Kurzgeschichte
Bis dass der Tod uns scheidet

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"Bis dass der Tod uns scheidet"
Veröffentlicht am 11. September 2013, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

..Habe ein Buch veröffentlicht und schreibe zur zeit an einem SF Roman
Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

 

Spät, inmitten einer Vollmondnacht löste Ogrowski Kreuzworträtsel. Oberflächlich gesehen eine sinnfreie Tat, Sie verscheuchte nicht jene gähnende Langeweile unnötiger Nachtdienste einer Kleinstadtwache. Von dem Tag, als seine Gesundheit, Maras Tod, dazu der Amtsarzt ihn zum Innendienst verurteilt hatten, verlief das Leben träge. Es glich Dünen im Glutofen einer Wüste dessen Winde ebenfalls verstarben. Zwei unendliche Jahre lagen hinter ihm.

„Göttertrank mit sieben Buchstaben.“ Er kam nicht drauf.

Wache elf zählte zum Abstellgleis für ausgebrannte Polizeibeamte. Hier dämmerten Kollegen dem Ende ihrer Dienstzeit entgegen. Vereinzelte erwachten gerade noch um ihre vorzeitige Pensionierung einzureichen.

So seinen Gedanken nachhängend, übersah er dabei den Fremden hinter dem Panzerglas.

Bitte.“ Als flehender Ton klang es von weither. „Bitte.“

Ogrowski blickte hoch.

„Verhaften Sie mich, Herr Kommissar.“

„Bin nicht bei der Kripo.“

Im Radio liefen Nachrichten. „Nix los“, knurrte er zum Gerät. „Keine Einbrüche, Keine Stürme, Ganoven fliehen vor diese gottverfluchten Hitze ins Bett. Dafür nervt dieser Idiot.“

„Ich habe Hilda getötet.“ Im Korridor flackerte Neonlicht. „Hilda ist meine Frau müssen Sie wissen.“ Das Sprechsieb im Panzerglas verlieh dem Gesagten einen blechernen Ton. Dennoch schwebten des Fremden Worte sanft herein. Zitternd wie Grannen unreifen Roggens im Sommerwind.  Dazwischen lauerten rasierklingenartige Gefühlswallungen. Bereit ihren Schmerz abzugeben.

Anfangs dachte Ogrowski, dass dieser Mann nach einigen Bierchen über Maß bei einem Krimi eingeschlafen war. Albträume hatten ihn aufgeschreckt und hierher getrieben.

Doch weder Angst noch Hass wucherte im Auge des Fremden. Empfindungen platzten. Einer Seifenblase gleich zerfielen sie.

„Seelenlos“, bemerkte er. Erst der zweite Blick widerlegte den Gedanken.

Dieser Mensch erblickte den eigenen Seelenspiegel. Versank darin.

Ogrowskis Seele folgte, rannte ihm hinterher; überquerte das Gebirge aus totem Felsen. Dahinter legte ein endlicher Ozean Gischt auf unzählige Brandungen. Mit hemmungsloser Macht stürzten Dramen dem Ufer entgegen. Erinnerungssteine lagen verstreut am Strand. Wasser umspülte so manche Klippen, floss über Kiesel, spülte Sand hinweg. Andere schienen vom Vergessen ausgewaschen. Viele dieser Felsbrocken trug die Fluten zurück zur Unendlichkeit. Monströse Brocken keimten Dampf aus dem Meer. Als Nebelfetzen des Verdrängens schwebte das Gift am Strand, stieg hoch, trieb ihr Unwesen. Scharenweise verschwanden Steine im ewigen Vergessen.

Die Gabe in den Untiefen der Menschen zu blicken stellte ihn so manches Lebensjahr außerhalb der Gemeinschaft. Andrerseits gedieh er zum Segen für Unschuldige; zum Fluch für Schuldige.

Es gab Momente, da wehte Rosenduft heran. Veilchenaroma begrüßte seine Sinne. Vanilleduft schwebte ans Herz. Auch schenkte diese Gottesgabe rare Augenblicke, da huschte pures Licht an ihm vorbei. Jedoch zu flüchtig um es festzuhalten.

„Gott hat dir dieses Wunder geschenkt“, hatte Mara einmal gesagt. „Nutze sie.“

„Nur abschalten kann ich es nicht“, gab er ihr zur Antwort.

„Dazu ist deine Gabe auch zu wertvoll“, hatte sie ihn damals getröstet.

In seinen Gedanken webte sich Wehmut über den Tod seiner Frau.

Sein erster Eindruck reifte mit einem weißen Hemd. Starr umfasste es als Panzer den Oberkörper des Fremden. Getrocknete Blutflecken zeichneten unwirkliche Löcher auf das Leinen. Am Kragen fehlten zwei Knöpfe. Gelber Stoff kroch als Schlange ohne Knoten um den Hals des Mannes. Das volle Haar stach wie Silbernadeln ins Neonlicht.

Zwischen dem schmächtigen Polizisten und dem Hünen versagte eine Panzerglasscheibe direkten Kontakt.

„Mein Name ist Justus van Mühlen. Ich habe Hilda getötet; Hilda ist meine Frau.“

Ogrowskis linke Hand schnellte zum Alarmknopf unter der Tischplatte, die Rechte zur Dienstpistole. Drei Schritte später glitt sein Daumen auf den Türöffner. Der Brummton schwoll an, gefolgt von einem kurzen, hellen Klick. Die Tür zum Korridor sprang auf. Ogrowski hindurch.

Der Hüne stand zwei Armeslängen von ihm entfernt. Am grauweißen Steinfußboden lag ein winziger Schatten. Sein rechter Arm zeigte hilflos nach vorn. Die Linke Hand umklammerte ein Küchenmesser. Verkrustetes Blut am Stahl schien die Waffe hinabzuzerren. Zugleich diesen Täter niederzuringen.

Solche Messer können zum grausamen Ventil menschlicher Abgründe mutieren. Doch einmal benutzt, bleib es als ausgebranntes Verzweiflungswerkzeug zurück. Unbrauchbar, zu keinem Zweck mehr fähig.

Ogrowski wusste aus langjähriger Erfahrung, dass von diesem Mann keinerlei Gefahr ausging. Dass seelische Narben dadurch teuflische Wunden werden konnten, begriffen viele nicht. Und Vereinzelte erst nach ihrer Tat. Zurück blieben ausgebrannte Hüllen, unfähig von gnädigem Totsein getröstet zu werden.

„Bitte“, beschwichtigte van Mühlen. „Ich möchte Ihnen kein Leid zufügen.“ Seine Stimme wirkte im Gegensatz seines Aussehens sanft. Leise in seiner Aussprache. Eine warme Klangfarbe wehte über den Flur. Als sachtes Echo schwebte es umher. „Sie können ihre Waffe unbedenklich wegstecken.“

Ogrowski trat zwei Schritte beiseite und gab damit den Eingang zum Wachzimmer frei. Mit einem Wink seiner Dienstpistole befahl er van Mühlen einzutreten.

Im Gebäude quietschte eine Tür. Lang, gedehnt.

„Meine Kollegen sind gleich da.“

„Ich laufe nicht davon; nicht mehr. Vor Ihnen nicht. Vor mir ebenfalls nicht.“

„Das Messer auf den Tisch! Setzten! Dort!“

Nachdem van Mühlen widerspruchslos gefolgt war,  auf dem Stuhl platz genommen, ein Glas Wasser vor ihm stand. Kugelschreiber, nebst Papier bereit lagen, Ogrowski seinen Schreibsessel belegt, blickte er seinem Gegenüber ins Gesicht. Hinter dem braun seiner Augen lauerte eine andere grausame Wirklichkeit.

Weshalb haben Sie ihre Frau erschossen?“

Vom Kirchturm wehten Glockenklänge durchs Fenster. Zwölf dumpfe, ehrfürchtige Töne. Geboren aus gegossener Bronze.

„Mitternacht!“ Van Mühlen seufzte. Beinahe als fielen Tonnen von ihm ab. Befreit vom Gewicht eines unerträglichen Lebens. „Es ist Zeit für ...“, begann er. Unterbrach sich jedoch sofort wieder.

Beide schwiegen. Ogrowski schenkte ihm diese Minuten. Gemeinsam horchten sie dem schwächer werdenden Singen der Glocken, bis der letzte dunkle Farbton unhörbar verstarb.

„Warum ich meine Frau tötete kann ich Ihnen sagen. Weshalb ich Hilda heiratete nicht. Vielleicht war es Einsamkeit; vermutlich tat mir Harald leid. So ohne Vater aufzuwachsen. Harald ist mein Stiefsohn.“

Zwischen den Häuserzeilen wehte kein Lüftchen. Eine Gewitterfront trieb Schwüle heran, überfiel die Stadt, jagte Schweiß aus allen Poren. Sommertrockenes Laub lag über dem Asphalt.

„Eine unbeschwerte Zeit begann“, fuhr van Mühlen fort. „Bis ...“ Er schloss kurz seine Augen. „Bis mir ein Licht aufging, dass Hilda ihre Vergangenheit aufleben lassen wollte. Um jeden Preis.“

Mit einem Schlag zog Eiseskälte ins Wachzimmer. Eine Gänsehaut plagte Ogrowski. Ein Atemzug später schien der Spuk nie geschehen.

»Er zwinkert nicht, keine Reaktion, die Lippen sind nur zwei winzige Striche. Er atmet nicht - kaum. Ein menschliches, schwarzes Loch, sitzt vor mir.«

„Ich war nur Mittel zum Zweck.“ Unterbrach er Ogrowskis Gedanken.

„Hilda erzählte Erlebnisse mit ihrem ersten Mann als Gegenwärtiges.“

„Versteh nicht?“ Ogrowski runzelte die Stirn.

„In ihrem Herzen bleibt Hilda mit ihm verheiratet, nicht mit mir. Mein Mann hat dass getan, mein Mann hat dies gesagt, waren ihre Worte. Hildas Augen strahlten jedes Mal.“

Erste Blitze zuckten am Nachthimmel. „Und wer bin ich!"

„Es war an einem Sommertag; wir wollten ans Meer. Da zeigte mir Hilda einen Bikini. „Vor fünfzehn Jahren gekauft." strahlte sie. Heut ist er drei Nummern zu klein. ‚Den Fummel hab ich getragen, als ich noch verheiratet war.‘ rief sie erregt.“

Bindfadenregen hatte eingesetzt. Autos drückten Pfützen auseinander. Öliges Regenwasser traf die Außenwand von Wache elf.

„Tägliche Demütigungen. Nadelstiche ins Herz. Unerträglich. Können Sie erahnen wir so was schmerzt!“

Im Bierkeller gegenüber gerieten Gäste in Streit. Schreien Betrunkener. Frauen kreischten unter Drogeneinfluss. Einzig diese Laute formten Leben für diese Nacht. Schmutziges zwar, jedoch spürbar.

„Hinzu kam ihr Kaufsucht. Es fing harmlos an. Da fünf Euro, dort ein Zehner. Hundert überzogen, Nächsten Monat zweihundert.“

Gläser klirrten aus dem Lokal. Eine Polizeisirene heulte, Blaulicht flackerte davor.

Später lagen Rechnungen zwischen anderen unterlagen versteckt. An einem Weihnachten bekamen wir Besuch. Ihre Einkäufe ähnelten damals einem Rückfall.“

Ein weiteres Polizeifahrzeug fuhr vor. Beamte stürmten die Kneipe. Der Lärm ebbte ab. Kein Kollege betrat Wache elf.

„Mahnbescheide flatterten ins Haus. Teilweise mit meinem Namen. Unsere Bank sperrte alle Kredite, sämtliche Konten. Morgen stellen die Stadtwerke den Strom ab.“

Die Polizei fuhr davon.

„Meine Firma ist pleite, meine Mitarbeiter bekommen keinen Lohn mehr.“

Draußen herrschte Ruhe. Die Lichter des Lokales erloschen.

„Harald fiel ebenfalls diesem Suchtdämon zum Opfer. Anfangs starrte der Junge stundenlang zum Fernseher. Später ersetzten Computerspiele das Leben. Sein Gehirn zog jedes Byte hinein. Gleichgültig wie brutal oder irrsinnig alles aussah.“

Van Mühlen schwieg. Vielleicht um seiner Tat den Hauch eines sinnvollen anzustreichen; vielleicht versucht er das Drama zu begreifen.

„Niemals besuchten ihn Freunde. Kein Mädchen hat ihn geküsst. Dämonische Abhängigkeit zog uns drei hinab ins  Mühlwerk gieriger Wolllust auf Äußerlichkeiten.“

 „Eine Lehrstelle hat Harald ebenfalls nicht. Dafür eine glückliche Mutter. Ihr Sohn vollbrachte keinen Unsinn der zum Jungsein gehört.“

"Drei Süchtige auf engstem Raum. Kaufsucht - Computersucht. Die Sucht nicht allein sein zu können."

„Weshalb drei?“, unterbrach ihn Ogrowski zum ersten Mal.

„... Und zugleich Co-abhängige. Seine Mutter von Harald. Harald von seiner Mutter und ich von Hilda. Sie erkennen diesen Teufelskreis. Dreckstümpel aus Suchtverhalten, Verdrängung gepaart mit Lügen.“

Vom Kirchturm wehten fünf Glockenklänge ins Morgengrauen.

„Gestern Morgen lag eine Postkarte im Briefkasten. Sie sind einer von tausend glücklichen Gewinnern eines Trostpreises.“

Beinahe ein Schuss aus seiner Pistole traf ihn dieses Wort. „Ich wollte kein Trostpreis mehr sein.“

Ogrowski spürte Tränen im Raum. Unendliche Trauer gepaart mit hilfloser Wut stürmte heran.

Das Telefon klingelte.

„Herrmanns hier!“, schnaufte es im Hörer. Wir haben zwei Leichen im Haus van Mühlen gefunden. Ein anonymer Anrufer gab uns einen Tipp.

„Lass mich raten. Seine Frau und der Sohn sind tot.“

„Falsch klang im Hörer. Die Eheleute lagen im Schlafzimmer abgestochen. Der junge Mann saß am PC. Er war's, es ist eindeutig zu beweisen. Das Messer lag unter seinem Schreibtisch. Seine Fingerabdrücke sind überall und mit Blut verschmiert. Der Arzt sagt sie müssen gegen elf Uhr gestorben sein.“

„Unmöglich. Van Mühlen sitzt vor mir. Er hat gestanden.“ Ogrowski blickte zum leeren Stuhl.

„Falsch! Ihr Sohn hat seine Eltern umgebracht. Faselte was von ich muss spielen, Computer wegnehmen.“ Herrmanns schaltete das Handy ab.

Am Tisch klebten winzige Blutflecke.  Vom Messer fehlte jede Spur. Von dem Mann ebenfalls.

Über dem Friedhof spannte die Morgensonne einen Vorhang aus Wärme, Sommerblau mit Frieden. Zwischen den Büschen, Gräsern, auf den Blumen glitzerte Morgentau. Ein Sonnenstrahl streichelte seine Wangen, ruhte einen Moment, wanderte weiter zum Herzen.

Das Grab bedeckte ein Blütenteppich aus Margeriten. Als weißer See mit gelben Augen lag er vor seinen Füßen.

„Van Mühlen hast du mir geschickt.“ schimpfte er zärtlich. „Hab deine Botschaft verstanden.“

Tief sog er den Sommer ein. „Duftet wie Ambrosia. Genau so heißt der Göttertrank im Kreuzworträtsel.“

Eine dunkle Wolke fegte übers Firmament.

„Du hast recht, Mara.“ Liebe verschmolz mit einem zärtlichen Lächeln. Als Ganzheit huschte es um seine Lippen, ruhte in seinen Augen; den Ohren.

„Werd morgen meine Pensionierung einreichen. Versprochen.“ Sonnenstrahlen tanzten fröhlich am Grab. „Genieße dein Leben in dieser Welt.“ Die glockenhelle Stimme seiner Frau berührte ihn. „Verschenke deine Gabe an Menschen in Not.“

Ogrowski spürte ihre Hände seinen Nacken streicheln. Fühlte ihren Atem. Ihre Nähe.

Der Abschied am Totenbett blieb nur eine Episode im gemeinsamen Dasein; beide wussten dies. Keiner wehrte sich gegen das Unabwendbare.„Du hast recht Mara, Wir haben uns. Mein Leben ist als Trostpreis zu wertvoll.“

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Roland
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