Science Fiction
Sonnensturm (5) - Unverhofftes Wiedersehen

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"Sonnensturm (5) - Unverhofftes Wiedersehen "
Veröffentlicht am 28. Juni 2013, 44 Seiten
Kategorie Science Fiction
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Über den Autor:

Ich ...bin Österreicherin ...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte ...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist ...lese quer durch viele Genres ...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken
Sonnensturm (5) - Unverhofftes Wiedersehen

Sonnensturm (5) - Unverhofftes Wiedersehen

Beschreibung

Im Jahr 2212 entdeckt der Linguist Sim Frenkler den Zugang zu einem Depot, das weit fortgeschrittene Technologien enthält und das sich in einem Höhlensystem unter der Grazer Altstadt befindet. Sim, ein Angestellter der Firma Solera & Co, arbeitet für extraterrestrische Auftraggeber, die vor etwa 100 Jahren auf die Erde kamen und seitdem nach diesem Depot suchen, um die darin enthaltenen Maschinen und Baupläne für sich zu beanspruchen. Während seiner Arbeiten stößt der Linguist allerdings auf Daten, die offensichtlich nicht wohlgesonnene Einstellungen der Soleraner den Menschen gegenüber offenbaren. So setzt Sim mit den wenigen, nicht von den Soleranern beeinflussten Staaten alles daran, dieses Depot vor jenen zu finden und die darin enthaltenen Gerätschaften vor ihnen in Sicherheit zu bringen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist er bereit alles zu tun, selbst wenn es bedeutet, seine eigenen Freunde zu verraten.

Kapitel 5 - Unverhofftes Wiedersehen

Warmes Sonnenlicht flutete zwischen soeben weiter gezogenen Wolken hervor und spiegelte sich auf der Wasseroberfläche der Mur, deren beruhigendes Rauschen im allgemeinen Lärm der Stadt fast unterging.

Versunken in Gedanken hockte eine junge Frau mit verfilztem schwarzem Haar und trüb vor sich hin starrenden dunklen Augen auf einer Bank und schien rings um sich herum nichts wahr zu nehmen; weder die Tauben, die sie mit fragend schief gelegten Köpfen aus vermeintlich sicherer Entfernung musterten, noch die Menschen, die auf Fahrrädern, Rollschuhen oder auch einfach zu Fuß an ihr vorbeihuschten. Alle ihre Sinne waren nach innen gekehrt, wie so oft an solchen Tagen, die geradezu zum Trübsal blasen einluden.

Wirre Gedanken gingen ihr durch den Kopf, Gedanken, die nur selten länger als wenige Sekunden Bestand hatten, die allesamt trübe waren und ohne Zukunft.

Rings um sie herum herrschte reges Treiben. Menschen kamen, gingen, verharrten kurz, um dann weiter zu hasten.

Aus keinem bestimmten Grund erregte eine kleine Gruppe von fünf Personen ihre Aufmerksamkeit. Eine von ihnen war eine Frau und sie sah merkwürdig aus, irgendwie orientalisch mit ihrem langen, glatten, schwarz schimmernden Haar und den mandelförmigen dunklen Augen, die sie für einen kurzen Augenblick sehen konnte. Außerdem war diese Frau eher klein und sie bewegte sich als sei sie es nicht gewohnt, durch solch überfüllte Straßen zu manövrieren.

Zwei der Männer trugen trotz der herrschenden Hitze lange Hosen, langärmlige dunkle Hemden, Sonnenbrillen und Schildkappen, während die anderen beiden – der eine groß, mit aufrechtem Gang und dunklem Haar, der andere etwas kleiner und offensichtlich angespannt - kurze Hosen und einfache T-Shirts  trugen. An sich also nichts Ungewöhnliches und doch riss gerade dieser Anblick die junge Frau aus ihrer Lethargie, veranlasste sie sogar dazu, sich zu erheben. Sie ließ die fünf nicht aus den Augen, während diese von der Brücke aus, über die sie gekommen waren, den Weg in die Altstadt einschlugen. Als sie aus ihrem Blickfeld zu verschwinden drohten, folgte sie ihnen mit langsamen, zögernden Schritten.

Eine Erinnerung schrie in ihr auf, eine längst vergessen geglaubte, bruchstückhafte Erinnerung, die ihr plötzlich Tränen in die Augen trieb.

Zusätzlich wurde der Drang, dieser Gruppe zu folgen, noch stärker, wurde fast übermächtig. Rücksichtslos kämpfte sie sich durch die Scharen von Touristen, Einheimischen und Studenten. Sie durfte die fünf nicht aus den Augen verlieren, musste ihnen auf den Fersen bleiben und sei es nur, um dem Ängstlichen ein einziges Mal aus der Nähe ins Gesicht blicken zu können.

 

*

 

Mit zitternder Hand strich Sim sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und warf einen beunruhigten Blick über die Schulter. Die ganze Sache gefiel ihm nicht. So wie sie aussahen, musste ihre Gruppe geradezu zwingend Aufmerksamkeit erregen. Schon allein die beiden Soleraner mit ihren Sonnenbrillen und den Kopfbedeckungen stachen aus der Menge hervor und auch Duya Nyamsuren, eine mongolische Geologin, deren Unterstützung sie Kinski zu verdanken hatten, war kein alltäglicher Anblick in den Gassen von Graz.

Der ursprüngliche Plan des russischen Generals war es gewesen, getrennt bis ins Stadtzentrum vorzudringen und sich erst in unmittelbarer Nähe, wenn nicht sogar erst im Inneren von Solera & Co. zu vereinen. Dagegen Einspruch erhoben hatten lediglich die Soleraner, deren Stimmen nun mal mehr Gewicht hatten, da das ganze Vorgehen auf deren Mist gewachsen war. So bewegten sie sich also zu fünft durch die Straßen und hielten erst an, als vor ihnen bereits der Hauptplatz erkennbar war. 

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee war“, sprach Sim seine Zweifel laut aus, während er versuchte, sich möglichst unauffällig zu verhalten, was er noch nie besonders gut gekonnt hatte.

„Es gibt jetzt kein zurück mehr“, erwiderte Gris, den der Linguist von der Erde nur aufgrund seiner Stimme von Calviro unterscheiden konnte.  „Das ist unsere einzige Chance. Wenn es uns heute nicht gelingt, so schaffen wir es nie.“

„Wir haben ja lange genug gewartet“, brummte daraufhin der Russe, der alles andere als erfreut darüber gewesen war, als Sim, den er bereits für tot gehalten hatte, in Begleitung zweier Soleraner auf die Grenze zumarschiert gekommen war. Noch weniger hatte ihm deren Plan zugesagt, der ihn zu mehr als einjährigem Stillhalten und Nichtstun gezwungen hatte, was er ihnen selbst nach den dreizehneinhalb verstrichenen Monaten noch nicht verziehen hatte.

„Dies ist der einzig richtige Zeitpunkt“, wandte Gris sich an Kinski, der dies mit einem verächtlichen Schnauben zur Kenntnis nahm.

„Worauf warten wir dann noch?“, fragte da die Mongolin, die insgeheim auf Kinskis Seite stand und den Soleranern gegenüber eher misstrauisch eingestellt war, wenngleich sie sich darum bemühte, sich ihre Abneigung nicht all zu deutlich anmerken zu lassen.

„Vielleicht sollte unser Sprachwissenschaftler doch vorerst allein gehen“, meinte Kinski und lehnte sich gegen eine Hauswand. „Wenn wir alle zugleich das Gebäude stürmen, wird das zweifellos auffallen.“ Dabei warf er den Soleranern einen fragenden Blick zu, doch Gris ließ sich zu keiner Antwort herab, sondern schüttelte nur den Kopf. Dann spähte er noch einmal um die Ecke und setzte sich entschlossen in Bewegung.

Seufzend und die Augen verdrehend folgte auch Kinski.

Mit jedem Schritt, den Sim machte, wuchs das ungute Gefühl in ihm und andauernd ging ihm der Gedanke durch den Kopf, dass sie einen Fehler begingen, einen schwerwiegenden Fehler, doch, obwohl in seinen Augen dieses ganze Unternehmen größenwahnsinnig war, so musste er sich doch eingestehen, dass Gris und die anderen Soleraner durchaus gekonnt vorgingen, als hätten sie so etwas schon öfter gemacht.  

Sie hatten bereits den halben Platz überquert, als Gris plötzlich innehielt und den Kopf hob, als halte er nach etwas Ausschau, das ihnen von oben gefährlich werden könnte. Auch Sim schaute nun gen Himmel, konnte allerdings nichts Bedrohliches entdecken.

„Schnell, hier her!“ Hastig drängte der Soleraner die anderen in den Schatten eines großen Gebäudes zurück, ohne dabei den Himmel aus den Augen zu lassen. Stirnrunzelnd folgte Sim seinem Blick, doch er konnte immer noch nichts erkennen. Gerade setzte er dazu an, eine dementsprechende Frage zu stellen, als das charakteristische Rattern eines Hubschraubers an seine Ohren drang. Sofort spannten sich alle seine Muskeln an und unwillkürlich stellte er seine Atmung ein.

Wie eine schwarze Libelle setzte das Fluggerät über sie hinweg und war im nächsten Augenblick verschwunden.

„Waren das Soleraner?“, fragte Kinski, der immer noch an die Stelle starrte, an der der Hubschrauber aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.

„Möglicherweise“, erklärte Gris und setzte sich wieder in Bewegung, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die übrigen Passanten nicht zu viel Interesse an ihrer kleinen Gruppe zeigten.

„Hatten Sie nicht gesagt, genau heute, an eben diesem Tag würden wir hier keine Soleraner antreffen? Ist nicht das der Grund, aus dem wir so lange warten mussten?“ Kinski wurde sichtlich ungehalten, doch auch das beeindruckte den Soleraner nicht.

„Es wäre dumm von ihnen, nicht zur Sicherheit zumindest ein, zwei Bewacher zurückzulassen.“

„Und wenn es mehr sind, als nur zwei?“

„Es werden nicht mehr sein.“

Der Russe sah ein, dass es sinnlos war, weiter darüber zu diskutieren und setzte eine zornige Miene auf.

So erreichten sie schweigend den Eingang von Solera & Co, wo sich die Glastüren völlig lautlos von selbst öffneten. Angenehme Kühle umfing sie, als sie eintraten und eine fast bedrückende Stille, die ihnen nach dem Stimmengewirr auf den Straßen unnatürlich laut vorkam, drang an ihre Ohren.

Obwohl Sim alles daran setzte, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten, konnte er nur flach atmen und immer wieder strich er sich das schwarz gefärbte Haar mit zittrigen Händen aus dem Gesicht. Erst als ihm einer der anderen einen leichten Stoß in den Rücken versetzte, ging er weiter.

Hastig bemühte er sich um einen möglichst neutral wirkenden Gesichtsausdruck und als er am zweifach mit Frauen besetzten Schalter vorbei schritt, nickte er diesen, wie er hoffte, freundlich, zu. Die anderen folgten seinem Beispiel und so gelangten sie unter den neugierigen Blicken der Empfangsdamen zum Fahrstuhl.

„Die erste Hürde wäre geschafft“, meinte Kinski, nachdem die Türen sich hinter ihnen geschlossen hatten.

„Gegen das, was uns noch bevorsteht, war das hier gar nichts“, gab Sim mit leicht bebender Stimme zurück. „Kompliziert wird es erst, wenn sich diese Türen wieder öffnen. Ich kann nur hoffen, dass Chris unsere Geschichte glaubt. Ansonsten können wir uns gleich unser eigenes Grab schaufeln. Wenn er uns nicht hilft, haben wir keine reale Chance.“

„Und du bist wirklich absolut sicher, dass wir ihn einweihen müssen?“, fragte Gris nicht zum ersten Mal. „Je mehr von der Sache wissen, desto größer wird die Gefahr, dass jemand etwas ausplaudert.“

„Chris ist für die Sicherheit in den unteren Ebenen verantwortlich. Ohne seine Unterstützung können wir genauso gut einfach eine Scheibe einschlagen und auf unsere Verhaftung warten. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viele Sicherheitsvorkehrungen es da unten gibt.“

„Oh, ich habe da eine ziemlich genaue Vorstellung, glauben Sie mir“, erklärte Kinski und spielte damit auf die Informanten an, die seine Organisation angeworben hatte.

Mit einem leichten, fast unmerklichen Ruck kam der Aufzug zum Stehen. Eine Welle der Angst durchflutete Sim, doch als die Türen sich öffneten, erwartete sie weder der betriebsinterne Sicherheitsdienst, noch wütende Soleraner. Einzig das unverkennbare Geräusch von arbeitenden Menschen und das stetige Klicken und Rauschen der Faxgeräte, Drucker und vor allem der Kaffeemaschine erfüllte die Luft. Eilig verließen die vier den Fahrstuhl und mit rasendem Herzen löste Sim sich von der Gruppe, um nach seinem langjährigen Freund Ausschau zu halten, der als einer von vielen für die Sicherheit in den unteren Ebenen zuständig war. Vor Anspannung knetete er seine Hände, die leicht zitterten. Er war sich sicher, dass ihm die Nervosität regelrecht anzusehen sein musste, doch anstatt, wie er es gerne getan hätte, einfach zurückzulaufen und sich irgendwo zu verkriechen, bis dieser ganze Schwachsinn vorbei war, ging er schnurstracks weiter und hielt erst an, als er beinahe mit jemandem zusammenstieß, der ihn mürrisch mit einigen halbgemurmelten Schimpfwörtern bedachte, während er sich an ihm vorbeidrängte. Ob dieses kleinen Zwischenfalls rauschte noch mehr Adrenalin durch Sims Körper, sodass es in seinen Ohren so laut klingelte, dass alle anderen Geräusche, die ihn umgaben, in den Hintergrund rückten.

Einen Moment lang überlegte er, einfach umzukehren, dieses ganze Unterfangen sausen zu lassen. Er war kein Held, hatte noch nie einer sein wollen. All das war doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.

Bevor er seine Gedanken jedoch in die Tat umsetzen konnte, wurde er von einer nicht unbekannten Stimme angesprochen, von einer starken Hand grob gepackt und in eine abgelegene Ecke gezerrt.

„Was in Dreiteufelsnamen machst du hier? Hast du jetzt endgültig den Verstand verloren?“

Wortlos starrte Sim den Freund an, dessen Gesichtszüge eindeutig auf türkische Abstammung hinwiesen, wenngleich dies seiner Aussprache in keinster Weise anzumerken war. Chris, der eigentlich Christopherus hieß, diesen Namen jedoch nicht ausstehen konnte, war noch nie so wütend gewesen wie in diesem Moment. Jedenfalls hatte Sim ihn noch nie so erlebt. Die Stirn des Freundes war stark gerunzelt, seine Lippen fest zusammengepresst und seine dunklen Augen wirkten wässrig, was am ehesten seiner Erregung Ausdruck verlieh.

„Wie kannst du es wagen hier aufzutauchen, nach alldem, was du angerichtet hast?“

Es dauerte noch eine Weile bis Sim seine Stimme wiedergefunden hatte.

„Ich…Chris, ich muss wissen, ob ich dir vertrauen kann.“ 

Bevor der andere etwas sagen konnte, hob er die Hand und stoppte ihn.

„Vergiss es. Vertraust du mir, Chris?“

Sein Gegenüber zögerte einen Moment, wobei seine Augenbrauen langsam nach oben wanderten, was Sim nicht ganz verstehen konnte.

„Du hast sie hierher gebracht?“, flüsterte Chris ungläubig. „Du…seit wann hast du so viel Mumm in den Knochen? Ist dir eigentlich klar, was die mit dir anstellen, wenn sie dich erwischen?“

„Genau aus diesem Grund brauche ich ja deine Hilfe.“

Der Freund starrte ihn nur weiter ungläubig an.

„Weißt du eigentlich, was die uns über dich erzählt haben?“

Als Sim den Kopf schüttelte, fuhr er fort. „Sie sagen du hättest mit äußerst gewaltbereiten, soleranischen Separatisten verhandelt und ihnen Waffen und Versorgung zukommen lassen. Auf dich ist ein Kopfgeld ausgesetzt. Wenn die dich finden, landest du im Knast.“

„Über eine Gefängnisstrafe könnte ich mich wahrscheinlich noch freuen“, schnaubte Sim. „Ich bin tot, wenn die erfahren, wo ich mich aufhalte. Aber ich habe nicht genug Zeit, um dir das alles zu erklären. Ich brauche dich, Chris. Ich brauche dich wirklich. Wir brauchen dich.“

Zweifelnd sah der andere ihn an. „Ich kann nicht, Sim. Ich habe Familie. Meine Tochter ist gerade erst vier geworden. Wenn ich dir helfe, riskiere ich vielleicht, meinen Job zu verlieren, auf den ich nun mal angewiesen bin.“

„Wenn du mir hilfst“, erklärte Sim mit ruhiger Stimme, „riskierst du nicht nur deinen Job, sondern vielleicht sogar dein Leben. Möglicherweise auch das deiner Tochter oder deiner Frau, aber glaub mir, ich würde dich niemals darum bitten, wenn ich nicht absolut der Überzeugung wäre, dass es nicht anders geht. Wenn du mir nicht hilfst, Chris, dann schaffe ich es nicht. Und wenn ich es nicht schaffe, wird es auch keine Zukunft für deine Familie geben. Ich kann dich nicht vollkommen in das einweihen, was ich herausgefunden habe, aber du musst mir einfach glauben, dass SOLERA & Co. etwas im Schilde führen, das uns allen schaden wird, wenn wir sie nicht aufhalten.“  

Der Freund musterte ihn, fast so, als wolle er herausfinden, ob er gerade angelogen wurde oder nicht. Dann hob er eine Hand an den Kopf, als hätte er Schmerzen und schloss die Augen. „Ich weiß nicht, Sim. Ich meine, seit ich dich kenne, hast du mich noch niemals belogen…jedenfalls nicht ernsthaft. Ich wüsste nicht, weshalb dies jetzt der Fall sein sollte, aber ich kann einfach nicht glauben, dass die Firma, für die ich jetzt schon über ein Jahr arbeite, unser Feind sein soll.“

„Glauben Sie es lieber“, mischte sich da plötzlich eine Stimme ein, die Chris erschrocken auffahren ließ. Unbemerkt von den beiden, hatte sich Gris zu ihnen gesellt. Er legte Sim eine Hand auf die Schulter. „Ihr Freund erzählt Ihnen die Wahrheit. Wenn sie uns nicht helfen, wird Ihre Art nicht mehr lange Bestand haben. Ihre Tochter wird, wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten einfach zugrunde gehen. Wollen Sie das etwa? Wollen Sie dafür verantwortlich sein?“

Auf dem Gesicht des Freundes zeichnete sich Entsetzen ab und doch meinte er: „Ich kenne Sie nicht. Wieso sollte ich Ihnen also helfen.“

„Helfen Sie nicht mir“, erwiderte Gris. „Helfen Sie sich selbst. Und ihrer Tochter.“

 

*

 

Es war eisig kalt hier unten. Das Dröhnen der Maschinen, die frische Luft in die untersten Räume bliesen, ging Sim durch Mark und Bein, während er versuchte sich zu orientieren. So tief war er bisher noch nicht gekommen. Man hatte ihm nie den Ort gezeigt, der zur Kammer führte, sondern nur Bilder der Mauern, die die Inschriften enthalten hatten. Jene Texte die er entziffert hatte. Anweisungen und Warnungen in einem alten Dialekt verfasst, eine Mischung aus Deutsch, Slowenisch und Ungarisch, wie er herausgefunden hatte. Außer ihm hatten dies noch dutzende andere versucht, doch nur er war auf die Bedeutung des Geschriebenen gestoßen, was ihn auch dazu befähigt hatte, die Daten zu stehlen, die jene Informationen enthielten, ohne sie vorher weitergeleitet zu haben.

„Jetzt nach links“, flüsterte Gris, der die Führung übernommen hatte. In seinen Händen hielt er eine handgezeichnete Karte, die Chris ihnen in höchster Eile angefertigt hatte, als er sich nach langem Zögern endlich dazu bereit erklärt hatte, sie doch zu unterstützen. Seinen Worten zufolge war es schlechterdings unmöglich, sich nicht in diesem Irrgarten aus Gängen und Räumen zu verlaufen, wenn man sich hier nicht auskannte.

„Halt“, sagte da plötzlich Kinski und blieb stehen.

Die anderen folgten seinem Beispiel, selbst Calviro, der eigentlich kein Deutsch verstand.

„Was ist los?“, fragte Gris, der die Sonnenbrille inzwischen abgenommen hatte und den General nun stirnrunzelnd ansah.

„Ich dachte, ich hätte etwas gehört“, erklärte Kinski und lauschte in die von Neonlicht erhellten, steril wirkenden grauen Gänge. Doch zu hören war lediglich das Brummen der Ventilatoren.

„Ich habe mich wohl getäuscht“, meinte er dann und ging ohne ein weiteres Wort zu verlieren weiter.

So folgten sie weiter schweigend dem gezeichneten Plan, bis Sim es sich plötzlich nicht mehr verkneifen konnte zu sagen: „Ist es nicht seltsam, dass hier unten keinerlei Wachen aufgestellt sind? Ich hätte nicht gedacht, dass die Soleraner so dumm sind, dass sie sich gänzlich auf die Technik verlassen.“

Ein böser Blick von Seiten Calviros ließ den Linguisten abermals daran zweifeln, ob dieser tatsächlich kein Deutsch verstand.

„Nun, ich glaube mich daran zu erinnern, dass ich dir schon einmal erklärt habe, dass wir Soleraner euch doch in einigen wichtigen Punkten wesentlich überlegen sind und dazu gehört nun mal auch unsere Technik. Tatsächlich wäre es Arbeitskräfteverschwendung, hier Wachen aufzustellen.“, erläuterte Gris wie ein geduldiger Lehrer, der mit einem etwas begriffsstutzigen Kind sprach.

„Aber ein paar Klick im Computer können dieses Überwachungssystem lahmlegen, wie dir vielleicht schon aufgefallen ist“, warf Sim ein, der immer noch berechtigte Zweifel hegte.

„Nun ja…tatsächlich ist das keine Sicherheitslücke im eigentlichen Sinn. Das Ausschalten der Sicherheitsvorkehrungen wirkt nämlich nur in eine Richtung und das für eine klar begrenzte Zeit von einer Stunde. Außerdem nur in ganz bestimmten Bereichen. Ihr werter Freund kennt sich zu unserem Vorteil sehr gut damit aus, was mit ein Grund dafür ist, dass wir es überhaupt erst bis hierher geschafft haben.“

„Moment mal.“ Zögernd blieb Sim stehen. „Soll das etwa heißen, dass wir hier nicht auf dieselbe Art wieder rauskommen können, wie wir reingekommen sind?“

„In der Tat“, war das einzige, das der Soleraner dazu zu sagen hatte.

„Wie kannst du nur so ruhig bleiben?! Wie zum Teufel hast du dir das denn vorgestellt? Wenn die rausfinden, dass wir hier waren, schnappen die uns, sobald wir den Rückweg antreten.“

„Reg dich nicht auf. Bis dahin haben wir noch einiges vor uns.“

Da Gris nicht stehen geblieben war, musste Sim ihm nun wohl oder übel weiter folgen. „Das wird ja immer besser“, murmelte er. Und damit sollte er Recht behalten.

 

*

 

„Wir sind schon nahe dran“, kam Gris Stimme aus der Dunkelheit. Sie hatten die beleuchteten Gänge nun schon seit mehreren Minuten hinter sich gelassen und mit dem Licht war auch die Wandverkleidung verschwunden. So bewegten sie sich nun zwischen nacktem Felsen hindurch, den die mongolische Geologin fasziniert betrachtete. Sie waren inzwischen auf Taschenlampen angewiesen, da dieser Bereich der Höhlen nicht mit elektrischem Licht versehen war. Aus welchen Gründen auch immer.

Ein kalter Schauer lief Sim über den Rücken, als er hinter sich ein Poltern, gefolgt von einem dumpfen Aufprall zu hören glaubte, fast so, als wäre jemand gegen einen Steinberg gelaufen und hingefallen. Er beschleunigte seinen Schritt, um den Abstand zu den anderen zu verringern.

Plötzlich blieb Gris stehen.

Erst als der Linguist zu ihm aufgeschlossen hatte, konnte er erkennen wieso und für einen winzigen Augenblick vergaß er zu atmen. Vor ihnen ragte eine gigantische Mauer in die Höhe, die eindeutig nicht aus jenem Stein errichtet worden war, aus dem dieses Höhlensystem bestand. Am Beeindruckendsten war jedoch nicht dieser Wall an sich, sondern die Tatsache, dass regelmäßige Buchstaben darauf eingemeißelt worden waren. Jene Buchstaben, die Sim bereits so gut kannte, als wäre er es gewesen, der sie zu Worten, zu Sätzen gereiht hatte.

„Nun liegt es an dir, Simeon“, flüsterte Gris, der fast mit derselben Faszination wie sein Fachkollege die Worte betrachtete, ohne sie jedoch wirklich entziffern zu können, wie Sim mit einem nicht geringen Anteil von Stolz erkannte. Langsam trat er näher an die Mauer heran und legte eine Hand darauf. Der Stein war kühl und ein bisschen feucht. Mit seinen Fingern fuhr er einen der Buchstaben entlang und versuchte sich daran zu erinnern, was er herausgefunden hatte, was er sich innerhalb des letzten Jahres so oft durchgelesen hatte, dass er es beinahe verinnerlicht hatte.

 

So jemals einer unserer Art dies hier entdecken sollte, soll er gewarnt sein.

Nicht für jedermann sind diese Gerätschaften gedacht.

In den Händen des einen mögen sie wahre Wunder vollbringen.

In den Händen eines anderen jedoch können sie Welten zerstören.

 

Glaube uns, Finder, selbst wir haben damit einiges an Leid in diese Welt und selbst in andere gebracht. Ja, mein Lieber, es gibt sie wirklich: Fremde Welten, bewohnt von Wesen wie wir sie hier nicht kennen. Manche sind uns ähnlich, andere hingegen gleichen Tieren mit nur wenig menschlichen Zügen…

 

Wie dem auch sei. Manche mögen behaupten, es wäre nicht möglich, was wir vollbracht haben. Es wäre auch nicht möglich gewesen, hätten wir nicht Hilfe gehabt. Die Hilfe eines Weisen, von den Sternen gekommen, um uns Wissen zu bringen, welches unseren Denkhorizont bei Weitem übersteigt. Selbst heute, da wir dies alles fertiggestellt und erprobt haben, können wir nicht ganz glauben, dass wir es tatsächlich geschafft haben….

 

So ging es noch eine ganze Weile weiter. Die Wissenschaftler, von denen jener Text stammte, hatten genauestens beschrieben, welche Gerätschaften sie entworfen hatten. Für Sim, der nicht allzu viel von Technik, Physik und derlei mehr verstand, war dies großteils unverständlich gewesen, doch  allein die Warnungen zu  Beginn und am Ende dieser Inschriften hatten ihm Angst gemacht, was einer der Gründe gewesen war, aus dem er sich entschlossen hatte, diese Informationen nicht an die Soleraner weiterzuleiten.

„Wie gelangen wir hinein?“, fragte da plötzlich Kinski, der mit ungeduldig verschränkten Armen so dicht hinter Sim stand, dass der dessen Atem in seinem Nacken spüren konnte.

„Ich…naja…da gibt es….“

Ein brennender Schmerz schoss durch seine Stirn, woraufhin er sofort verstummte. Wie hatte er das bloß vergessen können.

„Vergiss die Worte, Simeon. Tu, was du tun musst“, meinte Gris, während er weiter die Inschriften studierte.

Duya, die Geologin, interessierte sich mehr für das Gestein, aus dem jene Mauer gebaut worden war, doch auf eine Frage des Generals hin, musste sie eingestehen, dass sie jenes Material nicht kannte.

Während die beiden Soleraner sich unterhielten, Kinsky mit bösem Blick das Gebilde vor sich anstarrte, als könne er es durch reine Willenskraft in die Luft sprengen und die Mongolin sich dem umliegenden Gestein widmete, schritt Sim langsam die Mauer entlang und rief sich das in Erinnerung, was ihn dazu befähigen sollte, einen Durchgang zu öffnen, den er bisher noch nicht entdeckt hatte. Mit den Fingerspitzen tastete er jede kleine Ritze genauestens ab, doch nichts davon schien auch nur im Entferntesten die Umrisse einer Tür zu haben.

Dann musste es eben ohne gehen.

Noch einmal atmete er tief durch und schloss dann die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Dann hieß es, die Gedanken schweifen zu lassen.

Er hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte, aber die Inschriften waren bezüglich des Öffnens der Tür eindeutig. Und es bedurfte dabei keiner weiteren Hilfsmittel, außer des menschlichen Verstandes. So versuchte der Linguist nun alle Geräusche um sich herum auszublenden. Das Gespräch der Soleraner, das laute Atmen des Generals, das Schaben von Duyas Händen über das Gestein, entfernte Wassertropfen und ganz undeutlich so etwas wie leise Schritte, was er sich jedoch vermutlich einbildete. Wüsste bereits jemand, dass sie hier waren, dann hätte man sie längst gefasst. Dessen war er sich sicher. All diese Geräusche konnte Sim bald von sich weisen, doch viel schwieriger war es, jene Laute zu überhören, die er selbst von sich gab. Das leise Atmen, das Schlucken und immer wieder ein Brummen in seiner Magengegend.

So dauerte es mehrere Minuten, bis er sich völlig seinem Gedankenstrom ergeben hatte; einem Gewirr aus Worten, Silben und völlig zusammenhanglosen Lauten, die nun sein Gehirn überfluteten. Wie eine Welle schwappte plötzlich etwas über seinen Geist herein, schien ihn zu fesseln, zu zerquetschen, sein Selbst zu sprengen.

 

Erschrocken sahen die anderen vier mit an, wie der Linguist zitternd in die Knie ging, die Augen weit aufgerissen und glasig in die Ferne blickend. Speichel lief ihm aus dem Mund und sein Kopf zuckte unkontrolliert vor und zurück.

Duya wollte auf ihn zugehen, doch Gris hielt sie am Arm zurück und schüttelte den Kopf.

Mit einem Mal fixierte Sims leerer Blick die Anwesenden und sein Mund öffnete sich. Worte kamen hervor, zuerst unverständlich und leise, dann immer lauter, glichen einem Kreischen, das in den Ohren schmerzte und doch konnte man verstehen, was er sagte:

 

„Ungebremst und wild streift er durch das Land.

Tief in ihm die Sehnsucht am Orte zu verweilen; doch treibt es ihn und drängt hinaus ihn in die Ferne, fort von allem Alten, um Neues zu entdecken, es anders zu gestalten.

Mit sich nimmt er die Schwere, des Lebens steten Staub, verteilt ihn in der Ferne und nimmt dort neuen auf. 

Bedrohend und beschützend, verheerend und gestaltend, dem Ruf der Leere folgend, um den Einsamen zu trösten.“

 

„Ein Rätsel“, murmelte Duya plötzlich durch das Kreischen hindurch, das Sims Mund verließ, der immer dieselben Worte wiederholte.

„Ein Rätsel?“, wiederholte Kinsky und hörte genauer hin. „Hört sich eher nach einer Beschreibung an“, meinte er dann.

„Wir müssen herausfinden, was gemeint ist“, beharrte die Mongolin ein kleines bisschen aufgeregt.

„Ich kann dieses Gefasel doch nicht mal richtig verstehen“, beschwerte sich der Russe. „Wie soll ich da auch noch herausfinden, was damit gemeint ist?“

„Tief in ihm die Sehnsucht, am Orte zu verweilen“, wiederholte Duya, ohne auf die Worte ihres Vorgesetzten zu achten. „Ein Zugvogel vielleicht?“, fragte sie in die Runde, doch niemand antwortete ihr. „Dazu würde auch das nächste passen. Doch treibt es ihn und treibt hinaus ihn in die Ferne. Ist es ein Zugvogel?“ Die letzten Worte richtete sie an den knienden, wie besessen kreischenden Sim, der mit einem Mal im Sprechen innehielt.

„Sie hat es tatsächlich gelöst“, entfuhr es Kinsky verblüfft. Auch die Soleraner sahen überrascht aus. Im nächsten Moment jedoch, knallte es, als hätte jemand eine Peitsche schnalzen lassen und wie vom Blitz getroffen sank die Mongolin in sich zusammen. Sofort war der General an ihrer Seite, um ihre Lebensfunktionen zu überprüfen, doch er konnte nur den Kopf schütteln. „Tot“, brummte er ohne auch nur die kleinste Gefühlregung zu zeigen.

Inzwischen hatte Sim seinen monotonen Monolog wieder aufgenommen.

„Wir müssen auf Anhieb richtig raten“, meinte Gris, ohne den Linguisten von der Erde aus den Augen zu lassen. „Sonst enden wir, wie sie.“

„Aber was verdammt noch mal, soll das sein?“, fuhr Kinsky ihn an. „Das ist doch noch nicht mal ein richtiges Rätsel. Es wird nicht mal eine Frage gestellt. Vielleicht müssen wir ihm ja auch einfach nur nachsprechen. Hat daran schon mal einer gedacht?“

„Wenn Sie es versuchen wollen, nur zu“, erwiderte der Soleraner, doch der Russe tat nichts dergleichen sondern starrte den Knieenden nur böse an, als wäre das alles seine Schuld.

Calviro flüsterte seinem Partner schließlich etwas ins Ohr, woraufhin dieser zu überlegen schien. „Er meint, es könnte ein Sturm sein“, leitete Gris an den Russen weiter.

„Na dann soll er es ihm doch sagen“, murrte Kinsky und warf einen unauffälligen Seitenblick auf die Leiche zu ihren Füßen. So weit hätte es gar nicht erst kommen dürfen.

„Nein“, murmelte Gris, wie zu sich selbst. „Es ist kein Sturm…nur so etwas Ähnliches. Es ist der Wind.“

Entschlossen hob er den Kopf und sah dem wie wahnsinnig vor sich hin Kreischenden in die Augen.

„Es ist der Wind“, erklärte er mit ruhiger Stimme.

Wie bereits vorher, verstummte Sim plötzlich. Eine unnatürliche Stille legte sich über diesen Raum. Innerlich bereitete sich der Soleraner darauf vor, von unsichtbarer Hand aus diesem Leben gerissen zu werden, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen sackte Sim in sich zusammen und sein Körper begann zu zucken. Ein Poltern erklang, gefolgt von einem leichten Beben unter ihren Füßen, dann bemerkte Gris einen Lichtspalt, der sich unvermittelt im Gestein zeigte. Dort hatte sich eine Tür aufgetan; gerade breit genug, um eine Person seitlich durchschlüpfen zu lassen. Doch bevor der Soleraner dies tat, näherte er sich dem Linguisten, der soeben versuchte, sich aufzustützen. Auf seiner Stirn stand kalter Schweiß. „Ich, was ist passiert?“; fragte er, doch Gris schüttelte nur den Kopf und half ihm aufzustehen. Dann bewegten sie sich gemeinsam auf den Lichtspalt zu. Sims Augen wurden groß, als er sah, was passiert war und Entsetzen spiegelte sich darin, als er sich noch einmal umsah und Duyas reglosen Körper entdeckte.

„Was…wie…?“ Er brachte keinen Satz heraus, doch der Soleraner wusste, was er wissen wollte, so erklärte er: „Sie hat die falsche Antwort gegeben und musste einen hohen Preis dafür zahlen.“

„Dann ist es meine Schuld?“, fragte Sim schockiert, doch Gris schüttelte den Kopf. „Es ist niemandes Schuld. Solche Dinge passieren nun mal. Ihr Opfer wird nicht umsonst gewesen sein.“

„Aber sie ist tot“, beharrte Sim.

„Ja, das ist sie. So ist nun mal das Leben.“

 

*

 

Überwältigt von dem sich bietenden Anblick und immer noch etwas mitgenommen von den bisherigen Geschehnissen, stand Sim einfach nur da und starrte, während die anderen sich in der großen Halle verstreut hatten. Die an der Decke montierten, einfachen Lampen, waren von selbst angegangen, als der Spalt, durch den sie hereingekommen waren, sich geöffnet hatte und so wurde alles recht gut beleuchtet.

Die letzten paar Monate hatte Sim sich fast täglich ausgemalt, wie es sein würde, endlich hinter jener Mauer zu stehen, die sich nun in seinem Rücken befand und jetzt, da es so weit war, konnte er es einfach nicht glauben. Wie hatte es überhaupt so weit kommen können? Wieso waren sie nicht alle längst zu Brei verarbeitet worden, da sie sich mit der größten Organisation der Soleraner auf dieser Welt angelegt hatten? Das war doch geradezu unvorstellbar, was sie bisher geschafft hatten.

„Uns bleibt nicht mehr viel Zeit“, hörte er plötzlich Gris Stimme, der sich irgendwo links von Sim herumtrieb und eine Reihe sorgsam nach Größe  sortierter Gerätschaften begutachtete.

„Was genau suchen wir noch mal?“, musste Sim fragen, der sich zwar an den Großteil der Gespräche erinnerte, die sie geführt hatten, kurz bevor sie in der Stadt angekommen waren, doch er wollte es noch einmal hören. Nur um ganz sicher zu gehen.

Gerade als der Soleraner antworten wollte, krachte es irgendwo im hinteren Bereich, so laut, dass der Linguist kein Wort verstehen konnte. Kopfschüttelnd gesellte er sich zu den anderen und tat so, als hätte er eine Ahnung davon, was sich dort überall auf Tischen, am Boden und an den Wänden stapelte. Die meisten dieser Dinge sahen völlig nutzlos aus, wie Blechbüchsen oder überdimensionierte Dosenöffner. Einiges davon konnte er eindeutig als Waffen identifizieren, um die er vorsichtshalber einen großen Bogen machte.

Kinski hingegen schien sich speziell dafür zu interessieren. So hatte er bereits eines dieser Gerätschaften von der Wand genommen und versuchte offensichtlich, es in Gang zu setzen. Auch dem wich Sim aus und näherte sich nun den hinteren Gefilden dieser riesigen Lagerhalle.

Ein weiteres Poltern, das weit hinter ihm erklang, ignorierte er einfach und schritt weiter.

Nur wenige Sekunden später, ertönte aber ein Geräusch, das er nicht so einfach missachten konnte. Eine Sirene.

Kinski stieß irgendeinen russischen Fluch aus, griff die unbekannte Waffe, die er in der Hand hielt fester und wandte sich dem Eingang zu, der plötzlich nicht mehr leer war. Auch Sim hatte sich inzwischen umgedreht und musste mehrmals blinzeln, um sich davon zu überzeugen, dass das, was er sah, real war. Ungläubig machte er einen Schritt auf die Gestalt zu, die so plötzlich aufgetaucht war.

Das einstmals schulterlange, glänzend schwarze Haar, hing ihr in wirren Strähnen ins Gesicht und sie stand in merkwürdig gebückter Haltung da, als hätte sie Angst, dass sie im nächsten Moment jemand schlagen könnte.

„Phi?“, flüsterte Sim und machte noch ein paar Schritte mehr auf sie zu. Die schrille Sirene und das aufgeregte Gespräch der Soleraner, bekam er nicht mehr mit. Er hatte nur noch Augen für die Frau, die ihn mit großen, leeren Augen anstarrte.

„Phi“, sagte er noch einmal, als er bei ihr angelangt war. So glücklich wie er schon lange nicht mehr gewesen war, schloss er sie in die Arme. Erschrocken registrierte er, wie Phiena sich anspannte, als würde seine Berührung ihr Schmerzen bereiten. Hastig ließ er sie wieder los, ließ jedoch eine Hand auf ihrer Schulter liegen. „Phi, was ist los? Was ist mit dir passiert?“ Mit der freien Hand fuhr er durch ihr schmutziges Haar.

Sie starrte ihn jedoch nur ausdruckslos an. Nur hin und wieder glaubte er so etwas wie Erkennen in ihrem Blick aufblitzen zu sehen.

„Wir müssen hier weg!“, schrie Gris, um das Schrillen des Alarms zu übertönen. „Raus hier!“

Er drängte sich an den beiden vorbei, gefolgt von Kinski und Calviro, die beide etwas in Händen hielten. Der Russe eindeutig eine Waffe, der Soleraner ein kleines Gerät, das aussah, wie eine Fernbedienung. Da Phiena keine Anstalten machte, sich von selbst zu bewegen, nahm Sim sie vorsichtig an der Hand, deren Innenfläche sich seltsam rau und kratzig anfühlte, und zog sie hinter sich her.

„Aber wir können doch nicht einfach so gehen, ohne das mitzunehmen, was wir gesucht haben“, rief Sim, doch keiner der vor ihm Laufenden hörte seine Worte und da er ohnehin nichts anderes tun konnte, lief er einfach weiter.

 

*

 

Ihre Füße schmerzten ob der ungewohnt schnellen Bewegung und ihre Schläfen pochten fürchterlich, doch trotzdem fühlte sie sich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Sie wusste nicht, wer dieser Mann war, was er ihr eigentlich bedeutete, doch allein seine Berührung hatte eine Saite in ihr zum Schwingen gebracht, von deren Existenz sie noch nicht einmal gewusst hatte. Und doch war ihr seine Nähe auch auf unbestimmte Weise unangenehm gewesen, hatte sie doch befürchtet, er können sie schlagen, ihr unsäglichen Schmerz zufügen. So ließ sie sich nun willenlos von ihm hinter sich herzerren, stolperte über loses Gestein und konnte nur daran denken, wie gerne sie wissen würde, weshalb er so zwiespältige Gefühle in ihr auslöste.

Plötzlich hielten alle an, doch sie konnte den Grund dafür vorerst nicht erkennen. Der junge Mann hielt sie immer noch fest an der Hand und führte sie langsam um eine Ecke herum.

Unvermittelt spannte sich ihr ganzer Körper an und ihr natürlicher Fluchtinstinkt regte sich, als sie die Soleraner sah. Vier waren es, bis an die Zähne bewaffnet und mit entschlossenen Gesichtern.

Sie sagten irgendetwas, doch Phiena konnte ihre Worte nicht verstehen, drückte sich eng an die Wand und an den Rücken des Mannes, der ihre Hand hielt, als könne er sie beschützen, was natürlich lächerlich war. Gegen diese Männer konnte sie nichts und niemand schützen. Sie war ihnen hilflos ausgeliefert. Ihr ganzer Körper begann zu zittern.

Plötzlich blitzte ein furchtbar grelles Licht auf, gefolgt von einem durchdringenden Brüllen. Alles rund um sie herum bebte und von der Decke löste sich eine gewaltige Steinlawine. Mit großen Augen stand Phiena da und spürte plötzlich, wie sie nach hinten gestoßen wurde. Ein Körper landete auf dem ihren, sodass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. Immer noch bewegte sich die Erde und feiner Staub nahm ihr die Sicht. Sie musste husten, fürchtete zu ersticken, bäumte sich auf…und ließ sich schließlich einfach fallen, gab sich auf…so wie sie es schon einmal getan hatte.

 

© Fianna 28/06/2013

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Über den Autor

Fianna
Ich
...bin Österreicherin
...studiere Archäologie, Germanistik und Geschichte
...vertrage Kritik, solange sie begründet und ehrlich ist
...lese quer durch viele Genres
...glaube anders als Max Frisch und ähnlich wie Bert Brecht dass Literatur sehr wohl (wenn auch nur in geringem Maße) dazu beitragen kann, gesellschaftiche Veränderungen zu erwirken


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Fianna Re: -
Zitat: (Original von EagleWriter am 28.06.2013 - 22:55 Uhr) Habe mich vorher nochmal grob durch die ersten 4 Kapitel durchgelesen um wieder rein zu kommen.
Verdammt ich hab grade Campanellas Sonnenstaat gelesen udn muss jetzt bei Soleraner ständig daran denken. Der nennt sein Völkchen fast genau so.
Die haben aber keine Idealgesellschaft oder ?
Na ja, bin jetzt etwa zur Hälfte mit dem Kapitel durch und langsam wird es echt spannend. Bin mal gespannt, wie Sim da wieder rauskommen will, wenn der Rückweg mehr oder weniger gesperrt ist udn werde deshalb gleich mal weiterlesen. Auf jeden Fall spannend wie immer und ein , das muss ich hier mal besonders bemerken, guter Spannungsbogen, von dem ruhigen Fluss-Ufer zu der doch ziemlich angespannten Situation in der Firma.
Jetzt aber erstmal weiterlesen
lg
E:W


Ja...war eine ziemlich lange Durststrecke zwischen Kapitel vier und fünf. Bin aber froh, dass du noch interessiert daran bist, zu erfahren, wie es weiter geht. Ich hoffe mal, dass die weiteren Kapitel sich wieder einfacher schreiben lassen.

Ach ja...und Idealgesellschaft haben die Soleraner keine :-)

Liebe Grüße
Fianna
Vor langer Zeit - Antworten
EagleWriter Habe mich vorher nochmal grob durch die ersten 4 Kapitel durchgelesen um wieder rein zu kommen.
Verdammt ich hab grade Campanellas Sonnenstaat gelesen udn muss jetzt bei Soleraner ständig daran denken. Der nennt sein Völkchen fast genau so.
Die haben aber keine Idealgesellschaft oder ?
Na ja, bin jetzt etwa zur Hälfte mit dem Kapitel durch und langsam wird es echt spannend. Bin mal gespannt, wie Sim da wieder rauskommen will, wenn der Rückweg mehr oder weniger gesperrt ist udn werde deshalb gleich mal weiterlesen. Auf jeden Fall spannend wie immer und ein , das muss ich hier mal besonders bemerken, guter Spannungsbogen, von dem ruhigen Fluss-Ufer zu der doch ziemlich angespannten Situation in der Firma.
Jetzt aber erstmal weiterlesen
lg
E:W
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