
Das Leben der vierzehnjährigen Antoinette Weidler wird abrupt und mir nichts dir nichts auf den Kopf gestellt, als ihr Onkel und Ziehvater ihr eines Tages ein absurdes Geheimnis anvertraut. Antoinette wird auf eine Schule geschickt, eine Schule, von der nur wenige wissen, denn es ist keine normale Schule. Und Antoinette ist auch kein normales Mädchen. Sie ist eine Elfe. Und das ist nicht das größte Geheimnis.
Da war wieder dieses Kribbeln, dieses Kribbeln, das ich immer spürte, wenn ich aufgeregt war, eine Art Kitzeln in meinen Fingerspitzen.
Aber ich war doch gar nicht aufgeregt! Seltsamerweise hatte ich aber auch das Gefühl, dass das Kribbeln gerade in diesem Moment da sein sollte, auch wenn ich gerade vollkommen ruhig war. Ich versuchte mich angestrengt daran zu erinnern, warum mich dieser eigenartige Zeitpunkt nicht verwunderte und dann wurde mir klar, dass Leonard mir wohl schon so etwas gesagt haben musste. Leonard, mein Onkel, hatte mich vor
vielen Jahren adoptiert und mir noch nicht gesagt, wieso die Adoption überhaupt nötig gewesen war. Was diese Frage anging, da war mein Onkel und Ziehvater sehr verschwiegen. Mehr, als es mir lieb war. Mir war egal, ob er dafür einen Grund hatte oder nicht.
Ich wollte im Grunde einfach die Wahrheit wissen. Ich, ich war Antoinette Weidler. Blöder Name, ich weiß, der Nachname passte überhaupt nicht zum Vornamen. Aber immer, wenn ich mich erkundigte, was meine Eltern wohl dazu verleitet haben könnte, mir diesen Namen zu geben, schaltete das Gehirn meines Onkels offenbar auf Durchzug und, natürlich, bekam ich keine
Antwort.
Es war Dienstag, wir hatten gerade Mathe und wie immer saß ich an meinem Platz in der letzten Reihe, begutachtete meine Fingernägel und scherte mich nicht um den Unterricht. Alle starrten mich an. Die Mädchen verächtlich, wütend, beeindruckt oder neidisch, die Jungs dagegen wirkten eher überwältigt.
Ich hatte mich daran schon gewöhnt, dass ich von allen Mädchen verachtet und von allen Jungen angehimmelt wurde. Zu Beginn war es ein wenig nervig gewesen, gerade, als ich noch versucht hatte, Freunde zu finden, was mir natürlich absolut unmöglich gewesen war. Mittlerweile hatte ich mich auch damit
abgefunden. Ich vertrat die Einstellung, dass ich, solange ich selbst gut mit mir klar kam, keine Probleme hatte und keine Freunde benötigte. Und ich selbst hatte nie ein Problem mit mir gehabt.
Wieso auch? Ich war recht zierlich, schlank, hatte braun-rotes, lockiges Haar und olivgrüne Augen, die aber je nach Luftfeuchtigkeit, Außentemperatur, Luftdruck, oder was auch immer, - eigentlich hatte ich auch keine Ahnung, woran es lag - die Farbe wechselten und manchmal auch blau oder braun sein konnten. Tatsächlich hatte ich neulich morgens, als ich in den Spiegel sah, sogar lilafarbene Augen zu mir zurückblicken sehen. Im Grunde war ich
sehr zufrieden mit meinem Aussehen. Tatsächlich kam es mir so vor, als hätte ich ziemliches Glück gehabt, was mein Äußeres anging. Um ehrlich zu sein hatte ich in meinem Leben noch keine Sekunde Pech gehabt. Zu allem Überfluss war ich auch noch gut in der Schule, ich hatte nie sonderlich viel gelernt und trotzdem mit meinen 16 Jahren noch keine Note geschrieben, die schlechter als eine 2+ war.
Abgesehen von der Tatsache, dass ich weder Freunde, noch Eltern hatte, wobei ich mich mit Letzterem auch schon lange abgefunden hatte, lief in meinem Leben alles klasse.
Ich hörte auf, meine Nägel zu bewundern
und setzte mich so abrupt auf, dass einige Jungen, die immer noch glaubten, ich würde ihre Blicke nicht bemerken, sich schnell umwandten. Ich ließ den Blick nachdenklich durch die Klasse schweifen und prompt wurde mir von zahlreichen Jungs zugezwinkert. Ich beachtete sie genauso wenig, wie die Mädchen, die mich böse anfunkelten und mir Beleidigungen zu zischten, obwohl ich man liebsten die Augen verdreht hätte. Am Anfang hatten mich diese gemeinen Gesten gestört und sogar verletzt, doch mit der Zeit hatte ich mich auch daran gewöhnt.
„Antoinette!“ sagte Herr Freidamm, der Mathelehrer, und riss mich unsanft aus
meiner Träumerei. Er war der Lehrer, den ich am wenigsten mochte, und zwar aufgrund seines Talentes, mich immer dann aufzurufen, wenn ich gerade nicht aufpasste. Doch ein weiterer Punkt, der mich als ein wahres Glückskind erscheinen ließ, war meine beinahe schon unheimliche Fähigkeit, ein gesamtes Gespräch in mich aufzunehmen, auch wenn ich gerade nicht zuhörte, und dann genau im richtigen Moment den richtigen Teil in meinem Kopf abzuspielen. So konnte ich auf eigenartige Weise die Fragen des Lehrers in meinem Kopf wiederhallen lassen, weshalb es Herrn Freidamm nie gelang, mich beim Träumen zu erwischen. Und das machte
ihn wahnsinnig, weil er und alle anderen wussten, dass ich nicht aufpasste, er mir aber nichts nachweisen, und mich auch nicht dafür bestrafen konnte, denn meine Noten blieben natürlich unverändert gut.
„Nenne mir ein praktisches Beispiel für die Berechnung der Wahrscheinlichkeit!“ hallte die Frage meines miespetrigen Mathelehrers in meinem Kopf wieder.
„Das Glücksrad!“ antwortete ich und musste mir ein hämisches Grinsen verkneifen, als ich sah, wie Herr Freidamm die Antwort verbittert für richtig erklärte. Ich fragte mich, wieso er überhaupt noch verbittert war, wenn ich richtig antwortete. Er hatte mich jetzt
seit drei Jahren in Mathe. Allmälig müsste er sich doch mal daran gewöhnen. Ich fragte mich überhaupt, wieso er es immer wieder versuchte. Wäre ich an seiner Stelle, hätte ich es schon längst aufgegeben und mich vor mich hin träumen lassen. Aber zum Glück war ich ja nicht an seiner Stelle.
Nun hatte ich jedenfalls für den Rest der Stunde wieder Ruhe, das wusste ich, denn der Mathelehrer nahm mich nie zweimal in einer Stunde dran. Er hatte wohl kein Interesse daran, zweimal an einem Tag mit seinem Vorhaben zu scheitern, mich zu bestrafen.
Plötzlich spürte ich wieder dieses Kribbeln, doch dieses Mal war es stärker.
Ich sah hinunter auf meine Finger, doch es war nichts Ungewöhnliches zu sehen.
Die Pausenglocke klingelte und ich ging rasch hinaus, ich wollte meinen Stammplatz auf einem Baum im Schulgarten erreichen, bevor wieder diese frechen Sechstklässler auftauchten, die sich neuerdings einbildeten, sie hätten ein Vorrecht auf den Garten.
Ich lief geradewegs in Richtung meines Lieblingsplatzes und erreichte ihn zu meinem Vergnügen vor den Sechstklässlern, die schon hoffnungsvoll um die Ecke gespäht hatten. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um ihnen nicht triumphierend zuzuwinken.
Ich kletterte in eine Astgabel und machte
mich stumm über Herrn Freidamm lustig. Als nächstes hatten wir Sport, mein Lieblingsfach und Frau Giesig hatte letzte Stunde versprochen, dass sie dieses Mal Brennball spielen würden. Ich mochte dieses Spiel, denn ich konnte gut werfen und war beim Laufen wegen meiner, im Verhältnis zu meinem restlichen Körper, recht langen Beine, im Vorteil. Ich hoffte, wir würden draußen spielen, denn ich mochte es nicht, wenn es eine Einschränkung gab, wie weit man werfen durfte.
Von unten hörte ich schrilles Gekicher und sah auf den Boden unter dem Baum. Anastasia, Lilian, Celina und Elisabeth, die vier Mädchen aus meiner Klasse, die
nichts im Kopf hatten, aber immer als erste zur Stelle waren, wenn jemandem etwas passierte, worüber sie sich lustig machen konnten.
Celina, die Chefin und die, deren Rock am kürzesten war, sah zu mir auf: „Hey, Antoinette, du kletterst gerne auf Bäume? Das hätte ich mir ja denken können, deshalb sehen deine Kleider also immer so verdreckt aus!“ säuselte sie mit ihrer Quietschstimme. Von unten kam Hohngelächter zu mir heraufgeweht. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Die wurden auch nicht einfallsreicher. Früher, dachte ich, hätte mich diese Bemerkung zutiefst gekränkt, doch ich hatte mich schon so an die Sticheleien
der Zicken gewöhnt, das ich nicht einmal an mir heruntersah, um nach dem angeblichen Schmutz auf meiner Kleidung zu sehen, sondern nur antwortete: „Wenigstens kann ich klettern, ihr würdet es keine zwei Äste weit bringen mit euren medizinisch verschönerten Körpern.“ Das war der schlechteste Spruch, den ich je gemacht hatte, aber er wirkte, ich musste nicht einmal hinsehen, um die beleidigten Gesichter zu sehen, ich wusste auch so, dass ich gleich wieder meine Ruhe haben würde und tatsächlich, nach ein paar Sekunden hörte ich vier Paar High-Heels davonstolzieren.
Ich schloss die Augen und genoss meinen
Triumph in vollen Zügen, wurde jedoch bald wieder gestört.
Diesmal war es Willi, ein Junge aus meiner Klasse, der sich selbst für den größten hielt.
„Hey Toni, ich…“ begann er, doch ich unterbrach ihn.
„Nenn mich nicht Toni, kapiert?!“ entgegnete ich genervt, wegen der erneuten Störung.
„Hey schon gut, was ist dir denn über die Leber gelaufen? Ich wollte dich nur mal fragen, ob du morgen Abend schon was vorhast, ansonsten könnten wir ja zusammen ins Kino gehen oder so?!“
Ich seufzte, ich hatte es geahnt, ständig wurde ich das gefragt und ich hasste es,
immer abzulehnen, denn ich wollte niemanden beleidigen. Aber ich hatte an keinem von ihnen Interesse. Weder, wollte ich mit einem von ihnen ausgehen, noch, Gott bewahre, irgendetwas Ernstes mit einem von ihnen anfangen.
„Willi, tut mir leid, aber ich möchte nicht mit dir ausgehen!“ sagte ich so freundlich wie möglich, denn ich war immer noch ärgerlich.
„Ok, kein Problem!“ murmelte Willi geknickt „Wir sehen uns dann.“
Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Er war sonst immer so großspurig, hatte immer die Klappe offen. Jetzt sah er aus wie ein geprügelter Hund, wie er mit
hochgezogenen Schultern in Richtung Schule schlurfte.
In diesem Augenblick klingelte es zum Sportunterricht. Ich sprang von meinem Baum und rannte auf die Turnhalle zu, zog mich schnell in der Umkleidekabine um – außer mir war noch keiner da, die meisten Mädchen ließen sich vor dem Sport immer ziemlich Zeit – und betrat die Halle. Frau Giesig war, wie immer, schon da und baute gerade die Geräte auf, sie hielt ihr Versprechen. Brennball. Ich lächelte. Ich mochte Frau Giesig.
„Hallo Antoinette, willst du eine Mannschaft wählen?“ fragte Frau Giesig mich freundlich
„Gerne, danke für das Angebot!“
antwortete ich, ich wählte gerne, denn obwohl es mir eigentlich egal war, ob ich Freunde hatte oder nicht, war es mir doch etwas unangenehm, immer zuzusehen, wie zuerst jeder seine Freunde wählte. Dabei sollte man meinen, da wir alle schon 16 oder älter waren, dass die Leute zuerst gewählt wurden, die am besten spielten. Aber Fehlanzeige, hier ging es nur um Sympathie.
„Oh, seht mal an, unser Kletteraffe hat sich dazu herabgelassen, von ihrem Baum zu kommen! Oh, ich hoffe, sie wählt mich nicht“ rief Lilian und die anderen Mädchen aus der Klasse stimmten in das Lachen der Zicken ein,
ich ignorierte die spöttische Bemerkung. Ganz im Ernst, die sollten sich wirklich bessere Sprüche zulegen.
„Ich will auch wählen!“ sagte Christian gebieterisch zu Frau Giesig und zwinkerte mir selbstbewusst zu. Ich sah weg.
„Wenn du gerne möchtest, Christian, darfst du gerne!“ antwortete die Lehrerin lächelnd und überging den arroganten Unterton Christians.
„Ladies First!“ bot der Junge mir an und trat wie ein Gentleman einen Schritt zurück.
„Danke, Christian!“ entgegnete ich, versuchte gleichzeitig gleichgültig und freundlich zu klingen, und rief dann laut
in die Runde: „Ich wähle Sebastian“
„Ich nehme André!“ rief Christian ein wenig zu laut. Wen wollte er mit dem Gebrüll beeindrucken?
So ging es weiter, bis alle gewählt waren, wie zu erwarten war, blieben als letztes die vier Zicken übrig und bekamen so von den bereits gewählten Schülern ein wenig von dem Hohn zu spüren, den sie sonst immer verteilten.
Das Spiel begann und meine Mannschaft war zuerst im Feld. Leider spielten wir nicht draußen, wie ich gehofft hatte. Ich war mit meiner Mannschaft zufrieden, bis auf Celina und Anastasia, die ich wählen musste, weil sie als die Letzten noch nicht gewählte zu Auswahl standen,
doch da die Beiden sich sowieso nur an den Rand stellten und sich unterhielten, störten sie auch keinen. Ich stellte mich im Feld ganz nach hinten, da ich auch einigermaßen gut fangen konnte. Meine Mannschaft bestand aus besseren Spielern, doch das andere Team hatte die Schüler, die mit roher Gewalt auf den Ball einschlugen und ihn so weit warfen, dass man fast keine Chance hatte, ihn zu fangen, wenn man nicht darauf gefasst wäre. Glücklicherweise waren wir alle darauf gefasst. Die ersten drei Bälle, die nach hinten flogen fing ich ohne Schwierigkeit, doch der vierte Ball rutschte mir aus der Hand, zum Glück stand Paul direkt hinter mir und fing den
Ball ab, bevor er auf den Boden fiel. Als wir mit dem Rennen um das Feld an der Reihe waren, hatten wir schon zwanzig Punkte Vorsprung. Ich stellte mich in die Reihe und wartete, bis ich dran war. Die ersten drei Werfen, darunter auch Paul, waren ganz gut, der vierte und fünfte, Philipp und Samuel, warfen schlecht. Anschließend war eine Gruppe aus vier Mädchen an der Reihe, die mich alle so ansahen, als wollten sie sagen: „Wir wollten in das andere Team und jetzt spielen wir absichtlich schlecht!“. Meine Vermutung bestätigte sich, als ich die Würfe sah, doch ich beschloss, mich nicht darüber zu ärgern. Endlich war ich an der Reihe, ich warf den Ball und
freute mich, wie weit er flog. Vielleicht würde ich sogar einen Home-Run schaffen. Ich lief los und, tatsächlich war ich schon einige Sekunden, bevor der Ball den Fänger erreichte, im Ziel. Anton, der Punktezähler, pfiff mir hinterher und ich musste gegen meinen Willen ein wenig lächeln. Meine weiteren Würfe waren auch nicht schlechter und der Endstand nach dem Spiel war siebzig zu siebenundvierzig Punkte für mein Team. Fröhlich ging ich in die Umkleidekabine und zog mich an. Endlich Schulschluss!, dachte ich und fragte mich, ob Leonard Zuhause sein würde. Man konnte nicht vorausberechnen, wann mein Onkel
Zuhause sein könnte, denn das änderte sich jeden Tag. Ich wusste nicht, was er arbeitete, da er immer auswich, wenn ich ihn danach fragte.
Der Weg von der Schule nach Hause dauerte etwa fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad und ich genoss den Wind, der mir die Haare aus dem Gesicht wehte. Es fühlte sich fast an, als würde ich fliegen.
„Hallo?“ rief ich, als ich die Haustür aufschloss. Ich bekam keine Antwort.
„Wenigstens bist du da, Charles!“ begrüßte ich meinen Kater, als ich seine buschige Schnauze um die Ecke biegen sah. Ich hob ihn hoch und begann, auf ihn einzureden, wie immer, wenn ich von der Schule kam: „Ach, mein Tag war
ganz ok, ich hatte Sport, Willi hat nach einer Verabredung gefragt und ich habe Nein gesagt, du und Leonard, ihr seid die einzigen Männer in meinem Leben!“, brabbelte ich. Der Kater gab ein zufriedenes Schnurren von sich und ich hörte ein unterdrücktes Glucksen aus dem Esszimmer. Mit Charles auf dem Arm, lief ich den Flur entlang, ging durch die Esszimmertür und ließ mich auf den Stuhl gegenüber von Leonard fallen.
„Hallo, wie war dein Tag?“ fragte ich betont lässig.
„Es war alles ok, und bei Dir?“ entgegnete er.
„Ich möchte dich etwas fragen! Du hast
doch vor einer Weile mal etwas zu mir gesagt, von wegen, dass meine Fingerspitzen kribbeln könnten und heute in Mathe, habe ich das gespürt und deshalb wollte ich dich mal fragen, was das damit auf sich hat.“ sagte ich hektisch und ohne Luft zu holen. Vielleicht bekam ich ja eine Antwort, wenn ich schnell fragte, bevor er sich wieder für ein Ausweichmanöver entscheiden konnte.
„Was, jetzt schon?“, fragte Leonard verwundert und beugte sich ein wenig zu mir, „Wieso denn jetzt schon?“
Ich verdrehte die Augen. „Solltest du mir das nicht sagen können, ich bin schließlich die, die gefragt hat. Und was
meinst du mit jetzt schon?“
Leonard stöhnte.
„Okaaaaaay!“, setzte er an und zog das Wort in die Länge. „Das wird jetzt eine ziemlich absurde Geschichte. Du musst bis zum Schluss zuhören, klar? Es ist ein bisschen kompliziert und du wirst mich für bekloppt halten, aber wenn du Antworten willst, musst du zuhören, ist das angekommen?“
„Ok, ich höre dir zu!“ entgegnete ich todernst, was gar nicht so einfach war. Ich war aufgeregt. Das erste Mal würde er mir Antworten geben.
„Gut!“ begann Leonard erneut „Da du mir ja sowieso nicht glauben wirst, steige ich einfach gleich mit dem
absurden Kram ein, okay? Du kennst ja Fabelwesen wie Drachen und Kobolde und solche Wesen! Und all diese Wesen gibt es wirklich...lass mich ausreden“ fügte er streng hinzu, denn ich hatte den Mund geöffnet „Deine Eltern waren solche Wesen, sie waren Feen, was bedeutet, dass du auch eine bist. Und deine Fähigkeiten haben sich sehr schnell entwickelt, eigentlich sollte dieses Kribbeln erst in etwa einem Jahr bei dir auftreten. Das ist seltsam, aber irgendwie nicht zu ändern. Und weil sich deine Fähigkeiten ganz offensichtlich schon entwickeln, musst du von hier weg und in eine Schule, in der sie dir beibringen, damit umzugehen, sonst
passiert dir vielleicht was, weil du deine Fähigkeiten nicht im Griff hast. Es wäre also das Beste, wenn du auf diese Schule gingest. Andererseits hängt das von dir ab. Die anderen an der Schule werden alle älter sein als du, weil sich, wie gesagt, die Fähigkeiten eigentlich erst frühestens mit siebzehn entwickeln. Du musst jetzt also wissen, ob du damit klarkommst, dass sie alle älter sind als du, oder ob du hier bleiben willst, dann müssten wir allerdings bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um dich und deine Mitmenschen vor deinen Fähigkeiten zu schützen.“, beendete mein Onkel und sah mich abwartend an. Ich starrte
zurück.
Jetzt war er endgültig durchgeknallt. Ich ließ ihn zu lange alleine. Das konnte ja nicht gesund sein. Ich wusste ja nicht einmal, wo er hinging, wenn er irgendwo hinging. Ich fragte mich, ob er sich wohl mit meinem Kater unterhielt, wenn er alleine zu Hause war. Dann fiel mir ein, dass ich mich ja auch mit meinem Kater unterhielt. Vielleicht waren wir ja beide verrückt.
„Okay“ sagte ich gedehnt „Du willst mir also weismachen, dass ich eine Fee bin. Eine Fee!“ Ich hielt eine Hand hoch und zeigte mit meinem Zeigefinger und Daumen einen zehn-Zentimeter-Abstand. „Diese kleinen fiesen Viecher, die
versuchen, Menschen, die sich verirrt haben, zu töten und zu essen? Diese Feen?“ Ich zog eine Augenbraue hoch und bemühte mich, zu verbergen, wie sehr mich diese Vorstellung amüsierte. In mir tobte ein seltsames Gemisch aus Besorgnis um Leonards Geisteszustand und dem Wunsch, ihn laut auszulachen. Und schlechtem Gewissen, weil ich den Wunsch verspürte, ihn laut auszulachen. Das war gemein. Ich sollte nicht über ihn lachen, er brauchte Hilfe.
Leonard verdrehte die Augen, als hätte er schon damit gerechnet, dass ich so reagieren würde. Dass er damit gerechnet hatte, ließ mich wieder ein wenig
Vertrauen in seinen Geisteszustand schöpfen. Wenn ihm klar war, wie krank das alles klang, war das schon ein guter Anfang. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.
„Also, erstens sind Feen nicht nur so klein!“ er zeigte den gleichen Abstand mit der Hand, den ich zuvor angedeutet hatte. „Zweitens habe ich noch nie von einer Fee gehört, die jemanden, der sich verirrt hatte, gegessen hat.“ Er schüttelte den Kopf und lachte leise.
Das stimmte vielleicht sogar. Ich erinnerte mich, dass er sich, als ich noch ein Kind war, geweigert hatte, mir Märchen vorzulesen. Immer, wenn ich
mit dem Buch in der Hand zu ihm gekommen war hatte er aufgestöhnt und gesagt, ihm sei plötzlich noch etwas eingefallen, was er unbedingt noch machen müsse. Ich hatte daraufhin versucht, mir das Lesen selber beizubringen, leider ohne Erfolg.
“Und Drittens!“ führte Leonard seine Ausführung fort „Drittens kann ich es beweisen!“ Er stand auf und verließ das Zimmer.
Jetzt war ich gespannt. Würde er mir jetzt seinen Zauberstab präsentieren? Oder würden sich seine Flügel entfalten und er würde sich vor meinen Augen in die Lüfte erheben? Andererseits hätte er
dafür nicht den Raum verlassen müssen. Vielleicht musste er seine Flügel ja erst hohlen. Ich gluckste und lehnte mich in meinem Sitz zurück. Leonard kam wieder, in der Hand seinen Laptop.
“Wie jetzt, haben Feen etwa eine Website?“ ungläubig starrte ich meinen verrückten Onkel an. Was sollte das bitte?
“Nein, aber ich habe ein paar Fotos und ein Video!“ entgegnete er triumphierend, als könne er damit all meine Zweifel ausräumen.
Ich hustete und es klang verdächtig nach
„Photoshop“.
Leonard stellte den PC vor mir auf den Tisch und öffnete über meine Schulter hinweg ein Paar Dateien. Ich beugte mich wieder vor. Was kam jetzt? Wovon wollte er mir Fotos zeigen, dass ich ihm glauben könnte. Vielleicht sollte ich das ganze einfach im Keim ersticken und gleich einen Arzt rufen. Ich war mir nicht sicher, ob es gut war, wenn mein Onkel sich noch weiter in seine Wahnvorstellungen hineinsteigerte. Aber ich wartete, die Neugier hatte gesiegt.
“Und los geht‘s!“ sagte mein Onkel und drückte auf
„Diashow“.
Vor mir sah ich das Bild einer jungen Frau. Sie hatte den Arm um jemanden gelegt, von dem nur die Schulter auf dem Bild zu sehen war. Das Bild sprang um. Dieses Mal war die Frau von der Seite zu sehen und sie lachte. Ich erstarrte und beugte mich dichter vor den Bildschirm. Die Frau hatte die gleiche Haarfarbe wie ich und die gleiche Nase. Die Art, wie sie den Kopf beim Lachen leicht zurücklegte war mir schmerzlich vertraut. Mir stiegen die Tränen in die Augen.
Das war meine Mutter, daran gab es keinen Zweifel. Ich sah mit
verschwommenem Blick weiter zu, wie ein Bild nach dem anderen aufblitzte, jedes mit meiner Mutter, manche von der Seite, andere von vorne. Plötzlich veränderten sich die Bilder. Bis jetzt waren die Fotos Nahaufnahmen gewesen.
Das nächste Bild, das folgte, zeigte die fremde, vertraute Frau von etwas weiter entfernt. Ich starrte sie an. Sie sah eigentlich ganz normal aus, bis auf die Tatsache, dass sie schwanger war. Ach ja, und dass sie etwa fünf Meter über dem Boden in der Luft schwebte. Ich kippte fast vom Stuhl, glotzte auf den Bildschirm und konnte kaum denken. Wenn das ein Effekt war, dann war es ein
wirklich guter. Das Bild sprang um, bevor ich es mir genauer besehen konnte, und zeigte dieses Mal zwei Leute, die sich an den Händen hielten, ebenfalls schwebend. Eine der beiden war wieder meine Mutter, die andere Person konnte man nicht erkennen. Über ihrem Gesicht und ihrem Oberkörper war die Farbe seltsam verwischt. Als hätte jemand die Farben mit einem nassen Lappen verschmiert. Es war nur zu erkennen, dass es sich offenbar um einen Mann handelte. Ich wollte Leonard fragen, was das sollte, wieso man den Mann auf dem Bild nicht erkennen konnte, doch das Bild sprang erneut um.
Nun wurde ein Video abgespielt. Es
zeigte meine fremde Mutter in einem Glashaus. In einem Gewächshaus, stellte ich fest. Sie stand mit dem Rücken zur Kamera und hielt die Hände über ein leeres Beet gestreckt. Der Kameramann trat einige Schritte vor, wobei die Kamera wackelte. Die Frau schien sich zu entspannen und plötzlich spross etwas vor ihr aus dem Boden. Und es wuchs und wuchs von einem Keim zu einem Sträuchlein und es wurde immer größer. Genau wie meine Augen. Was war das? Was sollte das? Mein Gehirn fühlte sich an, als sein es in Watte gepackt.
„Überraschung!“ krähte der Kameramann und die Frau fuhr zusammen. Die Pflanze zerfiel in ihre
Einzelteile.
Die Frau wirbelte herum und wieder sah ich voller Schock in ein Gesicht, das mir vertraut sein sollte und doch so fremd vorkam.
„Verdammt, Leonard, du Idiot, stör mich nicht! Ich muss das üben! Ich bin miserabel! Und was soll das mit der Kamera? Wenn dich einer sieht, bekommen wir beide einen Haufen Schwierigkeiten.“ Leonard? Wie in Mein Onkel Leonard?
„Du verwechselst mich mit meinem Bruder, wenn du glaubst, dass es mir was ausmachen würde, von der Schule zu fliegen!“ erkannte ich nun Leonards missmutige Stimme. Er war
es.
„Aber mir macht es was aus! Mach das Ding aus! Du ziehst uns da alle mit rein, auch deinen Bruder.“ zischte die vertraute Fremde missbilligend und ich hörte Leonards ergebenen Seufzer. Dann brach das Video ab.
Eine Weile war es totenstill im Esszimmer. Ich starrte auf den schwarzen Bildschirm von Leonards PC, während mir die Tränen übers Gesicht liefen. Meine Mutter. Ich sah genauso aus wie sie.
„Photoshop also, ja?“ erklang die amüsierte Stimme meines Onkels hinter mir.
Rasch wischte ich mir die Tränen weg,
obwohl ich wusste, dass Leonard sie schon längst bemerkt hatte.
„War das meine Mutter?“ fragte ich, obwohl ich die Antwort schon kannte. Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Ja“ entgegnete Leonard ausdruckslos. Ich wandte mich zu ihm um.
„Wann war das?“ hakte ich nach.
„1976“ antwortete er knapp und fragte dann: „Also, bist du bereit, auf die Schule zu gehen?“
Benommen schüttelte ich den Kopf. Das war alles total krank. Dann wurde es mir klar: Ich träumte! Ich sprang auf und rannte in die Küche. Dort stürzte ich zum Spülbecken und spritzte mir eiskaltes
Wasser ins Gesicht. Ich sog scharf die Luft ein und blinzelte durch meine nassen Haarsträhnen. Nichts hatte sich verändert, ich war nicht aufgewacht. Ich wollte wieder den Wasserhahn anstellen, um meinen Kopf darunter zu halten, doch da packte mich jemand an der Schulter und drehte mich herum. Es war natürlich Leonard, mein vielleicht doch nicht ganz so verrückter Onkel. Oder vielleicht auch doch, ich wusste es nicht.
„Du träumst nicht!“ sagte er in strengem Tonfall und ich musste unwillkürlich lachen. Diesen Ton hatte er früher immer angeschlagen, wenn ich mein Essen nicht aufgegessen hatte, oder wenn ich mein Getränk umgehauen hatte und mich
weigerte, es wieder aufzuwischen. Ich war ein trotziges Kind gewesen.
„Der Mann, dem du den Kopf abgeschnitten hast, war das mein Vater?“ fragte ich und bezog mich auf den verschwommenen Fleck. Mir war klar, dass ich auch auf diese Frage schon die Antwort kannte. Aber ich musste etwas fragen. Musste mich beschäftigen, wollte nicht über das Andere nachdenken. Über das Unglaubliche.
„Ja“
„Wieso hast du ihn verwischt?“ Es wunderte mich schon, dass auf allen Bildern nur meine Mutter gewesen war. Dann kam mit eine Idee.
„Warte mal, du warst doch nicht etwa…
ich meine, du und meine Mutter, ihr wart doch nicht…“ begann ich entsetzt.
„Was? Nein, ich war immer nur mit ihr befreundet. Deine Eltern und ich waren quasi ein Trio. Aber ich wollte nie was von deiner Mutter und sie war glücklich mit meinem Vater, also selbst wenn ich etwas von ihr gewollt hätte, wäre nichts draus geworden!“ gab Leonard zurück und sah ernsthaft schockiert aus, dass ich so etwas von ihm geglaubt hatte.
„Warum hast du meinen Vater dann unkenntlich gemacht?“ versuchte ich, meine Frage zu erklären.
Leonard schwieg und wich meinem Blick aus.
„Hallo, jemand da?“ fragte ich
ungeduldig, weil ich wusste, wie sehr mein Onkel es hasste, wenn ich das sagte. Er meinte, er käme sich dann immer vor wie ein Spinner. Vielleicht war er ja auch einer. Oder doch nicht?
Verärgert blickte er mich an. „Ich kann es dir nicht sagen!“
War ja klar, dass es irgendetwas in diesem absurden Affentheater gab, dass er mir nicht erzählen durfte. Ich verdrehte die Augen, beließ es aber dabei.
Und jetzt hatte ich ein Problem, denn ich hatte keine Ausweichfragen mehr. Jetzt kam der kranke Teil.
„Bitte sag mir, dass das Photoshop war. Bitte!“ flehte ich schon
fast.
„Es war kein Photoshop! Damals gab es noch kein Photoshop. Das glaub ich zumindest!“, entgegnete Leonard und kratzte sich am Kinn.
Ich stöhnte. Ich konnte es nicht glauben. Ich wollte es nicht glauben. Es war absolut unmöglich. Mit einem lauten Knall ließ ich meinen Kopf auf die Tischplatte fallen. Ich konnte aber auch nicht mehr glauben, dass Leonard verrückt war. Er wirkte einfach zu aufgeräumt. Zu klar im Kopf, es wirkte komplett absurd, zu glauben, dass jemand, der so rational war, wie mein Onkel, einfach so verrückt wurde. Genauso unmöglich schien es, dass
jemand, der so rational war, wie er, an so etwas absurdes wie Feen oder so glaubte, ohne einen triftigen Beweis zu haben. Blieb noch eine Möglichkeit: Er glaubte nicht daran, und belog mich. Aber welchen Grund sollte er dazu haben. Was sollte er davon haben, mich zu überzeugen, dass Feen und Trolle und Kobolde und alles existierten, wo er doch selbst nicht daran glaubte. Außerdem hatte er, seit ich mich erinnern konnte gut für mich gesorgt und nie direkt gelogen. Ja, er hatte mir Dinge verheimlicht, aber er würde nie lügen, wenn es um so etwas ging. So wie er es beschrieb, würde, wenn er Recht hatte, nicht log und nicht wahnsinnig war,
diese Feensache mein gesamtes Leben beeinflussen. Also war es eine relativ wichtige Sache, bei so etwas entscheidendem würde er nicht lügen. Gleichzeitig war es aber so absurd, dass er es sich wohl kaum ausgedacht haben konnte, wie gesagt, dafür gab es absolut keinen Grund.
Möglicherweise war ich aber auch wahnsinnig und bildete mir das alles nur ein. Doch wäre ich wahnsinnig und würde mir das alles nur einbilden, würde das doch heißen, dass ich daran glauben wollte, und ganz offensichtlich wollte ich nicht daran glauben, sonst würde ich es doch nicht anzweifeln, oder? Das deutete doch auf einen gewissen Grad an
gesundem Menschenverstand hin, oder?
Schließlich fasste ich einen Entschluss. Ich entschied mich, Leonard einfach zu glauben. Vorerst. Ich würde mir die ganze Geschichte anhören und anschließend beurteilen, was ich davon zu halten hatte. Das würde sich schon alles fügen, dachte ich und nahm den Kopf von der Tischplatte.
„Okay, nächste Frage!“ beschloss ich.
„Dann schieß los!“ antwortete Leonard lächelnd, er schien froh, dass ich ihn nicht mehr für verrückt erklärte.
„Was für Fähigkeiten soll ich angeblich haben?“ hakte ich nach und kam mir vor wie ein kleines Kind, dass nach dem Ergebnis der Rechenaufgabe eins plus
eins fragte. Aber ich wollte am Anfang anfangen, damit ich alles in einen sinnvollen Zusammenhang bringen konnte, sofern es denn einen gab.
„Verschiedene und die musst du erst trainieren. Deshalb wirst du ja auf die Schule gehen.“ Leonards Lächeln sagte mir, dass ich nicht mehr über meine Fähigkeiten erfahren würde, jedenfalls nicht jetzt.
„Bist du auch irgendeine Art Fabelwesen?“, war meine nächste Frage. Es schien mir logisch, dass wenn mein Vater eine Fee gewesen war, dass er dann auch eine sein musste. Immerhin waren sie Brüder, soviel hatte ich im Laufe der Jahre selbst aus dem verschlossenen
Leonard herausquetschen können.
„Nein“ antwortete er und seine Miene verfinsterte sich „Ich bin kein Fabelwesen, nicht mehr, ich habe es aufgegeben. Ich war für alle immer nur der kleine Bruder deines Vaters und nie so begabt wie er. Damit kam ich nicht klar. Versteh mich nicht falsch, ich habe ihn geliebt, wie man eben seinen Bruder zu lieben hat, aber ich war auch neidisch. Ich war ein launisches Kind und nicht zufrieden mit dem, was ich hatte. Ich habe meine Kräfte abgegeben, wie, das wirst du in der Schule erfahren. Es gibt da eine Möglichkeit, die Fähigkeiten in den Traumbrunnen zu schicken, aber das ist mir jetzt zu
kompliziert, zu erklären. Jedenfalls war ich dann keine Fee mehr.
Da ich aber mal eine Fee gewesen war, durfte ich bei deinem Vater wohnen bleiben, damit hatte ich großes Glück. Die meisten Leute, die ihre Kräfte abgeben, werden einfach vor die Tür geworfen und müssen gucken, wie sie alleine in einer Welt klarkommen, von der sie kaum etwas wissen. Nach dem Tod deines Vaters und deiner Mutter übernahm ich das Sorgerecht für Dich und der damalige Arzt, der Dich sehr ins Herz geschlossen hatte, sagte mir, ich solle dich mit in die Welt der Menschen nehmen und Dich erst zurückbringen, wenn du in die Schule gehen kannst. Ich
hörte auf ihn und nahm Dich mit mir. Ich kaufte diese Wohnung und habe danach nicht mehr viel von der Welt gehört, doch habe ich ein Portal, dass, wie es der Zufall will, von unserer Besenkammer in den Keller der Schule führt, auf die du in Zukunft gehen wirst.“
„P-P-P-Portal?“ schoss ich stotternd zurück. Himmel, das wurde ja immer wahnsinniger.
„Ja“ Nun lachte mein Onkel über mein verdutztes Gesicht.
„Hast du dich nie gefragt, war dieses Metallfeld auf dem Boden soll? Du stellst Dich darauf, drückst ein Paar Knöpfe, gibst einen Code ein und schon wirst innerhalb von Sekunden in deine
zukünftige Schule geschickt. Es gibt natürlich noch mehr Portale, die zu unterschiedlichen Orten in der ‚Feenwelt‘, wenn du es so nennen willst, führen. Das mit der Feenwelt ist etwas kompliziert. Eigentlich ist es auch nicht nur eine Feenwelt, denn da leben alle übernatürlichen Wesen, auch Trolle und Elfen und so weiter. Außerdem kann man es auch nicht wirklich als Welt bezeichnen, denn das Reich ist auch auf der Erde, es einfach auf einer anderen Frequenz. Quasi. Naja, nicht wirklich Frequenz, aber auf einer anderen Ebene. Verstehst du? Im Grunde gibt es jeden Ort, den es auf dieser Seite gibt auch auf der anderen Seite, bloß natürlich sieht er
dort anders aus. Und man kann auch mit einem Portal nicht wirklich über eine Fläche reisen, sondern immer nur von diesem Punkt auf dieser Ebene zu dem gleichen Punkt auf der anderen Ebene. Innerhalb der Ebenen muss man ganz normal reisen. Also, wie du dir sicher schon gedacht hast, bedeutet das, dass die Schule, in die unser Portal führt, genau an der gleichen Stelle stehen muss, wie dieses Haus auf dieser Ebene.“ Mein Onkel sah mich erwartungsvoll an.
Ich hatte kaum etwas verstanden, versuchte aber verzweifelt, einen Sinn in das Ganze zu bringen.
„Also“, begann ich langsam und gedehnt,
„Ist dieses Reich quasi die andere Seite der Medaille?“
„Ganz genau“ Leonard wirkte erfreut.
Ich beschloss, das Gespräch etwas von dem unverständlichen Teil der Sache wegzuführen und fragte das erste, was mir einfiel.
„Wie sind meine Eltern gestorben?“ Plötzlich war ich sehr traurig. Es hatte mir nie etwas ausgemacht, keine Eltern zu haben, denn ich hatte ja Leonard gehabt, der für mich sorgte, außerdem schien der Begriff ‚Eltern‘ immer so abstrakt zu sein, so ungreifbar. Doch jetzt, da ich die Fotos gesehen hatte und mir zumindest ein Bild von meiner Mutter machen konnte, schien das vorher
so ferne auf einmal ganz nah. Ich wischte mir eine Träne von der Wange.
Auch mein Onkel verzog das Gesicht, er schien dieses Thema nicht unbedingt weiter vertiefen zu wollen, aber da musste er jetzt durch.
„Es war die Lungenentzündung, zu dieser Zeit sind in meiner Welt viele daran gestorben, mach Dir darüber am besten keine Gedanken mehr.“ Ich beschloss auf ihn zu hören, und wandte mich Wichtigerem und weniger Deprimierendem zu.
„Ok, wann soll ich dahin, in diese Schule?“ Ich beschloss, endlich mal zur Sache zu kommen. Plötzlich hatte mich ein Handlungsdrang gepackt und ich
wollte auf der Stelle herausfinden, was mich erwartete. Sämtliche Zweifel waren verschwunden. Wieso sollte er lügen? Ich wollt ihm glauben, also beschloss ich, ihm einfach zu vertrauen.
„Am besten sofort. Wie lange brauchst du zum Packen?“ mein Onkel schien zufrieden mit sich, weil er es geschafft hatte, mir die Geschichte verständlich zu machen.
„Was brauche ich denn?“ erkundigte ich mich Leonard. Ich hatte keine Ahnung, was ich in meiner neuen Umgebung benötigte.
„Keine Kleidung, du bekommst Schuluniformen… „ Ich stöhnte auf. Schuluniformen, in welchem Jahrhundert
lebten wir denn. Diese Information verpasste meiner Freude einen entschiedenen Dämpfer. Sofern man es Freude nennen konnte, eher Abenteuerlust.
Mein Onkel lächelte „Diese Uniformen wirst du schon überleben. Sonst brauchst du nur noch deinen Waschbeutel mit Shampoo, Zahnbürste und allem anderen, was du so brauchst. Keine Elektronik, die ist in der Schule verboten.“ Ah, deshalb hatte meine Mutter in dem Video gesagt, sie bekämen alle Ärger, wenn jemand Leonards Kamera sah. Ich fragte mich, wieso Elektronik verboten war. Vielleicht störte es ja die magischen Wellen, dachte ich
schmunzelnd.
Ich rannte in mein Zimmer, warf ein Fotoalbum, zwei Bücher, einen Block und ein Paar Stifte in meinen Rucksack, lief ins Bad, schnappte mir meinen Waschbeutel und wollte gerade wieder in die Küche, als ich Charles in der Tür sitzen sah. Er blickte mich vorwurfsvoll an.
„Oh, nein!“ sagte ich leise. Ich hatte meinen Kater völlig vergessen, er war irgendwann während meinem Gespräch mit Leonard von meinem Schoß gesprungen und ich hatte mich nicht weiter um ihn gekümmert. Doch jetzt würde ich ihn hier lassen müssen, denn in meiner neuen Schule waren Haustiere
sicher nicht erlaubt.
Ich nahm Charles auf den Arm, vergrub meine Nase in seinem Fell und sagte leise „Tut mir leid, Süßer, aber ich muss für eine Weile weg. Leonard wird sich um dich kümmern, aber versprich mir, dass du gut auf ihn aufpasst, sonst überanstrengt er sich noch.“ Ich setzte den schnurrenden Charles auf meine Schulter, wo er munter hin und her schwankte und mir gelegentlich die Krallen in den Arm bohrte, und rannte in die Küche zurück. Leonard machte große Augen, als er sah, wie schnell ich gewesen war. Er stand auf und lief mir voraus in Richtung Besenschrank. Es dauerte eine Weile, bis wir sämtliche
Besen, Eimer und Putzmittel zur Seite geräumt hatten. Vorsichtig setzte ich meinen Kater auf den Boden und gab ihm einen Kuss auf den Kopf. Dann richtete ich mich auf und wandte mich meinem Onkel zu.
„Pass auf dich auf und schreib mal“ sagte er sanft, dann gab er mir einen Kuss auf den Kopf und schob mich in den Besenschrank, schließlich zog eine Art Fernbedienung von der Wand, die mir vorher noch nie aufgefallen war. Er gab einen 7-Stelligen Code ein und bedeutete mir, mich auf das Metallfeld zu stellen. Dann drückte er einen letzten Knopf und ich erhaschte einen letzten Blick auf meinen Kater, der einen Buckel
machte und fauchte. Dann erschien vor mit eine grüne Wand aus Licht und ich konnte meine Familie nicht mehr sehen. Ich hatte das Gefühl, ich stünde in einem Fahrstuhl. Plötzlich verschwand das Licht und ich fand mich in einem dunklen Raum wieder. Vorsichtig sah ich mich um. Der Raum war groß, soweit ich es in dieser Dunkelheit erkennen konnte, und hatte eine hohe Decke. Ich konnte keine Möbel erkennen. Wie es aussah wurde das Zimmer nicht genutzt, wenn man mal von dem Portal absah. Das wenige Licht schien von einer Treppe her, die etwa zehn Meter von mir entfernt mit steilen, steinernen Stufen in die Höhe führte und ich ging langsam
darauf zu. Am Fuß der Treppe angekommen, spähte ich hinauf.
Ich konnte nicht viel erkennen und mit schlotternden Knien stieg ich langsam eine Stufe nach der anderen empor. Nun stand ich in einem schmalen, undekorierten Gang. Ich sah zu Decke und blickte mich nach einer Lampe um. Tatsächlich konnte ich in die hohe Decke eingelassene kleine Lämpchen ausmachen. Aber natürlich waren sie ausgeschaltet, wieso auch nicht, vermutlich wussten die anderen Leute in diesem Gebäude nicht, dass hier jemand drinnen war. Links und rechts von mir waren unzählige weitere Treppen zu sehen, die in andere Kellerräume führen
mussten und ganz am Ende des Korridors war eine schwere, aus dunklem Holz gefertigte Tür zu sehen. Ich ging langsam darauf zu und sah mich dabei aufmerksam um. Die Wände des Ganges, waren mit hellblauer Farbe angestrichen und der Boden bestand aus weißen Holzbrettern. Doch trotz der hellen Farben, wirkte der Korridor nicht einladend, sondern eher verlassen und einsam. So hatte ich mir die Feenschule nicht vorgestellt. Ich war an der Tür angelangt und Klopfte vorsichtig an. Einen Moment lang hörte ich nichts.
„Herein!“ erklang dann eine hohe Frauenstimme, die klang wie ein Windspiel und ich öffnete vorsichtig die
Tür.
Es war, als wäre ich in eine andere Welt eingetreten, das Zimmer hinter der Tür war in satten Tönen gestaltet, die Wände waren in einem strahlenden Orange gestrichen, den Fußboden bedeckte ein lilafarbener Teppich, der so weich aussah, dass ich mich am liebsten darauf gelegt hätte. Und überall standen Pflanzen, in den Ecken, auf den Fensterbrettern, auf dem Tisch. Der Raum hatte drei große Fenster, durch die man auf eine grasbewachsene Hügellandschaft sehen konnte, die nur ab und an durch eine kleine Ansammlung Bäume unterbrochen wurde. Und hinter einem hölzernen Schreibtisch, mit dem
Rücken zu den Fenstern saß eine Frau, die ein Engel hätte sein können. Sie hatte blondes, kurzes Haar und Haselnussbraune Augen. Ihr Gesicht war schmal und zierlich und wäre sie aufgestanden, wäre sie, schätzte ich, etwa so groß gewesen wie ich.
„Ähm, hallo ich bin eben in ihren Keller teleportiert worden und wollte fragen, ob das hier die Feenschule ist?“ meine Stimmen zitterte ein wenig, denn das perfekte Aussehen der Frau schüchterte mich ein. Außerdem kam ich mir vor wie der letzte Idiot, dass ich einfach in ein Büro hineinschneite und fragte, ob dies wohl die Feenschule sei. O Gott! Und wieder hoffte ich, dass ich nicht
vollkommen wahnsinnig war und mir das mit den Feen alles nur eingebildet hatte.
„Ja, das hier ist die Feenschule „Flügelschlag“, aber wer bist du?“ antwortete die Frau mit ihrer Glockenstimme. Sie wirkte neugierig und leicht irritiert, dabei jedoch keineswegs unfreundlich.
„Ich bin Antoinette Weidler und ich… „ begann ich, aber die Frau unterbrach mich.
„Ah, eine neue Schülerin, aber du stehst gar nicht in meinem Kalender. Warte ich sehe mal im Register nach.“ Sie zog einen der riesigen Ordner aus dem mit Blumen bemalten Regal, das rechts neben dem Schreibtisch stand. Sie legte ihn
behutsam auf den Tisch, als sei er etwas Lebendiges und schlug ihn auf, blätterte ihn durch und blieb kurz vor dem Ende stehen. Dann las sie ein paar Sekunden, blickte auf und sah mich ungläubig an.
„Du bist am 28. April 1997 geboren?“ fragte sie mich interessiert.
„Ja“ entgegnete ich, verwirrt über die Frage.
„Das heißt du bist mindestens ein Jahr zu früh!“ stellte die Frau nüchtern fest.
„Tatsächlich?“ Ich hatte fest damit gerechnet, dass Leonard in der Schule Bescheid sagen würde, dass ich kam, doch das hatte er offenbar nicht getan.
„Du bist durch ein Portal gekommen?“ nun hatte die Frau, die, wie ich jetzt
erkannte, offenbar die Schulleiterin war, die Stirn gerunzelt.
„Ja, durch das, das in dem Kellerraum steht, der ganz am Ende des Ganges liegt.“ Ich war froh, dass ich genauer beschreiben konnte, wo ich hergekommen war, denn so kamen wir der Lösung des Missverständnisses näher. Hoffentlich stellte sich nicht heraus, dass das alles ein blöder Scherz war oder so? Das wäre so oberpeinlich.
„Gut, am besten setzt du dich auf diesen Stuhl dort und wartest, bis ich wieder da bin, ich werde jetzt nachsehen, wo du hergekommen bist, wenn es Dir nichts ausmacht?!“ sie fragte mich tatsächlich, ob ich einverstanden
war.
„Nein, gehen sie ruhig, aber seien sie bitte vorsichtig, es kann sein, dass mein Onkel wieder die Besen auf das Portal gestellt hat!“ das hatte ich ernst gemeint, doch die Schulleiterin begann zu kichern und verließ den Raum.
Ich setzte mich auf einen Stuhl, der viel bequemer war, als er aussah und versuchte all das zu verarbeiten, was ich heute erfahren hatte. Ich wusste, wie meine Eltern gestorben waren, doch war das die Nachricht, die mich von allen am wenigsten berührte, vermutlich, weil so viel anderes passiert war. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, dass meine Eltern mich so wenig beschäftigten und nahm
mir vor, mich bald etwas intensiver damit zu befassen. Sobald das ganze Chaos überstanden war, in dem ich steckte. Falls das überhaupt wirklich passierte. So ganz sicher war ich mir nach wie vor nicht.
In diesem Augenblick kam die Schulleiterin wieder durch die Tür, setzte sich an ihren Tisch und sah mich an.
„Nun, so wie es aussieht hat alles seine Richtigkeit, obwohl ich mir nicht erklären kann, wieso sich deine Kräfte so früh entwickelt haben. Aber naja, ich bin die Direktorin Melina Sielwerk, Herzlich Willkommen an der Feenschule „Flügelschlag“. Ich werde Dir nun eine
Karte von der Schule geben und einen Bericht schreiben, dass du bei mir warst und du nun eine Schülerin dieser Schule bist. Du nimmst den Bericht und gehst zuerst zu unseren Hausfrau, Frau Blitzekiem, „ Frau Sielwerk deutete auf einen Punkt auf der detaillierten Karte, die sie aus einer der Schreibtischschubladen gezogen hatte, „Sie wird dir mehrere Garnituren Schuluniformen geben und dir erklären, wann du was zu tragen hast. Dann gehst du zur Zimmernummer 5209“, sie zeigte auf eine weitere Stelle auf der Karte, „ und räumst deine Sachen ein, anschließend ziehst du deine Uniform an und gehst um 18 Uhr in den Speiseraum“
sie deutete auf einen dritten Punkt auf der Karte. „wenn du nicht weiter weißt, dann frag einfach einen Schüler nach dem Weg. Du bist die jüngste Schülerin, die momentan auf der Schule ist, aber keine Sorge, es wird alles gut funktionieren.“ Frau Sielwerk schüttelte mir die Hand und brachte mich zur Tür, die gegenüber von der Tür lag, durch dich ich hineingekommen war.
Ich holte einmal tief Luft und trat auf den Korridor hinaus. Auch der Korridor war schön gestaltet, wenn auch nicht so schön, wie das Zimmer, dass ich gerade verlassen hatte. Der Boden war mit rotbraunem Holz belegt und die Wände waren in einem hellen Rosa gestrichen.
Auch hier standen viele Pflanzen. Der Gang war menschenleer. Ich sah auf meine Karte und beschloss, nach links abzubiegen. Ich ging den Gang entlang und gelangte zu einer großen Treppe. Ich lief hinunter und sah dann erneut auf meinen Plan. Zu meiner Freude stellte ich fest, dass es gar nicht mehr so weit war, bis zum Zimmer der Hausfrau. Ich wandte mich nach rechts und lief einen weiteren Gang entlang, dessen Wände in einem leuchtenden Grünton gestrichen waren und mit zahllosen Bildern normaler Haushalts- und Gartengeräte bestückt waren, bis ich vor einer knallgelben – Wahnsinn, war das hier alles bunt! - Tür mit dem Schild
„Hausfrau“ stand. Ich klopfte und hörte, dass ich herein gebeten wurde. Ich öffnete die Tür und ging in den Raum. Es sah ein wenig aus, wie in einer Waschküche. An der gefliesten Wand lehnte eine recht hübsche Frau mit rundlichem Gesicht, roten, welligen Haaren und grünen Augen, direkt neben ihr ein Bügelbrett. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand ein gewaltiger Schrank mit mehr Fächern und Schubladen, als ich zählen konnte. Die Frau stieß sich von der Wand ab und ich blickte wieder zu ihr.
„Hallo, ich bin eine neue Schülerin und ich wurde von Direktorin Sielwerk angewiesen, hierher zu gehen, wegen
meiner Uniform.“ Ich ging auf die Frau zu und gab ihr den Bericht der Schulleiterin.
„Soso, neue Schülerin“ murmelte Frau Blitzekiem und dann blickte sie mich forschend an.
„Du bist ziemlich klein, aber ich denke, dass ich etwas finden werde.“ Sie begann in Schubladen und Schränken zu stöbern. Schließlich warf sie einen Haufen Kleider auf einen Stuhl und bedeutete mir, sie zu nehmen.
„Die oberen fünf Uniformen sind für den Unterricht und für andere Gelegenheiten, in denen die Schul- oder Klassengemeinde zusammentrifft, zum Beispiel Abendessen oder Schulausflüge.
Die nächsten vier Uniformen sind für deine Freizeit, also die Zeit zwischen Essenszeit und Unterrichtszeit. Die untersten zwei Uniformen sind deine Schlafanzüge. Immer wenn etwas schmutzig ist, legst du es morgens vor dem Unterricht vor deine Zimmertür und du bekommst es nach dem Abendessen sauber zurück. Für die Sauberkeit deines Zimmers seit du und deine Mitbewohnerin selber verantwortlich. Möglicherweise komme ich aber irgendwann mal zur Überraschungsinspektion bei euch vorbei, also haltet es lieber sauber. Hast du noch Fragen?“ sie lächelte diabolisch und ich machte unwillkürlich einen
Schritt zurück. Das schien sie ungemein zu amüsieren.
„Nein, danke für die Uniformen.“ sagte ich förmlich und verließ das Zimmer. Nun wurde es schwierig, denn ich hatte keine Hand mehr frei, um auf meiner Karte zu sehen. Ich legte den Stapel Kleider auf den rötlichen Boden und zog meine Karte heraus. Ich versuchte mir den Weg genau zu merken, denn ich wollte unterwegs nicht noch einmal anhalten.
Ich musste zwei Stockwerke nach oben. Ganz in der Nähe gab es eine Wendeltreppe, die in den zweiten Stock führte, und dann einmal rechts abbiegen. Ich stand auf, steckte die Karte in
meinen Rucksack und nahm die Kleider vom Boden. Ich lief schnell in Richtung Wendeltreppe, die sich als breiter entpuppte, als ich erwartet hätte, und stieg diese hastig hoch. Oben angekommen wandte ich mich nach rechts und stieß hart gegen etwas Großes. Ich fiel rückwärts auf den Boden und ließ die Uniformen fallen. Benommen richtete ich mich wieder auf und sah jemanden vor mir auf dem Boden hocken.
„Es tut mir so leid, ich habe nicht auf meinen Weg geachtet, ist dir etwas passiert?“ fragte ich peinlich berührt.
„Nein, es ist alles klar und bei Dir?“ fragte der Junge, den ich umgerannt
hatte. Er sah gut aus. Er hatte blonde, kurze Haare und war sehr groß. Er war sicher einen Kopf größer als ich. Im Nachhinein betrachtet hatte ich Glück gehabt, dass er mich nicht die Treppe geradewegs wieder hinuntergeschubst hatte.
„Nein, es ist nichts passiert.“ sagte ich verlegen und begann, meine Kleider aufzusammeln.
„Bist du neu?“ fragte der Junge, während er mir half, die Uniformen einzusammeln.
„Ja, ich bin gerade angekommen. Ich bin Antoinette. Danke, dass du mir hilfst.“ sagte ich, stand auf und hob die Kleider auf. Ich spürte, dass mein Gesicht
feuerrot war.
„Ich bin Tobi und gerne.“ entgegnete der Junge und ging an mir vorbei die Wendeltreppe hinunter.
Ich machte mich, kopfschüttelnd über meine eigene Trotteligkeit, auch wieder auf den Weg. Ich lief zum Ende des Ganges und sah die – überraschend schlichte - Tür, über der auf einem polierten Messingschild die Nummer 5209 hing. Ich drückte die goldene Türklinke hinunter und schob an der Tür. Die Tür rührte sich nicht. Ich zog daran. Die Tür schwang auf und schlug mir beinahe meine Kleider aus der Hand. Aha, die Tür ging als nach außen auf. Das war kein kluges Prinzip. Wenn
jemand an der Tür vorbeilief und sie jemand in diesem Moment von innen aufstieß, bekam der Erste die Tür voll ins Gesicht. Ich musste zugeben, dass ich diese Vorstellung ein klein wenig amüsant fand. Ich trat in mein Zimmer.
Nun stand ich in einem großen Raum, dessen Wände hellgrün angestrichen waren und dessen Boden mit einem pinken Teppich ausgelegt war, der so weich war, wie der im Büro der Schulleiterin. Das Zimmer war leer, doch eines der zwei Betten war benutzt und auf einer Seite des Zimmers hingen unzählige Poster und Fotos an der Wand. Ich erkannte keinen der Sänger oder Schauspieler, die darauf abgebildet
waren, aber sie sahen alle nicht schlecht aus. Es mussten wohl Feenstars sein. Feenstars! Ich begann zu kichern. Noch vor drei Stunden hätte ich jeden in eine Anstalt geschickt, der das Wort Feenstars auch nur gedacht hätte und nun seht mich an, ich stand mit meiner Feenuniform in meinem Feenzimmer in der Feenschule und besah mir die Feenposter meiner Feenmitbewohnerin. Auf einmal war ich furchtbar müde.
Ich ging langsam auf das freie Bett zu und ließ mich darauf sinken. Es war sehr weich und mit einer lilafarbenen Tagesdecke überzogen. Die Bettwäsche darunter war überraschenderweise weiß. Ich sah mich um, an der Wand hing eine
Uhr, sie zeigte 17 Uhr 30. Ich beschloss, meine Sachen einzuräumen und meine Uniform anzuziehen. Ich ging mit meinem Rucksack zum Schrank und begann mein Eigentum in die freien Fächer einzuordnen. Gerade, als ich meine Uniformen und den Schrank legen wollte, ging die Tür auf.
„Hey, was machst du in meinem Zimmer?“ in der Tür stand ein Mädchen, es war groß, hatte lange, strohblonde Haare, braune Augen und sah sehr wütend aus. Ich machte einen Schritt vom Schrank weg.
„Ähm,…Ich bin Antoinette, also, ich bin neu und ich sollte in dieses Zimmer und… tut mir leid, hab ich vielleicht
irgendwas falsch verstanden?“ Ich hatte Angst, das Mädchen war so groß und so wütend. Doch als ich geendet hatte, entspannte sich ihre Miene.
„Oh, ach so, tut mir leid, ich wusste nicht, dass eine Neue kommt. Normalerweise kündigen sie das früher an, wenn jemand einen neuen Mitbewohner bekommt. Bist du nicht ein wenig jung?“, fragte meine Feenmitbewohnerin und sah an mir herauf und hinunter.
„Ich wusste auch nicht, dass ich komme. Ich bin Antoinette und bin 16. Und du?“ Ich war froh, dass das Mädchen nicht mehr so wütend wirkte.
„Ich bin Lara und bin 18. Freut mich,
dich kennenzulernen! Ich bin eine Klasse über dir, denke ich!“ Lara streckte mir ihre Hand hin und ich schüttelte sie, erfreut über die freundliche Begrüßung, jetzt, da sämtliche Missverständnisse aus der Welt geschafft und der erste Schreck überwunden waren.
„Aber du bist so jung, wie kommt es, dass sich deine Kräfte schon entwickelt haben?“ fuhr Lara mit gerunzelter Stirn fort.
„Frag mich was leichteres!“ schlug ich vor und runzelte ebenfalls die Stirn.
„Naja, jedenfalls ist es Herbst, was bedeutet, dass du erst zwei Monate nach Schulbeginn hergekommen bist, deshalb wirst du etwas nachholen müssen, aber
ich denke, das schaffst du schon.“ Sie lächelte mir ermutigend zu. Ich sah auf die Uhr, es war 17 Uhr 45, ich musste meine Uniform anziehen. Ich holte mir eine Uniform und ging in eine Ecke des Zimmers, in der ein hölzerner Vorhang stand. Ich stellte mich dahinter und begann, mich auszuziehen, während Lara zu ihrem Bett ging und sich darauf fallen ließ.
Die Uniform bestand aus einem Paar blauer Ballerinas mit unauffälligen Schleifen, einer hellblauen Seidenstrumpfhose und einem blauen Kleid mit halblangen Ärmeln, das mir bis zu den Knien reichte. Es war am Hals zugeknöpft, wie ein Polohemd, hatte aber
am Kragen etwas Spitze, dann floss es bis zur Hüfte am Körper herunter und endete anschließend mit einer Art Schlag. Das Outfit war schlicht und zugleich elegant, so stellte ich mir eine Fee vor. Bloß etwa 150 Zentimeter kleiner. Auf meiner alten Schule war ich immer, wenn wir eine Umfrage machten, gegen Uniformen gewesen, aber da war es um spießige, lange Röcke und Jacken mit Krawatte gegangen, diese Uniform, die ich jetzt trug, war wunderschön und ich fragte mich, ob ich sie wohl jemals wieder ausziehen würde. Und ich fragte mich noch etwas, beschloss aber diese Frage an Lara zu richten.
„Tragen die Jungen auch Kleider?“ Die
Frage war ernst gemeint gewesen, aber schon als ich sie aussprach kam ich mir albern vor. Lara prustete in ihr Kissen.
„Nein“ gluckste sie „Sie tragen lange, weiße Hosen und blaue Hemden.“ sie kicherte immer noch.
„Ist das im Sommer nicht ein bisschen warm? Mit Strumpfhose und langer Hose? Und was ist im Winter, ist es nur mit einer Strumpfhose und kurzen Ärmeln nicht zu kalt?“ erkundigte ich mich interessiert, während ich hinter dem Vorhang hervortrat und mich auf mein Bett setzte, den Blick auf Lara gerichtet.
„Die Uniformen werden nach Jahreszeit angepasst. Im Sommer sind die Strumpfhosen dünner, wenn es sehr heiß
ist, dann dürfen wir auch ohne Strumpfhosen los, aber nur selten. Die Jungs bekommen im Sommer dreiviertel-Hosen. Im Winter bekommen wir dickere Wollstrumpfhosen und Strickjacken, die bekommen auch die Jungs. Die Uniform, wie du sie gerade jetzt trägst, gibt es so nur im Herbst und Frühling.“ entgegnete Lara und starrte an die Decke, während sie sich aufrichtete und streckte. Mir viel auf, dass ihre Uniform ihr nicht ganz bis zum Knie ging. Offenbar war meine wirklich ein bisschen zu groß.
Plötzlich viel mir der Junge, Tobi, wieder ein, den ich vorhin umgerannt hatte. Er hatte etwas ganz anderes getragen, aber wahrscheinlich war das
seine Freizeitkleidung gewesen. Ich sah erneut auf die Uhr, es war fünf Minuten vor sechs, also sollten wir am besten los zum Essen gehen.
Ich wandte mich schüchtern an die immer noch über meine blöde Frage von eben kichernde Lara.
„Könnten wir vielleicht zusammen zum Essen gehen? Ich weiß nicht, wo ich hingehen soll.“
Lara ging zur Tür „Klar, komm ruhig mit!“
Dankbar folgte ich ihr. Wir mussten wieder runter ins Erdgeschoss, dann zweimal links, dann eine Wendeltreppe hinunter und einmal rechts, wobei wir an drei verschiedenen Wandfarben
entlanggingen. Der Essensraum war also im Keller. Nun standen wir vor einer großen Holztür, die ähnlich aussah, wie die Tür, die zum Büro von Frau Sielwerk geführt hatte. Lara zog die Tür auf und schob mich vor sich in den Saal. Es war ein gigantischer Saal, der mit Tischen vollgestellt war, manche hatten nur vier Stühle, andere bis zu zwanzig. Es schien keine richtige Ordnung zu bestehen, es sah aus, als dürfte sich jeder hinsetzten, wo er wollte. An einem Tisch saßen Frau Sielwerk und Frau Blitzekiem ein paar Plätze voneinander entfernt und unterhielten sich mit anderen Männern und Frauen, die ich noch nicht kannte. Es waren auch schon einige Tische von
Schülern besetzt, die, zu meinem Schrecken, alle viel größer waren als ich. Ich hatte mich vorher nie wirklich für klein gehalten, eher für durchschnittlich groß. Bis jetzt.
Lara, die hinter mir in die Halle getreten war, ergriff meinen Arm und zog mich an einen Vierertisch, an dem sonst noch keiner saß. Niemand schien mich zu bemerken und ich war froh darüber, denn so konnte ich mich in aller Ruhe umsehen. Ich sah nirgendwo etwas zu essen, aber darüber machte ich mir auch keine Sorgen, ich hatte keinen Hunger und ich war viel zu aufgeregt, glaubte ich, um einen Bissen herunter zu bekommen. Lara tippte mir auf den Arm
und deutete auf die Tür, durch die gerade zwei Mädchen kamen, die, was mich nicht mehr überraschte, viel größer waren als ich. Sie kamen auf unseren Tisch zu.
„Hey Mädels!“ sagte Lara, als die beiden den Tisch erreichten und sich auf die Stühle uns gegenüber setzten.
„Hey!“ sagte die eine, die schulterlange, schwarze Haare und rotbräunliche Augen hatte, und musterte mich mit Interesse. Das andere Mädchen, das blonde Locken und himmelblaue Augen hatte, lächelte Lara zu und fragte dann „Wer ist denn deine Freundin, hast du etwa beschlossen, uns auszuwechseln?“ Alle drei Mädchen
lachten.
„Nein, das ist Antoinette, sie ist neu und kommt in die erste Klasse. Antoinette, das sind meine Freundinnen Vera“ Sie deutete auf die Schwarzhaarige „und Penelope.“ Sie zeigte auf das blonde Mädchen. Die beiden beäugten mich misstrauisch.
„Du bist ziemlich klein, wie alt bist du?“ fragte Vera, die Schwarzhaarige, unverfroren.
„Ich bin 16!“ antwortete ich und ich ahnte schon was kommen würde.
Die Beiden rissen erstaunt die Augen auf uns Penelope fragte „Wieso sind deine Kräfte jetzt schon entwickelt?“
„Das weiß keiner!“ entgegnete ich mit
einem Lächeln auf den Lippen, denn diese Frage wurde mir heute schon so oft gestellt, dass es schon fast lächerlich war.
Vera und Penelope starrten mich immer noch an und ich ließ den Blick erneut durch den Saal wandern. An einem Tisch, nicht weit von unserem entfernt, saß Tobi, der Junge, den ich umgerannt hatte. Sein Blick traf meinen und er grinste mich an, ich lächelte und winkte. Die anderen Jungs an seinem Tisch wandten ihre Blicke nun ebenfalls mir zu und ich sah in eine andere Richtung, denn es war mir unangenehm von all den Menschen, nein Feen, angesehen zu werden und als ich noch einmal hinsah,
hatten sie sich wieder einander zugewandt und redeten leise, ich musste grinsen, als ich mir überlegte, dass sie sich bestimmt dachten, dass ich viel zu jung sei.
In diesem Moment erhob sich Frei Sielwerk und ging langsam auf eine etwa einen Meter hohe Säule zu, die in der Mitte der Halle stand. Mit einem Mal hob sie vom Boden ab und landete graziös auf der Säule. Ich sah mich verwundert um, keiner schien diesen Auftritt bemerkt zu haben. Die Direktorin breitete die Arme aus und räusperte sich leise. Augenblicklich trat Stille ein und die Augen aller Schüler wandten sich, ein wenig überrascht, denn
offenbar war keine Rede vorgesehen, auf Frau Sielwerk.
„Hallo, meine Damen und Herren, ich bitte euch um eure Aufmerksamkeit. Heute war keine Ansprache geplant, aber aufgrund gewisser Umstände hielt ich es für angebracht, kurz etwas zu sagen. Wir haben eine neue Schülerin, Antoinette Weidler, die heute zu uns gekommen ist. Sie ist ein wenig jünger als ihr, aber ich möchte, dass ihr sie respektiert.“ Die Schulleiterin lächelte mir zu und ließ sich von der Säule sinken. Ich spürte die Blicke vieler anderer auf mir, doch ich wollte mich nicht umsehen.
In diesem Moment ging die Tür auf und mehrere in weiß gekleidete Köche
schoben Rolltische mit Essen herein.
Lara und ihre Freundinnen erhoben sich und gingen mit vielen anderen zum Buffet und ich beschloss ihnen zu folgen. Ich nahm mir einen Teller von einem der Stapel und holte mir eine Gabel aus einem der Fächer, dann stellte ich mich in die Reihe, die am Buffet entlangführte. Ich erinnerte mich an die Cafeteria meiner alten Schule. Obwohl dort sehr wenige Schüler aßen, war dort immer Chaos gewesen. Doch hier waren viel mehr Schüler und standen in der Schlange und niemand drängelte oder schubste andere aus dem Weg. Das Essen sah sehr gut aus, doch ich hatte keinen Hunger und nahm mit deshalb nur etwas
Paprika und Salat. Dann drehte ich mich um und ging in Richtung meines Tisches. Doch auf halbem Weg, stieß ich mit jemandem zusammen. Ich prallte ab und wäre beinahe zu Boden gestürzt, doch eine Hand schloss sich um meinen Oberarm und hielt mich fest. Ich sah hoch in das Gesicht meines Retters. Ich erkannte einen der Jungen, der am Tisch mit Tobi gesessen hatte. Er hatte dunkelbraunes Lockenhaar, das ihm bis zur Schulter reichte und bernsteinfarbene Augen, aus denen er mich wachsam und auch ein wenig belustigt ansah. Ich hatte das Gefühl, als sei ich in seinen Augen gefangen, doch irgendwie brachte ich die Kraft auf, meinen Blick abzuwenden und
er fiel auf mein Tablett, das der Junge offenbar auch aufgefangen hatte.
„Tut mir leid, ist alles okay?“ fragte ich und blickte ihn scheu an, während, das spürte ich, mein Gesicht schon wieder feuerrot anlief.
„Ja, alles klar!“ antwortete er und lächelte über mein verschrecktes Gesicht. „Du bist ein unfallträchtiges Mädchen.“ stellte er fest und ich verstand, worauf er hinaus wollte.
Ich lachte „Normalerweise eigentlich nicht, Tobi hat Dir erzählt, dass ich ihn umgerannt habe, oder?“
„Ja!“ entgegnete er, immer noch lächelnd, ließ meinen Arm los und gab mir mein
Tablett.
„Danke!“ sagte ich und ging an ihm vorbei.
Ich schaffte es ohne weitere Unfälle zum Tisch, an dem Lara, Vera und Penelope schon saßen. Ich setzte mich und begann, in meiner Paprika herumzustochern. Was für ein komisches Gefühl das gewesen war, als ich in seine Augen sah.
„Tobi sieht dich an, Antoinette!“ das war Lara, sie sah über ihre Schulter zum Tisch von Tobi und meinem Retter.
Ich schreckte hoch. „Mich?“
Lara drehte sich belustigt zu mir um und fragte mich „Heißt hier noch jemand Antoinette?“
„Tut mir leid“, murmelte ich, „Ich war in
Gedanken“
Lara zog eine Augenbraue hoch und nickte leicht zum Jungentisch.
Ich verdrehte die Augen und wandte mich wieder meinem Gemüse zu.
„Schlag es dir lieber gleich aus dem Kopf, an dieser Schule herrscht die altmodischste Einstellung überhaupt. Keinen Kontakt mit dem anderen Geschlecht.“ Nun klang Laras Stimme missgelaunt.
Ich blickte wieder auf und verdrehte die Augen. Was war das denn bitte für eine Regel? „Gibt es sonst noch Regeln, von denen ich etwas wissen sollte?“
„Keine Elektronik, nicht das Schulgelände verlassen, keinen Kontakt
mit Jungs, zumindest nicht SO, befreundet sein ist natürlich okay. Wenn du die drei Sachen einhältst, bist du auf der sicheren Seite.“
„Und wenn ich sie nicht einhalte?“ fragte ich herausfordernd. Irgendwie ärgerte mich diese vollkommen sinnlose Regel mit den Jungs. Abgesehen davon, wer wollte mir denn vorschreiben, wo Freundschaft mit einem Jungen Begann und aufhörte? Freundschaft war ein sehr dehnbarer Begriff, also war er für eine so strenge Regel meiner Meinung nach total ungeeignet.
„Dann lass Dich nicht erwischen!“ beantwortete Lara meine Frage und grinste, dann wandte sie ihren Blick
wieder in Richtung des Jungentischs.
„Jetzt sehen sie dich beide an!“ stellte sie fest.
„Beide?“ fragte ich überrascht und musste dem Drang widerstehen, mich zum Jungstisch umzudrehen.
„Tobi und Alex!“
„Alex?“ Diesen Namen hatte ich noch nicht gehört.
„Der, den du umgerannt hast.“ antwortete Lara trocken.
„Aja“ Jetzt kannte ich wenigstens seinen Namen. Guter Anfang.
„Er ist total toll!“, grinste Lara.
„Ist er in deiner Klasse?“, erkundigte ich mich interessiert und spießte geistesabwesend ein Stück Paprika auf
meine Gabel.
„Ja!“ sie blickte erneut zum Jungentisch „Und er sieht Dich immer noch an!“
Ich konnte der Versuchung nicht wiederstehen, ich blickte auf. Lara hatte Recht, Alex sah in meine Richtung. Wieder trafen sich unsere Blicke und er grinste mich an. Ich lächelte zurück. Lara stieß mir in die Seite und verkündete „Wir sollten auf unser Zimmer.“
Ich nahm meinen Teller, den ich kaum angerührt hatte, brachte ihn auf den Tisch, auf dem das schmutzige Geschirr lag und wandte mich der Tür zu. Doch Frau Sielwerk rief meinen Namen und ich wandte mich um. Langsam ging ich
zum Lehrertisch, neugierig, was jetzt kommen würde. Die Direktorin erhob sich und beugte sich über den Tisch zu mir herüber.
„Und, wie gefällt es dir bis jetzt?“ fragte sie mich und lächelte freundlich.
„Es ist schön hier, die, mit denen ich mich unterhalten habe sind alle sehr nett und die Wände sind so bunt.“ berichtete ich von meinen Eindrücken. Frau Sielwerk lachte.
„Ja“ entgegnete sie, „das hebt ungemein die Stimmung! Naja, jedenfalls wollte ich dir noch das hier geben.“ Sie griff nach einem Blatt Papier, das neben ihrem Teller auf dem Tisch lag und gab es mir in die
Hand.
„Das ist dein Stundenplan. Ich habe ihn vorhin zusammengestellt. Der Unterricht wird dir sicher gut gefallen.“
„Dankeschön!“ sagte ich und ging in Richtung Tür. Hinter der Tür stand Lara. Sie sah besorgt aus, doch als sie das Blatt in meiner Hand sah, atmete sie auf. Was hatte sie denn geglaubt, was passiert wäre?
„Danke, dass du gewartet hast!“ sagte ich.
Lara lächelte und gemeinsam gingen wir in unser Zimmer. Dort angekommen, zog ich meinen weichen blauen Schlafanzug an, legte mich aufs Bett und las meinen Stundenplan. Erst überflog ich ihn, doch
als ich die Fächer sah, wandte ich mich verwirrt an Lara, die gerade im Schrank nach dem Schlafanzug suchte.
„Verhalten, Magie, Geschichte und Fliegen? Habt ihr keine Fächer wie Mathe oder so?“
„Nein, wir werden in Fächern unterrichtet, die uns in unserem Berufsleben helfen.“ murmelte sie und wandte sich zu mir um, doch als sie sah, wie überrascht ich aussah fügte sie hinzu „Feenberufe!“
„Braucht man zum fliegen keine Flügel?“ Die Frage war mir herausgerutscht. Ich kam mir vor wie ein Kleinkind.
„Nein, aber das Prinzip erfährst du
morgen im Unterricht!“ Lara grinste.
„Okay!“ sagte ich und vertiefte mich wieder in meinen Stundenplan.
Als ich sah, dass Lara fertig umgezogen im Bett lag, stand ich auf, um das Licht auszumachen, doch wenige Zentimeter vor dem Lichtschalter hielt ich inne und wandte mich noch einmal an Lara.
„Wieso sehen alle Fee so gut aus?“ diese Frage brannte mir auf der Zunge, seit ich die Schulleiterin zu ersten Mal gesehen hatte.
„Das ist genetisch. Genauso könntest du mich fragen, wieso Trolle Krallen haben, oder Elfen spitze Ohren. Es lässt sich nicht so einfach beantworten.“ entgegnete Lara, und ich kam mir schon
wieder vor wie ein Idiot, aber ich wollte einfach weiter fragen, jetzt wo mir endlich mal jemand Antworten gab.
„Wie sieht ein Troll eigentlich aus?“
Lara richtete sich auf und sah mich irritiert an. „Du hast noch nie einen Troll gesehen?“
„Nein?“ es klang wie eine Frage.
„Wieso das denn?“ fragte sie verständnislos.
„Wieso was?“ ich verstand die Frage nicht so wirklich. Klar wusste ich, was sie meinte, aber was wollte sie als Antwort haben?
„Wieso hast du noch nie einen Troll gesehen?“ Sie klang regelrecht
entgeistert.
„Keine Ahnung, weil ich eben noch nie einen gesehen hab. Ich wusste bis heute Mittag ja nicht einmal, dass es sie gibt!“ antwortete ich achselzuckend.
Augenblicklich schoss Lara aus dem Bett, als hätte ihr jemand einen Stromschlag verpasst.
„Was?“ stieß sie hervor und sah mich an, als wäre ich bescheuert. „Du willst mir allen Ernstes weismachen, dass du nicht wusstest, dass es Trolle gibt? Wieso das denn?“
„Wieso was?“ Langsam verstand ich gar nichts mehr.
„Du bist seit 16 Jahren auf der Welt und weißt seit heute, dass es Trolle
gibt?“
Da klingelte es bei mir und ich schlug mir die Hand vor die Stirn. Natürlich, ich stöhnte innerlich. Lara wusste ja nicht, dass ich bei Menschen aufgewachsen war. Sie dachte, ich wäre von hier, aus dieser Welt. Sie glaubte, ich wäre mit ganz normalen Feeneltern in einem Feenhaus aufgewachsen, in dem Wissen, dass ich irgendwann auf diese Schule käme, weil ich eben eine Fee bin.
Lara starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Ich überlegt, wie ich ihr das Ganze am besten erklären konnte.
„Also“, begann ich schließlich und zog das Wort in die Länge, um mir noch ein wenig Nachdenkzeit zu
verschaffen.
„Ich bin nicht wirklich von hier.“ sagte ich vorsichtig.
„Was soll das heißen, Trolle gibt es überall!“ fuhr Lara dazwischen.
„Naja, nein, also, ich glaub es zumindest nicht. Ich kommen…naja, also ich komme gewissermaßen von den Menschen.“ beendete ich den Satz und beobachtete Lara. Eine Sekunde war es still.
„Bitte was?“ kreischte Lara dann und sah mich an, als wäre mir gerade ein zweiter Kopf gewachsen.
Na super, dachte ich mir, dann konnte ich ja ebenso gut weiter erzählen, wo sie mich eh schon für bekloppt
hielt.
„Genau genommen weiß ich auch erst seit heute, dass ich eine Fee bin. Und dass es sowas wie eine andere Welt, außer der Menschenwelt gibt.“ fuhr ich fort und unterbrach dann wieder meine Erklärung, um Lara zu beobachten.
„Wieso, um Himmels Willen, bist du denn bitte bei den Menschen aufgewachsen?“ murmelte Lara und setzte sich neben mich auf mein Bett, um mich genauer betrachten zu können. Dann beugte sie sich zu mir und fragte leise, als ginge es um ein Geheimnis: „Bist du etwa ein Halbblut?“ Sie sprach das Wort Halbblut irgendwie vorsichtig aus, so, als wollte sie keine schlafenden
Hunde wecken.
Aus einer Laune heraus fragte ich: „Was wäre daran denn so schlimm?“
„Oh mein Gott, du bist ein Halbblut? Das ist ja total…komisch“ beendete sie ihren Satz, doch mir entging nicht, dass sie sich ein Stückchen von mir entfernte.
„Nein, ich bin kein Halbblut, meine Eltern waren beide Feen, wie es aussieht. Aber was ist das Problem mit Halbblütern?“ hakte ich nach.
„Naja, also es ist gewissermaßen…naja…“ druckste sie herum.
„Also, nicht, dass ich aus Prinzip etwas gegen Halbblüter hätte oder so, aber“, sie beugte sich wieder näher zu mir „sie werden oft, naja, wahnsinnig. Es ist noch
nicht ganz klar, woran das liegt, aber es wird vermutet, dass es von dem Übermaß an Informationen im Gehirn liegt. Du weißt schon, weil sie ja beides sind, von zwei Arten abstammen. Offenbar ist das zu viel für nur ein Gehirn und dann knallen die durch. Das ist aber auch unterschiedlich, je nachdem, aus welchen Hälften man besteht. Am schlimmsten ist es wohl bei Elfen und Trollen, weil die so vollkommen unterschiedlich sind.“ erklärte Lara.
Und von einer Sekunde auf die andere war sie wieder prima gelaunt und neugierig.
„Aber genug davon! Erzähl mal lieber von deinem Leben bei den Menschen.
Oh, nein, warte, erklär mal, wieso du bei den Menschen warst, wenn deine Eltern beide Feen sind.“ verlangte sie und ihre Augen funkelten neugierig.
„Sie waren Feen, jetzt sind sie keine mehr. Ich bin bei meinem Onkel aufgewachsen, weil meine Eltern…“, begann ich und erzählte Lara alles, was ich von Leonard erfahren hatte.
Ich schloss meine Erzählung mit den Worten: „Aber das ist nur das, was er mir erzählt hat, den Rest weiß ich nicht. Vielleicht frag ich ihn noch einmal in einem Brief nach den Details.“
„Woooooow“ stöhnte Lara gedehnt. „Das ist die beste Geschichte, die ich seit langem gehört habe, auch wenn sie an
manchen Stellen Lücken hat. Ich hab ja echt Glück, dass ich eine so interessante Mitbewohnerin bekommen habe.“ Sie stupste mich mit der Schulter an und ich lachte.
„Aber wir sollten auch mal schlafen, schließlich willst du Morgen sich fit sein an deinem ersten richtigen Tag in der ‚Feenwelt‘“ beschloss Lara und betonte das letzte Wort übertrieben stark. Ich grinste, stand auf und machte das Licht aus, während Lara sich in ihr Bett warf.
Ich kroch in mein Bett und schloss die Augen. Mein letzter Gedanke war, in welchem Fach ich wohl lernen würde, eine Pflanze aus dem Boden wachsen zu lassen. Dann sank ich in einen Schlaf
voller bernsteinfarbener Augen, die mich gefangen hielten und blauer Uniformen, die mir um den Kopf flogen.
„Aufwachen, Antoinette!“ rief jemand und in diesem Moment flog mir etwas Weiches an den Kopf. Ich setzte mich schlaftrunken auf und nahm mir das Kissen vom Gesicht. Ich wollte es eigentlich in Laras Richtung werfen, doch ich war noch so verschlafen, dass ich ein Paar Meter daneben traf. Ich hörte Laras Lachen und wandte mich ihr zu. Sie trug schon ihre Uniform und hatte die Haare zu einem festen Knoten am Hinterkopf zusammen gebunden. Sie stand vor dem Spiegel und richtete ihren Kragen.
„Du bist spät dran, es gibt in zehn
Minuten Frühstück.“
Plötzlich war ich hellwach, ich sprang aus dem Bett, rannte zum Schrank und zog eine frische Uniform vom Bügel. Dann verschwand ich hinter dem Vorhang und zog mir in Windeseile meine Kleider an. Anschließend flitzte ich zum Spiegel, von dem sich Lara inzwischen entfernt hatte, und überlegte laut „Wie soll ich meine Haare machen?“ Ich wollte an meinem ersten Tag schließlich gut aussehen.
Lara seufzte und ging auf mich zu „Du solltest die Haare offen tragen, das steht dir gut und lässt dich erwachsener wirken, was in deinem Fall ja nicht schlecht sein kann, wenn du verstehst,
was ich meine“, und sie grinste demonstrativ auf mich herab.
„Danke!“ sagte ich aufrichtig und kämmte mein Haar.
„Ich denke, wir sollten los, das heißt, sobald du Schuhe angezogen hast.“ Sie blickte auf meine Füße.
Ich lief zur Tür, wo ich meine Ballerinas am Vorabend abgestellt hatte und zog sie an. Dann öffnete ich die Tür und ging Lara voraus in Richtung Speiseraum. Ich war stolz auf mich, denn ich hatte es geschafft, den Saal zu finden, ohne mich zu verlaufen. Als wir in die Halle traten, sah ich, dass das Buffet schon aufgebaut worden war und Laras Freundinnen, Vera und Penelope, am gleichen Tisch wie
gestern saßen. Wir gingen auf sie zu und setzten uns auf die freien Stühle. Lara ging los, um sich essen zu holen und ich begrüßte die beiden Mädchen.
„Hallo“ sagte Vera und Penelope lächelte mir freundlich zu.
Ich ließ den Blick durch den Saal streifen. Am Tisch, am dem gestern Alex, Tobi und die anderen gesessen hatten, saß jetzt eine Gruppe Mädchen. Ich ließ meinen Blick weiter wandern und versuchte dabei, mir einzureden, dass ich nicht nach Alex suchte. Und obwohl ich ihn nicht gesucht zu haben behauptete, sah ich ihn am Ende des Saals mit einem Jungen, den ich nicht kannte, wie die meisten Leute hier, an
einem Tisch sitzen und sich unterhalten.
„Seltsam.“ sagte Lara, als sie zurückkam vom Buffet. Sie hatte offenbar meinen Blick zu Alex bemerkt. „Normalerweise ist er eigentlich nie so früh beim Frühstück. Ich frag mich, was diesen Gewohnheitswechsel hervorgerufen hat.“ Sie grinste mir zu und setzte sich. Ich verdrehte die Augen und stand auf, um mir auch etwas zu essen zu holen.
Ich nahm mir einen Teller und belud ihn mit ein wenig Milchreis und Melonenscheiben, dann ging ich zum Tisch zurück. Doch in dem Moment, als ich mich setzte, hatte ich schon keinen Hunger mehr. Gerade war mir eingefallen, dass ich gleich meine erste
Stunde Unterricht mit einem Haufen komplett fremder Leute haben würde und die Nervosität schnürte mir den Magen zusammen. Ich starrte lustlos auf mein Essen hinab und rührte mit dem Löffel darin herum.
„Alex hat dir die ganze Zeit hinterhergeschaut!“ flüsterte Lara und lenkte mich von meiner Aufregung ab.
„Komisch, immer wenn ich hinsehe, unterhält er sich seelenruhig mit seinem Freund!“, bemerkte ich und sah zu Lara. Ich glaubte ihr nicht, dass Alex herübersah, sie wollte mich garantiert nur ärgern.
„Du siehst wohl einfach nicht im richtigen Moment hin…jetzt wäre zum
Beispiel der richtige Moment!“ behauptete Lara und ich konnte nicht anders, als es zu überprüfen. Ich drehte mich um und blickte direkt in Alex Augen. Ich runzelte leicht die Stirn, weil ich mir sicher war, dass seine Augen gestern noch bernsteinfarben gewesen waren, heute allerdings von einem ziemlich dunklen Blau. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich fast nicht bemerkt hätte, dass Alex mich anlächelte. Ich lächelte hastig zurück und wandte mich wieder um.
„Ich hab dir doch gesagt, dass er dich ansieht!“ trällerte Lara, leider keinesfalls im Flüsterton, sodass Vera und Penelope ihr Gespräch unterbrachen
und uns neugierig ansahen.
„Wer sieht wen an?“ wollte Penelope wissen und grinste. Ich unterdrückte ein Stöhnen und überließ Lara die Antwort.
„Alex sieht Toni an.“ verkündete Lara, während ich mich gerade wieder in meine Gedanken über Alex‘ Augen vertiefen wollte, als mir etwas auffiel. Gerade machte ich den Mund auf, um mich zu beschweren, sie solle mich nicht Toni nennen, als ich es mir doch anders überlegte.
Ich hatte nie gewollt, dass mir die Leute Spitznamen gaben, ich fand, es hatte etwas Respektloses und Abwertendes. Doch hier, wo sich offenbar jeder mit Respekt behandelte, störte es mich auf
einmal gar nicht mehr. Außerdem wollte ich nicht wie eine totale Zicke rüberkommen, indem ich forderte, nur Antoinette genannt zu werden. An meiner alten Schule war es mir egal gewesen, was die Leute von mir dachten, doch hier wollte ich dazugehören. Denn ich hatte das Gefühl, dass ich dazugehören sollte.
Also hielt ich den Mund und überließ Lara und die anderen Beiden ihrem Gespräch, während ich mich wieder konzentrierte.
Alex‘ Augen hatten die Farbe gewechselt, das war ich mir sicher. Jetzt fiel mir auch wieder ein, dass ich das auch schon bei meinen Augen beobachtet hatte. Also beschloss ich, Lara doch zu
unterbrechen.
„Lara?“ fragte ich.
„Ja?“ nuschelte sie durch einen Mund voll Müsli.
„Wieso wechseln unsere Augen die Farbe?“ erkundigte ich mich.
Vera horchte auf. „Das weißt du nicht? Haben dir deine Eltern überhaupt nichts beigebracht?“ fragte sie und ich wusste, dass er als Scherz gemeint war. Doch überraschenderweise traf mich dieser Kommentar sehr.
„Nein.“ murmelte ich und senkte leicht den Blick. Nein, meine Eltern hatten mir nichts beigebracht und bis jetzt hatte mich das auch noch nie wirklich gestört. Aber jetzt tat es das. Lara bemerkte
meinen Stimmungsumschwung.
„Ich erklär euch das später“, verkündete sie und setzte dann hinzu „wenn ich darf?“, und sah mich fragend und ein wenig mitfühlen an.
„Klar, erklär ihnen alles!“ forderte ich sie auf und setzte in Gedanken hinzu: Dann muss ich es nicht tun. Es war in Ordnung gewesen, Lara das Ganze zu erklären, aber ich musste es nicht unbedingt nochmal machen.
„Ok. Wie auch immer“ wechselte Lara das Thema „das mit den Augen. Anscheinend hängt die Augenfarbe bei uns von der Stimmung ab. Welche Farbe was bedeutet ist allerdings bei jeder Fee verschieden. Wenn ich wütend bin, zum
Beispiel, dann werden meine Augen braun, je wütender, desto dunkler. Und wenn ich gut gelaunt bin, so wie jetzt, dann sind meine Augen meistens blau, aber das auch nicht immer, es hängt von der Art des Glücks ab. Aufgeregt-glücklich sieht anders aus, als vollkommen ruhig-glücklich.“ erklärte sie.
Wow, interessant. Dann würde ich ab jetzt wohl jeden Morgen in den Spiegel sehen, meine Stimmung einschätzen und mir die dazugehörige Augenfarbe einprägen.
„Wir müssen dann auch mal los!“, schaltete sich Penelope ein und erhob
sich.
„Ich bringe Toni noch zu ihrem ersten Fach“ verkündete Lara und ich sah sie dankbar an, als wir uns auf den Weg zu unserem Zimmer machten.
„Habt ihr eigentlich keine Schulbücher?“ fragte ich, als ich meine Sachen für den Unterricht zusammenpacken wollte, aber feststellte, dass es nichts gab, was ich einpacken konnte.
„Nein, und den“ sie deutete auf meinen Schreibblock „den brauchst du auch nicht, du wirst dir alles merken, was Die Lehrer sagen“ als sie mein entgeistertes Gesicht sah, fügte sie hinzu „wir Feen haben ein sehr gutes Gedächtnis, du
wirst sehen“
Ich erinnerte mich daran, wie ich in meinem Kopf aufgenommen hatte, was mein Mathelehrer, Herr Freidamm, gesagt hatte, obwohl ich ihm überhaupt nicht zugehört hatte und fühlte mich beruhigt.
„Ich habe als erstes Fliegen!“ sagte ich zu Lara und sie nickte.
Lara führte mich den Gang entlang, dann eine Wendeltreppe hinunter und schließlich durch einen großen Torbogen, der auf den Hof führte. Wir folgten einem gepflasterten Weg an Hecken, Büschen und Bänken vorbei, bis wir zu einer Gruppe von Schülern kamen, die auf einem Steinplatz
beisammenstand.
„Da wären wir! Ich muss jetzt auch los, sonst komm ich zu spät.“ verabschiedete sie sich und lief wieder in Richtung Schulhaus.
Ich sah mich um, alle Schüler waren größer als ich – was mich im Grunde nicht mehr wirklich überraschte - wenn auch nicht so viel größer wie Lara und ihre Freunde. Sie unterhielten sich, aber ich wurde aus ihren Unterhaltungen nicht schlau. Sie sprachen wahrscheinlich über den Unterricht, dachte ich mir. Ich wollte niemanden ansprechen und wunderte mich ein wenig über meine Scheuheit. Normalerweise war ich nicht
schüchtern.
Ein Mädchen, das sich kurz zuvor noch mit jemandem unterhalten hatte, löste sich aus der Masse und ging auf mich zu.
Sie hatte rotes Wellenhaar bis zur Schulter, große, blaue, hypnotisierende Augen und hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen.
„Hi“, sprach sie mich an „ich bin Josephine, aber alle nennen mich Josy, du bist die Neue, oder?“
„Ja, hallo, ich bin Antoinette. Freut mich dich kennen zu lernen“ sagte ich, froh über die herzliche Begrüßung. Aus einer Laune heraus fügte ich hinzu: „Und nenn mich Toni!“
Sie grinste. „Stimmt es, dass du erst seit
gestern weißt, dass du eine Fee bist?“ Das klang neugierig.
Irritiert, wie diese Information an die breite Masse der Öffentlichkeit gekommen war, fragte ich „Woher weißt du das?“
„Alle wissen es, aber ich habe es, glaube ich, von Sandra.“ Sie zeigte auf ein blondes Mädchen mit Stachelfrisur. „ Mach dir keinen Kopf, dass du nicht alles aufholen kannst, wir sind alle noch nicht so gut im Fliegen.“ Offenbar wollte sie das Thema wechseln, um zu verhindern, dass ich genauer nach ihren Quellen fragte. Dennoch war ich überrascht, wie schnell sich die Information verbreitet hatte, obwohl ich
sie doch nur Lara mitgeteilt und die seit dem gar keine Gelegenheit gehabt hatte, die weiterzuerzählen. vermutlich hatte die Direktorin es von meinem Onkel und hatte es dann den Lehrern gesagt…Aber im Grunde war es egal, es hätten eh früher oder später alle gewusst, so musste ich es wenigstens selbst nicht erzählen.
„Wen haben wir in Fliegen?“ fragte ich interessiert.
„Herrn Singert, der ist ganz okay, es kann aber sein, dass er will, dass du dich vor der Klasse vorstellst.“ Sie sah mich mitfühlend an.
„Gibt es jemanden in der Klasse, von dem ich mich fernhalten sollte?“ Die
Frage war mir herausgerutscht, aber ich meinte sie ernst. Es konnten doch hier nicht alle immer freundlich sein, oder doch?
Josy kicherte „Nein, sie sind alle ganz nett!“
In diesem Moment kam ein Lehrer unter dem Torbogen hervor. Er hatte schwarzes Haar, das lose auf seinem Kopf lag und graue, schlitz förmige Augen. Er ging durch die Mitte der Schüler und stellte sich auf eine kleine Stufe. Sofort wandten alle Schüler ihm ihre Aufmerksamkeit zu.
„Wie ich höre, haben wir eine neue Schülerin!“ sagte er leise und bedeutete mir, nach vorne zu kommen. Ich lief
durch die Menschenmenge und trat neben den Lehrer auf das Podest. Herr Singert sah mich erwartungsvoll an. Ich schluckte einmal, dann begann ich zu reden.
„Hallo“ meine Stimme klang stark und fest und ich war froh darüber, wenn auch überrascht. „Ich bin Antoinette Weidler, ich bin neu hier und weiß um ehrlich zu sein nicht viel über eure Welt. Ich freue mich aber trotzdem hier zu sein.“
Ich wandte mich Herrn Singert zu, er lächelte wohlwollend und ich ging zurück zu meinem Platz in der Schülerreihe.
„Ich möchte, dass ihr Antoinette den Eintritt in unsere Gemeinschaft so leicht
wie möglich macht.“ rief der Lehrer über die Stimmen der raunenden Schüler hinweg. „Nun wollen wir mit dem Unterricht beginnen, macht dort weiter, wo wir gestern aufgehört haben, Antoinette, du kommst bitte kurz zu mir.“
Ich spürte, dass mir einige Blicke folgten, als ich erneut in Richtung Podest ging. Die Anderen verteilten sich auf dem Hof, sie standen immer in Zweiergruppen beieinander.
„Antoinette, du hast Glück, dass wir noch nicht so weit im Unterrichtsstoff sind.“ sagte Herr Singert, als ich ihn erreicht hatte. „Bitte geselle dich zu einer der Gruppen und versuche, dich
den Übungen anzuschließen.“
Ich nickte, lächelte und wandte mich um, ging auf Josy und einen dunkelhäutigen Jungen zu, die nicht weit entfernt auf dem Rasen standen.
„Darf ich bei euch mitmachen?“ fragte ich sie zaghaft.
„Klar! Darf ich vorstellen? Paul, Antoinette“ entgegnete Josy und deutete auf den Jungen und auf mich, dann begann sie zu erklären. „Wir müssen versuchen, zu fliegen, was du dir sicher schon gedacht hast. Du musst ganz gerade stehen, dann musst du versuchen, deine Kraft in deine Füße zu verlagern. Dann versuchst du, dich mit der Kraft vom Boden abzustoßen, nicht springen,
das geht von ganz alleine. Ein Partner sieht immer zu, der Andere versucht, abzuheben. Sieh am besten erst einmal zu, und keine Angst, erst ein Paar Schüler haben es geschafft, wir sind wohl ein ziemlich miserabler Jahrgang.“ Sie lachte, ich grinste.
Ich sah aufmerksam zu, wie Paul die Augen schloss und seine Stirn konzentriert in Falten zog. Eine halbe Minute verharrte er so, dann öffnete er frustriert die Augen, es war ihm nicht gelungen. Nun war Josy an der Reihe, auch sie schloss die Augen und ich beschloss, es auch so zu tun, wenn ich an der Reihe war. Wieder blieb es eine Weile still, doch plötzlich begann Josys
Körper zu schwanken und hob zwanzig Zentimeter vom Boden ab. Sie keuchte vor Anstrengung und landete wieder auf dem Boden, ihre Augen leuchteten und ich gratulierte ihr zu ihrem Erfolg. Offenbar war es ihr heute das erste Mal gelungen, denn sie war total begeistert.
Nun war ich an der Reihe. Ich schloss die Augen und versuchte angestrengt, meine Kraft in meinen Füßen zu lagern. Ich bog meinen Rücken ein wenig weiter durch, als ich mich erinnerte, dass Josy gesagt hatte, man solle gerade stehen. Plötzlich fühlten sich meine Füße an wie Schlauchboote. Ein grausiges Gefühl. Ich spürte, wie ich schwankte und fiel rückwärts auf den Po. Benommen
richtete ich mich auf und sah, dass Paul und Josy mich belustigt und überrascht ansahen.
„Was war denn los? Du warst schon fast in der Luft, da hast du begonnen zu schwanken.“ fragte Paul, der sich das Lachen verkniff.
„Keine Ahnung!“ antwortete ich verärgert „Meine Füße haben sich so aufgeblasen angefühlt und dann habe ich das Gleichgewicht verloren!“ Ich ärgerte mich über meinen Misserfolg, auch wenn ich wusste, dass ich es heute zum ersten Mal versucht hatte und nicht so viel erwarten sollte.
„Für den Anfang nicht schlecht!“ sagte eine Stimme hinter mir und ich wandte
mich um. Herr Singert kam auf mich zu. „Du musst deinen Gleichgewichtssinn trainieren, du hast ganz von alleine angefangen, zu schwanken, das hatte mit dem Fliegen nicht viel zu tun. Vermutlich hast du gedacht, du verlörest das Gleichgewicht und unbewusst versucht, es auszugleichen, obwohl es gar nicht nötig gewesen ist. Übe das in deiner Freizeit, dann wirst du es bald schaffen.“ er lächelte.
„Danke!“, sagte ich zu Josy, als wir auf dem Weg zum Verhalten-Klassenzimmer waren. „Du hast mir echt sehr geholfen!“
„Keine Ursache!“, winkte sie ab. Sie war immer noch total begeistert, dass sie es geschafft hatte. Wir hatten es noch ein
paar Mal versucht und ihr war es jedes Mal gelungen, wenn auch nicht mehr ganz so hoch, während ich, aus Angst, noch einmal hinzufallen, nicht mehr genug Kraft aufbringen konnte. Ich nahm mir vor, heute Nachmittag noch etwas zu üben.
Mittlerweile waren wir beim Klassenzimmer angekommen. Die Tür stand offen und am Lehrertisch saß eine alte Frau mit grauen Haaren, die beinahe bis zum Boden gingen. Sie blickte von ihrem Buch auf, als wir den Raum betraten und ich sah erschrocken, dass sie blutrote Augen hatte. Josy zog mich zum Lehrertisch und bedeutete mir, mich der Lehrerin
vorzustellen.
„Guten Tag!“ sagte ich vorsichtig, als ich vor die Lehrerin trat. „Mein Name ist Antoinette, ich bin eine neue Schülerin und freue mich, sie kennenzulernen.“
Die Frau lächelte „Ja, herzlich Willkommen in dieser Klasse, mein Name ist Frau Gräuer, ich bin die Lehrerin für Verhalten. Ich nehme an, du wurdest der Klasse schon vorgestellt?“
„Ja, vielen Dank!“ Ich wusste nicht, wofür ich mich bedankte, doch dies war die Lehrerin für Verhalten und es konnte nicht falsch sein, sich zu bedanken. Ich musste beinahe grinsen über meinen Gedankengang.
Frau Gräuer bedeutete mir, mich zu
setzen und ich ging zu dem Tisch, an dem Josy saß und fragte „Ist hier noch frei?“
„Setz dich doch!“ entgegnete Josy. Ich setzte mich.
Inzwischen waren alle Schüler eingetroffen und Frau Gräuer erhob sich. Die Schüler taten es ihr nach und riefen „Guten Tag, Frau Gräuer!“ die Lehrerin nickte und alle, außer Frau Gräuer, setzten sich.
„Heute wollen wir in der Lektion Laufen fortfahren, bitte sucht euch einen Partner und schiebt die Tische zur Seite.“ Jeder schob seinen Tisch zur Seite und ich fragte Josy „Kann ich mit dir arbeiten?“ Sie
nickte.
Die Lehrerin wandte sich zur Tafel um und zeichnete eine detaillierte Skizze eines Menschen im Profil. „So sollte stets eure Haltung sein“, begann sie „Der Rücken sollte immer gerade sein, doch nicht zu steif. Beginnt zu üben!“
Alle Schüler stellten sich paarweise zusammen und begannen, gegenseitig ihre Haltung zu kontrollieren, während Frau Gräuer durch die Reihen ging und hier und da die Positionen zu korrigierte. Ich wunderte mich. Ja, das war eine Feenschule, aber wofür brauchte ich zu lernen, wie man läuft?
Ich hatte die Flugstunde viel interessanter
gefunden.
„Das fandest du langweilig? Dann warte mal ab, bis wir Geschichte haben!“ entgegnete Josy, als ich in der Pause mein Befremden kundtat.
Ich musste nicht lange auf das Vergnügen warten. Geschichte war gleich die nächste Stunde. Ich ging vor zum Lehrertisch und stellte mich dem Lehrer vor, doch er schien es gar nicht mitzubekommen, also beschloss ich, zu meinem Platz neben Josy zu gehen und sie nach dem Namen des Lehrers zu fragen.
„Herr Schlarberg, wir nennen ihn Schlafberg, du wirst noch erfahren, warum.“ erklärte mir Josy und rieb sich
mit einer Hand über das Gesicht.
Der Unterricht begann und ich verstand sofort, wie der Lehrer zu seinem Spitznamen kam. Abgesehen von seiner Erscheinung, klein und schmächtig, mit grauem Haar und grauen Augen, hatte er eine schwache, leise Stimme und der Unterrichtsstoff, den er vortrug, klang wie ein schlecht auswendig gelernter Lehrbuchtext. Ständig verhaspelte sich der Lehrer und wenn er einmal zusammenhängend sprach, hatte er solch eine monotone Stimme, dass man einfach nicht zuhören konnte. Ich war mehr denn je froh über meine Fähigkeit, Gespräche in meinem Kopf aufzunehmen.
„Diese Stunde war die langweiligste
Stunde meines Lebens.“ beklagte ich mich, als die Stunde endlich vorbei war. Aber im Grunde verstand ich, wieso der Lehrer sich keine Mühe gab, den Unterricht interessant zu gestalten. Er wusste, dass wir so oder so behalten würden, was er uns sagte, also musste er es nicht sonderlich einprägsam formulieren. Dennoch sprach doch nichts dagegen, den Stoff ein wenig lebhafter vorzustellen, oder? Das war ja immerhin sein Job!
„Dagegen war Verhalten doch brennend interessant, oder?“ fragte Josy, belustigt über meine Entrüstung.
Ich lachte „Ich hätte noch vier weitere Stunden Verhalten genommen, wenn mir
so diese Stunde erspart geblieben wäre. Wo haben wir Magie?“ fragte ich.
„Im Pavillon und wir müssen und beeilen, wir sind spät dran.“
Wir rannten los und kamen fünf Minuten später völlig erschöpft beim Pavillon an, der am unteren Ende des Hofes hinter einer Baumgruppe verborgen stand.. Er bestand komplett aus Glas und sah aus, wie ein großes, rundes Gartengewächshaus. Die Türen waren verschlossen und die anderen Schüler standen davor.
Ich wollte gerade zu Josy sagen, dass wir gar nicht hätten rennen müssen, da wurde die Tür von innen aufgeschlossen und eine wunderschöne Frau mit blauen
Augen und braunem Lockenhaar zum Vorschein kam. Ich war wie betäubt von ihrer Schönheit und musste wegsehen, als hätte ich direkt in die Sonne geguckt.
Die Schüler strömten an der engelsgleichen Frau vorbei in den Pavillon und ich ging auf die Lehrerin zu.
„Guten Tag, ich bin...“ setzte ich an, doch die Frau fiel mir ins Wort.
„Antoinette, ich bin Frau Engerl, freut mich sehr!“ Die Stimme der Frau war samt weich, aber zugleich stark.
„Mich auch!“ sagte ich leise und ging an der Lehrerin vorbei in den Pavillon. Und das meinte ich auch so. Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie
wirkte gleichzeitig sehr jung und unglaublich weise, gleichzeitig stark und zierlich. Und der Pavillon, den wir betraten, passte zu ihr wie die Faust aufs Auge.
Ich sah, dass es keine Stühle und Tische gab und so setzte ich mich zwischen Josy und Paul auf den Boden.
„Willkommen, heute werden wir weiter an der Erde arbeiten, bitte reiht euch entlang des Beetes ein.“ Die Lehrerin wies mit der Hand nach rechts. Ich blickte in die Richtung und stutzte, da war ein Beet, aber war dies nicht Magie? Es war doch keine Botanik, oder? Ich war verwirrt.
Alle Schüler standen auf und ich wollte
Josy gerade folgen, da rief Frau Engerl: „Antoinette, kommst du bitte zu mir?“ sie fragte mich tatsächlich, ob ich kommen wollte. Ich wandte mich um und ging zu der Lehrerin.
„Ich möchte dich gerne eine Zeit lang einzeln unterrichten, bis du den Anschluss gefunden hast, denn es gibt viele Details in der Magie, die ich dir ausführlich beibringen möchte. Wäre das auch in deinem Interesse?“
„Ja, sehr gerne, ich möchte so viel wie möglich wissen.“ sagte ich eifrig und war mir dessen bewusst, dass ich klang wie der letzte Streber.
Ein sanftes Lächeln erschien im Gesicht, der
Lehrerin.
„Nun gut, setz dich bitte!“ bat sie und ich setzte mich ihr gegenüber.
„Die Magie der Feen umfasst die Kontrolle der vier Elemente, sie kann nicht für böses eingesetzt werden, das ist schlicht und einfach nicht möglich. Wer die Magie kontrolliert, kontrolliert im Grunde alles, doch dies stellt keine Gefahr dar, denn die Elemente sind die Kraft, die unsere Welt zusammenhält, aus ihnen besteht unsere Welt. Folglich würde ein Verbrechen, dass mit der Magie der Elemente begangen wird, entgegen ihrer Bestimmung wirken, dies ist aber nicht möglich. Man kann mit der Magie nur erschaffen, nicht zerstören,
kannst du mir folgen?“ Ich nickte.
„Es dauert viele Jahre, bis man die Elemente Voll und Ganz kontrollieren kann und diese Klasse steht erst ganz am Anfang der Ausbildung. Ich habe beschlossen, sie mit dem Element Erde beginnen zu lassen. Wie gesagt, kann man mit unserer Magie nur erschaffen und die Aufgabe dieser Schüler besteht darin, eine Pflanze wachsen zu lassen. Es ist noch nicht vielen gelungen, doch auch aus dem kleinsten Samenkorn wächst, wenn man es hegt und pflegt, ein prächtiger Baum.“ Die Lehrerin stand auf, bedeutete mir, ihr zu folgen und ging langsam auf die andere Seite des Pavillons. Jetzt war jedenfalls klar, in
welchem Fach meine Mutter es gelernt hatte, eine Pflanze aus dem Nichts sprießen zu lassen.
Ich rappelte mich auf und lief hinterher. Als ich die Lehrerin eingeholt hatte, sah ich, dass sie selbst vor einem kleinen Beet stand. Sie sah mir kurz ins Gesicht, dann wandte sie sich dem Beet zu und streckte ihre Arme beide vor sich aus, ließ sie dann langsam wieder sinken, streckte sie dann erneut aus, als wollte sie Schwung holen. Dann schwangen ihre Arme wieder zurück und sie zog sie langsam und gleichmäßig vor ihrem Körper nach oben. Ich starrte wie gelähmt auf das Beet, aus dem nun ein dünner Stamm schoss, je höher Frau
Engerl ihre Arme hob, desto höher wuchs der Baum. Schließlich machte die Lehrerin eine Handbewegung, wie die eines Dirigenten und beendete so das Wachstum, vor mir stand ein Weidenkätzchen, dass etwa so groß war wie ich. Das war unglaublich. Einfach so hatte sie mal eben einen Baum aus dem Nichts hergezaubert. Ich blickte zur Lehrerin auf und sah, dass sie mich erwartungsvoll ansah. Ich sollte es ihr nachmachen. Wenn das so einfach wäre.
Ich holte tief Luft, wandte mich dem Beet zu und zog meine Hände vor meinem Körper in die Höhe, meine Finger kribbelten – dasselbe Kribbeln, wie ich es schon bei den Menschen
gespürt hatte – und vor mir aus dem Boden spross ein schmaler, zwanzig Zentimeter hoher Halm. Entmutigt ließ ich die Arme sinken und der Halm verschwand sofort wieder. Nach der Vorführung der Lehrerin erschien mir meine Leistung geradezu lächerlich enttäuschend.
„Man kann es auch anders formulieren!“ sagte Frau Engerl leise „Unsere Magie ist dazu da, etwas zu erschaffen. Im Grunde muss sie es. Sie wartet nur darauf.“
Diese Worte ermutigten mich, meine Magie war genau auf das spezialisiert, was ich hier tat.
Erneut ließ ich meine Hände vor meinem
Körper in die Höhe wandern, versuchte, dieses Mal aber nicht, krampfhaft, etwas zu erschaffen, sondern einfach die Energie fließen zu lassen. Wieder kribbelten meine Finger und dieses Mal wuchs vor mir ein Halm, ein Stamm, mit Blättern. Ein Weidenkätzchen, es wuchs und wuchs. Unsicher sah ich zu Frau Engerl und sie deutete lächelnd mit der Hand die Dirigentenbewegung an. Ich versuchte, sie so genau wie möglich nachzuahmen und tatsächlich, mein kleines Bäumchen stoppte sein Wachstum. Staunend klappte mir den Mund auf und ich strich über eines der Blätter meines süßen Bäumleins. Aus irgendeinem Grund gefiel mir dieser
Baum wirklich gut. Ich fühlte mich ihm irgendwie verbunden, so als gehörte er zu mir.
Ich blickte in das Gesicht der Lehrerin und sah, dass ein seliges Lächeln auf ihren Lippen lag, doch sie blickte mich nicht an, sie ging auf meinen Baum zu und zog etwas aus der Blätterkrone. Dann wandte sie sich langsam und lächelnd zu mir und streckte mir langsam ihre geöffnete Hand hin. Darin lag ein glänzendes, goldenes Blatt, etwa von der Größe meines großen Zehs.
Behutsam nahm ich das filigrane Gebilde mit zwei Fingern und betrachtete es ehrfürchtig. Es war wunderschön. Jede Falte, jede Ader war originalgetreu
eingraviert.
„Du hast Talent!“ hörte ich Frau Engerls leise und stolze Stimme vor mir, doch ich konnte nicht antworten. Das Blatt fühlte sich warm in meiner Hand an, fast, als würde es leben.
Frau Engerl lächelte mich noch einen Moment an, dann wandte sich um und schwebte zu den anderen Schülern.
Als ich mich ebenfalls umdrehte, sah ich, dass mich ausnahmslos alle Schüler anstarrten. Verunsichert zuckte mein Blick von einem zum anderen und ich umklammerte das Blatt, als könnte es mir Kraft geben und mich schützen. Ich ging langsam und mit gesenktem Blick in Josys Richtung und als ich bei ihr
ankam, starrte sie mich immer noch an.
„Wie hast du das gemacht?“ brachte sie schließlich hervor, während sie das goldene Blatt in meiner Hand begutachtete.
„Ich habe keine Ahnung!“ sagte ich aufrichtig. Ich hatte wirklich keine Ahnung. „Ich glaube, ich habe einfach Frau Engerl nachgemacht!“ Ich musste grinsen.
„Was hat es mit diesem Blatt auf sich?“ fragte ich Josy. Ich hielt es noch immer behutsam in der Hand und strich sanft über die Maserung.
„Es gibt dazu eine Geschichte. Der Legende nach, gibt es für jedes Element ein Symbol: Für Erde ein Blatt, für
Wasser einen Fisch, für Luft eine Feder und Feuer einen Blitz. Wer von jedem der Symbole drei Stück besitzt, hat die komplette Kontrolle über die Elemente, angeblich gibt es erst zwei Feen, die von jedem Symbol drei besitzen. Die meisten Fee bekommen ihr ganzes Leben lang kein Symbol.“ raunte sie mir zu und ich hatte das Gefühl, dass sie es mit der Dramatik ein wenig übertrieb. Sie starrte immer noch ehrfürchtig auf das Blatt.
Die anderen Schüler hatten uns zugehört und nun ging ein erregtes Murmeln durch die Reihe.
„Wenn man kein Symbol bekommt“, ertönte Frau Engerls leise Stimme „heißt das nicht, dass man die Elemente nicht
beeinflussen kann. Man kann genauso mit ihnen arbeiten, wie man es kann, wenn man ein Symbol oder mehr hat. Allerdings heißt es in der Legende, dass, wenn man drei des gleichen Symbols besitzt, so kann man das entsprechende Element nicht nur beeinflussen, es heißt, es sei einem dann vollständig ergeben. Dass es einen schützt, auch ohne, dass man es ihm befiehlt. Dass es einem gehorcht, noch bevor man den Befehl ausgesprochen hat. Wenn man der Legende Glauben schenkt.“
Mit diesen Worten entließ die Lehrerin uns aus dem Unterricht.
„Magie ist mein neues Lieblingsfach.“ beschloss ich kurzerhand, als ich gemeinsam mit Josy und Paul gutgelaunt über den Hof schlenderte und mir die herbstliche Sonne ins Gesicht scheinen ließ. „Das war der absolute Wahnsinn!“ verkündete Paul und sah mich bewundernd an. Ich senkte den Blick und spürte, wie ich rot wurde. „Toni, könntest du mir vielleicht Nachhilfe geben?“, bat Josy zaghaft „Ich habe es bis jetzt nicht einmal geschafft, einen Grashalm sprießen zu lassen. Und was machst du? Du probierst es einmal
und lässt gleich einen richtigen Baum wachsen. Und dann auch noch das Blatt. Also bitte hilf mir. Ich muss das üben! Ich bin miserabel. Und… Toni?“ Ich war stehen geblieben und starrte sie an. Die Worte „Ich muss das üben! Ich bin miserabel!“ hallten in meinem Kopf wider. Ich senkte den Blick. Genau die gleichen Worte hatte meine Mutter verwendet, in dem Video, das Leonard gedreht hatte. „Ich muss das üben! Ich bin miserabel!“ Plötzlich stiegen mir Tränen in die Augen und ich schluckte hart. „Toni, alles klar?“ Josy stand neben mir und sah mich geschockt an. „Hey, wenn du mir nicht helfen willst, dann musst du
es nicht. Du kannst es mir einfach sagen. Du musst doch nicht anfangen zu weinen.“, versuchte sie, mich zu beruhigen und hatte dabei keine Ahnung, dass ich überhaupt nicht wegen ihr weinte. „Nein, nein, ich helfe dir natürlich. Es geht gar nicht darum. Ist schon okay, tut mir leid. Es ist nicht deine Schuld.“ brabbelte ich schniefend vor mich hin und wischte mir die Tränen ab. Wieso nahm mich das mit meinen Eltern auf einmal so mit? Ich beschloss, bei der nächsten Gelegenheit an Leonard zu schreiben und ihn um mehr Informationen zu bitten. Ich musste einfach mehr wissen. Denn sie waren
eben meine Eltern gewesen und diese ganze Welt, die Schule, der Unterricht, die Magie, die in der Luft lag, schien meine Sehnsucht nach ihnen zu wecken. Vielleicht hatte ich sie all diese Jahre nur nicht vermisst, weil ich in einer Welt gelebt hatte, die sie nie gekannt, in der sie nie gelebt hatten. Und ich musste mehr über sie wissen und über die Welt, zu der sie gehört hatten. Ich schniefte und wischte mir die letzten Tränenspuren von den Wangen. Dann setzte ich ein Lächeln auf und sah Josy betont fröhlich an. „Also, fangen wir gleich an? Je früher, desto besser, oder nicht?“ erkundigte ich
mich. „Ähm, ja klar, äh, wenn du meinst?“ Josy sah verwirrt aus. Und besorgt. Mittlerweile war auch Paul aufgefallen, dass wir nicht mehr hinter ihm waren und er kam gerade bei uns an. „Was ist los?“ fragte er irritiert. „Toni…“ begann Josy, doch ich fiel ihr ins Wort „Nichts! Wir haben nur ausgemacht, dass ich Josy gleich Nachhilfe gebe.“ verkündete ich und warf Josy einen kurzen, bittenden Blick zu. Es war zwar nichts Dramatisches gewesen, trotzdem musste ja nicht gleich die ganze Schule wissen, dass ich plötzlich und ohne ersichtlichen Grund mitten auf dem Hof angefangen hatte zu
heulen. Möglicherweise weckte dieser Ort ja meine sentimentale Seite, aber ich hatte immer noch meinen Stolz. „Okay!“ sagte Paul gedehnt, er klang misstrauisch. „Ich wollte mich mit ein paar Leuten treffen, wir sehen uns dann später.“ Er winkte und stapfte weiter den Hof hinauf. Josy wartete, bis er außer Hörweite war, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah mich erwartungsvoll an. Ich sagte nichts. „Was war das gerade?“ half sie schließlich nach und tippte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. „Nichts, du hast bloß was gesagt, das mich an jemanden erinnert hat.“
verkündete ich und setzte mich wieder in Bewegung. „Ach, ist es okay, wenn wir noch kurz hoch in mein Zimmer gehen, damit ich Zettel und Stift holen kann?“ Das brachte Josy kurz aus dem Konzept. „Wozu denn?“ fragte sie verständnislos. „Damit ich dir aufzeichnen kann, was du tun sollst. Ich kann nicht erklären, ich glaube, Papier und Stift würden die Sache deutlich beschleunigen!“ „Oh. Okay!“ stimmte Josy zu und wir gingen schweigend weiter in Richtung Schulhaus. Ich drehte das goldene Blatt immer wieder in meinen Fingern. Irgendwie fühlte ich, dass es mir gehörte, es fühlte sich an, als gehörte es zu mir. Das klang wirklich seltsam,
dessen war ich mir bewusst, aber irgendwie schien es ein Teil von mir zu sein, selbst wenn ich es erst eine knappe Stunde besaß. Es war ein ähnliches Gefühl, wie bei dem Baum, den ich hatte wachsen lassen. Ich fühlte mich mit diesem kleinen goldenen Symbol verbunden, so als sei es ein ausgelagerter Teil meines Körpers oder etwas in der Art. Immer wieder strich ich über die filigranen Gravierungen und lächelte in mich hinein. Wir erreichten mein Zimmer und ich zog die Tür auf. Lara lag auf ihrem Bett und warf einen Apfel immer wieder in die Luft und fing ihn wieder auf. Sie sah aus, als sei ihr langweilig. Als sich die
Tür öffnete, wandte sie sich zu uns. „Hey“ rief sie und setzte sich auf. „Hi“ antwortete Josy. Offenbar kannten sich die beiden nicht. „Josy, Lara, Lara, Josy!“ stellte ich vor und wedelte mit der Hand zwischen ihnen in der Luft herum. dann drehte ich mich um und ging zu meinem Schreibtisch, der vor einem der Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand. Dort hatte ich gestern Abend meinen Block und meine Stifte abgelegt. Ich griff danach und schlenderte zurück zu Tür. Dann fiel mir noch etwas ein. Ich hatte das goldene Erdsymbol nach wie von in meiner rechten Hand. Ich ging zurück zum
Schreibtisch und wühlte in meinem Rucksack nach einer kleinen Holzkiste, die ich in weiser Voraussicht von Zuhause mitgenommen hatte. Ich hatte sie vor fünf Jahren von Leonard zum Geburtstag bekommen. Bisher hatte ich darin unter anderem den Schlüssel zu dem Tagebuch, dass ich in der neunten Klasse mal für gefühlte fünf Minuten geführt hatte, diverse Steine, die ich gefunden und zu dem Zeitpunkt hübsch gefunden hatte, sowie einen Liebesbrief, den ich in der siebten Klasse bekommen hatte, aufbewahrt. Ich öffnete den Schnappverschluss und schob die übrigen Schätze in der Truhe zur Seite. Dann griff ich nach einem
Stofffetzen, in den ich einmal einen ganz besonders ‚wertvollen‘ Stein eingewickelt hatte, legte das Blatt vorsichtig darauf und ließ das kleine Bündel in die Schatulle gleiten. Dann schloss ich den Deckel und drehte mich wieder zu Josy um, die unschlüssig in der Zimmertür stand. „Wir können los!“ verkündete ich und ging auf sie zu. „Wohin geht ihr?“ erkundigte sich Lara. „Wir wollen üben. Ich muss fliegen üben und Josy Magie.“ entgegnete ich, wobei ich die Tatsache außen vor ließ, dass ich Josy Nachhilfe geben sollte. „Kann ich mit? Hier ist echt nichts los und Vera und Penni müssen noch was
klären.“ bat Lara. „Meinetwegen gerne!“ antwortete ich und warf einen Blick auf Josy. Die zuckte die Schultern, als wollte sie sagen ‚Warum nicht? ‘. Also gingen wir zu dritt wieder hinaus auf den Hof. „Dort hinten gibt es innerhalb einer Baumgruppe ein paar Bänke und Beete.“ schlug Lara vor und so schlugen wir den Weg ein, den sie uns wies. Innerhalb eines fast vollkommenen Kreises aus hohen Tannen und Birken befanden sich tatsächlich mehrere Bänke, ebenfalls im Kreis angeordnet, und an den Rändern einige Beete, die zwar zum Teil bewachsen waren, zum Teil
allerdings leer. Es eignete sich prima zum üben. „Und außerdem“ grinste Josy „ist hier überall Gras, was bedeutet, dass du weich aufkommst, solltest du wieder eine Bruchlandung hinlegen!“ Ich stieß sie in die Seite, musste jedoch auch ein wenig grinsen. Lara hatte es sich mit einem Buch auf einer der Steinbänke bequem gemacht, sah jedoch hin und wieder mal zu uns herüber. „Können wir mit Magie anfangen?“ bat Josy. Ich nickte und zückte meinen Stift. „Hat Frau Engerl euch auch diesen Vortrag über die Magie der Elemente
gehalten, den mit Gut und Böse und so weiter?“ erkundigte ich mich zuerst. „Nein, sie hat bei uns überhaupt relativ wenig gesagt. Ich dachte, sie will, dass wir uns alles selbst erschließen.“ erwiderte Josy, offensichtlich verwundert, dass die Lehrerin mir einen Vortrag gehalten hatte, ihnen aber nicht. „Naja, im Endeffekt sagte sie, dass die Magie der Elemente allgegenwärtig ist, alles daraus entsteht und darauf beruht. Sie meinte, dass man sie nicht zu bösen Zwecken verwenden könne, weil die Elemente unsere Welt formen und dementsprechend ein zerstörerischer Zweck ihrer ursprünglichen Bestimmung entgegenwirken würde. Gleichzeitig
wollen die Elemente aber erschaffen. Das hat mir ziemlich geholfen, als Frau Engerl mir sagte, dass es ja die Aufgabe der Energie ist, etwas zu schaffen, dass man sie nicht dazu zwingen muss, denn wenn man sie lässt, dann tut sie alles von ganz alleine.“ beendete ich meine Erläuterungen. Josy starrte mich an. „Woooooooow. Das ist ja so tiefgründig. Und total plausibel. Wieso hat sie uns das nicht auch gesagt. Ich weiß zwar nicht, ob es mir hilft, aber es ist auf jeden Fall mehr als nichts.“ rief sie euphorisch. „Also was hast du gemacht? Welche Körperhaltung, welche Bewegungen?“ hakte sie nach und sah
mich erwartungsvoll an. Ich beugte mich vor und begann auf meinen Block zu kritzeln. „Zeig es mir doch einfach!“ schlug Josy vor. „Ich sagte doch, ich kann nicht so gut erklären!“ erwiderte ich und zeichnete weiter. „Also, das eben hast du gut erklärt. Versuch es doch einfach, okay? Ich glaube, es hat mehr Sinn, wenn du mir einfach zeigst, was du gemacht hast.“ hielt Josy dagegen. Ich seufzte und musste zugeben, dass sie durchaus Recht hatte. Also legte ich den Block neben Lara auf die Bank und stellte mich neben
Josy. „Gut, aber lach mich nicht aus, wenn ich jetzt nichts zustande bekommen, das ist der Vorführeffekt." murrte ich und stellte mich vor eines der leeren Beete. Aus irgendeinem Grund empfand ich eine gewisse Vorfreude bei dem Gedanke, einfach etwas aus dem Erdboden sprießen zu lassen. Meine Gedanken wanderten zu meinem goldenen Blatt, das sicher in meinem Zimmer in der Schatulle lag. Ich blickte auf die Erde und besah mir ihre Beschaffenheit. Sie war gröber als die Erde im Gewächshaus, aber ich bezweifelte, dass es einen Unterschied machen würde. Ich richtete meine Konzentration auf die
Erde und hob ganz langsam die Arme. Ich spürte wieder das Kribbeln in den Fingerspitzen und konzentrierte mich darauf, die Energie einfach aus mir herausfließen zu lassen. Ganz langsam spross vor mir aus der Erde ein kleines Weidenkätzchen. Als es mir etwa bis zur Schulter ging machte ich die abschließende Handbewegung und das Wachstum stoppte. Ich strich behutsam mit der Rückseite meines Zeigefingers über eines der Blätter. Ich fragte mich, wieso ich immer Weidenkätzchen entstehen ließ. Ich würde mich Morgen bei Frau Engerl informieren. „Mann, wie hast du das denn so schnell gelernt!“ erklang Laras Stimme direkt
hinter mir. Ich fuhr zusammen. ich war noch vollkommen mit mir selbst und meinem Baum beschäftigt gewesen. Ich drehte mich um. „Keine Ahnung!“ verkündete ich ehrlich und blickte Lara in die erstaunten Augen. „Im Ernst, du bist seit gestern hier, hattest heute das erste Mal Unterricht in Magie und stellst gleich einen ganzen Baum auf die Beine? Bei mir hat es Wochen gedauert, bis ich auch nur ein Erdbeerpflänzchen hinbekommen habe.“ staunte sie und starrte mein Weidenkätzchen perplex an. „Hinter ihr erschien Josy. „Wahnsinn, oder? Sie hat sogar schon ein Symbol, ist das nicht genial?“ Begeistert grinste sie.
Ich blickte zu Boden. „Du hast bitte was?“ hakte Lara nach. „Wieso erfahre ich das erst jetzt?“ fauchte sie. Ich blickte auf. Sie blickte wütend, doch in ihren Augen sah ich, dass sie nur scherzte. „Wahnsinn, du bist einen Tag hier und hast schon das, was manche von uns in ihrem ganzen Leben nicht erreichen.“ staunte Lara weiter. Ich verzog das Gesicht. „Genug von mir. Du bist dran!“, forderte ich Josy auf. „Okay!“ sagte sie zögerlich und dann etwas entschlossener „Dann mal los!“ Sie stellte sich leicht breitbeinig vor das
Beet, holte einmal tief Luft und zog dann ihre Arme nach oben. Ich sah, dass ihre Hände leicht zitterten. Nichts geschah. Josy wirkte enttäuscht. „Du musst die Arme locker lassen. Entspann deine Muskeln.“ schlug ich vor. Josy wiederholte den Versuch. Wieder geschah nichts. „Woran denkst du?“ erkundigte ich mich. „Daran, dass ich es nicht kann!“ entgegnete Josy missmutig. „Denk doch einfach, dass du es kannst. Oder denk an nichts. Und dann stell dir vor, wie Energie aus deinen Fingern in die Erde fließt.“ riet ich. Erneut brachte Josy sich in Position und
hob langsam die Arme. Dieses Mal war ihr Gesicht ruhig und entspannt. Vor Josy spross ganz langsam und vorsichtig, als wollte es sich nach möglichen Gefahren umsehen und sei bereit, jederzeit wieder zu verschwinden, ein kleiner Zweig mit frischen Blättern daran. Er wuchs ein Stück, stockte und ich dachte schon, der Versuch sei fehlgeschlagen, doch dann entfaltete er sich weiter zu einem kleinen Strauch, der mir etwa bis zur Hüfte ging. Ich sah zu Josy. Ihr Gesicht war wieder etwas angespannt. Ich sah, wie ihre Konzentration nach und nach verschwand. „Halt es an!“ sagte ich leise. Und Josy
machte die Bewegung mit den Händen, die das Wachstum anhielt. Einen Moment sah ich sie nur grinsend an, während sie ihre Pflanze anstarrte, als hätte sie noch nie etwas Seltsameres gesehen. Dann begann sie, breit zu grinsen und blickte mich an. „Ich hab es geschafft!“ verkündete sie leise, und dann lauter: „Meine erste Pflanze. Ich hab es echt geschafft!“ Sie lachte laut und dann sprang sie auf mich zu und umarmte mich kurz. „Du bist die Beste!“ strahlte sie. dann drehte sie sich einmal auf der Stelle und legte einen kleinen Freudentanz hin. „Du solltest Lehrerin werden! Von wegen du kannst nicht erklären!“ verkündete
sie, als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte. „Ich werde allen erzählen, dass mir, einem absoluten Nulltalent innerhalb nur einer Nachhilfestunde beigebracht hast, einen vernünftigen Strauch zu zaubern.“ „Oh nein! Bitte, Josy, mach das nicht!“ flehte ich. „Aber wieso?“ fragte Josy verständnislos. „Du bist klasse darin. Wieso sollen die anderen nicht sehen, wenn du in etwas außergewöhnlich gut bist?“ Ich dachte kurz nach. Wie erklärte ich das am besten? „Bevor ich hierher kam, war ich auf einer ganz normalen Menschenschule.
Und wie ihr euch sicher denken könnt habe ich nie wirklich dazu gepasst, bin immer herausgestochen. Jetzt, wo ich weiß, dass ich kein Mensch bin, da macht das total Sinn. Aber jetzt bin ich hier und hier passe ich hin. Ich möchte dieses Mal nicht wieder der Sonderling sein, sondern einfach in der breiten Masse verschwinden.“ erläutere ich meinen Gedankengang. Einen Moment sahen mich Lara und Josy an. Dann ergriff Lara das Wort. „Du willst normal sein?“ Sie sprach das Wort ‚normal‘ aus, als sei es eine Beleidigung. „Ich bin eine Fee. Und für euch ist das normal, will ihr mit dem Gedanken
aufgewachsen seid. Aber für mich waren Feen immer zehn Zentimeter große, böse Biester, die Menschen, die sich verirren in Fallen locken und sie dann töten. Das sollte“ fügte ich hastig hinzu, als ich in die beleidigten Gesichter meiner Freundinnen sah „keine Beleidigung sein. Ich will damit nur sagen, dass für mich der Gedanke, eine Fee zu sein nicht normal ist, wie er es für euch ist. Und diese Tatsache hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. ich glaube, ich bin erstmal mit unnormalem versorgt.“ schloss ich. Wieder herrschte einen Moment Stille. „Okay, dann sag ich eben keinem, dass du ein absolutes Genie im Umgang mit
den Elementen bist.“ stimmte Josy zu, konnte ihr Unverständnis aber nur schwer verbergen. „Danke!“ Ich seufzte erleichtert. „Irgendwann werden es die anderen eh erfahren.“ erklärte nun Lara und rieb sich die Hände. „Bitte sagt es keinem!“ wiederholte ich mich. „Ja ja ja“ sprachen die Beiden im Chor und grinsten sich an. „Du wolltest noch fliegen üben!“ erinnerte mich Josy dann und berichtete Lara von meiner Bruchlandung vorhin, worauf sich beide vor Lachen kringelten. Ich hob nur eine Augenbraue. So lustig fand ich das nicht. Es war ja nicht so, als
wäre ich aus drei Metern Höhe auf dem Hintern gelandet, ich war eben einfach umgefallen. Nicht einmal mein Kleid hatte einen Fleck abbekommen. Als sich die Beiden genug amüsiert hatten, stellten sie sich links und rechts von mir auf, um mich „notfalls aufzufangen“. Ich schoss die Augen, verlagerte meine Kraft in meine Füße und konzentrierte mich. Das Schlauchbootgefühl kam und ging. ich übte wieder und wieder. Zwar schaffte ich es jedes Mal, mein Gleichgewicht zu halten, allerdings hob ich auch nicht wirklich vom Boden ab. Der Rekord war, dass ich zwei Sekunden lang etwa zehn Zentimeter in der Luft
hing, dann wieder abstürzte. Am Abend, als wir unser Training beendeten war ich nicht sonderlich gut drauf. Doch Lara beruhigte mich. Bei ihr sei es, als sie erstmal den Anfang geschafft hatte, ganz leicht gewesen, verkündete sie gut gelaunt und pfiff auf dem Weg zum Schulhaus vor sich hin. Wir gingen direkt zum Abendessen, da es schon Zeit war und keiner von uns noch einmal in sein Zimmer musste, um sich umzuziehen, denn wir hatten alle unsere Unterrichtsuniformen anbehalten. Der Speisesaal war schon gut gefüllt. Viele Schüler saßen schon vor vollen Tellern. Doch an dem Tisch, an dem Lara und ich immer mit Penni und Vera saßen,
war keiner der Plätze besetzt. Ich sah zu Lara, doch die zuckte die Schultern. „Lass uns zu Paul gehen.“ schlug Josy vor und deutete auf Paul, der, gemeinsam mit einem anderen Jungen, an einem Achtertisch saß. Ich nickte und Lara ebenfalls. Wir konnten ja Vera und Penni zu uns an den Tisch holen, sollten sie noch auftauchen. Josy ließ sich mit einem Rumsen links neben Paul an den Tisch fallen. Paul zuckte zusammen. Ich grinste und setzte mich ihm gegenüber, Lara sich neben mich gegenüber von Josy. „Leute“ begann Paul „Das ist Ivan, Ivan, das sind Josy, Toni und…“ er stockte. „Lara, aber er kennt mich schon. Er ist in
meinem Jahrgang.“ erklärte Lara und lächelte freundlich. „Hallo!“ grüßte Ivan und senkte den Blick auf seinen Teller. Er wirkte etwas scheu. Wir grüßten zurück. Dann stand ich auf und machte mich auf den Weg zum Buffet. Ich belud mir einen Teller mit Hähnchenstreifen, zwei gekochten Kartoffeln und einem Spritzer Ketchup. „Hey!“ hörte ich hinter. Ich wandte mich um. Es war Alex. Er lächelte mich an. „Und, wie war dein erster Tag?“ erkundigte er sich. Ich lächelte. „Ziemlich nett eigentlich. Sowohl die Schüler, als auch die Lehrer. Und der Unterricht ist nicht annähernd so
langweilig, wie ich es kenne.“ erkläre ich. „Stimmt es, dass du vorher bei den Menschen gelebt hast?“ fragt er neugierig. „Ja. Und glaub mir, deren Unterricht wünschst du dir nicht.“ Da fiel mir noch eine Frage ein. „Hey, was macht ihr eigentlich, bevor ihr auf die Schule hier kommt? Gibt es auch sowas wie eine Feengrundschule oder so?“ Alex lachte „Naja, mit acht oder neun werden wir für drei Jahre jeden zweiten Tag mit dreißig anderen Kindern in einen Raum gepfercht und lernen die Grundlagen. Lesen, Schreiben, Rechnen,
wie du sie auch kennst. Allerdings nur soweit, wie man es unbedingt braucht. ich habe gehört, bei den Menschen hat man zwölf Jahre Schule und behandelt immer spezifischere und ausgebautere Formen dieser drei Grundlagen. Stimmt das?“ Ich nicke „Im Grunde ist das in etwa das Prinzip, wenn auch nicht ganz.“ Alex stieß die Luft aus und blies sich damit eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Dann weiß ich was du meinst, wenn du sagst, dass der Unterricht hier interessant ist. Naja, vielleicht unterhalten wir uns ja mal wieder?“ es klang wie eine Frage. „Vielleicht“ erwiderte ich grinsend und
ging mit meinem Tablett zurück zu meinem Tisch. Ich war mir durchaus dessen bewusst, dass meine Erwiderung verdächtig nach einem Flirt klang. Aber das machte doch auch nichts, oder? Immerhin war Alex nett. Und sah gut aus. Wieso sollte ich also nicht mit ihm flirten? Also jetzt mal abgesehen von dieser bescheuerten Regel zum Thema Geschlechtertrennung. Lara grinste mir entgegen. Sie hatte schon ein volles Tablett vor sich stehen, Josy genauso. Ich hatte nicht bemerkt, wie sie an das Buffet gegangen waren, dabei hatte ich doch direkt daneben gestanden. „Und, habt ihr euch nett unterhalten?“
erkundigte sich Josy scheinheilig. Ich ignorierte den gewissen Unterton. „Ja, haben wir!“ sagte ich nur und griff nach einem Hähnchenstreifen. „Wie war eigentlich die Nachhilfe?“ fragte Paul und blickte Josy und mich an. Ich sagte nichts. Josy antwortete: „Klasse! Ich habe tatsächlich eine Pflanze hinbekommen!“ grinste sie. Ivan blickte von seinem Teller auf. „Wer hat dir Nachhilfe gegeben?“ Seine Stimme war tiefer, als ich von seinem Aussehen her erwartet hätte. Einen Moment schwiegen alle. Ich sah zu Josy und flehte stumm, dass sie nichts sagen würde, wie sie es versprochen hatte. Ivan
war vielleicht nicht in unserem Jahrgang, aber er wusste sicher trotzdem, dass ich die neue war. Und wie seltsam wirkte das denn: Die Neue gibt an ihrem ersten Tag schon Nachhilfestunden! Lara räusperte sich. „Ich habe ihr Nachhilfe gegeben.“ verkündete sie ungerührt und schob sich einen Pommes in den Mund. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu und hätte dabei beinahe verpasst, wie Paul verständnislos den Mund öffnete. Rasch blickte ich auch ihn an, doch dieses Mal war mein Blick eine Mischung aus Bitte und Drohung. Er verstand offenbar, was ich wollte, wenn auch nicht genau, wieso. In diesem Moment rief Lara laut „Hier!“
und hob die Hand. ich sah zum Eingang. Penni und Vera steuerten auf uns zu und warfen sich auf zwei der noch freien Stühle. „Gott, diese Lernerei bringt mich um.“ stöhnte Penni und knallte ihren Kopf einmal heftig auf den Tisch. Ich sah sie überrascht an. „Was musstet ihr lernen? Ich denke, wir behalten immer alles im Kopf.“ „Tun wir auch. Manche von uns!“ kicherte Lara „Andere vergessen immer wieder, dass mit Frau Gräuer nicht zu spaßen ist, wenn es um das Aufpassen in ihrem Unterricht geht.“ Jetzt verstand ich. „Strafarbeiten?“ „Strafarbeiten!“ erwiderten Penni und
Vera im Chor. „Alte Schreckschraube.“ zischte Vera in Richtung Lehrertisch, wo eben jene sich gerade lebhaft mit Frau Blitzekiem unterhielt. „Was müsst ihr lernen?“ hakte ich nach. Ich wollte wissen, was mich erwartete, wollte ich je den Drang verspüren, im Verhaltensunterricht nicht zuzuhören. „Die Entwicklung der Sitten und Bräuche am Hofe des Königs ab dem dreizehnten Jahrhundert.“ maulte Penni. „Oh!“ das klang umfangreich. „Wie lange hattet ihr einen König?“ hakte ich nach. Alle am Tisch starrten mich an, als wäre ich bescheuert. Ich erkannte meinen Fehler
sofort. „Ihr habt immer noch einen König, hab ich Recht?“ fragte ich und schlug mir die Hand vor die Stirn. „Yup!“ bestätigte Josy. Ich fasste einen Entschluss. Ich würde mich über die Geschichte dieser Welt informieren. Schon heute in Geschichte hatte ich bemerkt, dass ich nur Bahnhof von dem verstand, was Herr Schlarberg erzählte, selbst wenn ich aufmerksam zuhörte. Ich hatte einfach die Grundlagen nicht. Aber ich wollte keine Lücken aufkommen lassen. Gleich Morgen würde ich zu ihm gehen und ihn um Lektüre zur Geschichte bitten. Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der Geschichte
der Menschen gehabt, aber vielleicht änderte sich das ja, wenn es um diese Welt ging. Immerhin klang doch alles spannender, wenn es dabei um Trolle und Elfen ging, oder? Vera unterbrach meine Gedanken, indem sie mich ansprach. „Hey, Toni“ Irgendwie klang sie zerknirscht. Ich sah sie an. „Wegen dem, was ich heute Morgen gesagt habe. Du weißt schon, dass mit deinen Eltern!“ Jetzt verstand ich. „Es tut mir leid. Ich wusste ja nicht dass sie…naja…jedenfalls tut es mir leid.“ Schon wieder überkam dieses unbekannte und unerklärliche Gefühl der Trauer. Ich senkte kurz den Blick und sammelte
mich. Dann blickte ich auf und sah Vera ins Gesicht. „Ist schon in Ordnung. Du konntest es ja nicht wissen!“ „Was ist denn mit deinen Eltern, Toni?“ hakte Josy nach, die unsere Unterhaltung offenbar mitbekommen hatte. Ich sah zu Paul und Ivan, doch die beiden waren in ein Gespräch vertieft. Ich drehte mich wieder zu Josy. „Sind sie noch bei den Menschen? Vermisst du sie?“ fragte sie mitfühlend. „Nein.“ sagte ich nur und fügte dann so nüchtern ich konnte hinzu: „Sie sind tot.“ Ich wollte es eigentlich mit fester Stimme sagen, ohne daraus ein Drama zu
machen, doch bei letzten Wort versagte mir die Stimme und ich musste wieder den Blick senken, damit die anderen meine Tränen nicht sahen. „Oh“ hörte ich Josys tonlose Stimme und dann spürte ich ihre Hand auf meiner, die noch immer auf dem Tisch lag. Ich versuchte, die Tränen zu verdrängen, doch ich kam mir vor wie ein Zimmerbrunnen. ich würde es nicht lang zurückhalten können. Also stand ich auf. „ich geh schon mal!“ murmelte ich Lara zu und verließ schnellen Schrittes den Speisesaal. Sobald ich auf dem Gang war rannte ich los. ich wollte so schnell ich konnte ins Zimmer. Ich wollte nicht, dass mich irgendjemand dabei sah, wie ich
heulend durch die Gänge lief. Ich begegnete niemandem, doch ich verlangsamte mein Tempo erst, als ich meine Zimmertür erreichte. Ich stürmte hinein und warf die Tür hinter mir zu. Dann stand ich einfach eine Weile mitten im Raum wie bestellt und nicht abgeholt, während mir stumme Tränen über die Wangen liefen. Auf einmal war ich schrecklich müde. Der Tag war lang gewesen. Langsam ging ich zu meinem Bett und griff nach meinem Schlafanzug. Ich brauchte viel länger als sonst, um ich umzuziehen, mit einem Mal ging mir die Erschöpfung durch Mark und Bein. Ich fiel einfach ins Bett, ließ meine
Kleidung achtlos auf dem Boden liegen und breitete die Decke über mich. Wo blieb eigentlich Lara? Sie sollte eigentlich schon längst hier sein. Vermutlich dachte sie, ich bräuchte etwas Privatsphäre, um mich in Ruhe auszuheulen. Und ich war ihr dankbar, auch wenn ich die Zeit nur lieber dafür nutzte, mir zu überlegen, was der Morgen wohl bringen würde. Ich musste mit Herrn Schlarberg sprechen, ob er mir ein Geschichtsbuch aus der Bibliothek empfehlen konnte. Ich musste mich bei Frau Engerl informieren, wieso ich nur Weidenkätzchen wachsen lassen konnte. Und ich musste, nein, ich wollte an
Leonard schreiben und ihn um mehr Informationen zu meinen Eltern bitten. Irgendetwas musste er mir doch noch sagen können. Das bisschen, das er mir gegeben hatte, konnte unmöglich alles sein, was er hatte. Hoffentlich würde er mir dann auch etwas erzählen und nicht mit einer seiner kryptischen Ausflüchte ankommen. Mit dem Gedanken an meine fremde, vertraute Mutter und meinen Vater, von dem ich nicht einmal das Gesicht kannte, fiel ich in einen tiefen Schlaf.
| IsiC97 So, endlich konnte ich mal weiterschreiben. Allerdings habe ich Einiges aus den ersten drei Kapiteln verändert, weil sie mir nicht mehr gefallen haben, als ich sie nun las. Sollte irgendjemand, der die ersten Kapitel schon gelesen hatte, nun das Neuste lesen und sich über einen Wechsel im Schreibstil oder so wundern, oder irgendetwas nicht verstehen, weil es in der alten Fassung nicht in den ersten Kapiteln zu finden war, dann tut mir das sehr leid und ich will natürlich niemanden zwingen, das ganze Ding zu lesen, immerhin ist das schon etwas lang, aber ich freue mich über jeden, der es tut und mir seine Meinung dalässt. Liebe Grüße |
| Silbenfaeller Auch mir sind die - mittlerweile schon 88 - Seiten normalerweise zu lang zum Durchlesen und ich fliege dann über langatmige Stellen rüber. Ist mir hier nicht passiert. Daher Kompliment! Ein Kritikpunkt wurde schon unten angesprochen, einiges wird von Antoinette zu schnell angenommen und ich habe den Eindruck, dass du die Stellen, über die du dir schon länger den Kopf zerbrochen hast, besser ausarbeiten kannst. Vid?l jsem, ?e jseš z Prahy - aber bei deinem Schreibstil und der guten Grammatik nehme ich an, dass du Deutsch als deine Muttersprache siehst? Abo, weil ich wissen mag wie es weitergeht. lg Silbenfäller |
| exguesi Auch ich muss dir zum Buch einen tollen Kommentar da lassen. Vlt ist es v.A. die Tatsache, dass ich erst einige Bücher auf mystorys las, bis ich mich überhaupt zu einem Kommentar durchringte. Das ist nämlich wirklich schon ein Kompliment von mir, auch wenn ich meistens recht kritisiere. In deiner Geschichte ist die Hauptfigur (ein Teenager oder Jugendliche, wie auch immer) sehr gut beschrieben. Sie kümmert sich um die Dinge, die in dem Alter eben relevant sind und ist keine junge, emotionslose Figur, die immer korrekt antwortet und korrektes tut. Das mag ich nämlich gar nicht. Meiner Meinung nach fehlt es der Geschichte noch an "Farben, Spannung, etwas Speziellem". Ich las sie zwar gerne, aber es reichte bloss zum Überfliegen. Vielleicht verstehst du, was ich meine. |
| IsiC97 Re: Feenzauber - Zitat: (Original von Zeitenwind am 29.09.2013 - 01:09 Uhr) Ich bin platt!!! Sehr beeindruckt. Normalerweise lese ich keine 54 Seiten am PC, aber schon der erste Absatz hinterließ einen solchen Eindruck, dass ich weiterlesen musste. Super gemacht. Deine Schreibstil ist bemerkenswert. Du hast die Gabe, alles sehr gut zu beschreiben und auch Nebensächlichkeiten werden nicht vergessen. Nach all dem Lob, möchte ich aber auch etwas anmerken was mir aufgefallen ist. Ich möchte nicht unbedingt "negativ" sagen, aber es sind ein paar Dinge. die mir nicht so gefallen haben. Nach anfänglichem guten Start, flacht die Story zunehmend ab. Das begründet sich, meiner Meinung nach, damit, dass Du zunächst alles sehr ausführlich beschreibst, dann aber viel zu schnell zur Sache kommst. Das Gespräch mit Leonhard und dem Offenbaren des Geheimnisses wird viel zu schnell als bare Münze genommen. Antoinette wundert sich gar nicht viel, sie akzeptiert und nimmt es hin. Das würde ich mir noch einmal genauer vornehmen. Das geht einfach viel zu schnell. Dann würde ich die Eindrücke, die sie hat, als sie in der Schule ankommt, auch noch viel mehr ausschmücken. Du hast den Ansatz dazu ja schon super hinbekommen, aber auch hier geht alles viel zu schnell. Ein paar Flüchtigkeitsfehler will ich Dir nicht ankreiden, da Du ja sonst mit einer starken Ausdrucksweise und gutem Deutsch aufwartest. Also, meine Meinung - das wird eine sehr gute Story, die man durchaus in ein Buch packen sollte. Mein Kompliment. Gruß vom Trollbär Danke, dass du die Geschichte gelesen hast und auch danke für deine Hinweise. Ich werde mich bemühen, die kritisierten Stellen zu verbessern. Gruß von IsiC97 |
| Zeitenwind Feenzauber - Ich bin platt!!! Sehr beeindruckt. Normalerweise lese ich keine 54 Seiten am PC, aber schon der erste Absatz hinterließ einen solchen Eindruck, dass ich weiterlesen musste. Super gemacht. Deine Schreibstil ist bemerkenswert. Du hast die Gabe, alles sehr gut zu beschreiben und auch Nebensächlichkeiten werden nicht vergessen. Nach all dem Lob, möchte ich aber auch etwas anmerken was mir aufgefallen ist. Ich möchte nicht unbedingt "negativ" sagen, aber es sind ein paar Dinge. die mir nicht so gefallen haben. Nach anfänglichem guten Start, flacht die Story zunehmend ab. Das begründet sich, meiner Meinung nach, damit, dass Du zunächst alles sehr ausführlich beschreibst, dann aber viel zu schnell zur Sache kommst. Das Gespräch mit Leonhard und dem Offenbaren des Geheimnisses wird viel zu schnell als bare Münze genommen. Antoinette wundert sich gar nicht viel, sie akzeptiert und nimmt es hin. Das würde ich mir noch einmal genauer vornehmen. Das geht einfach viel zu schnell. Dann würde ich die Eindrücke, die sie hat, als sie in der Schule ankommt, auch noch viel mehr ausschmücken. Du hast den Ansatz dazu ja schon super hinbekommen, aber auch hier geht alles viel zu schnell. Ein paar Flüchtigkeitsfehler will ich Dir nicht ankreiden, da Du ja sonst mit einer starken Ausdrucksweise und gutem Deutsch aufwartest. Also, meine Meinung - das wird eine sehr gute Story, die man durchaus in ein Buch packen sollte. Mein Kompliment. Gruß vom Trollbär |