Wind
Eigentlich wollte ich zu dieser späten Stunde nicht mehr vor die Tür gehen, aber die permanente Schreibtischarbeit hat meine Bandscheiben so zusammenquetschen lassen, dass ich jetzt wohl einen halben Kopf kleiner bin als heute morgen.
Es war schon nach Mitternacht und eigentlich schien es draußen richtig ungemütlich zu sein, denn es gibt bestimmt etwas kuscheligeres als einen scharfen Wind Mitte Februar.
Die ersten Schritte auf dem Bürgersteig rissen mich aber abrupt aus meinen trüben Seminarbeitsgedanken, denn irgendetwas stimmte hier nicht. Es war warm, warm wie im Spätfrühling und der milde Wind streichelte wohlig meine Ohren. Es war beinahe so lau wie man es sich von einer Sommernacht vorstellt und in mir kamen die seltsamsten Gedanken hoch. In meinem Hirn war es wieder Sommer: Sommer 2006, Sommer 1999, und Sommer 1989, als ich das erste Mal mit meinen Freunden weiter weg zum Zelten war. Wir hatten alle gerade erst seit kurzer Zeit unsere Mofas, und die neu gewonnene Mobilität erweiterte unsere Welt ins Unendliche. Auch wenn wir nur 80 Kilometer von unserer Haustür weg waren, so schien es doch als würden wir fremde Länder bereisen, denn eigenständig waren wir nie weiter weg, als die par Kilometer gekommen, die unsere Fahrräder, gepaart mit einem Stück Bequemlichkeit, erlaubt hatten. Wir fühlten uns wie richtige Männer, die ihr eigenes Ding machten, und zum richtigen Männerglück gehörten auch die Frauen. Saskia hieß der süße Vogel von der Mädchengruppe nebenan, der mir am 3. Abend in die Arme flog. Auch wenn es verboten war auf Mofas weitere Personen zu befördern, kutschierte ich sie als meinen klammernden Sozius durch die Gegend.
So auch am letzten Abend. Berauscht von einigen Dosen lauwarmen Biers und unseren wie junge Pferde galoppierenden Hormondrüsen, schlichen wir uns von den anderen weg und fuhren in die Nacht hinaus. Wie jetzt auf dem Bürgersteig wehte mir damals der warme Wind sanft durch Haare. Ich halte inne, umarme mich selbst und denke an Saskias schlanke, weichen Arme, die sie damals dort liegen hatte. In meinen Gedanken taste ich nach ihrem zarten Mädchenkörper, aber finde ihn nicht. Ich fühle nur den Wind wie er jetzt stärker weht, und kälter. Es ist Zeit wieder rein zu gehen.