte es, ich brauchte es, obwohl ich das verabscheute, was es aus mir machte. Ich erinnere mich noch, wie mein Dealer einmal nicht aufgetaucht war. Fünf Stunden hatte ich im Regen gewartet, geschüttelt von Hitzewallungen. Mein gesamter Körper schmerzte, meine Haut glühte, mein Herz raste. Ich wollte schreien, der Angst und der Pein meines kaputten Körper entfliehen. Tief in mir war mir klar, dass ich mich wie eine Verrückte aufführte, aber das hatte für mich keine Bedeutung mehr. Meine Gedanken kreisten nur noch ums Heroin. Ich begann zu rennen, solange bis die Beine mir den Dienst versagten.

Der Dealer, der mich auflas verkaufte mir eine Dosis. Doppelter Preis aber ich lag im praktisch zu Füssen vor Dankbarkeit. Die Angst vor dem Entzug begleitete mich von da an ständig. Kaum liess die Wirkung nach ging ich auf die Suche nach Geld, um die nächste Dosis zu bezahlen. Aber niemand wollte mir mehr welches leihen. Meine alten Freunde mieden mich. Den meisten schuldete ich schon etwas. Die Schmerzen  und die Übelkeit kamen wieder und Angst trieb mich nach Hause zurück. Ich glaube, es war das erste Mal in der Woche, dass ich das Haus betrat. Mein Vater sass am Küchentisch, die allgegenwärtige Flasche in der Hand, aber sein Blick war noch klar. Zögernd setzte ich mich zu. Er hob nicht einmal den Kopf. Sein Schweigen wurde mir unerträglich, während heftige Übelkeit mich schüttete. Schliesslich hielt ich es nicht mehr aus. Meine Gedanken waren benebelt, als ich ihm erzählte weshalb ich da war. Ein Teil von mir klammerte sich an den Glauben, dass er sehen würde wie sehr ich die Droge brauchte,  dass er mich genug liebte um mir zu helfen. Es war schliesslich nur ein bisschen Geld…

Doch mein Irrglaube stürzte zusammen wie ein Kartenhaus in einem Tornado. Als ich geendet hatte, sah mein Vater mich nur an. Volle zehn Sekunden betrachtete er mich, bevor er ausholte und seine Bierflasche mit voller Wucht an die Wand warf. Das Klirren des Glases klang mir unnatürlich Laut in den Ohren. So laut, dass ich die Worte gar nicht verstand, die er schrie. Ich sah nur seine aufgerissenen Augen, das von Entsetzten und Wut verzerrte Gesicht. Wie eine Maus unter dem Blick einer Schlange schrumpfte ich auf meinem Stuhl zusammen, stammelte unzusammenhängende Sätze. Wieso konnte er nicht verstehen, dass ich das Zeug brauchte? Das ich keine Wahl hatte? Nur ein bisschen Geld…

Plötzlich verstummte er, starrte auf das schluchzende und zitternde Bündel, das einmal seine lebhafte, fröhliche Tochter gewesen war. Er sagte nur ein Wort, aber es hallte in meinem Kopf wieder wie von einem tausendfachen Echo.

„Geh!“

Nur ein einziges Wort, aber für mich bedeutete es das Ende. Wie betäubt stand ich auf, und drehte ihm den Rücken zu. Beim Hinausgehen liess ich seine Uhr in meine Tasche gleiten. Das Leben hatte mich vieles gelehrt. Auch das Stehlen.

Als ich das Haus verliess, wusste ich, dass ich nicht mehr zurückkehren würde. Ich hatte alles verloren, was ich je gehabt hatte. Stück für Stück war es mir aus den Händen geglitten. Alles was ich jetzt noch hatte, war die Uhr in meiner Tasche und der Gedanke an Erlösung in meinem Kopf. Heroin, Heroin…, dachte ich, selbst jetzt, nachdem du mir alles genommen hast, lässt du mich nicht los. Du hast mir schon meine Jugend, meine Freunde, mein Geld genommen. Sogar meine Familie. Wann lässt du mich endlich gehen? Wann gibst du meinen Körper frei? Meinen Geist hast du schon längst zerstört. Aber ich wusste was die Antwort war. Meine Freiheit hatte ich schon lange verkauft. Alles was noch geblieben war, war ein Wrack, gebunden in stählerne Ketten, zu schwach um sich zu wehren.

 

Und nun sitze ich hier, halte meinen Todfeind in den Händen und weiss tief in mir, dass es bald vorbei sein wird. Meine Muskeln krampfen als ich die Spritze aufziehen will. Galle kommt mir hoch und ich Erbreche auf den kalten Stein. Meine Kleidung klebt mir am Körper, mein Herz rast. Ich beschwöre in Gedanken die alten Tage herauf, als die Welt noch heil war. Das Stechen der Nadel spüre ich nicht mehr. Und dann, endlich, überkommt mich das Gefühl der Erlösung. Alle Schmerzen verschwinden in der Flut der Glücksseligkeit. Ich lache, nein, ich weine. Mein Brustkorb hebt sich unregelmässig, im verzweifelten Ringen nach Sauerstoff, aber mein Körper verliert an Bedeutung, während ich den Kopf nach hinten sinken lasse. Endlich Schlaf… ich erinnere mich nicht mehr an das letzte Mal, als ich richtig schlafen konnte. Doch nun, unberührt vom Kampf, den mein Körper austrägt, schliesse ich die Augen und lächle…

 

Piep, piep, piep, piep… Das Geräusch stört mich. Ist das mein Wecker? Aber ich muss doch noch gar nicht zur Schule. Mein Geist ist verwirrt und durch den dichten Nebel in meinem Kopf komme ich nicht in die Realität. Gedanken schwirren in einem wilden Durcheinander durch meinen Geist, durchmischt mit Erinnerungen und Gefühlen. Sie blitzen auf, hinterlassen ein Kaleidoskop von Farben, manchmal strahlend hell, manchmal düster und trostlos. Zuerst lausche ich einiger Zeit diesen Eindrücken, verwirrt von der Vielfalt und Geschwindigkeit.

Nach und nach beginne ich mich selbst wieder wahrzunehmen. Und mit jedem Glied, das wieder in mein Bewusstsein tritt, gelingt es mir, die Flut in meinem Kopf zu dämpfen, bis ich es schliesslich geschafft habe,  eine Mauer zu errichten. In dem Moment öffne ich die Augen. Zu allererst sehe ich nur Licht. Gleissendes, helles Licht das mir in den Augen schmerzt. Ich blinzle, schliesse die Augen, nur um sie erneut zu öffnen. Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich mich an die Helligkeit gewöhnt und sehe zum ersten Mal das Zimmer in dem ich liege. Obwohl ich noch nie hier war, weiss ich dass ich ihm Spital bin. Da bemerke ich, dass jemand meinen Namen ruft. Verwirrt drehe ich den Kopf zu Seite. Ich kenne diese Stimme…

Als mein Blickfeld sich klärt, schnappe ich unwillkürlich nach Luft. „Papa…?“, flüstere ich, mit Tränen in den Augen. „Meine Kleine! Wie geht es dir?“ Auch seine Stimme ist belegt. Er ist bleich, und seine Kleidung ist schmutzig, aber seine Augen strahlen so lebendig wie ich es seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Ich bin unfähig zu antworten, hebe nur den Arm, um ihn zu berühren, um sicherzugehen, dass er Echt ist.

„Du bist hier. Du bist wirklich hier.“, murmele ich fassungslos. Er nickt. Eine einzelne Träne läuft im über die Wange. „Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid.“, krächzt er mit rauer Stimme. Ich muss schlucken. „Ist schon okay. Ich meine du bist da. Du bist tatsächlich da.“ So ganz kann ich es immer noch nicht fassen. Er nickt und legt mir eine Hand auf den Arm.

„Ich werde auch nicht mehr weggehen.“ Ein schiefes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. „Ganz sicher nicht.“ Die Wärme seiner Hand vermittelt mir ein Gefühl, wie ich es schon lange nicht mehr hatte. Ein Gefühl der Sicherheit, aber so rein, so unglaublich klar und intensiv, wie kein Heroin es je geschafft hat. Weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft.

 

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Über den Autor

Alanee
Ich bin 17 und bevorzuge es, Kurzgeschichten zu schreiben. Für eine richtig grosse Story fehlt mir einfach die Geduld ;p . Ich lebe in der Schweiz und bin eine leidenschaftlicher Fan. Von praktisch allem. Ich bin ein Whovian, Sherlocked, ein Trekker, ein Mitglied der #SPNFamily und des #TeamInternet, ich bin ein Jäger, Tribut und eine der Gefährte , ich bin eine Hexe die noch auf ihren Brief wartet und ich weiss dass der Winter kommt.
Und ja, natürlich habe ich Tumblr (alanee97).
Ausserdem schreibe ich ab und zu gerne ein wenig Fanfiction. Jeden der sich da interessiert, bitte hier klicken: http://www.fanfiktion.de/u/Palomina
Vor ein paar Jahren bin ich an einer atypischen Magersucht erkrankt. Die Eindrücke dessen sind daher in einigen meiner Geschichten verarbeitet. Im Augenblick (Juli 2015) bin ich zwar (psychisch) noch nicht ganz gesund, aber so weit das ein Leben ohne Therapie und mit eigenverantwortlichem Essen möglich ist.

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