Kurzgeschichte
Der Raddampfer in Eberbach

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"Der Raddampfer in Eberbach"
Veröffentlicht am 29. Juli 2013, 4 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Der Raddampfer in Eberbach

Der Raddampfer in Eberbach

Einleitung

Der Neckar ist ein schweigsamer Freund

Das Rad lehnte an einer Lampe auf dem Kai. Einen Steinwurf weiter hatte sich eine männliche Leiche zwischen der „MS Stefan“, einem alten Frachter und der Kaimauer verfangen. Etwas weiter lag die „MS RheinRad“, ein auf Fluss- und Radkreuzfahrten spezialisiertes Passagierschiff. Die Gäste befuhren mit dem Schiff die Flüsse, erkundeten die Sehenswürdigkeiten per Rad.

Eine Leiche ist keine Sehenswürdigkeit, dachte Hösch, Kommissar der Kriminalpolizei-Außenstelle Eberbach. Spaziergänger entdeckten sie am Kai. Der Tote war geborgen, Spuren zu sichern eher schwierig. Der Neckar ist ein schweigsamer Freund, behält ihm anvertraute Geheimnisse für sich. Der „stumpfe Gegenstand“, der laut Arzt den Kopf seitlich getroffen hatte, war nicht aufgetaucht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Auch die angeforderten Taucher werden ihn nicht finden. Nicht an der steil abfallenden Kaimauer mit ihrer starken Strömung.

Ter Steerke, der Zahlmeister der „MS RheinRad“, war schnell zur Stelle und erkannte das Rad. Gut, dachte Hösch, dazu muss man eigentlich nur lesen können. Steht doch groß und breit auf dem Rahmen. Interessant aber, dass Steerke in dem Toten einen seiner Gäste erkannte. Das Schwierigste stand jetzt bevor. Hösch hatte die undankbarste aller Aufgaben eines Kripobeamten: er musste Bentje Aelst die Nachricht vom Tod ihres Mannes Ari überbringen.

Hösch wartete an der Rezeption der „RheinRad“. Ein Rad-Dampfer, dachte er schmunzelnd beim Blättern in ausliegenden Reisebroschüren. Steerke führte Frau Ahlest, eine adrette Mittfünfzigerin an Bord. Sie trug sportliche Kleidung, bequem zum Radfahren. Hösch stellte sich vor und überbrachte die schlimme Nachricht. Mehr zu sich selbst murmelte sie: „Ich habe es geahnt, ich habe es geahnt.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Der Augenblick, den Hösch so sehr fürchtete und so sehr hasste.

„Was haben sie geahnt?“ fragte Hösch.

„Dass das nicht gut ausgehen kann. Nein!“

„Was konnte nicht gut ausgehen?“

„Ich erzähle Ihnen die Geschichte von Anfang an. Geben Sie mir nur etwas Zeit.“

„Das Schiff legt morgen ab. Sie müssen dann nachfahren.“

„Ich werde nicht weiter mitfahren. Bitte bringen Sie mich in ein Hotel. Morgen erzähle ich Ihnen die Geschichte. Aber bitte nicht jetzt“.

Mit dem Handy bestellte Hösch ein Zimmer im Hecht, eine der ersten Adressen. Er verabredete sich mit Frau Aelst für den nächsten Morgen.

Ungewöhnliches Vorgehen, würde sein Chef sagen. Da aber die Identität des Toten feststand, die Ehefrau einiges zu wissen schien, konnte er es verantworten.

 

 

Nochmals zum Fundort, der vielleicht auch der Tatort ist, ihn auf sich wirken lässt, beschloss  Hösch. Am Führerstand der „Stefan“ stand Jo. Joseph Altmeier, Sohn des kürzlich verstorbenen Reeders Alfred Altmeier. Altmeier gehörten drei weitere Frachtschiffe und einige ansehnliche Grundstücke in der Stadt. Hösch kannte Jo aus seiner Stammkneipe. „Hallo Jo, normalerweise bist Du um diese Zeit bei Sonja“.

„Ja, schon. Deine Kollegen riefen mich. An meinem Kahn wurde ein Toter gefunden. Gerade jetzt, wo das Ganze verkauft werden soll“.

„Dein Vater ist keine zwei Monate unter der Erde und alles kommt weg?“

„Ja. Die Kähne gehen nach Holland. Ist hier nichts mit zu verdienen. Und ich habe eh nichts mit Wasser am Hut.“

„Nur wenn es gebrannt ist“, lachte Hösch

„Kommst Du heute Abend zu Sonja?“

„Werden wir sehen.“

Zufälle gibt’s! Nein, es gibt keine Zufälle. Der Tote aus Holland, die Kähne gehen nach Holland. Da klingelte etwas bei Hösch.

Jo sprang auf den Kai. „Sag mal“ fragte Hösch, „war Dein Vater nicht viel nach Holland unterwegs?“

„Ja, bis Mitte der 70ger. Dann lohnte das nicht mehr. Er verlor den Auftrag oder was weiß ich. Hat mich nie interessiert. Jedenfalls fuhr er ab da Rheinkies den Neckar hoch. Ab und an auch mal was anderes. Längere Reisen ließ er seine drei Kapitäne mit den anderen Kähnen machen.“

 

Am nächsten Morgen war Hösch früh im Hecht. Frau Aelst wartete bereits am Empfang. Sie sah sehr schlecht aus.

„Kommen Sie, gehen wir ein paar Schritte.“ Sie verließen das Hotel, gingen planlos durch die verwinkelten Gässchen der Altstadt. Um diese Zeit war kaum jemand unterwegs. Zu früh für Touristen.

Nach einer Weile begann sie zu sprechen. „Ari liebte das. Die malerischen Städtchen an den Flüssen, früh morgens, wenn noch keiner unterwegs war. Wir unternahmen viele Binnenschiffreisen. Dieses Jahr erstmals mit Rädern. Eine ideale Kombination, meinte Ari. Man kann mehr entdecken, sieht mehr von Land und Leuten.“

„Sie wollten mir von gestern erzählen.“, unterbrach Hösch.

„Ja, entschuldigen Sie. Vorgestern legten wir in Eberbach an. Ari hatte Rückenschmerzen. Er vertrug die zu weichen Matratzen nicht. Während die Gruppe zum Schloss Zwingenberg radelte, sahen wir uns die Altstadt an. Am Alten Markt tranken wir Kaffee. Gegenüber ist das historische Rathaus mit dem Museum. Wir hatten ja genügend Zeit. Die beiden Zimmer der Schifffahrtabteilung hatte es Ari angetan. Wenn er Schiffe sieht, gibt - …. gab es um ihn herum nichts anderes mehr. Ich sah mich weiter im Museum um. Da Ari nicht nachkam, ging ich zurück. Er saß auf einem Stuhl, den Blick in eine Vitrine. ‚Das‘, stotterte er, ‚das ist mein Vater‘. Seine Eltern waren nicht verheiratet. Sein Vater kam immer nur auf ein paar Tage, war dann wieder Wochen weg. 1974 kam Aris Mutter bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Seinen Vater hatte er nie wieder gesehen. Ari war damals 14. Er lebte danach bei der Schwester der Mutter. Sie wusste allerdings auch nichts über Aris Vater. Ari hatte nichts mehr von ihm gehört. Ein Foto war die einzige Erinnerung, einen Schnappschuss auf dem Kahn. Es steht zuhause in einem Rahmen. Dann entdeckte er ihn vorgestern hier im Museum.“

„Zeigen Sie mir bitte das Bild“, unterbrach Hösch ihre Gedanken.

Das Museum hatte geschlossen, allerdings war Liesl, die gute Seele der ehrenamtlichen Einrichtung, schon am Werkeln. „Heute komme ich offiziell. Gehört zu einer Untersuchung“, begrüßte er Liesl.

„Ach, Du darfst sogar mitten in der Nacht ins Museum.“, lächelte sie ihn an.

Frau Aelst zeigte Hösch das Bild. Ein 20 Jahre altes Foto, aufgenommen zur Museumseröffnung. Die Honoratioren der Stadt und Gönner des Museums standen auf der „Stefan“, der alte Altmeier, wie er genannt wurde, lehnte am Führerhaus. Wie Jo gestern Abend. „Das ist er. Das ist Aris Vater“.

„Ja“, brachte sich Liesl ins Gespräch ein. „Ein Mann, ein Holländer, sicher Ihr Mann, war kurz vorm Schließen nochmals da und fragte nach dem Foto. Wer Altmeier sei, wo er wohne. Ich berichtete, dass er vor zwei Monaten gestorben war, dass jetzt alles seinem Sohn gehöre.“

„Liesl, sagtest Du auch, was ‚alles‘ ist?“ fragte Hösch.

„Ja sicher. Der alte Altmeier war doch vermögend. Der hatte es zu was gebracht. Geld verdient mit Hollandfahrten und genau dann aufgehört, als es nichts mehr zu verdienen gab. Schlau war der schon. So ganz anders eben als sein Sohn.“

„Am Abend“, fuhr Frau Aelst fort, „nach dem Essen nahm sich Ari eines der Räder. Er wollte nochmals in die Stadt. Warum, sagte er nicht. Ich kenne das bei ihm. Da muss man ihn in Ruhe lassen. Er kam zurück, ging auf das Oberdeck, telefonierte viel. Er sprach mit mir nicht darüber. Ganz der Geheimniskrämer. Aber er schlief sehr unruhig. Als ich aufwachte, war er schon angezogen. Er müsse vor dem Frühstück nochmals in die Stadt. Das war das letzte, was ich von ihm sah“. Frau Aelst schluchzte. Liesl legte ihren Arm tröstend um sie.

„Geh schon“, sagte Liesl zu Hösch, „ich mach das.“

 

Hösch zählt die Fakten auf: Altmeier hatte in Holland einen Sohn, Ari Aelst. Die Mutter sprach nicht vom Vater, der nur alle paar Wochen kam. Als sie stirbt, bleibt der Vater ganz weg. Aelst kommt zur Tante. Mehr als 35 Jahre später erkennt er seinen Vater auf einem Foto wieder, kennt nun seinen Namen. Und er telefoniert – halt, wo ist das Handy?

„Frau Aelst!“ er lief zurück, zwei Räume weiter, wo die beiden Frauen in einer Ecke saßen. „Frau Aelst, wir haben kein Handy gefunden. Aber Sie sagten, Ari hätte telefoniert.“

„Ja, sein Handy vergisst er gerne. So auch gestern Morgen. Es lag noch auf dem Schreibtisch in der Kabine.“

„Wo ist es jetzt?“

„Hier, in meiner Handtasche. Ich hatte es eingesteckt, weil ich dachte, wir sehen uns in der Stadt. Er rief mich dann immer vom Festnetz aus an.“

Hösch entriegelte das Telefon mit der *-Taste und öffnete den Speicher für gewählte Nummern, aktivierte die letzte.

„Altmeier“.

„Jo, bist Du das?“.

„Ja, warum rufst Du mich zuhause an?“

„Jo, ich muss mal vorbei kommen.“

„Geht nicht, ich bin auf dem Sprung nach Heidelberg. Muss mein Erbe festmachen. Heute ist der Tag, an dem alles endgültig geregelt wird. Alles gehört mir. Mir alleine. Die Kähne werden zu Kohle gemacht, von den Häusern brauche ich auch nur eins. Erst mal eine Weltreise. Für den Rest meiner Tage habe ich ausgesorgt. Heute Abend gebe ich bei Sonja einen aus.“

„Jo, bleib zuhause. Ich bin in ein paar Minuten drüben.“

Hösch wusste, Jo wird heute Abend keinen ausgeben. Die Weltreise wird auch nicht stattfinden. Ausgesorgt, dass schon. Zumindest für die nächsten 15 Jahre.

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mrhetzel

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Gaenseblume Nette Geschichte,viele wollen hier ja lesen und keine Bilderbücher anschauen,nur meine Meinung. LG Marina Gaenseblume
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JaneHamilton Raddampfer - Hallo,
habe gerade Deine Story gelesen. Ich bin davon überzeugt, dass Du da noch mehr rausholen kannst. Vielleicht mit ein paar Bildern die für mehr Spannung sorgen. Ansonsten interessante Geschichte.
Beste Grüße
JH
Vor langer Zeit - Antworten
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