Beschreibung
Über ein Mädchen, das sich selber nicht kennt.
Das Mädchen im Spiegel lächelt ihr zu. Dreht sich und wendet. Lässt die braunen Fransen ins Gesicht fallen. Und immer blickt es ihr in die Augen, fragend. Sie dreht sie weg von dem Spiegel. Geht. Die Fransen bleiben im Gesicht. Aber das Mädchen aus dem Spiegel ist weg.
Wenn Anna lächelt, strahlen ihre Zähne. Und sie muss auch lächeln. Aber Anna ist groß. Sie lächelt hoch, hoch zu Anna. Sieht ihr in die Augen. Doch diese bilcken geradeaus, blicken auf die Straße. Sie fühlt sich wie ein Hündchen, das seinem Herrchen hinterherhächelt. Wo ist das Mädchen aus dem Spiegel? Es sah wenigstens gut aus in der blauen Jacke. Sie steht ihr nicht. Sie sieht schäbig aus, darin. Annas Jacke ist rot. Rot und viel schöner mit den blonden Haaren. So schäbig, kein Wunder, dass Anna sie nicht anschaut. Das Lächeln war ihr schon lange aus dem Gesicht gewichen, sie zwingt sich, nach unten zu schauen. Sie streicht sich die Haare hinter den Ohren hervor. Wo war das Mädchen aus dem Spiegel? Sie flucht leise. Anna hat es nicht bemerkt. "Gehen wir?" Sie folgt ihrer besten Freundin.
Sie lächelt. Es war schön gewesen, mit Anna in der Stadt. Anna ist schon gegangen, aber sie hatten Bilder gemacht, Anna hatte gesagt, sie sähe gut aus.
Sie würde nie allein in die Stadt gehen. Aber sie fühlt sich leicht, jetzt, alleine, und cool. Sie schreitet schnell voran. Und lächelt. Da sieht sie ihn. Er sitzt neben der Bank und hällt die Hand nach oben. Die Hand zittert. Er hat eine alte Hose an, alt, zerissen und viel zu groß. Er hat nichts, nichts, nichts außer die Jacke und die Hose. Sie fühlt sich schlecht. Warum hat sie die neue Jacke an? So protzig. Sie schämt sich. Streicht die Haare hinter die Ohren und blickt zu Boden, als sie ihm einen Euro zu wirft. Er dachte, sie hällt sich für was besseres. Mit ihrem Geld. Für generös. Sie flucht. Sie lächelt bemüht. Denkt an ihre Zähne, die sie zeigt. Sie merkt, wie sie das eingebildete Mädchen aus dem Spiegel ausstrahlt. Das Mädchen, das der Mann verachtet. Sie blickt starr zu Boden und flucht.
Nie sah sie die hellen Augen, die ihr folgten. Das Lächeln des Mannes, der entschied, wer sie war, in dem Moment. In Mitleid.