Fantasy & Horror
Victorian Age

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"Nicht nur Jack the Ripper hat in dem viktorianischen London sein Unwesen getrieben..."
Veröffentlicht am 06. Dezember 2013, 22 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Nicht nur Jack the Ripper hat in dem viktorianischen London sein Unwesen getrieben...

Victorian Age

In der Music Hall, London, 1860

"In einem See auf einer Insel in einem See auf einer Insel in einem See auf einer Insel", sagte Gerald mit seiner für ihn typisch kehligen Stimme. Er drückte seine Zigarre aus und knallte seinen Becher, nachdem er ihn mit lauten, schnell aufeinanderfolgenden Schlucken leer getrunken hatte (Gluck, Gluck, Gluck), auf den Tisch. Ziehen und gleichzeitig Trinken - das konnte nur Gerald. Dann breitete er theatralisch die Arme aus. "Zum Kuckuck nochmal mit diesem Scheißkerl. Der gibt doch immer so dummes Zeug von sich."

   Jackson gegenüber von ihm lachte,

während er zum Takt der Musik einen Rhythmus auf die Holzplatte klopfte (Da, da da daa dam. Da, da da daa dam). Als der Refrain kam, sang er laut mit. Sein schöner Bariton passte sich gut dem Sopran der jungen Sängerin an, die ihre Stimme auf der Bühne zum Besten gab. Der Bariton passte zu Jacksons Wesen; ein gebildeter, junger Gentleman, der gerne in Gesellschaft und ein Freund für Musik war.

   "Gerald, Gerald", lachte Jackson. Wären junge Damen seines Alters in der Nähe gewesen, hätten sie ihm sicher entzückende Blicke zugeworfen. Gutaussehend und charmant. Und solch ein angenehmes Lachen. "Ich glaube, du

unterschätzt unseren Guten. Nein, du hast eine ganz falsche Vorstellung von ihm. Ha, ich wette, wenn er dich jetzt hören könnte, würde er sagen: 'Nein, nicht ich bin der Kuckuck, Sie sind es, meine verehrten Herren!' "

   "Kuckuck ... See ... Insel", murmelte der dritte junge Mann. Er war in einen Kapuzenmantel gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Doch seine Augen stierten so angestrengt in den Tisch, dass man meinen könnte, er wolle Löcher in diesen hineinbrennen, abwechselnd zu den zischenden einzelnen Wörtern, die er dazwischen ausstieß. (Kokel, murmel, murmel. Kokel, murmel, murmel.)

Nun lallte auch Gerald das Lied mit und die Herren vom Nachbartisch warfen ihnen schon böse Blicke zu. Obwohl raue und ungehobelte Verhaltensweisen in der Music Hall eigentlich Tagesordnung waren, hörte man davon hier, in dem besseren Bereich des Saals, nur wenig. Das waren die Tische der Angesehensten der Angesehensten, die Loge, die Elite der Music Hall.

  "Was haben ein rüder Trunkenbold, ein gutaussehender, reicher junger Gentleman und ein mysteriöser, in einem Umhang gekleideter Mann miteinander zu tun? Und warum haben sie ausgerechnet hier einen Tisch besetzt?", fragte ich mich laut. Ich sprach laut,

wenn ich die Absicht hatte, meine Gedanken zu klären. Es war nur so laut wie ein Murmeln, nicht laut genug für Herrschaften in unmittelbarer Nähe. Gleichzeitig beugte ich mich aus der zwielichtigen Ecke vor, um den mysteriösen Mann im Kapuzenmantel eingehender zu betrachten. Der Mann mit den Flammenaugen -  wenn ich nur näher heran kam, dann könnte ich vielleicht beweisen, dass -

   "Mister."

   Verärgert wandte ich mich von der seltsamen Gesellschaft ab. Ich war so nah dran gewesen! "Ja, Sir?"

   Ich räusperte mich. "Ich meinte ... Ja, Sir?", wiederholte ich, meine Stimmlage

einige Tonlagen tiefer verstellend. Der Mann, der mich angesprochen hatte, war einer der Gentlemen vom Nachbartisch, die sich über den Trunkenbold Gerald erbost hatten. Automatisch schob ich meine Kappe tiefer in die Stirn, um mein verräterisches, langes, blondes Haar darunter zu verbergen. Eben dieser Gentleman, der mich angesprochen hatte, betrachtete eingehend seine Taschenuhr, die an einer silbernen Kette an seiner Weste hing. Er musste jemand anderen gemeint hatten. Aber als er fortfuhr, war kein Zweifel mehr daran, dass er mit mir sprach.

   "Oder sollte ich sagen, Miss." Ich hörte das Lächeln in seiner sanften

Stimme. "Das ist kein Ort für eine Dame. Sie sollten schleunigst verschwinden, Miss." Ohne den Blick von seiner Taschenuhr abzuwenden, zog er ein Messer. Ich erschrak, als ich das von Ornamenten verzierte "J" darauf wiedererkannte.

   "Sie sind einer von uns", flüsterte ich. Ich verstellte meine Stimmlage nicht länger.

    "Und Sie sollten verschwinden."

    "Aber-"

   "20, 19, 18 ..." Er zählte die Sekunden auf seiner Uhr runter.

   "Kuckuck ... Ticktack ...", murmelte der mysteriöse Mann mit dem Kapuzenmantel.

"Die Insel auf'er Seeee ist Großbritannien", lallte Gerald.

   "Ha, Gerald, schauen Sie nur, was Ihre Zigarre im Holz des Tisches hinterlassen hat!" Jackson klopfte sich ausgelassen auf den Schenkel.

   "10, 9, 8 ...", murmelte der Gentleman mit der Taschenuhr mit einer sorgenlosen,  ruhigen Stimme.

   Die drei Männer betrachteten nun allesamt die Brandstelle in dem Holz, die Geralds Zigarre hinterlassen hatte. Ich machte mir nicht die Mühe, das Zeichen eingehender zu betrachten. Ich wusste, dass es ein Druidenstern war.

   "7, 6 ... Miss, bitte. Überlassen Sie die Dämonen mir."

"Ticktack...Uhr..." Die drei grundverschiedenen Männer starrten nicht länger das Zeichen auf dem Tisch an, sondern suchten im Saal nun nach etwas. Besser gesagt, nach jemandem.

   "3, 2, 1 ...Ducken Sie sich." Ich tat wie geheißen, nicht zuletzt, um mein Stiefelmesser zu zücken. Ich hörte ein Surren irgendwo über meinem Kopf und ahnte, dass der Jäger gerade noch rechtzeitig das Messer geworfen hatte, denn genau in diesem Moment sprang der Kuckuck aus der Taschenuhr und verkündete die zwölfte Stunde, Mitternacht. Ich atmete erleichtert auf. Hätte der Jäger im falschen Moment sein Messer geworfen oder den Druidenstern

nicht getroffen, wäre ein Dämon von übernatürlicher Größe und unglaublicher Zerstörungskraft heraufbeschworen worden. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wäre es den drei Männern (oder besser gesagt: Dämonen) gelungen. Gerade wollte ich mein Stiefelmesser wieder einstecken, als ich die unnatürliche Stille, die sich plözlich über den Saal gesenkt hatte, bemerkte. Das Pianoforte und die Sängerin auf der Bühne waren verstummt und das gemütliche Geplauder und Klirren der Teetassen und Gläser erstarrt. Nur der Kuckuck aus der Uhr schlug noch munter die Schläge. Er war bei sechs angelangt. Aller Augen waren an die

Decke geheftet, die zu zittern begann. Die Kronleuchter wackelten. Sie sahen aus, als würden sie im nächsten Moment ihre Diamanten über die Menschenmenge herabregnen lassen. Auch der Boden bebte und als die Gläser und Teetassen in der unnatürlichen Stille zu Splittern zersprangen und sich überall ergossen, ging alles in helle Panik auf. Die Herrschaften schrien und versuchten, so schnell wie möglich aus dem Saal zu gelangen, indem sie sich gegenseitig umrannten. Der Dämonenjäger und ich sahen uns gleichzeitig an. Dann starrte ich auf den Druidenstern in der Mitte des Tisches. Das Messer hatte es nicht getroffen.

Stattdessen steckte es in der Hand des Mannes mit dem Kapuzenmantel, der grausam lächelte und das Messer genüsslich aus seiner Hand zog. Die Wunde verschloss sich. Er hatte es einfach abgefangen!

   Bevor ich irgendetwas tun oder sagen konnte, ergoss sich schwarzer, dicker Dunst aus dem Pentagramm (dem Druidenstern) und verdichtete sich. Der Nebel wirbelte wild um sich selbst, wie ein kleiner Orkan, gefangen an Ort und Stelle. Sollte es irgendwie passieren, dass der Dämon aus dem Druidenstern befreit wurde, würde er Gestalt annehmen und alles in den Tod reißen, was sich ihm in den Weg stellte. Ich

stürzte mich auf Jackson, der im Begriff war, das Pentagramm zu brechen und den Dämon zu befreien. Lachend sprang er auf den nächstbesten Tisch und wich tänzelnd meinem Messer aus. Der andere Dämonenjäger hatte sich indessen auf die restlichen Dämonen gestürzt und versuchte sie nun mit bloßen Händen daran zu hindern, das Pentagramm zu brechen. Ich versuchte,  Jackson zu täuschen, und zielte auf die rechte Flanke, aber schon im nächsten Moment verschwand er auf der Stelle und tauchte am anderen Ende des Saals auf.

   "Jackson! Die braucht dich nicht zu interessieren! ER besitzt diese Uhr", schrie Gerald und Jackson tauchte neben

den Kämpfenden auf. Der Dämonenjäger war schnell. Ohne zu zögern warf er die Uhr in einem Bogen zu mir. Der Kuckuck verschwand in der Uhr, als ich sie fing. Mit einem fast zufrieden klingenden Laut schloss sich die Tür in der Taschenuhr und der Kuckuck verschwand darin. Ohne zu zögern, näherte ich mich dem Tisch und dem Pentagramm, aus dem weiterhin der schwarze Nebel quoll. Die drei anderen Dämonen kämpften in der Zwischenzeit weiter mit Jackson, der es irgendwie geschafft hatte, sein Messer dem Mann mit dem Kapuzenmantel erneut zu entreißen. Gut so. Sollten sie ihn weiter attackieren mit der Gewissheit, er wäre

der Besitzer der Uhr, der Auserwählte; der, der als einziger dazu bemächtigt war, das Portal zur Dämonenwelt zu schließen. Denn das war er nicht.

   Der schwarze Nebel gab einen zischenden Laut von sich, als ich das Pentagramm mit den Worten "Scriptorium propinquus" schloss und er, der unbefestigte Dämon, darin aufgesogen wurde. Ich sah, wie Gerald und Jackson sich auflösten, noch ehe sie den Schwindel bemerkten, den man sich mit ihnen erlaubt hatte. Doch der Vermummte war der einzige der drei, die sich nicht aufgelöst hatten. Wie konnte das sein? Er war doch noch der Unnormale von ihnen gewesen und

ausgerechnet er war der Mensch unter den dreien? War er vielleicht derjenige, der das Spiel mit uns spielte?

   Auf einmal spürte ich etwas Schweres an meinem Hals, etwas, das sich anfühlte wie kalte, unsichtbare  Finger, die meine Kehle zudrückten. Langsam, aber stetig, wurde mir klar, dass ich mich getäuscht hatte: Der Vermummte war kein normaler Mensch. Er hatte seine Kapuze heruntergerissen und betrachtete mich mit diesen feuerartigen Augen so intensiv, dass ich meinen könnte, sein Blick war es, der mir die Luft abschnürte. Er war erstaunlich jung. Seine Stimme verriet, dass er das Mannesalter noch nicht vollständig

erreicht hatte.

"Ich habe Ihr Theater von Anfang an durchschaut", begann er. Undeutlich hörte ich einen Akzent heraus. Ich war bereits zu schwach, um identifizieren zu können, woher dieser Akzent stammte. Der Nebel vor meinen Augen nahm mir die Sicht. War das die Ohnmacht, die mich bereits übermannte? Wie aus weiter Ferne hörte ich die Stimme fortfahren. "Sie spielen wohl gern Theater? Zwei Dämonenjäger zufällig zur gleichen Zeit am selben Ort? Das erschien mir doch sehr unwahrscheinlich. Doch dass einer von ihnen die Kuckucksuhr haben und der andere von ihnen der Kuckuck selbst sein

könnte - das hat unser bescheidenes Glück noch überstiegen. Welche Schande, dass Gerald und Jackson zu erbärmlich waren, um das Glück mit mir zu teilen und dem Kuckuck ein für alle Mal ein Ende zu machen, damit der Schatz auf jener Insel mir gehören wi-"

Soeben hatte eine Messer seine Kehle durchbohrt und ein ekelerregendes Geräusch entwich seinem Hals (Krrick..Krrrick...), als er an seinem eigenen Blut erstickte. Kraftlos ließ ich mich an der Wand sinken und rieb mir dort den Hals, wo mich die kalten Finger vor einen wenigen ekelerregenden Sekunden noch gepackt hatten.

"Eins verstehe ich nicht", der andere Dämonenjäger hatte sich zu mir gesellt und mit einem angewiderten, verständnislos schüttelnden Kopf das Messer aus eben jenem Hals herausgezogen."Ich hatte lange angenommen, es gelte als Klischee, dass Dämonen viel reden und ihre gesamten Teufelspläne verraten haben, wenn man sie im nächsten Moment abmeuchelt. So viel Dummheit in einem Kopf - ein Wunder, dass dieser Dämon nicht schon längst an seinen ergrauten Zellen verstorben ist."

Fast lässig stellte er einen Fuß auf den Leichnam, während er seine Finger betrachtete, als wären sie besonders

bemerkenswerte Objekte, die eingehend studiert werden mussten.

"Sie meinen also, das ist ein Dämon gewesen?"

Ohne mich anzuschauen, wies er mit einem Nicken in die Richtung des Leichnams, der sich unter sienem Fuß auflöste.

"Es muss ja schließlich einen gegeben haben, der die beiden anderen Dämonen heraufbeschoren hat. Einem folgen immer die nächsten."

"Und sie kennen mich wirlich nicht?"

"Meine junge Dame! Ich habe Sie noch nie zuvor gesehen, aber von dem Kuckuck schon vieles gehört." Er machte eine kurze Verbeugung und

berührte seinen Zylinder, dann wandte er sich, ohne weiter von ihr Notiz zu nehmen, dem Ausgang zu.

"Moment! Warten Sie!" Geschwind bahnte ich mir einen Weg durch den Raum, versuchte es zumindest, schaffte es aber nicht annähernd so elegant wie er, da überall Scherben und zerbrochene Stühle zerstreut lagen.

"Sie...die Kuckucksuhr gehört Ihnen."

"Aber zu ihr gehört der Kuckuck." Er drehte sich nicht zu mir um, doch ich hörte das unterdrückte Lächeln in seiner Stimme und eine ungesagte Einladung. Zusammen verließen wir die zerstörte Music Hall und machten uns auf, zu weiteren Abenteuern.

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ElisabethBlack

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Gaenseblume Spannend zu lesen. LG Marina Gaenseblume
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swiftie Echt spannend geschrieben! LG Kathi
Vor langer Zeit - Antworten
Caliope Hat auch mir gut gefallen. Sehr gut.
LG
Birgit
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ElisabethBlack auch dir vielen dank fr den favoriten, den kommi und den coins.
Wir lesen uns dann wohl ;)
E.B
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter sehr schön
lg
E:W
Vor langer Zeit - Antworten
ElisabethBlack Vielen Dank :)
LG
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