Romane & Erzählungen
Voll erwischt!

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"Voll erwischt!"
Veröffentlicht am 07. Juni 2013, 416 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Mmmmh, ich arbeite im Buchbereich, allerdings ohne die Möglichkeit dort meine Buchsucht auszuleben. Ich mag Science-Fiction, Fantasy, Romanzen und ganz besonders GayRomance. In diesem Bereich schreibe ich auch. Hobbys: Lesen, singen, stricken, ab und zu zeichnen, ins Kino gehen, Geocaching...
Voll erwischt!

Voll erwischt!

Einleitung

Jeder kennt das. Man sitzt in der Bahn und zack! sieht man jemanden, der das Herz höher schlagen lässt. So ergeht es Jona, der seines momentanen Lebens überdrüssig, eine Person sieht, die sein Leben von Grund auf ändern wird.

Prolog

Kategorie: Romanze Mann x Mann

 

Prolog

 

Kennt ihr auch dieses Gefühl, wenn einem alles absolut egal ist? Wenn alle gegen einen sind und man weiß nicht so genau warum? Wenn man denkt, dass das eigene Leben total scheiße verläuft und man resigniert feststellt, dass man keine Kraft hat, etwas dagegen zu unternehmen?

Ja? Willkommen in meiner Welt.

Das Schicksal hat es eigentlich ganz gut mit mir gemeint. Als eines von drei Geschwistern in einer gut situierten Familie aufzuwachsen, ist sicher nicht das Schlechteste. Nur, dass ich die Erwartungen meiner Eltern in mich und meine eigenen nie erfüllen konnte. Alles, was ich begann, setzte ich in den Sand oder es endete in einer Katastrophe.

Meine Eltern, wünschten sich für mich eine Akademikerlaufbahn. Nur, dass mir die Schule immer scheißegal war. Dennoch waren meine Noten gut genug, das Abitur zu bestehen und meine Eltern mit „Stolz“ zu erfüllen. Ansonsten passe ich nicht so recht in ihr Weltbild. Also, ihr müsst jetzt nicht denken, ich wär' ein Punk, Emo oder etwas ähnlich „Ungewöhnliches“. Meine Erzeuger sind nur Vollblutspießer. Sind die Haare einen Tick zu lang und unfrisiert, also strubbelig, dann schauen sie einen schräg an. Blau gefärbt habe ich sie mal mit sechzehn, ihr hättet ihre Gesichter sehen sollen, die wären beinahe umgekippt.

Jetzt sind sie wieder dunkelblond, dieses straßenköterblond, das in dieser Stadt fast jeder Zweite hat. Mein Vater stieß sich auch immer wieder an meinem Tattoo, dabei ist das nicht mal zu sehen. Er hatte Angst, dass man mit „So etwas“ keinen Ausbildungs-  oder Studienplatz bekommt. Tja, da hatte ich andere Pläne. Die Lernerei hatte ich sowieso satt. Warum sollte ich mich unter die Fuchtel von einem Ausbilder begeben, wenn es viel einfacher war, nebenbei zu arbeiten und keinerlei Verpflichtungen außer sich selbst gegenüber zu haben? Meine Mutter hat mich angebrüllt - als ob das was helfen würde - aber ich war volljährig und konnte machen, was ich wollte.

Ihr ahnt bestimmt, was als Nächstes kam. Sie haben mich rausgeworfen und ich konnte damit ganz gut leben. Schließlich hatte ich meine eigenen, vielleicht nicht luxuriösen, vier Wände, aber ich war ungestört. Meine Eltern sehe ich immer noch sporadisch, meistens an Feiertagen, damit wir das heile Familienbild vor den Verwandten aufrechterhalten. Das ist ihnen das Wichtigste.

 

Ich arbeitete als Lagerarbeiter, da verdiente ich nicht viel Geld, aber es reichte, um mich zu finanzieren. Da ich keine nennenswerten Talente besitze, kam nicht viel für mich infrage. Meine Schwester, das kleine Biest, ist dagegen der ganze Stolz meiner Eltern. Natürlich das Nesthäkchen und dann noch hochbegabt und besserwisserisch. Ich könnte kotzen. Wäre auch eigentlich nicht so dramatisch, wenn sie es nicht jedem aufs Brot schmieren würde. Besonders mir. Nein, wir sind uns spinnefeind und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Warum ich so auf ihr herumhacke? Wie würde euch das gefallen, wenn ihr immerzu mit jemandem verglichen werdet, der besser ist als ihr? Ein scheiß Gefühl ist das.

Noch schlimmer, wenn man nur dreieinhalb Jahre auseinander ist und sich in der Schule anhören muss: „Ach, deine Schwester ist so ein kluges Kind.“ Dabei ist sie jünger als ich! Schule ist auch so ein Thema, mit dem ich durch bin. Ich war so unauffällig, dass mich wahrscheinlich außer den Lehrern niemand kannte. Durchschnittliche Noten, durchschnittliches Aussehen, damit bleibt man niemanden im Gedächtnis. Ãœber meine große Schwester kann ich nicht viel erzählen, weil ich sie kaum kenne, weil sie zehn Jahre älter ist als ich.  Sie ist früh ausgezogen, nachdem auch sie die Gemeinheiten meiner Eltern nicht mehr ertragen hatte. Aber genug von mir, das alles war einmal, denn vor zehn Monaten sah ich ihn und alles änderte sich. Mein Weltbild wurde auf den Kopf gestellt und ich versuche immer noch, mich davon zu überzeugen, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Vergeblich.

Kapitel 1

Kapitel 1

 

Es war einer von diesen verregneten Tagen, die einem bereits am frühen Morgen die Laune vermiesten. Zwar war es nicht mehr so kalt, aber der Regen prasselte unaufhörlich gegen die Scheiben der Bahn und hallte in meinem Kopf wider.

 

Jeder Tag war dasselbe Einerlei, hatte den gleichen Ablauf. Aus dem Bett sprinten, hastig unter die Dusche, Zähne putzen, Tasche schnappen und zum Bahnhof flitzen. Unterwegs schnell einen Kaffee kaufen und dann so schnell wie möglich in die Bahn. Immer wieder hoffen, dass sie keine Verspätung hatte, denn mein Zeitplan war eng bemessen. So eng, damit ich nur keine Sekunde zu viel bei der Arbeit verbringen musste.

Die Aussicht war genauso trostlos wie das Wetter. Graue, beschmierte Häuserwände, Müll in den Hinterhöfen und eingeschlagene Fensterscheiben. Diese Stadt war wirklich hässlich. Selbst wenn die Sonne schien, war alles grau in grau und die Architektur mehr als scheußlich. Entweder einheitliche Betonklötze oder alte heruntergekommene Häuser, die in ihrer Blütezeit vielleicht mal hübsch gewesen waren, aber nun nur noch von Verfall sprachen. Selbst die Menschen erschienen mir grau, griesgrämige Gesichter, die nicht dazu beitrugen, meine Laune zu heben.

 

Auch an diesem Tag hatte ich in Rekordzeit meine Bahn erwischt und ließ mich auf einen der Sitze fallen. Ich saß immer auf dem gleichen Platz am Fenster, bei dem ich meine langen Beine ausstrecken konnte. Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee, erst einmal richtig wach werden, die fünfundvierzigminütige Fahrt schläferte mich sonst gleich wieder ein. Normalerweise hörte ich Musik, während meine Bahn vor sich hintuckerte, aber an diesem Tag hatte ich meinen MP 3-Player vergessen und musste mir nun die Zeit anders vertreiben. Der Blick aus dem Fenster hielt mich jedoch nicht lange fest. Fast alle Leute in der Bahn schliefen und ich hatte auch Mühe, die Augen offen zu halten. Auf keinen Fall wollte ich einschlafen, denn sonst wäre ich für den Rest des Tages sicher nicht mehr zu gebrauchen gewesen. Den Fehler hatte ich einmal gemacht und bitter bereut. Wie ein Zombie hatte ich den Tag hinter mich gebracht und war todmüde in mein Bett gefallen. In dem Moment wurde die nächste Station angesagt und die Hälfte der Leute wurde wieder munter. Ich ließ meinen Blick erneut aus dem Fenster schweifen und beobachtete die neuen Passagiere, die einstiegen. Darunter eine Gruppe junger Mädchen, die kicherten und alles und jeden lustig fanden.

An diesem Tag schien eigentlich alles wie sonst, bis mein Blick in der Fensterscheibe auf mein Gegenüber fiel und mein Körper sich anspannte. Der war mir vorher gar nicht aufgefallen. Fuhr der immer mit dieser Bahn? Nein, ich war sonst ziemlich ungestört. Ich sah wieder hinaus, doch die Aussicht draußen konnte nicht mithalten. Mein Blick schweifte immer wieder zu ihm. Egal, wie sehr ich auch versuchte, nicht hinzusehen und mich abzulenken, es half nichts. Ich beobachtete ihn beim Lesen und sah ihn mir genauer an. Er saß mir schräg gegenüber, sodass wir uns mit unseren Beinen nicht in die Quere kamen. Ich schätzte ihn auf circa 24, also etwas älter als ich. Er war ein Stückchen größer und irgendwie wurmte mich das. Denn nicht nur, dass er verdammt gut aussah, ich kam mir tatsächlich klein vor und das mit einer Größe von 1,80m! Ich versuchte, mich dazu zu zwingen, wieder aus dem Fenster zu sehen, aber nichts dort draußen vermochte mich so zu fesseln, wie der Anblick von dem Mann. Immer wieder schaute ich mir sein Gesicht an und prägte mir unwillkürlich jeden seiner Züge ein.

Das schmale Gesicht, mit den leicht gebogenen Augenbrauen, deren Farbe genauso dunkelbraun wie die seiner Haare war. Darunter dunkle Augen, eine gerade Nase und ein sinnlicher Mund. Halt, halt, halt! Sinnlich?, schrie mein verwirrter Verstand auf.

Irritiert sah ich erneut aus dem Fenster, um sogleich wieder auf dieses Gesicht zu starren. Es war absolut zwecklos. Anscheinend war ich nicht in der Lage, mich erfolgreich abzulenken. Die Haare waren nicht gegelt, aber vorn leicht nach hinten gestrichen, was ihm ungeheuer gut stand. Sein Körper war leider von einem grauen Kurzmantel verhüllt, deswegen konnte ich nicht sehen, was er darunter trug und ob er so schlaksig war, wie er im ersten Moment wirkte. Moment mal? Was hieß hier LEIDER? War ich denn jetzt völlig bekloppt geworden? Meine Gedanken wurden in diesem Moment glücklicherweise von den Mädchen abgelenkt, die sich lautstark unterhielten.

„Süße, hast du mein neues Make-up gesehen? Es ist superdeckend und passt hervorragend zu meinem Teint.“ Nun ja, wenn man das Teint nennen konnte, zu viel Solarium, zu wenig Natürlichkeit.

„Ja Schätzchen, das sieht toll aus. Ich war gestern beim Friseur, aber die hat meinen Pony total verschnitten, Alter und dafür habe ich 70 Euro bezahlt, natürlich mit Färben, das hätte ich alleine besser gekonnt.“ Ich musste an mich halten, um nicht laut loszuprusten. Es war nichts zu sehen, die Haare waren viel zu oft gebleicht worden, sodass sie aussahen, wie ein hellblonder Strohball und der Pony war nach hinten gesteckt, was wegen ihrer hohen Stirn nicht gerade förderlich war. In Gedanken grinsend, dachte ich, um wie viel besser der Geschmack meines Gegenübers war. Zu dem grauen Mantel trug er eine dunkle Jeans und graue Sneakers. Ein bisschen konservativ für meinen Geschmack, aber wenigstens passte es zusammen. Soviel zu meiner Ablenkung, hatte ja prima geklappt. Was hatte er nur an sich, dass ich ihn so faszinierend fand? Das war völlig untypisch für mich, normalerweise waren mir so ziemlich alle Menschen egal. Also, was war nur in mich gefahren?

Eine mechanische Stimme sagte den nächsten Halt an und mit Unmut stellte ich fest, dass ich aussteigen musste. Balancierend stieg ich über seine langen ausgestreckten Beine und hastig wurden sie zurückgezogen.

„Sorry“, sagte seine samtig weiche Stimme und jagte mir Schauer über den Rücken, sodass ich fluchtartig den Zug verließ. Noch völlig durcheinander lief ich auf den Bahnhof.

Aus dem leichten Nieselregen war ein ausgewachsener Platzregen geworden. Warum war dieser Bahnhof auch nicht überdacht? Ach ja, ich arbeitete ja mitten in der Pampa. Müde schleppte ich mich zu dem Lager, in dem ich meine Arbeit vor drei Jahren angefangen hatte. Ein Glück war es bald vorbei. Ich wusste nun zumindest, was ich auf keinen Fall mein Leben lang machen wollte.

Doch was blieb mir anderes übrig, wenn ich Geld verdienen musste? Mein Vertrag lief dieses Jahr aus, was nichts Ungewöhnliches war, die Gesichter wechselten so schnell, dass ich mir keine Namen mehr merkte. Der Tag rauschte an mir vorbei, sodass ich auf dem Weg zurück war, bevor ich es wirklich registriert hatte. Vielleicht sollte ich noch einkaufen? Mein Kühlschrank gab zumindest nicht mehr viel her.

Den Abend saß ich vor dem Fernseher und ließ mich berieseln. Es kam wirklich nichts Spannendes und am Ende blieb ich bei einer Dokumentation hängen. Etwas über Mythen und Sagen, das klang viel versprechender als alles, was sonst lief. Am Ende der Sendung war ich so gefangen, dass ich mich wunderte, dass es so spät geworden war.

 

Vielleicht sollte ich nicht so spät schlafen gehen, vielleicht sollte ich auch vorher kein Fastfood in mich hineinstopfen, weil ich doch zu faul gewesen war, einkaufen zu gehen. In dieser Nacht verfolgten mich dunkle Augen und volle Lippen.

Unausgeschlafen und unausgeruht, stand ich am nächsten Morgen auf und schleppte mich ins Bad. Augenringe hatten sich tief in mein Gesicht gegraben und ich war ungewöhnlich blass. Die wirklich heiße Dusche half leider auch nicht viel. Diesmal grapschte ich sofort nach meinem MP 3-Player, das Elend kichernder und geräuschvoll schlafender Insassen tat ich mir nicht noch einmal an. Ein Blick aus dem Fenster signalisierte mir, dass ich auch meinen Schirm einstecken sollte, der aus unerfindlichen Gründen jedoch nicht an seinem üblichen Platz lag. Musste es eben so gehen. Dieser Morgen war noch schlimmer als der vorherige, denn der Platzregen hatte sich wieder zu dem feinen Nieselregen verdichtet und es war kälter. Im Bahnhof holte ich mir einen Kaffee und hörte, wie diese nervige Frauenstimme meinen Zug ansagte. Nun aber los.

In meinem Abteil saß heute wieder der Grund meiner ruhelosen Nacht, zum Glück sah er gerade nicht hin, denn ich wollte ihn mit meinen Blicken erdolchen. Ich wusste, dass er nichts dafür konnte, dass mein Kopf der Meinung war, ihn wahnsinnig spannend zu finden. Aber ich durfte mich über meinen verpassten Schlaf ärgern, oder?

Der Zug fuhr an und ich steckte mir meine Ohrstöpsel in die Ohren. Für ein paar Minuten konnte ich so auch wunderbar abschalten. Meine Augen jedoch waren immer noch unbeschäftigt und schienen ein Eigenleben entwickelt zu haben. Heute trug er eine Brille, die ihn dummerweise noch attraktiver machte. Das hatte ich eben nicht gedacht. Innerlich den Kopf schüttelnd, setzte ich meine Inspektion fort. Wieder hatte er ein Buch in der Hand, das er bereits bis zur Hälfte gelesen hatte, musste ja ungeheuer spannend sein. Mein Blick wanderte wieder über ihn und ich beobachtete, dass er sein Gesicht je nach Geschehen des Buches verzog. Ein leichtes Grinsen lag auf seinen Zügen, das Buch war anscheinend wirklich unterhaltsam.

Ich sah auf die Hände, die fleißig Seite für Seite umblätterten. Schöne gepflegte Fingernägel und lange Finger, die meine Phantasie anheizten. Das musste aufhören! Ich hatte mir nicht wirklich eben vorgestellt, dass mich diese Finger zärtlich berührten?! Bitte weist mich in die Klapsmühle ein!

Vielleicht sollte ich heute Abend wieder um die Häuser ziehen und mir ein wenig Ablenkung suchen. Ben, mein bester Kumpel, hatte eigentlich immer Zeit für mich und war für ein Bier zu haben. Also schickte ich ihm kurzerhand eine SMS. Das wäre ja wohl gelacht, wenn ich diese braunen Augen nicht aus meinem Kopf bekommen würde. Mein Körper lachte mich jedoch genau in dem Moment hämisch aus, denn mein Sitznachbar hatte gerade seine Jacke ausgezogen und ich hatte Mühe, meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Hör auf so schnell zu schlagen dämliches Herz, du hast keinen Grund dafür, hier gerade einen Sprint hinzulegen! Von schlaksig war er weit entfernt. Ich würde ihn nicht muskulös nennen, aber er war auch nicht schmächtig. Das weiße Shirt schmiegte sich eng an seinen Körper und ich musste einen wohligen Schauer unterdrücken, der mich bei dem Anblick durchlief. Konnte ein einfaches T-Shirt derartig erregend wirken? Das gehörte doch verboten. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig, während er Zeile um Zeile verschlang.

Nach geraumer Zeit, die ich ihn beim Lesen beobachtet hatte, steckte er den Band weg und holte eine Mappe hervor, die verdächtig nach Schul- oder Unikram aussah. Ich versuchte einen Blick auf die Unterlagen zu erhaschen, die mit einer gestochen scharfen Schrift übersät waren. Was er wohl studierte? Man konnte anhand des Aussehens immer schlecht einschätzen, was der Andere machte. Ich war auf Jurastudenten gestoßen, die aussahen, als wären sie Ökologiestudenten und Germanisten konnten so geschniegelt aussehen wie Wirtschaftsstudenten. Also war das kein wirklicher Anhaltspunkt. Auf einem der Blätter stand ein Name, aber egal, wie sehr ich den Kopf verdrehte, ich konnte ihn nicht erkennen. Zum Glück war er so abgelenkt von seinem Papierkram, dass er meine merkwürdigen Verrenkungen nicht mitbekam. In dem Moment verlangsamte der Zug sein Tempo und ich stellte widerwillig fest, dass ich aussteigen musste. Beim Vorbeigehen versuchte ich nochmals einen Blick auf das Blatt zu erhaschen, aber vergeblich.

 

Ben war, wie immer, eine halbe Stunde zu spät. Ich hatte mich ein wenig zurechtgemacht. Meine schwarze Jeans saß ein bisschen zu eng und ich war ernsthaft am Überlegen, dem Fitnessstudio wieder einen Besuch abzustatten. Dazu ein graues Shirt und die Haare habe ich so gelassen wie immer. Da konnte ich gelen, was ich wollte, sie sträubten sich vehement, das zu machen, was ich wollte. Da ließ ich es lieber ganz.

Wie mein Zugnachbar das wohl machte, dass seine Haare immer richtig zu liegen schienen? Der Gedanke an ihn ließ mich einfach nicht los und das sah man mir auch immer noch an.

Meine dunkelgrauen Augen sahen immer noch müde aus von dem verpassten Schlaf und ich stellte fest, dass ich mich vielleicht mal wieder rasieren sollte. Der Drei-Tage-Bart sah meiner Meinung nach zwar nicht so schlecht aus, aber er juckte fürchterlich. Naja, egal heute würde es noch gehen, musste ich eben morgen etwas früher aufstehen, um mich zu rasieren. Ob er wohl auch mit Bart noch so gut aussehen würde? Ich hatte ihn bisher nur glatt rasiert gesehen und das machte ihn schon unwiderstehlich. Die Frauenwelt lag ihm bestimmt zu Füßen. Bei diesem Gedanken presste ich kurz die Lippen zusammen. Ob er eine Freundin hatte? Bei dem Aussehen hätte es mich nicht gewundert. Warum dachte ich überhaupt darüber nach? War doch völlig egal, ob oder ob nicht, den Stich im Herzen ignorierte ich gekonnt. Meine Grübeleien wurden dann zum Glück unterbrochen, denn in diesem Moment klingelte es an meiner Tür. Schnell, die Jacke geschnappt und Ablenkungsplan Nummer 1 konnte losgehen.

„Hi, Ben. Was gibt’s Neues?“ Sein Gesichtsausdruck sprach Bände und ich stellte mich auf einen sehr feuchten, aber nicht fröhlichen Abend ein.

„Sie hat Schluss gemacht. Mit mir!“ Der weinerliche Unterton kam mir bekannt vor, das passierte immer, wenn Ben verlassen würde. Erst konnte er es nicht fassen und am Ende waren alle Frauen Hexen, mit denen er nie wieder etwas zu tun haben wollte. Was aber nie lange hielt, da er, der absolute Frauenschwarm, an jeder Hand fünf Mädels hatte, die für ihn ihre Seele verkaufen würden.

„Soll ich vielleicht Sammy und Domenik anrufen? Dann machen wir alle vier was zusammen, das bringt dich auf andere Gedanken.“ Dabei hatte ich nicht nur eins im Hinterkopf. Sammy war seit Ewigkeiten in Ben verknallt, aber der Hornochse kapierte es nicht und Dom war immer so gut drauf, der konnte jeden mit seiner guten Laune anstecken. Noch dazu würde er in Ben keine Komplexe auslösen. Jeder gut aussehende Mann wäre nun pures Gift für seine Gemütslage. Ha, nicht, dass Dom schlecht aussehen würde, aber er hatte uns vor 5 Jahren reinen Wein eingeschenkt, dass die Frauenwelt ihn nicht bezirzen konnte. Also keine Konkurrenz für Ben.

Dabei war das bereits schwierig genug, neben Ben fühlte man sich wie ein Zwerg, er war 1,96 groß, Volleyballer, athletisch, die hellbraunen Haare kurz geschnitten und in den blauen Augen lag fast immer der Schalk. Nur heute nicht. Dabei wusste ich aus erster Hand, dass so einige Frauen für ein Lächeln von ihm morden würden. Wenn wir bei einem seiner Spiele dabei waren, dann musste ich echt Angst um mein Gehör haben, denn Tinnitus wäre noch das Harmloseste, was mir passieren konnte.

Dom dagegen war zwar nicht besonders groß, nur1,70m. Dafür hatte er wahrscheinlich Gott bestochen, als er die Gene für Schönheit verteilte. Davon hatte er nämlich mehr als genug abbekommen. Das war ihm zwar nicht wirklich bewusst, aber anderen fiel es durchaus auf. Selbst mir und ich war sonst immer der Letzte, der sowas mitbekam. Problem an der Sache war, dass vor allem die jungen Mädchen auf ihn flogen und ihn das schier zum Ausrasten brachte. Seine fast schwarzen Haare hatte er meist in eine Bieber-Frisur geföhnt und das machte ihn nicht mal jünger. Dazu eine Augenfarbe, bei der wir immer noch rätselten, welcher Farbanteil überwog. In seinem Ausweis stand braun-grün-grau, aber ehrlich gesagt, war es ein Mischmasch aus allen Farben. Seine schlanke Figur versteckte er meist unter Schlabberklamotten und jeder Versuch, ihn dazu zu überreden, figurbetonte Sachen anzuziehen, stieß auf taube Ohren oder vehementen Widerstand. Er war der Meinung, dass das eh nicht helfen würde und jeder Mann schreiend wegrennen würde, wenn er ihn genauer ansah. Also blind war noch milde ausgedrückt für seine Selbstsicht.

Meine einzige Freundin, Sammy, war mein Ein und Alles. Wir waren Sandkastenfreunde seit der Kinderkrippe, uns hat nie etwas auseinander bringen können. Mit Sammy, Samantha, aber wehe jemand nannte sie so, konnte man Pferde stehlen. Sie konnte Geheimnisse bewahren und ihre Alibis für jedes Kindheitsvergehen waren wasserdicht. Mit ihren 1,55m, den blonden Locken und hellbraunen Augen war sie unser Springinsfeld, der jeden umwuselte und sofort Lunte roch, wenn etwas bei jemandem schieflief. Genau aus diesem Grund rief ich sie auch an. Keine war besser im Trösten als Sammy.

„Hi, Jona, was gibt’s?“, flötete sie mir so laut ins Ohr, dass ich das Handy einen gefühlten Meter von mir weghalten musste.

„Notfall. Ben ist ziemlich geknickt und ich glaub nicht, dass ich ihn besonders gut aufmuntern kann. Ich hab gehofft, du könntest ihn davon abhalten, sich die Kante zu geben.“

„Oh, ja klar komme ich, gleicher Ort wie immer? Ich sag Dom Bescheid, dann hat er keine Chance sich im Selbstmitleid zu suhlen.“ Hörte ich da unterdrückt Sarkasmus? Das passte aber gar nicht zu ihr.

„Klasse, ich wusste, ich kann mich auf euch verlassen.“

„Für dich doch immer. Bis gleich!“

 

Als wir vier die Bar betraten, hatte sich Ben wieder ein bisschen beruhigt. Ja, dem Dreamteam konnte man nicht entkommen. Sammy war außerdem dabei, für jeden von uns ein geeignetes Opfer zu finden, aber ich hörte ihr gar nicht richtig zu. Die ruhelose Nacht forderte so langsam ihren Tribut und der Alkohol tat sein Übriges. Ich musste kurz eingenickt sein, denn plötzlich rammte mir jemand einen spitzen Ellbogen in die Seiten.

„Jona! Aufwachen! Du kannst hier doch nicht einpennen, die Kellnerin guckt uns ganz komisch an.“ Leicht orientierungslos klärte sich mein Blick und ich schaute in Doms Gesicht und dann zur Kellnerin. Von wegen! Die schaute nicht mich, sondern ihn an, und zwar mit diesem Ich-will-dich-am-Liebsten-auffressen-Blick.

„Spinnst du Dom? Die guckt nicht mich, sondern dich an! Du solltest lieber alle Schutzschilde hochfahren.“ Verwirrt schaute er mich an.

„Ist nicht dein Ernst? Warum soll die mich denn so angucken?“ Wie verblödet konnte man eigentlich sein?

„Weil“, quetschte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „sie auf dich steht. Sieht doch ein Blinder mit Krückstock.“ Die Augen wurden immer kugelrunder.

„Nee, da irrst du dich bestimmt, die schmachtet dich an, ganz bestimmt. Aber ich hab das Gefühl, dass da heute bei dir nicht mehr so viel läuft. Hast du die Nacht etwa nicht geschlafen?“ Die Besorgnis in seinen Augen konnte mich nicht davon abhalten, rot anzulaufen.

„Ähm..ja … mh, ich hab schlecht geträumt … Alptraum“, würgte ich hervor. Verdammt, es konnte auch nervig sein, solch einfühlsame Freunde zu haben.

„Aha, was hast du denn geträumt? Wenn du darüber redest, wird es bestimmt besser.“ Verflixter Mist, wie sollte ich mich aus dieser Zwickmühle befreien? Ich konnte ihm ja schlecht erzählen, dass der Gedanke an volle weiche Lippen mich in meinen Träumen verfolgt hatte und ich mit Pulsrasen aufgewacht war, nur weil ich meine Hormone nicht unter Kontrolle hatte. Und das I-Tüpfelchen war natürlich, dass diese Lippen ausgerechnet einem Mann gehörten. Dom würde zwar Freudensprünge machen, aber ich fand das überhaupt nicht lustig. Ich wollte einen anderen Mann nicht attraktiv finden. Schon gar nicht sexy, begehrenswert und diese sinnlichen L - wirst du wohl aufhören! Ich erinnerte mich leider viel zu gut an ihre geschwungene Form und daran, dass sie weich und begehrenswert aussahen.

„Was gäbe ich für deine Gedanken.“ Dom sah mich neugierig an. Ich hatte mich anscheinend eben grandios in die Bredouille manövriert.

„Was haben wir nicht mitbekommen? So, wie du eben geschaut hast, hat es dich voll erwischt. Wer ist denn die Glückliche?“ Fragend hob er die Augenbrauen und ich hatte nicht wenig Lust, meinen besten Freund zu ermorden.

„Niemand! Mich hat es nicht erwischt!“ Scheiße, besonders, wenn man etwas abstritt, glaubten die Leute doch, dass da was war.

„Jona“, er senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern, „ich glaube dir kein Wort. Kennen wir sie?“

„Es gibt niemanden. Hör auf damit!“ Ich hob meine Hand, um der Kellnerin zu signalisieren, dass ich zahlen wollte.

„Die Rechnung, bitte.“ Ich konnte Doms prüfenden Blick auf mir spüren. Er merkte definitiv zu viel.

„Ich bekomm es noch heraus.“ Hoffentlich nicht!

„Hier, bitte die Rechnung, zusammen oder getrennt? Noch einen Wunsch?“ Ihre Augen klebten förmlich auf Dom, den sie auch angesprochen hatte, obwohl ich die Rechnung bestellt hatte. Der schien nun langsam auch zu ahnen, dass ich Recht gehabt hatte und zog die Notbremse.

„Zusammen, kleinen Moment.“ Mit diesen Worten stützte er sich auf meinem Oberschenkel ab, um an seine Tasche zu kommen. Nur, dass es nicht in der „sicheren“ Zone war, sondern weitaus höher, als man einen normalen Freund anfassen würde. Geräuschlos zog ich die Luft ein und hielt den Atem an. Das würde mir die kleine Ratte büßen. Der benutzte mich doch glatt, um sie abzuservieren. Aber ich musste das Spiel wohl oder übel mitmachen, wenn ich nicht wollte, dass er aufflog. Als er seine Brieftasche herauszog, lehnte er sich an mich und ich legte meinen Arm um ihn und zwinkerte der Kellnerin zu. Diese verzog ihr perfekt geschminktes Gesicht zu einer Grimasse und kassierte das höchst großzügige Trinkgeld.

„Das hätte echt nicht sein müssen, Dom. Sie hat mir ja fast ein wenig Leid getan.“ Doch er zuckte nur mit den Schultern und schien es absolut in Ordnung zu finden, mich in der Öffentlichkeit ebenfalls als homosexuell darzustellen.

„Erzähl mir mal lieber, wer dich vom Schlafen abgehalten hat?“ Er gab einfach nicht auf.

„Geht dich gar nichts an.“

„Aha! Also gibt es doch jemanden! Vielleicht ist es wirklich jemand, den wir kennen. Oder, nee, du hast dich nicht in einen Kerl verguckt, oder? Ja, natürlich, das erklärt, warum du so herumdruckst.“ Verdammtes Radar … wieso merkte er immer gleich, wenn er richtig lag? Anstatt es weiter abzustreiten, blieb mir nun nichts anderes mehr übrig, außer zu schweigen. Dom hatte sich sowieso alles zusammengereimt und war hundertprozentig von seiner These überzeugt. Sollte er doch, aus mir würde er kein Sterbenswörtchen herausbekommen.

„Sammy“, flötete er in die Richtung von den beiden anderen, die ich darüber völlig vergessen hatte.

Sie und Ben hatten anscheinend einen Schlachtplan entworfen, um Ben seine neue Flamme zu sichern. Auch, wenn ich der Meinung war, dass Sammy insgeheim andere Ziele verfolgte. Das Funkeln in ihren Augen sprach Bände.

„Jona will mir nicht verraten, in wen er sich verguckt hat.“ Oh, diesen weinerlichen Tonfall kannte ich. Wenn sich Sammy nun auch noch auf seine Seite schlug, hatte ich so gut wie keine Chance mehr. Ich beschleunigte meine Schritte, als wir das  Café verließen und ergriff die Flucht.

„Sorry, Leute, muss morgen früh raus und meine Bahn fährt gleich. Bis dann.“ Wenn ich wollte, dann konnte ich durchaus schnell rennen. Ich hetzte zu meiner Bahn und ließ mich schnaufend auf einen der Sitze plumpsen. Kondition? Nicht vorhanden.

Dafür war ich die kleine Nervensäge los, die sich in alles einmischen musste. Verdammt, um ein Haar hätte ich ihm mehr verraten und damit ein nicht enden wollendes Quietschkonzert bekommen. Da er sich selbst für so unscheinbar hielt, war jeder, der wirklich unscheinbar aussah, inklusive mir, für ihn ein Adonis. Seine Ansprüche waren demzufolge nicht besonders hoch geschraubt und ich fiel genau in sein Beuteschema. Wenn wir nicht so lange befreundet gewesen wären, dann hätte er es bestimmt auch bei mir probiert.

Die Fahrt nach Hause war nach dieser aufregenden Episode eher ereignislos und ich war froh, als ich daheim ankam. Meine Müdigkeit war nun auf ihrem Höhepunkt und ich fiel nach dem Zähneputzen einfach ins Bett. Doch der Schlaf ließ auf sich warten, denn wieder verfolgten mich braune Augen. Warum nur ließen sie mich nicht los? Die Träume waren sehr unbestimmt, meistens nur kurze Ausschnitte, Dinge, an die ich mich erinnerte, Kleinigkeiten, die mein Gedächtnis unbewusst gespeichert hatte. Der Minileberfleck am linken Ringfinger, die Hand, mit der er immer umblätterte und mit der er schrieb. Die Augenbrauen, die sich drohend zusammenzogen, wenn ihm nicht gefiel, was er las. Mein letzter klarer Gedanke war, dass ich mich einfach nicht in einen Mann verlieben wollte.

Wie gerädert begann der nächste Morgen. Immerhin hatte ich es im Halbschlaf noch geschafft, den Wecker zu stellen, so hatte ich noch genug Zeit, um mich zu rasieren. Eine halbe Stunde, eine Dusche und zwei Pflaster später, hüpfte ich wütend durch meine Wohnung, weil ich mir den Zeh an meinem Schuhschrank gestoßen hatte, auf der Suche nach meinem Schirm. Triumphierend hielt ich das Mistding in der Hand und wunderte mich mal wieder über mein Talent, alles zu verlegen, was auch nur im Entferntesten als wichtig definiert war. MP 3-Player nicht vergessen und wieder raus in den Regen huschen. Aber heute wollte mich jemand ärgern, denn so ziemlich jede Pfütze hatte sich dazu auserkoren, mein persönlicher See zu sein und am Bahnhof trieften meine Schuhe vom schmutzigen Straßenwasser. Na toll, die waren hin.

Bloß schnell rein in die warme – denkste - Bahn. Saukalt war es! Wer hatte bloß vergessen, die Heizung anzumachen? Ihr denkt, der Morgen könnte nicht schlimmer werden? Recht habt ihr, meine Laune war im Keller und daran konnte auch der Grund meiner Alpträume nichts ändern. Ich konnte mich prima selbst belügen, Alpträume, wenn es nur das wäre.

Ich zwang mich dazu, woanders hinzuschauen, nur nicht auf ihn. Aber das scheiterte schon daran, dass ich über seine Füße stolperte und hastig ein „T'schuldigung.“ murmelte. Ich riskierte einen Blick auf ihn und er grinste mich doch tatsächlich an.

„Macht nichts.“ Ich glaube, ich brauche einen Herzschrittmacher, aussetzende Herzschläge sollen doch sehr lebensbedrohlich sein? Einen langsamen Takt anschlagend, verstärkte sich der Druck auf meine Brust und ich setzte mich und tat so, als ob ich vom Rennen so aus der Puste wäre. Dabei war ich nur völlig außer mir. Das war mir noch nie passiert. Mister Eisklotz in Person. Wenn Dom echt hatte, dann schaufelte ich mir mein eigenes Grab. Denn mein Herz machte das bestimmt nicht lange mit.

Der Anblick draußen war so trostlos, dass ich gegen mein besseres Wissen die Augen schloss und hoffte, ein bisschen Schlaf nachholen zu können. Das klappte auch ganz prima, bis sich ein ziemlich dicker, übel riechender Mann neben mich quetschte und ich nur noch flüchten wollte. Da ich immer rückwärtsfuhr, konnte ich auch guten Gewissens so tun, als ob mir schlecht geworden wäre und ich mich deshalb auf die andere Seite setzte. Mir war schlecht, aber nicht vom Bahnfahren. Boah, hatte der die letzte Woche nicht geduscht? Dieser Geruch nach Schweiß, kaltem Rauch und einer darunter liegenden Alkoholfahne trieb mir beinahe die Galle hoch. Ich kramte in meiner Tasche nach Mentholbonbons oder Kaugummis, nur um diesen Gestank zu überdecken. Da hielt mir eine Hand eine Bonbonschachtel unter die Nase. Verwundert blickte ich auf.

„Nimm ruhig.“ Dankend nickte ich, zu mehr war ich nicht in der Lage. Das Bonbon war Balsam für meine geschundene Nase und seufzend legte ich meinen Kopf an die Fensterscheibe. Die Nähe zu ihm machte es mir nicht leicht, mich abzulenken, aber nun konnte ich ihn auch nicht mehr so gut beobachten. Dafür stellte ich fest, dass er im Gegensatz zu unserem Gegenüber sehr gut roch. Von dieser neuen Entdeckung machte ich auch sofort Gebrauch. Ich rückte ein wenig näher an ihn ran und sog tief diesen Duft ein. Vielleicht sollte ich mich öfter neben ihn setzen? Lieber nicht, wer wusste, auf welche Schnapsideen ich dann kam. Völlig betrunken von ihm, stieg ich an meiner Station aus und dachte, dass kein Parfum dieser Welt diesen Duft nachahmen könnte, männlich herb und ein bisschen sportlich und darunter ein heißes Versprechen. Die Hand ging an meine Stirn, ich musste eindeutig Fieber haben. Möglicherweise hatte ich mir bei dem ganzen Regen eine Erkältung eingefangen? Oder ich war wirklich übergeschnappt und gehörte eingewiesen.

 

Das ging die nächsten zwei Wochen noch so. Ich registrierte jede Kleinigkeit an ihm und verlor mich immer mehr in meinen Tagträumen. Jedoch war ich unfähig, mir einzugestehen, welche Gefühle er in mir weckte. Ich hatte mittlerweile eine prima Verdrängungstaktik entwickelt, die anscheinend auch funktionierte. Jeden Blickkontakt vermeiden und mich im Fitnessstudio so verausgaben, dass ich todmüde ins Bett fiel. Das tat zwar meinem Körper gut und die Hosen zwickten auch nicht mehr, aber ich war ein wandelnder Zombie, weil ich immer noch zu wenig Schlaf bekam. Dom ließ auch nicht locker. Wie ein Spürhund hatte er sich an meine Fährte geheftet und traktierte mich mit Fragen. Sammy hielt sich glücklicherweise heraus, die hatte momentan genug mit Ben zu tun, der anscheinend in ein totales Tief gefallen war.

Bei einem Volleyballspiel waren sie seiner Exfreundin begegnet und die hatte natürlich einen anderen dabei. Ben hatte einen Ball nach dem Nächsten verschossen und seine Mannschaft fast in den Wahnsinn getrieben. Das Spiel haben sie trotzdem gewonnen, sonst wäre bestimmt Lynchjustiz angesagt gewesen. Ich war nicht besonders gut im Trösten und war ehrlich froh, dass Sammy diese Aufgabe gerne übernahm. Außerdem hatte ich genug damit zu tun, mir Dom vom Hals zu halten. Mit seinen Kulleraugen konnte er fast jeden dazu bringen, ihm das zu geben, was er wollte. Kennt ihr diese Katze aus dem Animationsfilm? Ja? Genau so schaute er mich an und ich war wirklich versucht, ihm alles zu erzählen und mir einen Rat zu holen. Denn wirklich erwachsen konnte ich mit der ganzen Situation anscheinend nicht umgehen. Ich hatte ihm mehr oder weniger bestätigt, dass es um einen Mann ging und er war dazu übergegangen, mich bei jedem auch nur ansatzweise gut aussehendem Typen zu fragen: „Der vielleicht?“ Dabei beobachtete er mich eingehend und schüttelte jedes Mal wieder den Kopf.

„Wenn du ihn nicht willst, ich würde ihn nehmen.“ Grinste mich an und spielte diese Prozedur immer wieder mit mir ab. Ich hoffte, irgendwann würde ihm das langweilig werden, aber er hatte einen ziemlich langen Atem.

Vier Wochen später war ich immer noch keinen Schritt weiter, jeder Tag wiederholte sich und trieb mich langsam aber sicher in den Wahnsinn. Ich hatte versucht, mich in der Bahn woanders hinzusetzen, aber selbst dann dachte ich an ihn, also hatte ich das aufgegeben. Es war schlimmer sich ihn nur vorzustellen, als ihn in Fleisch und Blut vor mir zu sehen. Diese Faszination war mir unerklärlich. Ich kannte ihn überhaupt nicht, war eigentlich nur von seinem Aussehen beeindruckt. Aber das erklärte nicht, dass mein Puls anfing zu rasen und meine Hände in Gedanken auf Wanderschaft gingen. Oh, wie gerne wollte ich ihn einmal anfassen. Vielleicht würde das die Perfektion zerstören, wenn ich merkte, dass er nur ein Mensch wie jeder andere war?

Wir waren noch nicht am nächsten Bahnhof angekommen, da knackte es in den Lautsprechern und die Schaffnerin meldete sich. „Aufgrund eines unvorhergesehenen Zwischenfalls muss unser Zug auf unbestimmte Zeit halten.“Und nun? Was sollte mir diese Aussage jetzt bringen? Na, toll, jetzt durfte ich bei meinem ach so verständnisvollen Chef anrufen und ihm erklären, dass ich höchstwahrscheinlich zu spät kam. Seufzend kramte ich nach meinem Uralthandy. „Ja hallo, hier ist Jona. Mein Zug hat Verspätung und ich weiß noch nicht genau, wann ich auf Arbeit bin. … Ja, ich weiß. Es tut mir ja auch leid, aber ich kann nichts dagegen tun. … Ja, tschüss!“ Wie ich den alten Sack verabscheute, wichtige Lieferung blabla.

Es wurde wirklich langsam Zeit, dass ich mir was anderes suchte. Ich hatte in den letzten Jahren ein nettes Sümmchen angespart. Mein Sparbuch war vielleicht nicht prall gefüllt, aber es reichte aus, um nicht vom Amt abhängig zu sein. Aber die Frage war, was wollte ich stattdessen machen? Arbeiten? Ausbildung? Studium? Mein Leben verlief in letzter Zeit so eintönig und bedeutungslos, abgesehen von meinem Gefühlschaos, dass ich mir ein wenig Abwechslung wünschte. War nicht demnächst Bewerbungszeit? Ich hatte mich zwar nicht ausgiebig damit beschäftigt, aber ein wenig wusste ich Bescheid. Aber als Azubi war man auch wieder unter dem Pantoffel von jemandem, außerdem hatte ich keine Lust auf den Bewerbungszirkus. Ich wollte Selbstständigkeit und eigenständiges Denken. Nicht, dass ihr denkt, ich wäre superoptimistisch gewesen, dass das auch klappte. Keineswegs. Mein ganzes Leben war ich von einem Desaster zum Nächsten geschlittert. Mein Abi war zwar auch nicht die Wucht, aber das Erste, das ich wirklich durchgezogen hatte. Vielleicht sollte ich darauf aufbauen? Studieren klang plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Möglicherweise konnte ich mich noch für das Sommersemester bewerben, wenn mein Vertrag ausgelaufen war. Diesem Betrieb weinte ich keine Träne nach. Jetzt stellte sich nur die Frage, was sollte ich studieren? Geschichte klang zwar trocken, doch ich hatte es in der Schule ganz gern gemocht. Nur die neuere Geschichte lag mir nicht. In dem Moment erinnerte ich mich an die Dokumentation, die ich im Fernsehen gesehen hatte. Das war etwas über Mythen gewesen und hatte mich gefesselt. Archäologiesendungen sah ich mir auch hin und wieder an. Vielleicht war das etwas für mich. Der Zug fuhr in dem Moment an, als ich eine alles ändernde Entscheidung für mein Leben getroffen hatte.

Kapitel 2

Kapitel 2

 

Zusammen mit den anderen Erstsemestern saß ich in der Vorlesung für Alte Geschichte. Der Dozent schien nett zu sein und uns nicht nur als Nummer zu sehen, der er irgendwie begreiflich machen musste, wie wichtig sein Fach für die Prüfung und unser restliches Leben war. Es war erstaunlich einfach gewesen, an der Universität aufgenommen zu werden. Es waren auch nicht so viele Studenten, wie ich angenommen hatte. Das war schön, da wir uns nicht wie andere Studiengänge in völlig überfüllte Hörsäle quetschen mussten. Gespannt lauschte ich den Ausführungen und machte fleißig Notizen. Dieses erste Semester würde harte Arbeit werden, aber ich hatte ein Ziel vor Augen und deshalb machte es mir nichts aus. Bei manchen Gesichtern konnte man erkennen, dass es ihnen jetzt schon zu viel war.

Der erste Tag verging erstaunlich schnell und ich machte mich mit etlichen Aufzeichnungen und Vorbereitungslisten auf den Weg. Da ich jetzt nicht mehr arbeiten ging, hatte sich ein Problem aufgetan. Meine Wohnung würde auf Dauer zu teuer werden und ich hatte beschlossen, mir ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft zu suchen. Ich hatte bereits ein bisschen recherchiert und war auf ein interessantes Angebot gestoßen. Deshalb saß ich nun im Zug auf dem Weg in meine neue Vielleicht-Unterkunft. Bisher war ich immer zu Zeiten zurückgefahren, wenn der andere junge Mann nicht mit mir in der Bahn saß. Mein Interesse an ihm hatte sich bedauerlicherweise noch immer nicht gelegt, obwohl man dabei fast von einer Obsession sprechen konnte. Zu meinen Beobachtungen hatten sich neue Erkenntnisse gesellt. Er schrieb während der Fahrt oft in seine Unterlagen und schien insgesamt sehr fleißig zu sein. Wenn er schrieb, dann nur mit einem ramponierten, wirklich alt aussehendem Füllfederhalter, den er wie einen Schatz hütete. Er schien Bonbons in allen Variationen zu lieben, denn fast immer lutschte er einen, was meine nächtlichen Phantasien natürlich nicht sonderlich beruhigte. Seine Hände wiesen oft Kratzer und Abschürfungen auf, sodass ich mich fragte, ob er nebenbei noch arbeitete. Trotzdem waren seine Fingernägel sauber und gepflegt, zogen mich mehr als einmal in ihren Bann und ich musste meinen Blick gewaltsam losreißen. Insgesamt war er noch genauso spannend, wie in der ersten Minute und mir passte das immer noch genauso wenig. Aber ich hatte mich zumindest mit meinem unterschwelligen Drang angefreundet, ihn zu beobachten. Als wir an der Station vorbeifuhren, an der ich normalerweise ausstieg, zuckte sein Blick zu mir und ich fragte mich unwillkürlich, ob er bemerkt hatte, dass ich hier heraus gemusst hätte. Aber warum sollte das für ihn von Interesse sein? Bisher hatte er noch nicht zu erkennen gegeben, dass er gemerkt hätte, dass wir jeden Morgen den gleichen Weg hatten. Die Häuserfassaden vor dem Fenster lockerten sich nach und nach auf und wir kamen in einen Vorort. Bei der nächsten Station musste ich raus. So stand es zumindest in der Wegbeschreibung, die Konstantin mir geschickt hatte. Er klang in der E-Mail zumindest ganz nett und ich freute mich, da er geschrieben hatte, dass bisher nur er und sein jüngerer Bruder in der WG lebten. Das Zimmer klang auf jeden Fall vielversprechend und ich musste nur eine Station weiter fahren. Ich fand, das war durchaus akzeptabel. Als die monotone Stimme die nächste Station ansagte, holte ich schnell noch einmal den Plan hervor. Ich sollte mich links halten, wenn ich aus dem Bahnhof kam. Konstantin wollte mich abholen, da es wohl ein bisschen abseits lag und man sich leicht verlaufen konnte. Ja, Vororte waren gruselig. Ich packte meinen Rucksack, als ich aus dem Augenwinkel bemerkte, dass auch mein Sitznachbar aussteigen wollte. Wir stellten uns nebeneinander vor die Tür, niemand sonst wollte in dieses verschlafene Nest. Als die Tür grün blinkte, drückten wir gleichzeitig auf den Knopf und mir war, als ob ein Stromschlag durch meinen Körper jagen würde. Erschrocken zuckte meine Hand zurück und mein Kopf war ganz wirr, während ich aus dem Zug stolperte. An der Bushaltestation wartete ich, wie Konstantin es mir aufgetragen hatte. Bereits nach fünf Minuten, sprach mich jemand an.

„Hi, bist du Jona?“ ein junger, wirklich gut aussehender Mann stand vor mir und streckte mir seine Hand zum Gruß entgegen, die ich zögerlich annahm.

„Ja, bin ich. Konstantin?“ Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich ihn kannte. Seine Gesichtszüge waren sehr markant. Eine gerade Nase, volle Lippen, graue Augen und wuscheliges schwarzes Haar. Ich grübelte immer noch, da unterbrach er mich.

„Nein, ich bin Philipp, Konstantin kommt gleich, er ist nochmal schnell zum Bäcker, wollte Kuchen holen, damit wir was zu futtern haben.“ Ich war froh, dass sein Bruder an meinen leeren Magen gedacht hatte.

„Das ist wirklich nett von ihm. Ich hab einen Bärenhunger.“

„Das freut mich, denn ihr dürft die Sahnetorte ganz alleine essen. Der Bäcker hatte nichts anderes mehr da und ich mag solche Sachen nicht.“ Diese samtene, warme Stimme begrüßte mich und ich drehte mich um. Mir blieb beinahe das Herz stehen. Ich hab ja gesagt, ich brauche einen Herzschrittmacher, das konnte nicht gesund sein. Er war es wirklich! Zumindest wusste ich nun, warum mir Philipp so bekannt vorkam. Die Familienähnlichkeit war eigentlich unübersehbar. Ich hatte mich noch nicht von meiner Nahtoderfahrung erholt, als ich eine unverständliche Antwort stammelte.

„Konstantin! Musst du dich immer so anschleichen? Du hast Jona zu Tode erschreckt. Er ist ganz blass geworden.“ Ach Philipp, wenn du wüsstest, dass dein Bruder Grund zahlreicher schlafloser Nächte war. Ich war kurz davor, einfach umzudrehen und die Flucht zu ergreifen, da sprach Konstantin mich an.

„Jona heißt du also? Du fährst jeden Morgen mit mir in der Bahn, oder?“ Seine Augen, die mich fragend anschauten, waren von einem dunklen Braun. Irgendwann bekam ich mit, dass eine Antwort von mir erwartet wurde.

„Ähm ja, bin ich und genau, wir fahren jeden Morgen zusammen.“ Soviel konnte ich gefahrlos zugeben, ohne dass auffiel, dass ich ihn immer ausgiebig beobachtete. Ich hätte ja nicht gedacht, dass ich ihm überhaupt aufgefallen wäre, immerhin hatte er seine Nase meistens in einem Buch oder in seinen Unterlagen.

„Wollen wir?“, fragte Philipp mit fröhlicher Stimme und unterbrach mich in meinem Schwanken, ob ich nun abhauen oder mitgehen sollte. Aber einfach ohne eine Begründung zu verschwinden, wäre wirklich zu unhöflich gewesen. Ich konnte mir das Zimmer ja mal ansehen und mir zur Not irgendeine fiktive Ausrede ausdenken, warum ich es nicht wollte. Schlimm genug, dass ich im Zug die Augen nicht von ihm lassen konnte, wie sollte das erst werden, wenn wir unter einem Dach lebten?

Aber vielleicht würde mich das auch von meiner Faszination kurieren, wenn ich merkte, dass er nur ein Mensch mit Fehlern und Makeln war und nicht die Perfektion meiner Phantasie. Ich trottete neben den beiden her und versuchte, mir den Weg einzuprägen, obwohl ich Sekunden zuvor noch entschlossen gewesen war, das Angebot abzulehnen. Aber es war einfach zu verlockend, zu sehen, wie das Objekt meiner Begierde - ähm Erde an Gehirn! Hör auf damit und konzentrier dich auf das Wesentliche! - lebte. Meine Träume waren in dieser Hinsicht mittlerweile ziemlich konkret geworden und ich hatte mir angewöhnt, jeden Gedanken daran sofort zu unterdrücken. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie Konstantin – jetzt hatte ich wenigstens einen Namen zu dem Gesicht – mich verlangend an sich drückte und seine weichen Lippen auf meine presste. Stopp! Falscher Gedankengang!

Würde ich mich nicht selbst maßregeln, hätte ich schon öfter Probleme gehabt, denn die Tagträume häuften sich. Da ich diesen Gedanken im Moment natürlich nicht vertiefen wollte, wandte ich meine Aufmerksamkeit der Umgebung zu. Wir gingen an typischen Einfamilienhäusern vorbei, die oft in Doppelhaushälften unterteilt waren. Gepflegte Rasen und Blumenrabatten, die entweder von niedlichen Schoßhündchen oder etwas bedrohlicher aussehenden Hunderassen bewacht wurden, wechselten einander ab. Insgesamt war die Umgebung so einheitlich, sodass ich mich nicht wundern würde, wenn man sich hier verlief. Schließlich sah alles gleich aus. Ich würde nie verstehen, was so viele Menschen an Klinkersteinen toll fanden.

Wir waren circa zehn Minuten unterwegs, als sich vor uns ein großer Wald auftat. Dunkle Nadelbäume nahmen den Laubbäumen jedes Licht, das sie für sich hätten beanspruchen können. Wir folgten der breiten Straße, die links und rechts von Bäumen gesäumt war und ich sog den klaren Waldgeruch ein. Das war eine nette Abwechslung zum Mief der Großstadt, obwohl mir die Geschäftigkeit fehlen würde. Nach weiteren fünf Minuten bogen wir rechts in den Wald ein. Ein befestigter, nicht besonders breiter Weg, der geradeso für ein Auto reichte, führte uns durch das Dickicht. An der kleinen Kreuzung war ein Schild mit dem Nachnamen der beiden angebracht. Lüning hießen sie also. Als wir die ersten Schatten des Hauses erblickten, haute mich der Anblick erst einmal um.

„Das ist ja eine Villa! Und hier wohnt ihr ganz allein?“ Sie nickten. Völlig entgeistert starrte ich die beiden an. Ich hatte mit einer Wohnung in einem Block oder etwas Ähnlichen gerechnet. Konstantin hatte nur die Quadratmeterzahl des Zimmers und einige Ausstattungssachen angegeben, ohne Bilder. Sonst hätten sie sich vor Bewerbungen bestimmt nicht mehr retten können. Mein ganzes Leben lang hatte ich nur in Wohnungen gelebt. Die Vorstellung nun in einem Haus, vor allem ohne nervende Nachbarn, zu wohnen, hatte etwas Verlockendes. Die beiden Brüder machten auf mich auch nicht den Eindruck, dass sie besonders anspruchsvolle Mitbewohner wären. Die Entscheidung, ob ich einziehen durfte, lag jedoch bei ihnen. Wenn das Zimmer und der Rest auch so beeindruckend waren, dann war meine gefallen. Diese Chance würde ich mir bestimmt nicht entgehen lassen. Mit meinem anderen Problem – das ja eigentlich keines war! – würde ich irgendwie zurechtkommen.

Konstantin schloss die Tür auf, die mit so einem alten Türklopfer ausgestattet war, den ich sonst nur aus Filmen kannte.

„Wir haben das Haus von meinen Großeltern geerbt, die leider vor einem halben Jahr kurz nacheinander verstorben sind. Damit es nicht leer steht, haben wir beschlossen, es zu nutzen, natürlich ist es für zwei Personen viel zu groß.“ Seine Stimme schlug mich sofort wieder in ihren Bann und gespannt lauschte ich seinen Ausführungen.

„Das Haus wurde 1890 erbaut und ist an manchen Stellen marode. Also pass bloß auf, wo du hintrittst! Ich habe leider noch nicht alle morschen Dielenbretter austauschen können. Philipp ist mir dabei keine Hilfe, er hat nämlich zwei linke Hände.“ Leicht verärgert blickte er seinen Bruder aus diesen unglaublichen Augen an, der jedoch nur mit den Schultern zuckte.

„Du bist der, mit dem handwerklichen Geschick, vielleicht kann Jona dir zur Hand gehen?“, fragend schaute er mich an und zögerlich nickte ich mit dem Kopf. Seite an Seite mit Konstantin zu arbeiten, würde meine Phantasien bestimmt nicht dämpfen.

„Ich kann es ja versuchen. Zumindest kann ich mit einem Hammer umgehen. Alles andere kannst du mir vielleicht zeigen.“

Nun war es an mir Konstantin anzuschauen und mein Blick blieb prompt an seinen schönen Lippen hängen. An der leichten Kurve der Oberlippe und der vollen Unterlippe. Das musste echt aufhören! Er hingegen schien nichts von meinem gedanklichen Ausflug zu merken und verzog den Mund zu einem leichten Lächeln.

Wenn ich gewusst hätte, dass dieses Lächeln dafür sorgen würde, dass Schmetterlinge in meinem Bauch Samba tanzten, hätte ich in dem Moment, als ich es noch konnte, bestimmt die Flucht ergriffen. Aber so erschütterte es mich bis in die Tiefen meiner Seele und ich hatte immer noch nicht begriffen, dass ich ein für alle Mal verloren war.

„Natürlich zeige ich dir, was du machen musst. Wenn du nur ein Viertel besser bist als Philipp, bist du engagiert. Der kann nämlich null Komma gar nichts.“ Diese kleine Stichelei brachte er mit einem Ausdruck im Gesicht hervor, der deutlich zeigte, dass er seinen Bruder trotz aller Fehler liebte.

Somit traten wir ein und ich verliebte mich auf den ersten Blick in das Haus. Wir standen in der Eingangshalle, von der verschiedene Türen in andere Bereiche des Hauses führten und eine Treppe in die oberen Stockwerke. Die kunstvollen Verzierungen am Treppengeländer, das aus einem dunklen Holz bestand, die schmiedeeisernen Türklinken, die Bilder an den Wänden, die Figurinen auf den alten Kommoden, all das schlug mich in seinen Bann und in jeder Ecke entdeckte ich eine neue Kostbarkeit.

„Komm! Ich zeige dir alles.“ Mit diesen Worten zog mich Philipp links durch eine Tür und tief in mir war ich enttäuscht, dass nicht Konstantin mich herumführte. Doch das würde ich natürlich niemals zugeben.

„Also Jona, hier das Herz eines jeden Hauses, die Küche! Wir haben sie vor zwei Monaten modernisieren lassen. Aber keiner von uns kann sonderlich gut kochen.“ Er stellte den Kuchen, den ihm sein Bruder zuvor noch in die Hand gedrückt hatte, auf einen kleinen Tisch vor dem Fenster, der mit Mühe und Not für vier Personen reichte.

„Im Kühlschrank ist gerade nicht besonders viel. Wir kaufen immer zusammen ein, ist billiger, als alles doppelt zu holen. Gibt es irgendwas, das du nicht isst?“ Ich schüttelte den Kopf.

„Schön.“

Von der Küche ging eine Tür ab und wir betraten ein riesiges Wohnzimmer. Es war extrem heimelig eingerichtet und ich konnte mich hier entspannte Nachmittage verbringen sehen. Vor der beigen Eckcouch lag ein großer flauschiger dunkelbrauner Teppich auf dem dunklen Parkettfußboden. Unter dem kleinen Glastisch lagen diverse Zeitschriften und sorgten dafür, dass es gemütlich aussah, obwohl es sonst überall sehr aufgeräumt wirkte. Der große Fernseher wirkte im ersten Moment fehl am Platz, da alle Möbel anscheinend ein Sammelsurium aus verschiedenen Flohmärkten, Erbschaften und Antiquitäten waren. Aber irgendwie fügte sich alles zusammen. Der Kamin sorgte natürlich auch sofort dafür, dass man sich geborgen fühlte und an gemütliche Abende vor prasselndem Feuer dachte. Lange Arme, die sich um einen legten und weiche braune Haare, die gegen die Wange strichen. Ich schüttelte den Kopf, diese dumme Angewohnheit musste wirklich aufhören. Diese Tagträumereien waren nicht hilfreich und absolut unwahrscheinlich. Außerdem wollte ich nicht auf einen Mann stehen! Jetzt musste ich nur noch mein Herz und meinen Verstand davon überzeugen, dass das auch wirklich mein Wunsch war. Die beiden hatten sich nämlich eindeutig gegen mich verschworen. Philipp lief weiter in den Raum und zeigte mir den Wintergarten. Das war wirklich ein Traumhaus, ich konnte es nicht fassen, dass ich vielleicht hier einziehen würde.

„Im Winter ist es hier echt schön! Wenn du mal nach draußen schaust und dir einen verschneiten Garten und Wald vorstellst, wirst du das bestimmt verstehen.“

Ich mochte weder Winter noch Sommer besonders, aber auch ich musste zugeben, dass die Vorstellung des dunklen Waldes, gekleidet in helles Weiß, etwas für sich hatte. Der Garten war nicht sonderlich groß, gut das hieß, dass man nicht allzu viel Rasen mähen musste. Die eine Hälfte schien sowieso eher als Lager für Bretter zu dienen. Vermutlich, um  die Dielenbretter auszutauschen. Wir nahmen den Weg zurück und gingen auf der rechten Seite in einen Raum, der das Arbeitszimmer sein musste oder die Bibliothek oder beides, denn er war von oben bis unten vollgestopft mit Büchern. Die Wände waren getäfelt und hohe Regale waren daran angebracht. Eine schmale Galerie führte um die obere Etage, die man über eine wacklig aussehende Wendeltreppe erreichte. Darunter stand ein großer Schreibtisch, der mit Papieren übersät war.

„Das ist die Bibliothek, Konstantin benutzt sie, um zu lernen, aber vielleicht könnt ihr sie euch ja teilen. Keine Ahnung, wie er sich hier konzentrieren kann, nun ja mir liegt Lesen eh nicht so.“

Das Sofa mit der Leseecke sah richtig einladend aus, allerdings stellte ich mir gerade nicht vor, darauf mit einem Buch zu sitzen. Jona, reiß dich zusammen! Das ist Wunschdenken. Du bist jetzt hier mit Philipp, Konstantin ist nicht mal in deiner Nähe.

„Komm, ich zeig dir das Bad, dann sind wir hier unten durch.“

Es war modern eingerichtet und hatte sowohl eine Dusche, als auch eine große Badewanne. Ein heißes Schaumbad zu zweit im Kerzenlicht und ich wusch allen Schmutz der harten Arbeit von ihm. Ähem, auf was für verrückte Ideen kam ich denn nun schon wieder? Und eigentlich duschte ich auch lieber!

Danach gingen wir die Treppe nach oben. Vom Flur führten vier Türen ab und noch eine schmale Treppe. Ich hatte Mühe mit Philipp Schritt zu halten, anscheinend konnte er es gar nicht erwarten, mir auch den Rest des Hauses zu zeigen.

„Gehen wir zuerst in mein Zimmer?“ Ich wusste zwar nicht, warum ich auch die anderen Räume sehen sollte, aber ich nickte. Als wir eintraten, war es, als ob wir auf einen Schlag in die Gegenwart katapultiert worden wären. Jede Wand war zugekleistert mit Postern von Bands, die ich nicht kannte. Ein PC stand auf einem großen Schreibtisch und die Musikanlage war sicherlich teuer gewesen. Dazu kam ein Riesenfernseher, man konnte es auch übertreiben, an den diverse Spielkonsolen angeschlossen waren.

„Du spielst doch, oder? Konstantin kann damit nichts anfangen, also bitte bitte sag ja!“ Flehend schaute er mich aus grauen Augen an, die in ihrer Form, denen seines Bruders ähnelten.

Wieso sollte ich nein sagen? Verträumt dachte ich an braune Augen, die mich genauso ansehen würden.

In dem Moment ging mir auf, dass das nicht die Antwort auf die Frage war, die Philipp mir gestellt hatte, sondern, warum ich mich so vehement dagegen wehrte, in einen Mann verliebt zu sein. Weil ich nicht wollte! Ich atmete gedanklich einmal tief durch. Völlig falscher Gedankengang. Konzentrieren.

Ob er mir wohl auch das Zimmer seines Bruders zeigen würde? Aber wieso sollte er? Allerdings hatte er mir auch sein Reich gezeigt. Ich persönlich würde es als sehr unhöflich empfinden, wenn jemand mein Domizil ohne meine Erlaubnis betreten würde. Philipp war ja sehr hibbelig, aber so gut war er bestimmt erzogen. Auf den ersten Blick waren die Brüder sehr unterschiedlich, aber ich hatte vorhin gemerkt, dass ein enges Verhältnis zwischen ihnen bestand.

Ich konnte mir vorstellen, dass das Zimmer von Konstantin sehr aufgeräumt und übersichtlich war. Oder es war voller Bücher. Er hatte zwar die Bibliothek, aber dort schienen seine heiß geliebten Fantasybücher nicht zu stehen. Zumindest hatte ich keine gesehen.

Aber Philipp führte mich nun in mein vielleicht zukünftiges Zimmer. Nach der ganzen Herumführerei war es natürlich nichts Besonderes mehr.

„Vier Steckdosen, W-LAN im ganzen Haus, ca. 20 Quadratmeter und wie gefällt es dir?“, gespannt schaute er mich an und ich wurde den Vergleich mit einer dieser Hunderassen nicht los. Wie hießen die doch gleich? Golden Retriever? Die Goldenen, die einen immer so treu doof anschauten. Ja, genau, das passte.

„Gut, sieht ja fast aus wie deins, nur leer.“ Mehr wollte mir beim besten Willen nicht einfallen.

„Gehen wir essen? Konstantin hat die Torte bestimmt schon angeschnitten.“

„Klar.“

Daraufhin gingen wir die Treppe wieder hinunter. Auf den Dachboden durften wir nicht, da Konstantin meinte, die Bretter waren zu morsch. Die Großeltern hatten sich natürlich nicht mehr um alles kümmern können und Konstantin hatte sie später dabei unterstützt. Philipp hatte nebenbei erzählt, dass er sein ganzes Leben lang immer oft bei seinen Großeltern zu Besuch gewesen war und sich nie etwas verändert hatte. Irgendwie ist es ja schön, wenn es eine Konstante im Leben gibt, aber das war doch gefährlich, wenn hier nichts repariert wurde. Ich war ganz froh, dass Konstantin diesen Part übernommen hatte, denn ich hatte wenig Lust, mir den Hals zu brechen. Auf dem Weg nach unten versuchte ich mich davon zu überzeugen, dass ich nicht enttäuscht war, dass wir uns sein Zimmer nicht angesehen hatten. Aber eigentlich hätte ich mich schon dafür interessiert.

In der Küche angekommen, sahen wir, dass nicht nur Kuchen auf uns wartete, sondern auch frisch aufgebrühter, dampfend heißer Kaffee und Tee.

„Also, Jona gefällt das Zimmer. Was machst du eigentlich beruflich? Nicht, dass du Schicht arbeitest, das wäre eher unvorteilhaft, wir müssen immer früh raus.“ Graue Augen richteten sich auf mich und die Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, da ich ihm anscheinend nicht schnell genug antwortete. Ich war jedoch noch von der anderen Präsenz im Raum überwältigt und antwortet nur mit einem: „Huh?“

„Philipp, lass ihn sich doch erst einmal setzen. Jedes Mal quatschst du die Leute gleich voll. Ich hab dir doch gesagt, dass du sie damit überfährst.“ Diese Stimme ging mir unter die Haut und ich war froh, dass ich einen langärmligen dünnen Pulli angezogen hatte, denn diese Gänsehaut wollte ich ihn garantiert nicht sehen lassen.

„Ähm, nein, ich studiere. Vorher habe ich als Lagerarbeiter gejobbt. Wegen der Miete müsst ihr euch also keine Sorgen machen. Die Ersparnisse reichen noch eine Weile und ich will mir einen Nebenjob suchen.“ Ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, meinen Blick nicht die ganze Zeit zu Konstantin schweifen zu lassen. Er sah aber auch wirklich unverschämt gut aus. Dieses schwarze enge Shirt betonte seine schlanke Figur und ich schaute angestrengt aus dem Fenster oder in Philipps Gesicht.

„Was studierst du denn?“

„Vorderasiatische Archäologie. Läuft bisher ganz gut. Die Fahrzeit bis zur Uni ist zwar ein bisschen länger, aber auszuhalten.“

„Dann gehst du ja auf die gleiche Universität wie Konstantin. Er studiert nämlich Geschichte.“ Bei diesen Worten verzog er sein Gesicht, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte.

„Aha, und was machst du? Ausbildung, Abi?“, fühlte ich mich genötigt zu fragen.

„Bald fertig mit Abi und danach werde ich Kulturwissenschaften studieren.“, gab er bereitwillig Auskunft.

„Klingt … spannend.“ Auch wenn ich mir darunter nicht viel vorstellen konnte. Aber darüber klärte mich Philipp anschließend ausführlich auf. Das weitere Gespräch bestritten hauptsächlich wir zwei und Konstantin gab nur ab und zu ein Kommentar ab. Ich hatte nicht den Eindruck, als ob ihn sonderlich interessierte, worüber wir uns unterhielten. Ãœberhaupt schien er eher gedankenverloren, während er an seinem Kaffee nippte. Immer, wenn er aus dem Fenster blicke, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck, als ob ihm nicht gefiel, woran er dachte.

So verlief mein erster Besuch bei den Brüdern, mit dem Versprechen, mich sofort zu melden, sobald ich alles mit meiner alten Wohnung geregelt hatte. Diese Nacht schlief ich noch unruhiger als sonst, schließlich hatte ich nun einen Namen zu dem Gesicht, das mich in meinen Träumen verfolgte. Auch dort war er wenig gesprächig, doch die Anziehung hatte nicht nachgelassen, sondern eher zugenommen. Ob es wirklich eine gute Idee war, bei den beiden einzuziehen? Mein Verstand machte mir jetzt schon einen Strich durch die Rechnung, wenn ich ihn davon zu überzeugen versuchte, dass ich Konstantin absolut nicht anziehend fand.

Ich hatte den beiden gesagt, dass ich am nächsten Abend nach der Uni Bescheid sagen würde. Im Prinzip hatten wir uns entschieden. Ich musste nur noch klären, wie ich die Sachen aus meiner alten Wohnung dorthin bekommen würde. Alles konnte ich sowieso nicht mitnehmen, einlagern wollte ich es nicht und so teilten sich meine Freunde das, was übrig blieb. Mein heiß geliebter Schreibtisch musste natürlich mit. Das Bett würde ich wohl entsorgen müssen, da seine besten Tage bereits gezählt waren. Meinen Kleiderschrank nahm ich auch mit, die Regale aus dem Wohnzimmer, sowie die Anbauwand. Mein Sofa hatte sich Dom geschnappt. Es war ein großer Streit darüber ausgebrochen, da es echt wunderbar gemütlich und groß war.

Die Kündigung hatte ich geschrieben, musste nur noch abgeschickt werden. Auf die Rennerei mit der Ummeldung hatte ich zwar keine große Lust, aber es musste sein. Dafür wurde ich reichlich belohnt, nicht nur, dass ich in ein Traumhaus einziehen durfte, nein das Objekt meiner Begierde würde mit mir zusammenleben. Ich musste nur dafür sorgen, dass er davon nichts mitbekam. Ich glaubte nämlich kaum, dass ihm meine Aufmerksamkeit willkommen gewesen wäre. Ich würde ja sehen, ob ich mit dieser Situation zurechtkam, ansonsten musste ich wohl schweren Herzens ausziehen.

 

Kapitel 3

Kapitel 3

 

Dom war mal wieder dabei, mich zu löchern. Wir saßen in unserem Lieblingscafé und er verhagelte mir die Laune.

„Jona, sag mir doch wenigstens wie er aussieht.“, er zog einen Flunsch, als ich nicht reagierte. In das eine Ohr rein, aus dem anderen raus.

„Das ist wirklich gemein! Da verliebst du dich in einen Mann und willst mir nichts über ihn erzählen. Dabei könnte ich dir so viele Tipps geben.“ Ich spielte mein Ich-hör-dich-nicht-Spiel weiter.

„Jona...“, jetzt mit weinerlichem Unterton.

„Halt die Klappe Dom.“ Ruhig und bestimmt. Er presste die Lippen zusammen.

„Ich bekomm es noch heraus, du kannst es nicht ewig geheim halten.“ Ich musste also nur dafür sorgen, dass sich Konstantin und mein bester Freund nie über den Weg liefen, aussichtsloses Unterfangen. Meine andere Sorge war, dass Philipp sich wahrscheinlich gegen die Avancen von Dom würde  wehren müssen. Denn so wie ich ihn kannte, war er genau sein Typ.

„Auf welchen Typ du wohl stehst?“, überlegte er laut.

„Auf gar keinen! Hör auf damit!“ Langsam nervte es wirklich. Ich wollte es einfach nicht preisgeben. Ich hoffte ja immer noch, dass diese unselige Anziehungskraft mit der Zeit nachlassen würde. Sonst trieb ich mich langsam aber sicher selbst in den Wahnsinn.

Dom merkte wohl auch, dass er mir auf den Wecker fiel. Zum Glück hatte er immer noch so viel Verstand, an meiner Stimme zu erkennen, wann es mir reichte. Er zog nur eine eingeschnappte Grimasse und verwickelte daraufhin Ben in ein Gespräch, der seine Tiefphase immer noch nicht überwunden hatte. Das dauerte diesmal außergewöhnlich lange. Ich war wirklich froh, dass ich so gute Freunde hatte, auch wenn ich auf den einen nervenden momentan verzichten konnte.

„Wollen wir nicht Schlittschuhlaufen gehen?“ Von wem kam wohl diese Schnapsidee? Alle schauten ihn verständnislos an.

„Die sind gar nicht mehr geöffnet. Ist doch viel zu spät. Immerhin haben wir Frühling.“

Nun ja, wenn man fünf Grad Plus als Frühling bezeichnen konnte.

„Die Halle beim Nordbahnhof ist noch geöffnet. Kommt Leute, das wird lustig.“ Ja, besonders weil wir uns alle, außer ihm, wahrscheinlich hinlegen würden. Keine Ahnung, wie er sich auf dem rutschigen Eis aufrecht hielt, aber mein bester Freund war die Bande.

„Das ist eine gute Idee. Das wird Ben auf andere Gedanken bringen und wir passen auf dich auf Jona.“

Verdammt! Wenn Sam auch dafür war, dann hatte ich keine Chance, egal welchen guten Vorwand ich brachte. Das Einzige, was mich jetzt noch retten würde, wäre ein Unfall oder mein vorzeitiger Tod.

„Von mir aus.“, seufzte ich und versuchte nicht allzu ängstlich auszusehen. Eislaufen, das letzte Mal war eine Katastrophe und ich hatte wenig Hoffnung, dass es diesmal besser werden würde. Dom in Gedanken verfluchend, überhörte ich gekonnt sein Freudengejubel. Wahrscheinlich bekamen  es alle Nachbarn noch fünf Blöcke weiter mit. Lustlos machte ich mich mit den anderen auf den Weg zur Eishalle. Dort war wider Erwarten viel los. Es hatten anscheinend noch andere diese letzte Möglichkeit nutzen wollen, ein letztes Mal für diesen Winter auf dem Eis zu stehen. Deswegen mussten wir ziemlich lange anstehen, um unsere Schuhe zu bekommen und meine Laune sank immer mehr in den Keller. Wie ich auf diesen wackligen Dingern zur Bahn wankte, musste stellvertretend für mein sämtliches Unvermögen stehen, auf diesen Schlittschuhen vorwärtszukommen. Natürlich konnte das die gute Laune meines besten Freundes nicht dämpfen. Der war Feuer und Flamme dafür, mir das Schlittschuhlaufen beizubringen. Ich befürchtete, dass er damit noch mehr bezwecken wollte. Mich in aller Ruhe ausfragen, weil ich ihm nicht weglaufen konnte. Kaum auf dem Eis, zog er mich hinter sich her.

„Hey! Dom, nicht so schnehellll! Verdammt, ich kann das nicht! Achtung, da kommt uns jemand entgegen!“ Ich machte die Augen zu, böser Fehler. Wir waren zwar nicht in die anderen reingerauscht, aber in der Panik hatte ich Doms Hand losgelassen und wirbelte nun verzweifelt mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Was nie klappte. Stattdessen legte ich eine 1A-Bruchlandung hin. Haltungsnote 10. Gott, tat das weh. Bestimmt hatte ich mir sämtliche Knochen gebrochen, fühlte sich zumindest so an. Diese Teufelswerkzeuge namens Kufen sollten wirklich verboten werden. Schimpfwörter murmelnd, versuchte ich mich aufzurappeln.

„Alles ok, Jona?“ Dom schaute mich besorgt an. Sollte er auch!

„Keine Ahnung?! Mir tut alles weh! Hilf mir mal hoch.“ Wie entwürdigend. Dabei legten wir uns fast nochmal auf das Eis, weil dieses Fliegengewicht keine Kraft hatte. Irgendwie haben wir es dann doch geschafft. Ich verzog das Gesicht. Das würde die nächsten Tage schmerzhaft werden.

„Das wird ein blauer Fleck. Ist dir eigentlich klar, wie lange ich in der Uni SITZEN muss?!“ Der drohende Unterton in meiner Stimme war natürlich nicht ernst gemeint, aber Dom machte ein angemessen zerknirschtes Gesicht.

„Tut mir wirklich leid. Da war ich wohl etwas zu stürmisch. Aber ich kann dich gerne zu Hause mit einer Kühlpackung versorgen.“ Dabei zwinkerte er mir frech zu und ich konnte nicht verhindern, dass ich rot wurde.

„Danke, aber ich verzichte.“ An meinen Hintern durften wenn dann nur Hände, die leicht gebräunt waren und diverse Kratzer aufwiesen. Energisch verdrängte ich den Gedanken in die hinterste Ecke meines Bewusstseins und da sollte er auch bleiben!

„Sooo schlimm war der Sturz nun auch wieder nicht, dass du mich derart anfunkeln musst.“, empörte sich in dem Moment Dom.

„Sorry, war in Gedanken. Hatte nichts mit dir zu tun.“, murmelte ich.

„Womit oder besser mit wem denn sonst? Etwa Mister Unbekannt? Der muss ja was Schlimmes angestellt haben, wenn du ihn mit Blicken erdolchen willst.“ War ich wirklich so durchschaubar? Dabei konnte er nicht mal was dafür. Dass mein Körper ihn anziehend fand, dass ich ihm überhaupt über den Weg gelaufen war, war schlimm genug. Ach, wen belog ich? Mein Gesicht hatte bestimmt innerhalb von Sekunden ein Pottpuri an Gefühlen gezeigt, die in mir tobten und beinahe hätte Dom mich soweit gehabt, ihm alles zu erzählen. Dabei ging ihn das absolut gar nichts an! Beinahe wäre ich auf diese offensichtliche Fragerei hereingefallen!

„Kein Kommentar.“ Ruhig.

„Spielverderber, ich löchere dich solange, bis du es mir verrätst.“ Diese Drohung konnte er sich echt sparen.

„Wenn du willst, dass ich nicht mehr mit dir rede, bitte, tu dir keinen Zwang an.“ Das hielt er keine Minute aus.

„Jona, Dom, aufgepasst!“ Sammy kam auf uns zugerast und ich fing sie so gut ich konnte, auf.

„Ihr sollt nicht quatschen, sondern fahren. Also bewegt euch.“

Das ließ sich Dom nicht zweimal sagen und fing an, rückwärts vor mir zu gleiten. Bei ihm sah das so leicht aus. Faszinierend, dass er niemanden anstieß, obwohl er nichts sah. Wie funktionierte das bloß?

„Jona…“, keine Minute, seht ihr? Dieses Gesäusel kannte ich nur zu gut. Ich war hilflos. Konnte mich nicht drücken. Die Arme ausgestreckt, zog er mich mehr, als dass ich lief. Wir kamen zumindest vorwärts. Langsam, ganz langsam hatte ich den Dreh raus. Mit Dom als Stütze machte ich hoffentlich nicht eine allzu peinliche Figur. Das ging so lange gut, bis ich ihn sah. Nein, nein, nein, bitte seh‘ mich nicht. Still stand er am Rand und sah den Leuten beim Laufen zu. Mein Herz legte daraufhin einen Sprint ein und ich geriet prompt ins Schleudern.

„Hallo, Jona! Schön dich zu sehen.“, rief uns eine fröhliche Stimme entgegen.

„Philipp aus dem Weg. Ich kann nicht bremsen!“ Doch es war bereits zu spät. Dom lief immer noch rückwärts und konnte nicht schnell genug reagieren. Zum zweiten Mal lag ich heute auf meinem Allerwertesten in einem Knäuel aus Armen und Beinen. 

„Ui, das ist auch mal eine Art sich kennenzulernen. Jona, kennst du diesen Hübschen, etwa?“ Was hab ich euch gesagt?

„Dom, der ist nichts für dich. Viel zu jung, kannst du also gleich vergessen.“

„Jona, das finde ich jetzt aber nicht nett. Ich bin doch noch kein Greis! Warum hast du mir vorenthalten, dass du so einen scharfen Typen kennst?“ Daraufhin setzte er seinen Jetzt-bin-ich-wirklich-beleidigt-Blick auf.

„Scharf?!“, echote eine verwirrte Stimme von unten.

„Entschuldige Philipp, wir sollten erst einmal von dir runter, oder? Hör nicht auf Doms dummes Gequatsche.“Aufstehen war zumindest ein guter Vorsatz, aber irgendwie wollten meine Füße nicht so wie ich. Da wurde mir eine helfende Hand über die Bande entgegenstreckt. Ich zögerte nur einen Moment, bevor ich sie ergriff. Ich würde zwar wahrscheinlich an einem Herzinfarkt sterben, aber das war immer noch besser, als hier weiter peinlich auf dem Eis zu liegen. Womit hatte ich diese Blamage nur verdient? Welcher Zufall wollte es, dass die beiden ausgerechnet heute beschlossen hatten, auch Schlittschuhlaufen zu gehen?

„Philipp, das ist Dom. Dom, das sind Philipp und Konstantin, meine Mitbewohner in der WG. Irgendwo dahinten sind noch Sammy und Ben.“ Ich wedelte mit der Hand in die ungefähre Richtung, weil ich Sams blonden Lockenkopf gerade nicht ausmachen konnte.

„Philipp also, Hast du nicht mal Lust mit mir was trinken zu gehen? Schokolade, oder so?“ Charmealarm. Dieses Strahlen hatte bestimmt 100 Watt.

„Dom! Lass es.“ Philipps Gesichtsausdruck sprach Bände. Anfängliche Abscheu, gemischt mit Entsetzen und Unverständnis. Doch dann wandelte sich der Ausdruck, daraus wurde Geschmeicheltsein, oh nein und dann noch schlimmer Neugier. Ich ahnte Schlimmes.

„Schokolade mag ich nicht. Warum fragst du mich das überhaupt? Vielleicht bin ich ja vergeben?“ Ich hob eine Augenbraue. Interessante Entwicklung, auch wenn ich ein flaues Gefühl dabei hatte. Warum war Dom eigentlich heute so extrovertiert? Er bekam doch sonst nie den Mund auf.

„Mehr als nein sagen, kannst du ja nicht. Außerdem siehst du nicht so aus, als würdest du gleich ausflippen, wenn dich ein Schwuler anmacht.“ Auf Philipps Gesicht breitete sich ein Grinsen aus.

„Wie wäre es, wenn wir erst einmal klein anfangen. Freunde werden zum Beispiel? Deine Ehrlichkeit mag ich schon mal.“ Freunde….Meine Gesichtsentgleisungen sprachen bestimmt für sich. Mit Dom befreundet sein, artete meistens in andere Dinge aus. So wie ich ihn kannte, hatte Philipp ihm soeben Tür und Tor geöffnet. Er würde keine Gelegenheit auslassen, aus dieser Freundschaft mehr werden zu lassen. War die anfängliche Schüchternheit überwunden, wurde er zum Raubtier. Sollte ich meinen neuen Mitbewohner warnen? Aber ich wollte Dom das Spiel nicht verderben, er wusste, wenn die Lage aussichtslos war, wann er aufgeben musste. Nur war ich mir mittlerweile nicht mehr so sicher, dass es nicht sogar klappen könnte.

„Dom, ich geh runter.“

„Ja, tu das. Philipp, du kannst doch Schlittschuhlaufen, oder?“ So schnell war ich abgeschrieben. Innerlich jubelte ich, er hatte ein anderes Opfer gefunden!

Langsam und unsicher bewegte ich mich Richtung Ausgang. Immer schön am Rand festhalten. Als ich meine eigenen Schuhe wieder anhatte und keinen rutschigen Boden unter mir, fühlte ich mich eindeutig besser. Ich stellte mich neben Konstantin und gemeinsam beobachteten wir die anderen Läufer. Dom und Philipp waren am Rumalbern. Die schienen sich auf Anhieb prächtig zu verstehen. Ich warf heimliche Blicke auf meinen Nachbarn, der interessiert seinen Blick über die Leute schweifen ließ.

„Kannst du das auch?“, versuchte ich ein Gespräch anzufangen.

„Nein.“

„Dom hat versucht, es mir beizubringen, aber du hast ja gesehen, ich bin ein hoffnungsloser Fall.“ Darauf erhielt ich gar keine Antwort. Vielleicht war ihm das Thema zu langweilig?

„Philipp hat erzählt, du studierst Geschichte? In welchem Semester bist du?“

„Fünftes.“ Er war wirklich wortkarg. Oder sprach er nur mit mir nicht? Ich beschloss einfach drauflos zu erzählen, vielleicht interessierte er sich ja für das Eine oder Andere.

„Fünftes? Das dauert bei mir noch eine Weile.“, seufzte ich.

„Und ich hab nicht wirklich einen Plan, was ich danach machen will. Ausgrabungen sind bestimmt spannend, aber es ist nicht so einfach, an eine Vernünftige heranzukommen. Hat mir ein Kommilitone erzählt. Ich hätte auch nie gedacht, dass mir studieren Spaß machen würde, aber bisher ist es ganz ok. Domenik, der gerade deinen Bruder ärgert, studiert Germanistik. Keine Ahnung, was er daran toll findet. Hast du eine bestimmte Vorliebe? Geschichte ist ja ziemlich breit gefächert.“ Gespannt blickte ich in seine braunen Augen, die jedoch auf der Eisfläche klebten.

„Mittelalter.“, brummte er. Nun ja, immerhin bekam ich überhaupt eine Antwort. Ich musste mich eben mit kleinen Brocken zufrieden geben. Auch wenn sich dieses „Gespräch“ zog wie Kaugummi.

„Sammy, die kleine Blonde, ist Musikstudentin. Sie singt und spielt Klavier, das kann sie echt gut. Aber sie will Lehrerin werden. So ein verschwendetes Talent.“ Das sollte man ihr gegenüber nur besser nicht erwähnen, sonst wurde sie wirklich wütend. Sie hatte Spaß daran, mit Kindern zu musizieren.

„Ben, der letzte im Bunde, ist Mechatroniker. Sieht witzig aus, wenn er sich mit seiner Größe unter ein Auto quetscht. Obwohl, du bist ja fast auch so groß.“ Wieder keine Reaktion. Ich runzelte die Stirn. Möglicherweise sollte ich ihn nicht so zutexten. Ich fand das sonst schließlich auch anstrengend. Besonders die Damen in der Bahn konnten das besonders gut. Ãœber alles und jeden plappern und dabei nichts sagen. Sollte ich ihn etwas über sein Hobby fragen? Ob er dann mit mir redete? Was war nur mit mir los? Warum war es mir so wichtig, ihn aus der Reserve zu locken? Dass er mir etwas von sich erzählte? Ich wollte ihm doch so gut es ging, aus dem Weg gehen. Und nun stand ich hier und versuchte ihm mehr als ein Wort zu entlocken. Es störte mich, dass er nur so kurz und knapp antwortete, ich wollte alles erfahren.

„Du bist nicht sonderlich gesprächig, oder? Gibt es irgendwas, wofür du dich interessierst? Du hast ja gesagt, dass du die Dielenbretter austauschen möchtest. Ich hab draußen in eurem Garten eine Menge Holzbretter gesehen. Die sind bestimmt dafür?“ Mist, wieder eine Ja-Nein-Frage. Und wie erwartet.

„Ja.“ Er machte eine kurze Pause.

„Auf alle drei Fragen. Ich höre lieber zu, also erzähl ruhig weiter. Und übrigens ist Handwerken mein Hobby.“ Wow! Er hatte mehr als einen Satz mit mir gesprochen. Das nannte ich einen Fortschritt. Er hörte also gerne zu. Aber ich würde ihn nicht weiter zukauen. Ich stand nicht so auf Monologe. Stattdessen widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Eis und den Verrückten, die freiwillig darauf herumfuhren. Und dabei auch noch so aussahen, als hätten sie Spaß. Allen voran ein schwarzhaariges Monster, das Philipp in Beschlag nahm. Ein bisschen tat er mir ja leid. Das lenkte ihn wenigstens davon ab, mich auszuquetschen. Wenn er merkte, dass Konstantin derjenige war, der mich nachts nicht mehr richtig schlafen ließ, hatten wir einen vierten Mitbewohner. Meine Laune sank erheblich, als ich feststellte, dass ich wieder daran dachte. Sammy und Ben hatten sich in eine Ecke verkrochen und diskutierten aufgeregt miteinander. Ihre Blicke gingen immer wieder zu einem hübschen Mädchen, das ganz offensichtlich an Ben interessiert war. Wahrscheinlichstes Szenario: Er bekam es nicht mit. Oder es interessierte ihn nicht. Sammy gestikulierte wild und zeigte immer wieder auf die junge Frau. Auffälliger ging es nicht. Ich glaubte nicht, dass diese Aktion bei Bens momentanen seelischen Zustand Erfolg haben würde. In dem Moment winkte sie die Eisläuferin zu sich und das Unheil nahm seinen Lauf. Wenn Sam sich als Kupplerin versuchte, sollte man sich so schnell es ging verstecken. Oder ins Ausland verschwinden. In der Hoffnung, dass sie einen nicht fand. Sie schrieb etwas auf einen kleinen Zettel, den sie aus ihrer Tasche hervorgezaubert hatte.  Diesen drückte sie der anderen Frau in die Hand und die beiden grinsten sich verschwörerisch an. Bens Gesicht hatte mittlerweile die höchstmögliche Rotstufe erreicht und ich konnte nicht genau sagen, ob aus Verlegenheit oder Ärger.

Neben mir sah Konstantin auf seine Uhr und lenkte mich somit von dem Drama vor meinen Augen ab. Sofort war ich von seiner Präsenz gefangen und übte mich wieder im heimlichen Beobachten. Wenn er so neben mir stand, war er wirklich ein ganzes Stück größer. An seiner rechten Hand waren neue Kratzer hinzugekommen. Trotzdem fragte ich mich, wie weich die Haut seiner Finger war und wie es sich anfühlen würde … Nichts fragte ich mich! Meine Hände verkrampften sich um das Geländer und ich versuchte meine Gedanken zu ordnen.

„Wollen wir eigentlich meinen Einzug feiern? Natürlich nur, wenn du, ihr, nichts dagegen habt.“ Philipp würde wahrscheinlich begeistert sein.

„In Ordnung.“ Gut, somit musste ich nur noch klären, wer wo schlief. Es würde bestimmt spät werden und dann fuhr die Bahn nicht mehr.

„Aber erst einmal muss ich umziehen. Das wird anstrengend genug werden. Die anderen wollen auch mithelfen, dann wird es hoffentlich schnell gehen. Sammy kann ich nicht zum Möbelschleppen verdonnern, sie kann mir mit dem Kleinzeug helfen. Hat sie ein Händchen für. Ben und Dom sind auch keine Schwächlinge, nun Dom vielleicht ein bisschen. Hat mich vorhin ja fast fallen lassen.“ Bei der Erinnerung daran verzog ich das Gesicht. Die Stelle schmerzte immer noch und ich war froh, dass ich stand.

„Wo soll ich die bloß alle unterbringen? Können schlecht alle bei mir im Zimmer schlafen.“, überlegte ich laut.

Keine Antwort. Erneut laberte ich ihn voll. Das musste wirklich aufhören. Ich war doch sonst auch nicht so mitteilsam.

In dem Moment kamen die anderen zurück und erlösten mich von dem Schweigen.

„Genug für heute?“, fragte ich in ihre Richtung.

Ben sah immer noch so aus, als wollte er Sammy am liebsten erwürgen.

„Was haltet ihr davon, noch was essen zu gehen? Ich hab einen Mordshunger.“ Na klar, die kleine Fressmaschine futterte ja auch für drei.

„Und wo?“ Philipp war sofort Feuer und Flamme.

„Sorry, ich hab keinen Bock mehr, außerdem hab ich dafür kein Geld.“ Ben verabschiedete sich mürrisch und Sammy sah aus, als ob ihr Lieblingstier überfahren worden wäre. Sie hatte anscheinend übertrieben und bekam nun die Rechnung dafür. Mit hängenden Schultern machte auch sie sich auf den Weg nach Hause, nachdem sie sich leise von uns verabschiedet hatte.

„Italiener?“ Doms Stimmung konnte so schnell nichts trüben. Aber der Disput zwischen den beiden ging uns im Grunde auch nichts an. Ich hielt mich sowieso raus und Dom war momentan anderweitig beschäftigt. So wie ich Sam kannte, würde sie das wieder gerade biegen.

„Einverstanden.“

„Na dann, los!“ Enthusiastisch liefen Philipp und Domenik vor und unterhielten sich angeregt. Schweigend lief ich neben Konstantin. Im Restaurant angekommen, bestellten wir die Klassiker. Pizza, Nudeln und Lasagne. Konstantin aß Salat. Das Gespräch verlief eigentlich nur zwischen Dom und dem jüngeren Bruder. Ich nippte an meiner heißen Schokolade und schaute zu, wie sich Konstantin an seinem Cappuccino die Hände wärmte. Die Zeit in der Eishalle hatte uns anscheinend alle ein wenig ausgekühlt. Er rührte solange darin herum, bis er den kompletten Schaum vernichtet hatte. Anschließend führte er die Tasse zu diesen sinnlichen Lippen, um kurz darauf schmerzhaft das Gesicht zu verziehen, weil er sich verbrannt hatte. Daraufhin spitzte er den Mund, um zu pusten. Verlegen wandte ich den Blick ab, weil meine Gedanken umgehend in eine ungewollte Richtung abgedriftet waren.

Warum nur konnte diese Faszination nicht genauso schlagartig wieder verschwinden, wie sie gekommen war? Warum musste mir das passieren? Ich wollte mich nicht verlieben! Aus Prinzip nicht. Und in einen Mann schon mal gar nicht! Nicht, dass ich damit allgemein ein Problem gehabt hätte.  Sonst wäre ich bestimmt nicht mit Dom befreundet. Dieses Gefühl hatte ich einfach noch nie gehabt. Deutlich weniger ab und zu, aber nicht so alles überwältigend. Ich bekam ja nicht mal mehr genug Schlaf. Ich hoffte wirklich, dass sich meine Hormone ein wenig beruhigten, wenn ich erstmal mit ihm unter einem Dach lebte. Dom und Philipp schienen eifrig Pläne für die Einweihungsparty zu schmieden. Anscheinend brauchte ich mich um nichts mehr zu kümmern, die beiden hatten wohl alles im Griff. Als ich sicher war, dass niemand guckte, ließ ich meinen Blick wieder zu dem großen Bruder gleiten. In der Hoffnung, dass niemand etwas merkte, ließ ich mich zu Tagträumereien hinreißen. Das Haus bot sicherlich viele versteckte Winkel, in die man heißblütig gedrückt werden konnte. Warme, volle Lippen, die sich auf meine legten. Dazu das Gefühl dieses festen Körpers, der sich eng und hart an mich drückte. Der meine Erregung um ein Vielfaches anstiegen ließ. Um ein Haar hätte ich laut gekeucht, konnte mich aber im letzten Moment beherrschen. Meinen Lippen entrang sich nur ein leises Seufzen, das sofort Doms Aufmerksamkeit auf sich zog. Verdammt!

Aus schmalen Augen musterte er mich, führte jedoch gleichzeitig sein Gespräch mit Philipp fort. Er stieß mich unauffällig mit dem Fuß an und signalisierte mir, dass wir darüber später reden würden. So ein Mist! Genau das hatte ich vermeiden wollen. Er war so hartnäckig wie ein Bluthund, wenn er einmal eine Spur gewittert hatte.

Ich will nicht!, jammerte ich innerlich, denn ich wusste, dass es ein langer Abend werden würde. Den ganzen Tag hatte ich es geschafft, Konstantin nicht allzu offensichtlich anzustarren und nun hatten mich fünf Minuten verraten. Vielleicht vermutete er ja gar nicht, dass ich an Konstantin gedacht hatte. Aber ich glaubte nicht wirklich daran. Leider war mein bester Freund bei solchen Sachen viel zu feinfühlig, wenn es um andere Menschen ging. Vielleicht konnte ich ihn mit einem anderen Thema ablenken?

„Schmecken deine Nudeln? Meine Pizza ist nicht so toll.“ Philipp ließ gierig seinen Blick auf meinem Pizzarest liegen und ich schob ihm das restliche Viertelstück hin. Mir war nämlich der Appetit vergangen. Allein der Gedanke an ein Gespräch mit Dom bereitete mir Bauchschmerzen. Ich wusste, wie er war. Er würde mich solange löchern, bis ich meine gesamte Gefühlswelt vor ihm ausgebreitet hatte. Dabei wusste ich selbst nicht so genau, wie es in mir aussah. Ich musste das irgendwie verhindern.

„Sag mal Dom, läuft ab heute nicht der Kinofilm, den du unbedingt schauen wolltest?“ Eine bessere Taktik fiel mir einfach nicht ein. Das Einzige, wofür man ihn begeistern konnte, waren Filme und seine Freunde.

„Was kommt denn?“, fragte Philipp interessiert. Da war wohl ein Fisch am Haken. Dom gab ihm eine Antwort und ich sah es in beiden Augenpaaren aufblitzen. Die waren ja ein Herz und eine Seele.

„Philipp, du weißt, dass es im Kino dunkel ist, oder?“, versuchte ich ihn freundschaftlich zu warnen.

„Ja, und?“, verständnislos wurde ich aus grauen Augen angesehen.

„Er wird jede Gelegenheit ergreifen, sich an dich heranzumachen.“, klärte ich ihn auf. Doch er hatte dafür nur ein freches, übermütiges Grinsen übrig.

„Bisher hat er sich doch ganz gut benommen.“ Ich zuckte nur die Schultern. Optimisten blieben mir ein Rätsel. Die beiden hatten sich eine Vorstellung herausgesucht und ich spürte es, bevor sie es aussprachen.

„Du kommst mit.“ Aha, seit wann wurde das über meinen Kopf hinweg entschieden?

„Und was wenn nicht?“, versuchte ich wenigstens ein bisschen Gegenwehr.

„Dann…schleif ich Konstantin mit und der hasst Kino. Das willst du ihm doch nicht antun?“ Information abgespeichert.

„Versuch es doch.“, kam es grollend aus seiner Ecke und ich gab mich geschlagen.

„Nur, um ihn vor euren Intrigen zu retten. Einer schlimmer, als der Andere.“, blubberte ich vor mich hin. Ich wollte eben noch den letzten Rest meiner Schokolade trinken, als ich merkte, dass sie bereits leer war. Anscheinend trank ich mehr, wenn ich nervös war. Dom und Philipp waren in Aufbruchstimmung. Konstantin verabschiedete sich knapp mit einem Handschlag und meine Handinnenfläche war wie elektrisiert. Winzige Ameisen krabbelten über meine Haut. Es war nur eine kleine Berührung und trotzdem hatte sie mich aufgewühlt. Dem Film konnte ich dementsprechend schlecht genießen und ich fand es schade um das Geld. Statt der Handlung zu folgen, hatte ich jede Begegnung, jedes Detail noch einmal Revue passieren lassen. Am Ende des Tages war ich so geschafft und so verwirrt wie schon lange nicht mehr.

Kapitel 4

Kapitel 4

 

Schon wieder musste ich zur Bahn hetzen. Ich hatte erst in letzter Sekunde gemerkt, dass mein Wecker nicht geklingelt hatte und war dementsprechend überstürzt aus dem Bett gesprungen. Der Schlafentzug hatte sich fürchterlich gerächt, denn normalerweise verschlief ich nicht so leicht. Seit zwei Wochen waren meine Nächte auf ein Minimum geschrumpft. Ungefähr vier Stunden Schlaf, wenn man das so nennen konnte, waren definitiv zu wenig. Ein Glück war es dieses Wochenende soweit. Ich würde bei Konstantin und Philipp einziehen und hoffentlich endlich mal wieder ausschlafen können.

In den letzten Tagen hatte ich sowohl mit den Brüdern, als auch mit meinen Freunden ausgiebig telefoniert, um alles für den Umzug vorzubereiten. Die Taschen, Kartons und Boxen waren bereits gepackt und der Sperrmüll bestellt. Bis auf mein Bett und die Küche war wenig in der Wohnung noch nutzbar, was meine Abende nicht besonders abwechslungsreich machte. Der Laptop wurde auch hauptsächlich für die Uni genutzt und bot  kaum Entspannung. Mein Kalender war gefüllt mit Vorbereitungen für den Umzug und Hausarbeiten.

Ich hatte es gerade noch geschafft, in die Bahn zu springen, bevor die Türen rot leuchteten. Ich warf mich auf meinen Stammplatz und grüßte Konstantin, der seine Nase wieder in einem Buch zu stecken hatte.

Da ich nichts Besseres zu tun hatte, versuchte ich ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Bisher waren meine Versuche erfolglos geblieben, ihn aus der Reserve zu locken. Die Antworten waren einsilbig oder ich bekam nur ein zustimmendes Brummen. Ich hatte immerhin herausbekommen, warum er immer so früh mit der Bahn fuhr. Denn eigentlich begannen manche seiner Kurse erst sehr viel später. Er war wirklich überfleißig, fast schon zu strebsam. Entweder er verbrachte die Zeit in der Bibliothek oder er setzte sich in die Cafeteria, um zu lernen, weil er zu Hause keine Ruhe fand. Ich hatte ihn gefragt, ob er denn nicht in der Bibliothek zu Hause lernte, dort war man so schön abgeschieden, aber er meinte, dass er die ganze Zeit an die noch unerledigten Baustellen denken musste und war deswegen momentan zu sehr abgelenkt. Er hatte sich vorgenommen, die alten Bretter der Diele und Treppen auszutauschen und die noch brauchbaren abzuschleifen und zu versiegeln. Das war eine Menge Arbeit für eine Person und er freute sich schon auf meine Hilfe, obwohl er gar nicht wusste, ob ich ihm vielleicht nur im Weg stehen würde.

„Was liest du?“ Er hielt das Buch nach oben, sodass ich den Titel lesen konnte. „Der letzte Traumwanderer“ stand darauf. Das war schon das fünfte Buch dieser Art, das er verschlang. Er schien ausschließlich Fantasybücher zu lesen. Er war immer hochkonzentriert und ich liebte es, seiner Mimik zu folgen. Es war die einzige Gelegenheit, bei der sein Gesicht nicht die starre Maske zierte, die er sonst der Außenwelt zeigte. Ab und zu fiel sie von ihm ab, wenn er Zeit mit seinem Bruder verbrachte. Dann hatte er so einen nachsichtig, leicht genervten, liebenden Ausdruck, der mich immer wehmütig machte. Meine Schwestern konnte man nicht die gefühlvollsten Wesen nennen. Susanne, meine ältere Schwester war mit ihren 31 Jahren zu weit von mir entfernt, sodass sich nie ein näheres Verhältnis entwickeln konnte. Sie war frühzeitig ausgezogen und ich hatte nur vage Erinnerungen an sie. Meine andere Schwester Sandrine war noch 17. Sie hatte demnächst Geburtstag und ich fürchtete, dass ich zu ihrem 18. Geburtstag zu erscheinen hatte. Ich glaubte ja, dass sie darauf ganz gut verzichten konnte, aber unsere Eltern sahen das bestimmt anders. Von Geschwisterliebe konnte man bei uns beiden ganz bestimmt nicht sprechen. Wir duldeten einander, aber mehr auch nicht.

„Ist das Buch spannend?“, mal sehen, ob ich überhaupt eine Antwort bekam. Das war ein bisschen wie Russisch Roulette. Selten antwortete er und meistens erhielt ich nur ein genervtes Brummen inklusive Augenbrauen zusammenziehen. Dann funkelte er mich kurz an und ich sah das Feuer, das eigentlich in ihm schlummerte und bewies, dass er nicht halb so ruhig war, wie er sich gab.

„Ja, ist es.“ Und damit ignorierte er mich wieder. Mich irritierten diese kurzen Antworten, obwohl ich wusste, dass er lieber zuhörte. Bisher hatte er nicht eine persönliche Frage gestellt und wenn ich ihn etwas fragte, waren die Antworten zurückhaltend, manchmal sogar abweisend. Wenn er las, zum Beispiel, schien er lieber ungestört zu sein und war schon bei der kleinsten Unterbrechung genervt.

Vielleicht war das ein Tick von ihm? Sollte ja Menschen geben, die alles um sich herum vergaßen,  wenn sie mit etwas beschäftigt waren, das sie liebten. Ich gab also auf und lehnte meinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Das Wetter war besser geworden und ich hoffte, dass es am Wochenende so bleiben würde. Es machte nämlich keinen Spaß, Sachen durch den Regen zu schleppen. Ich hatte einen Transporter gemietet, den wir dringend brauchen würden. Es war schon erstaunlich, was sich in drei Jahren so alles ansammelte. Ich hatte gründlich ausgemistet, sonst wäre es noch mehr gewesen. Ich war ganz froh, dass die Größe meines Zimmers begrenzt war, sonst hätte ich viel mehr behalten und ein ernsthaftes Platzproblem gehabt.

Ich spürte, wie der Sitz neben mir besetzt wurde, als wir an der nächsten Station hielten. Die Bahn wurde erstaunlich voll. Was war denn los? Ach ja ein anderer Zug wurde wegen Bauarbeiten umgeleitet und die Fahrgäste mussten dadurch woanders umsteigen. Na super, Bahnfahren war  klasse. Mein Sitznachbar hatte anscheinend einen leichten Rechtsdrall, denn der Oberkörper kam mir immer näher. Der Abstand war mittlerweile soweit geschrumpft, dass ich mich regelrecht belästigt fühlte und genervt weiter an das Fenster rutschte. Ich sah aus dem Augenwinkel, wie ein Kopf im Takt der Bahn hin und her geschleudert wurde. Verdammt, er, nein sie war eingeschlafen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sie halb auf meinem Schoß sitzen würde. Vielleicht wachte sie ja auf? Für eine Frau war sie echt groß und hatte ein verkniffenes Gesicht, das sich selbst im Schlaf nicht entspannte. Bei dem nächsten Rucken wachte sie kurzzeitig auf, nur um sofort wieder die Augen zu schließen. Die ältere Dame rutschte nun noch weiter in meine Richtung und langsam bekam ich wirklich Angst. Ob ich ihr anbieten sollte, den Platz zu tauschen? Dann konnte sie den Kopf an der Wand anlehnen und nicht mehr auf mich fallen. Aber sie hatte sich den Platz ja ausgesucht, hätte sich ja auch neben Konstantin setzen können, dann würde ich jetzt nicht so in der Klemme stecken. Sie kam immer näher, ich konnte schon ihr widerlich süßes Parfum riechen, das mir die Luft zum Atmen nahm. Die Bahn ruckelte wieder und sie schlug die Augen für zwei Sekunden auf, völlig benebelt. Ich nutzte die Gelegenheit und setzte mich zu Konstantin.

Dieser hatte von meinem Dilemma nichts mitbekommen, da er immer noch in dieses doofe Buch vertieft war. Oh Gott, jetzt war ich schon eifersüchtig auf ein Buch. Ich beobachtete die Frau noch eine Weile. Zum Glück hatte ich mich weggesetzt, denn jetzt hatte sie eine Hand auf meinem ehemaligen Sitz abgelegt, um sich mehr schlecht als recht, abzustützen. Alles in allem sah sie aus wie ein nasser zusammengesunkener Sack. Ganz schön rücksichtslos, wenn man bedachte, dass die Bahn schon so voll war und sie mich mehr oder weniger von meinem  Platz vertrieben hatte.

Dafür roch Konstantin wesentlich besser. Ob das sein Aftershave war? Ich würde im Bad einfach mal gucken, was da so rumstand und vielleicht war ich dann schlauer.

Ich versuchte einen Blick in sein Buch zu erhaschen. Ich weiß, das macht man nicht, aber ich wollte wissen, was daran so ungeheuer spannend war. Aber aus diesem Manöver wurde nichts, da meine Augen sein Gesicht mal wieder interessanter fanden, als alles, was in diesem Buch passieren könnte. Er kaute auf seiner Unterlippe, was es für mich nicht leichter machte, den Blick abzuwenden und ich musste mich zwingen, aus dem Fenster zu sehen. Los Jona, denk an was Abtörnendes. Eltern, das war ein gutes Thema. Ich musste demnächst mit ihnen telefonieren, wegen meiner Schwester. Lieber würde ich über glühende Kohlen marschieren, aber es ließ sich nicht vermeiden. Im Prinzip wusste ich schon, wie das Gespräch mit meiner Mutter laufen würde. Erst das Übliche Geheuchel von Interesse, wie mein Studium lief. Die Standpauke dafür hatte ich zwar schon kassiert, aber ich glaubte nicht, dass sie das Thema schon abgeschlossen hatte. Sie fand immer ein Haar in der Suppe. Erst sollte ich studieren und ging arbeiten, was ihr nicht passte. Dann studierte ich und es war immer noch nicht richtig, weil dieses Studium ihrer Meinung nach keine Zukunft hatte. Dass es mir Spaß machte, war da nebensächlich. Für meine Eltern zählte nur Prestige und Geld.

Eigentlich war ihr Leben so oberflächlich, dass sie mir nur leidtun konnten. Aber diese ewigen Vorwürfe machten mich so langsam mürbe und ich hatte gestrichen die Nase voll. Was war denn so schlimm daran, dass ich vielleicht nie soviel verdienen würde, dass ich mir ein Haus leisten konnte? Vor allem, weil sie sich selbst auch nie eines gebaut hatten. Die Knete dafür war ja da, aber ich hatte trotzdem mein Leben lang nur in Wohnungen gewohnt. Weder besonders geräumig, noch besonders luxuriös. Was machten die nur mit dem ganzen Geld? Mein Vater verdiente schließlich nicht schlecht. Aber meine Mutter sah immer aus, wie geschniegelt. Wahrscheinlich verschleuderte sie ihr Vermögen in Boutiquen und das war das, was dabei herauskam.

Ging mich nichts an. Sie konnten machen, was sie wollten, nur sollten sie mich mit ihren Vorurteilen und „Verbesserungsvorschlägen“ zufriedenlassen.

Erst letztens hatten sie mir „nahegelegt“ doch umzusatteln auf Jura oder BWL, das waren beständige Studiengänge mit sehr guten Aussichten usw. Dabei hatte ich im Hintergrund meine Schwester quaken gehört, dass ich das mit seinem Abidurchschnitt sowieso nicht schaffen würde und wäre am liebsten durch den Hörer gesprungen. Diese kleine Mistmade wusste ganz genau, welche Knöpfe sie drücken musste, um mich zur Weißglut zu bringen. Meine Eltern waren so unglaublich stolz auf meine talentierte Schwester, dass ihnen anscheinend gar nicht auffiel, dass an der Stelle, wo ihr Herz sein sollte, nur ein schwarzes Loch war. Es gab für solche Menschen auch einen Begriff, gefühlskalt traf es nur noch nicht ganz. Da war mehr. Dieser Drang sich vor anderen zu profilieren, immer im Mittelpunkt zu stehen und gnadenlos jeden Gegner ausschalten zu müssen.

Wo war ich? Genau, meine Mutter, angesehene Chemie- und Mathelehrerin an einem Gymnasium, konnte es nicht ertragen, dass ihr Sohn vielleicht einmal arbeitslos sein würde, nur weil ich mich für ein Studium entschieden hatte, das nicht so lukrativ und vielversprechend war. Mein Vater,  von Beruf Architekt, hatte mich aufgegeben. Aus mir würde doch nichts werden, selbst wenn ich versuchen würde, ihre Wunschabschlüsse zu bekommen. Dass mir solche Aussagen weh taten, schien sie nicht zu interessieren. Wichtig war nur, wie sie vor ihren Freunden und Kollegen dastanden. Sie wollten sagen können, dass sie stolz auf ihren Sohn waren. Da konnten sie so lange warten, bis die Hölle einfror. Ich würde mich ganz sicher nicht ihren altertümlichen Ansichten beugen. Ich war nicht umsonst ausgezogen, weil ich ihre Borniertheit nicht mehr ertragen hatte. Wenn nicht alles nach den  vorhergesehen Bahnen verlief, dann musste dieser Makel beseitigt werden.

Meine Mutter hatte es tatsächlich gewagt, mir die Einschreibeunterlagen für BWL ausgefüllt zu schicken, ich sollte nur noch unterschreiben. Ich dachte, mich tritt ein Pferd. Das war so anmaßend und wir hatten ungefähr eine Stunde lang am Telefon gestritten. Keiner von uns war als Sieger daraus hervorgegangen, denn ich hatte irgendwann wutentbrannt aufgelegt und seitdem sprach sie nicht mehr mit mir.

Doch ich wartete nur auf den nächsten Anruf, ich hoffte nur, dass ich nicht allzu lange auf dieser blöden Geburtstagsparty bleiben musste. Mein einziger Hoffnungsschimmer war meine Großmutter, die anscheinend die einzig vernünftige Person in dieser Familie war. Na gut, meine große Schwester war auch ganz nett. Aber sie würde nicht lange bleiben, da sie ihr Kind versorgen musste, das erst 6 Monate alt war und den Stress sicher noch nicht so gut vertrug. Immerhin wohnte sie fast 100 km entfernt in einem schönen Bauernhaus, mit vielen Tieren. Dieses Kind würde es bestimmt besser bei ihr haben, als wir es bei unseren Eltern gehabt hatten. Ihr Mann war auch ganz in Ordnung, solange er nicht zu tief ins Glas schaute. Aber er musste bestimmt fahren. Da konnte er glücklicherweise nichts trinken.

Meine Gedanken wanderten zu Sandrine. Sollte ich ihr etwas schenken? Eigentlich hatte sie ja nichts verdient, weil sie immer so eklig zu mir war, aber ich wollte nicht mit leeren Händen aufkreuzen. Immerhin schenkte sie mir auch immer etwas. Meistens Sachen, die ich überhaupt nicht gebrauchen konnte. Einen Aschenbecher zum Beispiel, obwohl sie wusste, dass ich Nichtraucher war. Zu einer Gemeinheit konnte ich mich jedoch nicht durchringen und so würde ich ihr die Ohrringe kaufen, die ich den einen Tag in einem Schmuckgeschäft gesehen hatte. Es waren winzige Stecker in Schmetterlingsform, die in einem schönen Grün leuchteten. Sie würden gut zu ihrer Augenfarbe passen.

Die ganze Zeit hatte ich aus dem Fenster gesehen, meinen Gedanken nachgehangen, Musik gehört, sodass ich erst merkte, dass Konstantin mich angesprochen hatte, als er meinen Namen noch einmal sagte. Mit Lichtgeschwindigkeit zog ich die Stöpsel aus den Ohren und verhedderte prompt mein Kabel, das ich nun langwierig wieder auseinanderknotete. Das war  nichts für Grobmotoriker. Ich machte es nur noch schlimmer und ließ es ganz bleiben.

„Ja, was ist?“

„Ich hab mich gefragt, ob du am Samstag noch ein paar Hände gebrauchen kannst, wenn ihr deine Wohnung ausräumt? Muss eigentlich noch gestrichen werden?“ In Gedanken fiel mir die Kinnlade bis auf die Knie. Konstantin wollte mir helfen?

„Oh. Ja, ja klar, kann ich Hilfe gebrauchen. Je mehr wir sind, desto schneller geht es natürlich. Ist das denn in Ordnung, hast du Zeit dafür?“ Langsam reden, sonst merkt er noch, dass du völlig aus dem Häuschen bist.

„Sonst würde ich nicht fragen.“ Er zog eine Augenbraue hoch, eine Geste, die mich verrückt machte. Einerseits war sie schon ein wenig überheblich, aber sie ließ ihn so männlich aussehen, dass ich ihn am liebsten den halben Tag angeschmachtet hätte. Was anschmachten? Komm mal wieder runter Jona! Das war ein Kerl, nur ein anderer Mann!

„Ähm, ja, genau, streichen müssen wir nicht, hab da noch nicht so lange gewohnt und wenig an der Wand gehabt. Ich denke, es reicht, wenn wir zum Schluss alles nochmal gründlich saugen und auswischen, das sollte ausreichen.“

„Okay, wann wolltest du denn anfangen?“

„Den Wagen bekomme ich ab 7 Uhr und ich hoffe, ich kann das Ding fahren. So ein Transporter ist eben doch was anderes als ein Auto.“ Ich verzog zweifelnd das Gesicht, ich durfte das Teil zwar fahren, aber das hieß nicht, dass ich es konnte.

„Wenn du willst, dann fahre ich. Ich habe unsere Möbel auch mit einem Transporter zum Haus gebracht. Ich wollte nicht, dass eine Umzugsfirma unsere Sachen anfasst.“ Aha, da war er also eigen.

„Gern, eine Sorge weniger. Dann kommst du vielleicht so gegen 6:45 Uhr und wir holen den Wagen gemeinsam?“ Er nickte, um sein Einverständnis zu signalisieren.

„Gib mir mal die Kopfhörer, das kann ja niemand mit ansehen.“ Der plötzliche Themenwechsel überrumpelte mich und ich brauchte zwei Sekunden zu lange, um zu reagieren.

„Die Kopfhörer?“ Er streckte seine Hand aus und ich legte sie vorsichtig hinein. Zu vorsichtig eigentlich, aber ich hatte Angst, dass wenn ich seine warme Haut berührte, wieder dieser Wirbelsturm in mir entfacht wurde und das war  bei meinem derzeitigen Zustand sicherlich nicht gut. Er zog und fummelte an den weißen Kabeln mit einer Geduld, die ich bemerkenswert fand. Ich hätte schon längst die Krise bekommen und die Dinger in die nächste Ecke befördert.

„Fertig. Was hörst du denn?“, fragte er neugierig. Womit hatte ich diese Aufmerksamkeit verdient? Er hatte mit mir heute mehr geredet, als in einem Monat zusammengerechnet. Das verwirrte mich und brachte mich aus dem Konzept. Dabei hatte ich mir doch gewünscht, dass er mit mir sprach.

„Dies und das. Meistens hab ich das Radio an, aber da quasseln sie in letzter Zeit soviel. Ich mag Rock ganz gerne und ein paar Popsachen auch. Und du?“, diese Gelegenheit ließ ich mir sicher nicht entgehen, wenn er schonmal so gesprächig war.

„So ziemlich das Gleiche, aber ich mag auch klassische Musik.“ Ich verzog das Gesicht und er grinste mich an. Mein Herz legte gleich einen Takt zu und ich zwang mich ruhig und gleichmäßig zu atmen.

„Das ist gar nicht meins. Dieses Gejaule.“ Keine Ahnung, was er daran fand, für mich war es das Grauen.

„Manche Stücke sind sehr schön, ich mag besonders die ruhigen. Aber ich merke schon, ich kann dich dafür nicht begeistern.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, eher nicht.“ Wir grinsten uns gegenseitig an und ich merkte, wie die Ameisen in meinem Bauch wieder hibbelig wurden. Werdet ihr wohl stillhalten! Sonst räucher' ich euch aus! Dieses verschmitzte Lächeln war umwerfend und ich fragte mich wirklich, wie es wäre, wenn er mich einmal richtig anlächeln würde. Oder vielleicht sollte ich mich das lieber nicht fragen, weil ich es bestimmt nicht überleben würde. Ich war ja nicht selbstmordgefährdet. Nur ein wenig masochistisch, denn ich wünschte mir schon wieder, dass er mich angrinste und all seine Geheimnisse offenbarte.

Ich überlegte krampfhaft, worüber wir noch reden konnten, damit die Unterhaltung nicht schon wieder vorbei war.

„Das Buch, das du vorhin gelesen hast, davon besitzt du ja anscheinend eine ganze Menge, oder? Wo hast du die denn untergebracht? In der Bibliothek habe ich zumindest auf den kurzen Blick keine davon gesehen.“ War bestimmt nicht die beste Wahl über Bücher zu reden, wenn man davon keine Ahnung hatte, aber vom Handwerken hatte ich genauso wenig.

„In meinem Zimmer habe ich eine Menge zu stehen und auf dem Dachboden ist auch so einiges. Aber da darfst du erst rauf, wenn wir die Treppe repariert haben. Ich war schon seit Ewigkeiten nicht mehr da oben und weiß gar nicht, was da alles liegt. Bestimmt alter Krempel von meinen Großeltern, sie konnten sich schon immer schwer von etwas trennen. Wenn du Lust hast, können wir ja zusammen dort ausmisten? Philipp würde wahrscheinlich mehr Chaos hinterlassen, als dort sowieso schon ist.“ Ich lächelte, das konnte ich mir gut vorstellen, dass er alles andere im Kopf haben würde, als aufzuräumen.

„Hast du eigentlich was dagegen, wenn meine Freunde von Samstag zu Sonntag übernachten? Ich hab euch noch gar nicht richtig gefragt.“

„Nein, geht klar. Du hattest überlegt, wo alle schlafen sollen.“ Wieder wurde ich fragend angesehen und hilflos zuckte ich die Schultern.

„Einer muss sein Zimmer räumen. Vielleicht könnten du und Philipp in einem Zimmer schlafen, dann nehm ich Dom oder Ben zu mir. Aber dann muss einer von uns zusammen mit Sammy in ein Zimmer. Oder Dom schläft alleine, das ist für alle am sichersten. Keine Ahnung, ob du es mitbekommen hast, aber ich glaube, er steht auf deinen kleinen Bruder.“ Ernst wurde ich aus diesen tiefbraunen Augen angeschaut und wand mich innerlich. Was, wenn er damit ein Problem hatte? Ich schätzte ihn zwar nicht so ein, aber ich konnte nicht in ihn hineinsehen.

„Ja, hab ich. Die Frage ist nur, wie ernst er es mit Philipp meint. Ich möchte nicht, dass ihm wehgetan wird.“ Da war wieder dieser Große-Bruder-Ausdruck in seinem Gesicht.

„Du meinst, er hätte echt Chancen? Ich war mir nicht so sicher, ob die beiden sich daraus nicht nur einen Spaß machen.“ Prüfend sah ich ihn an und prompt richtete sich mein Blick auf seine Lippen, als er antwortete. Seine Zähne waren schön weiß und ich hatte Mühe, mich auf seine Antwort zu konzentrieren.

„Ich denke schon, wenn Philipp nicht interessiert wäre, hätte er es bereits im ersten Moment abgewürgt. Ich denke, er muss erstmal ausprobieren, ob das was für ihn ist. Aber, dass er so locker reagiert hat, ist ein gutes Zeichen.“ Ich war erstaunt, dass Konstantin darüber so unverfänglich sprechen konnte. Viele Menschen, besonders die, die einem nahestanden, konnten oft schlecht akzeptieren, dass sich das Kind, der Bruder, der Freund zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlte. Das machte ihn mir gleich noch sympathischer.

„Was meinst du, sollen wir da ein wenig nachhelfen?“ Vergnügt schaute ich ihn an und er schien zu ahnen, was ich dachte.

„Du willst beide in ein Zimmer stecken? Und Philipp ins Verderben schicken?“ Das Lächeln ließ den Satz nicht ganz so fies klingen.

„Dann kommen Ben und Sammy in mein Zimmer. Damit sie sich mal richtig aussprechen können. Ich wünsche den beiden alles Glück auf der Welt und ich glaube, dass sie das finden, wenn sie einander haben. Das bedeutet...“ Ãœber diese Möglichkeit wollte ich eigentlich gar nicht nachdenken. Und es war eine dumme Idee. Eine dumme verführerische Idee. Ich würde sein Zimmer sehen. Würde nicht nur unter einem Dach, sondern in einem Raum mit ihm schlafen. Beziehungsweise auch nicht, denn ich würde vor Aufregung bestimmt kein Auge zu machen. Die Ameisen versuchten nun gewaltsam in meinem Bauch auf und nieder zu krabbeln.

„...dass du bei mir schläfst. Hab ich kein Problem mit.“ Aber ich!, schrie mein Verstand und mein Herz  lachte ihn aus voller Kehle aus. Ich war verloren. So was von verloren. Wenn ich dieses Wochenende überlebte, dann würde ich mich in die Psychiatrie einweisen lassen. Vielleicht konnte die was gegen meine Ungezieferplage unternehmen?

„Okay, also abgemacht.“ Ich ließ meinen Kopf an das Polster sinken, nur um sogleich wieder von der kratzigen mechanischen Stimme hochgeschreckt zu werden.

„Wir müssen raus. Was hast du jetzt?“ Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

„Französisch und danach Altgriechisch.“ Nicht unbedingt meine Lieblingsfächer, aber da musste ich durch.

„Gut, also dann bis später. Vielleicht sehen wir uns auf dem Rückweg.“ Er winkte mir zum Abschied und machte sich schnurstracks auf den Weg zur Cafeteria. Eigentlich hätte ich nach der Aktion einen Kaffee gebrauchen können, aber ich war schon spät dran, also flitzte ich zur Vorlesung. In Französisch passte ich nicht wirklich auf, denn mein Kopf war noch voll von dem Gespräch mit Konstantin. Wie kam es, dass er auf einmal mit mir redete? Er hatte doch selbst zugegeben, dass er nicht der Gesprächigste war. Und doch hatte er mir heute soviel erzählt und so viel gefragt. Ich war noch völlig überfordert. Insbesondere der Gedanke, dass ich am Samstag in seinem Zimmer übernachten durfte und es mehr oder weniger seine Idee gewesen war, ließ mich nicht stillsitzen.

Kapitel 5

Kapitel 5

 

6:30 Uhr

 

Mein Herz war kurz vorm Zerspringen. Sollte ich sicherheitshalber einen Notarzt vorbestellen? Die würden mich sicherlich für verrückt erklären, wenn ich ihnen erzählte, dass ich um mein Leben fürchtete, weil der bestaussehendste Mann gleich bei mir zu Hause auftauchen würde. Weil ich so nervös gewesen war, hatte ich die halbe Nacht wieder nicht geschlafen. Vor einer Stunde hatte ich es endgültig

aufgegeben, noch einmal einschlafen zu wollen und war aufgestanden.

Meine morgendliche Routine hatte ich bereits erledigt, dabei hatte ich extra gebummelt, damit die Zeit schneller verging.

Meine Ungezieferplage war bis vor einer halben Stunde auch noch zu schlaftrunken gewesen, um mich mit ihrem Gekrabbel zu nerven, aber dafür waren jetzt umso mehr Ameisen wach und trieben mich zur Verzweiflung. Wer sollte sich denn so konzentrieren?

 

6:35 Uhr

 

Ich war bereits bei meiner dritten Tasse

Kaffee und merkte, wie mich das Koffein auf den Beinen hielt. Ich hatte alle Kartons im Flur gestapelt und wollte schon Staub saugen, als mir einfiel, dass das meinen Nachbarn gegenüber vielleicht nicht so höflich wäre. Konnte ja nicht jeder unter akutem Schlafmangel leiden.

Auf meinem Laptop lief leise Musik, obwohl ich sie am liebsten so laut aufgedreht hätte, um meine Gedanken zu übertönen. Noch 10 Minuten, dann wäre er da. Warum wusste ich so genau, wie spät es war? Zumindest zählte ich noch nicht die Sekunden. Wäre auch ein bisschen viel bei 600 Sekunden runterzuzählen, 599, 598...hörst du wohl

auf!

Ich schnappte mir einen Lappen und fing an, das Bad zu putzen, hatte ich gestern nämlich nicht mehr ganz geschafft. Daran konnte ich meine Wut auf mich selber prima auslassen.

 

6:40 Uhr

 

Es klingelte an der Haustür. Wie von einer Tarantel gebissen, flitzte ich in den Flur und drückte auf den Summer. Meine schwitzigen Handflächen klebten nicht nur von der Arbeit im Bad. Schnell wusch ich mir die Hände. Half zwar nicht viel, aber ein bisschen und ging die Tür aufmachen. Also mein lieber

Körper, deine Nervosität ist sowas von ungerechtfertigt! Benimm dich gefälligst und lass mich nicht wie einen Trottel dastehen.

Ich war kurz davor, ihm auf der Treppe entgegen zu gehen, wartete dann aber doch an der Tür. Als sein dunkler Haarschopf sichtbar wurde, fing mein Puls wieder an zu rasen. In Gedanken trat ich von einem Bein auf das andere, aber in Wirklichkeit stand ich stocksteif da.

„Hi, Konstantin.“ Sein Kopf ruckte hoch und er grinste mich erfreut an. Womit hatte ich das denn verdient? Er sah echt so aus, als würde er mich gern sehen. Wahrscheinlich nur Einbildung.

„Hi, Jona. Bist du schon fertig?“ Zögerlich nickte ich mit dem Kopf. Ich würde ihm ganz sicher nicht erzählen, dass ich das nur seinetwegen geschafft hatte. Weil er mir den Schlaf geraubt hatte

„Willst du noch einen Kaffee trinken, bevor wir loslegen?“ Diesmal nickte er und ich ließ ihn in die nun kahle Wohnung. Erst als wir uns an dem kleinen Klapptisch gegenüber saßen, den ich noch notdürftig in der Küche zu stehen hatte, realisierte ich, wie umwerfend er aussah. Ich hätte nie gedacht, dass Arbeitsklamotten derart sexy wirken würden, aber bei ihm war es so. Ich rollte innerlich gequält mit

den Augen. Blieb mir denn gar nichts erspart? Hätte er nicht wie jeder andere stinknormal aussehen können? Dann wäre ich jetzt auch nicht versucht, ein Bestattungsunternehmen anzurufen, weil ich den Tag ganz sicher nicht überleben würde. Nur für alle Fälle.

Unser Gespräch blieb oberflächlich, er fragte nur, wie es in der Uni lief und das war sicheres Terrain. Dann trank er seinen Kaffee in großen Schlucken und ich sah ihm dabei zu. Nach den drei Tassen hatte ich keinen mehr gewollt. Sonst würde meine Ameisenkolonie noch den Koffeintod sterben. Vielleicht hätte ich doch noch eine Tasse trinken sollen?

6:55 Uhr

 

„Wollen wir dann los? Es ist schon fünf vor.“ Er schaute auf seine Uhr und guckte mich fragend an. Ach ja, ich musste antworten, wieder nickte ich nur. Wo war meine Stimme abgeblieben?

„Ja, sollten wir. Das Unternehmen ist nicht weit von hier. Wir können also laufen.“ Anscheinend hatte ich meine Zunge doch nicht verschluckt.

Als wir den Transporter abholten, wirkte er riesig. Der ganze Papierkram war  schnell über die Bühne gegangen und wir konnten uns auf den Weg machen. Konstantin hinter dem Steuer so souverän zu sehen, machte ihn noch

heißer. Also wirklich Körper, wir haben 14°C, das ist nicht heiß!

 

7:30 Uhr

 

Wir warteten immer noch auf die Ankunft der anderen. Ein paar der Sachen hatten wir schon eingeladen, aber die Couch war für zwei Leute einfach zu schwer. Deswegen war jetzt nicht mehr viel zu tun und wir hatten uns noch ein wenig über unseren Kuppelplan unterhalten, da wir sonst anscheinend kein Gesprächsthema außer Uni fanden und das war auf Dauer echt langweilig.

Dom und Philipp kamen kurz

nacheinander und fingen gleich an, mich abwechselnd auszufragen. Was noch zu tun war, warum wir schon so viel gemacht hatten und ob ich was zu trinken da hätte. Die beiden waren so vergnügt und freuten sich auf den gemeinsamen Tag, dass ich es mittlerweile wirklich für eine gute Idee hielt, dass die beiden es mal miteinander probierten.

Sammy trudelte als Letzte ein und war ungewöhnlich schweigsam. Da merkte ich erst, wie schlimm der Streit zwischen ihr und Ben gewesen sein musste. Eiszeitstimmung war noch nett ausgedrückt.

Trotzdem versuchten wir alle diesen

Umstand, so gut es ging, zu ignorieren und machten uns auf in den Vorort, in den ich ziehen wollte. Ein Zwischenstopp bei Dom, um die Couch auszuladen und schon konnte es weitergehen. Kurz zuvor war ein kleiner Disput ausgebrochen, wo Sammy mitfahren sollte. Dabei war es eigentlich glasklar, da der Transporter bereits belegt war. Aber sie weigerte sich strikt Ben zu fragen, ob sie bei ihm mitfahren durfte und er würde es garantiert nicht freiwillig anbieten. Also entschied ich resolut und keiner von beiden wehrte sich.

Dom hatte zuvor noch rumgewitzelt, dass sie ja auch in einen Karton passen

würde, aber sie fand das absolut nicht komisch. Dabei war sie sonst nicht so empfindlich.

Auch Dom schien zu begreifen, dass sie für solche Späßchen im Moment keine Nerven hatte und ließ sie glücklicherweise bleiben.

 

8:00 Uhr

 

Normalerweise brauchte man nicht so viel Zeit, wenn man mit dem Zug hierher fuhr. Aber die Landstraße schlängelte sich um etliche Dörfer und Siedlungen und machte die Strecke auf diese Weise fast doppelt so lang.

Wir hatten vorher ausgemacht, dass die

Anderen etwas vom Bäcker holten, damit wir alle zusammen  frühstücken konnten.

Als das Haus in Sicht kam, nahm es mir gleich wieder den Atem. Es würde lange dauern, bis ich mich an den Anblick gewöhnt hatte. Der Transporter passte gerade so auf den schmalen Weg und Konstantin musste sehr konzentriert und vorsichtig fahren.

Wir luden  schon ein paar der Kartons aus und warteten dann auf den Rest. Als sie ankamen, beschlossen wir, erst einmal zu frühstücken. Da in der Küche nicht genug Platz für alle war, schlug Philipp vor, dass wir draußen auf dem Rasen picknickten. Der Morgen war

schön warm und wir genossen es, in der Sonne zu sitzen. Auf drei Decken verteilt, machten wir uns über die Brötchen und den Kuchen her. Dom und Sammy waren sichtlich beeindruckt von dem Haus und Grundstück und wollten gleich alles erkunden. Aber Konstantin warnte sie, dass sie vorsichtig sein sollten, weil überall noch kleine Baustellen waren.

Dom war den ganzen Vormittag sehr zurückhaltend gewesen. Ich hatte ein bisschen das Gefühl in einer verkehrten Welt gelandet zu sein. Konstantin redete mit mir und Domenik hielt einmal sein vorlautes Mundwerk. Dass er mir noch keine Löcher in den Bauch gefragt hatte,

war wirklich erstaunlich, aber das böse Erwachen kam bestimmt noch.

Es lief erstaunlich reibungslos. Am frühen Nachmittag hatten wir alles verstaut und ich musste nur noch meinen Papierkram und die Klamotten einsortieren. Da mein neues Bett noch nicht angekommen war, mussten Domenik und Philipp nachher auf einer Matratze schlafen, die jedoch groß genug für beide war. Sie wussten ja noch nichts von ihrem Glück.

Zum Mittag hatten wir uns wieder Pizza bestellt und die beiden lieferten sich eine Schlacht um das letzte Stück. Der Vielfraß gewann natürlich und Philipp schaute ihn nur empört an, weil er es

ihm vor der Nase weggeschnappt hatte. Sam hatte sich zwischenzeitlich mit Konstantin unterhalten und ich konnte so ein komisches Gefühl in mir nicht unterdrücken, dass sagte, dass er nur mit mir reden sollte. Natürlich hatte ich mich schnell wieder im Griff, aber ein kleiner Stich blieb dennoch.

Dabei war Sammy doch in Ben verliebt, auch wenn sie sich jetzt anschwiegen. Außerdem wollte ich überhaupt nichts von Konstantin, er war mein Mitbewohner und vielleicht auch bald ein guter Freund, aber mehr nicht!

Warum nahmen meine Gedanken immer wieder die gleiche Richtung? Das war eine elende Endlosschleife und ich wollte

ihr entkommen. Warum sollte Konstantin mich auf diese Art und Weise mögen? Ich war nichts Besonderes. Sah durchschnittlich aus und war ganz bestimmt niemand, mit dem man sich ungezwungen unterhalten konnte, oder der einen zum Lachen brachte. Ich würde mich zumindest nicht wollen. Er hingegen konnte jede und jeden haben. Ich sollte wirklich an etwas anderes denken.

Am Abend gingen wir noch einkaufen, damit wir Knabberzeug und was zu trinken hatten. Konstantin seilte sich ab und holte Chips, Flips und was es sonst noch so gab und wir kümmerten uns um die Getränke. Bei der Gelegenheit klärte

uns Philipp darüber auf, dass Konstantin keinen Alkohol trank und wir ihn möglichst nicht darauf ansprechen sollten. Das wurde wieder in meinem Konstantin-Langzeitgedächtnis abgespeichert und vielleicht erfuhr ich mehr darüber, wenn ich ihn besser kannte.

Ich ging hinauf in mein neues Zimmer, nachdem wir den Transporter zurückgebracht hatten, um mich umzuziehen. Es sah wirklich noch spartanisch aus. Der Schreibtisch, die Regale, der Kleiderschrank und eine kleine Kommode waren schließlich das Einzige, was ich an Möbeln mitgenommen hatte. Es sah unbewohnt

aus und viel zu aufgeräumt. Sammy hatte in eine Ecke des Zimmers eine Pflanze gestellt, die ich „mit Sicherheit nicht umbringen konnte“. Ihre Worte, nicht meine, ich sah das ja anders. Sie war auch so lieb gewesen und hatte eine Fotocollage zusammengestellt, die nicht nur uns vier zeigte. Ich hatte zweimal hinsehen müssen, bis ich gemerkt hatte, dass auch ein Bild von Konstantin neben mir auf der Eisbahn dabei war. Dazu mein peinlicher Auftritt eingeklemmt zwischen Dom und Philipp. Im Nachhinein war es lustig, wie wir ineinandergekeilt dalagen, aber wirklich faszinierend war das Foto für mich nur, weil ich Konstantins breites Lächeln sah.

Er lachte uns tatsächlich aus! Aber was würde ich dafür geben, ihn einmal in echt so lächeln zu sehen. Nichts, keinen Cent, ermahnte ich mich selbst.

Als ich wieder nach unten ging, plätscherte die Unterhaltung im Wohnzimmer vor sich hin. Philipp und Domenik hatten es sich auf dem weichen Teppich bequem gemacht, Sammy saß auf einem Sessel und Ben auf dem gegenüberliegenden. Hauptsache so weit weg wie möglich, schien es mir. Damit blieb für mich der Platz neben ihm. War ja klar. Solche Nähe ertrug ich nicht! Ich merkte schon, wie die Ameisenkolonne in mir ungeduldig auf und ab marschierte.

Ich war schon froh, dass der Leichenbestatter und der Notarzt nicht hatten kommen müssen, aber was nicht war, konnte ja noch werden. Ich verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen, das hoffentlich niemand gesehen hatte. Meine Gedankenwelt war in letzter Zeit immer bizarrer geworden.

„Sag mal Jona, warum war eigentlich niemand von deinen Verwandten da? Hatten deine Eltern keine Zeit?“ Das musste ja kommen, was antwortete ich denn nun darauf? Dass ich ihnen egal war? Dass sie nicht wussten, dass ich umgezogen war, weil ich es ihnen nicht erzählt hatte?

„Ähm, nein...“, stotterte ich.

„Aber sie hätten dich doch wenigstens für fünf  Minuten besuchen können.“, beharrte er.

„Also weißt du, so ist es nicht...“

„Du bist zu neugierig, Philipp. Es wird schon Gründe geben. Du siehst doch, dass es ihm unangenehm ist, darüber zu reden.“ Mein Retter! Dankbar lächelte ich ihn an. Ihm hätte ich es vielleicht auch noch erzählt, aber ich wollte erstens nicht die Stimmung mit meiner blöden Familie trüben und ich sah auch gar nicht ein, warum ich vor allen mein Seelenleben ausbreiten sollte.

Dom drehte die Musik lauter und er und Philipp sorgten für ausgelassenes Gelächter. Denn anstatt zu tanzen,

kabbelten sie sich die ganze Zeit und es sah eher nach verkorkstem Twister aus. Zum krönenden Abschluss hatten sie dann auch noch EyeToy angeschlossen und wir konnten nicht mehr vor Lachen. Sie ruderten wild mit den Armen, zuerst konzentriert und sich dann wild gegenseitig schubsend. Philipp sah aus wie eine Krake, nur aus Armen bestehend und Dom wie ein umherhopsender Flummi.

Einziger Wermutstropfen waren unsere zwei Streithammel, die testeten, wer wen am besten böse anstarren konnte. So langsam konnte ich das wirklich nicht mehr mit ansehen. Dann war ich eben schlecht im trösten, aber

wenigstens hatte ich es versucht. Also schlich ich mich zum Sessel und setzte mich auf den Fußboden daneben.

„Die beiden sind lustig, oder?“ Sie guckte zu mir hinunter und lächelte zaghaft. Wenn ich genau hinschaute, dann sah ich Schatten unter ihren Augen, die tiefer in den Höhlen lagen als sonst. Sie hatte bestimmt auch abgenommen, denn sonst waren ihre Wangen deutlich runder.

„Mh.“

„Ist es immer noch wegen dem Mädchen? Sprecht ihr deshalb nicht mehr miteinander?“ Ein Versuch sie aus der Reserve zu locken.

„Ja, leider.“, seufzte sie.

„Er wird darüber hinwegkommen.“, sagte ich leise. Immerhin konnte er nicht ewig den Eisklotz spielen.

„Nein, wird er nicht. Er hat mir erzählt, dass Antonia, so heißt sie, sich wirklich Hoffnungen gemacht hat und er durfte ihr erklären, warum er sie nicht will. Das ist so eine beschissene Situation. Ich dachte wirklich, ich tue ihm einen Gefallen.“ Sie schaute mich aus verzweifelten Augen an.

„Das Gefühl hatte ich am Anfang aber auch. Ihr habt doch darüber geredet, dass er wieder nach vorn blicken soll. Er war doch mit dieser Kuppelgeschichte einverstanden.“

„Ja, aber dann war da dieses

Volleyballspiel. Er sagt, er liebt sie immer noch und kann sie nicht vergessen, aber sie will nichts von ihm wissen und hängt mit ihrem neuen Typen rum. Das kleine Flittchen. Tschuldigung. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich hab mich schon gefühlte tausendmal entschuldigt, aber er zeigt mir die kalte Schulter. Dass ich jetzt auch nicht mehr mit ihm rede, interessiert ihn nicht die Bohne.“, resigniert ließ sie ihren Kopf hängen und die goldenen Locken legten sich um ihr Gesicht. Ich wusste wirklich nicht, wie Ben dieses Häufchen Elend weiter mit Nichtachtung bestrafen konnte.

„Hast du versucht, mal mit ihm über

deine Gefühle zu ihm zu reden?“ Schockiert blickte sie mich aus großen Kulleraugen an.

„Psst! Woher weißt du das?“, zischte sie mich so leise an, dass ich sie kaum verstand.

„Ich kenne dich einfach schon zu lange. Man sieht es dir nicht an, keine Sorge, aber ich weiß es trotzdem. “ Alarmiert ging ihr Kopf zu Ben.

„Meinst du, er weiß es auch?“

„Nein. Umso wichtiger, dass du es ihm endlich sagst. Ich weiß, dass du es nur gut meinst, wenn du ihn neu verkuppeln willst. Aber das tut dir doch weh, oder?“ Ihre Unterlippe zitterte kurz und ich hoffte, dass sie jetzt nicht zu weinen

anfing, aber sie schniefte nur.

Zaghaft nickte sie.

„Findest du nicht, dass du auch eine Chance verdient hast?“

Stur schüttelte sie den Kopf.

„Nachdem ich es so versaut habe? Er wird mich wahrscheinlich nie wieder richtig ansehen, zumindest nicht ohne Wut.“ Selbst ich gab nicht so schnell auf.

„Heute Abend ist die beste Gelegenheit dich mal richtig mit ihm auszusprechen. Ihr schlaft nämlich in einem Zimmer.“, eröffnete ich ihr augenzwinkernd und sie guckte mich verdutzt an.

„Aber...“

„Kein aber! Konstantin findet auch, dass

ihr miteinander reden solltet, stimmt's?“

Dieser hatte die ganze Zeit schweigend auf dem Sofa gesessen, aber wahrscheinlich das meiste gehört und nickte nun.

„Siehst du? Also beschlossene Sache.“

„Okay, ich hoffe nur, dass du Recht behältst.“

„Jona! Was flüstert ihr beide die ganze Zeit? Kommt her und spielt mit.“ Ich zeigte den beiden einen

Vogel.

„Keine Chance! Ich mach mich doch nicht zum Affen. Fragt Ben.“ Der brummte nur ablehnend. Ich würde bestimmt nicht wie ein bescheuertes Eichhörnchen vor dem Fernseher auf und

nieder hüpfen.

„Kon...?“, wollte Domenik ansetzen, wurde aber sofort von einem

„Vergiss es.“, unterbrochen.

„Ihr seid solche Langweiler.“, schmollten die beiden, spielten aber weiter, als wir beide mit den Schultern zuckten. Waren wir eben langweilig, deswegen würde ich trotzdem nicht mitmachen.

Konstantin ging in die Küche, um neues Knabberzeug zu holen und ich folgte ihn mit meinen Blicken. Ganz plötzlich überkam mich das Gefühl, dass ich noch etwas zu trinken gebrauchen könnte und folgte ihm in die Küche. Ich redete nicht viel mit ihm, nur

oberflächlicher Kram, ob ich es schaffen würde den Rest im Zimmer allein einzuräumen.

Dom kam nun auch in die Küche. Ich hatte ja den starken Verdacht, dass er uns hinterhergeschlichen war. Sein Gesicht sprach auch tausend Bände und er wollte schon ansetzen. Konstantin hatte seinen Kopf gerade in einen Schrank gesteckt, auf der Suche nach etwas Essbaren. Ich starrte meinen besten Freund nieder.

'Kein Wort, oder ich bring dich um!' Die Botschaft meiner Augen musste wohl angekommen sein, denn er zuckte die Schultern.

'Weiß er davon?' Sein Kopf ruckte in die

Richtung und seine Hände formten ein Herz. Er war sowas von tot!

'Nein! Und das soll auch so bleiben!'

'Aber!'

'Wehe!'

Zum Glück war Konstantin anderweitig beschäftigt und hatte unser Blickduell nicht gesehen. Das wäre äußerst peinlich geworden.  Er füllte gerade Chips in eine Schüssel und Dom wurde dadurch abgelenkt. Mit seiner Beute verschwand er wieder in das Wohnzimmer und Konstantin guckte nur ein bisschen komisch, sagte aber nichts.

Mein Handy fing in meiner Tasche wild an zu vibrieren. Ein Blick auf das Display reichte mir, um umgehend auf

den roten Hörer zu drücken. Ich wollte nicht mit meiner Mutter reden. Sie sollte mir diesen schönen Tag nicht kaputt machen.

„War nicht so wichtig.“, sagte ich, als ich Konstantins fragenden Ausdruck sah.

 Wir gingen zu den Anderen und quatschten noch bis spät in die Nacht. Ich war immer nervöser geworden. Das würde niemals gut gehen. Ich musste mir eine Ausrede einfallen lassen, warum ich nicht in seinem Zimmer übernachten konnte. Ich würde das nicht überleben.

Als Konstantin die Zimmeraufteilung verkündete, wagte es niemand, ihm zu widersprechen. Ben sah zwar angepisst

aus, gab aber nach. Sammy hatte nur ein schwaches Lächeln auf den Lippen.

Die beiden anderen grinsten sich nur an.

„Jona? Dürfen wir uns den Rest  des Hauses noch ansehen? Das haben wir völlig vergessen.“ Stimmt, das war vollkommen untergegangen.

„Klar, warum nicht? Denkt daran, dass ihr vorsichtig sein müsst. Es ist noch nicht alles repariert. Soll ich mitkommen?“

„Ach, das schaffen wir schon alleine.“ Ein fröhlicher Domenik hakte sich bei Sammy ein. Ben hingegen blieb sitzen.

„Ähm, Ben? Kommst du auch mit? Du willst es dir doch gewiss auch ansehen?“ Sammys Stimme war leise und

ich dachte zuerst, dass Ben sie ignorieren würde, aber er zuckte nur mit den Schultern und trottete in sicherem Abstand hinterher.

Keine fünf Minuten, bevor ich ins Bad gehen wollte, hörte ich es laut krachen. Schnell rannten wir nach oben und sahen, wie Dom Sammy von der Treppe zum Dachboden wegzog. Die mittlere Stufe war komplett durchgebrochen und Sam verzog schmerzhaft das Gesicht.

„Verdammt, tut das weh.“ Sie stöhnte und setzte sich auf den Boden.

„Sollen wir dich zur Rettungsstelle bringen?“ Völlig sachlich besah sich Konstantin den Fuß.

„Ist glaube, das ist nicht nötig. Komm

mal mit, stütz dich auf mich. Wir besorgen dir eine Kühlpackung. Der ist wahrscheinlich verstaucht.“  Kein „Ich hab euch ja gesagt, dass es gefährlich ist“ kam von ihm und ich war froh darüber.

„Ben bringt dich morgen früh zum Arzt, der sieht sich das sicherheitshalber noch einmal an.“ Der Erwähnte nickte nur und ich sah, dass er kalkweiß geworden war.

Zum Glück war nicht mehr passiert und nach diesem Schock am Abend war meine Nervosität erst einmal wie weggeblasen. Ich war wirklich froh, dass ihr nicht mehr passiert war. Die Angst um meine Freundin war zwar weg,

aber ein mulmiges Gefühl war trotzdem da. Wir mussten diese Treppe so schnell wie möglich reparieren, damit nicht noch mehr Unfälle passierten.

Mit diesen Gedanken machte ich mich auf den Weg in Konstantins Zimmer.

Kapitel 6

Kapitel 6

 

Mit meinen Gedanken ganz woanders ging ich noch ins Bad. Aus dem Spiegel blickte mich mein müdes Gesicht an. War ich schon immer so blass? Musste an der Aufregung liegen, denn die Schatten unter meinen Augen waren vorher nicht da gewesen. Die Zahnbürste rotierte in meinem Mund und in meinem Kopf die Gedanken. Mit jeder Bewegung war meine innere Unruhe wieder stärker da.

Wie sollte ich die Nacht lebend überstehen? Ohne mich völlig lächerlich zu machen? Was hatte ich eigentlich für ein Problem damit? War ja nicht das erste Mal, dass ich bei einem Kerl im Zimmer schlief. Zumindest bei Domenik und Ben war es bisher keine große Sache gewesen. Aber heute war es eben Konstantin. Ließ mich völlig kalt. In meinem Kopf ertönte lautes Hohngelächter.

Super, jetzt glaubte ich selbst nicht mehr daran. Da konnte ich mir auch nichts schönreden. Es war so, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Auch wenn ich das nicht wollte  - schon gar nicht in einen Mann – ließ sich nichts daran rütteln.

Seufzend sprang ich noch kurz unter die Dusche. Als ich fertig war, stand ich gleich vor dem nächsten Problem. Was sollte ich anziehen? So wie sonst, nur in Shorts, war mir dann doch zu freizügig, also T-Shirt drüber gezogen. Barfuß ging ich zur Treppe und passte bei den Dielen auf, dass ich mir keinen Splitter eintrat. Meine Gedanken gingen wieder auf Wanderschaft. Mein Verstand spielte mir ein Szenario nach dem anderen vor:

1. Ich würde die Nacht ruhelos verbringen und es würde gar nichts passieren. Konstantin würde schlafen und ich kein Auge zumachen.

2. Was wäre, wenn es nur ein Bett gäbe? Ich glaubte nicht, dass ich der Versuchung widerstehen könnte, ihn zu berühren und spätestens dann würde ich wahrscheinlich hochkant rausfliegen.

3. Konstantin ergreift plötzlich die Initiative und ich wäre völlig willenlos. Die Anziehungskraft beruht auf Gegenseitigkeit und ich hätte keine Chance mehr, denn ich wäre rettungslos verloren.

Ich verzog das Gesicht. Szenario Nummer Eins war definitiv das Wahrscheinlichste. Nicht, dass ich mir wünschen würde, dass die anderen beiden passierten.

Aber das beruhigte mich nicht. Auf dem Weg nach oben hatte sich mein Atem beschleunigt und ich war wieder ein nervöses Bündel. Vor seiner Tür blieb ich stehen und zögerte, sollte ich anklopfen? Meine Füße starben bereits den Erfrierungstod und ich trat von einem Fuß auf den anderen.

Kurz klopfte ich gegen das Holz, um zu signalisieren, dass ich jetzt hereinkommen würde.

Ich öffnete sie langsam und hoffte, dass Konstantin nicht gerade dabei war, sich auszuziehen.

Aber als ich eintrat, war das Zimmer nur schwach von einer Nachttischlampe beleuchtet und ich konnte so gut wie nichts sehen. Ich machte nur ein paar Schemen aus. Antike Möbel, wie sie überall im Haus standen, etliche Bilderrahmen waren darauf und diese würden vermutlich seine Familie zeigen.

Eine Wand war von Bücherregalen bedeckt, in denen wirklich Unmengen Fantasybücher standen. Die Buchhandlungen verdienten anscheinend nicht schlecht wegen ihm.

Links in der Ecke stand ein mittelgroßes Bett, auf dem Konstantin saß, natürlich mit einem Buch in der Hand. Mein Mund wurde auf der Stelle trocken, weil er oberkörperfrei war und meine Libido einen Freudenschrei ausstieß. Er war perfekt. Ich konnte meine Augen kaum von ihm wenden, sie waren wie festgeklebt.

Schmale, aber von der Arbeit kräftige Schultern, etwas dunklere Haut, als ob er öfter draußen ohne Hemd arbeitete, kein Gramm Fett zu viel und lange Beine, die in einer Schlafhose steckten.

Pass auf, dass du nicht sabberst, Jona!, verspottete ich mich in Gedanken.

Steh nicht so blöd rum! Ich blickte mich um und sah, dass vor dem Bett, mit ein wenig Abstand, eine Matratze lag, auf die ich mich im Schneidersitz setzte. Meine Nervosität war mittlerweile auf dem Höhepunkt angelangt und ich überlegte krampfhaft, was ich sagen könnte.

„Sch..schläfst..du noch gar nicht?“, stotterte ich. Na, noch bescheuerter ging es wohl nicht. Innerlich verdrehte ich die Augen. War doch offensichtlich, dass er wach war.

„Nein, ich habe auf dich gewartet.“ Diese Stimme jagte mir einen Schauer über die Haut.

„Oh, danke, hättest aber auch schon schlafen gehen können.“ Ich gab mir einen harten Tritt. Sag doch einfach nur danke, du Idiot! Jetzt hörte sich das so an, als ob es dir egal wäre.

„Liest du immer noch „Der letzte Traumwanderer?“ Ich hatte mir den Titel doch tatsächlich gemerkt. Aber er schüttelte den Kopf.

„Mh, nein, ich bin schon beim nächsten Teil. „Die Stadt der Seelen“ ist wirklich spannend. Hat dir deine Party eigentlich gefallen?“ Er steckte ein Lesezeichen in das Buch und schlug es zu.

Der dicke Band landete auf dem Nachttisch und er schaute mich fragend an. Ich war fasziniert davon, wie sich mir sein Oberkörper näherte und musste mich arg beherrschen. Das Einzige, was mich verraten konnte, war meine etwas schnellere Atmung. Prima, ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so gut im Griff haben würde.

„Ja, klar! Bis auf den Unfall war es wirklich lustig. Auch wenn Dom und Philipp schon ein bisschen schräg sind.“ Wir lächelten uns verschwörerisch an.

Konstantin nickte, sagte aber dazu nichts weiter.

„Meinst du, dass Ben und Sammy sich aussprechen? Leider kann Benjamin ziemlich stur sein.“ Das würde ein hartes Stück Arbeit für meine Freundin werden, diese Nuss zu knacken.

„Keine Ahnung.“, sagte er, begleitet von einem Schulterzucken.

„Ich kenne sie ja kaum.“

„Stimmt. Ach, das wird schon werden. Jedenfalls bin ich immer noch davon überzeugt, dass Sammy die beste Wahl für ihn wäre. Sie ist lieb, hat ein sanftes Wesen und kann super zuhören. Sie ist vielleicht ein wenig voreilig, aber Fehler machen einen nur menschlicher.“

„Ich kann sie ganz gut leiden. Sie schien bisher wirklich nett zu sein. Ein bisschen ruhig.“ Sagte der, der sonst keine zwei Sätze am Stück herausbrachte. Aber das schien sich ja langsam zu bessern. Möglicherweise musste er erst ein wenig auftauen.

„Und sie ist wirklich hübsch. Nicht nur von außen, sie hat diese innere Schönheit. Sie hat keinen Funken Bösartigkeit in sich. Und sie ist immer für ihre Freunde da. Auch wenn sie es manchmal übertreibt.“ Auf mein Gesicht schlich sich ein schiefes Grinsen.

„Bist du in sie verliebt?“

Ungläubig schaute ich ihn an, meinte er das ernst? Wie kam er denn auf den Scheiß?

„Nein! Nein! Ganz bestimmt nicht! Sie ist für mich wie eine Schwester. Nur Geschwisterliebe! Außerdem ist sie doch schon seit Ewigkeiten in Ben verliebt.“ Wie konnte er meine Aussagen nur so falsch verstehen? Ich hoffte, ich hatte ihm klar gemacht, dass er absolut daneben lag. Warum war mir das nur so wichtig?

„Ach so, hätte ja sein können.“

Danach herrschte Stille zwischen uns. Ich überlegte fieberhaft, wie ich unser Gespräch fortführen könnte, denn ich wollte nicht, dass es schon vorbei war. Immerhin schien er sich auch mit mir unterhalten zu wollen. Als die Stille unangenehm wurde, beschloss ich, mich auf gefährliches Terrain zu begeben.

„Warst du eigentlich schon mal verliebt?“ Mein Herzschlag nahm einen unsteten Rhythmus an.

Ich hatte gefragt und eigentlich wollte ich es auch wissen. Nur, dass ich die Antwort fürchtete.

„Ja, natürlich. Waren aber nur Strohfeuer, so richtig verliebt, das kann ich mir kaum vorstellen.

Und du?“ Ich ließ die Luft, die ich angehalten hatte, lautlos ausströmen.

Er war also schon mal verliebt gewesen und er schien sich nicht an dem Thema zu stören. Zum Glück hatte er nicht gefragt, warum ich das wissen wollte. Ich war irgendwie erleichtert, dass er gesagt hatte, dass er nie wirklich verliebt gewesen war, denn wie hätte ich mit so einer Erinnerung konkurrieren sollen? Doch wie sollte ich jetzt auf seine Gegenfrage antworten? Sollte ich ganz ehrlich sein, natürlich, ohne dass er mitbekam, dass er gemeint war?

„Ich...ich bin momentan verliebt. So richtig mit Herzklopfen und allem, was dazu gehört.“, sagte ich leise. Ich glaubte, einen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen, aber das bildete ich mir bestimmt bloß ein.

„Das ist schön. Erwidert sie deine Gefühle?“ Ich kaute auf meiner Unterlippe rum. Wir kannten uns kaum und da legte man nicht gleich sein ganzes Inneres offen. Egal wie sehr ich versucht war, mich ihm zu offenbaren, ich glaubte nicht, dass das eine gute Idee war.

„Also, es ist...hm...kompliziert.“, wich ich aus und er lenkte sofort ein.

„Oh, sorry, ich wollte nicht neugierig sein, das ist wohl Philipps schlechter Einfluss auf mich.“ Jetzt fühlte er sich wegen mir schuldig. Dabei hatte ich doch nur Panik, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, wenn ich ihm die Wahrheit sagte.

Weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, spielte ich mit meinem Handy herum, nur damit ich ihm nicht ins Gesicht sehen musste. Meine Mutter hatte noch zweimal versucht, mich zu erreichen und mein Gesicht verfinsterte sich wie eine Gewitterwolke.

„Boah, die nervt.“, schimpfte ich vor mich hin, nicht daran denkend, dass Konstantin mich hören konnte.

„Wer denn? Gibt’s Probleme?“ Er hatte sich auf dem Bett ausgestreckt und lag nun auf dem Bauch.

Jetzt musste ich mich doch unter der Decke verstecken, denn sonst wäre es peinlich geworden.

„Ach, nein. Ist nur meine Mutter. Sie will, dass ich zum Geburtstag meiner Schwester komme. Ich hab aber keine Lust. Außerdem wird sie mir nur wieder eine Predigt halten. Können wir das Thema lassen? Da werde ich nur wütend. Du hast ja schon mitbekommen, dass unser Verhältnis nicht gerade das Beste ist.“ Er nickte nur. Im Wohnzimmer schlug die alte Standuhr.

„Wir sollten langsam mal schlafen. Zum Glück ist morgen Sonntag und wir können ausschlafen.“

Ich würde zwar kein Auge zumachen, aber deshalb musste ich ihn ja nicht um seinen Schlaf bringen.

„Gute Nacht.“

„Gute Nacht.“ Und träume was Schönes. Ich wusste schon ganz genau, wovon ich träumen würde. Immerhin hatte ich ja jetzt neues Material. Angefangen mit seinem flachen Bauch. Das Licht ging aus und ich legte mich zurück auf den Rücken. Die Dunkelheit machte es noch schlimmer. Wie erwartet, wollte der Schlaf sich nicht einstellen. Stattdessen dachte ich darüber nach, ob ich ihm nicht doch mehr hätte verraten sollen. Aber ich wollte ja nicht mit einem Mann zusammen sein, egal, was mein blöder Körper und Verstand davon hielten.

Ihr fragt euch bestimmt, warum ich so vehement dagegen war. Ganz einfach. Verliebt sein, war mir viel zu anstrengend. Ich wollte mein Leben genießen. Bisher hatten mir meine Eltern immer Vorschriften gemacht, solange ich von ihnen abhängig gewesen war. Danach hatte ich meine Freiheit ausgekostet und das wollte ich so schnell nicht wieder aufgeben. Denn in einer Beziehung müsste ich mich wieder anpassen und das wollte mir so gar nicht gefallen.

Dass es ausgerechnet ein Mann war, in den ich mich verlieben musste, machte das Ganze auch nicht besser. Wenn man sich so in der Gesellschaft umschaute, dann hatten es gleichgeschlechtliche Pärchen immer noch schwer. Klar, ein bisschen toleranter war die Welt schon geworden, aber ich wollte die neugierigen Blicke nicht auf mir haben, die unweigerlich kommen würden.

Mal ganz davon abgesehen, dass meine Eltern ausrasten würden, aber die waren mir egal. Das wäre für sie der endgültige Grund mit mir zu brechen und ich wäre wahrscheinlich nicht mal besonders traurig darüber. Ich hatte es aufgegeben, ihre Aufmerksamkeit und Liebe zu gewinnen. Denn dafür hätte ich meine Persönlichkeit umkrempeln müssen und das war es mir nicht wert.

Ich drehte mich von einer Seite auf die nächste. Lieber an was Schönes denken. So wie diese langen Beine in den Shorts. Das war auf jeden Fall besser. Hielt mich zwar auch vom Schlafen ab, aber auch vom Grübeln.

Konstantins Atem war immer ruhiger und gleichmäßiger geworden. Zögerlich richtete ich mich im Bett auf. Wenn ich das jetzt machte, dann war ich wirklich rettungslos in ihn verschossen. Aber ich konnte nicht widerstehen. Durch das Fenster fiel ein wenig Mondlicht, sodass ich keine Lampe einschalten musste, aber der Schalter war sowieso außerhalb meiner Reichweite. Ich setzte mich vollständig auf und schaute Konstantin beim Schlafen zu. Sein Gesicht hatte ein wenig von der Strenge verloren und sah jünger aus. Sonst hatte man immer das Gefühl, dass er viel zu erwachsen für sein Alter und kein Funken Kind übrig geblieben war. Ich streckte meine Hand aus, zog sie aber sofort wieder zurück. Er würde ganz bestimmt aufwachen und wie sollte ich das dann erklären? Was fand ich bloß an ihm? Okay, sein Aussehen machte mich an, soviel stand fest. Immerzu  gingen meine Hände auf Wanderschaft und ich war froh, dass er keine Gedanken lesen konnte, denn die waren eindeutig nicht jugendfrei. 

Aber das war ja nicht das Einzige. Wenn man ihn ein bisschen besser kennenlernte, stellte sich schnell heraus, dass er seine Familie liebte und insgesamt ein sehr sanftmütiger Mensch war. Er lächelte nicht besonders viel, aber wenn, dann hatte ich Herzklopfen und Schweißausbrüche. Außerdem eine ziemlich fiese Ungezieferplage. Der Sturm in mir, war mit jedem Tag, den ich ihn kannte, stärker geworden und hatte sich in einen Orkan verwandelt. Nur, dass ich überhaupt nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte.

Konnten diese elenden Gefühle nicht einfach wieder verschwinden? Warum musste es ausgerechnet mich erwischen? Und warum musste es Konstantin sein? Jeder andere Mann hatte mich bisher kalt gelassen. Nun ja, den einen oder anderen hatte ich schon bemerkt, aber nie hatte einer, diese alles verzehrende Wirkung auf mich gehabt.

Wieder rollte ich mich auf die andere Seite und hing weiter meinen Gedanken nach. Es war bereits weit nach drei Uhr und die anderen schliefen bestimmt tief und fest. Ich fand einfach keine Ruhe, weil sich meine Gedanken die ganze Zeit nur im Kreis drehten. Sollte ich mich darauf einlassen? Nein, lieber nicht. Das konnte nicht gut gehen.

Aber was, wenn doch?, flüsterte mein Herz. Was, wenn er deine Gefühle erwidern würde? Willst du nicht glücklich werden? Ich schüttelte den Kopf, obwohl ich niemandem, außer mir selbst antwortete.

Das ging nicht! Was wenn er meine Gefühle nicht erwiderte? Es wäre unerträglich mit ihm zusammenzuleben. So waren wir wenigstens Freunde. Wieder setzte ich mich auf und starrte nun finster in sein schönes Gesicht. Konnte er denn nicht einen Makel haben? Jeder Mensch hatte doch einen. Es war jedoch zu dunkel, um genauere Merkmale zu erkennen. Ich rutschte noch ein Stück näher und betrachtete ihn intensiv.

Nichts, keine Spur von einer Narbe oder einer anderen Unebenheit. Das Leben war doch wirklich grausam. Ich war bis zu einem Zentimeter an ihn herangerückt und konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren. Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn ich ihn jetzt küssen würde? Ob seine Lippen so weich waren, wie sie aussahen, oder eher fest? Die Wimpern waren für einen Mann ziemlich lang und lagen auf seiner Haut. So dunkel und schön. Mir war wirklich nicht mehr zu helfen. Einen Mann schön zu finden.

Ich hoffte die ganze Zeit, dass er die Augen nicht aufschlug und feststellte, dass ich ihn anstarrte. Aber ein winzig kleiner Teil von mir hoffte, dass er es doch tat und meinem Verlangen nachgab. Es wäre sicherlich der Himmel auf Erden, ihn zu berühren und ihm nahe zu sein.

Doch ich hatte immerhin noch einen Funken Verstand übrig. Nie im Leben würde er sich zu mir hingezogen fühlen. Was sollte er auch an mir finden? Ich war immerhin nicht blind und wusste, dass ich nicht der Knaller war, in den man sich Hals über Kopf unsterblich verliebte. Meine Selbstzweifel beschäftigten mich noch eine ganze Weile, bis ich irgendwann doch erschöpft einschlief, weil mein Körper sein Recht forderte. Erholsamer Schlaf sah jedoch anders aus. In meinen Träumen kamen weiche Lippen vor und sanfte, leicht schwielige Hände, die mich berührten. Welche die Konturen meines Gesichts nachzogen, die Nase und Augenbrauen entlang und kurz auf meinem Mund verweilten. Die sich sacht auf meine Brust legten und frech unter mein Shirt schoben, sodass ich mich wand. Dort streichelten sie mich, bis ich fast verging. Ich wollte mehr! So viel mehr und doch würde es nur ein Traum bleiben. Als sich Lippen auf meine pressten, wollte ich, dass dieser Traum niemals endete und ich in Glückseligkeit weiterschlafen könnte. Doch zu meiner Enttäuschung zogen sie sich wieder zurück und ich streckte die Arme nach einem Phantom aus, dass ich niemals bekommen würde.

Am nächsten Morgen wachte ich orientierungslos und mit einem ernsten Problem in der Hose auf. Wo war ich? Ach ja, ich hatte bei Konstantin im Zimmer geschlafen. Konstantin! Suchend blickte ich mich in dem nun hellen Zimmer um, aber er war nicht da. Das Bett war schon gemacht und ich war erleichtert, dass er mich nicht in diesem peinlichen Zustand sah. Schlimm genug, dass ich heute Nacht so eine Aktion gestartet hatte. Da musste er nicht auch noch mitbekommen, dass ich mich nicht zusammenreißen konnte. Ich kam mir schon wie ein notgeiler alter Bock vor. Wenn er wüsste, wie scharf ich ihn fand, dann konnte ich mit meinem Leben abschließen. Hier draußen im Wald würde keiner meine Schreie hören.

Das Fenster war geöffnet und die kühle Morgenluft strich über meinen nackten Oberkörper. Häh?! Wo war mein Shirt? Ich fand es zerknittert unter meinem Kopfkissen und zweifelte nun endgültig an meinem Verstand. Ich musste es wohl in der Nacht ausgezogen haben. Auch wenn ich das zuvor noch nie gemacht hatte, egal wie konkret meine Träume gewesen waren. Ich huschte schnell ins Bad, um mich meines Problems zu entledigen und mich frisch zu machen. Noch immer leicht zerzaust, ich konnte kämmen, was ich wollte, die Haare standen trotzdem ab, ging ich hinunter in die Küche. Dort wartete eine warme Kanne Kaffee auf mich und ich machte mich mit der dampfenden Tasse in der Hand, auf die Suche nach den anderen. Ein Blick auf die Uhr im Wohnzimmer zeigte mir, dass es gerade einmal acht Uhr war. Ich hatte also circa vier Stunden geschlafen. Na toll, diesen Rhythmus würde ich wohl nicht mehr loswerden. Ich fühlte mich, trotz des wenigen Schlafes, einigermaßen ausgeruht. Auf der Terrasse fand ich allerdings nur Konstantin. War ja klar, dass er Frühaufsteher war. Ich hatte irgendwie nichts anderes erwartet. Nun war ich es ja auch, unfreiwillig.

„Guten Morgen. Danke für den Kaffee.“, grüßte ich und setzte mich auf den anderen Stuhl am Gartentisch.

„Morgen. Kein Problem.“, grummelte er. Seine Stimme klang verschlafen und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er ein Morgenmuffel war. Sollte ich trotzdem ein bisschen Smalltalk machen?

„Hast du gut geschlafen?“

„Mh.“ Okay, also kein Gespräch. Sollte er in Ruhe wach werden, ich würde die Sonne genießen und mich an meinem Kaffee erfreuen. Dom und die anderen schienen noch zu schlafen. Aber...

„Sind Sammy und Ben schon weg?“

„Ja, sind sie. Um Acht macht der Arzt auf und sie müssten in circa einer Stunde wiederkommen.“, sagte er und gähnte. Er musste wirklich noch müde sein. Ich traute mich kaum, ihm noch eine Frage zu stellen.

„Haben sie sich wieder vertragen?“

„Sah so aus. Zumindest sieht er sie nicht mehr an, als ob er ihr das Fell über die Ohren ziehen will.“

„Oh, gut.“ Erleichterung machte sich in mir breit. Vielleicht hatte unser kleines Komplott funktioniert?

Ich döste ein, nachdem ich meine Tasse ausgetrunken hatte und wurde erst wieder von fröhlichen Stimmen geweckt.

„Aufwachen, Jona! Wir haben Frühstück mitgebracht.“  Oh man, meine Augen mussten entzündet sein oder hielten die beiden wirklich Händchen? Das ging aber zügig. Die leichte Eifersucht, die in mir aufkam, unterdrückte ich schnell wieder. Das war doch das, was ich gewollt hatte. Alle waren glücklich. Außer mir. Was für ein deprimierender Gedanke. Ich spürte, wie sich ein schweres Gewicht auf mich setzte und war nun endgültig wach.

„Geh runter! Hol dir gefälligst deinen eigenen Stuhl.“ Doch Dom streckte mir nur die Zunge raus und grinste mich frech an.

„Aber es ist sooo bequem.“, flötete er in einer unmännlichen Frequenz, bei der sich mein Trommelfell schleunigst in Sicherheit brachte.

„Was soll denn Philipp dazu sagen, wenn du so an mir klebst?“, versuchte ich es auf eine andere Tour. Doch da hatte ich die Rechnung ohne Philipp gemacht.

„Ach, ihr seht doch so süß aus. Ich würde mich ja auch dazusetzen, aber ich hab Angst, dass der Stuhl dann zusammenbricht. Obwohl, was soll's.“ Er zuckte die Achseln und stürzte sich auch auf mich.

„Gruppenkuscheln!“

„Hört ihr wohl auf! Ihr zerquetscht mich.“ Ich röchelte und warf einen hilfesuchenden Blick zu Konstantin, doch der schien sich köstlich zu amüsieren. Na warte! Auf mein Gesicht schlich sich ein fieses Grinsen.

„Was ist mit Konstantin? Er will bestimmt auch geknuddelt werden. Ihr habt doch bestimmt noch Liebe für ihn übrig, nicht, dass er eifersüchtig wird.“

„Wenn jemand eine gebrochene Rippe haben möchte, kommt nur her.“ Dazu ein diabolisches Lächeln, das jedem auch Dom klarmachte, dass er es ernst meinte. Verdammt, körperliche Ãœberlegenheit wurde eindeutig unterschätzt. Stattdessen durfte ich mich nun mit den zwei Kuscheltieren rumplagen.

„Wie soll ich so atmen? Nehmt euch einen Stuhl! Bitte, habt doch Mitleid mit meinem armen Körper und dem armen Stuhl.“ Dieser ächzte gefährlich unter uns und ich wollte nicht schon wieder auf dem Boden vor ihm liegen. Einmal war mehr als genug.

„Wie wäre es, wenn du deinen Platz räumst und dich zu Konstantin setzt?“, schlug Dom scheinheilig vor. Das würde ein Nachspiel haben. So eine dämliche Idee konnte ja nur von ihm kommen.

„Nein, danke. Ich stehe nicht auf Schmerzen und meine Rippen sind mir lieb und teuer. Und jetzt runter mit euch!“ Damit schubste ich die beiden nicht eben sanft und sie landeten im Gras. Beide kugelten sich vor Lachen und ich fragte mich, ob ihnen denn nichts peinlich war.  

Natürlich nicht.

„Bleiben wir hier sitzen?“, fragte Philipp.

„Klar, ist doch gemütlich und das Gras ganz weich.“ Die beiden hatten definitiv ein Rad ab. Ein ganz großes. Der Rest des Frühstücks verging mit Albereien und die zwei Nervensägen hatten sichtlich Spaß dabei, dem anderen jeweils das Essen vor der Nase wegzuschnappen. Ich kaute hingegen lustlos an meinem Brötchen und schielte nur ab und an zu Konstantin, der sich eine Zeitung geholt hatte und uns ignorierte. Dafür, dass er gestern Abend so viel geredet hatte, war er heute wieder so ruhig wie am Anfang. Ab und zu hatte ich das Gefühl, dass er mir wütende Blicke zuwarf und allgemein sauer auf mich war. Hatte er was mitbekommen? Hatte Dom sich verplappert?

Ach, bestimmt war er einfach nur ein Griesgram am Morgen und es hatte nichts mit mir zu tun.

Eine Stunde später kamen auch eine humpelnde Sam und ein schweigsamer Ben zurück. Das sah mir aber noch nicht nach Alles-in-Ordnung aus. Ich warf Sammy einen fragenden Blick zu, aber sie schüttelte nur traurig den Kopf. Also hatte es nicht funktioniert.

„Hey, wie geht’s dem Fuß? Hast du einen Gips, den wir bemalen können?“ Philipp schaffte es doch immer die Stimmung wieder aufzulockern, denn Sammy lächelte leicht, aber verneinte.

„Nee, nur einen Verband. So, wie Konstantin gesagt hat, ist der Fuß nur verstaucht. Ich hab wohl verdammtes Glück gehabt. Hätte auch schlimmer ausgehen können.“

„Dann färben wir den Verband ein!“ Welche Hirnwindungen waren bei den beiden nur durchgebrannt?

„Das lasst ihr schön bleiben. Am Ende färbt euer toller Verband dann noch ab und ich sehe aus wie ein Regenbogen!“ Zwei Gesichter sahen sie mit deutlicher Enttäuschung an. Wie die kleinen Kinder. Die waren bestimmt auch mit Eis bestechlich.

„Wer hat Lust auf ein Eis, nachdem ja jetzt alles gut gegangen ist?“, ich konnte nicht widerstehen.

„Ich!“, quietschte es von unten.

„Ich! Ich! Ich!“, von daneben.

„Ich.“, brummend von dem anderen Stuhl. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.

„Also wollen alle ein Eis?“ Zustimmendes Nicken.

„Okay, dann geh ich welches holen. Hilft mir jemand beim Tragen?“

Konstantin erhob sich wortlos und wir gingen in die Küche.

„Sind die beiden nun zusammen?“, fragte ich ihn, nur um die Stille zu überbrücken.

„Scheint so.“ Da war ja wieder einer gesprächig. Ich ließ die Schultern hängen und schlurfte hinter ihm her.

„Aber Ben und Sammy scheinen immer noch nicht weiter zu sein.“

„Er schaut sie anders an.“ Ach ja? War mir nicht aufgefallen. Sam schien zumindest noch sehr geknickt zu sein. Aber vielleicht hatte das auch einen anderen Grund.

Wir gingen zu unseren Freunden zurück und die machten sich sofort über das Eis her.

Der Sonntag plätscherte noch so vor sich hin. Ben und Sam schwiegen sich weiter an. Ich konnte keine Veränderung erkennen und war enttäuscht, dass unser Kuppelplan fehlgeschlagen war. Ich würde Sammy in der Woche nochmal anrufen und nachhaken, was da schief gelaufen war.

Dafür klebten Domenik und Philipp aneinander und ich war teilweise schon ein bisschen peinlich berührt. Nehmt euch ein Zimmer!

Konstantin redete mit niemandem viel und ich würde noch herausbekommen, warum er mich zwischenzeitlich immer wieder böse anstarrte. Ich hatte es mir nämlich doch nicht eingebildet. Aber ich wollte uns den ruhigen Tag nicht versauen und hielt deswegen den Mund, obwohl es in mir brodelte. Was hatte ich ihm nur getan?

Kapitel 7

Kapitel 7

 

Die Hälfte der Woche war vorbei und es war immer noch ein unwirkliches Gefühl, jetzt in dem Haus zu wohnen. Diese Villa, die zuerst einschüchternd auf den Betrachter wirkte und doch so majestätisch war. Ich hatte Bedenken, dass sie vielleicht so groß war, dass man sich nie über den Weg lief. Aber die Brüder waren ausgesprochen gesellig. Philipp belebte jede noch so trübe Stimmung und Konstantin holte ihn wieder runter, wenn er es übertrieb. Damit glichen sie sich gut aus und ich hatte immer den Eindruck von einem Plus- und Minuspol. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel, auch wenn es ab und zu Zankereien gab, wie sie zwischen Geschwistern üblich sind.

Leider waren meine Schlafphasen immer noch nicht länger geworden. Nur, dass ich jetzt grübelte, warum Konstantin immer noch sauer auf mich war. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Immer wenn ich gerade nicht hinsah, schaute er mich böse an. Nicht feindselig, nur als ob er nicht mit mir zufrieden war. Hatte er sich seinen Mitbewohner anders vorgestellt? War ich ihm nicht gesprächig genug? Das konnte ich mir nicht vorstellen, immerhin redete er selbst nicht viel. Hatte er ein Problem damit, dass ich mich mit seinem Bruder so gut verstand? Aber das war doch gut.

Das Zusammenleben war ansonsten sehr angenehm mit den beiden.

Wir hatten innerhalb der kurzen Zeit schon kleine Rituale entwickelt, damit alle rechtzeitig fertig wurden. Ich versuchte, mich an alle Regeln zu halten, die es beim Zusammenleben mit anderen Menschen gab und war selbst erstaunt, wie leicht mir das fiel. Da Konstantin immer als Erster wach und fertig war, sorgte er dafür, dass wir nicht mit knurrendem Magen in die Uni und Schule mussten. Ein wenig kam ich mir verwöhnt vor, wenn ich mich nicht mehr selbst um mein Frühstück kümmern musste. Und an den bereit stehenden Kaffee konnte man sich auch schnell gewöhnen. Hört sich perfekt an, oder? Aber diese unterdrückte Stimmung, die zwischen Konstantin und mir herrschte, machte mich langsam aber sicher verrückt. Ich hatte ihm doch nichts getan! Und wenn doch, dann sollte er mit der Sprache rausrücken und mich nicht immer so komisch anstarren. Ich kam mir schon wie eine Laborratte vor, die auf dem Seziertisch lag.

Mittwochnachmittag, nachdem ich mir gerade ein Brot geschmiert hatte, klingelte mein Handy. Ich angelte mit der freien Hand danach, nur um unwillig aufzustöhnen. Schon wieder meine Mutter. Jetzt sollte ich aber wirklich dran gehen, auch wenn ich keinen Bock auf dieses Gespräch hatte. „Hallo.“

„Ach, bekommt man dich auch mal ans Telefon?! Du scheinst es ja nicht mehr für nötig zuhalten, mich zurückzurufen!“ Und schon ging das Gemecker los.

„Willst du was Bestimmtes oder willst du mich nur wieder anfahren?“, fragte ich ruhig.

„Werd nicht pampig. Ich kann schließlich nichts dafür, wenn du seit Tagen nicht mit mir reden willst! Ich wollte dir auch nur sagen, dass du nicht vergessen sollst, dass Sandrine in zwei Wochen Geburtstag hat und du am Samstag pünktlich! um 15 Uhr da sein sollst.“ Ihre Stimme war immer noch einen Tick zu hoch und zu schnell, sie hatte sich also noch nicht beruhigt.

„Ich hatte keine Zeit.“

„Musstest du etwa für dieses Studium - was war es noch gleich? - auch noch lernen? Kann ja nicht so schwer sein. BWL wäre wirklich anspruchsvoll gewesen, aber du musstest unbedingt deinen eigenen Kopf durchsetzen.“ Ging die Leier wieder los.

„Gelernt habe ich auch, unglaublich, aber wahr. Für Vorderasiatische Archäologie muss man das nämlich, wenn man nicht völlig durch die Prüfung rauschen möchte. Eigentlich war ich mehr mit dem Umzug beschäftigt. Die Wohnung war mir zu teuer und ich wohne jetzt in einer WG.“ Irgendwann musste ich mit der Sprache rausrücken, auch wenn mir die Reaktion ganz sicher nicht gefallen würde.

„Du bist umgezogen, ohne uns was davon zu erzählen?! In eine WG?! Na super, da wirst du dann endgültig verkommen. In Studenten-WGs wird doch nur gesoffen und gekifft.“ Die Missbilligung in ihrer Stimme und dass sie mir ein solches Verhalten wirklich zutraute, gab mir einen Stich.

„Du wirst dich nicht von diesen Asozialen auf ihr Niveau ziehen lassen! Schlimm genug, dass du nie auf uns hörst, aber so eine eigenmächtige Entscheidung zu treffen, ohne uns zu fragen!“ Jetzt reichte es aber wirklich.

„Ich bin euch überhaupt keine Rechenschaft schuldig! Ihr habt mich doch rausgeworfen und euch danach einen Dreck um mich geschert!“, meine Stimme war hart geworden und ich merkte wie eine Ader an meiner Schläfe pochte. Das Brot hatte ich wieder auf das Brett gepackt, mir war der Appetit vergangen.

„Wie redest du eigentlich mit mir?! Ich bin immer noch deine Mutter!“, nun war sie wirklich eine Oktave höher angelangt und ich musste ein hysterisches Lachen unterdrücken, was mir aber nicht ganz gelang.

„Ja, tolle Eltern seid ihr gewesen! Da hätte ich mich genauso gut gleich selbst großziehen können. Immer, wenn ich euch gebraucht habe, dann ward ihr nicht da! Nie habt ihr zugehört, wenn ich Probleme hatte! Und meinst du wirklich, dass es hilfreich war, einem Kind jeden kleinen Fehler wieder und wieder vorzuhalten? Egal, wie sehr ich mich auch anstrengte, nie habt ihr mich beachtet, nie war ich gut genug. Alles drehte sich nur um Sandrine! So lange, bis ich aufgegeben habe, bis mir egal war, was ihr von mir denkt. Und was habt ihr getan? Nichts. Es war euch gleichgültig.“

„Das stimmt doch alles gar nicht!“, versuchte sie sich zu verteidigen, aber ich war gerade warm gelaufen.

„Und ob es stimmt! Susanne habt ihr als Babysitter missbraucht, sie war mir mehr Mutter, als du es jemals warst! Aber als sie immer selbstständiger wurde, habt ihr sie auch ignoriert. Hauptsache, sie brachte gute Noten mit nach Hause, was Anderes hat euch nie interessiert.“ Je mehr ich redete, desto mehr brach sich der ganze in mir aufgestaute Ärger Bahn. Sie holte Luft, um etwas zu sagen, aber ich ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Sandrine kann man prima rumkommandieren. Sie tut alles, was ihr sagt. Aber nicht, weil ihr eure Meinung wichtig wäre. Nein. Sie macht das nur, weil sie weiß, dass ihr euch sonst abwenden würdet. Alles nur zum eigenen Vorteil. Sie spielt euch was vor! Genauso wie ihr euch selbst etwas vormacht! Das ist keine Familie, das ist ein Zirkus voller Clowns! Glückwunsch, ihr seid die Hauptdarsteller, aber ich kann nicht über euch lachen. Ich bin nur froh, dass ich das alles nicht mehr mitmachen muss.“ Es tat gut, das mal gesagt zu haben, aber die Retourkutsche kam sofort. Zuerst war da nur fassungslose Stille, aber sie holte nur tief Luft, um mich dann anzuschreien.

„Du bist so unglaublich undankbar! Wie habe ich nur so etwas Missratenes großziehen können? Wir haben euch doch immer alles gegeben! Dein Vater arbeitet mehr als er sollte und ich weiß auch nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Wann habt ihr denn jemals gelitten?!“ Mir platzte gleich das Trommelfell.

„Glaubst du wirklich, dass Geld die Lösung aller Probleme wäre? Wenn ihr mal da gewesen seid, dann gab es immer Ärger wegen Kleinigkeiten. Welches Kind macht sich denn nicht mal dreckig? Welches Kind versucht nicht alles, um die Aufmerksamkeit der Eltern zu bekommen? Als ich mit dem Fahrrad gestürzt bin, hat euch nicht interessiert, dass ich mir den Arm gebrochen hatte, sondern, dass in der teuren Hose ein Loch war! Wenn ich in der Schule eine schlechte Zensur hatte, dann war das gleich ein Weltuntergang.!“ Ich tigerte nun in der Küche auf und ab. Unbewusst gestikulierte ich wild mit den Armen und fegte dabei eine Tasse vom Tisch, die glücklicherweise heil blieb.

„Wir haben euch auf die besten Schulen geschickt! Aber besonders du! hattest immer nur Blödsinn im Kopf! Wie kannst du nur auf deiner kleinen Schwester so herumhacken? Alles musste sie sich selbst beibringen, weil du ihr als großer Bruder ja kein gutes Vorbild warst! Und deine Schwester ist Hausfrau, was soll sie da schon lernen können?“ Stumm schüttelte ich den Kopf. Es war unglaublich, wie sie sich alles so zurechtlegte, wie es ihr passte. Meine Schwester hatte gemäß dem Wunsch meiner Eltern ein Architekturstudium abgeschlossen. Allerdings hatte sie immer Kindergärtnerin werden wollen und sich danach gegen einen öden Job im Architekturbüro entschieden und eine Umschulung zur Erzieherin gemacht. Ihr könnt euch vorstellen, was da bei mir zuhause los gewesen war. Aber in diesem Punkt war Susanne standhaft geblieben. Sie hatte eine Stelle in einem tollen Kindergarten gefunden und wollte nach dem Elternjahr auch wieder in dem Job einsteigen.

Die Oberflächlichkeit meiner Eltern widerte mich an.  Irgendwann würde ihre schöne Traumwelt, wie eine Seifenblase zerplatzen.

„Du denkst doch immer nur an dich selbst! Weißt du überhaupt, was du wirklich willst? Wenn du wirklich Träume hättest, dann würdest du dich viel mehr dafür ins Zeug legen und nicht so ein nutzloses Studium anfangen!“

Erstarrt hielt ich den Hörer in der Hand. Ich wusste ja, dass sie keine gute Meinung von mir hatte, aber dass sie so schlecht war, war wirklich verletzend. Es war ihr anscheinend völlig egal, wie sehr sie mir mit ihren Aussagen wehtat, auch wenn ich vorher nicht viel netter gewesen war. Aber ich hatte immer versucht, es ihnen Recht zu machen, bis ich erkannt hatte, dass ich es nicht konnte, egal, was ich tat. Bei so festgefahrenen Fronten brauchten wir auch nicht weiter zu reden.

Am liebsten hätte ich ihr entgegen geschleudert, dass ich sehr wohl Träume hatte. Ich wünschte mir sehnlichst eine intakte Familie. Nicht herrschsüchtige, meistens abwesende, intolerante Menschen, die mich nie so akzeptieren würden, wie ich war. Mein Studium machte mir großen Spaß, ich war gut darin und lernte viel. Den Rest würde es ihnen geben, wenn ich ihnen sagen würde, dass ich schwul war und unsterblich in einen Mann verliebt.

Aber stattdessen herrschte Stille. Damit sie mir nicht wieder das Herz aus der Brust reißen konnte, sagte ich eiskalt:

„Damit eines klar ist. Ich komme nicht wegen euch. Und auch nicht wegen Sandrine. Nur Susanne und Oma haben je Anteil daran genommen, wie es mir geht und ihnen zuliebe werde ich am Samstag erscheinen. Ihr könnt mir echt gestohlen bleiben.“ Sie fing wieder an zu zetern, aber ich hörte nicht mehr zu und legte auf. Daraufhin schaltete ich das Handy ab.

Der Drang auf etwas einzuschlagen war fast übermächtig. Leider war da kein Sandsack, den ich verdreschen konnte und auf die Möbel wollte ich meine Wut nicht abwälzen. Die wären dann nur noch Kleinholz. Ich ging auf mein Zimmer und zog mich hastig um. Sportklamotten. Beim Rennen würde ich hoffentlich den Kopf freibekommen. Auf dem Weg nach draußen traf ich auf Philipp, der sich entschloss mitzukommen. Ich war zwar nicht begeistert, aber sagte nichts. Außerdem kannte ich mich in der Gegend noch nicht aus und wollte mich nicht im Wald verlaufen.

Draußen liefen wir eine Weile schweigend nebeneinander. Philipp hörte Musik über seinen MP3-Player, aber ich hatte meinen diesmal absichtlich nicht mitgenommen. Mit jedem Schritt wurde meine Wut wieder größer und ich rannte unbewusst immer schneller.

„Jona! Nicht so schnell, ich komme nicht hinterher. Wenn du weiter so rast, dann macht dein Kreislauf das nicht lange mit!“, rief mir Philipp hinterher und zog seine Stöpsel aus den Ohren.

Meine Wut war immer noch nicht verraucht. Der Streit mit meiner Mutter hatte mir gezeigt, dass es völlig unsinnig war, von ihnen jemals Verständnis und Stolz zu erwarten.

„Jona, warte!“, keuchte Philipp und ich wurde nun doch langsamer. Nur, dass das meinen Zorn nicht befriedigen konnte. Der Baum neben mir sah schön hart aus, aber ich würde nicht so tief sinken, auf ein Stück Holz zu prügeln. Am Ende verletzte ich mich nur selbst. Deshalb wartete ich, bis er mich eingeholt hatte und stand stocksteif da.

„Was ist denn los? Bist du sauer auf jemanden?“ Ich nickte.

„Weißt du, was da wirklich hilft? Wir laufen jetzt um die Wette, da kannst du dich auspowern und wirst wieder ruhiger.“ Hoffentlich hatte er Recht. Dieser Druck auf der Brust und die zugeschnürte Kehle machten mir das Atmen schwer. Auf keinen Fall wollte ich vor seinen Augen zusammenbrechen. Ich wollte nur diesen Schmerz in mir loswerden.

„Also los! Du holst mich nie ein!“ und somit flitzte er auch schon los. Natürlich hatte er den Vorteil, dass er das Terrain kannte, aber nun war mein Ehrgeiz angestachelt. Also setzte ich ihm hinterher und merkte, wie gut es mir tat, den Wind um die Nase zu spüren und meinen Körper an seine Grenzen zu treiben. Der Reiz etwas zu zertrümmern nahm auch ab.

Wir rannten solange, bis wir beide keine Puste mehr hatten. Völlig alle, ließen wir uns auf das weiche Gras einer Lichtung fallen und schnappten verzweifelt nach Luft.

„Besser?“, fragte Philipp, als wir wieder eine normale Atmung hatten. Ich nickte schon wieder, obwohl er das nicht sehen konnte, da er in den blauen Himmel blickte. Aber anscheinend verstand er mich auch ohne Worte. Ich konnte nichts an der Situation ändern. Das war das, was es mir so schwer machte, damit umzugehen. Soviel war mir bei unserem Wettrennen klar geworden. Egal wie sehr ich mich auch anstrengen würde, es würde nie ausreichen. Ob die Resignation, die sich in mir breit machte nun besser war als der glühende Zorn, sei dahingestellt.

„Du willst nicht darüber reden, oder?“ Er hatte sich auf die Seite gedreht und seine grauen Augen schauten mich intensiv an. Mein Kopf ruckte kurz von links nach rechts. Ich musste mir erst einmal selbst darüber klar werden, wie ich in Zukunft mit dieser Situation zurechtkommen wollte.

„Falls doch, ich hör zu.“ Er meinte das wirklich ernst. Noch nie hatte er mich so angesehen und ich war jetzt doch ein bisschen peinlich berührt, dass er meinen Ausraster so hautnah miterlebt hatte.

„Du weißt, dass es nichts bringt, es in dich hineinzufressen. Du kannst jederzeit mit mir reden. Ich glaube, das weißt du auch.“

Schulterzucken. Ja, ich wusste es, aber momentan wollte ich noch nicht darüber reden.

Meine Mutter hatte oft diese Wirkung auf mich. Aber noch nie war es so schlimm gewesen, wie heute. Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn ich diese Scheiß-egal-Haltung gehabt hätte, wie so viele andere. Aber ich konnte nicht raus aus meiner Haut.

„Komm, wir gehen zum See schwimmen! Das bringt dich auf andere Gedanken und hält dich vom Grübeln ab. Und heute Abend zocken wir eine Runde.“ Sein breites Lächeln war wirklich ansteckend und meine Laune hob sich wieder ein bisschen. Der Weg zurück verlief diesmal nicht schweigend, sondern Philipp erzählte mir von seinen Zukunftsplänen. Das Geplapper lenkte mich wirklich ab und wir kamen recht schnell wieder am Haus an.

Ich machte mir so meine eigenen Gedanken. Nur, weil es mit meiner Familie scheiße lief, musste ich meine neuen Freunde ja nicht gleich vergraulen. Ob Konstantin auch mitkommen wollte? Das fragte ich Philipp auch sofort und er war von der Idee begeistert.

Als wir wieder zuhause waren, gingen wir noch schnell duschen. So verschwitzt wollte ich dann doch nicht weg. Konstantin kam gerne mit und wir hatten gerade alle unsere Sachen zusammengepackt, als Philipp sich doch verabschiedet und uns eröffnet hatte, dass er nun mit Domenik Eis essen ging.

Also war ich mit Konstantin allein. Doch momentan war ich zu niedergeschlagen, um mir darüber Sorgen zu machen.Die beiden tuschelten kurz und ich versuchte, das Gefühl zu verdrängen, mich ausgeschlossen zu fühlen.

„Wir können zu Fuß gehen. Es ist nicht weit.“ Ungewollt rieselte mir ein Schauer über den Rücken. Zumindest das hatte sich nicht geändert.

„Okay.“ Mit einer Decke bepackt und Handtüchern gingen wir wieder durch den Wald. Die hohen Fichten ließen ihn düster erscheinen, passend zu meiner Stimmung. Das Gute war, dass Konstantin zu merken schien, dass ich nicht zum Plaudern aufgelegt war und ich genoss die Ruhe.

Nach einem ordentlichen Fußmarsch., von wegen „nicht weit“, erreichten wir den See. Nun ja es war eher ein Weiler und dieser war von schön grünen Laubbäumen umgeben. Es hatte etwas Idyllisches und ich fühlte mich zwar von der Außenwelt abgeschnitten, aber wohl. Das war genau der Ort, den ich jetzt brauchte.

Wir breiteten die Decke aus, die gerade groß genug für uns beide war. Diese erzwungene Nähe machte mich wieder nervös und so langsam wurde ich mir der Situation bewusst, in der ich mich befand. Ich war mit Konstantin am See. Alleine. Nur in Badehose. Ich musste hart schlucken.

Die Hose zog ich noch normal aus, ich hatte ja meine Shorts darunter, aber beim T-Shirt zögerte ich. Deshalb behielt ich es an.

Konstantin saß mir gegenüber und sah mich schon wieder so komisch an. Verlegen schaute ich weg. Warum tat er das? Warum war er immer noch wütend auf mich? Diese stechenden Blicke gingen mir langsam wirklich auf die Nerven. Was hatte ich ihm denn getan? Diese Ungewissheit machte es nur schlimmer. Mir ging es schon schlecht und er sah mich so eigenartig an!

„Was ist?!“, fauchte ich ihn schließlich an. Wenn er es mir nicht von sich aus sagen wollte, dann musste ich eben nachfragen.

„Nichts.“ Ãœberrascht.

„Raus mit der Sprache, was habe ich dir getan? Du guckst mich die ganze Zeit so seltsam an.“ Er machte wieder das, was mich halb zur Weißglut trieb und mir halb den Atem nahm. Diese Augenbraue, die er hochzog, war einerseits total nervig und andererseits machte es mich an.

„Nichts.“ Sah aber nicht danach aus.

„Dann hör auf mich böse anzustarren, wenn nichts ist und ich nichts getan habe.“, zischte ich ihn an.

„Wollen wir schwimmen gehen?“ Der Themenwechsel kam abrupt und überrumpelte mich.

Ich wusste, dass irgendwas los war, aber er wollte es mir nicht sagen. Ich würde die Sache nicht auf sich beruhen lassen, aber für heute hatte ich genug von Streit. Ich war nicht nachtragend, aber ich wollte den Grund wissen. Ob er gemerkt hatte, dass ich auf ihn stand? Das würde sein komisches Benehmen in letzter Zeit erklären. Wer wollte schon von einem Mann auf diese Art gemocht werden und dann noch von mir? Ich musste es besser verstecken, auch wenn das einem Kampf gegen Windmühlen gleichkam.

Ich traute mich wieder ihn anzusehen, in der Hoffnung, dass er mich nicht böse ansah. Aber das, was ich stattdessen sah, war viel schlimmer, besser, nein schlimmer! Denn er zog sich sein Shirt über den Kopf und mein Mund wurde trocken. Der kühle Wind, der über meine Haut strich, war natürlich für meine Gänsehaut verantwortlich, nicht seine Haut, die im Sonnenlicht aussah wie Samt.

Mein Blick war wie festgeklebt und ich unfähig, ihn abzuwenden. Ich bildete mir ein, auf Konstantins Gesicht ein zufriedenes Grinsen gesehen zu haben, aber das musste Einbildung gewesen sein, denn in dem Moment hatte er mir schon den Rücken zugewandt.

Noch war ich ruhig genug, um ihm gefahrlos folgen zu können.

„Willst du so schwimmen gehen?“ Belustigt hatte er sich wieder zu mir gedreht und ich schaute verwirrt an mir herab. Ach ja, das T-Shirt. Musste es eben sein. Nur Mädchen und kleine Kinder gingen mit baden.

Wie würde meine Mutter wohl reagieren, wenn sie wüsste, dass ich es erregend fand, dass ein Mann sich vor mir auszog? Warum sollte mich das kümmern? Immerhin konnte ich mein Leben so leben, wie ich wollte und nicht wie sie es mir mit beschränkter Sicht vorgab.

Entschlossen entledigte ich mich des Kleidungsstücks und merkte nicht, dass mich braune Augen genauso verschlangen, wie ich ihn zuvor. Ich knüllte es zusammen und warf das Shirt zu dem Stapel, der bereits auf der Decke lag. Zum Glück war meine Badehose weit genug, um jede mögliche Peinlichkeit zu verhindern.

Ich folgte ihm zum Ufer und schon der erste Schritt ließ mich zurück zucken. Eiskalt. Das war Eiswasser! Die Sonne schien noch nicht so lange und hatte keine Chance gehabt, dass Wasser aufzuwärmen. Aber es war, als ob mir jemand Nadeln in die Füße pieksen würde. Da konnte ich unmöglich reingehen!

Konstantin watete mit einer Selbstverständlichkeit hinein, als ob es sich hier um eine Badewanne handeln würde. Ich fühlte mich wie eine Memme und biss die Zähne zusammen.

Der Boden des Sees war leicht schlammig und ich musste tierisch aufpassen, dass ich nicht der Länge nach in diese eiskalte Hölle fiel. Wie konnte er das ertragen, ohne eine Miene zu verziehen? In meinem Kopf machten sich böse Gedanken breit. Ich schöpfte gerade mit den Händen Wasser, als mich eine Kaskade Eiswasser unter sich begrub.

Scheiße! War das kalt! Bibbernd sah ich mich nach dem Übeltäter um. Er hatte anscheinend geahnt, was ich vorgehabt hatte und eine Sekunde früher reagiert, als ich noch mit der Ausführung meines diabolischen Plans beschäftigt gewesen war. Lachend stürzte ich mich nun auf ihn und wollte mich für diese Aktion rächen. Doch gegen ihn hatte ich einfach keine Chance. Er behielt die Oberhand und ich triefte von oben bis unten. Wie ein begossener Pudel stand ich vor ihm und winselte um Gnade. Die er mir jedoch nicht gewährte. Ich wurde halb angehoben und in das Wasser geschleudert. Kaum hatte ich Luft geholt, war da wieder eine Hand, die mich entweder hinunterdrückte oder einen Schwall Wasser über mich rieseln ließ.

„Ich gebe auf! Bitte hab Mitleid mit mir! Nicht nochmal runter!“ Ich hatte bestimmt schon den halben See getrunken und konnte darauf gut verzichten.

Meine Haut kribbelte an allen Stellen, aber nicht nur von der Kälte. Meine Ameisenkolonie raste in meinem Inneren, angestachelt von so viel Körperkontakt.

Aus meinem Mund kam ein nicht zu überhörendes Zähneklappern.

„Du solltest vielleicht doch wieder raus. Ich glaube, deine Lippen sind blau angelaufen.“, besorgt sah er mich an.

„Geht schon.“ Ich bin ein Mann. Ich bin ein Mann! Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich ein neuer Schwall Eiswasser treffen würde und trat nun endgültig den Rückzug an. Zum Teufel mit meinem Stolz!

„Ich geh ja schon!“

„Gut. Sonst stirbst du hier vor meinen Augen den Erfrierungstod und das kann ich nicht verantworten.“ Daraufhin scheuchte er mich aus dem Tümpel und ich setzte mich frierend auf die Decke, mein Handtuch fest um mich geschlungen. Nach ein paar Minuten in der Sonne fühlte ich mich nicht mehr wie ein lebendiger Eisklotz und streckte mich auf der Decke aus. Das warme Sonnenlicht sorgte dafür, dass mein Körper wieder Normaltemperatur hatte und ich genoss die Stille.

„Wie läuft's in der Uni?“ Blinzelnd schaute ich in die Sonne und dann in sein Gesicht.

„Gut. Hab mich eingelebt und die Dozenten sind auch nett.“ Ich hatte eigentlich keine Lust auf Smalltalk, aber ein bisschen plätscherte die Unterhaltung vor sich hin, bis sie gänzlich erstarb. Wir genossen das schöne Wetter und hingen unseren eigenen Gedanken nach.

„Was hast du vorhin eigentlich mit Philipp geflüstert?“, fragte ich leicht gähnend.

„Geheimnis.“ Er sagte das in einem Ton, der mir klarmachte, dass ich ,wie sehr ich auch nachbohrte, nichts aus ihm herausbekommen würde. Ich presste die Lippen zusammen.

„Auch egal.“

„Du warst vorhin ziemlich wütend, oder? Geht es dir jetzt besser?“

„Ja, es geht mir besser“, sagte ich leise.

„Ich glaube dir zwar nicht, aber du willst anscheinend nicht darüber reden.“ Bildete ich mir die Enttäuschung in seiner Stimme nur ein?

Schulterzucken.

„Du kannst mit mir reden, wenn du was hast. Du weißt doch, ich bin gut im Zuhören.“ Sein schiefes Grinsen steckte an und ich merkte, wie meine Mundwinkel zuckten.

„Okay, aber beschwere dich nicht, wenn ich dir die Ohren volljammere.“

Er schaute mich nicht mehr so böse an. Egal, was er gehabt hatte, es schien nun wieder in Ordnung zu sein. Damit war das Thema vorläufig abgehakt.

Mit der Zeit hatte der Wind aufgefrischt und etliche Blüten regneten auf uns nieder. Ein Blick nach oben bestätigte meine Vermutung. Dunkle Wolken hatten sich am Himmel zusammengeballt und die Vögel waren auch verstummt.

„Wollen wir aufbrechen? Ich glaube, es wird gleich regnen.“ Wortlos nickte Konstantin und wir packten unsere Sachen zusammen.Auf der Hälfte des Weges öffnete der Himmel seine Schleusen. Hart prasselte der Regen auf unsere Körper. Konstantins Hemd, das er sich eilig übergezogen hatte, klebte wie eine zweite Haut an ihm. Fast durchsichtig und noch erotischer, als sein nackter Oberkörper es schon gewesen war.

Reiß dich zusammen! Dafür hatten wir nun wirklich keine Zeit!

Pitschnass kamen wir beim Haus an und tauschten unsere nassen Klamotten. Ein Blick aus dem Fenster zeigte mir, dass es nun auch blitzte und donnerte. Es war, als wäre der Himmel für mich wütend und ich wurde endlich wirklich ruhig. Ich stellte mich an das Fenster und beobachtete das Naturschauspiel.

Kapitel 8

Kapitel 8

 

„Ich werde mal nach oben gehen und nachsehen, ob alles dicht ist. Kannst du mir helfen?“ Gedankenverloren nickte ich, war eher geistesabwesend, als dass ich gehört hätte, dass er mich etwas gefragt hatte. Als er mich an der Schulter antippte, registrierte ich erst, dass er mich gemeint hatte. Gemeinsam gingen wir zu der beschädigten Treppe, die auf den Dachboden führte.

Wind rüttelte an den alten Fensterläden und pfiff durch die Fensterritzen. Das alte Haus ächzte und ich fragte mich, ob es dem Sturm standhalten würde.

Wir gingen vorsichtig nacheinander nach oben, das Loch in der einen Treppenstufe musste wirklich dringend repariert werden. Die Stufen knarrten verdächtig und mein Adrenalinpegel stieg ungewollt. Was, wenn unter uns das Holz nachgab? Es war niemand da, der Hilfe holen könnte. Ich machte mir wirklich zu viele Sorgen. Bisher war doch alles gut gegangen.

„Ich hoffe, wir kommen überhaupt bis zur Dachluke.“ Er runzelte die Stirn und schaute süß unschlüssig drein. Das war eine Seite an ihm, die ich noch nie gesehen hatte. Sonst machte er immer den Eindruck, als wüsste er auf Alles eine Antwort und nichts könnte ihn aus der Ruhe bringen.

Der Dachboden sah aus wie eine Rumpelkammer. Überall lagen Kleidungsstücke, die aus den letzten 100 Jahren der Modeentwicklung sein mussten. Alte Kisten, Kommoden, auf denen auch Sachen lagen, Krimskrams jeglicher Form, Porzellanfiguren, Puppen, ein Kinderwagen, Kerzenständer mit und ohne Wachskerzen, Geschirr, teils zersprungen, ausrangierte Möbelstücke und vieles mehr. In einer Ecke konnte ich ein Ungetüm eines geblümten Sessels entdecken, der mich deutlich an meine  Oma erinnerte. Anscheinend hatten alle alten Menschen den gleichen gruseligen Blümchenmustergeschmack. Zwischen etlichen Möbeln spannten sich Spinnennetze, die im Sonnenlicht bestimmt gefunkelt hätten. Aber in dem diesigen Licht ließen sie den Dachboden nur verlassen aussehen. Die hintere rechte Ecke war mit weißen Tüchern verhüllt und ich hoffte, dass nicht noch mehr Zeug zum Vorschein kam. Wer sollte denn dieses Chaos jemals in den Griff bekommen? Vage erinnerte ich mich an mein Versprechen, dabei zu helfen und unterdrückte ein unwilliges Stöhnen. Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen?

Ich sah eine Waschmaschine und ein Trocknerungetüm. Wurde hier etwa Wäsche aufgehängt? Igitt. Aber ich glaubte nicht daran, dazu sahen die Teile zu unbenutzt aus. Über den ganzen Boden spannte sich eine Wäscheleine, an der vereinzelt Holzklammern hingen, die ich auch von meiner Großmutter kannte. Jeder Flohmarktfreak würde hier voll auf seine Kosten kommen. Es gab bestimmt den einen oder anderen Schatz unter den ganzen ausrangierten Gegenständen. Die Bilder, die ich sah, konnte ich nicht zuordnen. Ein paar Landschaftsbilder und Portraits von mir nichtssagenden Menschen.

Ich war ganz froh, dass die Sonne nun doch nicht schien, denn die Staubschicht, die ich mit dem bloßen Auge erkennen konnte, ließ erahnen, dass hier vor Jahrzehnten das letzte Mal saubergemacht worden war. Noch dazu lagen überall Scherben von zerbrochenen Vasen, sodass ich aufpassen musste, wo ich hintrat. Ich folgte Konstantin, der in den hinteren Teil zu den weißen Tüchern ging.

„Da haben wir viel Arbeit vor uns, wenn wir hier aufräumen wollen.“, seufzte ich und er nickte nur schweigsam. Dabei war er derjenige, dem das Ganze hier wahrscheinlich auch noch Spaß machen würde. Immerhin verband er mit den Sachen Erinnerungen und konnte vielleicht die ein oder andere Geschichte zu den Stücken erzählen.

Ich stieg gerade konzentriert über etwas, das  bestimmt mal ein Blumenkübel gewesen war, als ich ein Kratzen hörte.

„Hast du das auch gehört?“

„Nein, was denn?“ Verständnislos wurde ich angesehen und ich zuckte mit den Schultern.

„Ach so ein Kratzen. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet. Das Haus ist ja ziemlich alt, da hört man komische Geräusche.“ Ich lächelte ihn gezwungen an, aber meine Zweifel blieben.

„Wir müssen hier lang.“ Er nickte mit dem Kopf in die Richtung.

„Wie sollen wir denn da rauf kommen? Hast du eine Leiter hier?“, fragte ich und schielte zur Dachluke.

„Klar, die muss hier irgendwo sein.“ In der rechten Ecke, versteckt hinter einem Spiegel, wurden wir dann fündig. Konstantin hakte die Leiter in die Luke ein und kletterte behände hinauf. Ich sollte solange die Leiter festhalten und stellte nebenbei fest, dass ich ihn prima im Spiegel beobachten konnte. Geschmeidig wie ein Panther, erklomm er gerade die letzten Stufen.

„Scheint alles okay zu sein. Ins Zwischengeschoss ist kein Wasser eingedrungen. Willst du auch nochmal schauen? Nicht, dass ich was übersehen habe.“

Daraufhin kletterte ich hinauf und er stand unten und hielt fest. Ich dachte zuerst, dass es eine ziemlich wackelige Angelegenheit wäre, aber die Leiter war sicher eingehakt.

Ich sah in die Dunkelheit und konnte absolut nichts erkennen.

„Hast du eine Taschenlampe mitgebracht?“, rief ich nach unten.

„Moment. Die müsste auch hier liegen. Da ist sie.“

Ich merkte, dass die Leiter leicht wackelte und glaubte, dass Konstantin mir entgegen kommen wollte, um mir die Lampe zu geben. Doch im nächsten Moment fühlte ich Wärme an meinem Rücken und wäre vor Schreck beinahe hintenüber gefallen. Konstantin stand direkt hinter mir und blickte leicht über meine Schulter. Durch seine Größe stand er circa zwei Sprossen unter mir, aber selbst das, war noch viel zu nahe. Nur Zentimeter voneinander getrennt und mein Herzschlag legte einen Marathon hin. Festgefroren fühlte ich seine Körperwärme und seinen Atem dicht an meinem Hals. Ich war kurz vor einem Herzinfarkt und total abgelenkt, dass ich kaum mitbekam, dass er die Taschenlampe eingeschaltet hatte und in das Zwischengeschoss leuchtete.

Ich registrierte eher nebenbei, dass dort jede Menge Staubflusen und Spinnweben waren, teils bewohnt, teils verlassen.

„Also, ich kann keine nasse Stelle erkennen. Eine Sorge weniger“ Mit Mühe unterdrückte ich ein Keuchen. Er war viel zu nahe. Als Konstantin etwas sagte, bescherte er mir gleich eine Gänsehaut. Mittlerweile stand er so nahe, dass er mir direkt ins Ohr hauchte. War seine Stimme schon immer so tief und rau gewesen? 

„Da…da..dann ist es ja gut. Dann kö…können wir ja wieder nach unten? Mir ist hier oben nicht ganz wohl.“ Das war die Untertreibung des Jahrhunderts.

„Hast du Höhenangst? Warum hast du denn nichts gesagt?“ Jetzt klang seine Stimme besorgt und ich hatte das Gefühl, dass er noch dichter an mich rutschte.

„Ähm, ach die kleine Leiter.“ Geh endlich weg!, rief mein Verstand, der sich schon schwindlig im Kreis drehte. Nein, bleib hier!, hielt mein Körper dagegen. Die beiden veranstalteten anscheinend ein Tauziehen. Doch sie waren ebenbürtige Gegner. Auch wenn ich das Gefühl hatte, das mein Körper mit unfairen Mitteln spielte.

Doch anstatt nach unten zu gehen, rückte er nun wirklich näher.

„Ich glaube, ich hab dahinten doch etwas gesehen.“ Er presste sich nun fast mit seinem gesamtem Oberkörper gegen mich, sodass ich unter akutem Sauerstoffmangel litt. Um besser über meine Schulter sehen zu können, stand er so dicht, dass ich das Gefühl hatte, er müsste meinen bollernden Herzschlag hören und zuckte bei dem Gedanken zusammen.

„Habe ich dir wehgetan?“ Ich schüttelte stumm den Kopf.

Er war viel zu nahe! Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er sich mit Absicht an mich presste. Meine beschleunigte Atmung hatte mich unter Garantie verraten. Ob er es wusste? Machte er sich über mich lustig? Machte er sich einen Spaß daraus, mich zu quälen? So schätzte ich ihn nicht ein. Es war bestimmt nicht böse gemeint, dass er sich mit seinem festen, warmen Oberkörper an mich drängte und langsam in Erklärungsnot brachte, warum mein Atem so flach war. Nur einmal der Versuchung nachgeben, sich an ihn zu lehnen.

„Jona?“

„Hm?“ Geistesabwesend.

„Ich glaube, dahinten lebt etwas.“ WAS! Erschrocken drehte ich mich halb zu ihm um und presste mich ungewollt noch näher an ihn. Mit großen Augen sah ich ihn an.

„Bist…bist du dir sicher? Ich mag keine Ratten…oder Mäuse…oder andere Nagetiere.“

„Die tun dir doch nichts.“

„Aber Ratten mit diesen langen ekligen Schwänzen und dich anstarrenden Knopfaugen.“

„Ach, du spinnst doch kleiner Angsthase.“ Daraufhin zog er mich an sich. Es sollte wohl eine tröstende Geste sein, aber auf mich hatte sie natürlich eine ganz andere Wirkung.

„Vielleicht…sollten…hm…wir jetzt wirklich wieder runter?“ Doch anstatt einer Antwort starrte er mich nur an. Warum sah er nur so aus, als ob er mich am liebsten küssen wollte? Wunschdenken. Dem du vor allem nicht nachgeben darfst, kommentierte mein Verstand.  Denk daran, was passiert, wenn du es dir nur einbildest, dann fliegst du aus deinem hübschen neuen Heim raus und die Freundschaft ist auch dahin. Mein Körper stampfte nur bockig wie ein kleines Kind auf, gab meinem Verstand aber vorerst recht.

„Hm. Irgendwie habe ich jetzt doch Lust bekommen, ein wenig Ordnung in das Chaos hier zu bringen. Dann können wir auch gleich sicher gehen, dass sich unten keine Nager eingenistet haben. Was hältst du davon?“ Ich weiß, das war ein dürftiges Ablenkungsmanöver, das aber anscheinend wirkte.

„Okay, wenn es dich wirklich nicht stört, mit mir hier oben eingesperrt zu sein?“ Eher das Gegenteil, du solltest Angst haben, dass ich nicht irgendwann über dich herfalle.

Arrrgh. Ich musste diesen Gedanken schnellstmöglich aus meinem Kopf verbannen.

„So schnell werden wir das wohl nicht schaffen, wo fangen wir bloß an?“, fragte er mich, als wir wieder runtergeklettert waren und mein Herzschlag wieder einen normalen Rhythmus angenommen hatte.

Wir entwarfen einen Schlachtplan, um der Sache Herr zu werden. Konstantin holte vorsorglich mehrere Müllsäcke, denn wir wollten ja gehörig ausmisten.

„Mit dem ganzen Zeug könnte man glatt einen Flohmarkt veranstalten.“, überlegte ich laut.

„Das ist gar nicht so eine schlechte Idee. Dann kann ich gleich mal gucken, ob ich eine alte Laterne finde. Die würde gut in den Garten passen, weil unser Außenlicht an der Terrasse nicht mehr funktioniert.“

Draußen krachten die Blitze und tauchten den Dachboden in gespenstisch dämmriges Licht. Die Glühbirne, die von der Decke hing, spendete auch nicht besonders viel Helligkeit und alles lag im Halbdunklen.

„Wollen wir jeder an einer Ecke anfangen?“ Mein Versuch einen Sicherheitsabstand zwischen uns zu bringen, ging voll in die Hose.

„Lieber nicht. Ich helfe dir dabei, du weißt bestimmt nicht, was weg kann und was bleiben soll.“ Er grinste mich wissend an. So viel zu meinem Plan. Ich fühlte mich durchschaut und trabte langsam zu ihm rüber.

Als erstes beseitigten wir einen Großteil an Scherben, damit wir nicht versehentlich darauf traten. Die schnellen effizienten Bewegungen Konstantins mit dem Besen, ließen die Luft hier oben merklich ansteigen und heizten mir ordentlich ein. Ich fing an wahllos Sachen einzusammeln und zu sortieren und auf Stühle zu verteilen. Loch, brauchbar, roch mottig, Loch. Bei manchen Kleidungsstücken fragte ich mich, ob man so etwas früher wirklich getragen hatte. Oder ich war mir nicht so ganz sicher, was es darstellen sollte.

Als drei der Stühle zusammenzubrechen drohten, stopfte ich die beschädigten Sachen in eine Tüte. Flicken half da sicher nicht mehr. Etliche davon waren leicht klamm gewesen und von Motten zerfressen. Ich hörte es klirren, als Konstantin seinen Sack auffüllte und eilte zu ihm, um ihm die Arbeit zu erleichtern.

„Danke. Als nächstes sind die Figuren dran. Da steht ein Karton und dort ist genug Zeitungspapier. Das machen wir gemeinsam. Ich verstehe nicht, warum das nicht gleich verpackt worden ist.“ Mit Unmut sah er sich auf dem Boden um. In seinem Blick las ich, dass auch er sich fragte, ob wir jemals damit fertig werden würden. In so ziemlich jeder Kiste, jedem Karton, auf dem Fußboden, in wackeligen Regalen standen alle Sorten von Figuren, Püppchen und anderen Kleinkram.

Somit setzten wir uns im Schneidersitz gegenüber und sortierten. Innerlich verdrehte ich die Augen. Wie konnten sich Menschen freiwillig so viele Staubfänger anschaffen?

„Das ist doch ganz hübsch.“, sagte ich, als ich die Figur eines Vogels in der Hand hielt. Das war so ein Fabelwesen, ein Greif, glaubte ich zumindest. Konstantin nickte und deswegen landete der Greif in seinem Karton. Gleichzeitig griffen wir nach dem nächsten Stück und ich zuckte wieder zusammen. Stromschläge wurden durch meinen Körper gesandt und meine Finger kribbelte dort, wo ich seine berührt hatte. War es hier oben eigentlich nur mir zu heiß? Nervös zupfte ich an meinem Shirt, die ganze Zeit mit dem Gefühl, dass sich der Kragen wie eine Schlinge um meinen Hals zusammenzog. Ich wünschte, ich wäre so schlau wie Konstantin gewesen ein Hemd anzuziehen. Dann hätte ich jetzt die oberen Knöpfe öffnen können. Sein Hemd war ja auch nicht komplett geschlossen. Einen Streifen goldener Haut am Schlüsselbeinansatz war zu sehen und meine Körpertemperatur stieg gleich nochmal um zwei Grad. Mein Mund glich einer Wüste und vorsichtig wendete ich meine Augen ab, in dem Bemühen Konstantin auf keinen Fall merken zu lassen, wie aufgewühlt ich war. Und in welche Richtung meine Gedanken und Hände wandern wollten. Das feste Fleisch über seinem Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, während er Stück für Stück in die dafür vorgesehenen Kartons steckte. Ich musste mich ablenken. Nur wie?

Ich hielt eine hübsche Porzellanpuppe in der Hand, die mich ein wenig an Sammy erinnerte. Sie hatte es zurzeit wirklich nicht leicht. Der Krach mit Ben zerrte bestimmt mehr an ihren Nerven, als sie sich eingestehen wollte.  Allein, dass ich es überhaupt bemerkte, zeigte den Ernst der Lage.

„Konstantin?“

„Hm?“ Durchdringend sahen mich diese braunen Augen an. Es war, als würde er meine geheimsten Wünsche kennen würde. Das wäre natürlich überhaupt nicht in meinem Sinne.

„Du meintest doch den einen Abend, dass Ben Sammy anders ansehen würde. Meinst du, sie hätte Chancen bei ihm, wenn sie ihm gestehen würde, dass sie seit sechs Jahren in ihn verliebt ist?“

Das Leuchten in seinen Augen erlosch und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er von meiner Frage enttäuscht war, als ob er etwas anderes erwartet hätte. Er ließ sich so lange Zeit mit der Antwort, dass ich schon dachte, ich würde gar keine mehr bekommen.

„Ehrlichkeit ist immer der beste Weg und in ihrem Fall glaube ich, dass Ben einfach nur noch nicht gemerkt hat, dass manchmal derjenige, von dem man es am wenigstens erwartet, der oder die Richtige sein kann. Er sieht sie als Freundin und es gehört viel Mut von ihrer Seite dazu, diese Freundschaft auf eine neue Ebene heben zu wollen. Sie kennen sich schon ziemlich lange, oder?“ Ich nickte.

„Da ist es nur ganz natürlich, dass man Skrupel hat. Was ist, wenn es schief geht? Ist die Freundschaft dann auch nicht mehr zu retten? So lange er sich nicht ganz sicher ist, wird er vorerst keinen Schritt auf sie zugehen. Immerhin wollte sie ihn mit einer anderen verkuppeln. Da soll er plötzlich glauben, dass sie in ihn verliebt ist? Wir beide wissen, dass sie das gemacht hat, damit er glücklich ist und ihr wäre das genug gewesen. Aber Ben wird sich dessen nicht bewusst sein. Es sei denn, sie sagt es ihm direkt. Wenn man so etwas die ganze Zeit in sich hineinfrisst, kommt man kein Stück weiter. Aber warum sollte er den ersten Schritt tun? Sie müsste ihm nur ein klareres Zeichen geben und wahrscheinlich würde er sich ihr dann auch öffnen.“ Warum nur hatte ich das Gefühl, dass er nicht nur von Ben und Sammy sprach? In meinem Magen machte sich ein flaues Gefühl breit. Immerhin verheimlichte ich ihm auch etwas. Ob er es ahnte und mir Mut machen wollte? Vielleicht war es aber auch nur Zufall, dass es so klang, als ob er in unsere Freundschaft auch mehr hineininterpretieren würde. Aber, wenn ich mich täuschte, wäre es doch mehr als peinlich und ich wollte unbedingt hier bleiben. Außerdem hatte er ebenfalls nie den Anschein gemacht, dass er mehr für mich empfinden könnte, als nur Freundschaft. Wie war ich nur von Ben und Sammy auf Konstantin und mich gekommen? Während die erste Konstellation ja noch Zukunft hatte, war die zweite wohl utopisch.

„Sammy wollte es ihm ja sagen. Ich muss wirklich mit ihr telefonieren oder noch besser, ich geh mal bei ihr vorbei.“ Damit schien unser Gesprächsthema schon wieder erschöpft zu sein und ich überlegte krampfhaft, was ich noch sagen oder fragen könnte. Aber mir wollte absolut nichts einfallen.

„Das ist eine gute Idee. Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen. Immerhin sind sie ja gut mit dir befreundet. Auch wenn ich am Anfang wirklich geglaubt habe, dass du in Sam verschossen bist. Aber da habe ich mich glücklicherweise geirrt.“ Wie, was, wo? Glücklicherweise? Mein Herzschlag, der während des Gesprächs ruhiger geworden war, fing wieder an zu rasen.

„Nei…nein, ich bin, war und werde nie in sie verliebt sein. Da bin ich mir sehr sicher.“ Ich versuchte meine Stimme fest klingen zu lassen.

„Aber du hast mal erzählt, dass du in jemanden verliebt bist und dass es kompliziert ist. Willst du darüber reden? Du scheinst in letzter Zeit so nervös zu sein. Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lange und wenn du nicht mit mir darüber sprechen willst, ist das auch okay.“ Verdammte Scheiße! Wie kam ich aus der Sache jetzt wieder raus? Sollte ich so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben? Oder das Thema völlig blocken? Aber andererseits klang er so, als ob es ihn wirklich interessierte.

Was hatte er vorhin gesagt? Ehrlichkeit war das Wichtigste.

„Also, ja es ist kompliziert. Weil…weil ich nicht weiß, wie ich mit den Gefühlen umgehen soll. Ich möchte eine … Freundschaft nicht gefährden und weiß ni..ni..nicht, ob das Gefühl, das ich empfinde, überhaupt erwidert werden würde.“  Was für ein Gestotter.

„Aber wie kannst du dir da jemals sicher sein, wenn du nicht fragst?“ Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

„Möglicherweise würde dich die Antwort ja überraschen.“ Mit diesen Worten schaute er mich schon wieder so intensiv an, dass ich fürchtete, er hätte jedes meiner Worte durchschaut. Aber ich war noch nicht so weit.

„Es ist sowieso aussichtslos. Sie ist so unerreichbar wie der Mond für mich.“ Ich meinte zwar die Person, ließ den Satz aber absichtlich so stehen. Was ich nicht verstand, war Konstantins Reaktion. Anstatt mir beizustehen, mich aufzumuntern, so wie zuvor, verschloss sich sein Gesicht und wurde wieder eine starre, undurchdringliche Maske. Die restliche Zeit redeten wir nur über Belanglosigkeiten, bis mein Magen lautstark seinen Hunger hinaus brüllte.

Ich ging in Gedanken immer wieder das Gesagte durch, als wir uns erneut auf den Weg nach unten machten. Nachdem die Säcke hinausgebracht und wir von dem ganzen Staub befreit waren, machten wir uns daran, das Abendessen vorzubereiten. Philipp hatte zwar nicht gesagt, ob er auch zum Essen kommen würde, aber wir stellten ihm vorsichtshalber ein Gedeck hin. Kaum hatte ich an ihn gedacht, als er auch schon die Tür aufschloss.

„Hey. Ich bin wieder da. Oh. Ihr macht schon Abendbrot?“ Zum Glück verdeckte sein fröhliches Geplapper, dass sich etwas in der Stimmung zwischen Konstantin und mir geändert hatte.

„Dom und ich waren in dem neuen Eisladen, der in der Innenstadt eröffnet hat und es schmeckt fantastisch! Ich soll euch übrigens schöne Grüße bestellen. Könnt ihr euch vorstellen, wie groß die Becher dort sind?“ Er machte eine Bewegung mit der Hand, die mich zum Lächeln brachte, er übertrieb bestimmt maßlos.

„Und das für einen Bruchteil des Preises! Und es ist sooo lecker. Ich könnte glatt noch eine Portion essen.“ Ohne Punkt und Komma erzählte er uns von seinem Nachmittag mit Dom und ich wollte mich stillschweigend verkrümeln, als er mich plötzlich aufhielt.

„Moment mal. Wir waren doch zum Zocken verabredet, wenn ich mich recht erinnere. Du entkommst mir nicht!“  Und somit wurde ich in das Wohnzimmer gezerrt, ohne auch nur den Hauch einer Chance, mich dagegen zu wehren.

„Ich bin oben, wenn mich jemand sucht. Werde noch ein bisschen lesen.“ Damit hatte sich Konstantin ja geschickt aus dem Staub gemacht. 

„Und wir beide spielen jetzt eine Runde Secret of Mana. Das kennst du sicher, oder?“ Ich hatte keine Ahnung.

„Ist ein Kultspiel für das SuperNintendo und man kann prima zu zweit spielen. Oder auch zu dritt, aber Konstantin ist ja immer so ein Spielverderber.“ Na toll. Aber ich durfte herhalten?

Als ich mich ein wenig in das Spiel hineingefunden hatte, fing es wirklich an Spaß zu machen. Die 2D-Optik war zwar ungewohnt und erinnerte mich an meine Zelda-Zeiten auf dem Gameboy, aber sonst war es nicht schlecht.

Mittendrin im Kampfgetümmel überraschte mich Philipp.

„Wann willst du ihm eigentlich sagen, dass du ihn magst?“ Ruckartig drehte ich meinen Kopf zu ihm.

„Was?“

„Wann du es ihm sagen willst? Ihr schleicht ja nun schon seit der ganzen Woche umeinander rum.“

„Von wem sprichst du bitteschön? Und ich schleiche überhaupt nicht.“

 „Von wem ich spreche? Ist ja wohl klar wie Kloßbrühe. Konstantin. Und du brauchst es gar nicht abstreiten. Man, man, man. Ihr zwei. Keiner will mit der Sprache rausrücken. Wenn er nichts sagt, dann sag ich auch nichts.“ Mein Gesicht musste meine Ungläubigkeit widergespiegelt haben.

„Jetzt erzähl mir bloß nicht, dass du nicht mitbekommen hast, wie er dich ansieht. Besonders dann, wenn du gerade woanders hinschaust.“

„Das bildest du dir ein.“

„Rede du dir das nur weiter ein. Ich weiß, was ich sehe. Wenn ihr mal richtig miteinander sprechen würdet, könnte alles so einfach sein.“ Scharf sah er mich an. Im Hintergrund hörte ich, wie mein Charakter starb, aber es war mir egal. Philipp wusste Bescheid? Hatte er seinem Bruder davon erzählt? War er deshalb so komisch zu mir gewesen? Ich konnte es einfach nicht glauben. Aber, wenn es wirklich der Wahrheit entsprach, wieso hatte ich dann nie etwas gemerkt?

„Ich…ich…es…ist schon spät…ich sollte schlafen gehen. Gute Nacht.“

„Gute Nacht. Du weißt, dass du vor der Wahrheit davonrennst? Denk wenigstens darüber nach.“

Mit diesen Worten verschwand ich in mein Zimmer und schloss die Tür lauter als notwendig gewesen wäre. Kraftlos sank ich dagegen. Konstantin in mich verliebt?

Kapitel 9

Kapitel 9

 

Ich hatte den Freitag vor Sandrines Geburtstag mit elenden Kopfschmerzen hinter mich gebracht. Jeder normale Student hatte den letzten Tag der Woche frei, nur ich nicht und die vierzig anderen Mitglieder meines Kurses. Aber ich fühlte mich trotzdem ungerecht behandelt. Ich lief mit dem Strom der anderen Studenten, die eilig zur Bahn oder zum Bus liefen, um zu ihren Familien oder zu ihrem wohlverdienten Wochenende zu kommen. Konnte die Zeit nicht stehenbleiben?

Ich gruselte mich vor morgen. Warum musste ich da hingehen? Warum war es mir wichtig, mir einzureden, dass wenigstens ein paar Leute meiner Familie mich mochten?

Meine Füße wurden immer schwerer je mehr ich mich der Bahn näherte. Er fuhr auch um diese Uhrzeit zurück. Ich hatte ihn vorhin kurz in der Caféteria gesehen und ignoriert. Ich war ja soo beschäftigt. Die ganze Woche war ich ihm aus dem Weg gegangen, hatte normal mit ihm geredet, aber nichts Tiefschürfendes. Philipp hielt sich glücklicherweise zurück, aber ich war mir nicht sicher, ob er sich nicht irgendwann mit Domenik zusammentat und das war es dann für mich. Natürlich hatte ich darauf geachtet, wie sich Konstantin mir gegenüber verhielt. Fazit: Freund. Er benahm sich wie ein Freund. Klar, er war lieb und aufmerksam, aber mehr war da nicht. Er dachte immer ans uns, wenn er beim Bäcker vorbeikam und brachte leckere Kuchen mit. Er kochte jeden Morgen Kaffee für alle und manchmal frühstückten wir auch gleichzeitig. Aber das schien in seiner Natur zu liegen. Er war einfach nett. Nicht das „Nett“, das ihr jetzt denkt, sondern nett. Philipp musste sich das einbilden. War mein Leben gerade nicht kompliziert genug? Morgen würde es unter Garantie wieder Krach geben und ich hatte null Bock darauf. Nicht hingehen? Keine Option, weil meine große Schwester sonst unter allen Sticheleien zu leiden hätte. Dann sollten sie doch lieber mich als Rammbock benutzen. So tun, als ob es das Gespräch mit meiner Mutter nicht gegeben hätte. Ging nicht. Sie hatte mich zu tief verletzt. Das vergaß ich nicht so schnell.

Wie kam ich darum herum, mich zu Konstantin zu setzen? Gar nicht. Wenn ich das machen würde, dann wüsste er, dass was im Busch ist und genau das sollte er nicht merken. Ich war echt in einer Zwickmühle. Mein Zug fuhr ein. Wieder setzte ich mich wie gewohnt auf meinem Stammplatz und Konstantin mir gegenüber. Zum Glück stand er nicht auf Smalltalk und ich konnte Musik hören, ohne, dass er sich daran gestört hätte. Damit meine Augen nicht wieder ein Eigenleben entwickelten, beschäftigte ich mich damit, andere Leute zu beobachten. Gab schließlich noch andere interessante Personen, außer ihm. Menschen verschiedenster Art und ich hatte immer nur Augen für einen. Das würde ich zumindest heute ändern.

Auf der anderen Seite saß zum Beispiel ein Mädchen mit stark gelockten schwarzen Haaren. Ein bisschen wie Sammy, nur viel zerzauster. Sie kaute Kaugummi und produzierte damit eklige Blasen. Erheiternd fand ich, dass sie während sie Musik über ihre überdimensionalen Kopfhörer hörte, lautlos mitsang und mit den Füßen den Takt mitwippte.

Auf der Sitzbank dahinter saß ein alter Mann, der in ein Buch schrieb. Er hatte ein wenig Ähnlichkeit mit einem Buchhalter. Wie auch immer solche Leute aussahen. Das Gesicht irgendwie…wie eine ängstliche Maus. Kurz trafen sich unsere Augen und ich sah schnell woanders hin. Peinlich, wenn der andere bemerkt, dass er beobachtet wird. Aus seinen Augen hatte eine unglaubliche Intelligenz gesprochen. Von wegen ängstliche Maus, diese Einschätzung musste ich ganz schnell wieder revidieren. Obwohl ich mich zwingen wollte, eine andere Person anzusehen, wurde mein Blick doch von etwas anderem wie magisch angezogen. Dieser Füllfederhalter sah genauso aus, wie der, den Konstantin benutzte. Er war auch alt und sah sehr gebraucht aus. Faszinierend war auch diese wunderschöne verschnörkelte Schrift, welche wohl nur noch die ältere Generation beherrschte. So konnte er zumindest sichergehen, dass niemand sonst, das Geschriebene lesen konnte. Wir wurden auch mit alten Handschriften gequält, es war wirklich mühsam, diese teils krakeligen Hieroglyphen zu entziffern, die manche früher zustande gebracht hatten. Aber die Schrift war trotzdem hübsch. Konstantins Handschrift war auch schön, wenn auch ganz anders. Klar und definiert, ohne Verschnörkelungen. Aargh, ich wollte mich doch ablenken. Weiter geht’s.

Neben mir senkte sich der Sitz und es dröhnte ohrenbetäubender Bass an mein Gehör. Dieser blonde, leicht gedrungene, junge Mann wurde wohl bald den Ohrenarzt aufsuchen müssen. Das war auch eine schöne Sache bei den Brüdern. Wir mochten, bis auf Klassik, die gleiche Musik und keiner von uns war hörgeschädigt. Früher hatte ich immer Nachbarn gehabt, die dachten, sie wohnten alleine in dem Mietshaus. Nichts gegen Musik, aber bitte in einer angemessenen Lautstärke und nicht, dass die Bilder in meinem Zimmer wackeln.

Gegenüber knisterte eine Tüte und der verführerische Duft frisch gebackener Brötchen wehte mir um die Nase. Das erinnerte mich daran, dass ich heute schon wieder zu wenig gegessen hatte. Vorhin in der Caféteria hatte es nur für eine Brezel gereicht und einen Kaffee. Wenn Konstantin nicht daran denken würde, dass Menschen auch frühstücken müssen, dann würde ich das wahrscheinlich immer vergessen.

„Willst du eins abhaben? Oder auch zwei? Ich habe zu viel gekauft, weil Philipp mir wieder mal erst in letzter Minute geschrieben hat, dass er heute bei Domenik übernachtet.“ Dankbar nahm ich mir ein Brötchen aus der Tüte und versuchte, nicht bei der Berührung seiner Finger zu zittern.

„Danke, du bist mein Lebensretter.“, sagte ich und mein Magen knurrte laut zustimmend.

„Die Brezel vorhin war wohl doch ein bisschen zu wenig.“ Ich hatte immer noch seine volle Aufmerksamkeit also war ich nun gezwungen, das Gespräch weiterzuführen.

„Wollen wir heute Abend was zusammen kochen? Dann esse ich mal wieder etwas Ordentliches und nicht nur Fastfood.“ Er nickte zustimmend. Es gab nur ein Problem, keiner von uns konnte kochen, also würde es etwas Einfaches werden.  Schnitzel mit Pommes bekam ich vielleicht noch hin. Für Konstantin mussten wir dann noch Grünfutter besorgen, er war zwar kein Vegetarier, aber er aß auch nicht sonderlich viel Fleisch.

„Schnitzel mit Pommes und Salat hätte ich im Angebot?“ Zweifelnd sah ich ihn an, aber wieder schien er mit meinem Vorschlag einverstanden zu sein. Gut. Also heute Abend kochen zu zweit mit Konstantin. Alles kein Problem. Rein auf freundschaftlicher Basis und nicht…

Bevor ich den Gedanken weiterspinnen konnte, setzte sich eine sehr alte Dame neben Konstantin und fragte mit brüchiger Stimme:

„Wissen Sie wie lange der Zug bis zur Station Möckernsee fährt?“ Der Stock der Großmutter stampfte kurz auf dem Boden auf und sie sah mich erwartungsvoll an.

„Noch fünf Stationen. Das sind noch ungefähr fünfundvierzig Minuten.“

„Wie bitte? Könnten Sie das bitte wiederholen? Sie sprechen so leise.“

Ich wiederholte meine Antwort lauter und wieder das gleiche Spiel. Anscheinend hatte sie ihr Hörgerät vergessen und war so gut wie taub.

„Junger Mann, sie müssen lauter reden! Ich verstehe kein Wort.“ Wieder kam ihr Stock meinen Zehen gefährlich nahe, als sie ihn auf den Boden stieß.

„Okay, noch einmal. Fünf Stationen.“ Ich untermalte es mit meinen Fingern.

„Fünf Minuten? Oh schön, dann bin ich ja gleich da.“ Ich verdrehte verzweifelt die Augen.

„Nein! Fünf Stationen!“ Bevor ich mich gänzlich zum Deppen machte, griff Konstantin ein. Mit einer Stimme, die mir tief unter die Haut ging, wiederholte er das Gesagte zum vierten Mal.

„Ach so. Fünf Stationen! Fünfundvierzig Minuten, so lange noch? Vielen Dank, junger Mann. Sie sollte ihrem Freund mal sagen, dass er nicht so nuscheln soll. Das versteht ja kein Mensch.“ WAS!

Konstantin lachte sich ins Fäustchen und funkelte mich vergnügt an. Was war daran bitteschön witzig? Ich fand das gar nicht komisch, besonders weil ich immer noch Gänsehaut von seiner Stimme hatte. Ich wollte lieber nicht erleben, wenn er mal wütend wurde.

Zum Glück plapperte die alte Frau uns nicht voll und bald darauf mussten wir auch schon aussteigen. Das war auch gut so, denn meine heiß geliebte Schülergruppe hatte gerade Schulschluss und war eingestiegen. Sie wollten anscheinend in die Innenstadt und etwas feiern. Ja genau, kippt euch die Birne zu und vernichtet den Rest eures Verstandes. Nicht, dass es viel gewesen wäre.

 

Konstantin und ich gingen noch einkaufen und ich verwüstete anschließend die Küche. Wer hatte sich ausgedacht, dass man das Fleisch in die Eier und Semmelbrösel tunken sollte? Das ergab, zumindest bei mir, eine Riesenschweinerei. Mit mehr Bröseln auf mir, als auf dem Fleisch, schaffte ich es dennoch, ein einigermaßen genießbares Essen zuzubereiten. Zwar ein bisschen verkokelt und die Pommes versalzen, aber essbar. Konstantin hatte in der Zwischenzeit seinen Salat geschnippelt. Warum hatte ich ihm die einfachere Aufgabe gegeben? Weil er mich mit einem Brötchen vor dem Hungertod gerettet hatte.

„Wie siehst du denn aus?“ Schmunzelnd sah er mich an.

„Ist die neueste Mode. Willst du was abhaben?“ Grinsend trat ich näher zu ihm.

„Lass mal, sonst setz ich dich in die Pfanne und du landest auch als Schnitzel auf meinem Teller. Obwohl ja nicht viel an dir dran ist.“ Solch freche Antworten war ich von ihm gar nicht gewöhnt.

„Versuch es doch! Ich bin mit Ei und Semmelbröseln bewaffnet!“ Spielerisch schnappte ich mir ein Ei und tat so, als ob ich ihn damit bewerfen wollte. Glücklicherweise hatte ich mich vorhin umgezogen, denn die Sachen konnte nach dieser Kochaktion bestimmt wegwerfen.

„Wenn du das machst, dann schwöre ich dir, wirst du es bereuen.“ Na klar.

„Willst du mir etwa drohen? Wie willst du mich denn aufhalten? Ich habe eindeutig die besseren Karten.“ Irgendwie hatte ich nicht mit Gegenwehr gerechnet, eher mit „Mit dem Essen spielt man nicht“. Aber das hier war auch lustig und um Längen besser. Frech grinsend ließ ich meine Eierbombe auf ihn zufliegen, aber er duckte sich schnell und das Geschoss landete an der Küchentür. Verdammt! Daneben! Schnell ein neues Ei und zweiter Versuch. Aber auch dieser streifte ihn nur und landete auf dem Fußboden.

„Du solltest besser zielen lernen.“ Höhnisch verschränkte er die Arme vor der Brust. Na warte! Ich ergriff die Tüte mit dem Paniermehl und ließ es auf ihn niederregnen.

„Ha! Erwischt! Damit hast du nicht gerechnet…Was hast du vor?“ Oje, ich sollte jetzt rennen. Der Blick gefiel mir überhaupt nicht. Aber er sah zu komisch aus. Ich kringelte mich vor Lachen. Das Mehl hing in seinen dunklen Haaren und ließ ihn, wie einen alten Mann erscheinen. Selbst die Augenbrauen hatte ich erwischt und es rieselte immer wieder etwas davon herunter.

„Du siehst zum Brüllen…hahaha…komisch aus.“ Mein Fluchtinstinkt versagte kläglich, denn bevor ich bemerkte, was geschah, befand ich mich schon in einer festen Umarmung und wurde ebenfalls bestäubt.

„So und nun?“ Ich wand mich in dem Klammergriff, hatte aber keine Chance gegen ihn. Er war einfach stärker. Außerdem war ich mir nicht so sicher, ob ich mich überhaupt befreien wollte. Denk nach!

„Aber ich hab immer noch die Trumpfkarte!“ Damit drehte ich mich um und umarmte ihn. Voll mit Ei. Ich wollte eben triumphierend zu ihm aufsehen, als ich warme feste Lippen an meinen spürte.

Schachmatt! Game over! Er spielte eindeutig unfair!

„Gewonnen.“ Zart knabberte er mir und es war, als ob ich nicht anders könnte, als völlig paralysiert stillzustehen. Mach was! Konstantin küsst dich und du stehst da wie versteinert. Zaghaft presste ich meinen Mund auf seinen. Das schien er als Zustimmung zu sehen, denn nun wurde sein Kuss forscher. Seine Finger fuhren mein Rückgrat entlang und ich beugte den Rücken leicht durch. Das war wie Himmel und Hölle gleichzeitig. Leicht stupste er mit seiner Zunge meine Lippen an und bat um Einlass. Ich öffnete meinen Mund einen Spalt breit und spürte, wie er ihn eroberte. Benommen erwiderte ich seine Zärtlichkeiten, ohne so recht zu wissen, was von mir erwartet wurde. Wenn ich mich voll darauf einließ, dann würde das heißen, meine Gefühle einzugestehen und eventuell eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen, die noch gar nicht richtig begonnen hatte. Eigentlich war ich noch nicht so weit.

„Konstantin?“ Er küsste meinen Mundwinkel.

„Ich kann das nicht.“ Wieder lagen seine Lippen auf meinen, allerdings nun brutal, als ob er jeden weiteren Laut ersticken wollte. Ich drückte ihn leicht von mir und er wich zurück, als ob er sich verbrannt hätte.

„Du meinst, du willst nicht.“ Keine Frage. Ich nickte traurig.

„Es tut mir…“

„Sag es nicht.“ Hart. Ich hatte seine Stimme noch nie so kalt und emotionslos gehört.

„Wir sollten essen. Es wird kalt.“

„Mir ist der Appetit vergangen.“ Damit drehte er sich um und ließ mich mit dem Chaos in der Küche und in mir zurück. Ich hatte auch jeglichen Hunger verloren und beschloss, das Fleisch einzufrieren und die Pommes landeten in der Tonne. Waren eh versalzen. Betäubt säuberte ich die Küche und ging danach duschen. Konstantin hatte anscheinend die Gunst der Stunde genutzt und war vor mir im Bad gewesen. Es roch nach seinem Duschbad und ich atmete tief durch. Warum? Warum war ich so ein Feigling. Jetzt hatte ich doch die Gewissheit. Konstantin schien auch etwas für mich zu empfinden. Und wenn alles nur eine Phase ist? Wenn er nur mal ausprobieren wollte? Das würde ich nicht überleben.

Sein Kuss brannte immer noch auf meinen Lippen. Aber nicht der zärtliche, sondern der letzte wütende. Sekundenlang hatte ich sehen können, dass ihn meine Abfuhr verletzt hatte. Wahrscheinlich konnte ich mir nun wirklich eine neue Wohnung suchen. Dieser kalte Blick ließ nicht darauf hoffen, dass er normal mit mir zusammenleben konnte.

Ich schlurfte frisch geduscht und von jeglichen Eiresten gesäubert in mein Zimmer und hörte Musik. Die Nacht würde nicht entspannend werden. Und da hatte ich Recht.

 

Ich saß allein auf einem Spielplatz. Ich war wieder ein Kind, allerdings mit dem Verstand eines Erwachsenen. Ich wusste genau, dass es unsinnig war, Angst zu haben, nur weil ich allein hier saß. Um mich herum war tief dunkler Wald. Ein Spielplatz mitten im Wald? Ich fühlte mich von ihm eingeengt und hatte mich auf die höchste Ecke verkrochen. In der Ferne hörte ich Wölfe heulen. Ich kauerte mich noch enger zusammen. Mein Verstand sagte mir, dass ich keine Angst haben brauchte. Es gab in der Gegend keine Wölfe und die hatten, wenn dann mehr Angst vor mir, als umgekehrt. Aber da siegte das Kind in mir. Aus dem Wald kam eine Person, erst nur verschwommen und dann besser zu sehen. Es war meine Mutter. Ich wollte ihr zurufen, dass sie sich in Sicherheit bringen sollte, aber meine Stimme funktionierte einfach nicht. Egal, wie sehr ich es auch versuchte, es kam nur ein Röcheln heraus. Also winkte ich, fuchtelte mit den Armen, dass sie abhauen sollte. Was machte sie hier überhaupt? Wie hatte sie mich gefunden? Mein Gehör war noch voll intakt, denn ich hörte Zweige knacken. Panisch versuchte ich ihr zu verstehen zu geben, dass dort draußen Wölfe waren. Egal, wie sehr ich mit meiner Mutter im Clinch lag, ich wollte dennoch nicht, dass sie gefressen wurde. Völlig irrational sagte mir mein Verstand, aber mein Unterbewusstsein im Traum befand die Situation als extrem bedrohlich. Aber es waren keine Wölfe, die da aus dem Dickicht traten. Zu meinem Entsetzen war es Konstantin und weder er, noch meine Mutter schienen mich zu hören. Doch anstatt meinen sicheren Platz auf dem Klettergerüst zu verlassen, starrte ich nur auf die Szenerie. Was sagte das über mich aus? War ich zu feige, um sie zu retten? Um sie zu mir auf mein schützendes Gerüst zu holen? Wieder ertönte das Heulen, doch diesmal viel näher. Dazu ein furchterregendes Knurren, das aus dutzenden Kehlen gleichzeitig zu kommen schien. Ich schrie sie lautlos an, dass sie weglaufen sollten. Mittlerweile liefen mir die Tränen über das Gesicht, weil ich wusste, dass sie es nicht schaffen würden. Ich sah den Schatten einer Pfote aus dem Wald treten.

 

„Nein!“, ich wachte erschreckt von meiner eigenen wimmernden Stimme auf. Mein Herz wummerte schnell und hart gegen meinen Brustkorb. Ich hasste diesen Traum. Immer wieder zeigte er mir meine eigene Unzulänglichkeit. Ich wusste genau, was geschehen würde und nie unternahm ich etwas. Ich hatte auch niemals weiter, als bis zu dieser Stelle geträumt, was die Sache nicht besser machte. Diese Gewissheit, die ich am Ende immer hatte, dass es nicht gut ausgehen würde, fraß mich innerlich auf. Ich war feige. Ich rannte davon. Ich hatte Angst Menschen zu verlieren, die mir etwas bedeuteten. Oft war es meine Mutter, die in dem Traum vorkam, aber die Personen wechselten. Jetzt war es das erste Mal, dass auch Konstantin dabei gewesen war. Sollte das eine Warnung sein? Ich wusste, dass der Traum besonders oft kam, wenn ich innerlich aufgewühlt war.

Ich drehte mich im Bett um und stellte fest, dass ich fror. In meiner Panik hatte ich die Bettdecke auf den Boden getreten und hangelte nun mit der Hand danach. Fest zugedeckt, fühlte ich mich ruhiger. Der Schrecken klang langsam ab und ich konnte wieder rational über den Traum nachdenken. Das half eigentlich immer. Ich schloss die Augen und versuchte erneut einzuschlafen. Aber den Rest der Nacht war es eher unruhiges hin und her wälzen, als schlafen.

Mein Wecker piepte mit ohrenbetäubender Lautstärke. Wo war das Mistding?

„Halt die Klappe!“ Mit voller Wucht schlug ich darauf ein. Dabei hatte ich vergessen, ihn auszustellen. Mit dröhnendem Schädel drehte ich mich auf die andere Seite. Ich hatte wahnsinnigen Durst, aber ich wollte nicht in die Küche. Selbst um diese Uhrzeit war Konstantin am Wochenende schon wach und ich wollte ihm noch nicht begegnen. Das würde noch früh genug kommen.

Heute stand sowieso der Gang vor das Schafott an. Nach dem Traum hatte ich noch weniger Lust auf meine Mutter, als sowieso schon. Immer wieder fragte ich mich nämlich, ob sie mich nicht hören konnte oder wollte. Der Durst wurde immer schlimmer und nun musste ich auch noch aufs Klo. Verdammt!

Wie gerädert setzte ich mich auf. Die Bettdecke hatte sich um meine Beine gewickelt und ich musste mich erst einmal befreien, bevor ich irgendwo hinkam. Auf Samtpfoten schlich ich die Treppe hinunter. Ich ließ bewusst die Stufen aus, die knarrten, aber anscheinend brauchte ich überhaupt nicht so leise zu sein. Das Haus wirkte wie ausgestorben. Gut so. Egal, wo Konstantin war, ich wollte ihm heute nicht begegnen. Also schnell ins Bad. Ich erledigte schnell das Nötigste und wandte mich dann man meinem nächstem Problem zu, dem Hunger und Durst. Besonders Letzterem. Meine Kehle war wie ausgedörrt. Ich hamsterte in der Küche alles, was ich finden konnte. Ich wollte nicht länger als nötig an dem Schauplatz meiner Feigheit bleiben. Wieder oben angekommen, breitete ich meine Beute aus meinem Bett aus und schaltete den Laptop an. Ich wollte mich wenigstens noch ein bisschen ablenken, bevor ich mich in die Höhle des Löwen begab.

Kapitel 10

Kapitel 10

 

Ich war nervös. Die Haut an meinen Fingernägeln sah arg zugerichtet aus und hatte an ein paar Stellen bereits angefangen zu bluten. Wie würde sich meine Mutter verhalten? Sollte ich sie ignorieren oder so tun, als ob nichts gewesen wäre? Würde sie mir gleich Feuer geben oder vor der Familie so tun, als wäre Alles in bester Butter? Der Zug rauschte wie üblich an den Wiesen und Feldern vorbei und gab mir auch keine Antwort auf die Fragen. Was brachte es schon, sich damit zu quälen über mögliche Wenns nachzudenken?

Das Geschenk für meine Schwester lag sicher in meiner Tasche verstaut. Ob sie sich über die Ohrringe freuen würde? Wahrscheinlich nicht. Dieses undankbare Stück wäre mit allem, egal, was ich ihr schenken würde, unzufrieden, nur um mich zu ärgern. Meine Laune war definitiv im Keller, sonst wäre ich nicht so gehässig. Die Ansage im Zug zeigte mir, dass ich mich auf den Weg zur Tür machen sollte. Meine Beine wurden immer schwerer. Das war wie der Gang zur eigenen Exekution. Und ich tat das auch noch freiwillig. Wenn meine große Schwester und meine Oma nicht da wären, dann könnten die mich alle mal kreuzweise.

 

Ich stand vor der Haustür und haderte mit mir. Komm schon, du Feigling. Du wirst doch nicht wirklich Angst vor deiner eigenen Mutter haben? Nun ja, druckste ich. So ganz verkehrt war diese Einschätzung nicht. Die Klingel blitzte mich höhnisch an. Jahrelang war das hier mein Zuhause gewesen, bis das ein jähes Ende gefunden hatte. Ich dachte ungern an diese Zeiten zurück.

Tief durchatmend drückte ich auf den Knopf, einen Schlüssel hatte ich ja nicht mehr, den hatte ich meinen Eltern vor die Füße gepfeffert, als sie mich rausgeworfen haben.

„Herzogenrath, wer ist da?“

„Dein Sohn. Lass mich rein...bitte.“

„Kommst du auch endlich?“ Ich hörte das Summen des Türöffners und verkniff mir eine bissige Antwort. So viel zu höflich sein oder ignorieren. Die Entscheidung war soeben gefallen. Als ich oben ankam, maß sie mich mit einem missbilligendem Blick. Was passte ihr denn nun schon wieder nicht? Ich wandte die Augen ab, um diesem Ausdruck zu entkommen. Vor der Haustür streifte ich die Schuhe ab, nur um so gleich von einem krabbelndem Ungeheuer angefallen zu werden.

„Anton. Wo willst du denn hin, du kleiner Schlawiner? Deinem Onkel Jona Guten Tag sagen?“ Das kleine Etwas krähte daraufhin in unverständlicher Babysprache und guckte mich mit großen hellbraunen Kulleraugen an. Susanne nahm den Kleinen wieder auf den Arm und er schien sich mit mir auf Augenhöhe wohler zu fühlen, denn er streckte seine Pummelärmchen nach mir aus.

Meine Mutter war in der Zwischenzeit schon verschwunden, ohne mir Hallo zu sagen. Das konnte ja heiter werden.

„Hi, Jona! Wie geht es dir? Kommst du gut in der neuen Wohnung zurecht? Wie läuft das Studium?“ Das liebte ich an meiner Schwester, allen unterschwelligen Schwingungen zum Trotz, interessierte sie sich für mich und ließ sich nicht von der schlechten Laune meiner Mutter anstecken.

„Lass uns erst einmal reingehen, dann erzähl ich dir alles haarklein.“ Mit einem Grinsen versuchte ich zu überspielen, dass es mir nicht halb so gut ging, wie ich tat.

„Wo steckt eigentlich das Geburtstagskind?“ Sie schaute sich suchend um und hatte Sandrine anscheinend in der Nähe ihres Zimmers entdeckt. Schweigend stand sie da und beobachtete uns. Hatte sie die „liebevolle“ Begrüßung unserer Mutter auch mitbekommen?

„Hallo.“ Leise und abwartend. Das war, als ob man in der Wüste auf eine Schlange treffen würde und nicht wusste, ob sie giftig war oder nicht.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich hoffe, es gefällt dir. Ist nur eine Kleinigkeit.“

„Danke. Wir essen gleich Kuchen, haben noch nicht angefangen, weil wir auf dich gewartet haben.“ Na toll, wieder ein versteckter Vorwurf, dass ich zu spät gekommen war.  Was konnte ich denn dafür, dass die Bahn so eigenartig fuhr? Mal ganz davon abgesehen, dass ich Bescheid gesagt hatte, dass ich es nicht pünktlich schaffen würde. Aber in dieser Familie gab es so etwas wie Entschuldigungen nicht. Entweder man war pünktlich oder man war es nicht. Ich hatte es aufgegeben, ihnen erklären zu wollen, dass andere Menschen damit kein Problem hatten und schon gar keinen Aufstand deswegen machten. Aber nun ja, ich hab euch ja erzählt, dass meine Familie nicht so einfach ist.

Sandrine hatte die kleine Schachtel zu den anderen Geschenken gelegt, ohne einen weiteren Blick darauf zu verschwenden. Vielleicht sollte ich ihr das nächste Mal wirklich irgendetwas Wertloses schenken. Das hätte ihre Missachtung wenigstens verdient. Ach, was ärgerte ich mich überhaupt? Weil ich wusste, wie es früher gewesen war und ich diese kleine Schwester wiederhaben wollte. Eine fünfjährige Sandrine, die mit mir im Matsch gespielt hatte. Eine achtjährige Schwester, die mit mir vom Baum gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte. Eine zehnjährige, die sich über Süßigkeiten, die ich von meinem Taschengeld für sie zum Geburtstag gekauft hatte, freuen konnte und mich lachend umarmt hatte.

Aber diese Zeiten waren vorbei. Ich wusste nicht mal, wann das angefangen hatte, aber sie hatte sich meine Eltern zum Vorbild genommen und alles, was auch nur ein klitzekleines bisschen von ihrem Weltbild abwich, widerte sie plötzlich an. Also auch ich. Ich war nicht mehr der große Bruder, auf den man sich verlassen konnte, sondern nur noch der lästige große Bruder, der alles andere als cool war.

Ruhig ging ich in das Wohnzimmer, wo bereits alle versammelt waren. Liebevoll begrüßte ich meine Großmutter und meinen Vater mit einem männlichen Handschlag. Ansonsten waren noch ein paar Freundinnen von Sandrine da, denen ich höflich die Hand gab. Eine davon sah mich an, als ob ich irgendetwas im Gesicht hätte. Verstohlen sah ich mein Spiegelbild im Fenster an, konnte aber nichts entdecken.

„Können wir dann endlich anfangen? Der Kaffee ist bestimmt schon kalt.“, murrte meine Mutter.

Ich schluckte meinen Kommentar herunter und dachte, dass ich am Ende dieses Tages bestimmt an ungesagten Worten ersticken würde.

„Also Jona, du wolltest mir erzählen wie es läuft und zwar bitte in allen Einzelheiten.“ Ich glaubte zwar nicht, dass das hier irgendjemanden interessierte, außer sie und meine Oma, tat ihr aber den Gefallen, ihr ausführlich zu antworten. Dass ich mich mit Konstantin gestritten hatte und wahrscheinlich wieder ausziehen musste, ließ ich lieber weg. Stattdessen erzählte ich ihr vom Unileben und wie gut mir mein Studium gefiel.

„Wir haben zwar einen üblen Stundenplan, aber die Professoren sind wirklich nett. Im fünften Semester dürfen wir uns dann auch bei Ausgrabungen anmelden und es stehen eine Menge Exkursionen an. Ich denke, dass das ziemlich spannend wird. Leider ist es erst einmal hier in Deutschland. Mein Studiengang befasst sich ja eigentlich mit Vorderasiatischer Archäologie.“

„Oh, das klingt ja interessant. Was macht man denn da so?“ Ich erklärte ihr grob das Wesentliche und musste über Anton schmunzeln, dem es anscheinend überhaupt nicht passte, dass jemand die Aufmerksamkeit seiner Mutter auf sich zog. Auch wenn es der Lieblingsonkel war. Diesen Ruf konnte mir immerhin keiner streitig machen, denn ihr Mann Herbert hatte keine Geschwister. Er krabbelte wie ein Würmchen auf ihrem Schoß hin und her und versuchte mit seinen Patschehändchen alles von ihr zu erreichen. Natürlich bewaffnet mit viel Babysabber. Lecker. Entschlossen setzte sie das Krabbelmonster in den Hochsitz, was er mit lautstarkem Getöse quittierte. Glücklicherweise ließ er sich mit einem Spielzeug aus der Tasche wunderbar ablenken und meine Oma übernahm diese Aufgabe natürlich liebend gerne.

„Wie läuft es denn bei euch? Hast du viel Stress mit dem Kleinen? Warum ist dein Mann eigentlich nicht mitgekommen?“

„Das wüsste ich auch gerne. Wahrscheinlich wollte er sich nur drücken.“ Na klar, Mama. Was auch sonst?

„Herbert muss leider arbeiten. Da ich zurzeit zuhause bin, kommt momentan nicht so viel Geld in die Familienkasse und da darf er nicht wählerisch sein. Immerhin verdient er jetzt für drei.“ Sie lächelte ihr Baby an und stupste es in die Pausbacken. Aus jeder Pore sprach die Liebe für ihr Kind und wieder war ich mir sicher, dass sie eine sehr gute Mutter sein würde.

„Der Hof steht auch noch, auch wenn ich nicht weiß, wann ich das alles schaffen soll. Nicht wahr Anton? Immerhin brauchst du meine ganze Aufmerksamkeit, denn auf so einem großen Grundstück kann ich ihn keine Sekunde aus den Augen lassen. Jona, du hast uns doch noch nie besucht! Fühl dich also herzlich eingeladen. Sag einfach vorher Bescheid, wir haben dann ein Zimmer für dich frei.“ Verschmitzt zwinkerte sie mir zu und ich hatte ein vages Gefühl, dass sie merkte, dass ich mich hier nicht wohl in meiner Haut fühlte. Es war so, als ob sie mir einen zusätzlichen Zufluchtsort anbieten würde und ich war wirklich dankbar dafür.

„Gerne doch. In der vorlesungsfreien Zeit komme ich euch mal besuchen.“, versprach ich.

„Wir waren schon bei dir, aber du warst ja so sehr mit Anton beschäftigt, dass wir auch genauso gut nicht hätten da sein können.“ Blubber blubber. Meine Mutter konnte es einfach nicht ertragen, wenn sie nicht die erste Geige spielte.

„Ihr werdet euch doch wohl noch selbst beschäftigen können. Es ist immerhin nicht so einfach, alles unter einen Hut zu bringen.“ Ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen, aber die Worte waren entschlüpft, bevor ich sie aufhalten konnte. Super Jona, immer gieß Öl ins Feuer. Deine Mutter ist so schon eifersüchtig auf Anton, das brauchst du nicht noch zu fördern.

„Außerdem haben wir doch gemeinsam etwas unternommen. Mit einem Baby hat man eben nicht so viele Wahlmöglichkeiten. Aber ich fand unseren Spaziergang am Wasser sehr schön. Wenn es dir nicht gefallen hat, kannst du dir ja nächstes Mal etwas ausdenken.“ Ach Schwester, du bist viel zu lieb zu dieser Xanthippe. Sie ist doch selbst schuld, wenn sie sich nicht anderweitig zu beschäftigen weiß und unbedingt an deinem Rockzipfel hängen muss. Meine Mutter rümpfte nur die Nase, hielt sich aber mit einer weiteren Bemerkung zurück.

„Um nochmal auf dein Studium zurückzukommen. Was macht man denn bei so einer Ausgrabung? Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen.“ Ihre blaugrauen Augen, die denen meiner Mutter ähnelten, schauten mich interessiert fragend an. Im Gegensatz zu den stahlgrauen Augen meiner Mama, waren ihre mit einer Wärme gefüllt, die ganz vergessen ließ, dass wir etliche Jahre auseinander waren und eigentlich nur wenig voneinander wussten. Ich sollte ihr Angebot wirklich annehmen. Erstens war das wie Ferien und ich konnte meiner großen Schwester näher kommen und ihr ein bisschen helfend unter die Arme greifen.

„So genau weiß ich das auch noch nicht. Ein paar Leute aus den höheren Semester haben versucht uns Angst zu machen, dass man bei Wind und Wetter raus muss und am Ende nie weiß, ob man wirklich etwas findet und solche Geschichten. Und wenn man doch etwas ausgräbt, dann sind es meistens nur Scherben und Steine. Aber gerade das finde ich spannend. Aus dem Wenigen, das man ausgräbt, eine Stadt, Gegend oder Lebensweise zu konstruieren, wie sie vor hunderten oder tausend Jahren war. Vieles ist in Vergessenheit geraten und ich bin dann einer von denen, die es für die Nachwelt bewahren.“, sprudelten die Worte aus mir hervor.

 „Was willst du denn mit so einem Abschluss machen? Kann man da überhaupt was Vernünftiges mit anfangen?“ Mein Vater wählte zwar nicht die geschicktesten Worte, aber er klang, als ob er es wirklich wissen wollte.

„Weißt du, mir macht das Studium so viel Spaß, dass mir momentan egal ist, ob es später haufenweise Geld bringt. Gelegenheitsjobs gibt es genug und ich werde bestimmt nicht bei euch ankommen und um Unterstützung bitten, falls du dir deswegen Sorgen machst.“ Meine Antwort kam giftiger rüber, als ich es beabsichtigt hatte und mein Vater schaute dementsprechend pikiert drein. Und schon war ich wieder in der Realität und auch die sanften Fragen von Susanne hatten nicht verdrängen können, dass ich eigentlich hier war, obwohl ich es nicht wollte.

„Man wird ja wohl noch fragen dürfen.“ Nein, dürft ihr nicht. Es hat euch doch sonst auch nicht interessiert und eure Meinung ist mir auch scheißegal! Das bockige Kind in mir konnte einfach nicht mit der Situation umgehen. Ich hatte das Gefühl, dass ich von allen Seiten Feuer bekam. Meine Mutter, die mich nicht beachtete, mein Vater, der missbilligte, was ich tat, meine kleine Schwester, der ich egal war und Konstantin, in den ich verliebt war und den ich von mir gestoßen hatte und nun sauer auf mich war. Mein Leben war gelinde gesagt gerade voll scheiße. Verdammt, jetzt hatte er mich wieder runtergezogen und die Laune war im Keller. Mein Gesicht musste genau gespiegelt haben, was ich gerade gedacht hatte, denn meine Oma fing daraufhin ein Gespräch über ihre Gebrechen an, doch ich hörte nur mit einem halben Ohr zu. Es war ein halbherziges Ablenkungsmanöver, aber ich zwang mich, ihr Aufmerksamkeit zu schenken und eine lächelnde Miene aufzusetzen. Sie konnte schließlich nichts dafür, dass ich mich mies fühlte.

„Sag mal Omi, bist du immer noch die Beste beim Bridge?“ Ich grinste sie an. Mit meiner Großmutter sollte niemand um Geld spielen, wenn er nicht völlig pleite nach Hause gehen wollte. Sie konnte einfach alles. Ich hatte ja den Verdacht, dass sie bei dem ein oder anderen Spiel nachgeholfen hatte, aber ich würde sie natürlich nie auffliegen lassen. Immerhin teilte sie oft genug ihre Gewinne großmütterlich mit uns.

„Ach, das haben wir aufgegeben, irgendwann macht es ja doch keinen Spaß mehr. Das ist nichts weiter, als ein Kartensammelspiel. Außerdem ist es todlangweilig, wenn immer alle anderen verlieren. Ich brauche eine Herausforderung, weißt du mein Junge? In meinem Alter vergisst man so leicht und ich hoffe, dass das bei dir noch lange dauert, bis es so weit ist. Wo war ich?“

„Ähm, Herausforderung.“

„Genau. Wir haben angefangen, Scrabble zu spielen. Das ist wirklich toll. Kennst du das?“

„Das ist doch das Spiel, bei dem man Wörter aus Buchstaben zusammensetzt und die ergeben dann Punkte. Je mehr Punkte und je schwerer das Wort, desto  besser.“ Ich kramte alles Wissen zusammen, dass ich darüber hatte. Ich hatte es ein oder zweimal mit Sammy gespielt, aber sie machte mich immer fertig und dann war mir die Lust vergangen. Mit ihren musikalischen Fachbegriffen hatte sie definitiv einen unfairen Vorteil. „Piano“ bekam ich ja auch noch hin, aber „Adagio“, „Dissonanz“, „Chromatik“, „Triole“, „Polyphonie“ und so weiter waren einfach nur gemein. 

„Mein kluger Junge. Endlich ein Spiel, mit dem man wunderbar das Gedächtnis trainieren und seinen Wortschatz erweitern kann. Nur weil ich alt bin, heißt das ja nicht, dass ich nicht mehr lernen möchte. Denn im Leben…“

„… lernt man nie aus.“ Gleichzeitig fingen wir an zu lachen und ich merkte nur, wie meine Mutter uns wütende Blicke zuwarf.

„Marlies, du als Lehrerin müsstest eigentlich am besten wissen, dass Lernen für das Leben das Wichtigste ist.“ Anstatt einer Antwort, die anscheinend aber auch nicht erwartet wurde, sah sie mich nur genervt an. Hey, was hatte ich denn nun wieder getan?

Nebenbei bemerkte ich, dass eine von Sandrines Freundinnen mich ebenfalls unentwegt anstarrte. Die gleiche von vorhin. Ich sollte vielleicht wirklich mal in den Spiegel sehen. Anscheinend hatte ich irgendwas im Gesicht, das anderen nicht gefiel.

„Auf der Uni lernt man bestimmt auch viele Leute kennen. Wie sind deine Kommilitonen denn so?“ Die Starrende konnte tatsächlich sprechen. Sie war recht hübsch, aber wenn sie mit meiner Schwester befreundet war, dann wollte ich sie lieber nicht näher kennenlernen. Wahrscheinlich so ein hirnloses Dummchen, dass dachte, ein abgebrochener Nagel wäre der Weltuntergang. Seit wann war ich so gemein zu jemandem, den ich überhaupt nicht kannte? Das mussten die negativen Schwingungen in diesem Raum sein, die von meiner Mutter und meiner kleinen Schwester ausgestrahlt wurden. Hatte ein bisschen was von einem Hexenzirkel.

„Die sind okay. Bei manchen bin ich mir allerdings sicher, dass ich sie im nächsten Semester nicht wiedersehen werde.“

„Und wie ist das Geschlechterverhältnis? Sind bei euch viele Mädchen in den Kursen?“ Warum wollte sie das wissen? Sie drehte eine lange blonde Haarsträhne zwischen ihren Fingern und sandte mir einen Wimpernaufschlag zu, der bei jedem anderen sofort sämtliche Alarmsirenen aktiviert hätte.

„Ähm, ausgeglichen würde ich sagen. Da hab ich nicht so drauf geachtet. Ich habe auch nicht mit so vielen Kontakt. Jeder von uns hat seinen eigenen Stundenplan, deshalb weiß ich gar nicht, wie viele wir wirklich sind und in welchem Verhältnis. Ein paar davon wiederholen und ein paar andere machen was mit Lehramt, die sind nur in ein paar Kursen, die für mehrere Fächer sind.“ Das war bestimmt mehr als sie wissen wollte, aber sie hatte ja gefragt.

„Ach so. Und ähm...gibt es denn jemanden, für den du dich besonders interessierst?“ Schon wieder, warum wollte sie das wissen? Nur zu eurer Information. Das Brett vor meinem Kopf ist besonders dick.

„Nein....nicht an der Uni. Da ist niemand, für den ich mich interessiere.“ Ich sollte ihr nicht antworten, denn nun schien sie richtig in Fahrt zu sein. Die Haare wurden immer stärker gezwirbelt und ich war davon so abgelenkt, dass ich nur mit einem halben Ohr hinhörte.

„Sandrine hat gesagt, du hast zurzeit keine Freundin… Wenn nicht an der Uni, gibt es denn sonst jemanden?“ Dieser lauernde Gesichtsausdruck wollte mir nicht gefallen. Eigentlich musste ich auf solche Fragen auch nicht antworten, tat es aber doch. So langsam bekam mein Brett nämlich Risse und ich ahnte, worauf sie hinaus wollte.

Wer wusste, was Sandrine ihr erzählt hatte. Das jemand ihren Bruder retten musste, damit er nicht zur alten Jungfer wurde. Das würde zu dem kleinen Miststück passen. Mich vor ihren Freundinnen lächerlich machen. Erst würde sie an ihr Mitgefühl appellieren und dann würde sie irgendeine Bombe platzen lassen.

Solche Spielchen hatte sie schon mal durchgezogen, nicht, dass ihr denkt, das kommt von ungefähr. Die Mädchen, die bei solchen Aktionen mitmachten, hatten nichts als Abneigung verdient. Eine Wette, nur um den Bruder zu ärgern, war doch wirklich das Allerletzte. Besonders, wenn dabei mit meinen Gefühlen gespielt wurde. Am Anfang habe ich nämlich nicht gecheckt, dass das Ganze nicht ernst gemeint war und habe mich in der Bewunderung ihrer Freundinnen gesonnt. Aber das passiert mir nicht noch einmal. Seitdem habe ich mir angewöhnt, jede ihrer Freundinnen auf Abstand zu halten.

„Nun ja, nicht an der Uni stimmt so nicht. Nicht in meinem Studiengang.  Aber doch, da gibt es jemanden.“ Ihre freundliche Maske bröckelte langsam. Sie zwirbelte nun nicht mehr, sondern zupfte an ihrem Haar. Gleich hatte sie die Strähne in der Hand. Das kam mir irgendwie seltsam vor. Sollte sie sich wirklich für mich interessieren und nicht weil Sandrine ihr irgendeine Lüge aufgetischt hatte?

„Und … ähm... du liebst sie? Seid ihr denn zusammen?“ So langsam wurde sie mir doch zu neugierig. Das war wirklich nichts, was ich hier vor allen anderen breit treten wollte.

„Kein Kommentar. Sandrine? Hast du dir schon Gedanken gemacht, was du nach dem Abi machen willst?“ Thema wechseln und die Blondine, so gut es ging, ignorieren. Dass sie aussah, als ob sie gleich zu weinen anfing, machte die Sache auch nicht leichter. Mensch Mädel, du kennst mich doch gar nicht und wenn doch, dann würdest du mich nicht mögen.

„Im Gegensatz zu dir, weiß ich schon seit Ewigkeiten, was ich machen will.“ Damit warf sie ihren langen dunkelblonden Zopf über die Schulter und schaute mich triumphierend an. Hätte ich bloß nicht gefragt.

„Ich werde Medizin studieren und Pathologin werden.“ Damit war unsere Unterhaltung anscheinend beendet, denn sie wandte sich dem Häufchen Elend neben ihr zu und tröstete sie. Hin und wieder warf sie mir böse Blicke zu, bei denen ich mich fragte, womit ich die verdient hatte. Ich hatte doch nur die Wahrheit gesagt. War das hier etwa auch verboten? Ich glaubte immer noch nicht so recht daran, dass das Ganze nicht wieder ein abgekartetes Spiel war. Sandrine war eine wahre Meisterin, wenn es darum ging, Intrigen zu spinnen. Missmutig aß ich ein Stück von meinem viel zu süßen Kuchen. Igitt, da war wohl jemandem die Zuckerdose hineingefallen. Ich trank unauffällig einen Schluck Kaffee, um diese widerlich süße klebrige Masse hinunterzuspülen.

Um niemanden sonst anzusehen, wandte ich meinen Blick aus dem Fenster. Ob Konstantin auch grübelte? War er immer noch wütend auf mich? War meine Reaktion zu heftig gewesen, hätte ich es ihm schonend beibringen können? Die Stiefmütterchen auf dem Balkon ließen die Köpfe hängen und ich hatte das Gefühl, ich wäre eines von ihnen. Eingesperrt in einen Kübel, zu wenig Wasser.

Leider konnten meine Gedanken die nervtötende schrille Stimme meiner Mutter nicht übertönen.

„Ich habe letztens erst wieder gelesen, dass BWL eine sehr gute Studienwahl ist. Der Markt ist zwar überfüllt, aber wenn man sich wirklich anstrengt, dann kann man es durchaus zu etwas bringen. Außerdem habe ich einen Bericht gesehen, dass bestimmte Studiengänge eher Russisch Roulette entsprechen. Archäologie war übrigens auch dabei.“ Sie sagte das zwar zu meinem Vater, aber ich wusste, dass diese Informationen für mich waren. Sie konnte es einfach nicht lassen. Immer musste sie auf dem gleichen Thema rumhacken. Als ob es keine wichtigeren Dinge gab, als meine Studienwahl. Bei Susanne musste es ähnlich schlimm gewesen sein, aber sie war ein ganz anderer Charakter. Sie hatte das Gemaule, Gemurre und Gezetere wortlos hingenommen und trotzdem ihr Ding durchgezogen.

„Oma, möchtest du noch Kuchen?“

„Ja, gern mein Junge, das ist lieb von dir.“ Sie lächelte mich liebevoll an und wieder dachte ich, dass es richtig gewesen war, herzukommen. Ich sollte auch öfter zu meiner Oma gehen. Wer wusste, wie lange sie noch so gut drauf und agil war.

„Kindergärtnerinnen werden auch wieder gesucht. Wenn du jetzt wieder arbeiten gehen würdest, dann würdest du bestimmt auch einen Arbeitsplatz bekommen, anstatt zu Hause zu sitzen.“, feuerte der Drache in Susannes Richtung. Sticheleien waren definitiv ihre Spezialität.

„Und wer passt dann auf Anton auf? Nicht alle Familien können sich eine Tagesmutter leisten und das eine Jahr kannst du Susanne ruhig in Ruhe gönnen. Sie wird schon früh genug wieder einen Job finden und der Erziehermangel ist bestimmt nicht von einem Tag auf den anderen vorbei. Außerdem kann sie auch sobald sie wieder anfängt, Anton in ihrer Kinderkrippe unterbringen. Sie ist ja schließlich dafür ausgebildet. Nur jetzt ist es noch viel zu früh. Das Jahr ist schließlich noch nicht vorbei und man will die Entwicklung seines eigenen Kindes doch so lange wie möglich verfolgen.“ So, jetzt finde mal ein Gegenargument! Sie sah mich an wie ein Fisch auf dem Trockenen. Tja, meine Schwester kann sich vielleicht nicht gegen deine Gemeinheiten wehren, aber ich schon.

„Wenn sie einen Mann geheiratet hätte, der mehr verdient, dann könnte sie Anton auch zu einer Tagesmutter geben.“ Immer musste sie das letzte Wort haben.

„Geld ist nicht alles! Außerdem verdient Herbert nicht schlecht. Bloß momentan fehlt eben ein Einkommen.“ Meine Zähne knirschten, als ich das sagte.

„Aber es ist eine gute Grundlage. Ich werde euch bestimmt nicht durchfüttern, wenn ihr auf der Straße landet.“ Rumms, das hatte gesessen. Ein roter Film legte sich vor meine Augen und ich hatte mein loses Mundwerk nicht mehr unter Kontrolle.

„Das hat auch keiner von dir verlangt! Ich würde mir eher den Arm abhacken, als von dir Almosen zu erbetteln. Das haben weder Susanne, noch ich nötig. Nur, weil dir unsere Berufswünsche nicht passen, brauchst du noch lange nicht auf uns herabzusehen.“ Jetzt war ich doch explodiert.

„Warum sollte ich denn nicht auf dich herabsehen? Wer bist du denn schon? Was hast du denn erreicht? Du spuckst zwar große Töne, aber ich höre dich immer nur wimmern.“ In diesem Moment erkannte ich klar und deutlich, dass meine Mutter mich hasste.

„Wer ich bin? Ich dachte, ich wäre dein Sohn, aber da habe ich mich wohl getäuscht. An welcher Stelle der Skala komme ich denn? Noch vor den Möbelstücken?“

„Marlies! Setz' dich hin und halt den Mund!“ Selten hatte ich meine Oma in so scharfen Tonfall mit ihrer Tochter sprechen hören. Doch meine Mutter hörte nicht auf sie.

„Du mit deinem „tollen“ Studium. Schwachsinn ist das. Null Zukunftsaussichten und mit deiner Einstellung zum Leben wirst du doch einer der Ersten sein, der es abbricht und dann? Wirst du angekrochen kommen. Oder hattest du vor, wieder bei einer Speditionsfirma anzufangen und dich damit – wie lange? - über Wasser zu halten? Immer am Existenzminimum, ohne Ausbildung, mit dem halben Fuß schon im Gefängnis. Denn wer arm ist, der braucht nicht viel Anstoß, um zum Dieb zu werden und das würde meine Schande nur noch größer machen. Weißt du, wie peinlich es für mich war, als du gejobbt hast?“ Sie spuckte das Wort aus, als wäre es Gift.

„Immer diese mitleidigen Blicke, die ich irgendwann nicht mehr ertragen habe.“ Es ging nur um sie. Jedes Mal war sie die Einzige, die litt und ich hatte es sowas von satt.

„Und das Mädchen, in das du dich verliebt hast, ist bestimmt auch niemand, der es zu etwas bringen wird. Du hättest sie doch mitbringen können, aber du traust dich bestimmt nicht. Weil du weißt, dass sie unakzeptabel ist, oder? Solche vernünftigen Mädchen wie Lina hier haben doch bei dir eh keine Chance.“ Damit zeigte sie auf Sandrines Freundin, die anscheinend am liebsten im Erdboden versunken wäre. Tja, meine Furie von Mutter machte auch nicht vor Unbeteiligten halt.

„Du gibst ihr ja nicht die geringste Möglichkeit dich kennenzulernen.“

„Mama…hör auf…“ Sandrines Einwand wurde einfach zur Seite gewischt.

„Deine so genannte „Freundin“ ist wahrscheinlich auch nur hinter dir her, weil sie weiß, dass wir Geld haben. Aber das werde ich nicht zulassen.“ Meine Mutter war wahnsinnig. Ich konnte überhaupt nicht nachvollziehen, wie sie sich solche haarsträubenden Geschichten ausdenken konnte. Aber ich würde bestimmt nicht zulassen, dass sie Konstantin beleidigte.

„Erstens: Alles was du erzählst, ist Bullshit. Zweitens: Weder ich, noch irgendjemand sonst will euer heiliges Geld. Drittens: Auch wenn es mir leid tut, Lina, ich kann mir nicht aussuchen, wen ich liebe. Du bist ein hübsches Mädchen, aber ich kenne dich nicht und du wirst garantiert jemand Besseren als mich finden. Viertens: Mutter, wenn dich mitleidige Blicke treffen, dann nicht wegen mir. Das bekommst du ganz gut alleine hin. Fünftens: Meine „Freundin“ ist ein Mann und nun auf Nimmerwiedersehen, denn ich komme bestimmt nicht mehr hierher.“ Ich hatte die Fäuste auf dem Tisch geballt und war stark versucht, alles hinunter zu fegen. Stattdessen drehte ich mich um und verließ das Zimmer.

„Das ist doch wohl die Höhe! Was bildest du dir eigentlich ein!? Wie kannst du deiner Mutter das nur antun? Bin ich denn nicht schon gestraft genug? Muss mein einziger Sohn nun auch noch eine Schwuchtel sein? Wenn du den Kerl jemals anschleppst, dann enterbe ich dich. Ach was, ich enterbe dich sowieso. Jemand wie du, hat es nicht verdient, zu dieser Familie zu gehören.“ Autsch.

Zeter und Mordio. Auf dem Weg in den Flur hörte ich meinen Vater zum ersten Mal seine Stimme erheben.

„Marlies, wenn du nicht sofort den Mund hältst, dann passiert was!“

„Ach ja, was willst du denn machen? Bist du jetzt etwa auch auf seiner Seite? War ja klar.“

„Ich sperr dich auf den Balkon. Da kannst du dich abkühlen, wenn du nicht sofort Ruhe gibst. Das ganze Haus kann dein Gebrüll hören. Ich bin auf gar keiner Seite, aber ich kann wie ein vernünftiger Mensch mit meinem Sohn reden. Und das mit der Enterbung habe ich nicht gehört. Das hast du nämlich nicht zu entscheiden.“

„Immer bin ich die Böse. Klar, schiebt mir doch alle die Schuld in die Schuhe. Dabei ist er es doch, der sich vollkommen daneben benimmt. So etwas Abartiges dulde ich einfach nicht!“ Noch eine Oktave höher und sie quietschte wie eine Maus.

„Wolfgang hat vollkommen Recht. Du führst dich auf wie eine Furie. So habe ich dich ganz bestimmt nicht erzogen und deine Intoleranz beschämt mich.“ Danke Oma. Den Rest des Gesprächs habe ich nicht mehr gehört, außer wüste Beschimpfungen, die durch die Tür allerdings ein wenig gedämpft waren.

Schnurstracks lief ich die Treppe hinunter und ging zur Bahn. Auf dem Weg bemerkte ich, dass ich meine Schnürsenkel nicht zugebunden hatte, weil ich dort so schnell wie möglich raus gewollt hatte. Diese Gegend würde ich wohl nie wieder sehen. Mein Stolz verbat es mir, bei meiner Mutter zu Kreuze zu kriechen. Sie hatte es einfach nicht verdient. War ich denn so eigenartig? Warum konnte sie nicht wie andere Mütter verständnisvoll sein? Ein bisschen Entgegenkommen würde mir ja schon reichen. Warum hatte sie mich nicht lieb?  Sie hatte mich wirklich als abartig bezeichnet. Ich merkte, dass sich Tränen in meinen Augenwinkeln sammelten und drängte sie mit aller Macht zurück. Nicht nur, dass es peinlich wäre, hier auf der Straße loszuheulen. Ein echter Mann weinte nicht. Ach ja, ich war ja eine Schwuchtel. Warum tat es so weh?

Ich war nicht ansteckend. Ich liebte einfach nur einen Mann. Und die Verleumdungen meiner Mutter waren zwar auf meine „Freundin“ gemünzt, aber im Grunde hatte sie damit Konstantin unwissend grob beleidigt. Dass sie mich verunglimpfte, war ich gewöhnt, aber dass sie ihren Hass auf mich, auch auf andere Personen, die mir nahestanden ausdehnte, war mir unbegreiflich.

Nach dem Bruch mit meinen Eltern fühlte ich mich nicht erleichtert. Kein tonnenschweres Gewicht war  von meinen Schultern verschwunden, weil ich ihnen reinen Wein eingeschenkt hatte. Eher das Gegenteil war der Fall. In mir bildete sich ein Klumpen Blei, der mich von innen vergiftete und auffraß. Mein Vater hatte zumindest versucht, meine Mutter zu besänftigen und das rechnete ich ihm hoch an. Vor allem, weil ich das genaue Gegenteil erwartet hatte.

Die Fahrt heim brachte ich wie ein Zombie hinter mich. Bis heute weiß ich nicht, wann und wie ich dorthin gekommen war, ich hatte alles automatisch erledigt. Stundenlang saß ich auf meinem Bett, die Hände um die Knie geschlungen, mich leicht vor und zurück wiegend. Es hätte wohl nicht viel gefehlt, dann wäre ich wie ein jämmerliches Häufchen weinend zusammengebrochen.

An meiner Tür klopfte es, aber ich gab keine Antwort.  Ich wollte keine Menschenseele sehen. Nicht einmal Philipp könnte mich nun mit seiner fröhlichen Laune aufheitern. Und warum?, weil er Konstantin ähnlich sah. Ach, das war doch alles zum Kotzen. Anscheinend ließ sich mein Besucher nicht vertreiben, denn trotz Missachtung wurde die Tür aufgemacht und die Person trat in das Zimmer.

Kapitel 11

Kapitel 11

 

„Hi, Jona. Warum sitzt du denn hier im Dunkeln?“ Ich zuckte mit den Schulter, obwohl ich wusste, dass sie es nicht sehen konnte.

„Was ist los?“ Sammy setzte sich zu mir auf das Bett und nahm mich in den Arm. Dabei hatte ich doch noch großkotzig gesagt, dass ich sie trösten wollte und nun war es umgekehrt.

„Willst du darüber reden?“ Ich wollte den Kopf schütteln, machte den Mund auf und schloss ihn wieder. Es würde nicht besser werden, wenn ich es in mich reinfraß,. Aber Sammy hatte genug eigene Probleme. Sollte ich sie wirklich noch mit meinen belasten?

„Jona. Rede mit mir. Du weißt, dass ich immer für dich da bin.“ Ihre sanfte Stimme verstärkte nur meinen Entschluss, ihr nicht zu erzählen, wie mies ich mich gerade fühlte. Diesmal wollte ich derjenige sein, der für sie da war und ihr eine Schulter zum Ausweinen hinhielt.

„Wie geht es Ben?“ Meine Stimme klang verhältnismäßig normal, auch wenn ich meine innere Aufgewühltheit  nicht ganz daraus verbannen konnte.

„Der … spricht immer noch nicht mit mir.“ Ihre Stimme klang so traurig, dass ich mich beinahe vergessen und doch losgeheult hätte. Reiß dich zusammen. Sie kann jetzt kein Mitleid gebrauchen, sondern Unterstützung. Also sag was Aufmunterndes.

„Konstantin hat da was angedeutet und ich wollte dich fragen, ob du was gemerkt hast. Was genau hast du ihm eigentlich in der Nacht erzählt? Hast du ihm denn gesagt, dass du ihn liebst?“

„Oh nein, wo denkst du hin? Das hätte das Maß wahrscheinlich gänzlich voll gemacht. Immerhin habe ich ja ständig versucht, ihn mit anderen zu verkuppeln. Er hätte mir doch niemals geglaubt. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich will, dass er glücklich ist und das Ganze nicht böse gemeint war. Er hat gedacht, ich will mich über ihn lustig machen. Kannst du das glauben? Dass er mir solch eine Abscheulichkeit zutraut? Er lamentierte, dass seine Gefühle für diese andere Zicke immer noch nicht verraucht wären und das ich überhaupt nicht nachvollziehen könnte, wie es wäre unglücklich verliebt zu sein.“ Oh je, das musste ihr wirklich wehgetan haben.

Ärgerlich wischte sie sich Tränen aus den Augenwinkeln, was ich im Halbdunklen jedoch nur verschwommen erkennen konnte.

„Was hat Konstantin denn gesagt?“, ein leichtes Schniefen begleitete ihre Frage.

„Er meinte, Ben würde dich anders ansehen, deshalb dachte ich, du hättest ihm gesagt, dass du ihn liebst. Ich bin immer noch der Meinung, dass das der beste Weg wäre. Jedes Mal, wenn er eine neue Freundin hat, bricht es dir doch das Herz. Glaub nicht, dass wir das nicht mitbekommen hätten. Du kannst mir noch so oft erzählen, dass du nur willst, dass er glücklich ist, aber du hast ihm ja noch nicht die Chance gegeben, auf deine Gefühle zu reagieren.“ Gut machst du das, Jona. Ich war richtiggehend stolz auf meine Worte.

„Aber er sieht mich immer noch so vernichtend an. Sonst hat es ihn doch auch nie gestört, wenn ich anderen Mädchen seine Nummer gegeben habe.“ Resigniert zuckte sie die Schultern. Wir kuschelten uns als ein Knäuel auf dem Bett zusammen. Sie wusste zwar nicht, dass sie mir damit gleichzeitig auch Trost spendete, aber es tat gut.

„Vielleicht fühlte er sich in seiner Männlichkeit gekränkt? Gerade weil er so emotional darauf reagiert, glaube ich ja, dass mehr dahintersteckt.“ Ich hatte eher mit mir selbst gesprochen, aber Sammy antwortete verwirrt darauf.

„Hat er denn jemals etwas angedeutet? Meinst du, ich hätte eine reelle Chance?“ Meine Güte, meine beste Freundin hatte so gar kein Selbstvertrauen, das war ja unglaublich!

„Hey Kleine. Du bist süß und hast eine tolle Persönlichkeit. Warum sollte er dir keine Chance geben? Ihr seid schon solange befreundet, da kennt er schon alle deine Macken und kann keine negative Ãœberraschung mehr erleben und er weiß hoffentlich deine positiven Vorzüge zu schätzen. Du kannst prima zuhören und bist oft der Kummerkasten für uns alle. Das kommt nicht einfach so, es ist einfach, wenn man mit dir über seine Probleme gesprochen hat, dann ist es, als ob man nicht mehr allein damit dasteht, sondern du nimmst einen Teil der Last auf dich und verlangst absolut nichts dafür. Ich glaube, manchmal haben wir das auch schon ganz schön ausgenutzt, nicht wahr? Abgesehen davon gibst du gute Ratschläge, nur wenn es um dich geht, dann weißt du keinen Ausweg. Das finde ich süß und es macht dich umso liebenswerter, dass du auch nicht immer sofort auf alles eine Antwort parat hast.“ Ich holte tief Luft. Ich merkte, wie sie mich aus kugelrunden Augen ungläubig ansah. Aber alles, was ich gesagt hatte, meinte ich ehrlich.

„Wenn es darum geht, ein Geheimnis zu bewahren, dann kann man sicher sein, dass du es mit ins Grab nimmst und mit dir kann man Pferde stehlen. Du bist die beste Freundin, die ich je hatte und Ben wäre dämlich, wenn er dich nicht nehmen würde.“ Jetzt schniefte sie doch los.

„Oh, Jona! Das war das Liebste, was du je zu mir gesagt hast! Hast du...hick...denn wirklich so ein tolles Bild von mir? Dabei mach ich doch gar nichts Besonderes.“ Ich zog sie weiter in meine Arme.

„Deine Bescheidenheit zeigt ziemlich offensichtlich, wie lieb du wirklich bist. Immer versuchst du allen zu helfen und nie fragt dich einer von uns, wie es dir geht. Das tut mir übrigens Leid. Ich meine, dass wir dich schon so oft dazu benutzt haben, unseren Kummer loszuwerden und es als...selbstverständlich betrachtet haben.“ Mir war das eben erst wirklich klar geworden. Immer kamen wir, sowohl Dom, Ben, als auch ich zu Sammy, immer in der Hoffnung, dass sie einen Rat parat hatte oder einfach nur Trost spendete.

„Ich mach das doch gerne. Ich kann nicht mit ansehen, wenn ihr traurig seid. Ich hab dich lieb Jona. Du bist wirklich ein toller Kumpel.“ Ich war geschmeichelt. Ich sollte ihr vielleicht öfter sagen, dass ich eine sehr hohe Meinung von ihr hatte.

„Ich hab dich auch lieb, Sammy. Ich sage das viel zu selten. Aber ich hoffe, du weißt es trotzdem.“

Wieder schnüffte sie und ich kramte in meinem Nachtschrank nach Taschentüchern.

„Hier bitte.“ Ich reichte ihr die Packung und hörte in der Dunkelheit das leise Knistern.

„Danke. Darf ich...darf ich heute hier schlafen?“ So verschüchtert hatte ich sie noch nie reden gehört. Sonst war sie immer gut drauf und brachte genau wie Dom immer alle zum Lachen.

„Na klar, Kleine.“ Ich lieh ihr ein T-Shirt von mir und wir schliefen schnell ein. Allein ihre Gegenwart ließ meine Sorgen vorerst verblassen und ich konnte die Nacht einigermaßen gut schlafen.

 

Doch der nächste Morgen kam natürlich mit Brachialgewalt. Und das meine ich wörtlich. Gegen meine Zimmertür rummste es und ich dachte schon, dass sie gleich aus den Angeln fliegen würde.

„Und das soll ich dir glauben?“, diese höhnische Stimme gehörte anscheinend Philipp. Ich hätte nie geglaubt, dass er so kalt sprechen könnte. In diesem Moment klang er genau wie Konstantin an dem Tag, dass ich unwillkürlich erstarrte. Nicht daran denken!

„Wieso denn nicht? Welchen Grund habe ich dir denn gegeben, es nicht zu tun?“ Dieses hysterische Japsen kannte ich auch nur zu gut. Dom war fuchsteufelswild. Wenn er sich in seine Wut hineinsteigerte, dann bekam er keine Luft mehr. Er konnte dann nicht mehr richtig atmen und ich hatte jedesmal Angst um ihn.

„Raus hier! Verschwinde. Ich will dich eine Weile nicht sehen. Wenn du jetzt nicht gehst, dann weiß ich nicht, was ich mache.“ Flach und gepresst drangen die Worte durch meine Zimmertür. Sie mussten direkt davor stehen und sich streiten.

„Gut, ich gehe. Aber ich weiß, dass es nicht stimmt und ich werde es dir beweisen. Das ist alles nur Kevins Schuld! Wenn ich den in die Finger bekomme, dann kann er was erleben!“ 

„Ach, du kennst du den Kerl auch noch?“

„Ja, natürlich! Ach verdammt, in dem Zustand kann man eh nicht mit dir reden.“ Ich hörte die Haustür knallen und seufzte leise. Anscheinend lief momentan so Einiges schief.

„Philipp! Sei nicht so laut. Könnt ihr euch vielleicht woanders streiten?“ Na toll, der Grund meiner miesen Laune war also auch anwesend. War ja auch klar, immerhin hatten wir Sonntag.

„Ach halt doch die Klappe. Er ist sowieso längst weg. Scheiße, wie konnte ich nur darauf reinfallen?“ Der letzte Satz ergab für mich keinen Zusammenhang, aber die beiden rauften sich bestimmt wieder zusammen. Jetzt musste ich erstmal Sammy wach bekommen. Es war mir ein Rätsel, wie sie bei dem Krach hatte weiterschlafen können.

„Sammy, komm aufstehen.“ Ich rüttelte leicht an ihrem Arm. Es war bereits nach elf und ich hatte keine Lust, allein in die Küche zu gehen.

„Mh... noch fünf Minu...WA!? Wo ..ich? Ach so, bei dir.“ Was für ein Kauderwelsch.

„Komm, anziehen! Wir gehen frühstücken.“ Ich zog die Jalousien herauf und ließ ihr die Mittagssonne genau ins Gesicht scheinen.

„Uff, wie gemein. Ich geh ja schon... du gönnst mir aber auch gar nichts.“ Morgenmuffel Sammy war erwacht. Ich ging ins Badezimmer, um ihr genug Zeit zu geben, sich anzuziehen.

 

Wir gingen hinunter und ich war mehr als überrascht, sowohl Konstantin und Philipp in der Küche anzutreffen. Zumindest einer davon war doch sonst immer schon mit dem ersten Sonnenstrahl wach.

„Morgen.“ Verhalten wurde ich von den beiden gegrüßt.

Verdammt, eigentlich hatte ich gerade null Bock auf solch eine Begegnung, aber wenn wir etwas etwas essen wollten, dann musste ich da wohl oder übel durch. Sammy kam hinter mir hergeschlurft.

„Guten Morgen! Stört es euch, wenn wir mit euch frühstücken?“ Konstantin beachtete sie kaum, sondern starrte mich kalt und undurchsichtig an. Daran musste ich mich wohl gewöhnen. Der Blick, den er Sammy ganze zwei Sekunden gönnte, verriet auch nicht viel, aber ich glaubte, für eine Nanosekunde Eifersucht aufblitzen zu sehen. Ja klar, Jona. Innerlich verdrehte ich die Augen angesichts solch einer haarsträubenden Vermutung.

„Nein.“, brummte Philipp. Es war das erste Mal, dass ich ihn mit schlechter Laune sah.

Noch nie war der Frühstückstisch so ruhig gewesen. Sammy und Philipp hatten ein kurzes Gespräch über das Wetter geführt, aber danach hatte sich Schweigen über unsere Runde gelegt. Es war wirklich merkwürdig und ich fühlte mich unwohl.

„Habt ihr eigentlich schon die Treppe repariert? Ich würde mir zu gern mal den Dachboden ansehen.“ fragte Sammy in die Stille hinein. Ich schreckte auf, denn ich hatte soeben noch einmal an den Streit mit meiner Mutter gedacht.

„Ähm...keine Ahnung? Kon...Konstantin?“ Verdammt, dieses Gestotter zeigte ja mehr als deutlich, dass ich mich momentan in seiner Gegenwart unwohl fühlte. Er machte es auch nicht besser, denn anstatt mich zu ignorieren, was ich erwartet hätte, starrte er mich an. Und ihr könnt mir glauben, das machte mich wahnsinnig.

„Bin noch nicht dazu gekommen. Jona wollte mir ja helfen. Ich hoffe, das Angebot steht noch.“ Was? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Tat er jetzt so, als ob nie etwas geschehen wäre? Aber es klang irgendwie...anders.

„Mh, ja klar.“ Wenn du mit mir zusammen arbeiten wolltest, dann würdest du auch genau das bekommen. Ich hatte den kalten Blick noch nicht vergessen, nachdem er mich geküsst hatte und ich ihn abgewiesen.

„Dann können wir das ja eigentlich nach dem Frühstück anfangen.“ Es war keine Frage, aber ich nickte.

„Sehr schön, dann schau ich mir den Dachboden an, wenn ich euch das nächste Mal besuche.“ Sammy hatte es plötzlich sehr eilig aufzubrechen. Aus den Augenwinkeln hatte ich nur wahrgenommen, dass sie eine Sms bekommen hatte. Ihrem Gesichtsausdruck nach war diese von Ben. Sie wusste offensichtlich nicht, ob sie sich freuen sollte oder Trübsal blasen.

„Ich muss los. Danke für das Frühstück. Bis zum nächsten Mal!“ Ich brachte sie noch bis zur Tür und war nun mit den beiden Miesepetern allein im Haus. Eigentlich wollte ich lieber für mich sein, um nachzudenken. Aber nachdem ich Konstantin gerade so leichtfertig zugesagt hatte, konnte ich schlecht einen Rückzieher machen.

Als ich in die Küche zurückging, hatten die zwei schon den Tisch abgedeckt und aufgeräumt. Es gab also kein Zurück.

„Wollen wir? Wir müssen noch ein bisschen Holz, Leim, Lasur und Nägel holen.“

„Okay.“ Ich trottete ihm hinterher. Auf dem ganzen Weg sprach er kein Wort mit mir. Es war komisch, dass ich mich deswegen mies fühlte. Immerhin hatte er vorher auch nicht viel gesagt, aber diesmal wusste ich, dass er es mit Absicht machte.

Er gab mir die Holzlasur und Pinsel in die Hand, von denen ich in etwa eine Ahnung hatte, was man damit machte. Dann schleppten wir noch Holzbretter, die die alten Dielen ersetzen sollten. Wieder oben, entfernte er am Fuß der Treppe die Bretter, die an der Seite waren. Anscheinend konnte man so darunter gelangen und besser die beschädigten Dielen austauschen.

„Wir entfernen jetzt die alten Holzbretter und befestigen die neuen, indem wir sie mit Holzklötzen an den Außenkanten verschrauben. Das sollte eine Weile halten. Danach tragen wir noch die Lasur auf. Alles klar?“ Die Erklärung hatte ich verstanden, aber ich fragte mich, warum er mich dabei so intensiv musterte.

„Kannst du dann bitte die Taschenlampe halten? Ich muss die alten Nägel und Schrauben entfernen.“ Wieder nickte ich nur. Wenn er die ganze Zeit mir auf diese Art sprach, dann hatte ich kein Problem mehr damit, ihm zu helfen. So wie es aussah, ging er vollständig auf Abstand und besprach mit mir nur noch das Nötigste. Warum störte mich das? Ich hatte ihn doch abgewiesen. Aber ich wollte, dass unser Verhältnis so wie vorher war. Als wir zumindest so etwas wie Freunde gewesen waren.

Aber das war wohl nicht möglich. Er war gekränkt und ich nicht bereit, mich auf etwas anderes einzulassen. Nur, dass der grundlegende Faktor, eine Freundschaft nicht zu zerstören, nicht mehr gegeben war. Er schien mich nun nur noch wie einen normalen Mitbewohner zu behandeln. Scheiße. Ich wollte das nicht! Zumindest nicht so.

„Sag, wenn ich dir helfen soll.“ Ich leuchtete in die kleine Kammer und ging hinter ihm rein, da er sonst bei dem schwachen Licht nichts gesehen hätte. Zwischen uns waren nur ein paar Zentimeter Platz und diese intime Nähe ließ mein Herz verräterisch laut schlagen. Natürlich war die Anziehungskraft ungebrochen. Da konnte er noch so eklig zu mir sein. Nur das Ziehen in der Magengrube war neu. Es passte mir nicht, dass er nicht mit mir redete. Es passte mir nicht, dass wir nicht mehr ungezwungen miteinander umgehen konnten. Eigentlich passte mir die ganze verdammte Situation nicht und ich war der Einzige, der etwas daran ändern konnte. Ich glaubte nämlich nicht, dass Konstantin von sich aus noch einmal auf mich zukommen würde.

„Komm mal ein bisschen näher, ich bekomme diesen Nagel nicht zu fassen, der ist irgendwie verbogen.“ Also trat ich noch näher und konnte seinen Duft riechen. Ein kurzen Moment wurde mir schwindelig und die Taschenlampe zitterte leicht in meiner Hand.

„Gut so. Da ich hab ihn. Jetzt muss ich das Brett noch nach oben drücken, dann haben wir das erste.“ Gesagt, getan. Das Licht der Deckenlampe drang durch den entstandenen Spalt und ich hatte nichts Besseres zu tun, als Konstantin anzugaffen, der seine muskulösen Arme durchgedrückt hatte, um das Holzbrett zu entfernen.

Die anderen Bretter folgten und wir arbeiteten schweigend weiter. Auch wenn ich mir wie ein Handlanger vorkam. Bis auf ihm die Sachen zu reichen, die er brauchte und die Taschenlampe zu halten, hatte ich nämlich nicht viel zu tun. Die ganze Zeit war ich mir nur zu deutlich seiner Nähe bewusst. Dieser Raum war viel zu klein. Es war, als ob die Wände auf mich zukommen und nur noch Platz für mich und Konstantin lassen würden. So nah war ich ihm noch nie gewesen, außer das eine Mal und das hatte ich ja grandios versaut. Wenigstens musste ich jetzt nicht mehr krampfhaft verstecken, wie anziehend ich ihn fand. Im Halbdunkel konnte er das sowieso nicht erkennen und ich war einigermaßen sicher. Als er die neuen Bretter festmachte, rieselten Staub und kleine Späne auf meine Nase. Sie juckte fürchterlich und ich konnte nur mir Mühe ein Niesen unterdrücken.

„Fertig.“ Er drehte sich zu mir und bevor ich aus der kleinen Kammer heraustreten konnte, hatte er mich schon gestreift. Die ganze Zeit hatte er halb gebückt dagestanden, weil er viel zu groß für den kleinen Raum war. Auch ich merkte, dass mein Rücken wegen der unnatürlichen Position protestierte. In dem Moment, als  er mich berührte, zuckte ich zusammen. Er hatte hoffentlich nicht gemerkt, welche Gefühle er in mir weckte. Das würde all meine Aussagen Lügen strafen und das konnte ich momentan wirklich nicht gebrauchen. Mein Leben war auch so schon kompliziert genug.

„Jona. Du bist ganz weiß im Gesicht.“ Aber anstatt, dass ich mich im Bad säuberte, hob er die Hand und fuhr mir über die Nase und Wangen. Sanft entfernte er den Schmutz und ich konnte nicht anders, als stillzustehen. Diese Zärtlichkeit hatte ich nicht verdient. Nicht nachdem ich ihn abgewiesen hatte. Als ich das dachte, trat ich schleunigst den Rückzug an.

„Ich geh mir mal kurz das Gesicht waschen.“ Gepresst entkamen diese Worte meinem Mund und ich flüchtete. Im Bad sank ich gegen die Tür. Wie sollte ich das nur aushalten?  Mein Herz schlug hart in meiner Brust. Ich fühlte mich genauso von ihm angezogen, wie in der ersten Minute. Warum konnte ich diese Gefühle nicht einfach abstellen? Wenn er mich dann jetzt auch wieder nett behandelte, dann konnte ich alle meine Vorsätze vergessen. Dann wäre es mir irgendwann egal, dass wir beide Männer waren. Eigentlich sollte es mir schon egal sein, denn ändern konnte ich daran sowieso nichts. Eingetrichterte Verhaltensregeln lassen sich aber nicht so schnell überwinden. Wenn ich genau darüber nachdachte, war das auch von meiner Mutter ausgegangen. Wenn ich als Kind geweint hatte, dann hatte sie mich nicht getröstet, sondern immer nur gesagt: „Echte Männer weinen nicht. Wenn du deine Gefühle so offen zeigst, dann wirst du von den anderen Jungs nicht ernst genommen.“ So ein Quatsch. Ich wusste es, doch ich wollte meiner Mutter gefallen und hatte die Tränen unterdrückt. So hatte sie mich mein ganzes Leben geprägt und die Erkenntnis, dass ich auf Männer stand, war nicht nur zutiefst verstörend für mich gewesen, sondern auch unmöglich. Ich hatte mich selbst darauf getrimmt, dass ich das nicht wollte. Ich wollte „normal“ sein. Und warum? Um meiner Mutter zu gefallen? Tja, der Zug war wohl abgefahren. Warum hörte ich immer noch auf ihre Stimme in mir? Warum sollte ich nicht glücklich sein und zwar so, wie ich war? Was war so falsch daran, einen Mann zu lieben und nicht eine Frau? Ich hatte es probiert und es war ein Desaster. Sie sprachen keine Seite in mir an. Nicht so wie Konstantin, dessen Faszination mich von der ersten Sekunde an gefesselt hatte. Sollte ich ihm nicht doch eine Chance geben? Sollte ich es nicht darauf ankommen lassen? Meine Eltern dachten sowieso schon, ich hätte einen Freund. Warum sollte ich daraus keine Wahrheit machen?

Was sollte ich tun? Nachdem ich Konstantin so von mir gestoßen hatte, konnte ich schlecht behaupten, dass ich es mir anders überlegt hatte. Es würde sicherlich schwierig werden. Immerhin war ich soeben auch vor einer harmlosen Berührung von ihm geflüchtet. Am liebsten wäre ich jetzt in mein Zimmer gegangen und hätte in aller Ruhe darüber nachgedacht, aber ich wollte Konstantin ja helfen, die Treppe fertig zu reparieren. Also wusch ich mir das Gesicht. Gegen den Staub in meinen Haaren würde ich erst nachher was unternehmen.

„Da bin ich wieder. Sorry, für eben. Ich wollte nicht weglaufen.“ E registrierte meine Aussage mit einem leichten Nicken. Er wollte sich anscheinend nicht zu meinem eigenartigen Verhalten äußern.

„Was soll ich machen?“ Die neuen Bretter sahen zumindest stabil aus. Dann konnte sich hier wenigstens niemand mehr verletzen.

„Nimm die Holzlasur und dann pinselst du entlang der Maserung.“ Wir saßen nebeneinander. Er pinselte die oberen Bretter und ich die unteren. Ich versuchte ein lockeres Gespräch anzufangen, aber er reagierte nur verschlossen. Es würde ein hartes Stück Arbeit werden. Als wir fertig waren, hatte ich mehr von der Holzlasur auf mir, als auf dem Brett, aber ich war stolz auf mein Werk.

„Ich werde duschen gehen. Ich fühle mich ganz schon schmutzig.“, sagte ich zu Konstantin. Ich wollte noch über meinen Sinneswandel nachdenken und das konnte ich am Besten allein.

Kapitel 12

Kapitel 12

 

Die Dusche hatte wirklich gut getan. Nicht nur, dass ich mich wieder sauber fühlte, mein Kopf war auch klar. Besonders, weil die Ablenkung nicht mehr direkt neben mir stand. Wie sollte ich es nur anstellen, dass Konstantin mir wieder näher kam? Ich hatte mit meiner Aktion ja grandios alles versaut, was hätte sein können, aber ich glaubte nicht das gänzlich Hopfen und Malz verloren war. Immerhin hatte er mich geküsst, die Anziehungskraft schien also auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Allerdings gab es da immer noch das Problem, da er nicht mit mir sprach. Außerdem schien zwischen Philipp und Domenik der Haussegen schief zu hängen. Das Gepolter am Morgen hatte zumindest nichts Gutes zu bedeuten gehabt. Deswegen griff ich in meinem Zimmer erst einmal zum Telefonhörer. Dom abzulenken hatte gleichzeitig den Vorteil, dass ich nicht grübeln konnte. Ich wollte die Sache mit Konstantin lieber langsam angehen lassen, sonst fühlte er sich bestimmt verarscht. Erst will ich nicht und dann schmeiße ich mich ihm an den Hals. Ich bezweifelte, dass das der Weg zum Erfolg war.

Das Fensterbrett knarrte, als ich mich mit einem Kissen darunter gemütlich hinsetzte. Es würde wahrscheinlich ein langes Gespräch werden. Das Freizeichen ertönte ziemlich lange und ich dachte schon, dass Domenik nicht da wäre, weil er sonst keine zwei Sekunden brauchte um abzuheben. Aber dann hörte ich ein verschnupftes „Amsinck. Hallo?“

„Hi Dom, ich bin's Jona.“

„Hi. gibt’s was Wichtiges? Sonst leg ich wieder auf. Mir ist nicht nach Reden.“ Das war ja mal was Neues. Es musste ihm wirklich schlecht gehen. Sonst durfte ich mir seinen Beziehungsstress auch immer anhören.

 „Sag mal, bist du okay? Heute Morgen ist jemand gegen meine Tür geknallt. Philipp hat dich doch nicht verletzt?“ Das hatte sich wirklich böse angehört.

„Nein, nichts ist okay! Körperlich ja, aber bitte sprich den Namen nicht aus. So ein Idiot! Ich konnte überhaupt nichts dafür und es war definitiv gegen meinen Willen, aber der rafft das einfach nicht. Glaubt er denn, ich lasse das jeden dahergelaufenen Kerl mit mir machen? Was denkt er sich überhaupt! Immerhin sind wir keinerlei Verpflichtungen eingegangen. Und ich gehöre ihm nicht!“ Hä? Ich verstand nur Bahnhof.

„Du Dom. Kannst du ein bisschen weiter ausholen und mir überhaupt erst mal erklären, was passiert ist?“ Von wegen, er wollte mit niemandem reden. Diesen Redeschwall zu unterbrechen, war schon eine Kunst.

„Am Besten von vorn.“ Ich versuchte meine Stimme möglichst neutral klingen zu lassen, sonst hatte ich gleich ein heulendes Elend an der Strippe und das würde ich keine fünf Minuten ertragen.

„Nun ja... Gestern Abend waren wir noch aus und wir haben blöderweise Kevin getroffen. An Kevin erinnerst du dich?“ Und ob ich das tat. Es waren keine angenehmen Erinnerungen, die ich mit ihm verband. Er war ein arrogantes, selbstverliebtes Arschloch, dem es Spaß gemacht hatte, mit den Gefühlen von Dom zu spielen und gewissermaßen für sein verzerrtes Eigenbild verantwortlich war. Der 2 Meter große dunkelhaarige Schönling nahm im Prinzip alles, was nicht bei drei auf dem Baum war und Domenik war blind genug gewesen, auf sein Süßholzgeraspel hereinzufallen.

„Natürlich erinnere ich mich an ihn. Du kennst meine Meinung dazu.“ Mir fielen jede Menge beleidigender Worte für Kevin ein, die ich an dieser Stelle jedoch nicht äußern würde.

„Tja, er hat sich kein bisschen verändert. Scheiße, wie bin ich nur in diese Situation geraten? Gerade war es noch so schön, ich hab mit Philipp getanzt. Und wie er tanzen kann! Ich sag dir, das ist soooo sexy. Wir haben also gerade getanzt, da klopft jemand auf meine Schulter und ich habe mich umgedreht und im nächsten Moment habe ich fremde Lippen auf meinen. Naja nicht ganz fremd, aber … Hallo!? Was küsst der mich einfach? Vor allem vor Philipp?! Es war doch offensichtlich, dass wir zusammen da waren. Alles wegschubsen hat auch nicht geholfen, der hat einfach weitergemacht!“

Wenn Domenik einmal im Wutrausch war, konnte ihn nichts mehr aufhalten. Er beschrieb mir ein Szenario, dass dümmer nicht hätte ablaufen können. Immerhin hatte er versucht sich loszureißen, aber ein 1,70 großer Mann hatte gegen ein solchen Hünen natürlich kaum eine Chance. Philipp war wohl drauf und dran gewesen, Kevin eine reinzuhauen, konnte sich aber im letzten Moment zurückhalten. Zusammen hatten sie die Disco verlassen und Philipp hatte Dom mit Vorwürfen überhäuft. Aber Dom verteidigte sich nicht gerne und schon gar nicht, wenn er nichts gemacht hatte, also hatte er geschwiegen und Philipp dadurch nur noch mehr provoziert. Im Endeffekt hatte Dom Philipp zwar nach Hause begleitet, aber anscheinend herrschte seitdem Funkstille. Das war zumindest das, was  ich Doms Redeschwall entnehmen konnte.

„Und nun? Du magst ihn doch? Willst du es so enden lassen?“, fragte ich vorsichtig.

„Ich werde mich nicht entschuldigen! Ich habe immerhin nichts gemacht. Verdammt, wenn Kevin nicht aufgetaucht wäre, dann wäre das der schönste Abend bisher geworden. Philipp sieht zwar nicht so aus, aber er scheint eher von der vorsichtigen Sorte zu sein. Immer heißt es: Lass es uns langsam angehen. Pah! Entweder er mag mich oder nicht. Alles dazwischen ist doch nur ein lausiger Versuch sich einzureden, dass er vielleicht doch nicht auf Männer steht. Und diesen Status können wir ja nicht ewig aufrecht erhalten.“ Das ging mir jetzt wieder zu schnell.

„Was für ein Status? Habt ihr eine Vereinbarung oder so was?“

„Nun ja...also...wir sind nicht so richtig zusammen... Ähm...ich hab ihn mehr oder weniger dazu gedrängt und er hat gesagt, wir können es mal probieren. Aber genau aus diesem Grund, darf er mich erst recht nicht verurteilen. So eine Heuchelei. Ist eifersüchtig, will aber nicht offiziell mein Freund sein.“ Daher wehte also der Wind. Da hatte Dom schon so einen Süßen wie Philipp am Haken und wollte ihn natürlich gleich für sich allein.

„Ich glaube, der beruhigt sich schon wieder. Sei doch froh, dass er eifersüchtig ist, das zeigt immerhin, dass ihm wirklich etwas an dir liegt und du nicht nur ein Versuchskaninchen für seine sexuelle Orientierung bist. Denk dran, dass das für ihn noch alles neu ist und lass ihm die Zeit, die er braucht.“

„Du musste gerade reden. Wie weit bist du eigentlich mit deinem Angebeteten?“ Der abrupte Themenwechsel überfuhr mich.

„Hm?“

„Konstantin! Hast du es ihm schon gesagt? Das letzte Mal hast du mir ja gedroht, wenn ich auch nur ein Sterbenswörtchen sage. Deshalb musste ich es ja dir emotionalem Krüppel überlassen, ihn dir zu schnappen.“

„Sag mal, hast du Lust einen schmerzhaften Tod zu erleiden? Was heißt hier emotionaler Krüppel? Ich komme mit der Sache mit Konstantin besser klar, als du mit Philipp.“

Diese kleine Notlüge sei mir verziehen.

„Irgendwie glaube ich dir nicht. Du klingst immer so komisch, wenn du mir eine Lüge erzählst.“ Ich verdrehte die Augen und setzte mich bequemer auf den Fenstersims.

„Wie kommst du nur darauf? Welchen Grund hätte ich denn, dich zu belügen? Wenn du am Wochenende kommst, dann kannst du es ja mit eigenen Augen sehen.“ Ich musste die Lüge nur zur Wahrheit machen. Kinderspiel. Fast hätte ich hysterisch aufgelacht. Ich hatte nicht mal ansatzweise einen Plan und hatte mich erfolgreich in diese Zwickmühle gebracht. Entweder ich raufte mich zusammen und ging auf Konstantin zu oder Domenik würde  mich auffliegen lassen und das wäre mir viel zu peinlich.

„Abgemacht!“ Ich sah sein Grinsen direkt vor mir. Er glaubte mir kein Wort.

„Ich werde mal kurz nach unten gehen. Mir was zu trinken holen.“

„Okay. Ich muss noch mit meinen Eltern telefonieren, mein Vater hat nächste Woche Geburtstag. Danke, dass du mich aufgemuntert hast. Philipp soll sich nicht so haben, aber ich werde versuchen, deinen Rat zu beherzigen. Vielleicht hast du Recht und ich bin wirklich zu forsch gewesen.“ Oh Gott, ein Dom, der seine Fehler eingestand, war mir unheimlich.

„Gut, mach das. Also bis dann.“

„Ciao.“ Damit legten wir auf und ich watschelte in die Küche. Deutlich ruhiger als beim Frühstück bekam ich auch keinen Fast-Herzinfarkt, als Konstantin mit freiem Oberkörper an mir vorbei in den Kühlschrank griff, um sich ein gekühltes Wasser zu nehmen. Mit tiefen Schlucken hatte er die Flasche in Sekunden geleert und ich starrte ihn unverhohlen an. Alles an ihm erinnerte mich an eine elegante Raubkatze. Die fein definierten Muskeln spielten ihr verführerisches Spiel mit meinen Gedanken und ich riss mich arg zusammen, sie nicht zu berühren. Dass mein Unterkiefer sich nicht wieder schloss, war schon peinlich genug. Mensch, Jona! Konstantin war doch keine Süßigkeit, die du vernaschen darfst. Das Wetter draußen war so schön, dass ich beschloss, mich ein wenig an der frischen Luft abzukühlen und meinen Hormonhaushalt wieder in Ordnung zu bringen.

Ohne ein weiteres Wort zu meinem Ausrutscher ging ich mit meiner Tasse Kaffee auf die Terrasse und atmete erst einmal tief durch. Doch als ob er mich verfolgen würde, ging auch Konstantin nach draußen und ich hatte das Vergnügen, ihn im goldenen Sonnenlicht zu sehen. Die zart gebräunte Haut fachte gleich wieder Begierde in mir an und ich unterdrückte den Impuls, ihn einfach anzuspringen und mir zu nehmen, was ich wollte. Jona, jetzt kommt der Moment der Wahrheit, du musst dafür sorgen, dass er sich so wie vorher benahm und noch besser, dass er sich genauso in dich verliebte, wie du dich in ihn. Bei dem Gedanken runzelte ich die Stirn.

Das war erstaunlich leicht gewesen. Verliebt. Ich ließ das Wort noch einmal auf meiner Zunge rollen. Verliebt. Ja, es fühlte sich richtig an und strafte Doms Aussage von vorhin Lügen. Ich war also kein emotionaler Krüppel, ich brauchte nur etwas länger.

„Konstantin? Soll ich dir helfen?“ Angriff war die beste Verteidigung. Na okay. Hinterrücks anschleichen und den Feind von innen besiegen, traf es wohl eher.

„Wenn du willst.“, kam die brummige Antwort.

„Was soll ich machen?“ Er trug mir auf, die Bretter, die er zurecht sägen wollte, zu holen und gegebenenfalls festzuhalten. Kein schwere Aufgabe. Nur, dass ich bei der ganzen Schlepperei natürlich mächtig ins Schwitzen kam. Es dauerte nicht lange und ich wusste, warum Konstantin mit freiem Oberkörper hier draußen stand. Kurzerhand entledigte ich mich auch meines Shirts und sah nur aus dem Augenwinkel, wie Konstantin seine Arbeit unterbrach. Wenn ich irgendwann mal einen Zweifel gehabt hatte, dass er nicht auf mich stehen würde, dann war er in diesem Moment ausgeräumt. Dieses Verlangen in den Augen konnte man nicht spielen und mir lief unwillkürlich ein Schauer über den ganzen Körper. Dieses Feuer war so intensiv, dass ich befürchtete zu verbrennen, wenn ich ihm nicht nachgab. Langsam ging ich auf ihn zu und setzte ruhig meine Arbeit fort.

Ich hörte ihn hart schlucken, doch auch er widmete sich wieder seine Säge, wenn auch nicht mehr ganz so zielstrebig.

„Nächstes Wochenende kommt Domenik und übernachtet hier. Nur, damit du Bescheid weißt.“

„In Ordnung.“ Wortkarg wie immer.

„Was willst du eigentlich mit diesen ganzen Brettern machen?“ Smalltalk zweiter Versuch.

„Die einen sind für die morschen Dielenbretter. Die anderen möchte ich verwenden, um beim Weiler einen Steg zu bauen.“ Seine Augen zuckten kurz zu mir und sahen sofort wieder weg, als ob er es nicht ertragen würde, mich anzusehen. Fein. Dann ärgern wir dich mal ein bisschen

„Gehört der Weiler noch zu dem Grundstück? Dann brauche ich ja keine Scheu zu haben und kann nach Lust und Laune baden gehen.“ Ich grinste ihn an und zögerlich erwiderte er mein Lächeln. Ob er merkte, dass etwas anders war?

„Dank Sammy bin ich total verspannt. Sie nimmt immer das gesamte Bett ein, wenn sie bei mir übernachtet.“ Oh, oh. Das war wohl das falsche Thema, denn seine Augenbrauen hatten sich wieder bedrohlich zusammengezogen. Stimmt ja, er war eifersüchtig auf meine Beziehung zu Sammy. Dabei konnte sie nicht harmloser sein.

„Mach nicht so ein Gesicht! Wir sind nur befreundet, alles platonisch und geschwisterlich. Ich würde erstens nie etwas mit meiner besten Freundin anfangen und noch dazu sind Mädchen eh nicht so mein Ding. Das müsste doch langsam mal klar sein.“ Für meine Verhältnisse war das schon sehr ausführlich gewesen und Konstantin schien es auch die Sprache verschlagen zu haben, denn er schaute mich nur entgeistert an. War es doch zu viel auf einmal gewesen?

Ich rollte meine Schulter, denn mit der Verspannung hatte ich nicht gelogen. Sammy war ein elender Deckendieb und Platzmopser.

„Au.“ Ich jammerte leise vor mich hin und streckte meine Arme über den Kopf. Ein Stückchen links, ein Stückchen rechts und ich hatte Konstantin volle Aufmerksamkeit. Das war genau der richtige Moment, um wegzugehen und ihn im Ungewissen zu lassen.

„Ich werde die Bretter dann schon mal zum Wasser tragen, die du schon fertig hast.“ Ein stummes Nicken und eine Deutung in Richtung Pfeiler waren die einzige Antwort, die ich darauf bekam. Er ließ sich absolut nicht in die Karten schauen. Hatte er mein Spiel durchschaut? Bis auf seine Augen verriet ihn nichts. Als ich mich umdrehte und zum Wasser ging, fuhr sich der dunkelhaarige Mann über die Lippen und entließ langsam die angehaltene Luft. Sanften Schrittes folgte er mir, mit mehreren Brettern beladen.

Als ich an dem Weiler ankam, war ich ganz schön außer Atem. Die Dinger waren deutlich schwerer, als sie aussahen und ich keuchte vor Anstrengung. An diesem Ort schien die Zeit still zu stehen und ich fand es ein bisschen schade, die Natur nicht so zu belassen, wie sie war.

„Es ist schön hier, nicht wahr? Es hat so etwas Beruhigendes.“ Vor Schreck hätte ich beinahe die Pfeiler auf meine Füße fallen gelassen. Er hatte sich angeschlichen und mich mit Absicht erschreckt, soviel stand fest.

„Ja, es ist schön. Wozu brauchen wir einen Steg? Ist der nicht überflüssig?“ Ich versuchte ganz normal zu atmen und mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr er mich aus der Fassung gebracht hatte.

„Ich möchte ein Ruderboot vertäuen und das geht mit einem Steg einfach besser. Dann können wir in der Mitte des Sees entspannen. Hilfst du mir mal kurz. Die langen Pfeiler müssen zuerst rein.“ Er entledigte sich seiner Hose und ich drehte mich blitzschnell weg. Er würde doch nicht etwa?

„Kommst du?“ Verstohlen sah ich auf seine Klamotten. Gut, die Unterhose hatte er anbehalten. Das hätte ich nicht überlebt. Die Situation war auch so schon verfänglich genug.

„Ich hab meine Badeshorts nicht mitgebracht.“ Selbst in meinen Ohren klang dieser Satz dämlich.

„Egal. Komm einfach rein. Der Pfeiler ist wirklich schwer.“ Wenn er wüsste, was er mit mir anstellt, dann würde er mich nicht so leichtfertig einladen, zu ihm ins Wasser zu kommen. Das Wasser perlte über seinen schönen Körper und ich konnte mich gar nicht satt sehen. Schnell zog ich meine Hose aus und hastete zum Ufer.

Langsam watete ich zu ihm in das eiskalte Wasser. Seit meinem letzten Besuch hier, war es vielleicht zwei Grad wärmer geworden, aber das reichte noch nicht, um als angenehme Badetemperatur zu gelten. Das Froschgequake im Hintergrund zeigte deutlich in welch abgelegener Ecke wir uns befanden. In der Stadt war dieses Geräusch äußerst selten, aber hier schien sich ein ganzer Froschchor zu befinden.

„Du hältst hier fest, ich muss noch den Akkubohrer holen.“ Na toll, immer lass mich mit dem schweren Pfeiler im Schlamm allein. Frustriert genoss ich seine Rückansicht und vor allem die sehr nasse Hose, die hauteng an seinem Hinterteil klebte. Ja, eine wirklich schöne Aussicht. Abwesend wurde ich immer weiter nach hinten gezogen, bis der Pfeiler drohte umzukippen. Ich musste meine ganze Kraft aufwenden, um das Ding zu halten und schluckte einiges an Seewasser. Igitt.

Er kam mit dem Bohrer und zwei Handtüchern zurück, die ich dankbar anstarrte.

„Es kann weitergehen.“

Der Steg nahm langsam Gestalt an und ich unterhielt mich mit ihm über unsere Studiengänge. Als er erzählte, dass seine Eltern demnächst zu Besuch kommen würden, wurde mein Gesicht eine starre Maske. Mit meinen Erzeugern würde ich so schnell kein Wort mehr wechseln.

„Meine Mutter ist eine liebe Frau, aber leider versucht sie mich immer wieder zu verkuppeln. Dummerweise kann ich ihr nichts abschlagen, aber in diesem Punkt werde ich standhaft bleiben. Sie kann mir noch so viele Frauen vorstellen, sie interessieren mich nicht.“ Dabei warf er mir einen verschmitzten Blick zu. Wann hatte er den Spieß umgedreht? Anstatt mich weiterhin mit Schweigen zu strafen, öffnete er sich mir, als ob es die Szene in der Küche nie gegeben hätte. Die Stimmung war regelrecht ausgelassen und ich fühlte mich so wohl in seiner Nähe, dass ich es genoss. Ich würde es so lange in mich aufsaugen, bis er wieder seiner Sinne gewahr wurde und sich daran erinnerte, dass ich ihn abgewiesen hatte. Oder tat er jetzt wieder so, als ob wir Freunde wären? Das war mir aber nicht mehr genug! Ich wollte ihn, mit Haut und Haar und dass er erzählte, dass seine Mutter ihn verkuppeln wollte, ließ dieses Gefühl nicht weniger werden.

„Mein Vater hält sich aus der ganzen Sache raus. Ich glaube, er hat verstanden, warum ich nie auf die Avancen der Frauen eingegangen bin, ohne dass ich ihm etwas hätte erklären müssen. Da kann ich wirklich nur von Glück reden. Meine Mutter, keine Ahnung, wie sie es aufnehmen würde.“

Mir wurde ganz mulmig, als ich an die Reaktion meiner Mutter dachte. Nein, da war wohl Hopfen und Malz verloren. Konstantins braune Augen beobachteten mich und wie ich auf seine Aussage reagierte. Sollte es mich jetzt schockieren, dass er sich mir gegenüber geoutet hatte? Das war schon seit längerem klar. Aber nun hatte ich die Gewissheit, dass es nicht nur ein Versehen gewesen war.

„Seit wann weißt du es? Wann ist...es hm...dir zum ersten Mal klar geworden?“ Wenn er schon so offen zu mir war, musste ich diese sentimentale Phase ausnutzen. Noch nie hatte er soviel am Stück mit mir gesprochen. Ich hatte zwar immer noch das Gefühl, dass er den Spieß umgedreht hatte, aber das sollte mir nur recht sein.

„Mit 14? So in dem Alter. Ich konnte irgendwann beim Sportunterricht die Augen nicht mehr von den anderen Jungs lassen. Aber es hat lange gedauert, bis ich mich mit meiner Neigung angefreundet hatte. Seitdem ich es jedoch akzeptiere, komme ich viel besser mit mir klar. Und du?“ Verdammt, warum hatte ich gefragt?

„Ähm, noch nicht so lange...erst seit ich 17 war. Aber ich hatte...habe... immer noch Probleme damit. Also bitte erzähl es keinem.“ Das ließ ihn das Gesicht verziehen, aber in diesem Punkt würde ich hart bleiben. Ich wollte es nicht in die Welt hinausposaunen, würde es aber auch nicht mehr verstecken. Aber er schien das anders aufgefasst zu haben.

„Meine Mutter ist leider überhaupt nicht verständnisvoll damit umgegangen. Deshalb wollte ich es auch niemandem sagen. Und ehrlich gesagt, habe ich es viele Jahre für unnatürlich und eklig gehalten, dass ich so bin, aber ich kann eh nichts daran ändern.“ Ein schiefes Lächeln schlich sich auf meine Lippen und Konstantin hatte soeben das letzte Brett befestigt.

„Das ist nicht unnatürlich und eklig, erst recht nicht.“ Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er mittlerweile dicht hinter mir stand und drehte mich langsam zu der sanften Stimme um. Das war so ganz anders, als das letzte Mal. Er raunte mir ins Ohr.

„Ich finde dich genau richtig.“ Ehe ich es richtig begriffen hatte, senkten sich seine weichen Lippen auf meine. Es war als ob in mir ein Feuer entzündet wurde, dass nun hell aufloderte. Alle Gefühle, die ich das letzte Mal vermisst hatte, überrollten mich mit einer Intensität, dass ich hilflos die Augen schloss und mich ihnen ergab. Der Kuss war zärtlich und enthielt mehr eine Frage, denn Aufforderung und ich begriff, dass ich derjenige war, der diesmal auf ihn zukommen musste. Mehr als das würde er mir nicht entgegenkommen. Ich konnte seine Angst noch einmal abgewiesen zu werden auch sehr gut nachvollziehen. Doch dieses Mal brauchte er keine Furcht zu haben und das zeigte ich ihm mit aller Leidenschaft, derer ich fähig war. Fest erwiderte ich die Bewegung seiner Lippen und er unterdrückte ein Keuchen. Er war alles, was ich je ersehnt hatte und soviel mehr. Meine Zunge drängte sich zwischen seine Lippen, aber daraufhin übernahm er das Ruder. Hart presste er mich im Wasser an sich. Unsere durch das Wasser kalten Körper waren innen umso mehr erhitzt, je länger der Kuss andauerte. Seine Hand fuhr in meinen Nacken und spielte mit den feinen Härchen, sodass sich Gänsehaut auf meinen Armen bildete.

Immer drängender forderte seine Zunge meine heraus und ich hatte Mühe mich nicht völlig zu vergessen. Das war besser als alles, was ich je erlebt hatte. Seine Hände umklammerten meine Oberarme, als ob er sie nie mehr loslassen wollte. Oder für den Fall, dass ich wieder flüchtete. Doch das lag mir fern  Ich hätte ewig so stehen können. Seine weichen Lippen genießen, ihn erforschen, so wie er es mit mir machte. Seine rechte Hand war auf Wanderschaft gegangen, ohne den Kuss auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Nur seine beschleunigte Atmung verriet, dass ihn das Ganze hier nicht kalt ließ. Ansonsten war ich der Einzige, der komische atemlose Geräusche von sich gab. Seine Finger machten mich irre, denn sie fuhren über meinen Rücken, über mein Schlüsselbein. Ertasteten jeden Zentimeter Haut, derer sie habhaft werden konnten.

Zaghaft berührte ich die Haut an seinem Hals und bot ihm erregt meinen Hals dar.

Nachdem er meine Lippen halb wund geküsst hatte, wandte er sich diesem zu. Fuhr mein Schlüsselbein nach, knabberte zärtlich an meinem Ohr und jagte mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Das war kein Feuerwerk, keine Explosion, sondern eine Supernova. Genau so hatte ich es mir vorgestellt. Mein Kopf war wie leergefegt und erst mein Zähneklappern riss uns beide zurück in die Wirklichkeit. Dabei wäre es mir egal gewesen in seinen Armen zu erfrieren. Ich schüttelte meinen Kopf um wieder ein bisschen klarer zu sehen. Wenn das so weiter ging, würde ich ihm hier und jetzt alles geben, was er wollte. Aber so war das eigentlich nicht gedacht gewesen. Hatte mein Plan nicht eigentlich ganz anders ausgesehen? Warum hatte ich das Gefühl, ich wäre soeben nach Strich und Faden verführt worden? Nur das Leuchten in Konstantins Augen hielt mich davon ab, ihm ein Komplott zu unterstellen.

„Wir sollten aus dem Wasser. Ich habe vorhin Handtücher mitgebracht.“ Seine Stimme klang rau und zeigte, dass er unseren Kuss nicht unbeschadet überstanden hatte. Zum Glück war das Wasser so kalt, dass jegliche verdorbene Gedanken sofort wieder erfroren. Deshalb konnten wir uns aus dem Wasser begeben ohne die Peinlichkeit einer gespannten Hose. Bibbernd ließ ich mich ins Gras fallen und schlang das Handtuch um mich. Die Sonnenstrahlen waren glücklicherweise warm genug, um die Kälte schnell aus unseren Knochen zu vertreiben.

 

Kapitel 13

Kapitel 13

 

 

„Sollen wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“ Anstatt eine Antwort abzuwarten, legten sich wieder warme Lippen auf meine und ich musste mich arg zusammenreißen, um nicht sofort darauf einzugehen. Als ich ihn wegschob, funkelte er mich aus seinen unglaublichen Augen an.

„Tu mir das nicht schon wieder an. Bitte.“ Sein Ton war so verzweifelt, dass ich mich fragte, wie er je wieder Vertrauen in mich haben könnte, wenn diese kleine Unterbrechung schon für so einen Ausdruck auf seinem Gesicht sorgte.

„Wir müssen reden. Ich sollte dir vielleicht meine Reaktion von damals erklären.“ Die Erleichterung, die sich auf seinem Gesicht ausbreitete, brachte mich zum Lachen, doch ich musste mich jetzt zusammennehmen. Wenn ich es ihm jetzt nicht erklärte, würde der Mut mich wahrscheinlich für immer verlassen und es würde ewig zwischen und stehen.

„Es ist nicht einfach für mich, das zuzugeben, aber…ich …bin ein Riesenfeigling.“ Ich seufzte und setzte mich in seinen Armen bequemer hin. Ich wollte ihm gern ins Gesicht schauen, doch ich fühlte mich immer noch wie ein Idiot. Deswegen musste es mir genügen, seine Wärme zu spüren und aus seiner Nähe die Kraft zu schöpfen weiter zu sprechen.

„Mein ganzes Leben bin ich entweder vor mir selbst weggerannt oder ich habe mich den Wünschen und den Vorstellungen meiner Familie, besonders meiner Mutter untergeordnet. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll. Also erzählte ich ihm die ganze unschöne Wahrheit. Mein liebloses Elternhaus hatte tiefe Spuren hinterlassen und ich strampelte mich heute ab, um mit den Folgen klarzukommen. Konstantin hörte aufmerksam zu und unterbrach mich nicht. Zwischendurch lehnte ich mich immer wieder Halt suchend an ihn und sprach immer weiter. Es war als wäre ein Damm gebrochen, der all die angestaute Wut der Jahre in mir aufgehalten hatte und nun endlich geplatzt wäre. Mitten in meinem Monolog find er an, mir sachte über die Arme zu streichen, das sollte sicherlich beruhigend wirken. Die Gänsehaut, die sich auf meinen Armen bildete, war angenehm, aber sie lenkte mich ganz schön ab. Deshalb rückte ich wieder ein Stück ab und sah ihm in die Augen. Dies war der schwierigste Teil und ich durfte es nicht vermasseln. Also holte ich tief Luft und hielt sie an. Ich glaubte, an den Worten ersticken zu müssen. Wenn ich es aussprach, gab es keinen Weg zurück. Konstantin würde mir nicht noch eine Chance geben und ich hätte sie auch nicht verdient. Doch der Blick in seine schönen braunen Augen bestätigte mir nur, was ich schon lange wusste und nicht mehr leugnen konnte, wollte. Dass er meine große Liebe war. Und das musste ich ihm endlich sagen.

„Als ich erkannt habe, dass ich sch...schwul war, da war es für mich, als würde eine Welt zerbrechen. Du verstehst vielleicht ein bisschen, wie ich mich gefühlt habe. Innerlich zerrissen. Wenn man nicht so sein kann, wie man gerne möchte, dann ist das…hart.“ Ich schluckte den Kloß in meiner Kehle runter.

An dem Tag...tja...ich wollte dich...die ganze Zeit. Aber ich habe es mir nicht erlaubt. Habe mir einfach nicht erlaubt, in dich ver…verliebt zu sein. Ich hielt es selbst lange Zeit für unnatürlich. Jahrelange Erziehung kann man nicht einfach mal so ausblenden. Außerdem wollte ich nicht so sein. Ich sehe doch, wie schwer es Homosexuelle immer noch haben. Ich wollte einfach nicht dazugehören. Schon gar nicht unter diesen Umständen.“ Ich sah in seinen Augen immer noch keine Regung, nur ein wenig Neugier.

„Meine Familie ist leider nicht so nett. Sie werden das nie verstehen. Meine Mutter … da ist der Zug abgefahren. Meine kleine Schwester hasst mich mittlerweile erst recht. Sie werden das… uns nie akzeptieren, da bin ich mir sicher. Meinen Vater kann ich nicht mehr einschätzen. Meine große Schwester ist die einzige, der ich vertraue und sie ist wirklich sehr nett und verständnisvoll.“ Da er immer noch nichts sagte, wartete er anscheinend noch auf etwas. Stockend kam ich zu der Einsicht, dass er vielleicht immer noch Zweifel hatte. Immerhin hatte das eben nicht nach „Ich will mit dir zusammen sein, egal was andere sagen“ geklungen.

„Ich bin lange Zeit davongelaufen. Habe mir vieles versagt, nur um nicht aufzufallen. Um nicht noch mehr Schwierigkeiten zu machen, als sowieso schon. Ich habe erst erkannt, wie sehr mir etwas fehlt, als … nun ja … ich dich sah.“ Jetzt war es raus.

„Diese Faszination, die du in mir ausgelöst hast vom ersten Augenblick, hat mich gefesselt. Ich wusste nicht, warum ich auf einen Fremden so reagierte. Du siehst umwerfend aus, aber das erklärte nicht, warum ich alles über dich wissen wollte. Warum ich alles, was mit dir zu tun hatte, im Gedächtnis behielt und nicht vergessen konnte. Warum es mich anmachte, dir beim Lesen, Schreiben, Schlafen, zuzusehen. Warum es wehtat, dich nicht zu berühren zu können, wann immer ich es wollte. Ich wollte dich, schon seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Doch ich war zu feige, es mir zu erlauben. Dass ich dich dabei verletzt habe, tut mir immer noch unendlich Leid. Ich laufe nicht mehr davon. Alles, was ich immer wollte, ist gerade bei mir. Ich dachte, ich würde eine Freundschaft zerstören, wenn du merken würdest, wie sehr ich dich mochte. Deswegen habe ich abgeblockt. Doch als ich merkte, dass ich nicht nur mit dir befreundet sein will und du mich missachtet hast, da dachte ich, es wäre zu spät.“ Ich war zum Ende hin leiser geworden. Meine Stimme fast nur noch ein Flüstern.

„Es ist nie zu spät.“ Mit diesen Worten grinste er mich an und ich fiel lachend in seine Arme. Ich hätte vor Glück heulen können. Doch ich begnügte mich, meine Lippen fordernd auf seine zu drücken und wir versanken in einem tiefen Kuss. Seine weichen Lippen drängten sich mir auf und ich konnte nicht sagen, dass ich etwas dagegen einzuwenden gehabt hätte. Ich hatte eher Mühe, mich zu beherrschen. Zu lange hatte ich hierauf gewartet. Als seine Zunge die Konturen meiner Lippen erkundete, erschauerte mein ganzer Körper. Meine Ungezieferplage war auch wieder da, aber diesmal fand ich die krabbelnden Ameisen sehr angenehm. Langsam arbeitete er sich über mein Gesicht, erforschte jeden Zentimeter Haut, den er finden konnte und brachte mich fast dazu den Verstand zu verlieren. Das war nicht genug. Ich wollte mehr. Mit meinen Händen fuhr ich über seinen Oberkörper. Spürte die seidenweiche Haut, die ich bisher nur von weitem bewundert und nach der ich mich verzehrt hatte. Seine Atmung ging schneller und ich erkannte, dass er genauso angespannt war, wie ich. Wenn wir nicht sofort einen Gang runterschalteten, dann wäre mir gleich alles egal. Also beschränkte ich mich darauf, ihn sanft zu streicheln und zu liebkosen. Jede Stelle, die ich nur federleicht berührte, zierte danach eine Gänsehaut. Wir waren unbemerkt auf der Decke nach hinten gesunken, sodass ich nun halb auf ihm lag.

Halb döste ich, während ich Muster auf seinen flachen Bauch malte, bis mich eine Frage aus meiner Träumerei herausriss.

„Nun, da ich niemandem erzählen soll, dass du schwul bist, wie hast du dir das vorgestellt? Ich werde keine Versteckspiele mitmachen.“  Sein Tonfall klang entschlossen. Ich hatte es ja gewusst, dass er ausgerechnet das in den falschen Hals kriegen würde. Das ich ihn absichtlich abgeblockt hatte, schien zum Glück schon vergeben zu sein.

„So meinte ich das nicht. Ich werde es nur nicht überall herausposaunen, aber wenn einer fragt, werde ich bestimmt nicht lügen.“ Ich boxte ihn die Seite.

„Meine Familie weiß bereits, dass ich einen Freund habe. Ich hab doch gesagt, sie haben es nicht so gut aufgenommen.“ Verlegen ließ ich den Kopf hängen.

„Also gut, mein Freund.“ Es hörte sich an, als würde er das Wort auf der Zunge zergehen lassen. „Dann kannst du dich schon mal darauf vorbereiten, es meiner Familie nächstes Wochenende zu erzählen. Die werden das schon ganz gut verkraften.“ Sein schelmisches Grinsen sagte mir, dass nun wirklich alles zwischen uns so war, wie es sein sollte. Zufrieden kuschelte ich mich in seine Arme. Der Gedanke an seine Eltern machte mich mehr nervös, als ich es hätte zugeben wollen. Aber ihm lag sehr viel an seiner Familie und ich konnte ich mich schlecht drücken. Immerhin hatte ich versprochen, nicht mehr wegzulaufen. Auch wenn diese neue Situation in mir noch ein mulmiges Gefühl hinterließ.

 

Wir waren so sehr in unsere Zweisamkeit vertieft, dass wir nicht bemerkten, dass wir Gesellschaft bekommen hatten. Äußerst schlecht gelaunte.

„Haben die zwei Turteltauben endlich zueinander gefunden? Freut mich für euch. Hat jemand Philipp gesehen? Ich hab da noch ein Hühnchen zu rupfen.“ Also hatte er Philipps Ausraster doch nicht vergeben.

„Nein, haben wir nicht, aber wenn du so zu ihm gehst, dann bringt das gar nichts. Setz dich zu uns.“ Ich klopfte einladend auf die Decke. Vorbei war die schöne Zweisamkeit, aber so ging das nicht. Dom mit dieser Laune auf Philipp loszulassen, wäre mehr als dumm. Mit seinem frechen Mundwerk hätte er binnen kürzester Zeit alles kaputt gemacht. Brummelnd ließ er sich am Rand nieder und starrte böse das Gras an.

„Dom. Ich weiß, dass du nichts dafür kannst, aber hast du mal vernünftig mit Philipp geredet?“ Ich versuchte die Frage vorsichtig zu formulieren, aber Dom zog trotzdem bedrohlich die Augenbrauen zusammen. Er fuhr sich mit der Hand durch den dunklen Haarschopf und zerstörte dabei seine perfekt arrangierte Frisur. Die Schatten unter seinen Augen sprachen für sich.

„Ich bin vernünftig! Er ist es, der sich wie ein Kind aufführt. Ich konnte doch nichts dafür! Als ob ich den Arsch je wieder an mich ranlassen würde.“ Konstantins Gesicht musste Verwirrung ausgedrückt haben und mir fiel wieder ein, dass er ja nicht wirklich wusste, was passiert war.

„Kevin – mein Arschex – hat mich vor Philipps Augen geküsst. Er ist eifersüchtig, will es aber nicht zugeben. Stellt mich jetzt mehr oder weniger als Flittchen dar und ich hab jetzt den Salat, weil ich mich auf diese blöde Abmachung eingelassen habe. Das war die Kurzfassung. Und ich kann dir sagen, wenn ich wüsste, was für ein Problem er hat, würde es das wesentlich einfacher machen. Immerhin wollte er nicht richtig mit mir zusammen sein. Pah. Auf Probe, lachhaft. Mach ich nie wieder. Bevor er nicht bei mir zu Kreuze gekrochen ist und sich entschuldigt hat, kann er mich mal. Aber vorher geig ich ihm noch mal die Meinung, also wo ist er?“ Konstantin und ich zuckten gleichzeitig mit den Schultern.

„Du solltest abwarten. Philipp beruhigt sich in der Regel schnell wieder. Leider ist er immer viel zu schnell auf 180, wenn ihm jemand wirklich etwas bedeutet. Versuch zu verstehen, dass das noch alles neu für ihn ist und er sich deiner eben auch nicht so sicher ist. Besonders nicht, wenn ihr so eine verblödete Abmachung getroffen habt. Das war seine Idee oder? Immer ein Hintertürchen. Lass ihm etwas Zeit. Wenn er sich nach einer Woche nicht beruhigt hat, dann kannst du ihm immer noch die Hölle heiß machen. Zeig ihm, wie ernst es dir ist.“ Konstantin war toll. Er schien die richtigen Worte gefunden zu haben, damit Dom ein wenig besser drauf war.

„Ich lass euch mal wieder alleine. Eine Woche. Länger halte ich das nicht aus.“ Er verabschiedete sich von uns und ich sah ihm zweifelnd hinterher. Das würde noch ein Nachspiel haben, da war ich mir sicher. Die gute Stimmung von vorher war verflogen und es wurde auch langsam kalt. Deswegen packten wir wieder alles zusammen und machten uns auf den Heimweg. Hand in Hand, was mich ein bisschen verlegen machte, aber trotzdem ein tolles Gefühl war. Ich machte mir Sorgen wegen Dom und auch wegen Sammy und Ben. Irgendwie schien es ausnahmsweise mal nur für mich gut zu laufen. Das stimmte mich einerseits froh und andererseits natürlich traurig. Ich konnte mein Glück nicht so richtig genießen und war den Rest des Abends relativ still. Konstantin merkte anscheinend, dass ich in Gedanken versunken war und so kuschelten wir am Abend auf der Couch und unterhielten uns über Belanglosigkeiten. Philipp kann nach Hause, doch so hatte ich ihn noch nie gesehen. Es war als würden wir einen Schatten sehen. Nicht zu vergleichen, mit der Furie, die Dom noch gegen die Zimmertür gedrückt hatte. Ob es wirklich etwas brachte, abzuwarten? Ich hatte da so meine Zweifel, aber ich war nun wirklich kein Beziehungsexperte.

 

Kapitel 14

Kapitel 14

 

Er war perfekt. Wenn ich aufstand, stand das Frühstück bereit, das hatte er auch vorher schon gemacht. Aber er half Philipp auch geduldig bei seinen Vorbereitungen für das Abitur, denn dieser konnte sich seit der Sache mit Dom anscheinend nicht mehr richtig konzentrieren. Konstantin wartete nach der Uni auf mich, obwohl seine Vorlesungen oft schon viel früher beendet waren als meine. Er behauptete dann, dass er so Gelegenheit hätte, sich in der Bibliothek nach neuem Stoff

umzusehen, aber ich wusste es besser. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals so zuvorkommend behandelt worden zu sein. Es war, als ob ich in einem Traum wäre, aus dem ich definitiv nicht wieder erwachen wollte. Konstantins ruhige Art machte es einem leicht, mit ihm auszukommen. Aber noch dazu war er liebevoll und manchmal auch sehr nachsichtig. Mit jeder zusammen verbrachten Sekunde verliebte ich mich mehr in ihn und das auf erschreckend intensive Weise.

Im Wohnzimmer hatten wir ein prasselndes Kaminfeuer angezündet, obwohl es schon fast zu warm dafür war. Immerhin standen wir kurz vor dem

offiziellen Sommeranfang und damit rückten meine ersten Prüfungen näher. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich Konstantin mit meinen Belanglosigkeiten vollquatschte, aber wenn ich aufhörte zu erzählen, nickte er mir immer aufmunternd zu und ich laberte weiter. Doch auch er schien sich langsam zu öffnen, immer öfter unterhielten wir uns über seine Fantasybücher und mittlerweile hatte ich mich sogar dazu hinreißen lassen, mal eins anzufangen. Schließlich wollte ich wissen, wovon er so fasziniert war und es brachte ihn zum Reden. Es lenkte uns beide vom Unialltag ab. Doch heute hatten wir etwas anderes geplant. Seine Eltern

kamen am Wochenende zu Besuch und der Gedanke daran machte mich immer noch nervös. Schließlich war ich nicht der Vorzeigefreund, auch wenn Konstantin versuchte, mir etwas anderes einzureden. Ich hatte ihn darum gebeten, dass wir uns die Fotoalben anschauten, die ich in seinem Bücherregal entdeckt hatte. Das gab mir die Chance mehr über ihn und gleichzeitig etwas über seine Eltern zu erfahren.

„Mit welchem wollen wir anfangen?“ Wir hatten uns mit einem Berg der Alben zu unseren Füßen bequem vor der Couch zusammengekuschelt und ich angelte nach dem ersten Band. Natürlich

waren sie penibel beschriftet und ich musste über diese Eigenart schmunzeln. Die wenigen Fotos, die ich besaß, waren allesamt in einem Pappkarton verstaut und ich schaute sie mir selten an. Soweit ich mich erinnerte, hatte ich sie nach hinten in den Kleiderschrank getan. Sie weckten zu viele unschöne Erinnerungen.

„Ich möchte die Kinderbilder sehen.“ Er musste damals sicher schon genauso toll gewesen sein wie jetzt. Er griff sich den dicksten Band und schlug ihn auf. Im Kamin knisterte das Feuer und tauchte alles in weiches oranges Licht. Konstantin saß im Schneidersitz, während ich auf dem Bauch lag. Auf der

ersten Seite befand sich ein Bild mit einer lachenden, warmherzig aussehenden Frau, die einen Säugling auf dem Arm hielt. Die Überschrift war in einer schönen geschwungenen Handschrift geschrieben. Unser Baby. Darunter die üblichen Angaben über Größe und Körpergewicht.

Seine Mutter war auf dem Foto sehr jung, vielleicht Anfang zwanzig. Sie sah ihr Baby derart verliebt an, dass mir ganz warm ums Herz wurde. Das hätte ich auch gern gehabt. Ein bisschen neidisch war ich ja schon. Und das beim ersten Bild. Wir blätterten weiter, zu den wirklich lustigen Kindergartenbilder. Auf ihnen war er oft mit irgendwelchem

Essen bekleckert, was ich nicht wirklich mit meinem heutigen Bild von ihm in Einklang bringen konnte. Dann kamen wir zu einem Bild, bei dem ich stutzig wurde. Es zeigte Konstantin und einen definitiv sehr verheulten und schmutzigen Philipp.

„Was ist denn da passiert?“ Ich tippte auf das Bild in der Ecke und sah ihn fragend an. Er runzelte die Stirn und schien ernsthaft nachzudenken.

„Ich glaube, das war, als wir uns im Supf verlaufen hatten. Ist lange her.“

„Sumpf?!“, echote ich und er nickte.

„Wir wollten eigentlich Pilze suchen gehen. Natürlich haben unsere Eltern uns gewarnt, dass wir nicht zu tief in

den Wald gehen sollen. Eigentlich durften wir nur soweit, dass wir die Häuser noch sehen konnten. Aber wir sind einer Spur Pilze gefolgt. Es war einfach zu verlockend mit einem prall gefüllten Körbchen zurückzukommen, anstatt nur mit der sonstigen mageren Ausbeute. Philipp schafft es immer die kleinen Dinger zu übersehen und niederzutrampeln.“ Er schüttelte belustigt den Kopf.

„Wir haben nicht bemerkt, wie weit wir schon in den Wald gegangen waren. Aber plötzlich war da Schilfrohr und wir haben uns einen Spaß daraus gemacht ein kleines Fechtspielchen zu veranstalten. Dabei sind wir unbewusst

genau in das Sumpfgebiet reingelaufen. Es sieht gar nicht danach aus. Dadurch, dass an dieser Stelle alles dicht bewachsen ist, haben wir die Gefahr gar nicht gesehen.“ Ich hielt den Atem an. Das hätte wirklich schief gehen können. Mit fielen etliche Aussagen meiner Oma ein, die uns immer davor gewarnt hatte, nie ein unbekanntes Gebiet alleine zu betreten. Zu dieser Gelegenheit erzählte sie eindringlich die Geschichte ihrer Cousine. Diese war auf einen zugefrorenen See gelaufen und eingebrochen. Eine von den Horrorgeschichten, von denen Kinder immer glauben, dass Eltern sie nur erzählen, um einem Angst zu machen.

Aber uns war es eine Lehre. Die Cousine hat das nämlich nicht überlebt. Sie war jämmerlich erfroren, weil niemand da war, der schnell zu Hilfe hätte eilen können.

„Philipp hat plötzlich gemosert, dass seine Schuhe nass wären und da haben wir gemerkt, dass wir mitten im Sumpf standen. Blöderweise ist das Schilf so dicht, dass wir im ersten Moment die Orientierung verloren haben und noch weiter rein sind. Mein Bruder ist regelrecht panisch geworden, immerhin war er noch klein. Trotzdem hatte er anscheinend begriffen, dass wir uns in Gefahr befanden. So sind wir dann im Affentempo raus da und hatten dabei

sicherlich mehr Glück als Verstand. Schließlich ist uns nichts passiert.“ Er atmete tief aus und ich konnte die Erleichterung in seiner Stimme hören.

„Waren deine Eltern sehr böse? Immerhin sieht Philipp auf dem Foto so schlammbespritzt aus, dass ihr euch garantiert nicht rausreden konntet.“

„Ging so. Sie waren vor Allem erleichtert, dass uns nichts passiert war. Das Körbchen mit den Pilzen haben wir unterwegs verloren, so sehr sind wir nach Hause gerannt. Allerdings haben wir lebenslanges Verbot, diesen Waldabschnitt jemals wieder zu betreten. Auch wenn wir jetzt älter und klüger sind. Zumindest einer von uns…“

Er grinste mich frech an und ich konnte dieses süße Lächeln einfach nur erwidern. Er war wirklich unwiderstehlich.

„Ich war später noch einmal dort. Guck nicht so entsetzt!“ Mein ungläubiges Gesicht musste wirklich Bände gesprochen haben, denn er lachte mich regelrecht aus.

„Da war ich schon sehr viel älter. Der Sumpf ist mittlerweile fast ausgetrocknet und nur wenn es regnet, halte ich mich auch ganz sicher fern. Also keine Sorge. Aber verrate es nicht Philipp. Der hat solche Panik, dass er sofort auf mich losgehen würde. Da versteht er keinen Spaß.“ Damit blätterte

er weiter und erzählte mir noch dies und das über seine Familie. Aus jedem Bild sprach absolute Einheit. Geborgenheit. Liebe.

Ich lag in dieser Nacht noch lange wach und fragte mich, warum das nicht in jeder Familie die Norm sein konnte. Als der Wecker 2 Uhr anzeigte, gab ich endgültig auf. Allein würde das ja doch nichts werden. Also schlich ich barfuß in Konstantins Zimmer. Natürlich war es stockfinster und ein wenig hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn jetzt garantiert wecken würde. Doch darüber hätte ich mir keine Sorgen machen brauchen.

„Kannst du nicht schlafen?“ Seine leise

Stimme lockte mich zum Bett. Er hatte einladend die Bettdecke zurückgeschlagen. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich mach mir Sorgen. Was ist, wenn sie mich nicht mögen?“ Diesen Gedanken machten sich bestimmt fast alle Menschen, die die Eltern ihrer Freunde kennenlernen sollten. Aber bei mir war es schlimmer. Eine ausgewachsene Panikattacke traf es eher. Obwohl er mir gezeigt hatte, dass seine Eltern ganz anders als meine waren, konnte ich meine Ängste trotzdem nicht unterdrücken. 

„Sie werden dich ganz sicher mögen. Glaub mir. Und jetzt komm her, damit

wir schlafen können.“ Ich kuschelte mich an ihn und er hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. Mit seinem Herzschlag an meinem Ohr, gelang es mir nun endlich einzuschlafen.

 

„Halts Maul! Hast du Tomaten auf den Ohren? Ich will dich nicht sehen. Nein, es ist mir egal, was du zu deiner Verteidigung zu sagen hast.“ …

„Manchmal sagen Taten mehr aus als Worte.“…

„Nein. Ich will die scheiß Geschichte nicht hören. Schließlich habe ich alles mit eigenen Augen gesehen, Domenik!“ Ich hörte das Telefon gegen die Wand krachen. Na toll, da hatte jemand ja

super Laune. Ich wälzte mich im Bett umher und fragte mich, wo die Bettdecke abgeblieben war.

Nach ein wenig Suchen, entdeckte ich sie am anderen Fußende unter dem Bett. Kein Wunder, dass es hier so zog. Das wütende Stapfen nebenan erinnerte mich daran, warum ich wach geworden war. Wenn die beiden das nicht schnell auf die Reihe bekamen, dann sah ich schwarz für sie. Dom war wirklich nicht von der geduldigen Sorte. Dass er Philipp angerufen hatte, obwohl Konstantin ihm gesagt hatte, dass er ihn in Ruhe lassen sollte, war schon Indiz genug, dass ihm demnächst der Kragen platzen würde. Ich seufzte lautlos. Das

würde noch unschön werden, da war ich mir sicher. Konstantin war anscheinend schon aufgestanden und nach unten in die Küche gegangen. Heute war unser freier Tag und ich wollte noch für die Uni lernen, auch wenn ich wirklich keine Lust hatte. Immerhin schrieben die Prüfungen sich nicht von selbst. Aber zuerst musste Koffein her. In der Küche war der Kaffee schon durchgelaufen und nur noch lauwarm. Wann war Konstantin aufgestanden? Den fast kalten Kaffee stürzte ich hinunter und machte mich auf die Suche. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte.

Ich ging zunächst nach oben und sah auf

dem Dachboden nach. Doch das Einzige, was ich entdecken konnte, waren Staubflusen, Wollmäuse und Spinnweben, aus denen mich vereinzelt Bewohner anschauten. Die Treppe hatten wir wirklich gut repariert, sie knarrte nicht einmal mehr. Doch ich musste weiter. Ich ging durch das ganze Haus. In Philipps Zimmer traute ich mich nicht. Als ich dort nicht fündig wurde, ging ich hinaus und zum Weiler. Dort sah ich ein Boot am Ufer schaukeln, als ob bis vor Kurzem noch jemand darin gesessen hätte.

„Konstantin?!“, rief ich, doch ich bekam keine Antwort. Wirklich eigenartig. Vielleicht war er zum Bäcker

gegangen. Irgendwie wusste ich, dass das nicht wahr war. Frustriert ging ich zum Haus zurück und wartete dort weiter. Nach 2 Stunden, in denen ich erfolglos versucht hatte, zu lernen, hörte ich die Tür schlagen. Aber ich würde nicht runtergehen. Das würde ja so aussehen, als ob ich es wie ein Hündchen nicht abwarten konnte, bis das Herrchen wieder erscheint.

Nach einer halben Stunde klopfte es an der Tür und Konstantin trat leise ein.

„Ah, du lernst?“

„Mehr oder weniger. Ich hab dich vorhin gesucht.“ Ich biss mir auf die Lippen, das klang so weinerlich.

„Ich war im Wald. Musste was

nachgucken. Tut mir Leid, dass du dir Sorgen gemacht hast.“ Seine Haare waren nass und glitzerten im Sonnenlicht. Immer noch beschlich mich das Gefühl, dass das nicht die ganze Wahrheit war, aber ich ließ es auf sich beruhen. Er würde schon mit der Sprache rausrücken, wenn er es wollte.

„Was hältst du von einer Lernpause?“ Sein Lächeln zeigte wieder diese winzigen Grübchen, die ich so toll fand und natürlich nahm ich seinen Vorschlag begeistert an. Mein Bett war dafür natürlich hervorragend geeignet und er schaffte es spielend mich von meinen Grübeleien abzubringen.

Kapitel 15

Kapitel 15

 

Es war soweit. Nervös sah ich in den Spiegel und richtete schon das hundertste Mal meine Frisur. Kritisch beäugte ich mein Äußeres und befand mich für durchschnittlich akzeptabel. Es würde schon gut gehen. Konstantin war bei mir und ich brauchte nun wirklich keine Angst vor Menschen haben, die mich erst kennenlernen sollten. Ich tigerte in dem Bad immer noch auf und ab, als es klingelte. Sie waren da. Ich schluckte und drückte den Rücken durch. Mein Mantra – Ich schaff das schon...irgendwie – hallte wiederholt in meinem Kopf.

 

„Hallo Mama, hallo Paps, seid ihr gut hergekommen?“ Philipps überschwängliche Stimmung schwappte auf der Treppe zu mir und ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich sah, dass sein Vater ihm freundschaftlich auf den Rücken klopfte und er dabei ein wenig nach vorn strauchelte. Er warf ihm einen gespielt bösen Blick und quälte sich ein nicht ernst gemeintes „Aua.“ heraus.

Konstantin hingegen klatschte fest mit seinem Vater ab, man konnte förmlich spüren, wie sehr sie sich achteten und das gab mir den Mut, mich zu ihnen zu gesellen.

„Äh, hi.“ Vier Augenpaare wandten sich mir zu und ich kam mir vor, wie ein Eindringling. Konstantins Vater taxierte mich einmal von oben bis unten und ich versuchte mich nicht unter seinem scharfen Blick zu winden.

Doch das warmherzige Lächeln seiner Mutter machte alles wieder wett.

„Schön, sie kennenzulernen, Jona. Oh, ich darf doch Jona sagen, oder? Wir sind nicht so förmlich. Konstantin hat bereits so viel von Ihnen-dir erzählt, dass ich das Gefühl habe, dich schon ewig zu kennen.“ Ihre grauen Augen leuchteten und sie hatte genau die gleichen Grübchen.

„Ach wie unhöflich von mir, ich heiße Lillian, aber Lilly ist vollkommen in Ordnung. Und der nicht ganz so gesprächige Herr hier ist, Thomas. Willkommen in der Familie.“ Völlig überrumpelt, fand ich mich in einer festen Umarmung wieder, bei der ich den angenehmen Duft nach einem teuren Parfum riechen konnte, der sie umgab. Für eine Frau war sie groß und selbst auf die kurze Distanz hätte ich ihr Alter schwer schätzen können, wüsste ich nicht, dass sie zwei erwachsene Söhne hatte.

„Das ist sehr freundlich von ihnen. Ich freue mich auch sie kennenzulernen.“ Als ihr Gesicht sich wie eine Gewitterwolke verfinsterte, dachte ich schon ich hätte gleich im ersten Anlauf einen unverzeihlichen Fehler gemacht, aber sie schlug mir nur spielerisch auf die Schulter.

„Lilly, schon vergessen? Bitte duz' uns. Ich fühle mich sonst so alt. “  Ach, darum ging es. Das sollte mir nicht so schwer fallen.

„Lilly, Thomas. Es ist schön euch zu sehen. Konstantin hat mir auch schon ein bisschen von euch erzählt.“ Ich hörte es im Hintergrund leise prusten und warf Philipp einen mörderischen Blick zu. Er konnte nicht einmal ahnen, wie schwer mir das hier fiel. Konversation war noch nie mein Ding. Deshalb wollte ich ja auch Archäologe werden.

„Na, war doch gar nicht so schwer.“ Auch mir wurde die Ehre zuteil, einen kameradschaftlichen Schlag auf den Rücken zu bekommen, bei dem mir fast die Luft wegblieb. Der ältere Herr hatte ganz schön Kraft. Nun konnte sich Philipp nicht mehr zurückhalten und lachte mich offen aus.

„Nicht witzig.“, keuchte ich ihm entgegen und ich spürte wie Konstantin sich neben mich stellte.

„Wollen wir nicht was essen? Kuchen steht im Wohnzimmer und der Kaffee kommt gleich. Mama, Papa geht doch schon mal vor.“ Die beiden gingen und unterhielten sich darüber, wie wohnlich das Haus trotz dem Tod der Großeltern war und wie viel schon repariert wurde.

Ich wurde in eine feste Umarmung gezogen und spürte weiche Lippen auf meinen.

„Das hast du gut gemacht. Ich hab dir doch gesagt, dass sie dich mögen werden.“ Er knabberte an meiner Unterlippe und ich hatte schon vergessen, warum ich solche Angst gehabt hatte, aber nur fast.

„Der Tag ist noch nicht vorbei.“ Er knuffte mich und wir folgten den anderen.

 

„Vorderasiatische Archäologie? Sie müssen wirklich klug sein.“ Ich wand mich. Komplimente machten mich immer verlegen und ich wusste selten etwas darauf zu erwidern.

„Nicht wirklich.“

„Er hat vorher gearbeitet und war schon früh selbstständig und für sich verantwortlich. Ich finde das total cool. Vielleicht gehe ich auch erst arbeiten und fange mein Studium erst später an.“ Philipp zwinkerte mir verschwörerisch zu.

„Als Clown wärst du bestimmt spitze. Ich hab gelesen, der Zirkus ist nächsten Monat in der Stadt, passend zu deinem Abschluss.“ Die fiese Spitze wurde von einem Lächeln begleitet und nahm ihr daher den Stachel.

„Konstantin, also wirklich, deinen Bruder so zu necken. Kulturwissenschaften klingt so spannend. Ach, alle meine Jungs sind ja so intelligent. Ich bin stolz auf euch.“ Der Blick von Lilly schloss mich mit ein und ich sonnte mich ein wenig in ihrer Anerkennung. Ihr weicher Akzent machte sowas alles noch schöner, was sie sagte und ich hatte das Gefühl, dass ihr Stolz nicht nur damit zu tun hatte, dass sie ihre Mutter war, sondern wirklich ehrlich gemeint.

„Verzeihung, aber darf ich dir eine persönliche Frage stellen?“, richtete ich mich an Lilly. Es würde mich nicht loslassen, wenn ich nicht fragte.

„Klar, schieß los.“

„Du sprichst manchmal Wörter so anders aus. Ich tippe auf britisch?“

„Fast. Irisch. Du bist ja süß, ich dachte, nach der langen Zeit merkt das kaum noch jemand.“

„Oh, wenn es dir unangenehm ist, werde ich es nie wieder erwähnen.“

„Ach, Quatsch. Was möchtest du wissen? Ich rede gern über Irland.“ Sie lächelte mir aufmunternd zu und ich scheute mich nicht mehr sie auszufragen. Kurzerhand bestritten fast nur noch wir zwei das Tischgespräch, während die Torte immer weiter schrumpfte. Konstantin aß natürlich wieder kein Stück, er verzog nur das Gesicht, als er sah, wie Philipp sich ein Stück nach dem nächsten in den Rachen schob. Es grenzte an ein Wunder, dass er noch nicht an einem Zuckerschock gestorben war.

„Philipp! Vielleicht möchte Jona auch noch was vom Kuchen?“ Die Empörung war angesichts der drei Stücken, die ich bereits gegessen hatte ein wenig übertrieben, aber ich freute mich über ihre Aufmerksamkeit. Es tat irgendwie gut, einmal positiv im Mittelpunkt zu stehen.

„Danke, Lilly, aber ich bin wirklich satt. Philipp verhungert uns noch, wenn er das letzte Stück nicht essen darf. Sechs Stück waren wohl noch nicht genug..“ Unter dem Tisch traf mich ein fester Tritt gegen mein Schienbein und ich musste all meine nicht vorhandenen schauspielerischen Talente aufwenden, um nicht zusammenzuzucken und schmerzhaft das Gesicht zu verziehen. Der Nachmittag verging rasend schnell und ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal so köstlich amüsiert hatte. Immer wenn das Gespräch zu erlahmen drohte, nahm einer der Brüder den Faden auf, doch das war fast gar nicht mehr nötig. Die Chemie stimmte einfach. Das lag zu nicht unwesentlichen Teilen an Lillys fröhlichem Charakter. Sie schien keinen Funken Boshaftigkeit zu besitzen und ich war neidisch auf das gute Verhältnis, dass ihre Kinder zu ihr hatte. Ich konnte einen wehmütigen Gedanken nicht unterdrücken. Wie anders wäre alles gewesen, wenn ich auch in so einer liebevollen Familie aufgewachsen wäre?

Konstantin sah mich die ganze Zeit so verliebt an, dass ich mich fragte, wie ich das jemals auch nur hatte anzweifeln können. Es war so offensichtlich. Ich strahlte ihn ebenso an und wurde daraufhin sofort rot. Gefühle in der Öffentlichkeit zur Schau zu stellen, fiel mir immer noch schwer, nachdem ich ihn so lange insgeheim angehimmelt hatte. Es war wunderschön und ich wünschte mir, dass diese Zeit niemals vergehen möge.

„Wir müssen los. Wir wollen heute noch zu Freunden und da möchten wir nicht zu spät kommen. Ist leider etwas weiter weg, sonst würden wir noch nicht so früh aufbrechen.“ Sie zog uns alle in eine zerquetschende Umarmung und zumindest mir drückte sie die Luft ab. Konstantins Vater hielt sich diesmal zurück und wir verabschiedeten uns nur mit einem festen Handschlag.

„Bis bald!“ Als die beiden zum Auto gingen, erfüllte mich ein bisschen Wehmut. Es war so schön gewesen und nun war es vorbei. Wir winkten synchron, aber der Schwung war raus.

„Ich hab dir doch gesagt, dass sie dich mögen werden.“

„Darüber hat er sich Sorgen gemacht? Jona, also wirklich. Denk nicht immer das Schlimmste von dir, nur weil deine Mutter eine durchgeknallte Furie ist. Sorry, aber es ist doch die Wahrheit.“ Ich nickte. Ja, das war es.

 

„Nein, nein, nein, Dom! Du kannst nicht herkommen! Wirklich nicht. Hör doch einmal auf uns!“ Genervt seufzte ich in das Telefon.

„Jona...“ nein, nicht dieser Ton. Er wusste genau, wie er mich manipulieren konnte.

„Nein, nein, nein. Lass Philipp in Ruhe. Reicht es nicht, dass er dich am Telefon vollgemotzt hat. Ist das nicht Beweis genug, dass er dir noch nicht verziehen hat. Warte doch einmal die Zeit ab, bitte.“ Meine Stimme klang flehend. Ich wollte ja, dass es zwischen den beiden wieder funktionierte, aber Dom hatte echt ein Talent dafür, alles zu zerstören.

„Bitte?“ Aaargh, diese kleine Mistmade. Er sagte niemals bitte.

„Na schön, komm her. Aber du besuchst nur mich. Wir quatschen und dann fährst du brav wieder nach Hause.Verstanden?“

„Natürlich.“, flötete es in mein Ohr und ich bereute bereits zugesagt zu haben.

Er kam wie ein Wirbelwind. Stürmte in mein Zimmer und erschreckte mich zu Tode. Ich wollte gerade gemütlich mit Konstantin eine DVD ansehen und wir hatten es uns gemütlich gemacht. Zweisamkeit war hier wirklich ein Ding der Unmöglichkeit, obwohl das Haus so groß war. Vielleicht sollten wir uns das nächste Mal auf dem Dachboden verstecken?

„Hallo, ihr zwei Turteltäubchen! Ich gesell mich mal zu euch und keine Sorge, ich werde euch nicht auf die Nerven gehen.“ Ich sah ihn misstrauisch an.

„Du hast aber gute Laune.“

„Darf ich nicht?“ Er zog eine Schmolllippe und ich ließ es auf sich beruhen. So lange er mir nicht auf den Keks ging. Das funktionierte natürlich nur ungefähr fünf Minuten, da hörten wir es von unten brüllen.

„Domenik!“

Kapitel 16

Kapitel 16 „Oh oh, versteck mich!“ Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich Doms Gesichtsausdruck fast lustig finden können. „Oh nein. Die Suppe hast du dir selbst eingebrockt und jetzt darfst du sie auch auslöffeln.“ Ich schaute ihn streng an. Das musste jetzt endlich ein Ende haben. Diese Situation wäre auf Dauer für alle Parteien unerträglich. Klar, Dom war mein bester Freund, aber Philipp hatte auch nicht so unrecht. Ich wollte zumindest nicht zwischen den Stühlen

stehen. „Und du nennst dich meinen Freund? Na danke auch, dann brauch ich keine Feinde mehr.“ Verbale Tiefschläge waren seine Spezialität, wenn ihm der Arsch auf Grundeis ging, deshalb nahm ich ihn auch nicht ernst. „Los jetzt du Memme! Kläre das ein für allemal. Du liebst ihn doch.“ Das hatte er zwar noch nie gesagt, aber ich wusste es. Sonst hätte er sich nie auf so eine hirnverbrannte Idee eingelassen. „Natürlich! Das ist doch das Problem. Wenn er mich auch lieben würde, dann würde er mir sofort verzeihen. Und das hat er nicht. Also liebt er mich nicht. Ich bin anscheinend wirklich nur ein

Test.“ „Das glaube ich nicht. Du kannst doch nach so einer Sache nicht sofort Absolution verlangen. Er hat ein Recht eifersüchtig zu sein. Und genau das zeigt, dass er dich wirklich mag.“ Ich hatte es versucht, wirklich. Wenn er jetzt nicht auf mich hörte, dann wusste ich auch nicht mehr weiter. „Domenik! Beweg deinen kleinen Hintern hierher, damit ich ihn höchstpersönlich vor die Tür setzen kann!“ „Ich will da nicht raus. Er hasst mich.“ Ich verdrehte nur die Augen und schob ihn aus meiner Tür raus. Ich hörte ihn draußen wütend aufstampfen, wie ein

Kleinkind, aber da musste er jetzt durch. Er stapfte die Stufen hinunter und man konnte wirklich jede einzelne von ihnen hören. „Was hast du hier zu suchen? Hatte ich dir nicht gesagt, dass du dich von mir fernhalten sollst?“ Philipps Stimme drang kraftvoll zu uns hinauf. Und er klang nicht so, als wäre er auf Versöhnung aus. „Ob die beiden das hinbekommen?“ Zweifelnd schaute ich Konstantin an. „Mach dir keine Sorgen, auch wenn es nicht danach aussehen mag, die beiden sind erwachsen und kriegen das schon hin. Und wenn es nichts werden sollte, dann ist das eben

so.“ Ich seufzte und setzte mich wieder zu Konstantin. Ich kuschelte mich an ihn und genoss es, dass er gedankenverloren meinen Handrücken streichelte. Allerdings konnte ich mich nicht auf den Film konzentrieren. Es wäre eine mittlere Katastrophe, wenn die beiden nicht wieder zusammenfinden würden. Ich wünschte es Dom so sehr, aber dann mussten sie endlich die Fronten klären. Sicher, die Welt würde nicht untergehen, aber es würde bestimmt lange dauern, bis wieder so etwas wie ein normaler Zustand eingekehrt wäre, immerhin waren beide meine Freunde. Als ich nach einer halben

Stunde keine lauten Streitereien hörte, wurde ich zwar stutzig, hatte aber immer noch Hoffnung. Vielleicht wendete sich ja doch noch alles zum Guten. „Ich hol mir was zu trinken, lass ruhig weiterlaufen.“ Ich machte mich auf den Weg nach unten. Ich wollte gerade mit meinem Glas nach oben gehen, als es draußen verdächtig schepperte. Nicht ganz sicher, ob ich wirklich jemanden fluchen gehört hatte, stellte ich mein Glas wieder ab. Vielleicht hatten sich Dom und Philipp ja nach draußen verkrümelt, um dort in Ruhe zu streiten. Das würde zumindest erklären, warum nichts zu hören

gewesen war. Ich schlich nach draußen und versuchte in die beginnende Dunkelheit hinauszuspähen. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt und das trübe Licht machte es besonders in Richtung Wald schwer etwas zu erkennen. Doch da raschelte es schon wieder. „Wer ist da!?“ Ich versuchte meiner Stimme einen möglichst festen und bedrohlichen Klang zu geben, hatte aber nicht das Gefühl, dass mir das gelang. Ich war mir nicht ganz sicher, glaubte aber einen Schatten hinter dem Schuppen gesehen zu haben. Ich lief langsam darauf zu und lugte um die Ecke, nur um gleich darauf nur noch

durch die Nase atmen zu können. „Na, wen haben wir denn da? Du bist doch der süße Freund von unserem Dom.“ Ich wand mich in dem festen Griff, der mich von hinten umschlungen hielt. Kevin! Verdammt, was hatte der hier zu suchen. „Da hat sich unser Kleiner aber `nen reichen Macker gesucht. Kein Wunder, dass er neuerdings so zickig ist. Aber ich kauf ihm das nicht ab. Der muss nur mal wieder richtig rangenommen werden, dann vergisst er dieses Milchgesicht garantiert sofort. Sind doch alle gleich.“ Jetzt reichte es aber, immerhin sprach er hier von meinem Freunden. Kräftig trat ich ihm auf den

Fuß, sodass er mich vor Schreck losließ. „Au, du kleine miese … “ Zornig sah er mich aus stahlblauen Augen an. Viele würden ihn als wirklich gut aussehend beschreiben, wenn er nicht so einen scheiß Charakter hätte. Das schwarze kurze Haar, das immer stylisch gegelt war, neideten ihm so manche. Dazu noch die imposante Größe und die muskelbepackten Oberarme. Aber alles nur Luft. Da war keine Substanz hinter dem schönen Äußeren und er konnte es nicht lassen in fremden Revieren zu wildern. Deshalb hätte das mit Dom und ihm auch nie geklappt. Eine Zeitlang war Domenik zwar auch so drauf, aber nie in so ausschweifendem Ausmaß.

Wahrscheinlich dachte Kevin deshalb, dass er so leichtes Spiel haben würde. „Erklär mir doch mal eins. Die beiden haben sich doch gezofft, oder? Dieser Schönling war zumindest ganz schön eifersüchtig, als ich den Kleinen geküsst habe. Die beiden haben wohl noch nicht. Vielleicht sollte ich ihnen Nachhilfe geben.“ Dieser eitle Pfau war so sehr von sich eingenommen, dass mir fast die Galle hochkam. „Verschwinde. Du hast schon genug Schaden angerichtet. Wie bist du überhaupt hierher gekommen? Und vor allem warum?“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. Da war jemand auf Streit aus. Ganz

eindeutig. „Das könnte dir als Stalking ausgelegt werden, das ist dir bewusst, oder?“ Ich wusste, dass die Drohung nichts bringen würde, aber immerhin hatte ich ihn gewarnt. „Wer wird denn hier gleich von stalken reden. Ich besuche doch nur einen Freund.“ Das verzerrte Lächeln, das auf seinem Gesicht erschien, behagte mir so gar nicht. „Freunde schleichen nicht um fremde Häuser rum und besonders küssen sie niemanden, der bereits vergeben ist.“ „Da habe ich aber etwas anderes gehört. Soweit ich weiß, ist das alles nur Show, weil sich der Schönling nicht sicher ist

und da habe ich meine Chance genutzt, unserem Dom noch mal ein bisschen näher zu kommen.“ Er leckte sich über die Lippen und ich musste mich innerlich schütteln vor Ekel. „Um ihn dann wieder sitzen zu lassen und alles zu nehmen, was nicht bei drei auf dem Baum ist? Darauf kann er verzichten.“ „Ach, der ziert sich nur. Insgeheim steht ihr doch auf die Machotour, wenn einer weiß, was er will. Ich wette, selbst du stellst dir vor, wie es wäre. Vielleicht kann ich aus dir auch einen von uns machen.“ Der hatte sie doch nicht mehr alle! Jetzt wich ich zurück, doch ich spürte schnell, dass hinter mir

die Schuppenwand aufragte. Verdammt, wieso war ich nicht drinnen geblieben? „Bleib mir vom Leib, sonst tret ich dahin, wo es wirklich wehtut!“ Doch das half natürlich nichts. Er presste seine Lippen auf meine und ich musste den Würgereiz unterdrücken. Niemand außer Konstantin durfte das! Doch er machte immer weiter. Ließ seine Hände unter mein T-Shirt gleiten und zwickte mich brutal in die Brustwarze. Er atmete immer schneller und ich versuchte mich krampfhaft zu befreien. Doch das war gegen so einen kräftigen Riesen vergebens. Nicht einen Zentimeter Freiheit gestand er mir zu. Die Hände über dem Kopf zusammengenommen

konnte ich mich weder bewegen noch wehren. Das war so erniedrigend. Er ließ endlich von meinem Mund ab und ich konnte mich zumindest verbal verteidigen, auch wenn ich ihm am liebsten ins Gesicht gereihert hätte. Doch der Schock darüber wie sich das Blatt zu meinen Ungunsten gewendet hatte, saß noch zu tief. „Hör auf damit! Du bist ganz sicher nicht der, den ich will. Unbeständig, unreif, ungehobelt, grob, ich könnte ewig so weiter machen. Es war gut, dass du mit Dom Schluss gemacht hast, die rosarote Brille hätte ich ihm niemals abnehmen können, aber du. Danach war er nie wieder so, wie vorher.“ Das ließ

ihn zwei Sekunden innehalten. „Nicht der, den du willst?“ Wieder dieses fiese Grinsen. „So ist das also. Bist du etwa auch in diesen Schönling verschossen? Ich werde dir zeigen, dass ich tausendmal besser bin als er.“ Ich musste der Liste unbedingt noch Dämlichkeit hinzufügen. Wie hatte er das nur so falsch verstehen können? Seine Hand wanderte zu meinem Hintern und fing an zu kneten. Lustvoll presste er sich an mich und das Harte in seiner Hose hätte ich lieber nicht gespürt. Konstantin. Hilf mir! Ich stemmte mich noch einmal mit aller Kraft gegen ihn, als er kurz meine Hände losließ, um in meine Hose zu

grapschen. Genau in dem Moment flog er durch die Luft und ich war schlagartig frei. „Jona! Geht es dir gut? Hat er dir was getan?“ Doms Stimme war Balsam. „Ich wusste doch, dass ich den einen Tag Ungeziefer gesehen habe. Runter von meinem Grundstück!“ Konstantin hatte noch nie so eisig gesprochen. „Darf ich ihn auch mal treten?“ Philipp und seinen Bruder nebeneinander mit verschränkten Armen stehen zu sehen, musste selbst die dümmste Person einschüchtern. Dachte ich zumindest. Aber manche waren lebensmüde. „Jetzt versteh ich, der Schönling hat noch einen Bruder. Aber dafür, dass er

anscheinend in dich verschossen ist, habt ihr ja noch nicht viel angestellt. Ich wette, der ist immer noch Jungfrau, das macht die Jagd umso spannender.“ Lass dich nicht provozieren Konstantin. Nachdem Kevin aufgestanden war, klopfte er sich den Staub von der Hose. „Glaubst du, du kommst damit durch? Wärest du ein echter Mann, dann hätte der Kleine sich nicht so unter meinen Fingern gewunden. Sein Körper hat förmlich danach gebettelt berührt zu werden.“ „Lügner!“ Ich trat auf ihn zu, um ihm ins Gesicht zu schlagen, doch wieder fing er meine Hand ein und zog mich in seinen Arm. Bevor er mich küssen

konnte, hatte ihm Konstantin schon ein Bein gestellt und ich sah wieder nur noch, dass er flog. Irgendein Kampfsportgriff, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass Konstantin ihn beherrschte. „Fass ihn noch einmal an und ich breche dir alle Gräten!“ Er drehte ihm den Arm auf den Rücken und es war beeindruckend wie die beiden Hünen miteinander rangen. Doch Konstantin behielt die Oberhand. „Darf ich jetzt treten? Nur ein bisschen?“ „Nein. Philipp. Diese Genugtuung, dass er dich erfolgreich eifersüchtig gemacht hat, willst du ihm doch nicht geben,

oder? Und du. Kevin? Deine Spielchen kannst du woanders abziehen. Sollte ich dich noch einmal auf meinem Grundstück erwischen, dann glaub mir, werde ich sicher nicht die Polizei rufen. Ich werde es genießen.“ Sein Tonfall sagte genau aus, was er meinte, ohne dass er es aussprach. Ich hoffte nur, dass diese dämliche Ratte es auch begriffen hatte. „Ich werde dich noch ein Stück begleiten, damit du den Weg auch wirklich findest.“ Memo an mich. Konstantin niemals so wütend machen. Auf dem Weg zum Bahnhof ließ er es sich auch nicht nehmen von hinten mit ein paar gut gesetzten Schubsern

nachzuhelfen. „Ich hätte ihn wirklich zu gerne getreten.“ Das beleidigte Hündchengesicht passte zwar nicht zu der brutalen Aussage, aber ich konnte das sehr gut nachvollziehen. „Ich auch.“ Doms leise Stimme kam aus dem Hintergrund. „Wie kam der eigentlich hierher?“ „Ich vermute, er ist mir gefolgt.“ Doms machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Hast du dich vorher etwa mit ihm getroffen?“ Philipps Gesicht nahm schon wieder einen gefährlichen Ausdruck

an. „Nein! Du hirnloser Idiot. Ich kann doch nichts dafür, wenn das Ekelpaket mich verfolgt! Ich habe dir jetzt gefühlte hundertmal erklärt, dass er mich anwidert. Wieso geht das eigentlich nicht in deinen Dickschädel?!“ Und schon waren sie am Zanken. „Und wieso weiß der so viel über uns? Wenn du es ihm nicht gesagt hast, um dich über mich lustig zu machen, nur weil ich mir noch unsicher war, wer dann?“ Oha, da war der Knackpunkt der ganzen Misere. „Vielleicht du selbst? Immerhin hast du dich doch im Suff noch freudestrahlend

mit ihm unterhalten, erst danach hat er sich an mich rangemacht. Ich hab ihm das mit unserer ach so tollen kleinen Abmachung nämlich nicht gesteckt. Und außer uns wusste ja auch keiner davon.“ Ähm, ja. Philipps Gesichtszüge entglitten genauso wie meine. „Ach, du scheiße.“ „Na, macht’s endlich klick? Ich wollte es dir nicht sagen, aber du lässt mir ja keine Wahl. Schließlich versuchst du mir seit einer Woche die gesamte Schuld in die Schuhe zu schieben und ich weiß immer noch nicht woran ich bin. Bedeute ich dir so wenig, dass du mir nicht mal verzeihen kannst, dass ich gegen meinen Willen geküsst wurde und

noch dazu nur weil du so dämlich warst und Kevin überhaupt erst darauf angesetzt hast?!“ Seine Stimme war immer schriller geworden. „Dom. Ich… es… ich wusste nicht… “ „Er würde sich an jeden ranschmeißen, egal ob er will oder nicht. Hat man ja eben gesehen, aber Konstantin richtet seine Eifersucht wenigstens auf den Richtigen und nicht auf das Opfer. Ich weiß echt nicht, was ich davon halten soll. Ich scheine dir vollkommen egal zu sein. Aber du mir nicht. Deswegen ist es auch so schwer loszulassen, aber wenn es das ist, was du willst, dass ich dich in Ruhe lasse, dann… Betrachte unsere Abmachung als null und nichtig.

Du bist wieder frei. Entweder ich bin dein Freund oder nicht. Dieses Dazwischen macht mich fertig.“ Jetzt fing er doch an zu weinen und ich konnte nicht anders und nahm ihn in den Arm. Endlich hatte er die Gelegenheit gehabt, Philipp mit seinen Ängsten zu konfrontieren. „Dom… es tut mir Leid…“ Philipps betretener Pudelblick hätte jeden aufgeweicht. Ich löste Domeniks Finger von meiner Taille und schob ihn sanft in seine Richtung. „Ich will nicht. Er denkt nur schlecht von mir. Das ist doch keine Liebe, da kann ich auch gleich allein bleiben.“ Schniefend versuchte er sich wieder in

meine Arme zu flüchten. „Es tut mir wirklich Leid. Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?“ „Was hätte das geändert? Du hast mir doch keine Chance gegeben mich zu erklären. Diese ganze beschissene Idee ist außerdem auf deinem Mist gewachsen!“ „Wenn sie so bescheuert war, wieso hast du dann überhaupt ja gesagt?“ Das würde mich auch interessieren. Eigentlich hätte ich die beiden allein lassen sollen, aber Dom in seinem Elend brauchte ein wenig Rückhalt und ich glaubte nicht, dass er mich hätte gehen lassen. „Weil ich bei dir sein wollte. Wenn ich

dir gleich gesagt hätte, dass ich mich Hals über Kopf in dich verliebt habe, dann wärst du doch schreiend weggerannt. Immerhin bist du hetero.“ „Das kann man nun wirklich nicht so sagen. Und du kleiner Blödi, wenn ich dich nicht von Anfang an mehr gemocht hätte, als ich es für möglich gehalten hätte, wäre ich nie auf dein Angebot eingegangen. Ich glaube, ich wollte es mir nur leicht machen… für den Fall, dass es nicht klappt. Oh Gott, ich bin ein Arsch.“ Dom nickte leicht. „Ja, manchmal schon. Aber hast du gesagt von Anfang an? Ich hatte ja schon die Hoffnung aufgegeben. Schließlich lief es zwar ganz gut, aber da

war eben nie Tiefgang. Guck dir mal Jona, unseren Gefühlkrüppel an.“ Ich verzog beleidigt das Gesicht. Der hatte nun wirklich nicht sein müssen. „Selbst er benimmt sich mit Konstantin wie ein altes Ehepaar. Die beiden haben es doch auch hinbekommen. Warum wir nicht? Wenn es nicht an mir lag…“ „Komm jetzt endlich her!“ Damit zog er Dom in eine feste Umarmung und küsste ihn hingebungsvoll. Mir war es schon peinlich dabei zusehen zu müssen und jetzt verzog ich mich wirklich. Ich hörte nur ein leises „Ich liebe dich auch“ und hatte auf dem Weg ins Haus ein dämliches Grinsen auf dem Gesicht. Zeitgleich mit Konstantin schlüpfte ich

hinein und warf mich in seine Arme. „Ich liebe dich!“ Konstantin strahlte über das ganze Gesicht. „Ich weiß. Ich dich auch.“ Hand in Hand gingen wir nach oben und vergaßen die beiden unten völlig. Schreib mir was!Kapitel 16 „Oh oh, versteck mich!“ Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte ich Doms Gesichtsausdruck fast lustig finden können. „Oh nein. Die Suppe hast du dir selbst eingebrockt und jetzt darfst du sie auch auslöffeln.“ Ich schaute ihn streng an. Das musste jetzt endlich ein Ende haben. Diese Situation wäre auf Dauer

für alle Parteien unerträglich. Klar, Dom war mein bester Freund, aber Philipp hatte auch nicht so unrecht. Ich wollte zumindest nicht zwischen den Stühlen stehen. „Und du nennst dich meinen Freund? Na danke auch, dann brauch ich keine Feinde mehr.“ Verbale Tiefschläge waren seine Spezialität, wenn ihm der Arsch auf Grundeis ging, deshalb nahm ich ihn auch nicht ernst. „Los jetzt du Memme! Kläre das ein für allemal. Du liebst ihn doch.“ Das hatte er zwar noch nie gesagt, aber ich wusste es. Sonst hätte er sich nie auf so eine hirnverbrannte Idee eingelassen. „Natürlich! Das ist doch das Problem.

Wenn er mich auch lieben würde, dann würde er mir sofort verzeihen. Und das hat er nicht. Also liebt er mich nicht. Ich bin anscheinend wirklich nur ein Test.“ „Das glaube ich nicht. Du kannst doch nach so einer Sache nicht sofort Absolution verlangen. Er hat ein Recht eifersüchtig zu sein. Und genau das zeigt, dass er dich wirklich mag.“ Ich hatte es versucht, wirklich. Wenn er jetzt nicht auf mich hörte, dann wusste ich auch nicht mehr weiter. „Domenik! Beweg deinen kleinen Hintern hierher, damit ich ihn höchstpersönlich vor die Tür setzen

kann!“ „Ich will da nicht raus. Er hasst mich.“ Ich verdrehte nur die Augen und schob ihn aus meiner Tür raus. Ich hörte ihn draußen wütend aufstampfen, wie ein Kleinkind, aber da musste er jetzt durch. Er stapfte die Stufen hinunter und man konnte wirklich jede einzelne von ihnen hören. „Was hast du hier zu suchen? Hatte ich dir nicht gesagt, dass du dich von mir fernhalten sollst?“ Philipps Stimme drang kraftvoll zu uns hinauf. Und er klang nicht so, als wäre er auf Versöhnung aus. „Ob die beiden das hinbekommen?“ Zweifelnd schaute ich Konstantin

an. „Mach dir keine Sorgen, auch wenn es nicht danach aussehen mag, die beiden sind erwachsen und kriegen das schon hin. Und wenn es nichts werden sollte, dann ist das eben so.“ Ich seufzte und setzte mich wieder zu Konstantin. Ich kuschelte mich an ihn und genoss es, dass er gedankenverloren meinen Handrücken streichelte. Allerdings konnte ich mich nicht auf den Film konzentrieren. Es wäre eine mittlere Katastrophe, wenn die beiden nicht wieder zusammenfinden würden. Ich wünschte es Dom so sehr, aber dann mussten sie endlich die Fronten klären. Sicher, die Welt würde

nicht untergehen, aber es würde bestimmt lange dauern, bis wieder so etwas wie ein normaler Zustand eingekehrt wäre, immerhin waren beide meine Freunde. Als ich nach einer halben Stunde keine lauten Streitereien hörte, wurde ich zwar stutzig, hatte aber immer noch Hoffnung. Vielleicht wendete sich ja doch noch alles zum Guten. „Ich hol mir was zu trinken, lass ruhig weiterlaufen.“ Ich machte mich auf den Weg nach unten. Ich wollte gerade mit meinem Glas nach oben gehen, als es draußen verdächtig schepperte. Nicht ganz sicher, ob ich wirklich jemanden fluchen gehört hatte, stellte ich mein

Glas wieder ab. Vielleicht hatten sich Dom und Philipp ja nach draußen verkrümelt, um dort in Ruhe zu streiten. Das würde zumindest erklären, warum nichts zu hören gewesen war. Ich schlich nach draußen und versuchte in die beginnende Dunkelheit hinauszuspähen. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt und das trübe Licht machte es besonders in Richtung Wald schwer etwas zu erkennen. Doch da raschelte es schon wieder. „Wer ist da!?“ Ich versuchte meiner Stimme einen möglichst festen und bedrohlichen Klang zu geben, hatte aber nicht das Gefühl, dass mir das gelang.

Ich war mir nicht ganz sicher, glaubte aber einen Schatten hinter dem Schuppen gesehen zu haben. Ich lief langsam darauf zu und lugte um die Ecke, nur um gleich darauf nur noch durch die Nase atmen zu können. „Na, wen haben wir denn da? Du bist doch der süße Freund von unserem Dom.“ Ich wand mich in dem festen Griff, der mich von hinten umschlungen hielt. Kevin! Verdammt, was hatte der hier zu suchen. „Da hat sich unser Kleiner aber `nen reichen Macker gesucht. Kein Wunder, dass er neuerdings so zickig ist. Aber ich kauf ihm das nicht ab. Der muss nur mal wieder richtig rangenommen werden,

dann vergisst er dieses Milchgesicht garantiert sofort. Sind doch alle gleich.“ Jetzt reichte es aber, immerhin sprach er hier von meinem Freunden. Kräftig trat ich ihm auf den Fuß, sodass er mich vor Schreck losließ. „Au, du kleine miese … “ Zornig sah er mich aus stahlblauen Augen an. Viele würden ihn als wirklich gut aussehend beschreiben, wenn er nicht so einen scheiß Charakter hätte. Das schwarze kurze Haar, das immer stylisch gegelt war, neideten ihm so manche. Dazu noch die imposante Größe und die muskelbepackten Oberarme. Aber alles nur Luft. Da war keine Substanz hinter dem schönen Äußeren und er konnte es

nicht lassen in fremden Revieren zu wildern. Deshalb hätte das mit Dom und ihm auch nie geklappt. Eine Zeitlang war Domenik zwar auch so drauf, aber nie in so ausschweifendem Ausmaß. Wahrscheinlich dachte Kevin deshalb, dass er so leichtes Spiel haben würde. „Erklär mir doch mal eins. Die beiden haben sich doch gezofft, oder? Dieser Schönling war zumindest ganz schön eifersüchtig, als ich den Kleinen geküsst habe. Die beiden haben wohl noch nicht. Vielleicht sollte ich ihnen Nachhilfe geben.“ Dieser eitle Pfau war so sehr von sich eingenommen, dass mir fast die Galle hochkam. „Verschwinde. Du hast schon genug

Schaden angerichtet. Wie bist du überhaupt hierher gekommen? Und vor allem warum?“ Ich zog die Augenbrauen zusammen. Da war jemand auf Streit aus. Ganz eindeutig. „Das könnte dir als Stalking ausgelegt werden, das ist dir bewusst, oder?“ Ich wusste, dass die Drohung nichts bringen würde, aber immerhin hatte ich ihn gewarnt. „Wer wird denn hier gleich von stalken reden. Ich besuche doch nur einen Freund.“ Das verzerrte Lächeln, das auf seinem Gesicht erschien, behagte mir so gar nicht. „Freunde schleichen nicht um fremde Häuser rum und besonders küssen sie

niemanden, der bereits vergeben ist.“ „Da habe ich aber etwas anderes gehört. Soweit ich weiß, ist das alles nur Show, weil sich der Schönling nicht sicher ist und da habe ich meine Chance genutzt, unserem Dom noch mal ein bisschen näher zu kommen.“ Er leckte sich über die Lippen und ich musste mich innerlich schütteln vor Ekel. „Um ihn dann wieder sitzen zu lassen und alles zu nehmen, was nicht bei drei auf dem Baum ist? Darauf kann er verzichten.“ „Ach, der ziert sich nur. Insgeheim steht ihr doch auf die Machotour, wenn einer weiß, was er will. Ich wette, selbst du stellst dir vor, wie es wäre.

Vielleicht kann ich aus dir auch einen von uns machen.“ Der hatte sie doch nicht mehr alle! Jetzt wich ich zurück, doch ich spürte schnell, dass hinter mir die Schuppenwand aufragte. Verdammt, wieso war ich nicht drinnen geblieben? „Bleib mir vom Leib, sonst tret ich dahin, wo es wirklich wehtut!“ Doch das half natürlich nichts. Er presste seine Lippen auf meine und ich musste den Würgereiz unterdrücken. Niemand außer Konstantin durfte das! Doch er machte immer weiter. Ließ seine Hände unter mein T-Shirt gleiten und zwickte mich brutal in die Brustwarze. Er atmete immer schneller und ich versuchte mich krampfhaft zu befreien. Doch das war

gegen so einen kräftigen Riesen vergebens. Nicht einen Zentimeter Freiheit gestand er mir zu. Die Hände über dem Kopf zusammengenommen konnte ich mich weder bewegen noch wehren. Das war so erniedrigend. Er ließ endlich von meinem Mund ab und ich konnte mich zumindest verbal verteidigen, auch wenn ich ihm am liebsten ins Gesicht gereihert hätte. Doch der Schock darüber wie sich das Blatt zu meinen Ungunsten gewendet hatte, saß noch zu tief. „Hör auf damit! Du bist ganz sicher nicht der, den ich will. Unbeständig, unreif, ungehobelt, grob, ich könnte ewig so weiter machen. Es war gut, dass

du mit Dom Schluss gemacht hast, die rosarote Brille hätte ich ihm niemals abnehmen können, aber du. Danach war er nie wieder so, wie vorher.“ Das ließ ihn zwei Sekunden innehalten. „Nicht der, den du willst?“ Wieder dieses fiese Grinsen. „So ist das also. Bist du etwa auch in diesen Schönling verschossen? Ich werde dir zeigen, dass ich tausendmal besser bin als er.“ Ich musste der Liste unbedingt noch Dämlichkeit hinzufügen. Wie hatte er das nur so falsch verstehen können? Seine Hand wanderte zu meinem Hintern und fing an zu kneten. Lustvoll presste er sich an mich und das Harte in seiner Hose hätte ich lieber

nicht gespürt. Konstantin. Hilf mir! Ich stemmte mich noch einmal mit aller Kraft gegen ihn, als er kurz meine Hände losließ, um in meine Hose zu grapschen. Genau in dem Moment flog er durch die Luft und ich war schlagartig frei. „Jona! Geht es dir gut? Hat er dir was getan?“ Doms Stimme war Balsam. „Ich wusste doch, dass ich den einen Tag Ungeziefer gesehen habe. Runter von meinem Grundstück!“ Konstantin hatte noch nie so eisig gesprochen. „Darf ich ihn auch mal treten?“ Philipp und seinen Bruder nebeneinander mit verschränkten Armen stehen zu sehen, musste selbst die dümmste Person

einschüchtern. Dachte ich zumindest. Aber manche waren lebensmüde. „Jetzt versteh ich, der Schönling hat noch einen Bruder. Aber dafür, dass er anscheinend in dich verschossen ist, habt ihr ja noch nicht viel angestellt. Ich wette, der ist immer noch Jungfrau, das macht die Jagd umso spannender.“ Lass dich nicht provozieren Konstantin. Nachdem Kevin aufgestanden war, klopfte er sich den Staub von der Hose. „Glaubst du, du kommst damit durch? Wärest du ein echter Mann, dann hätte der Kleine sich nicht so unter meinen Fingern gewunden. Sein Körper hat förmlich danach gebettelt berührt zu

werden.“ „Lügner!“ Ich trat auf ihn zu, um ihm ins Gesicht zu schlagen, doch wieder fing er meine Hand ein und zog mich in seinen Arm. Bevor er mich küssen konnte, hatte ihm Konstantin schon ein Bein gestellt und ich sah wieder nur noch, dass er flog. Irgendein Kampfsportgriff, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass Konstantin ihn beherrschte. „Fass ihn noch einmal an und ich breche dir alle Gräten!“ Er drehte ihm den Arm auf den Rücken und es war beeindruckend wie die beiden Hünen miteinander rangen. Doch Konstantin behielt die

Oberhand. „Darf ich jetzt treten? Nur ein bisschen?“ „Nein. Philipp. Diese Genugtuung, dass er dich erfolgreich eifersüchtig gemacht hat, willst du ihm doch nicht geben, oder? Und du. Kevin? Deine Spielchen kannst du woanders abziehen. Sollte ich dich noch einmal auf meinem Grundstück erwischen, dann glaub mir, werde ich sicher nicht die Polizei rufen. Ich werde es genießen.“ Sein Tonfall sagte genau aus, was er meinte, ohne dass er es aussprach. Ich hoffte nur, dass diese dämliche Ratte es auch begriffen hatte. „Ich werde dich noch ein Stück

begleiten, damit du den Weg auch wirklich findest.“ Memo an mich. Konstantin niemals so wütend machen. Auf dem Weg zum Bahnhof ließ er es sich auch nicht nehmen von hinten mit ein paar gut gesetzten Schubsern nachzuhelfen. „Ich hätte ihn wirklich zu gerne getreten.“ Das beleidigte Hündchengesicht passte zwar nicht zu der brutalen Aussage, aber ich konnte das sehr gut nachvollziehen. „Ich auch.“ Doms leise Stimme kam aus dem Hintergrund. „Wie kam der eigentlich hierher?“ „Ich vermute, er ist mir gefolgt.“ Doms

machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Hast du dich vorher etwa mit ihm getroffen?“ Philipps Gesicht nahm schon wieder einen gefährlichen Ausdruck an. „Nein! Du hirnloser Idiot. Ich kann doch nichts dafür, wenn das Ekelpaket mich verfolgt! Ich habe dir jetzt gefühlte hundertmal erklärt, dass er mich anwidert. Wieso geht das eigentlich nicht in deinen Dickschädel?!“ Und schon waren sie am Zanken. „Und wieso weiß der so viel über uns? Wenn du es ihm nicht gesagt hast, um dich über mich lustig zu machen, nur

weil ich mir noch unsicher war, wer dann?“ Oha, da war der Knackpunkt der ganzen Misere. „Vielleicht du selbst? Immerhin hast du dich doch im Suff noch freudestrahlend mit ihm unterhalten, erst danach hat er sich an mich rangemacht. Ich hab ihm das mit unserer ach so tollen kleinen Abmachung nämlich nicht gesteckt. Und außer uns wusste ja auch keiner davon.“ Ähm, ja. Philipps Gesichtszüge entglitten genauso wie meine. „Ach, du scheiße.“ „Na, macht’s endlich klick? Ich wollte es dir nicht sagen, aber du lässt mir ja keine Wahl. Schließlich versuchst du mir seit einer Woche die gesamte Schuld

in die Schuhe zu schieben und ich weiß immer noch nicht woran ich bin. Bedeute ich dir so wenig, dass du mir nicht mal verzeihen kannst, dass ich gegen meinen Willen geküsst wurde und noch dazu nur weil du so dämlich warst und Kevin überhaupt erst darauf angesetzt hast?!“ Seine Stimme war immer schriller geworden. „Dom. Ich… es… ich wusste nicht… “ „Er würde sich an jeden ranschmeißen, egal ob er will oder nicht. Hat man ja eben gesehen, aber Konstantin richtet seine Eifersucht wenigstens auf den Richtigen und nicht auf das Opfer. Ich weiß echt nicht, was ich davon halten soll. Ich scheine dir vollkommen egal zu

sein. Aber du mir nicht. Deswegen ist es auch so schwer loszulassen, aber wenn es das ist, was du willst, dass ich dich in Ruhe lasse, dann… Betrachte unsere Abmachung als null und nichtig. Du bist wieder frei. Entweder ich bin dein Freund oder nicht. Dieses Dazwischen macht mich fertig.“ Jetzt fing er doch an zu weinen und ich konnte nicht anders und nahm ihn in den Arm. Endlich hatte er die Gelegenheit gehabt, Philipp mit seinen Ängsten zu konfrontieren. „Dom… es tut mir Leid…“ Philipps betretener Pudelblick hätte jeden aufgeweicht. Ich löste Domeniks Finger von meiner Taille und schob ihn sanft in

seine Richtung. „Ich will nicht. Er denkt nur schlecht von mir. Das ist doch keine Liebe, da kann ich auch gleich allein bleiben.“ Schniefend versuchte er sich wieder in meine Arme zu flüchten. „Es tut mir wirklich Leid. Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?“ „Was hätte das geändert? Du hast mir doch keine Chance gegeben mich zu erklären. Diese ganze beschissene Idee ist außerdem auf deinem Mist gewachsen!“ „Wenn sie so bescheuert war, wieso hast du dann überhaupt ja gesagt?“ Das würde mich auch interessieren. Eigentlich hätte ich die beiden allein

lassen sollen, aber Dom in seinem Elend brauchte ein wenig Rückhalt und ich glaubte nicht, dass er mich hätte gehen lassen. „Weil ich bei dir sein wollte. Wenn ich dir gleich gesagt hätte, dass ich mich Hals über Kopf in dich verliebt habe, dann wärst du doch schreiend weggerannt. Immerhin bist du hetero.“ „Das kann man nun wirklich nicht so sagen. Und du kleiner Blödi, wenn ich dich nicht von Anfang an mehr gemocht hätte, als ich es für möglich gehalten hätte, wäre ich nie auf dein Angebot eingegangen. Ich glaube, ich wollte es mir nur leicht machen… für den Fall, dass es nicht klappt. Oh Gott, ich bin ein

Arsch.“ Dom nickte leicht. „Ja, manchmal schon. Aber hast du gesagt von Anfang an? Ich hatte ja schon die Hoffnung aufgegeben. Schließlich lief es zwar ganz gut, aber da war eben nie Tiefgang. Guck dir mal Jona, unseren Gefühlkrüppel an.“ Ich verzog beleidigt das Gesicht. Der hatte nun wirklich nicht sein müssen. „Selbst er benimmt sich mit Konstantin wie ein altes Ehepaar. Die beiden haben es doch auch hinbekommen. Warum wir nicht? Wenn es nicht an mir lag…“ „Komm jetzt endlich her!“ Damit zog er Dom in eine feste Umarmung und küsste ihn hingebungsvoll. Mir war es schon peinlich dabei zusehen zu müssen und

jetzt verzog ich mich wirklich. Ich hörte nur ein leises „Ich liebe dich auch“ und hatte auf dem Weg ins Haus ein dämliches Grinsen auf dem Gesicht. Zeitgleich mit Konstantin schlüpfte ich hinein und warf mich in seine Arme. „Ich liebe dich!“ Konstantin strahlte über das ganze Gesicht. „Ich weiß. Ich dich auch.“ Hand in Hand gingen wir nach oben und vergaßen die beiden unten völlig.

Kapitel 17

Kapitel 17 Warum konnte es nicht einmal so bleiben, wie es ist? Die ganzen letzten zwei Wochen waren dermaßen schön gewesen, dass ich fast vergessen hätte, dass es noch andere Menschen auf der Welt gab, die mir etwas bedeuteten. Tja, solange, bis Sammy mich völlig verheult anrief und ich zu ihr fuhr, weil sie den Weg vor lauter Tränen ganz sicher nicht gefunden hätte. Am Telefon hatte ich nicht allzu viel aus ihr herausbekommen, dann sie hatte vor lauter Hicksen kaum einen

zusammenhängenden Satz herausgebracht. Es brach mir das Herz, sie so traurig zu wissen, besonders, da meine Welt momentan eher rosarot angetüncht war. Aber wozu waren Freunde da? Ich hatte sie in letzter Zeit sträflich vernachlässigt und ich wusste, dass es nur um Ben gehen konnte, fragte sich nur, in welchem Ausmaß. Ich stand vor ihrer Wohnungstür und hörte schon von draußen das leise Schniefen. Zwischendrin summte sie eine melancholische Melodie. Ach Sammy, ich weiß, dass dir Musik bei sowas hilft, aber muss es gleich so etwas Trübsinniges sein? „Crying“ von

Vonda Shephard half ganz bestimmt nicht bei Liebeskummer. Ich klopfte an und hatte sofort ein heulendes Bündel im Arm. Doch bevor ich irgendwas sagen konnte, hatte sie schon angefangen. „Er … hicks… ist wieder mit seiner … hicks … Freundin zusammen.“ Oje, kein Wunder, dass sie am Boden zerstört war. „Aber wieso?“ Ich schlug mich selbst in Gedanken. Blöde Frage. „Weil er… er sie doch immer noch lii…lii…liiiebt.“ Nun flossen die Tränen in Sturzbächen über ihr Gesicht. Obwohl es sonst immer so vor Fröhlichkeit sprühte, war es nun ganz

verquollen. Sie hatte wohl die ganze Nacht geweint. Rote Stressflecken und dunkle Schatten unter den Augen ließen sie mitleiderregend aussehen. Doch, das war nicht das, was sie jetzt brauchte. „Erzähl mir mal alles von Anfang an, dann wird es leichter.“ Sie schaute mich zweifelnd an. „Sicher?“ Ich nickte, nichts half besser, als sich alles von der Seele zu reden und dann über den anderen herzuziehen, weil er einen sowieso nicht verdiente. „Du weißt doch von dem Mädchen, dem ich seine Nummer gegeben habe? Tja, ich dachte ja, ich hätte nichts Schlimmes verbrochen. Immerhin hatte ich das schon öfter gemacht. Kannst du

dir vorstellen, wie beschissen Zufälle manchmal sind?“ Oja, das konnte ich. Aber ich schwieg. „Nun ja, es stellte sich heraus, dass Antonia ein gute Freundin von seiner Ex ist.“ Sie lächelte mich gequält an. „Das machte das Chaos perfekt. Deshalb ist er auch so sauer gewesen. Sie hatte wohl nur darauf gewartet, dass er sich von Katharina trennte und wollte ihre Chance ergreifen. Und ich habe auch noch mitgemacht.“ „Aber es ist doch nicht deine Schuld, dass sie in ihn verknallt ist.“ „Ja, ich weiß, aber er schiebt mir trotzdem die Schuld in die Schuhe. Schließlich wusste ich ja, dass er immer

noch in Katharina verliebt ist und sie nicht vergessen kann. Ich hätte ihn in der Hinsicht unterstützen sollen und nicht Antonia. Deshalb konnte er mir nicht verzeihen. Doch nun, da er wieder mit diesem blöden Flittchen zusammen ist, redet er plötzlich mit mir und benimmt sich so wie vorher. Das Ironische an der Sache ist, dass sich Antonia daraufhin mit seiner Ex so übel gezofft hat, dass die beiden wieder zusammengekommen sind. Katharina denkt wohl, dass wenn eine andere Ben haben will, er doch nicht so übel war. Dämliche Schlampe. Und nun hat er mir ausgerechnet deswegen verziehen.“ Das war wirklich blöd

gelaufen. „Und dir geht es mies dabei, weil er einerseits wieder mit der doofen Zicke – ich kann sie übrigens auch nicht leiden – zusammen ist und andererseits willst du ihn nur glücklich sehen, oder?“ Abwartend sah ich in ihre blutunterlaufenen hellbraunen Augen und die blonden Locken hingen ihr traurig ins Gesicht. Langsam nickte sie. „Es tut so weh.“ „Ja, ich weiß, Kleines. Wein dich ruhig aus. Du musst nicht weitererzählen.“ Sie kuschelte sich auf der Couch an mich und ich ertrug es, einfach nur still dazusitzen, bis sie sich einigermaßen beruhigt

hatte. „Ich weiß, dass der Satz nicht viel hilft, aber es gibt noch andere da draußen und du bist ein großartiger Mensch, der etwas Besseres verdient hat, als einem anderen hinterherlaufen zu müssen. Ich mag Ben wirklich, aber in dieser Sache ist er meiner Meinung nach ein Idiot.“ Sie zwang sich zu einem halbherzigen Grinsen. „Ich will es versuchen. Aber ich kann dir nichts versprechen. Ich bin schon so lange in ihn verliebt, aber so langsam sehe ich auch ein, dass es ohne große Hoffnung ist. Ich bin eben nur eine Freundin.“ „Nimm es nicht so schwer. Ich weiß,

dass man Gefühle nichts von heute auf morgen abstellen kann. Vielleicht wird es mit der Zeit leichter, aber wenn nicht, dann weißt du hoffentlich, dass ich immer für dich da bin.“ Ich fasste sie an den Schultern und sah wieder neue Tränen in ihren Augen glitzern. „Ach Jona, das ist das Liebste, was du je zu mir gesagt hast. Ich hab dich lieb.“ Zögerlich streckte ich die Arme aus und sie kuschelte sich hinein. Ich war ein bisschen stolz auf mich. Ich wurde besser im Trösten. Hatte in letzter Zeit auch genug Übung gehabt. Das Wichtigste war, dass Sammy wieder nach vorn schaute und nicht in die

Vergangenheit. Sie musste wirklich vollkommen erschöpft gewesen sein, denn sie war kurz darauf eingeschlafen und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Leise deckte ich sie zu und dachte, wie zerbrechlich sie wirkte, obwohl sie sonst immer so eine starke Person war. Den Kopf voller Gedanken machte ich mich wieder auf den Heimweg. Sammy tat mir leid. Aber ich wusste, dass das genau das Falsche war. Ich musste sie unterstützen, ihr zeigen, dass Leben auch ohne Ben an ihrer Seite weitergehen würde. Außerdem hielt ich es für das Beste, wenn sie ihn vorläufig

nicht sah. Aber das schien mir unmöglich. Besonders wenn man jemanden nicht sehen wollte, lief man ihm über den Weg und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie sich freiwillig von ihm fernhalten wollte. Egal, wie sehr sie das schmerzte. In meiner Tasche klingelte mein Uralttelefon und ich fischte es schnell heraus. Ob Konstantin schon zurück war? Er wollte in die Bibliothek, um sich für seine Hausarbeit Bücher zu besorgen, aber die Unibibliothek hatte sie nicht dagehabt, deshalb musste er in die nächste Stadt fahren. Aber als ich auf das Display schaute, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Es war

die Haustelefonnnummer meiner Eltern und ich überlegte wirklich einfach nicht ranzugehen. „Ja?“ Ich merkte selbst, dass meine Stimme eisig klang, doch ich konnte nichts dagegen unternehmen. Zu deutlich war mein letztes Gespräch mit meiner Mutter in meinem Kopf und ich hatte eigentlich keine Lust auf das Gezeter. Aber es war eine männliche Stimme, die mich begrüßte. „Hallo, Jona. Hier ist dein Vater. Ich wollte fragen, wie es dir geht.“ Erleichterung machte sich in meinem Inneren breit. Ich hatte zwar ein bisschen das Gefühl, dass die Welt Kopf stand, aber ich freute mich wirklich,

dass mein Vater angerufen hatte. Egal, ob seine Fürsorge nur gespielt war. Er behandelte mich wenigstens nicht wie Luft. „Ganz gut. Und dir?“ Ach, Smalltalk war wirklich nicht meins. „Erträglich, die Firma hat gerade einen großen Auftrag und ich bin ziemlich beschäftigt.“ „Oh, dann will ich dich mal nicht davon abhalten.“ Er lachte leise und ich fragte mich, was so komisch daran war. „So war das nicht gemeint. Sonst hätte ich dich doch nicht angerufen. Wie…wie geht es deinem Freund? Behandelt er dich gut? Muss ich mir Sorgen machen? Läuft es immer noch bei

deinem Studium. Falls du Geld brauchen solltest, dann sag ruhig was. Egal, was deine Mutter dazu meint, wir werden dich unterstützen.“ Ich musste mich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle auf der Straße loszuheulen. Den Kloß im Hals hörte man sicherlich auch noch durch das Telefon. „Nimm es mir nicht übel, ich bin dir wirklich sehr dankbar für dieses Angebot, aber ich komme klar. Und in der Hinsicht kommt es zu spät. Ich werde euch nicht auf der Tasche liegen, das habe ich ernst gemeint.“ „Ich wollte auch nur sagen, dass wir – ich trotzdem da bin, wenn du was brauchen solltest. Du hast meine anderen

Fragen nicht beantwortet. Wie heißt dein Freund eigentlich? Ich würde ihn übrigens gern mal kennen lernen. Muss mir ja ein Bild davon machen, mit wem mein Sohn da zusammen ist.“ Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Nie hätte ich erwartet, dass mein Vater sich darüber Gedanken machen würde. Anscheinend war bei ihm endlich der Knoten geplatzt, auch wenn es Jahre zu spät kam und ich nicht einfach vergessen konnte, was vorher gewesen war. Doch es war ein Anfang. Meine Bahn fuhr an und ich erzählte ihm von Konstantin. Hörte man meiner Stimme an, wie sehr ich ihn liebte? Anscheinend. Denn das stolze Lächeln

meines Vaters konnte ich selbst durch das Telefon spüren. Ein kleines Stückchen Eispanzer schmolz von meinem Herzen, denn ich merkte, dass er sich wirklich für mich interessierte. Leider fühlte ich mich irgendwann genötigt zu fragen, wie es den anderen ging und unser Gespräch wurde ernster und trauriger. Ich fühlte, dass er unglücklich war, aber daran konnte nur er selbst etwas ändern. Meine Mutter war unversöhnlich, unerträglich stolz und arrogant und würde niemals zugeben, dass sie einmal nicht im Recht war. Das Einzige, was uns ein wenig aufheiterte waren die Neuigkeiten von Susanne, die mich auf ihren Bauernhof

eingeladen hatte und nun darauf bestand, dass ich sie besuchte. Es war so schön zu wissen, dass man mit offen Armen erwartet wurde. Doch es versetzte mir schon einen kleinen Schock, als mein Vater meinte, ich solle doch Konstantin mitbringen. „Aber Papa, Mama wird auch da sein und ich will ihn nicht ihren giftspritzenden Bemerkungen aussetzen.“ Oh, wie gern wollte ich, dass Susanne und Anton, Konstantin kennen lernten. Ich war mir sicher, dass sie sich auf Anhieb verstehen würden. Es wäre zu schön um wahr zu sein. „Frag deinen Konstantin doch einfach und lass ihn entscheiden, ob er sich in

die Höhle des Drachen wagt. Zur Not bin ich auch noch da, Jona. Glaub nicht, dass dein alter Herr sich nicht durchsetzen könnte. Schließlich bin ich seit über 20 Jahren mit dieser Frau verheiratet.“ Und ich fragte mich immer noch, warum. Das war gemein. Aber die Wahrheit. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Furie, jemals liebenswert gewesen sein sollte. Die Verbitterung brach sich wieder Bahn und ich beendete das Gespräch, bevor ich etwas Falsches sagte. Als ich ausstieg, wurde ich von jemandem empfangen, der meine Laune definitiv nicht hob. Hatten sich heute alle

guten Geister gegen mich verschworen? „Hallo Bruderherz.“ Das Grinsen einer Schlange im Gesicht, kam Sandrine auf mich zu. Sie umarmte mich, aber ich blieb steif, wie ein Brett. „Hallo. Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“ Hörte man meiner Stimme an, wie sehr ich sie ans andere Ende der Welt wünschte. „Kein Grund zickig zu werden. Ich hab mir seit einer halben Stunde die Beine in den Bauch gestanden, weil die Bahn bis hierher eine halbe Ewigkeit braucht.“ Woher wusste sie, dass ich ausgerechnet jetzt mit dem Regio hier ankam. „Schau nicht so finster. Papa hat mir

gesagt, dass du wieder zurück fährst und da bin ich einfach los. Kann ja lange auf eine Einladung von dir warten, oder? Dabei bin ich doch sooo neugierig, wie du jetzt wohnst.“ Ihr Ton war zuckersüß. Mir wurde schon schlecht, wenn ich daran dachte, was sie anrichten könnte, aber sie jetzt wieder nach Hause zu schicken, wäre doch zu unhöflich gewesen. Und Konstantin war bestimmt noch nicht da. „Dann komm mit.“ Und verlauf dich im Wald. Wir liefen schweigend nebeneinander her und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas ausheckte. Komm schon,

spuck es aus. Ich merkte, dass sie die ganze Zeit etwas sagen wollte, aber komischerweise traute sie sich nicht. Dabei nahm sie doch sonst nie ein Blatt vor dem Mund. Als wir den Wald erreichten, in dem das Haus lag, sah ich kurz wie ihr Gesicht sich verzog. Sie musste wirklich mit sich hadern. Ich war es nicht gewohnt, dass sie so schweigsam war und daher noch vorsichtiger als sonst in ihrer Gegenwart. Ich schloss die Haustür auf und weidete mich ein wenig an ihrem staunenden Blick. Aber sie hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. „Schick, aber ein wenig übertrieben.“ Na

klar. Es gefällt dir, das sehe ich dir an. Der Neid, der aus anderen Menschen sprach, nahm manchmal eigenartige Züge an. So sah ich, dass die Antiquitäten sehr wohl ihren Geschmack trafen, aber sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. „Willst du etwas trinken?“ „Ja, Wasser.“ Bitte, danke. Höflichkeit gleich null. Ich goss ihr ein Glas ein und sie klammerte sich daran, als ob es ein Rettungsanker wäre. Ich hatte noch nie erlebt, dass sie sich so unwohl gefühlt hatte. Sonst strotzte sie vor Selbstbewusstsein. Ich nahm sie kurz mit in mein Zimmer

und dann in die Wohnstube. „Wer wohnt hier eigentlich noch?“ Das war das erste Wort, das sie von sich aus sprach, seit einer gefühlten halben Stunde. „Konstantin und Philipp. Okay Dom ist Dauergast, aber eigentlich wohnt er nicht hier.“ „Dom? Ach, die kleine Schw… Sorry. Du gehörst ja jetzt auch dazu.“ Ihr Ausdruck war mehr als unangenehm berührt und am liebsten hätte ich das Thema gar nicht zur Sprache gebracht, aber es musste sein, wenn wir einigermaßen miteinander auskommen wollten. „Es heißt streng genommen homosexuell

und wenn ich dich erwische, dass du ihn Schwuchtel nennst, dann mach dich auf was gefasst. Das gilt auch für die anderen, die hier in diesem Haus leben. Benimm dich und wir werden keine Probleme miteinander haben.“ Sie sah mich empört an. „Was hältst du von mir?“ Willst du darauf echt eine ehrliche Antwort? Ich zog nur eine Augenbraue hoch. Das hatte ich mir von Konstantin abgeschaut. „Ich hab mir doch nur Sorgen gemacht.“ Dieser weinerliche Tonfall war so falsch. Eher gefriert die Hölle ein. „Darf ich mich auch allein umsehen?“ Ich nickte, was sollte sie schon

großartig anstellen? „Die anderen beiden Zimmer in der oberen Etage sind tabu.“ Nur zur Sicherheit. Als sie durch das Haus ging, machte ich mir erst einmal einen Kaffee. Ich grübelte immer noch über Sandrines Beweggründe, als mir auffiel, dass sie gar nicht wiederkam. War ihr etwas passiert? Ich suchte erst die oberen Zimmer ab, auch die, die ich ihr verboten hatte, aber wurde nicht fündig. Der Dachboden bot gute Verstecke, aber dafür war sie schon zu alt und unser Verhältnis nicht gut genug. Doch, ich fand sie und hätte ihr am liebsten sofort den Hals umgedreht. Ich wusste, sie hatte etwas vor, aber sich an

Konstantin in der Bibliothek ranzuschmeißen, wäre das letzte gewesen, was ich erwartet hätte. Schreib mir was!Kapitel 17 Warum konnte es nicht einmal so bleiben, wie es ist? Die ganzen letzten zwei Wochen waren dermaßen schön gewesen, dass ich fast vergessen hätte, dass es noch andere Menschen auf der Welt gab, die mir etwas bedeuteten. Tja, solange, bis Sammy mich völlig verheult anrief und ich zu ihr fuhr, weil sie den Weg vor lauter Tränen ganz sicher nicht gefunden hätte. Am Telefon hatte ich nicht allzu viel aus ihr herausbekommen, dann sie hatte vor

lauter Hicksen kaum einen zusammenhängenden Satz herausgebracht. Es brach mir das Herz, sie so traurig zu wissen, besonders, da meine Welt momentan eher rosarot angetüncht war. Aber wozu waren Freunde da? Ich hatte sie in letzter Zeit sträflich vernachlässigt und ich wusste, dass es nur um Ben gehen konnte, fragte sich nur, in welchem Ausmaß. Ich stand vor ihrer Wohnungstür und hörte schon von draußen das leise Schniefen. Zwischendrin summte sie eine melancholische Melodie. Ach Sammy, ich weiß, dass dir Musik bei sowas hilft, aber muss es gleich so

etwas Trübsinniges sein? „Crying“ von Vonda Shephard half ganz bestimmt nicht bei Liebeskummer. Ich klopfte an und hatte sofort ein heulendes Bündel im Arm. Doch bevor ich irgendwas sagen konnte, hatte sie schon angefangen. „Er … hicks… ist wieder mit seiner … hicks … Freundin zusammen.“ Oje, kein Wunder, dass sie am Boden zerstört war. „Aber wieso?“ Ich schlug mich selbst in Gedanken. Blöde Frage. „Weil er… er sie doch immer noch lii…lii…liiiebt.“ Nun flossen die Tränen in Sturzbächen über ihr Gesicht. Obwohl es sonst immer so vor

Fröhlichkeit sprühte, war es nun ganz verquollen. Sie hatte wohl die ganze Nacht geweint. Rote Stressflecken und dunkle Schatten unter den Augen ließen sie mitleiderregend aussehen. Doch, das war nicht das, was sie jetzt brauchte. „Erzähl mir mal alles von Anfang an, dann wird es leichter.“ Sie schaute mich zweifelnd an. „Sicher?“ Ich nickte, nichts half besser, als sich alles von der Seele zu reden und dann über den anderen herzuziehen, weil er einen sowieso nicht verdiente. „Du weißt doch von dem Mädchen, dem ich seine Nummer gegeben habe? Tja, ich dachte ja, ich hätte nichts Schlimmes verbrochen. Immerhin hatte

ich das schon öfter gemacht. Kannst du dir vorstellen, wie beschissen Zufälle manchmal sind?“ Oja, das konnte ich. Aber ich schwieg. „Nun ja, es stellte sich heraus, dass Antonia ein gute Freundin von seiner Ex ist.“ Sie lächelte mich gequält an. „Das machte das Chaos perfekt. Deshalb ist er auch so sauer gewesen. Sie hatte wohl nur darauf gewartet, dass er sich von Katharina trennte und wollte ihre Chance ergreifen. Und ich habe auch noch mitgemacht.“ „Aber es ist doch nicht deine Schuld, dass sie in ihn verknallt ist.“ „Ja, ich weiß, aber er schiebt mir trotzdem die Schuld in die Schuhe.

Schließlich wusste ich ja, dass er immer noch in Katharina verliebt ist und sie nicht vergessen kann. Ich hätte ihn in der Hinsicht unterstützen sollen und nicht Antonia. Deshalb konnte er mir nicht verzeihen. Doch nun, da er wieder mit diesem blöden Flittchen zusammen ist, redet er plötzlich mit mir und benimmt sich so wie vorher. Das Ironische an der Sache ist, dass sich Antonia daraufhin mit seiner Ex so übel gezofft hat, dass die beiden wieder zusammengekommen sind. Katharina denkt wohl, dass wenn eine andere Ben haben will, er doch nicht so übel war. Dämliche Schlampe. Und nun hat er mir ausgerechnet deswegen verziehen.“ Das

war wirklich blöd gelaufen. „Und dir geht es mies dabei, weil er einerseits wieder mit der doofen Zicke – ich kann sie übrigens auch nicht leiden – zusammen ist und andererseits willst du ihn nur glücklich sehen, oder?“ Abwartend sah ich in ihre blutunterlaufenen hellbraunen Augen und die blonden Locken hingen ihr traurig ins Gesicht. Langsam nickte sie. „Es tut so weh.“ „Ja, ich weiß, Kleines. Wein dich ruhig aus. Du musst nicht weitererzählen.“ Sie kuschelte sich auf der Couch an mich und ich ertrug es, einfach nur still dazusitzen, bis sie sich einigermaßen beruhigt

hatte. „Ich weiß, dass der Satz nicht viel hilft, aber es gibt noch andere da draußen und du bist ein großartiger Mensch, der etwas Besseres verdient hat, als einem anderen hinterherlaufen zu müssen. Ich mag Ben wirklich, aber in dieser Sache ist er meiner Meinung nach ein Idiot.“ Sie zwang sich zu einem halbherzigen Grinsen. „Ich will es versuchen. Aber ich kann dir nichts versprechen. Ich bin schon so lange in ihn verliebt, aber so langsam sehe ich auch ein, dass es ohne große Hoffnung ist. Ich bin eben nur eine Freundin.“ „Nimm es nicht so schwer. Ich weiß,

dass man Gefühle nichts von heute auf morgen abstellen kann. Vielleicht wird es mit der Zeit leichter, aber wenn nicht, dann weißt du hoffentlich, dass ich immer für dich da bin.“ Ich fasste sie an den Schultern und sah wieder neue Tränen in ihren Augen glitzern. „Ach Jona, das ist das Liebste, was du je zu mir gesagt hast. Ich hab dich lieb.“ Zögerlich streckte ich die Arme aus und sie kuschelte sich hinein. Ich war ein bisschen stolz auf mich. Ich wurde besser im Trösten. Hatte in letzter Zeit auch genug Übung gehabt. Das Wichtigste war, dass Sammy wieder nach vorn schaute und nicht in die

Vergangenheit. Sie musste wirklich vollkommen erschöpft gewesen sein, denn sie war kurz darauf eingeschlafen und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Leise deckte ich sie zu und dachte, wie zerbrechlich sie wirkte, obwohl sie sonst immer so eine starke Person war. Den Kopf voller Gedanken machte ich mich wieder auf den Heimweg. Sammy tat mir leid. Aber ich wusste, dass das genau das Falsche war. Ich musste sie unterstützen, ihr zeigen, dass Leben auch ohne Ben an ihrer Seite weitergehen würde. Außerdem hielt ich es für das Beste, wenn sie ihn vorläufig

nicht sah. Aber das schien mir unmöglich. Besonders wenn man jemanden nicht sehen wollte, lief man ihm über den Weg und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie sich freiwillig von ihm fernhalten wollte. Egal, wie sehr sie das schmerzte. In meiner Tasche klingelte mein Uralttelefon und ich fischte es schnell heraus. Ob Konstantin schon zurück war? Er wollte in die Bibliothek, um sich für seine Hausarbeit Bücher zu besorgen, aber die Unibibliothek hatte sie nicht dagehabt, deshalb musste er in die nächste Stadt fahren. Aber als ich auf das Display schaute, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Es war

die Haustelefonnnummer meiner Eltern und ich überlegte wirklich einfach nicht ranzugehen. „Ja?“ Ich merkte selbst, dass meine Stimme eisig klang, doch ich konnte nichts dagegen unternehmen. Zu deutlich war mein letztes Gespräch mit meiner Mutter in meinem Kopf und ich hatte eigentlich keine Lust auf das Gezeter. Aber es war eine männliche Stimme, die mich begrüßte. „Hallo, Jona. Hier ist dein Vater. Ich wollte fragen, wie es dir geht.“ Erleichterung machte sich in meinem Inneren breit. Ich hatte zwar ein bisschen das Gefühl, dass die Welt Kopf stand, aber ich freute mich wirklich,

dass mein Vater angerufen hatte. Egal, ob seine Fürsorge nur gespielt war. Er behandelte mich wenigstens nicht wie Luft. „Ganz gut. Und dir?“ Ach, Smalltalk war wirklich nicht meins. „Erträglich, die Firma hat gerade einen großen Auftrag und ich bin ziemlich beschäftigt.“ „Oh, dann will ich dich mal nicht davon abhalten.“ Er lachte leise und ich fragte mich, was so komisch daran war. „So war das nicht gemeint. Sonst hätte ich dich doch nicht angerufen. Wie…wie geht es deinem Freund? Behandelt er dich gut? Muss ich mir Sorgen machen? Läuft es immer noch bei

deinem Studium. Falls du Geld brauchen solltest, dann sag ruhig was. Egal, was deine Mutter dazu meint, wir werden dich unterstützen.“ Ich musste mich zusammenreißen, um nicht auf der Stelle auf der Straße loszuheulen. Den Kloß im Hals hörte man sicherlich auch noch durch das Telefon. „Nimm es mir nicht übel, ich bin dir wirklich sehr dankbar für dieses Angebot, aber ich komme klar. Und in der Hinsicht kommt es zu spät. Ich werde euch nicht auf der Tasche liegen, das habe ich ernst gemeint.“ „Ich wollte auch nur sagen, dass wir – ich trotzdem da bin, wenn du was brauchen solltest. Du hast meine anderen

Fragen nicht beantwortet. Wie heißt dein Freund eigentlich? Ich würde ihn übrigens gern mal kennen lernen. Muss mir ja ein Bild davon machen, mit wem mein Sohn da zusammen ist.“ Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Nie hätte ich erwartet, dass mein Vater sich darüber Gedanken machen würde. Anscheinend war bei ihm endlich der Knoten geplatzt, auch wenn es Jahre zu spät kam und ich nicht einfach vergessen konnte, was vorher gewesen war. Doch es war ein Anfang. Meine Bahn fuhr an und ich erzählte ihm von Konstantin. Hörte man meiner Stimme an, wie sehr ich ihn liebte? Anscheinend. Denn das stolze Lächeln

meines Vaters konnte ich selbst durch das Telefon spüren. Ein kleines Stückchen Eispanzer schmolz von meinem Herzen, denn ich merkte, dass er sich wirklich für mich interessierte. Leider fühlte ich mich irgendwann genötigt zu fragen, wie es den anderen ging und unser Gespräch wurde ernster und trauriger. Ich fühlte, dass er unglücklich war, aber daran konnte nur er selbst etwas ändern. Meine Mutter war unversöhnlich, unerträglich stolz und arrogant und würde niemals zugeben, dass sie einmal nicht im Recht war. Das Einzige, was uns ein wenig aufheiterte waren die Neuigkeiten von Susanne, die mich auf ihren Bauernhof

eingeladen hatte und nun darauf bestand, dass ich sie besuchte. Es war so schön zu wissen, dass man mit offen Armen erwartet wurde. Doch es versetzte mir schon einen kleinen Schock, als mein Vater meinte, ich solle doch Konstantin mitbringen. „Aber Papa, Mama wird auch da sein und ich will ihn nicht ihren giftspritzenden Bemerkungen aussetzen.“ Oh, wie gern wollte ich, dass Susanne und Anton, Konstantin kennen lernten. Ich war mir sicher, dass sie sich auf Anhieb verstehen würden. Es wäre zu schön um wahr zu sein. „Frag deinen Konstantin doch einfach und lass ihn entscheiden, ob er sich in

die Höhle des Drachen wagt. Zur Not bin ich auch noch da, Jona. Glaub nicht, dass dein alter Herr sich nicht durchsetzen könnte. Schließlich bin ich seit über 20 Jahren mit dieser Frau verheiratet.“ Und ich fragte mich immer noch, warum. Das war gemein. Aber die Wahrheit. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass diese Furie, jemals liebenswert gewesen sein sollte. Die Verbitterung brach sich wieder Bahn und ich beendete das Gespräch, bevor ich etwas Falsches sagte. Als ich ausstieg, wurde ich von jemandem empfangen, der meine Laune definitiv nicht hob. Hatten sich heute alle

guten Geister gegen mich verschworen? „Hallo Bruderherz.“ Das Grinsen einer Schlange im Gesicht, kam Sandrine auf mich zu. Sie umarmte mich, aber ich blieb steif, wie ein Brett. „Hallo. Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“ Hörte man meiner Stimme an, wie sehr ich sie ans andere Ende der Welt wünschte. „Kein Grund zickig zu werden. Ich hab mir seit einer halben Stunde die Beine in den Bauch gestanden, weil die Bahn bis hierher eine halbe Ewigkeit braucht.“ Woher wusste sie, dass ich ausgerechnet jetzt mit dem Regio hier ankam. „Schau nicht so finster. Papa hat mir

gesagt, dass du wieder zurück fährst und da bin ich einfach los. Kann ja lange auf eine Einladung von dir warten, oder? Dabei bin ich doch sooo neugierig, wie du jetzt wohnst.“ Ihr Ton war zuckersüß. Mir wurde schon schlecht, wenn ich daran dachte, was sie anrichten könnte, aber sie jetzt wieder nach Hause zu schicken, wäre doch zu unhöflich gewesen. Und Konstantin war bestimmt noch nicht da. „Dann komm mit.“ Und verlauf dich im Wald. Wir liefen schweigend nebeneinander her und ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas ausheckte. Komm schon,

spuck es aus. Ich merkte, dass sie die ganze Zeit etwas sagen wollte, aber komischerweise traute sie sich nicht. Dabei nahm sie doch sonst nie ein Blatt vor dem Mund. Als wir den Wald erreichten, in dem das Haus lag, sah ich kurz wie ihr Gesicht sich verzog. Sie musste wirklich mit sich hadern. Ich war es nicht gewohnt, dass sie so schweigsam war und daher noch vorsichtiger als sonst in ihrer Gegenwart. Ich schloss die Haustür auf und weidete mich ein wenig an ihrem staunenden Blick. Aber sie hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. „Schick, aber ein wenig übertrieben.“ Na

klar. Es gefällt dir, das sehe ich dir an. Der Neid, der aus anderen Menschen sprach, nahm manchmal eigenartige Züge an. So sah ich, dass die Antiquitäten sehr wohl ihren Geschmack trafen, aber sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als das zuzugeben. „Willst du etwas trinken?“ „Ja, Wasser.“ Bitte, danke. Höflichkeit gleich null. Ich goss ihr ein Glas ein und sie klammerte sich daran, als ob es ein Rettungsanker wäre. Ich hatte noch nie erlebt, dass sie sich so unwohl gefühlt hatte. Sonst strotzte sie vor Selbstbewusstsein. Ich nahm sie kurz mit in mein Zimmer

und dann in die Wohnstube. „Wer wohnt hier eigentlich noch?“ Das war das erste Wort, das sie von sich aus sprach, seit einer gefühlten halben Stunde. „Konstantin und Philipp. Okay Dom ist Dauergast, aber eigentlich wohnt er nicht hier.“ „Dom? Ach, die kleine Schw… Sorry. Du gehörst ja jetzt auch dazu.“ Ihr Ausdruck war mehr als unangenehm berührt und am liebsten hätte ich das Thema gar nicht zur Sprache gebracht, aber es musste sein, wenn wir einigermaßen miteinander auskommen wollten. „Es heißt streng genommen homosexuell

und wenn ich dich erwische, dass du ihn Schwuchtel nennst, dann mach dich auf was gefasst. Das gilt auch für die anderen, die hier in diesem Haus leben. Benimm dich und wir werden keine Probleme miteinander haben.“ Sie sah mich empört an. „Was hältst du von mir?“ Willst du darauf echt eine ehrliche Antwort? Ich zog nur eine Augenbraue hoch. Das hatte ich mir von Konstantin abgeschaut. „Ich hab mir doch nur Sorgen gemacht.“ Dieser weinerliche Tonfall war so falsch. Eher gefriert die Hölle ein. „Darf ich mich auch allein umsehen?“ Ich nickte, was sollte sie schon

großartig anstellen? „Die anderen beiden Zimmer in der oberen Etage sind tabu.“ Nur zur Sicherheit. Als sie durch das Haus ging, machte ich mir erst einmal einen Kaffee. Ich grübelte immer noch über Sandrines Beweggründe, als mir auffiel, dass sie gar nicht wiederkam. War ihr etwas passiert? Ich suchte erst die oberen Zimmer ab, auch die, die ich ihr verboten hatte, aber wurde nicht fündig. Der Dachboden bot gute Verstecke, aber dafür war sie schon zu alt und unser Verhältnis nicht gut genug. Doch, ich fand sie und hätte ihr am liebsten sofort den Hals umgedreht. Ich wusste, sie hatte etwas vor, aber sich an

Konstantin in der Bibliothek ranzuschmeißen, wäre das letzte gewesen, was ich erwartet hätte.

Kapitel 18

Kapitel 18 Ich stürmte nicht hinein, nein ich wollte sehen, was sie vorhatte. Ich sagte euch ja, dass sie ein gemeines Biest ist, aber das hätte nicht mal ich ihr zugetraut. Sie beugte sich über seine Schulter und stütze ihre Hand sachte darauf ab, um zu sehen, was er in sein Notizheft schrieb. Tja, liebste Schwester, da beißt du auf Granit, wenn Konstantin lernt, kann ihn nichts aus seiner Konzentration reißen. Er hatte fünf Bücher aufgeschlagen und überall sah man bunte Post-it’s hervorschauen, mit denen

er die relevanten Seiten markiert hatte. Die Bücher im Hintergrund ragten drohend über den beiden auf und ich wünschte mir, dass eines herunter und auf ihren Kopf fiel. Ich konnte ihr süßes Parfum bis zu mir riechen und mir kam fast die Galle hoch, was fand sie nur daran? Es war viel zu kräftig und aufdringlich. Nicht zu vergleichen mit Konstantins Duft, der es mir besonders nach der Rasur angetan hatte. Von meinem Platz hinter der Tür hatte ich einen erstklassigen Blick auf das Geschehen und konnte natürlich auch jedes Wort verstehen, auch wenn mir Sandrines Worte die Sprache verschlugen.

„Sag mal, Konstantin. Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen?“ Sie drehte eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern. Wie ich es hasste, wenn Frauen das machten. Es machte mich nervös und es sah lächerlich aus. „Noch nicht solange, oder? Hat er dir erzählt, dass er sich vorher nur für Mädchen interessiert hat? Ein paar von meinen Freundinnen hatten es auf ihn abgesehen, aber er war wohl zu schüchtern. Jetzt weiß ich wohl auch warum.“ WAS!? Das war eine himmelschreiende Lüge und diese Schlange schämte sich keine Sekunde. Was sollte das? Wollte sie ihn

eifersüchtig machen? Warum sagte er nichts dazu? Er blätterte nur weiter und zog den ersten Zettel heraus. Das ganze Blatt war schon mit seiner schönen Handschrift übersäht und er hatte mal wieder seinen heiß geliebten Füllfederhalter halb an den Lippen. „Lina hat ihm an meinem Geburtstag schöne Augen gemacht und ich muss sagen, sie wären ein echt süßes Paar. Du bist ja auch sehr attraktiv. Eindeutig eine Verschwendung an die Männerwelt.“ Würg. Die hatte sie doch nicht mehr alle. Lina? Sie war hübsch keine Frage, aber mit meiner Schwester, der Hexe befreundet, das sprach definitiv gegen sie. Ich fragte mich nur,

warum Konstantin immer noch nicht reagierte. War es ihm egal? Bis auf ein Hochziehen einer Augenbraue, was auch dem Buch gelten könnte, kam nichts. Ich war ein wenig enttäuscht. Etwas mehr Gegenwehr hätte ich dann doch erwartet. „Deine schweigsame Art ist auch sexy. Bei deinem Aussehen könntest du doch jede und jeden haben. Ich kann nicht nachvollziehen, warum es mein Bruder sein muss. Er ist nun wirklich nichts Besonderes. Hat er dir erzählt, dass sein Abitur nur mittelmäßig war und bevor er anfing zu studieren, als Lagerarbeiter gejobbt hat? Voll peinlich. Sein Studium ist so na ja. Ich will später mal

Pathologin werden. Das ist wenigstens was Solides.“ Sie sollte den Mund halten! Das wusste er bereits, aber sie versuchte, es immer noch schlecht zu machen, dass ich nicht den vorgefertigten Weg meiner Eltern eingeschlagen hatte. Was wäre das auch für ein Leben gewesen? Ich hätte in einem Beruf gearbeitet, der mir vielleicht viel Geld eingebracht hätte, aber der mich absolut nicht interessierte. Schön für sie, dass sie es anscheinend spannend fand, sich mit Leichen auseinanderzusetzen. „Dass er in der Schule kaum Freunde hatte, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Keine Ahnung, wie diese

anderen es mit ihm aushalten.“ Ach, Sandrine. Du machst es eh falsch, wenn du dich beim Freund deines Bruders einschleimen willst, dann darfst nicht über ihn lästern. „Mh, was würdest du wohl machen, wenn ich mir diese Unterlagen schnappe und damit weglaufe? Sieht wichtig aus. Würdest du mich einfangen?“ Der kokette Augenaufschlag, der mit dieser Aussage einherging, war verschwendet, da Konstantin die Nase nicht aus seinen Büchern nahm. Er rückte die Brille zurecht und sagte ohne aufzuschauen: „Wenn du fertig bist, dann lass mich in Ruhe weiterlernen. Ich möchte das gern bis heute Abend fertig haben, damit ich

mit meinem Freund in Ruhe auf der Couch sitzen und kuscheln kann.“ Hehe, der hatte gesessen. Sandrines empörter Blick sprach auch Bände. Das war meine Sekunde. „Sandrine? Bist du hier drinnen? Ich glaube, dein Zug fährt demnächst, den möchtest du doch nicht verpassen?“ Ich hatte mich ein wenig in den Flur zurückgezogen und sie rauschte aus der Bibliothek wie ein Racheengel. „Dein Freund“, sie spuckte das Wort regelrecht aus, „ist nicht besonders höflich. Er wollte sich nicht mit mir unterhalten.“ „Hast du ihn etwa mit einer deiner langweiligen Schulgeschichten genervt?“

Ich konnte es mir nicht verkneifen. „Natürlich nicht! Außerdem würde ich nie etwas Langweiliges erzählen, im Gegensatz zu manch anderem.“ Nein, du versuchst nur Konstantin anzubaggern, während ich gerade nicht da bin. Aber ich würde ihr keine zweite Chance geben. Irgendwie erinnerte mich ihre ganze Art an Kevin, immer gewöhnt, das zu bekommen, was man will, ohne Rücksicht auf Verluste oder die Gefühle von anderen. Es schmerzte mich ein wenig, dass Konstantin sich nicht vehementer gegen diese Hexe gewehrt hatte. Was wäre wohl gewesen, wenn er sie mit seiner Aussage nicht vergrault

hätte? Kevin und sie würden doch ein tolles Pärchen abgeben. Oh Gott, was für eine Horrorvorstellung. Zum ersten Mal war ich froh, dass Kevin sich nur für Männer interessierte. „Ich werde nach Hause fahren. Hier scheine ich nicht sonderlich erwünscht zu sein.“ Blitzmerkerin. „Mach das. Soll ich dich bis zum Bahnhof begleiten?“ „Ich finde den Weg schon allein.“, entgegnete sie spitz und zog ihre Männermordenden Stöckelschuhe an. Bin ich sehr gemein, wenn ich mir wünsche, dass sie auf dem Kopfsteinpflaster mit dem Fuß umknickt?

Die Tür fiel ins Schloss und ich ging in die Küche, um Kaffee für meinen fleißigen Schatz zu kochen. Aber ich war in Gedanken. Hätte er nicht eifersüchtiger reagieren müssen? Die ganze Woche ließ mich dieser Gedanke nicht los und ich hasste mich dafür, dass ich auf Abstand zu ihm ging. Ob ihm das in seiner Lernwut überhaupt aufgefallen war? Ich redete mich damit raus, dass ich mir noch einen Job suchen müsste, da sich meine Ersparnisse so langsam dem Ende neigten und ich meinen Eltern nicht auf der Tasche liegen wollte. „Jona? Konstantin? Kommt ihr mal her?“

Nur Dom wagte es, durch das ganze Haus zu brüllen, anstatt sich wieder normale Mensch von A nach B zu bewegen. „Ja, wir kommen schon. Keine Hektik!“ Ich kämpfte noch mit meinen Socken, die sich über meine frisch gewaschene Haut nicht so einfach ziehen ließen. Konstantin schaute aus seinem Zimmer hervor und sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung, aber du kennst Dom. Er wird nicht eher ruhen, bis wir zu ihm kommen.“ „Das stimmt. Das sieht gut aus.“ Die graue Hose hatte ich mir erst gekauft und sie war ein wenig figurbetonter

geschnitten, als ich es sonst trug. Konstantins Grinsen war unwiderstehlich und ich sonnte mich in seinem bewundernden Blick. „Danke.“ Ich flog ihm entgegen und hauchte einen Kuss auf seinen Mund. Zwei Sekunden vergessend, warum ich ihn die restliche Woche gemieden hatte. „Nehmt Schwimmzeug mit. Wir gehen baden!“ Das hatten die beiden also ausgeheckt. Ich war doch gerade erst duschen gewesen. Das Chlorwasser war immer eher unangenehm, aber ich wusste, dass Widerspruch zwecklos war. Dom liebte es, schwimmen zu gehen. Er war eine regelrechte Wasserratte und schwamm wie ein Fisch

im Wasser. Ich schwamm auch gern, aber ich zog gern ruhig meine Bahnen, was ausgeschlossen war, wenn er dabei war. „Du kannst auch nein sagen. Es reicht, wenn er mich und Philipp quälen kann.“ Ich verzog den Mund und Konstantin lächelte mich süß an. „Ich komme gern mit. Muss auch mal eine Pause einlegen.“ Damit verschwand er kurz in seinem Raum und ich ging, um mir mein Badezeug zu holen. Es war schon ein wenig länger her, daher freute ich mich darauf. „Na endlich. Das hätte auch schneller gehen können.“ Dom stand mit verschränkten Armen vor uns und ich

konnte es nicht lassen, ich musste ihm in die Haare greifen und die Frisur durchwuscheln. „Ey! Meine Haare! Ich hab Stunden gebraucht, damit sie so liegen.“ Ach, die Diva. „Nach dem Schwimmen ist doch sowieso alles im Eimer.“ Er sah mich entsetzt an. „Aber davor nicht!“ Domenik übertrieb mal wieder maßlos und ich zuckte nur mit den Schultern. „Also ich kann keinen Unterschied erkennen.“ „Du kleine miese Ma…“ Ich lachte und wich spielerische seiner Faust aus. „Das könnt ihr nachher noch klären. Du

siehst klasse aus und damit ist gut.“ Philipp mein Retter. Das Schwimmbad war hoffnungslos überfüllt. Schon die Schlange an der Kasse sprach für sich und ich warf Dom einen Mörderblick zu. Doch er grinste mich nur frech an. Als wir Richtung Kabinen gingen und unsere Sachen verstaut hatten, bekam ich gar nicht mit, wie sich in letzter Sekunde ein Schatten mit hineinquetschte. Eine Hand auf meinem Mund und eine Zunge in meinem Nacken sorgten für Gänsehaut. Konstantin. „Pst. Die anderen sollen das nicht unbedingt mitbekommen, sonst werden

wir gleich wieder hinausgeworfen. Aber die Kabinen sind so voll, da können wir uns auch hier zu zweit umziehen. Allein. Und ungestört.“ Diese Stimme jagte mir Schauer über den Rücken und ich merkte wie alles anfing zu kribbeln. Seine Hände glitten unter mein T-Shirt und ich konnte ein Beben nicht unterdrücken. Viel zu sehr sehnte ich mich nach seiner Berührung. Er küsste mich hart und ich musste mich arg zusammenreißen, um nicht über ihn herzufallen. Mit einem Ruck war mein Oberkörper befreit und er fingerte mit einer Hand an meinem Gürtel und die andere hatte er hinten hinein geschoben. Wenn er nicht

gleich aufhörte, dann wäre es das mit meiner Beherrschung. „So und jetzt ziehst du mich aus.“ Leise raunte er die Worte, als er meine Hose nach unten fallen ließ und ich mühsam gerade stehen konnte. Die Hände gefächert legte ich sie zunächst auf seine Brust und konnte seinen schnellen Herzschlag unter meinen Fingerspitzen fühlen. „Weiter. Das kannst du doch besser.“ Es war erregend zu wissen, dass wir jederzeit erwischt werden konnten. Dieser Adrenalinkick war eigentlich zu viel für mein armes Herz. Meine Ameisenkolonne war dermaßen aufgescheucht, dass ich sie

wahrscheinlich noch den ganzen nächsten Tag nicht ruhig bekommen würde. Er sah zu, wie sein Hemd flog, die Knöpfe hatten mich nicht mal ansatzweise aufhalten können und wieder bestaunte ich diesen wunderschönen Körper, der allein mir gehörte. „So kann ich mich immer noch nicht umziehen.“ Diese rauchige Stimme, mit der er sprach, ein heiseres Flüstern, damit die Leute nebenan uns nicht hörten, war so sexy. Ich schob die Hände in die Hose und zog samt Unterwäsche alles nach unten. Nun stand er in voller Pracht vor mir und ich

konnte nicht viel mehr machen, als ihn verlangend anzustarren. Aber sein fieses Grinsen und der Ausdruck in seinen Augen hielten mich davon ab, ihn einfach zu berühren, so wie ich es mir wünschte. „Genug, den Rest gibt es heute Abend.“ Ungläubig sah ich in die braunen Augen. Das war wirklich sein Ernst. Erst heizte er mir ein und dann ließ er mich schmachten. Wie hielt er das nur aus? War er nicht genauso scharf wie ich? Anscheinend hatte er seinen Körper besser unter Kontrolle und ich beeilte mich, meine Badeshorts anzuziehen. „Nicht traurig sein, Süßer.“ Er hauchte mir einen Kuss auf die Lippen und

besänftigte mich. Für den Moment. „Komm, bevor Dom und Philipp auf die Idee kommen, uns zu suchen. Das könnte peinlich werden.“ Oh, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Mit einem Schlag war meine Lust verraucht und ich erinnerte mich wieder daran, wo wir waren. Feuerrot war sicherlich noch untertrieben. „Da seid ihr ja endlich. Ab unter die Dusche und dann hinein in das Vergnügen.“ Er würde sich nie ändern. Wie zwei kleine Kinder jagten Dom und Philipp durch das Schwimmbad natürlich immer bewaffnet mit dem nächsten Schwall Wasser, der ab und zu

auch unschuldige Unbeteiligte traf. Es war herzerfrischend den beiden zuzusehen und wieder war ich froh, dass sie sich gefunden hatten. Auch wenn die Chaoskombination manchmal ein bisschen viel für mein Gemüt war. Nachdem ich gebührend viel Wasser geschluckt hatte, ließen die beiden mich endlich in Ruhe. Den Chlorgeschmack würde ich tagelang nicht loswerden. Als ich eine Frau empört aufschreien hörte, dachte ich, dass die beiden wieder eines ihrer Wasserspiele ausgeheckt hatten. Aber sie lagen sich nur in den Armen und es sah eher aus, als ob die beiden sich nie mehr voneinander trennen wollten, so sehr

verschmolzen ihre Lippen. Mit einem nachsichtigen Lächeln wandte ich mich ab. Ach, die beiden scherten sich nicht um die Öffentlichkeit und das war auch gut so. „Hier sind Kinder!“, zeterte eine Mutter los, die verschämt ihrem Sohn die Augen zuhielt. „Haben sie Angst, dass ihr Sohn mal so wird wie wir?“ Konstantins tiefe Stimme richtete sich warnend an sie. „Hier werden wir nie wieder hingehen. Das ist ja skandalös, dass man Leute wie sie auf unseresgleichen loslässt.“ Er zog wie immer arrogant die Augen hoch. „Unseresgleichen? Versnobt, prüde und intolerant? Ich hoffe, ihr Sohn merkt

früh genug, dass er sich sie nicht als Vorbild nehmen sollte. Mh, Kleiner. Was sagst du dazu? Findest du das eklig, wenn sich zwei Menschen küssen, die sich lieben?“ Der Junge sah ihn aus großen Augen an. „Küssen ist eklig… aber wenn sie sich lieb haben, dann ist es ok.“ Er zuckte mit den Schultern. Ich grinste in mich hinein. Konstantin konnte doch jeden für sich gewinnen. „Ich find sie cool. Die sind lustig. Vorhin haben sie auf den Reifen ein Rennen veranstaltet, aber ich bin noch zu klein und darf nicht mitmachen.“ Konstantin lächelte ihn breit an. „Du wächst bestimmt noch.

Wahrscheinlich wirst du sogar größer als ich.“ Ich hätte nicht geglaubt, dass die Augen des kleinen noch runder werden könnten. Mit seinen Schwimmärmeln sah er sowieso schon süß aus, aber dieser bewundernde Blick, den er Konstantin zuwarf, war umwerfend. „Wirklich?“ „Ganz bestimmt und nun spiel weiter. Aber halt dich lieber von dem Schwarzhaarigen fern, der liebt es Kinder wie dich zu ärgern.“ Skeptisch sahen ihn die blauen Augen an und dann schüttelte er vehement den kleinen Kopf, dass die Wassertropfen nur so spritzten.

„Das glaube ich nicht, der Onkel ist lustig, der ärgert mich nicht.“ Damit grinste er und flitzte in Richtung Kinderrutschen, während seine Mutter uns nur fassungslos ansah. Den Mund auf, wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Ihr Kind hat mehr Verstand als sie. Ich würde darüber nachdenken. Schönen Tag noch.“ Damit nahm er meine Hand und wir schlossen uns dem albernen Duo an, die sich kaum einkriegten, als sie die Story hörten. Verwegen winkten sie der Mami zu und machten sich einen Spaß daraus, sich gegenseitig auf die Wange zu küssen. Zaghaft winkte sie zurück. Es geschahen doch noch Zeichen

und Wunder. Feuchtfröhlich planschten wir vier und ich musste zugeben, dass ich im Schwimmbad noch nie soviel Spaß hatte. Schreib mir was!Kapitel 18 Ich stürmte nicht hinein, nein ich wollte sehen, was sie vorhatte. Ich sagte euch ja, dass sie ein gemeines Biest ist, aber das hätte nicht mal ich ihr zugetraut. Sie beugte sich über seine Schulter und stütze ihre Hand sachte darauf ab, um zu sehen, was er in sein Notizheft schrieb. Tja, liebste Schwester, da beißt du auf Granit, wenn Konstantin lernt, kann ihn nichts aus seiner Konzentration reißen. Er hatte fünf Bücher

aufgeschlagen und überall sah man bunte Post-it’s hervorschauen, mit denen er die relevanten Seiten markiert hatte. Die Bücher im Hintergrund ragten drohend über den beiden auf und ich wünschte mir, dass eines herunter und auf ihren Kopf fiel. Ich konnte ihr süßes Parfum bis zu mir riechen und mir kam fast die Galle hoch, was fand sie nur daran? Es war viel zu kräftig und aufdringlich. Nicht zu vergleichen mit Konstantins Duft, der es mir besonders nach der Rasur angetan hatte. Von meinem Platz hinter der Tür hatte ich einen erstklassigen Blick auf das Geschehen und konnte natürlich auch jedes Wort verstehen, auch wenn mir

Sandrines Worte die Sprache verschlugen. „Sag mal, Konstantin. Wie lange seid ihr eigentlich schon zusammen?“ Sie drehte eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern. Wie ich es hasste, wenn Frauen das machten. Es machte mich nervös und es sah lächerlich aus. „Noch nicht solange, oder? Hat er dir erzählt, dass er sich vorher nur für Mädchen interessiert hat? Ein paar von meinen Freundinnen hatten es auf ihn abgesehen, aber er war wohl zu schüchtern. Jetzt weiß ich wohl auch warum.“ WAS!? Das war eine himmelschreiende Lüge und diese Schlange schämte sich keine Sekunde.

Was sollte das? Wollte sie ihn eifersüchtig machen? Warum sagte er nichts dazu? Er blätterte nur weiter und zog den ersten Zettel heraus. Das ganze Blatt war schon mit seiner schönen Handschrift übersäht und er hatte mal wieder seinen heiß geliebten Füllfederhalter halb an den Lippen. „Lina hat ihm an meinem Geburtstag schöne Augen gemacht und ich muss sagen, sie wären ein echt süßes Paar. Du bist ja auch sehr attraktiv. Eindeutig eine Verschwendung an die Männerwelt.“ Würg. Die hatte sie doch nicht mehr alle. Lina? Sie war hübsch keine Frage, aber mit meiner Schwester, der Hexe befreundet, das sprach definitiv

gegen sie. Ich fragte mich nur, warum Konstantin immer noch nicht reagierte. War es ihm egal? Bis auf ein Hochziehen einer Augenbraue, was auch dem Buch gelten könnte, kam nichts. Ich war ein wenig enttäuscht. Etwas mehr Gegenwehr hätte ich dann doch erwartet. „Deine schweigsame Art ist auch sexy. Bei deinem Aussehen könntest du doch jede und jeden haben. Ich kann nicht nachvollziehen, warum es mein Bruder sein muss. Er ist nun wirklich nichts Besonderes. Hat er dir erzählt, dass sein Abitur nur mittelmäßig war und bevor er anfing zu studieren, als Lagerarbeiter gejobbt hat? Voll peinlich. Sein Studium

ist so na ja. Ich will später mal Pathologin werden. Das ist wenigstens was Solides.“ Sie sollte den Mund halten! Das wusste er bereits, aber sie versuchte, es immer noch schlecht zu machen, dass ich nicht den vorgefertigten Weg meiner Eltern eingeschlagen hatte. Was wäre das auch für ein Leben gewesen? Ich hätte in einem Beruf gearbeitet, der mir vielleicht viel Geld eingebracht hätte, aber der mich absolut nicht interessierte. Schön für sie, dass sie es anscheinend spannend fand, sich mit Leichen auseinanderzusetzen. „Dass er in der Schule kaum Freunde hatte, brauche ich wohl nicht zu

erwähnen. Keine Ahnung, wie diese anderen es mit ihm aushalten.“ Ach, Sandrine. Du machst es eh falsch, wenn du dich beim Freund deines Bruders einschleimen willst, dann darfst nicht über ihn lästern. „Mh, was würdest du wohl machen, wenn ich mir diese Unterlagen schnappe und damit weglaufe? Sieht wichtig aus. Würdest du mich einfangen?“ Der kokette Augenaufschlag, der mit dieser Aussage einherging, war verschwendet, da Konstantin die Nase nicht aus seinen Büchern nahm. Er rückte die Brille zurecht und sagte ohne aufzuschauen: „Wenn du fertig bist, dann lass mich in Ruhe weiterlernen. Ich möchte das gern

bis heute Abend fertig haben, damit ich mit meinem Freund in Ruhe auf der Couch sitzen und kuscheln kann.“ Hehe, der hatte gesessen. Sandrines empörter Blick sprach auch Bände. Das war meine Sekunde. „Sandrine? Bist du hier drinnen? Ich glaube, dein Zug fährt demnächst, den möchtest du doch nicht verpassen?“ Ich hatte mich ein wenig in den Flur zurückgezogen und sie rauschte aus der Bibliothek wie ein Racheengel. „Dein Freund“, sie spuckte das Wort regelrecht aus, „ist nicht besonders höflich. Er wollte sich nicht mit mir unterhalten.“ „Hast du ihn etwa mit einer deiner

langweiligen Schulgeschichten genervt?“ Ich konnte es mir nicht verkneifen. „Natürlich nicht! Außerdem würde ich nie etwas Langweiliges erzählen, im Gegensatz zu manch anderem.“ Nein, du versuchst nur Konstantin anzubaggern, während ich gerade nicht da bin. Aber ich würde ihr keine zweite Chance geben. Irgendwie erinnerte mich ihre ganze Art an Kevin, immer gewöhnt, das zu bekommen, was man will, ohne Rücksicht auf Verluste oder die Gefühle von anderen. Es schmerzte mich ein wenig, dass Konstantin sich nicht vehementer gegen diese Hexe gewehrt hatte. Was wäre wohl gewesen, wenn er

sie mit seiner Aussage nicht vergrault hätte? Kevin und sie würden doch ein tolles Pärchen abgeben. Oh Gott, was für eine Horrorvorstellung. Zum ersten Mal war ich froh, dass Kevin sich nur für Männer interessierte. „Ich werde nach Hause fahren. Hier scheine ich nicht sonderlich erwünscht zu sein.“ Blitzmerkerin. „Mach das. Soll ich dich bis zum Bahnhof begleiten?“ „Ich finde den Weg schon allein.“, entgegnete sie spitz und zog ihre Männermordenden Stöckelschuhe an. Bin ich sehr gemein, wenn ich mir wünsche, dass sie auf dem

Kopfsteinpflaster mit dem Fuß umknickt? Die Tür fiel ins Schloss und ich ging in die Küche, um Kaffee für meinen fleißigen Schatz zu kochen. Aber ich war in Gedanken. Hätte er nicht eifersüchtiger reagieren müssen? Die ganze Woche ließ mich dieser Gedanke nicht los und ich hasste mich dafür, dass ich auf Abstand zu ihm ging. Ob ihm das in seiner Lernwut überhaupt aufgefallen war? Ich redete mich damit raus, dass ich mir noch einen Job suchen müsste, da sich meine Ersparnisse so langsam dem Ende neigten und ich meinen Eltern nicht auf der Tasche liegen wollte.

„Jona? Konstantin? Kommt ihr mal her?“ Nur Dom wagte es, durch das ganze Haus zu brüllen, anstatt sich wieder normale Mensch von A nach B zu bewegen. „Ja, wir kommen schon. Keine Hektik!“ Ich kämpfte noch mit meinen Socken, die sich über meine frisch gewaschene Haut nicht so einfach ziehen ließen. Konstantin schaute aus seinem Zimmer hervor und sah mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung, aber du kennst Dom. Er wird nicht eher ruhen, bis wir zu ihm kommen.“ „Das stimmt. Das sieht gut aus.“ Die

graue Hose hatte ich mir erst gekauft und sie war ein wenig figurbetonter geschnitten, als ich es sonst trug. Konstantins Grinsen war unwiderstehlich und ich sonnte mich in seinem bewundernden Blick. „Danke.“ Ich flog ihm entgegen und hauchte einen Kuss auf seinen Mund. Zwei Sekunden vergessend, warum ich ihn die restliche Woche gemieden hatte. „Nehmt Schwimmzeug mit. Wir gehen baden!“ Das hatten die beiden also ausgeheckt. Ich war doch gerade erst duschen gewesen. Das Chlorwasser war immer eher unangenehm, aber ich wusste, dass Widerspruch zwecklos war. Dom liebte es, schwimmen zu

gehen. Er war eine regelrechte Wasserratte und schwamm wie ein Fisch im Wasser. Ich schwamm auch gern, aber ich zog gern ruhig meine Bahnen, was ausgeschlossen war, wenn er dabei war. „Du kannst auch nein sagen. Es reicht, wenn er mich und Philipp quälen kann.“ Ich verzog den Mund und Konstantin lächelte mich süß an. „Ich komme gern mit. Muss auch mal eine Pause einlegen.“ Damit verschwand er kurz in seinem Raum und ich ging, um mir mein Badezeug zu holen. Es war schon ein wenig länger her, daher freute ich mich darauf. „Na endlich. Das hätte auch schneller

gehen können.“ Dom stand mit verschränkten Armen vor uns und ich konnte es nicht lassen, ich musste ihm in die Haare greifen und die Frisur durchwuscheln. „Ey! Meine Haare! Ich hab Stunden gebraucht, damit sie so liegen.“ Ach, die Diva. „Nach dem Schwimmen ist doch sowieso alles im Eimer.“ Er sah mich entsetzt an. „Aber davor nicht!“ Domenik übertrieb mal wieder maßlos und ich zuckte nur mit den Schultern. „Also ich kann keinen Unterschied erkennen.“ „Du kleine miese Ma…“ Ich lachte und

wich spielerische seiner Faust aus. „Das könnt ihr nachher noch klären. Du siehst klasse aus und damit ist gut.“ Philipp mein Retter. Das Schwimmbad war hoffnungslos überfüllt. Schon die Schlange an der Kasse sprach für sich und ich warf Dom einen Mörderblick zu. Doch er grinste mich nur frech an. Als wir Richtung Kabinen gingen und unsere Sachen verstaut hatten, bekam ich gar nicht mit, wie sich in letzter Sekunde ein Schatten mit hineinquetschte. Eine Hand auf meinem Mund und eine Zunge in meinem Nacken sorgten für Gänsehaut.

Konstantin. „Pst. Die anderen sollen das nicht unbedingt mitbekommen, sonst werden wir gleich wieder hinausgeworfen. Aber die Kabinen sind so voll, da können wir uns auch hier zu zweit umziehen. Allein. Und ungestört.“ Diese Stimme jagte mir Schauer über den Rücken und ich merkte wie alles anfing zu kribbeln. Seine Hände glitten unter mein T-Shirt und ich konnte ein Beben nicht unterdrücken. Viel zu sehr sehnte ich mich nach seiner Berührung. Er küsste mich hart und ich musste mich arg zusammenreißen, um nicht über ihn herzufallen. Mit einem Ruck war mein Oberkörper

befreit und er fingerte mit einer Hand an meinem Gürtel und die andere hatte er hinten hinein geschoben. Wenn er nicht gleich aufhörte, dann wäre es das mit meiner Beherrschung. „So und jetzt ziehst du mich aus.“ Leise raunte er die Worte, als er meine Hose nach unten fallen ließ und ich mühsam gerade stehen konnte. Die Hände gefächert legte ich sie zunächst auf seine Brust und konnte seinen schnellen Herzschlag unter meinen Fingerspitzen fühlen. „Weiter. Das kannst du doch besser.“ Es war erregend zu wissen, dass wir jederzeit erwischt werden konnten. Dieser Adrenalinkick war eigentlich zu

viel für mein armes Herz. Meine Ameisenkolonne war dermaßen aufgescheucht, dass ich sie wahrscheinlich noch den ganzen nächsten Tag nicht ruhig bekommen würde. Er sah zu, wie sein Hemd flog, die Knöpfe hatten mich nicht mal ansatzweise aufhalten können und wieder bestaunte ich diesen wunderschönen Körper, der allein mir gehörte. „So kann ich mich immer noch nicht umziehen.“ Diese rauchige Stimme, mit der er sprach, ein heiseres Flüstern, damit die Leute nebenan uns nicht hörten, war so sexy. Ich schob die

Hände in die Hose und zog samt Unterwäsche alles nach unten. Nun stand er in voller Pracht vor mir und ich konnte nicht viel mehr machen, als ihn verlangend anzustarren. Aber sein fieses Grinsen und der Ausdruck in seinen Augen hielten mich davon ab, ihn einfach zu berühren, so wie ich es mir wünschte. „Genug, den Rest gibt es heute Abend.“ Ungläubig sah ich in die braunen Augen. Das war wirklich sein Ernst. Erst heizte er mir ein und dann ließ er mich schmachten. Wie hielt er das nur aus? War er nicht genauso scharf wie ich? Anscheinend hatte er seinen Körper besser unter Kontrolle und ich beeilte

mich, meine Badeshorts anzuziehen. „Nicht traurig sein, Süßer.“ Er hauchte mir einen Kuss auf die Lippen und besänftigte mich. Für den Moment. „Komm, bevor Dom und Philipp auf die Idee kommen, uns zu suchen. Das könnte peinlich werden.“ Oh, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Mit einem Schlag war meine Lust verraucht und ich erinnerte mich wieder daran, wo wir waren. Feuerrot war sicherlich noch untertrieben. „Da seid ihr ja endlich. Ab unter die Dusche und dann hinein in das Vergnügen.“ Er würde sich nie ändern. Wie zwei kleine Kinder jagten Dom und

Philipp durch das Schwimmbad natürlich immer bewaffnet mit dem nächsten Schwall Wasser, der ab und zu auch unschuldige Unbeteiligte traf. Es war herzerfrischend den beiden zuzusehen und wieder war ich froh, dass sie sich gefunden hatten. Auch wenn die Chaoskombination manchmal ein bisschen viel für mein Gemüt war. Nachdem ich gebührend viel Wasser geschluckt hatte, ließen die beiden mich endlich in Ruhe. Den Chlorgeschmack würde ich tagelang nicht loswerden. Als ich eine Frau empört aufschreien hörte, dachte ich, dass die beiden wieder eines ihrer Wasserspiele ausgeheckt hatten. Aber sie lagen sich

nur in den Armen und es sah eher aus, als ob die beiden sich nie mehr voneinander trennen wollten, so sehr verschmolzen ihre Lippen. Mit einem nachsichtigen Lächeln wandte ich mich ab. Ach, die beiden scherten sich nicht um die Öffentlichkeit und das war auch gut so. „Hier sind Kinder!“, zeterte eine Mutter los, die verschämt ihrem Sohn die Augen zuhielt. „Haben sie Angst, dass ihr Sohn mal so wird wie wir?“ Konstantins tiefe Stimme richtete sich warnend an sie. „Hier werden wir nie wieder hingehen. Das ist ja skandalös, dass man Leute wie sie auf unseresgleichen loslässt.“ Er

zog wie immer arrogant die Augen hoch. „Unseresgleichen? Versnobt, prüde und intolerant? Ich hoffe, ihr Sohn merkt früh genug, dass er sich sie nicht als Vorbild nehmen sollte. Mh, Kleiner. Was sagst du dazu? Findest du das eklig, wenn sich zwei Menschen küssen, die sich lieben?“ Der Junge sah ihn aus großen Augen an. „Küssen ist eklig… aber wenn sie sich lieb haben, dann ist es ok.“ Er zuckte mit den Schultern. Ich grinste in mich hinein. Konstantin konnte doch jeden für sich gewinnen. „Ich find sie cool. Die sind lustig. Vorhin haben sie auf den Reifen ein Rennen veranstaltet, aber ich bin noch

zu klein und darf nicht mitmachen.“ Konstantin lächelte ihn breit an. „Du wächst bestimmt noch. Wahrscheinlich wirst du sogar größer als ich.“ Ich hätte nicht geglaubt, dass die Augen des kleinen noch runder werden könnten. Mit seinen Schwimmärmeln sah er sowieso schon süß aus, aber dieser bewundernde Blick, den er Konstantin zuwarf, war umwerfend. „Wirklich?“ „Ganz bestimmt und nun spiel weiter. Aber halt dich lieber von dem Schwarzhaarigen fern, der liebt es Kinder wie dich zu ärgern.“ Skeptisch sahen ihn die blauen Augen an und dann

schüttelte er vehement den kleinen Kopf, dass die Wassertropfen nur so spritzten. „Das glaube ich nicht, der Onkel ist lustig, der ärgert mich nicht.“ Damit grinste er und flitzte in Richtung Kinderrutschen, während seine Mutter uns nur fassungslos ansah. Den Mund auf, wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Ihr Kind hat mehr Verstand als sie. Ich würde darüber nachdenken. Schönen Tag noch.“ Damit nahm er meine Hand und wir schlossen uns dem albernen Duo an, die sich kaum einkriegten, als sie die Story hörten. Verwegen winkten sie der Mami zu und machten sich einen Spaß daraus, sich gegenseitig auf die

Wange zu küssen. Zaghaft winkte sie zurück. Es geschahen doch noch Zeichen und Wunder. Feuchtfröhlich planschten wir vier und ich musste zugeben, dass ich im Schwimmbad noch nie soviel Spaß hatte.

Kapitel 19

Kapitel 19 Vor ein paar Tagen habe ich mich endlich überwunden, Konstantin zu fragen, ob er mit zu meiner Schwester kommen will. Da er genau wie ich im Prüfungsstress gewesen ist, war ich mir sicher, dass er keine Zeit hätte. Aber wieder habe ich ihn unterschätzt. Er war ganz begeistert. Ich bin wirklich nicht gut darin andere einzuschätzen, besonders nicht, wenn ich fünf Prüfungen in einer Woche schreiben soll und dadurch abgelenkt bin. Ein Glück, dass das endlich vorbei ist. Das mulmige

Gefühl für Französisch war wahrscheinlich berechtigt, aber bei den anderen Klausuren habe ich bestimmt nicht so schlecht abgeschnitten. Hatte ja auch einen prima Nachhilfelehrer. Das Leuchten in Konstantins Augen würde ich so schnell nicht vergessen, als ich ihn gefragt hatte. Er freute sich wirklich auf diesen Besuch. Natürlich hatte er seine Abschlussarbeiten mit Bravour bestanden und sagte mir, dass er etwas Urlaub gut gebrauchen könnte. Urlaub mit meiner Familie. Im Inneren war ich so aufgeregt, dass ich am liebsten wie ein Flummi durch die Wohnung gehüpft wäre.

„Jona, komm wir müssen los. Der Zug fährt gleich.“ Konstantin sah demonstrativ erst auf die Uhr und danach ein wenig genervt mich an. Dabei hatte ich mich doch beeilt. Aber was zog man auf einem Bauernhof an? Diese Frage hatte mich zwanzig Minuten gekostet und deshalb waren wir nun ein wenig spät dran. Na, ok, ziemlich spät. Den Koffer schleifte ich gnadenlos hinter mir her, als wir halb zum Bahnhof rannten. Der Zug fuhr nur alle zwei Stunden und wir mussten noch einen Anschlusszug bekommen. „Das nenn ich Glück. Er hat Verspätung.

Siehst du, ich hab dir doch gesagt, dass wir nicht rennen brauchen.“ Triumphierend sah ich Konstantin an. „Genau, reines Glück“, brummte er, aber schenkte mir ein Grinsen. Sanft zog er mich zu sich ran und seine warmen schönen Lippen berührten meine. Meine Ameisen krabbelten in mir. So langsam hatte ich die Bande lieb gewonnen und konnte das Gefühl genießen. „Ich liebe dich.“ Zart hingehauchte Worte, die mir durch Mark und Bein gingen. Das konnte ich gar nicht oft genug hören. „Ich dich auch.“ Wir standen kuschelnd auf dem

Bahnsteig. Ein paar Menschen sahen uns eigenartig an, aber wir scherten uns nicht darum. Ich hielt meinen Konstantin in den Armen und das konnte mir keiner nehmen. Die lange Bahnfahrt hatten wir damit verbracht, dass ich ihm ein paar von meinen Kindheitsgeschichten erzählt hatte, leider waren die nicht so lustig. Wenn er von den Ausflügen mit seiner Familie berichtete, dann sprühte sein ganzes Gesicht vor Freude. Dafür, dass er sonst seine Emotionen so sehr unter Kontrolle hatte, merkte man jedes Mal, wenn er von seinem Bruder oder seinen Eltern sprach, wie sehr er sie liebte. Den

Neid, der mich jedes Mal erfasste, würde ich nie vollständig loswerden. Dafür war einfach zu viel schief gelaufen. Meiner Meinung nach, war die Beziehung zu meiner Mutter an einen toten Punkt gelangt. Da gab es nicht mehr viel zum Kitten. Weil sie es nicht wollte. Und ich es leid war, ihr immer wieder hinterherzurennen. Ansonsten habe ich die halbe Bahnfahrt verschlafen, an Konstantins Schulter angelehnt. Aber irgendwie lag ich halb in seinem Schoß, als ich aufwachte. Mir tat der Rücken immer noch weh von der unbequemen Stellung. Aber das war es wert gewesen, denn als ich die Augen aufschlug und nach oben schielte, sah

ich Konstantins zärtliches Lächeln und die Hand, die in meinem Haar vergraben war, nahm den langsamen Streichelrhythmus wieder auf. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so geborgen gefühlt. „Jona, hallo, wir stehen hier drüben.“ Ja, das konnte man nicht überhören...oder übersehen. Susanne hatte ein - wie sage ich das jetzt nett? - offenherziges pinkes Kleid an. Das ihr sehr gut stand, keine Frage, aber es war pink. Neonpink. Sie hielt den kleinen Anton auf dem Arm und Herbert stand wie bestellt und nicht abgeholt daneben. „Seid ihr gut hergekommen?“ Sie drückte

uns beide an sich und hatte Konstantin gegenüber keine Berührungsängste. „Ja, sind wir. Erstaunlicherweise, wenn man bedenkt, dass wir mit dem Zug gefahren sind. Das ist Konstantin.“ Konnte man den Stolz in meiner Stimme hören? Bestimmt. „Oh, du bist aber wirklich gut aussehend. Ich bin Susanne.“ Herzlich drückte sie ihm noch einmal die Hand, was mit dem Kind auf dem Arm gar nicht so einfach war. „Danke. Susanne. Und das ist dann bestimmt Anton. Von dir habe ich schon gehört.“ Er fasste die kleinen Fingerchen und schüttelte sie ganz ernst. Mir ging das Herz auf, als ich sah,

dass er Susanne damit voll und ganz für sich eingenommen hatte. „Ich bin Herbert. Freut mich, dich kennen zu lernen. Wirklich schade, dass ich die Eröffnung verpasst habe, dass Jona einen Freund hat. Das Gesicht meiner Schwiegermutter hätte ich zu gerne gesehen.“ Er lachte tief und brüllend los, ich fand das zwar nicht so komisch, aber wir zwängten uns ein Lächeln auf das Gesicht. „Wir werden erst einmal was essen und dann könnt ihr euch in Ruhe auf dem Hof umsehen.“ Wir fuhren mit dem Wagen und das alte Bauernhaus war wirklich wunderschön. Die Decken waren zwar ein bisschen niedrig für

Konstantin, aber es war einfach nur urgemütlich. Überall lag Spielzeug verteilt und man musste aufpassen, wo man hintrat. „Ich gucke mal kurz nach dem Vogel. Der müsste jetzt langsam gut sein.“ Damit verschwand meine Schwester in der Küche und Herbert zeigte uns das Haus. Anton streckte seine Ärmchen immer wieder nach mir aus und ich erbarmte mich. „Man, bist du schwer. Mh, deine Mama kocht wirklich gut, oder?“ Ich drückte meine Nase gegen sein kleines Stupsnäschen und er patsche mir abwehrend seine Hände ins Gesicht. Aber loslassen wollte er mich auch

nicht. Also lief ich mit meiner massigen Fracht durch das Bauernhaus. Hatte ich schon erwähnt, wie gemütlich es eingerichtet war? Die dunkelbraunen antiken Holzmöbel passten gut zum hellen Sofa und Teppich. Der Boden knarrte unter unseren Füßen und mir tat Konstantin leid, weil er sich an jedem Türrahmen bücken musste. „So, der kleine Mann fliegt jetzt zu in sein Bettchen. Zeit für den Mittagsschlaf.“ Herbert wollte mir Anton abnehmen, aber er war wie festgeklebt. Und fing an zu weinen. Wenn ich eins nicht sehen kann, dann weinende Kinder. Völlig überfordert, lief ich im Kinderzimmer mit ihm im Kreis.

Immer wieder wiegend, damit er sich beruhigte. „Vielleicht ist es besser, wenn du versuchst, ihn ins Bett zu legen.“ Konstantins Vorschlag klang überzeugend und ich zielte das Kinderbettchen an. Aber keine Chance. Er wollte partout nicht schlafen gehen. „Ich hab eine Idee.“ Ich lief nach unten in das Wohnzimmer. Ich hatte dort eine Ecke gesehen, in der Schaffelle und dicke flauschige Kissen gestapelt lagen und legte mich mit dem Kleinen im Arm darauf. Ich wiegte ihn immer wieder vor und zurück und langsam beruhigte er sich. Das unheilvolle Bettchen war nicht zu sehen

und nun schien er keine Angst mehr zu haben, dass er allein gelassen wurde. So ging das ein paar Minuten, innerhalb kürzester Zeit war Anton eingeschlafen. „Oh, das ging aber schnell. Sonst lässt er sich nicht so leicht beruhigen. Den Trick muss ich mir merken.“, flüsterte Susanne, als sie mich mit ihrem Kind in den Armen entdeckte. Sanft nahm sie ihn mir ab und brachte ihn in sein Kinderbett. „Dann können wir jetzt ja essen. Schade, dass ich gerade keinen Fotoapparat zur Hand hatte. Es sah so herzallerliebst aus, wie du da mit Anton gesessen hast.“ Es fehlte nur noch ein entzücktes Quietschen. Ich winkte ab

und sah ein wenig peinlich berührt zur Seite. Während des Essens lief die Unterhaltung so harmonisch ab, dass ich wünschte, ich hätte meine Schwester schon viel früher besucht. Nicht nur, dass sie sich für uns interessierte. Sie konnte prima über sich selbst lachen und auch Herbert wurde mir sympathischer, als ich merkte, wie sehr er Susanne vergötterte. Wir lachten und scherzten. Die Stimmung war so toll, dass ich nicht geglaubt hätte, dass sie noch etwas trüben könnte. „Sollen wir mal da hineinsehen?“ Überschwänglich zog ich Konstantin an der Hand über den Hof Richtung

Scheune. Freudig bellend wurden wir von den drei Hunden meiner Schwester verfolgt, die mehr oder weniger auf das Grundstück aufpassten. Einer stupste seine Nase in meine Hand und ich kraulte ihn kurz hinter den Ohren. Es schien ansteckend zu sein, dass ich so aufgekratzt war. Wir hatten uns bereits die Schafe und Hühner angesehen. Ein paar Katzen liefen auch herum und so war es insgesamt sehr lebhaft und ich genoss die frische Landluft. Wir öffneten die große knarrende Holztür und verschlossen sie schnell vor unseren Verfolgern. „Wow. Das hatte ich mir irgendwie immer viel kleiner vorgestellt.“ Der

Heuboden war riesig. Unten waren ein paar Maschinen abgestellt und zusammengerollte Heuballen. Aber im oberen Stockwerk lag noch Heu zum Trocknen. Es war unwiderstehlich. Schon immer hatte ich einmal meine Nase in das gelbe Heu stecken wollen. In der Hoffnung keinen Niesanfall zu bekommen, aber zum Glück hatte ich keinen Heuschnupfen. Es roch einfach nur nach Gras. „Konstantin, hast du schonmal sowas Schönes gesehen?!“ Er schüttelte nur den Kopf und ich hatte das Gefühl, dass er sich ein bisschen mit seinem Grinsen über mich lustig machte. Aber das war mir egal.

„Komm!“ Ich eroberte bereits die Leiter und wälzte mich in dem pikenden Heu. Als ich gerade beschlossen hatte, einen Heuengel zu kreieren, senkte sich ein schweres Gewicht auf mich. „Du siehst so süß, dass ich dich am liebsten auffressen will.“ Ich sah die Liebe in seinen braunen Augen und hob mich seinem Kuss entgegen. Leicht leckte ich über seine Lippen und knabberte an seinem Mundwinkel. Es war so schön, dass es fast schmerzte. Ich drängte mich an ihn und hörte ihn scharf einatmen. Seine Zähne gruben sich in meinen Nacken und ich krallte meine Hände in sein Hemd. Es war

überwältigend, dass er immer genau wusste, was mir gefiel. Schnell wurde uns wärmer, aber dafür war hier wirklich nicht der richtige Ort. Zumindest nicht ohne eine schöne dicke weiche Decke. „Was hältst du davon, wenn wir heute hier übernachten? Ich wette Susi hat noch eine Lampe für uns, wir nehmen uns eine Decke und was zu Naschen mit und machen uns hier eine schöne Nacht.“ Statt einer Antwort, eroberte er wieder meinen Mund und drückte sich so fest an mich, dass ich regelrecht zusammenzuckte. Ich wertete das als ja. Zufrieden mit unserem Plan fielen wir immer weiter übereinander her. Doch

sobald nackte Haut das Heu berührte, war mein Verstand doch wieder da. „Wir müssen uns zusammenreißen.“ „Mh, aber du schmeckst so gut. Ein bisschen noch.“ Das Heu pikte mich, aber ich würde nicht jammern. Dafür sorgte ich für ausgleichende Gerechtigkeit, indem ich sein Hemd aufknöpfte. Er hatte wirklich eine Vorliebe für die Dinger und ich hielt mich eine halbe Ewigkeit an den kleinen Knöpfen auf. Dafür war die weiche Haut darunter eine viel bessere Belohnung. Wir wälzten uns eine Weile im Heu, immer wieder küssend und lachend. „Den Rest verschieben wir auf später.“ Ich stand widerstrebend auf, aber ich

hatte das Gefühl, dass wir wieder ins Haus sollten, bevor wir vermisst wurden. „Jona, seid ihr hier irgendwo?!“ Susannes Stimme klang irgendwie eigenartig. Schnell zog ich mein T-Shirt an, aber Konstantin stieg einfach mit freiem Oberkörper runter. Es war auch wirklich warm. „Wir sind hier Susanne!“, rief ich, als wir gerade aus dem Scheunentor traten. „Mutter ist da. Und ich muss gleich dazu sagen, dass ich sie nicht eingeladen habe. Verdammt. Das kommt wirklich ungelegen. Jona, bitte, ich bitte dich, sei einfach wie du bist, aber lass dich nicht von ihr provozieren. Sie legt

es drauf an, ich weiß es. Sonst wäre sie nicht hier. Also wirklich, sonst ist sie doch auf immer so scharf darauf, dass gewisse Regeln eingehalten werden und dazu gehört auch, dass man sich vorher ankündigt. Das gilt nicht für euch, ihr könnt jederzeit vorbeikommen.“ Sie lächelte uns warm an, aber ich merkte, wie angespannt sie war. „Uhui, da gibt aber jemand mit seinem Fang an.“ Womit hatte ich diese Strafe verdient? War es nicht schon schlimm genug, dass meine Mama da war? Musste nun auch noch die Schlange kommen? In Begleitung einer unschuldigen Maus. Lina konnte ihre Augen gar nicht von Konstantins nackten

Oberkörper nehmen und ich merkte, wie ich sie giftig anfunkelte. Der gehörte mir! In Gedanken wetzte ich schon die Messer. „Hallo Sandrine, Lina....“, ich drehte mich weg und nahm Konstantins Hand. Wir liefen gemächlich zum Haus und dass seine Hand auf meinem Hintern lag, war sicherlich kein Zufall. Ich kicherte in mich hinein. Aber es war eher ein hysterisches Lachen. Das würde ein Fiasko werden, dabei hatte ich doch nur einen schönen ruhigen Urlaub verbringen wollen. „Guten Tag, Jona. Begrüßt man neuerdings seine Mutter nicht mehr? Ach

ich vergaß, du telefonierst nicht einmal mehr mit mir. Dafür bist du dir ja zu gut.“ Sollte ich darauf etwa freundlich reagieren? „Ich habe gelernt und Prüfungen geschrieben. Damit ich später für mich selbst sorgen kann, immerhin bin ich enterbt.“ „Als ob man mit diesem Studium etwas verdienen würde. Aber was rede ich gegen eine Wand. Es ist ja doch Hopfen und Malz verloren.“ „Wenn ich mich mal kurz einmischen dürfte. Ich bin Konstantin Lüning. Freut mich sie kennenzulernen.“ Wie schaffte er es nur, den Sarkasmus aus seiner Stimme zu

verbannen? „Genau, Mama, das ist Konstantin, mein Freund. Sei nett zu ihm.“ „Herzogenrath. Angenehm.“ Sie reichte ihm unterkühlt die Hand, aber immerhin ignorierte sie ihn nicht mehr. „Ist Papa gar nicht mitgekommen?“ Ich wollte die Hoffnung noch nicht aufgeben, dass wenigstens ein vernünftiges Familienmitglied mitgekommen war. Aber meine Mutter machte sie zunichte. „Er ist auf Geschäftsreise. Irgendwas Superwichtiges, bei dem viel Geld rausspringen könnte. Nun ja, lasst uns reingehen. Ich habe keine Lust mir hier die ganze Zeit die Beine in den Bauch zu

stehen.“ Konstantin ergriff unaufgefordert den Koffer und meine Mutter verzog unheilvoll den Mund. „Das kann mein Sohn machen.“ In Gedanken hörte ich den Nachsatz: Sie brauchen sich nicht einzuschleimen. Dabei wusste sie nicht, dass er einfach immer so zuvorkommend war. Ich hob die Tasche auf und fragte mich mal wieder, was sie alles mitgeschleppt hatte. Hoffentlich wollte sie nicht länger als eine Nacht bleiben. Mir wurde wirklich mulmig bei dem Gedanken daran. „Ich will wissen, was sie beruflich machen.“ Zusammenreißen Jona und nicht die Augen verdrehen. Schon fing

das Kreuzverhör an. „Ich studiere Geschichte. Ich möchte später unterrichten.“ Oh, das war mir neu. An einer Schule?! „Sehr schön. Zweitfach?“ Was? Schön? „Latein. Das ist schon im Hauptstudium dabei. Ich wollte mich auf eine Sache konzentrieren. Jona hat erzählt, sie sind auch Lehrerin? Für welche Fächer denn?“ Es war nicht zu fassen, sie verstanden sich! Das Gespräch war zwar sterbenslangweilig, aber ich war so fasziniert davon, dass Konstantin sich normal mit meiner Mutter unterhalten konnte, dass ich wie gebannt zuhörte.

„Susanne? Wo steckt das Mädel schon wieder?“ Gut, dass sie sich mal auf jemand anderen als uns konzentrierte. Es war toll, dass es so gut lief, aber auch dementsprechend anstrengend. Meine Mutter hatte Konstantin ins Herz geschlossen, soweit es ihr möglich war. Entweder hatte mein Vater ihr ins Gewissen geredet oder es war ein Wunder geschehen. Eine andere Erklärung hatte ich nicht für ihren Sinneswandel. In einer ruhigen Minute hatte sie mich zur Seite genommen und nur darum gebeten... ok, befohlen, sie nicht mit Zurschaustellung von Zärtlichkeiten zu belästigen. Das war

aber auch das einzig Unangenehme, was ich heute erzählen konnte. Der Tag war ansonsten noch sehr harmonisch verlaufen. Sandrine und Lina sahen zwar so aus, als ob sie was ausheckten, aber sie hatten eh keine Chance. „Susi, sag mal, dürfen wir heute vielleicht auf dem Scheunenboden übernachten? Wir waren vorhin dort und es sah so gemütlich aus. Hier im Haus ist langsam auch kein Platz mehr, oder?“ „Natürlich könnt ihr, aber kein offenes Feuer und ihr nehmt euch mehrere dicke Decken mit. Es ist noch nicht so warm, dass man ohne übernachten könnte.“ Mutti durch und durch. „Ja, klar. Wir sind schon groß.“ Wir

grinsten uns an und brachen in schallendes Gelächter aus. Es war einfach nur schön. Das erste Mal fühlte sich alles so normal, so nach Familie an, dass ich Angst hatte, aus einem Traum zu erwachen und alles wäre so wie früher. Konstantin hatte meine Hand ergriffen und drückte sie fest. Er scherte sich nicht darum, dass meine Mutter es mehr oder weniger untersagt hatte. Das gab mir Kraft und ich glaube langsam daran, dass wirklich alles gut werden würde. „Das sieht wirklich gemütlich aus.“ Ich war sehr zufrieden mit meinem Werk. Die Decken lagen flauschig auf dem Heu

und ich hatte bereits getestet, ob es durchpikste. Eine kleine batteriebetriebene Lampe brachte spärliches Licht, aber ich fand es romantisch. Auf einmal schlangen sich starke Arme um mich und weiche Lippen senkten sich auf meinen Nacken. Es kribbelte und ich wand mich. „Endlich allein. Es fiel mir sehr schwer, nicht über dich herzufallen, weißt du das?“ Konstantin knabberte an meinem Ohr und ich beugte mich der Berührung entgegen. „Mhmh...“ Sich zu artikulieren, während man verwöhnt wurde, war gar nicht so leicht. „Meine Mutter hätte uns gevierteilt.

Obwohl sie dich zu mögen scheint.“ Ich runzelte die Stirn. Ich hielt das immer noch für ein unaufgeklärtes Rätsel. „Ist doch gut für uns. Ich hatte mich auf einen Drachen eingestellt, aber ich war positiv überrascht.“ „Ich erst. Lass uns nicht weiter über meine Mutter reden. Wir sind endlich allein und ich will sofort meinen Kuss.“ Der wurde mir auch prompt gegeben, nur nicht so, wie ich es erwartet hätte. Stattdessen waren meine Schultern von meinem Shirt eingeklemmt, das er frech nach unten gezogen hatte, um seinen Mund besser auf meine Haut drücken zu können. Er zog eine Feuerspur von links nach rechts über meine Schulterblätter

und zupfte nebenbei das Shirt auch bauchaufwärts. Ich war ihm ausgeliefert, aber das störte mich nicht. Nur, dass ich ein wenig untätig herumstand, behagte mir nicht so recht. „So weich. Du machst mich verrückt.“ Dabei war ich hier derjenige, der das Gefühl hatte, dass sein Kopf sich im Kreis drehte. „Wo soll ich dich als nächstes küssen?“ Er sprach eher zu sich selbst, denn er wartete meine Antwort gar nicht erst ab. Eine feuchte Zunge stahl sich auf meinen Bauch, umrundete meinen Bauchnabel und ich merkte wie sich Gänsehaut bildete. Ich liebte ihn so sehr. Sein dunkler Schopf kniete vor mir

und ich wollte ihm auch so etwas Schönes geben. „Befreie mich, bitte.“ Aber er schüttelte nur den Kopf und führte sein Treiben fort. Als seine Zunge meine Hüftknochen entlangfuhr, ganz dich am oberen Ende meiner Hose vorbei, musste ich ein Aufstöhnen unterdrücken. Doch ganz gelang es mir nicht. „Jona, Liebster. Lass mich mehr davon hören.“ Er knöpfte langsam meine Hose auf und zog genüsslich den Reißverschluss auf. Er schien Spaß daran zu haben, mich auf die Folter zu spannen. Aber ich wusste, je mehr ich bettelte, desto langsamer würde er

machen. Ich entspannte mich und ließ ihm seinen Willen. „Ich weiß, was du da tust.“ Verdammt, war ich so durchschaubar? Anscheinend, denn nun wurde ich auf unsere weiche Bettstatt geworfen und konnte mich wie ein Maikäfer auf dem Rücken nicht mehr bewegen. „Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, wollte ich dich.“ WAS?! Hatte ich mich eben verhört? „Du bist so niedlich, ich wusste, du hast es nicht bemerkt. Deshalb hat es ja auch solange gedauert, bis du mir geglaubt hast, dass ich dich liebe.“ Mein fragender Blick sprach anscheinend

Bände, denn er legte sich nun bequem neben mich und ich befreite mich aus meinem Shirtgefängnis. „Wann war denn das erste Mal? Jetzt bin ich neugierig.“ Er hatte den Kopf auf seine muskulösen Oberarme gestützt und ein geheimnisvolles Lächeln zierte sein Gesicht. „Glaubst du wirklich, dass es mir nicht aufgefallen wäre, dass du mich in der Bahn ständig angesehen hast? Und als du dann bei uns eingezogen bist, wurde es immer offensichtlicher, dass du mich zu mögen scheinst. Aber du hast überhaupt nicht mitbekommen, dass es mir genauso ging. Ehrlich gesagt, war das ganz schön frustrierend.“ Seine

schönen Augenbrauen zogen sich zusammen und er schaute mich ein wenig genervt an. „Ich hatte keine Ahnung. Ich… ich dachte… ach, ich weiß nicht, was ich dachte. Mist bestimmt. Ich weiß nur, dass ich dich liebe und dich nicht wieder hergebe.“ Ich lächelte ihn breit an und er legte seine Lippen zart auf meine. „Du hast den einen Tag von Ameisen geredet, die du ausräuchern willst. Was bedeutet das eigentlich?“ Ich wurde garantiert rot bis unter die Haarwurzeln. „Geheimnis.“ Das würde ich mit ins Grab nehmen. Nicht wahr, meine

Ameisenfreunde? Aber Konstantin lächelte so, dass ich das Gefühl hatte, er wüsste sowieso, was es bedeutete. Bevor er sich aber weiter darüber Gedanken machte, setzte ich unsere angefangenen Zärtlichkeiten fort und lenkte ihn erfolgreich ab. Die Tage bei meiner Schwester waren so schön, dass ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, in einem wunderschönen Traum zu sein. Harmonie, Spaß und Liebe bestimmten das Bild. Wenn ich realistisch war, dann wusste ich, dass es sicher nicht durchgängig so war und sein würde. Aber ich wünschte es mir. Dass meine Mutter einen Waffenstillstand

mit uns geschlossen hatte, war schon mehr, als ich mir hätte vorstellen können. Ein wenig Angst hatte ich noch, dass es von einem Moment auf den anderen vorbei sein würde. Doch dann sah ich Konstantin an und konnte wieder neue Kraft schöpfen. Egal, was kommen würde, ich würde mich dem stellen. Unsere Liebe würde uns stark genug machen und das war alles was zählte. ~ Ende ~

Bonus 1 Kochen Für konstantin

Bonuskapitel 1 Kochen für Konstantin „Shit, shit, shit, wie war das noch mal?“ Ich las jetzt zum gefühlt hundersten Mal das Rezept für Putengeschnetzeltes in Sahnesauce mit Reis. Klingt einfach, oder? Ist es aber nicht, wenn man absolut nicht in der Lage war zu kochen. Dabei hatte ich mir alles so schön vorgestellt. „Den Reis kann ich wohl noch mal machen.“, murmelte ich mir selbst zu, als ich die wässrige Pampe sah, die ich da fabriziert hatte. Das konnte doch keiner essen. Gut, dass ich hier für

Vorrat gesorgt hatte. Bei der Putenbrust sah das schon anders aus. Gab es eine Regel, wie man das Fleisch am besten in Stücke schnitt? Oder sollte ich einfach draufloshacken? Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee gewesen, Dom und Philipp ins Kino zu jagen. Naja, als ob ich da viel hätte nachhelfen müssen. Sobald sie erfahren hatten, dass ein neuer Zombiefilm angelaufen war, hatten sie die Beine in die Hand genommen und mich erwartete ein ausführlicher Bericht. Was Zombies alles eigentlich nicht konnten und was die Opfer hätten besser machen müssen, à la Zombieguide, waren da nur ein paar oberflächliche

Beispiele. Das glibberige Fleisch schien mich höhnisch auszulachen, als ich mit dem Steakmesser ausholte. Mehr als schief gehen konnte es nicht und ich hoffte einfach, dass Konstantin meine Mühe zu schätzen wusste. In der Regel machten wir es uns einfach und bestellten uns Abendessen, wenn wir überhaupt dazu kamen. Blöderweise hatte Konstantin nämlich die Angewohnheit das Essen völlig zu vergessen, wenn er lernte. So gegen Mitternacht fiel ihm dann ein, dass er noch einen Joghurt essen könnte, aber das war auch schon alles. Da wir gerade wieder mitten in der Prüfungsphase waren, hatte er

dementsprechend wenig gegessen und ich würde heute etwas dagegen tun. Wenn es dann genießbar war… Mein Gesichtsausdruck sprach wahrscheinlich Bände und ich war froh, dass ich allein in der Küche herumwerkeln konnte. Zur Not würde ich Sammy anrufen und um ihre Unterstützung bitten. Das war bestimmt erlaubt, immerhin wollte ich uns ja nicht vergiften. In meinem Kopf erklang ein Lied und ich überlegte wirklich krampfhaft, woher ich es kannte. Sammy sang immer wieder vor sich hin und war auf jeden Fall der Auslöser dafür. Was übte sie gerade? Nicht darüber nachdenken,

dann würde es mir bestimmt einfallen. Ich summte vor mich hin, während ich meinen Vernichtungsschlag gegen das Fleisch fortführte. Ich hatte noch Zeit bevor Konstantin kam, denn die Bibliothek hatte bis 22 Uhr geöffnet. Der Zug jedoch fuhr als letztes 20 Uhr. Das hieß, ich hatte noch eine gute Stunde, um mein Massaker zu vollenden. Als ich das Fleisch fertig hatte und die zweite Runde Reis auf dem Herd stand, sah ich noch mal nach, ob ich sonst noch was vorbereiten musste. Tisch decken, Gertränke bereitstellen, umziehen. Diese innere Checkliste ging ich immer wieder durch. Ich stellte mein Handy, damit der Reis nicht wieder

pappig wurde und ging auf den Dachboden. Ohne Philipp hätte ich es nie geschafft. Er war kaum wieder zu erkennen, zumindest da, wo wir die Sachen weggeräumt hatten, damit wir ein wenig Platz hatten. Ob Konstantin es genauso romantisch finden würde, wie ich? Ich konnte es mir nicht erklären, aber der Dachboden zog mich magisch an und ich hatte mehr als einen Tagtraum gehabt, in dem er eine zentrale Rolle gespielt hatte. Einzelheiten werden hier natürlich nicht verraten. Ich hatte mir Petroleumlampen besorgt, da echte Kerzen in diesem alten Haus auf dem Dachboden etwas fehl am Platze

waren. Obwohl nichts den Charme einer echten Kerze ersetzen konnte. Es war ziemlich einfach gewesen, mein Vorhaben vor Konstantin zu verheimlichen. Schließlich verbrachte er mehr Zeit in der Uni als zu Hause. Wenn ich auch nur halb so fleißig wäre, wie er, wäre ich schon mit meinem Studium fertig. Aber ich muss zugeben, dass ich momentan nur das Nötigste machte, da ich sonst nicht mehr wüsste, wo mir der Kopf steht. Zum Glück würde es bald besser werden. Ich hatte ein Ausgrabungspraktikum ergattert und freute mich schon tierisch darauf. Auch wenn Wind und Wetter garantiert gegen mich sein würden, immerhin war es

bereits November und nasskalt. Der Schnee ließ leider noch auf sich warten. Ja, Schnee, richtig gehört. Besser als dieses graue Einerlei war er allemal und ich hatte da so eine Idee von einem schönen Winterspaziergang. Wenn Konstantin sich einmal von seinen Büchern losreißen könnte. Aber er hatte mir versprochen nach der nächsten Klausur, hätte er wieder mehr Zeit. Die war wohl besonders wichtig. Momentan war mein Zimmer zu einer Art Arbeitszimmer umfunktioniert worden, ich schlief sowieso meistens bei Konstantin und daher häuften sich Papiere, Kopien, Unterlagen und Bücher auf meinem Schreibtisch und Bett.

Der Tisch, den wir auf dem Dachboden gefunden hatten und die alten Stühle waren perfekt. Es hatte etwas, dass mich an alte Zeiten erinnerte, so wie es immer in Büchern beschrieben würde und ich war sehr zufrieden mit meinem Werk. Auch wenn das Saubermachen eine echte Plackerei gewesen war. Philipp hatte mir wirklich geholfen, auch wenn es ihm Spaß gemacht hatte, mich mit seinem Putzwedel zu jagen, um mir eine gehörige Portion Staub in die Haare zu schmieren. Echt eklig. „Oh, oh.“ Der Wecker piepte und ich hatte noch nichts geschafft. Schnell

flitzte ich nach unten. Der Reis war in Ordnung. Schnell abgießen und ab in den vorgewärmten Backofen. Was kam als nächstes? Ach ja, Fleisch anbraten. Hatten wir überhaupt eine Pfanne? Ich schaute in die Schublade unter dem Ofen und wurde tatsächlich fündig. Die nächsten zehn Minuten widmete ich mich hochkonzentriert, dem Abraten des Fleisches. Ein klein wenig verkohlt, aber genießbar. Stolz rührte ich die Sauce an, hierbei konnte nicht so viel schief gehen. Da das Essen ohne Gemüse war, schnippelte ich noch einen kleinen grünen Salat. Den würde Konstantin alleine essen. Das Grünfutter war nicht so mein Ding. Es sah doch

wirklich danach aus, dass nichts schiefgelaufen wäre. Ein kleines selbstgefälliges Grinsen konnte ich dementsprechend auch nicht unterdrücken. Jetzt musste ich mir noch etwas anderes anziehen. Meine Sachen rochen bestimmt nach Essen. Im Ofen würde alles schön warm bleiben und ich konnte noch schnell unter die Dusche springen. Er müsste jeden Moment kommen. Er war pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk und ich konnte eher spüren, dass er den Schlüssel in das Schloss steckte, als dass ich es hörte. Ich schaltete den Fernseher aus, der eher

nebenbei gelaufen war, während ich mir Sorgen machte, ob ich irgendetwas vergessen hatte. „Jona?“ Ich eilte zur Tür und holte mir meinen Begrüßungskuss. Vielleicht ein wenig überschwänglicher als sonst, aber ich hatte mir so viel Mühe gegeben, dass ich bereits vorher eine Belohnung haben wollte. Auch wenn ich noch nicht wusste, ob ich sie überhaupt verdiente. „Da ist heute aber jemand stürmisch.“ Er sah mich liebevoll an und küsste mich so intensiv, dass mir ganz schwummrig im Kopf wurde. Das würde sich nie ändern, egal wie oft er es tat. Das halbe Jahr, dass wir nun offiziell zusammen waren, war wie im Flug

vergangen. Ich hatte geglaubt oder eher befürchtet, dass die Gefühle schnell erkalten würden, aber ich hatte mich getäuscht. Meine Welt war immer noch rosarot und mittlerweile schimmerte sie auch noch in den Regenbogenfarben. Was bedeuten sollte, dass meine Vernarrtheit eher schlimmer als besser wurde. Mein Kochversuch zeigte das wohl mehr als deutlich. Apropos Essen. „Konstantin…“ Es war wirklich schwer zu denken, wenn der Mann deiner Träume gerade unglaubliche Dinge mit seiner Zunge anstellte, aber ich hatte etwas vorbereitet. „Was ist, Süßer?“ Die braunen Augen schauten mich abwartend an und ich

nahm allen Mut zusammen, um ihm erstens nichts zu verraten und zweitens nicht sofort, über ihn herzufallen. „Ich hab eine Überraschung, aber du willst dich bestimmt erst umziehen, oder?“ Er nickte und auf seinem Gesicht war die blanke Neugier. „Ich beeil mich.“ Ich sah ihm hinterher, wie er federnden Schrittes die Treppe hinaufeilte und bewunderte seinen festen Hintern. Also wirklich, Jona, konzentrier dich! Mir fiel wieder ein, was ich eigentlich machen wollte. Schnell ging ich in die Küche und balancierte das Essen die engen Treppen hinauf. Oben war es schön warm, weil uns ein Ofenradiator

einheizte. Ich stellte meine schwere Last auf dem Tablett auf dem Tisch ab und war sehr zufrieden mit meinem Werk. „Wo bist du Jona?“, schallte es von unten herauf. Konstantin war anscheinend schon umgezogen. Hatte ich so getrödelt? „Oben auf dem Dachboden. Komm rauf.“ Ich grinste in mich hinein. Das würde toll werden. Wir waren allein, ich hatte das Essen nicht versaut und danach wären wir immer noch allein, da ich Dom gebeten hatte, Philipp mit zu sich zu nehmen. Sowas nannte man wohl sturmfreie Bude. „Mh, das riecht aber gut. Hast du was

bestellt? Du weißt doch, dass wir das nicht zu oft machen sollten, sonst sind wir schneller pleite, als wir schauen können.“ Ich zog einen Flunsch, als er an den Tisch kam. „Ich hab nichts bestellt.“ Sein ungläubiger Gesichtsausdruck wäre beleidigend gewesen, wenn er dabei nicht immer noch so unglaublich süß ausgesehen hätte. „Du hast gekocht? Und die Küche lebt noch?“ „Natürlich!“ „Entschuldige, aber das ist gerade wie Weihnachten und Ostern zusammen. Du hast extra gekocht, für mich…das muss ich erstmal verarbeiten.“ Er setzte sich

auf einen der Stühle und starrte ungläubig seine Portion an. So etwas Besonderes war das nun auch wieder nicht. „Ist nur Putengeschnetzeltes und es ist ein wenig angebrannt.“ Er stand auf und verschloss meinen Mund mit seinen weichen Lippen. „Ruhe, ich werde das Festmahl genießen und mir ist völlig egal, ob irgendwas schiefgelaufen ist. Weil allein der Gedanke mich glücklich macht, dass du für mich gekocht hast.“ „Sonst wirst du noch dünner. Du isst ja kaum noch was, seit du für diese Klausur lernst.“ Er seufzte.

„Ja, ich weiß. Aber nächste Woche ist das vorbei, das verspreche ich dir. Und heute werde ich auch keinen Gedanken daran verschwenden.“ Wir setzten uns hin und ich konnte sehen, dass ihm mein Essen schmeckte. Ich merkte zwar immer noch, dass das Fleisch angekokelt war, aber mittlerweile war es mir auch egal. „Wo ist eigentlich unser Chaosduo?“, fragte er zwischen zwei Bissen. „Die habe ich mit der Aussicht auf einen neuen Zombiefilm im Kino aus dem Haus gelockt und sie werden heute auch nicht wieder kommen. Die können ruhig auch mal bei Dom übernachten. Ich weiß gar

nicht, was sie daran finden, die ganze Zeit hier rumzuhängen.“ Darüber hatte ich schon öfter nachgedacht, aber ich hatte noch nie eine Antwort gefunden. Klar, das Haus war hübsch, aber es war einsam gelegen und im Winter war wirklich nicht viel los hier… ob sie die Stille genauso genossen wie ich? Nein, das hielt ich für unwahrscheinlich. Die beiden waren eher für das Stadtleben geschaffen, mit seinen zeitweiligen Vergnügungen. „Du hast es wirklich nicht gemerkt, oder? Du bist so süß.“ Konstantin grinste mich an und ich stand auf dem Schlauch. „Was habe ich nicht gemerkt?“

„Du bist ihr bester Freund, du Dummerchen. Sie wollen Zeit mit dir verbringen, aber da du dich am liebsten hier aufhältst, haben sie keine Wahl und bleiben hier bei dir. Du lässt dich eher selten zu etwas überreden und sie wollen einfach nur in deiner Nähe sein. Am Anfang hat mich das in Bezug auf Dom sehr irritiert. Aber Philipp hat genauso reagiert. Du bist ihr Ruhepol.“ Jetzt war es an mir, wie ein Auto zu schauen. Ich war ihr Ruhepol. Ich, mit meinem unausgeglichenen Charakter? „Das ist dein Ernst, oder?“ Meine Ameisen hüpften im Takt meines Herzens auf und nieder. Sie freuten sich

tierisch, denn ich hatte mal wieder nicht bemerkt, wie die Menschen um mich herum zu mir standen. Immer war ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt, dass ich die schönen Sachen verpasste. „Ich finde, wir sollten mal wieder alle was miteinander unternehmen. Vielleicht will Sammy auch mitkommen? Was hältst du davon, wenn wir in einen Vergnügungspark gehen? Ich denke da gerade an die Geisterbahn und wie du dich eng an mich presst.“ Seine Stimme wurde verführerisch leise und ich freute mich schon auf den Ausflug, obwohl noch nichts mit den anderen abgesprochen war. Aber das würde bestimmt schön werden.

Wir aßen auf und unterhielten uns angeregt darüber was wir alles im Vergnügungspark unternehmen würden. Konstantin hatte sogar zwei Portionen verdrückt und ich war stolz und zufrieden. Wenn das immer so laufen würde, könnte ich mich vielleicht dazu überreden lassen, öfter zu kochen. Auch wenn das in einem Küchenmassaker enden würde. Ich hatte mich so in meinen Gedanken verloren, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass Konstantin zu mir gekommen war und hinter meinem Stuhl stand. Er beugte sich zu mir hinunter und hauchte mir ins Ohr. „Zeit, für meinen Nachtisch.“


Bonus 2 Im Dunkeln ist gut munkeln

Bonuskapitel 2 – Im Dunkeln ist gut munkeln Der dünne junge Mann, der ein viel zu weites T-Shirt für seine schlanke Figur trug, schaute angestrengt auf die Uhr. Wo blieb Philipp denn? Der Film fing gleich an! Sie erwarteten zwar nichts Großartiges von diesem Regisseur, aber er hasste es den Anfang zu verpassen. Dann brauchte man auch gar nicht erst reinzugehen. Sie hatten sich auch noch kein Popcorn geholt und Domenik beschloss das gleich

zu ändern. Philipp richtete bestimmt wieder nur seine Wuschelfrisur, dabei sah er so oder so süß aus. Die schwarzen Haare waren so widerspenstig, dass der sie in der Regel sowieso nicht frisierte. Dann standen sie lustig in alle Richtungen ab und erinnerten ihn immer an ein geduschtes und anschließendes geföhntes Kätzchen. Das die Krallen ausfuhr, wenn man so was auch nur ansatzweise andeutete. Der für sein Alter große Mann erregte mehr Aufmerksamkeit, als es ihm lieb gewesen wäre, wenn er es gewusst oder mitbekommen hätte. Doch da er blind für sein Äußeres war, blieben ihm die Blicke der Gäste vor der Verkaufstheke,

sowie die dahinter aus Frauen- und Männeraugen verborgen. „Eine kleine Tüte Popcorn und eine große Sprite bitte.“ Seine angenehme Stimme zog die Bienen an wie Honig und die Verkäuferin hinter der Theke blieb sogleich darin kleben. „Ganz allein ins Kino? Was schaust du dir denn an?“ Das Zwinkern beinhaltete einen mehr als eindeutigen zu stark geschminkten Augenaufschlag, doch Dom war immun dagegen. „Nein, nicht allein, mein Freund ist auch dabei. >>Zombieapokalypse<<, blöder Titel, mal schauen, was daraus wird.“ Er nahm zwei Strohhalme und holte sein Portemonnaie zum Bezahlen heraus.

Während er kramte, laberte die Verkäuferin ihn weiter zu. „Oh, den habe ich auch noch nicht gesehen, vielleicht erzählst du mir nachher etwas darüber. Denn nach dem nächsten Film ist meine Schicht zu Ende. Dein Freund kann sicherlich allein nach Hause gehen. Und wir na ja… können uns noch einen gemütlichen Abend machen.“ Sie leckte sich lasziv über die geschminkten Lippen und im Hintergrund erklang ein Glucksen. Der Verkäufer, ein wirklich gut aussehender Typ, sah aus, als ob er das Ganze höchst unterhaltsam finden würde. Schließlich ging auch Dom auf, was die Dame da gerade von sich gegeben hatte

und sein Mund stand auf, wie bei einem Goldfisch. „Nein, der Freund kann sich keinen gemütlichen Abend allein machen. Denn ich würde ihn schon gern mit meinem festen Freund verbringen.“ Das freche Grinsen und der gehauchte Kuss auf Doms Mund, als Philipp dazustieß, zeigte die entsprechende Wirkung und die Verkäuferin verzog wütend die Lippen zu einer unangenehmen Grimasse. „Scheiß Schwu…“ „Nadine, pass auf, was du sagst!“, mischte sich der Braunhaarige ein. „Ach, halt die Klappe Malte! Du bekommst ihn auch nicht. Oder vielleicht

lassen sich die beiden zu einem Dreier überreden. Solche wie ihr habt ja keine Hemmungen habe ich gehört.“ Das ging definitiv unter die Gürtellinie und der andere nette Verkäufer wurde da mit reingezogen. „Normalerweise bin ich für jeden Spaß zu haben, aber es gibt Dinge, die ich nicht gerne teile und mein Freund gehört dazu. Ich könnte aber eine Portion Anstand und Toleranz mit ihnen teilen?“ Er glaubte nicht, dass sie intelligent genug war, den Seitenhieb zu verstehen, aber Malte gluckste wieder los. „Touché, Kleiner!“ Dann wurde sein Ton wieder ernst.

„Nadine, das klären wir hinten. Das war nämlich eine Diskriminierung zu viel.“ Sie rauschte nach hinten in einen abgelegenen Raum. Das würde Ärger geben, aber Domenik konnte nicht behaupten, dass er Mitleid mit dem Make-Up-Umfall hatte. „Dom-Schatz, kommst du? In fünf Minuten fängt der Film an.“ Der kleinere Schwarzhaarige drehte sich weg von dem Geschehen, als ihm einfiel, dass er noch bezahlen musste. „Hier 15 Euro, Rest ist Trinkgeld. Für dich!“ An Malte gewandt. Der steckte das Geld in die Kasse und nahm sich das großzügige Trinkgeld raus. „Danke. Kommt bald wieder, dann

können wir mal quatschen, auf zivilisierte Weise.“ „Gern, bis dann!“ „Viel Spaß bei eurem Film.“ „Kanntest du den?“ Philipps neugieriger Gesichtsausdruck besagte nichts anderes. „Nee, habe ich auch erst hier kennen gelernt. Netter Typ, oder? Im Gegensatz zu der Verkäuferin.“ Er verzog das Gesicht. „Der Ausdruck war unbezahlbar, als ich fester Freund gesagt habe. Die hat das echt nicht gecheckt. Nunja, aber wir sehen auch nicht aus wie Vorzeigeschwule, hm?“ Er lächelte und

Dom wurde warm ums Herz. Dieser liebe Mann war bis über beide Ohren in ihn verliebt und andersrum verhielt es sich genauso. Nach ein paar Höhen und Tiefen hatten sie sich endlich zusammengerauft. Es war schon ein Fortschritt, dass Philipp nicht sofort eifersüchtig wurde, nur weil er sich mit Malte unterhalten hatte. So langsam schien er ihm wirklich zu vertrauen und die Episode mit Kevin rückte immer mehr in Vergessenheit. Es war ja auch schlimm genug gewesen. Er war wirklich drauf und dran gewesen, den Kontakt gänzlich abzubrechen, nur weil Philipp sich in seinem Eifersuchtswahn sonst welche Szenarien ausgedacht hatte.

Wäre der Tag nicht gewesen, als Kevin sich an Jona rangemacht hatte, dann wäre er bestimmt immer noch sauer. Aber Schwamm drüber! Jetzt war es perfekt, auch wenn es sicherlich nicht immer so bleiben würde. „Da sind unsere Plätze.“ Sie drängten sich durch die schmalen Sitzreihen, immer darauf bedacht, niemandem auf die Füße zu treten. Es war proppenvoll und sie wirklich spät dran. „Die Filmwerbung hat schon angefangen!“, zischte Dom ihm zu. „Aber der Film noch nicht und das ist das Einzige, was zählt.“ Er konnte absolut nicht verstehen, warum Domenik immer darauf bestand, die

ganzen Filmvorschauen auch anzusehen. Sie waren so oft im Kino, er konnte die Hälfte bereits mitsprechen. Dank Schüler- und Studentenausweis konnten sie sich das leisten, ohne am Hungertuch zu nagen. Philipp hatte sowieso mehr Geld, als er momentan ausgeben konnte, aber er wollte es auch nicht verschleudern. Er hatte auch auf die harte Art gelernt, dass es unklug war, Domenik einladen zu wollen. Aus irgendeinem Grund war das ein rotes Tuch für ihn und er hatte ihm das Geld im wahrsten Sinne an den Kopf geworden. Das war nicht lustig gewesen. Fünf Euro in Kleingeld hatten merkliche Blessuren hinterlassen. Als er

sich daran erinnerte, verzog er schmerzvoll das Gesicht. „Popcorn?“ Er lächelte dankbar und nahm sich eine Handvoll, aber Domenik schüttelte amüsiert den Kopf. „Nicht so. Komm noch ist Zeit, du schaust doch eh nicht hin.“ Er nahm einen der zwei Strohhalme und zog umständlich Luft an. Er probierte doch tatsächlich das Popcorn damit in seinen Mund zu blasen. Albernes Kind. Ihm sollte noch mal jemand erzählen, dass Domenik älter war als er. Das kaufte ihm doch keiner ab. Aber das Spiel machte Spaß. Da sie auch sehr gut darin waren, artete es auch nicht in einer Schweinerei auf dem Fußboden aus,

sondern nur in ungestümen Gelächter. „Die haben kein Benehmen!“ Die Frau hinter ihnen hatte null Sinn für Humor! „Liebling, hast du nicht gesehen, dass sie sogar treffen?“ Er lachte lauthals los und Philipp und Dom kicherten ebenfalls. Na, dann konnte der Film ja losgehen. Sie hörten auf mit ihrem Spielchen und der Film fing an. Da keiner von ihnen es haben konnte, wenn man im Film quatschte oder anderweitige Spielchen machte, war es danach sogar ruhig. „Ich glaube, wir sollten demnächst mal eine Pause bei den Zombiefilmen einlegen. Noch so ein Desaster ertrage

ich nicht. Hast du gesehen, wie dieses Weib versucht hat, mit der Eisenstange auf den Zombie einzuschlagen? Blödsinnig oder? Besorg dir ne Knarre, sei schneller als der Zombie und oberste Regel, schieß ihm ein Loch in den Kopf. Eigentlich nicht schwer, oder?“ Es war süß, wie er sich immer wieder über die gleichen Sachen aufregte. „Richtig. Dann müssen wir mal auf Horror umsteigen oder Action. In eine Liebesschnulze bekommst du mich nur mit Erpressung.“ „Womit müsste ich dich denn erpressen?“ Das anzügliche Grinsen war Antwort genug. „Und jetzt? Nach Hause gehen ist noch

zu früh. Wir gehen sowieso zu mir. Jona wollte mal sturmfreie Bude haben. Was habt ihr eigentlich für Konstantin vorbereitet?“ Philipp erzählte ihm ausführlich, wie sie den Dachboden ausgeräumt hatten und wie nervös Jona gewesen war, weil er Angst hatte, beim Kochen was falsch zu machen. Dom lachte laut auf. „Typisch, Jona. Er ist nicht gerade der beste Koch. Ich bin schon in den Genuss seiner Eierkuchen gekommen und die waren… schwarz. Aber er hat sich Mühe gegeben.“ „Konstantin wird alles essen, was er ihm vorsetzt und keine Miene verziehen. Das klappt schon.“ Sie schlenderten an

beleuchteten Geschäften vorbei und schauten ab und zu in eines der Schaufenster, die hell waren, obwohl die meisten Läden bereits geschlossen hatten. „Wir laufen gerade zum Neptunbrunnen. Wollen wir uns da hinsetzen? Holen wir uns vorher noch ein Eis?“ Domenik nickte, mit den Gedanken war er bei dem gut aussehenden Verkäufer von vorhin. Er kam ihm bekannt vor, aber er erinnerte sich nicht daran, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Vielleicht aus seiner Uni. Das könnte sein, sie war immerhin sehr groß und man lief öfter Leuten über den Weg, die man gar nicht richtig kannte, aber bei denen man

ungefähr wusste, wo man sie hinstecken sollte. Sie setzten sich mit ihrem Eis bewaffnet auf den Rand des Brunnens. Verkehrt herum, damit die Füße in dem lauwarmen Wasser baumeln konnten. Sie verschwendeten keinen Gedanken daran, wie schmutzig das Wasser sein könnte, sondern genossen einfach nur den Flair. Domenik lehnte sich an Philipp und sie saßen in einvernehmlichen Schweigen nebeneinander. Das kam nicht oft vor, da sie beide dazu neigten, drückende Stille durch Worte zu füllen, aber diese Ruhe war anders. Der Himmel war klar und man konnte selbst in der Großstadt ein paar deutliche Sternenbilder

erkennen. „Schön, oder? Schmeckt dein Eis?“ „Klar, Erdbeer ist immer lecker!“, antwortete Domenik und leckte weiter zufrieden an seiner gefüllten Eiswaffel. Dieser Abend war wirklich schön gewesen, von dem kleinen Streit mit der Verkäuferin mal abgesehen und dem mehr als blödsinnigen Film. Allein Philipps Gesellschaft machte das wett. So albern sie auch manchmal waren, bei wirklich wichtigen Themen wurden sie ernst und hörten sich gegenseitig zu - mittlerweile. So könnte es bleiben, bis sie alt und grau würden. Wenn nicht, dann würden sie auch das durchstehen. Er holte sich einen Kuss von Philipp und

kuschelte sich zufrieden an seinen Freund. Als dieser anfing, ihn mit Wasser zu bespritzen, war die Ruhe zwar vorbei, aber das hielt ihn nicht davon ab, ihm mit einer Salve von Wasserspritzern zu antworten. Das Lachen der beiden schallte hinaus in die Nacht.

Bonus 3

Bonuskapitel 3 „Ich habe eine Überraschung für dich. Meinst du, du schaffst es bis 20 Uhr nach Hause?“ Konstantins warme Stimme lief mir wie Honig über den Körper. Er klang leicht verschmitzt und tat so geheimnisvoll, dass ich mich zusammenreißen musste, ihn nicht zu fragen, was das für eine Überraschung war. Immerhin hatte er so etwas zuvor noch nie gemacht. „Das sollte ich schaffen. Die Vorlesung ist um sieben zu Ende. Ich werde aber vorher schon etwas essen.“ Nicht, dass

er sich die Mühe machte, zu kochen und ich hätte dann keinen Hunger mehr. „In Ordnung. Wir sehen uns dann nachher, Süßer.“ Ich hörte sein Lächeln durch das Telefon und ich legte auf. Ich grinste bestimmt wie ein Honigkuchenpferd von einem Ohr zum anderen. Von ihm überrascht zu werden, würde garantiert grandios werden. Ich fragte mich, was er vorhatte. Kochen würde er nicht. Das war zumindest sicher. Aber was konnte er sonst vorbereitet haben? „Hallo? Konstantin?“ Ich brachte meine Sachen nach oben und sah in seinem Zimmer nach. Doch dort war er nicht.

Auf meinem Weg durch die Küche schnappte ich mir ein Stück Schokolade. Ob wir noch Zeit zum Essen hätten? Vielleicht sollte ich ein paar Snacks einpacken. Wenn ich mich richtig erinnert hatten wir noch Tortilla-Chips im Schrank. Als ich den Schrank danach durchforstete, wurde ich leicht an der Schulter angetippt. Konstantin stand vor mir und sah mich leicht lächelnd an. „Hast du Vielfraß etwa immer noch Hunger?“ Mein Gesicht lief bestimmt rot an, weil ich am liebsten geantwortet hätte: Ja, auf dich. Aber diesen Klischeespruch konnte ich nicht bringen. Stattdessen fiel ich ihm um den

Hals und drückte ihm einen Kuss auf die warmen Lippen. Er erwiderte zärtlich und ich genoss das Spiel unserer Zungen. Als der Kuss zu leidenschaftlich wurde und ich schwer atmete, zog er sich zurück. „Jetzt bist du bereit für meine Überraschung. Aber ich muss dich warnen. Ich verbinde dir die Augen und du musst mir vertrauen. Es wird dir gefallen.“ Ich wurde ihm mein Leben in die Hände legen, aber ich nickte nur dämlich. „Ich vermute, du verrätst mir nicht, wo es hingeht.“ Belustigt schüttelte er den Kopf. „Natürlich nicht. Komm her.“ Er holte

ein schwarzes Band hervor, das mich verdächtig an eine Seidenkrawatte erinnerte. Er legte sie mir um die Augen und mir war unwohl in der Schwärze. Es ist schon komisch, wenn man alle Kontrolle abgeben soll. Besonders da seine frechen Finger über meinen Nacken fuhren und er sanft an meinem linken Ohr knabberte. Meine Ameisen jedenfalls waren putzmunter und genauso aufgeregt wie ich. Ich trat von einem Bein auf das andere und zwang mich dazu, ihn nicht anzubetteln. Ich wusste, er würde wieder genau dann aufhören, wenn es am schönsten war und deshalb genoss ich dieses berauschende Gefühl. Als er sich von

mir löste, schwebte ich auf Wolke Sieben und war aufs Äußerste erregt. „So, mein Schöner und nun entführ ich dich.“ Ich wurde in Richtung Tür gedreht und er nahm meine Hand. Ich kam mir ein bisschen vor wie ein Baby, das nicht alleine laufen konnte. Aber wer wusste, wo er mich hinbrachte? Innerhalb des Hauses konnte ich mir immerhin noch vorstellen, wo ich mich befand. Die Tortilla-Chips-Tüte fest in der einen Hand und die andere in Konstantins wankte ich hinaus. „Vorsicht Stufen. Vier. Es geht nach draußen.“ Obwohl ich das Lächeln nicht sah, konnte ich es in seiner Stimme hören. Wir liefen immer weiter, mein

Orientierungssinn hatte sich schon längst verabschiedet und ich tappte wortwörtlich im Dunkeln. Der Boden war die ganze Zeit uneben, aber Konstantin bewahrte mich davor zu stürzen. Wo könnte es wohl hingehen? Es wurde langsam ein wenig frischer, aber die Luft war immer noch warm genug, dass es trotzdem angenehm war. „Moment. Ich muss kurz was erledigen. Du bleibst hier stehen.“ Wirklich nicht einfach. Es lag mir gar nicht, die Kontrolle abzugeben. Ich horchte, konnte die Geräusche die ich hörte jedoch nicht zuordnen. Ich war der Meinung, dass ich neben

dem Gerumpel auch leises Plätschern hörte, war mir aber nicht sicher. „Sind wir am See?“ Es war ein Schuss ins Blaue, aber einen Versuch war es wert. „Vielleicht. Komm her. Und sei vorsichtig.“ Er ergriff meine Hand und umschloss sie fest, als ob ich jeden Moment stürzen würde. Als meine Füße festen Holzboden spürten und meine Schritte dumpfer wurden, musste ich ein Grinsen unterdrücken. Wir waren am Steg. Aber was hatte er vor? Eine Nachtfahrt auf dem See? Ich lauschte wieder und ein Rummsen zeigte mir, dass Konstantin anscheinend schon im Boot stand.

„So, Süßer folge meiner Stimme. Und nun vorsichtig. Keine Angst, ich halte dich.“ Seine warmen Hände halfen mir, damit ich nicht über den Bootsrand fiel, aber ich war trotzdem erleichtert, als ich saß. „Darf ich die Augenbinde abnehmen?“ Ich befürchtete, dass mir von dem Geschaukel schlecht werden würde, aber das hätte ich natürlich niemals zugegeben. Mal ganz davon abgesehen, dass ich unglaublich neugierig war. „Ein bisschen Geduld musst du noch haben.“ Seine verschmitzte Stimme jagte mir Schauer über den Rücken. „Ist dir kalt? Ich hoffe, es geht, denn

ich habe etwas wirklich Schönes vorbereitet.“ Mir war nicht kalt, aber seine Sorge um mich war wirklich süß. Das Boot schwankte, als er anscheinend auf mich zukam. Seine Körperwärme war mein einziges Indiz, dass er direkt vor knien musste und das Boot hatte eine deutliche Schlagseite zum Heck. Hoffentlich sanken wir nicht. „Beug dich ein bisschen nach vorn, damit wir nicht kentern.“ Wollte er so fahren? Das konnte niemals gut gehen. Aber wieder hatte ich Konstantin völlig falsch eingeschätzt, denn er nutzte die Gelegenheit, um mir warme Küsse auf den Hals zu hauchen und seine großen Hände schummelte sich auf meine Hüfte.

Mit dem Daumen strich er über meine Haut und ich unterdrückte ein Wimmern. Er wusste genau, was mir gefiel. Als seine Lippen meine trafen, murmelte er leise. „Ist dir wärmer? Deine Haut ist so weich, ich könnte ewig so weitermachen, aber ich muss jetzt leider kurz rudern, damit wir dorthin kommen, wo ich hinwill.“ Und ob mir wärmer war. Ich stand unter Strom und hätte mir am liebsten diese blöde Augenbinde abgerissen, aber ich nahm mich zusammen. Ich wollte uns beiden den Spaß nicht verderben. Er rückte von mir ab, kam aber gleich darauf wieder. Eine weiche Jacke wurde über meine

Schultern gelegt und ich inhalierte ihren Duft. Völlig trunken war ich nur im Stande, Danke zu sagen, mehr gaben meine Stimmbänder gerade nicht her. Der Kloß im Hals verhinderte jede weitere Aussage und so grub ich meine Nase einfach nur tief hinein. Die kühle Nachtluft war erfrischend und ich wusste, dass Konstantin kein Wort mehr sagen würde, bevor wir angekommen waren, also genoss ich ausnahmsweise die Stille und konzentrierte mich darauf, den Geräuschen des Sees zu lauschen. Das Grillenzirpen war am deutlichsten zu hören, aber das Rascheln im Schilf zeigte mir auch, dass irgendwo gerade

eine Entenfamilie schlafen ging. Taubengurren, das man leicht mit einer Eule verwechseln konnte, war auch ab und zu zu hören. Es war erstaunlich, wie viel und vor allem, was man wahrnahm, wenn man sich nicht auf seine Sehkraft verließ. Dabei fiel mir auf, dass es theoretisch sowieso stockfinster sein musste, warum also die Augenbinde? Und wie sah Konstantin etwas? Und war es nicht eigentlich viel zu gefährlich, nachts auf dem Wasser zu sein? „Jona? Was ist los? Du rutscht schon jetzt hibbelig auf deinem Sitz herum. Du brauchst keine Angst haben. Ich bin gut vorbereitet und auch nicht das erste Mal

hier.“ Verdammt. Wieder hatte er mich vollkommen durchschaut. Ich versuchte still auf meinem Platz zu sitzen, was wirklich nicht einfach war. Als das Boot sich plötzlich in Bewegung setzte, wäre ich beinahe hintenüber gefallen. Doch ich konnte geradeso das Gleichgewicht halten. Konstantin ruderte und ich hörte jedes Platschen, wenn die Ruder in die Wasseroberfläche eintauchten. Kraftvoll nahmen wir Fahrt auf. Ich stellte mir vor, wie sich seine Muskeln unter seinem Shirt anspannten, um den nächsten Ruderschlag auszuführen. Es war eigentlich klar gewesen, dass er es selbst machen würde, anstatt auf einen Motor zurückzugreifen. Ob wir bald da

waren? „Jona, sitz still. Wir sind gleich da.“ Ich merkte, dass wir langsamer fuhren und irgendwann hörte ich nur noch leises Wasserplätschern. „Darf ich die Binde jetzt abnehmen, bitte?“ Ich wollte nicht betteln, aber ich hielt es kaum noch aus. „Du hast wirklich keine Geduld.“ Er lachte leise und das leicht heisere Geräusch ging mir durch Mark und Bein. Meine Ameisenkolonie hatte sich in Zweierpaaren aufgestellt und marschierte in meinem Bauch auf und nieder. Ich hätte wetten können, dass sie Transparente mit der Aufschrift „Wir lieben Konstantin“

hochhielten. „Komm zu mir. Warte, hier ist meine Hand.“ Ich krabbelte zu ihm in die Mitte des Boots und wollte mich eigentlich neben ihn setzen, aber er zog mich auf seinen Schoß. „Ich bin doch viel zu schwer.“ „Ruhe und jetzt küss mich. Ich hol mir meine Belohnung einfach schon vorher.“ Ich senkte meinen Kopf und suchte seien Mund. Doch ich traf dank der Schwärze über meinen Augen natürlich nicht. Stattdessen hatte ich meinen Lippen auf seine Augenbrauen gesenkt und machte mir nun einen Spaß daraus, Küsschen über seine Stirn und Schläfen zu

verteilen. „Nimm sie ab!“ Aber er fing mein Kinn ein und zog mich zu einem tiefen Kuss hinunter. Heftiges Atmen war alles, was zu hören war. Ganz langsam löste er die Augenbinde und ich war immer noch in unserem Kuss gefangen. „So Süßer, jetzt darfst du gucken.“ Ich hätte gerade lieber mit Küssen weitergemacht, aber ich tat ihm den Gefallen. Und staunte. Der ganze See war am Rand erleuchtet von kleinen Lichtern, die schimmerten. „Sind das Glühwürmchen?“ Er nickte. „Das ist so schön. Danke. Die Belohnung hattest du auf jeden Fall verdient.“ Er lächelte breit. Sein Lächeln

war das Schönste der Welt und ich wünschte mir egoistisch, dass er nur mich so anlächelte. „Wollen wir eine Runde drehen? Mach einfach den Motor an, dann habe ich beide Hände frei.“ Das Grinsen sagte dabei mehr als Worte und ich kam der Aufforderung natürlich gern nach. Als ich wieder saß, umfasste er meine Taille und ließ seine Hände über meinem Hemd nach oben gleiten. Meine Zunge kostete seine Haut an seinem Hals und ich hätte ewig mit diesem Liebesspiel weitermachen können. Doch das Boot hatte andere Pläne. Wir hatten gar nicht mitbekommen, wie nah wir dem Ufer schon waren, bis ich ein Ziepen an

meinem Kopf spürte. Ein paar Äste hatten sich darin verfangen und wir kamen weder vor- noch rückwärts. Konstantin schaltete den Motor aus und nahm sich ein Ruder. Wir fingen beide an zu lachen. Die romantische Stimmung war immer noch da, aber ein bisschen albern war es schon, dass wir im Busch gelandet waren. „Komm, wir setzen uns da vorn an den Strand. Dann können wir die Würmchen auch noch sehen.“ Der Strand war eine kleine Ausbuchtung am Waldrand und wir kletterten aus dem Boot. Konstantin elegant und behände, ich schwerfällig und mit dem halben Fuß im Wasser. Er holte eine kleine Petroleumlampe aus dem

Boot, die er anzündete und neben eine kleine Decke stellte. Er hatte wirklich an alles gedacht. „Du bist so süß, wenn du guckst wie ein Auto. Aber ich bin wirklich froh, dass meine Überraschung gelungen ist.“ Konstantin setzte sich hin und klopfte auf den Platz neben ihm. „Es ist was Besonderes.“, sagte ich leise. „So etwas hat noch nie jemand für mich gemacht. Ich meine, für mich ganz allein. Auch wenn mir mit der Augenbinde ganz schön mulmig war. Es ist wunderschön hier.“ „Als kleines Kind bin ich oft mit meinem Großvater hier raus gefahren, um zu

angeln. Dabei haben wir öfter die Zeit vergessen, als es meiner Oma lieb war. Wir haben selten etwas gefangen und wenn doch, dann hatte ich meistens Mitleid mit den armen Fischen, die wir nur zu unserer Unterhaltung fingen, anstatt für das Abendessen.“ Sein Gesicht wurde wehmütig und ich konnte spüren, wie sehr er seine Großeltern immer noch vermisste. „Ich wollte dir das hier unbedingt zeigen. Es ist eine meiner schönsten Erinnerungen und ich hoffte, dass es dir hier genauso gefällt wie mir.“ „Das tut es. Danke, dass du diesen besonderen Platz mit mir teilst.“ Er küsste mich zärtlich und wir sahen

weiter auf den See hinaus. Jedes Detail, das er mir anvertraute, brannte sich in mein Gedächtnis und ich zehrte von seinen schönen Erinnerungen, um meine schlechten zu überdecken. Jeden Tag merkte ich, wie ich ein glücklicher wurde und jedes Mal dachte ich, ich könnte nicht glücklicher werden. Das dämliche Lächeln auf meinem Gesicht sprach sicher für sich, aber ich hätte es nicht unterdrücken können, selbst wenn ich gewollt hätte.

Wir wollen hoch hinaus

Bonuskapitel 4 Wir wollen hoch hinaus! Jedes Jahr besuchte uns in der Stadt der Jahrmarkt. Dieser war mal besser und mal schlechter. Doch egal, wie es heute aussehen würde, bei der Gesellschaft konnte es nur lustig werden. „Wir wollen Zuckerwatte!“ Das war ja klar, die beiden Süßmäuler forderten bereits in der ersten Sekunde und es würde nicht lange dauern, bis sie alle in den Wahnsinn getrieben hatten. „Dann geht doch, los ab. Ich will euch vor zwei Stunden nicht wieder sehen. Aber wir treffen uns nachher beim

Autoscooter. Handys sind angeschaltet?“ Konstantin sah streng seinen Bruder und dann Dom an. „Jawohl, Papa! Sir!“ Er war tatsächlich so dreist, zu salutieren, aber Konstantin nahm das Gehabe seines Bruders natürlich nicht ernst. Stattdessen spielte er dessen Spiel mit. „Also dann, Kadett. Treffpunkt achtzehnhundert an der Bahn. Ich dulde keine Unpünktlichkeit.“ „Verstanden, Sir!“ Ich liebte es den beiden bei ihren Kabbeleien zuzusehen. Da mein Freund sonst eher ein ernster Typ war, machte es umso mehr Spaß, wenn er sich auf so einen Blödsinn

einließ. Dom zog Philipp ohne ein weiteres Wort Richtung Zuckerwattestand. Mir wurde schon schlecht, wenn ich nur daran dachte, was die beiden innerhalb kürzester Zeit vertilgen würden. „Darf ich dann bei euch mitkommen?“ Sammy sah mich an und ich nickte. „Natürlich. Wo wollen wir denn zuerst hin?“ Ich hatte da eine Erinnerung an die Geisterbahn, aber ehrlich gesagt, wollte ich da lieber allein mit Konstantin rein. Als wir Sammy gefragt hatten, war keinem von uns eingefallen, dass es ihr vielleicht unangenehm sein könnte zwischen zwei Pärchen zu sein. Aber Ben hatten wir gefragt und der hatte

nicht mitkommen wollen. Er war mit seiner Freundin verabredet und ich hatte gedacht, dass es auch ganz gut war, wenn er nicht mitkam. Auf diese Weise konnte Sammy den Tag genießen, ohne auf jedes Wort und jede Geste zu achten. „Wie wäre es, wenn wir mit was Ruhigem beginnen? Wie ich Dom und Philipp kenne, sind sie schnurstracks zur Achterbahn gelaufen. Aber ich würde vorschlagen, das heben wir uns noch auf.“ Konstantin hatte Recht. Wenn wir jetzt schon mit irgendwas fuhren, was sich drehte, dann würde zumindest ich den Tag nicht heil überstehen. „Sterneschießen?“ Es gab ein paar

Sachen, die durften auf keinem Jahrmarkt fehlen. Der Schießstand, Lose-Ziehen, ein Geisterhaus und etliche Achterbahnen. Sowie jede Menge Essens- und Getränkestände. „Einverstanden.“ „Wollen wir alle?“ Sammy schüttelte vehement den Kopf. „Da treffe ich nicht einen Stern. Ich treffe ja nicht mal die Luftballons und die sind viel größer. Ich hab bei so was einfach kein Glück.“ „Dann wir?“ Wir grinsten uns an. „Wollen wir einen kleinen Wettbewerb daraus machen? Wenn ich gewinne, dann geht es als nächstes zur Geisterbahn und wenn du gewinnst, dann

kannst du dir was aussuchen.“ Abwartend sah er mich an. Wieder war da die ominöse Geisterbahn. Aber wir konnten Sammy schlecht alleine lassen. Obwohl, sie war alt genug, sie würde es aushalten, eine Runde auf uns zu warten. „Geht klar.“ Wir setzten mit unseren Waffen an und ich konzentrierte mich, genau zu zielen. Ich hatte Konstantin mit Absicht nicht verraten, dass ich gut darin war. Er würde schon sehen, was er davon hatte, mich herauszufordern. Ich wollte zu gern mit dem Freien Fall fahren. Dieses Gefühl in der Höhe, nur festgeschnallt und dann zu fallen, war unbeschreiblich.

Und ich wollte es jetzt. Zählte doch als etwas Ruhiges. Immerhin drehte es sich nicht. Ich kniff ein Auge zusammen und sah über den Lauf der Waffe. Sie war garantiert verzogen. Ich hatte noch nie erlebt, dass es einmal nicht so gewesen wäre. Immerhin wollten die Besitzer Profit daraus schlagen, wenn man nicht traf. Also zielte ich ein wenig mehr nach links, als der Stern eigentlich war. Schuss! Treffer! Der Stern ging allerdings nicht komplett zu Bruch, sondern ein Viertel war übrig geblieben, dass ich mit der nächsten Kugel gnadenlos zerstörte. Noch drei Schuss

übrig. Das würde wohl kein Hauptgewinn werden. Dazu musste man mit allen fünf Kugeln treffen und die Reihe komplett abräumen. Ich machte eine Pause und sah Konstantin zu. Er war gut. Besser als ich gedacht hätte, doch sein dritter Schuss ging daneben. Ich schoss erneut und landete einen Volltreffer. Noch zwei übrig. Wieder traf ich und wollte schon meinen Sieg feiern. Um mich zu schlagen, musste er einen Stern mehr treffen. Bei Unentschieden gewann ich. „Der junge Herr mit den blonden Haaren! Herzlichen Glückwunsch! Es war zwar knapp, aber sie haben trotzdem etwas gewonnen.“ Er drückte

mir eine Weinflasche und ein Plüschtier in die Hand. Aber es interessierte mich nicht. Ich war viel faszinierter davon, dass Konstantin zwei Sterne mit einer Kugel vernichtet hatte. Er hatte gewonnen! „Ein Hauptgewinn! Das kommt nicht so oft vor. Sie haben ein sehr gutes Auge. Ich gratuliere, sie haben einen Gutschein für das Spa in xxx gewonnen. Einen Tag Erholung zusammen mit einer Person ihrer Wahl. Das ist doch was, oder?“ Konstantin nickte gnädig, aber das Funkeln in seinen Augen und das überhebliche Grinsen, das er zeigte, als er sich zu mir umdrehte, waren eindeutig

schadenfroh. „Geisterbahn, Süßer.“ Er küsste mich und drückte mir seinen gewonnenen Gutschein in die Hand. Er näherte sich meinem Ohr und flüsterte. „Das Spa besuchen wir aber ganz allein.“ Seine Worte klangen heiser und meine Ameisen freuten sich jetzt schon so sehr darauf, dass sie aufgeregt umherwuselten. Ruhe, sonst überlege ich es mir noch einmal und ertränke euch! Wir waren gerade bei der Geisterbahn angekommen, als ich ein Gesicht erspähte, das ich ganz sicher nicht hatte wiedersehen wollen.

„Was willst du, Stalker?“, brummte ich anstatt einer Begrüßung „Hey, Kleiner. Darf ich denn nicht ganz zufällig auch auf den Jahrmarkt gehen? Und mich dann freuen, den süßen Knaben vom letzten Mal zu treffen? Dein Beschützer ist anscheinend auch da. Immer ein wachendes Auge, hm?“ Sein schmieriges Lächeln sagte mir, dass irgendwas nicht stimmte. Und ich glaubte nicht an Zufälle, besonders nicht, wenn sie mit Kevin zu tun hatten. „Verschwinde.“ Konstantins ruhige Stimme hätte jeden anderen gewarnt, aber dieser Dummbeutel begriff einfach nicht, dass er absolut unerwünscht war.

„Du bist aber unfreundlich. Dabei habe ich überhaupt nichts gemacht.“ Er war da, reichte das nicht? „Dabei habe ich soeben entschieden, euch Gesellschaft zu leisten. Das ist immerhin nicht verboten, oder?“ Ich wusste nicht, was ich von Kevins Gesichtsausdruck halten sollte. Er sah ganz unschuldig aus, als ob er sich wirklich freuen würde, uns zu sehen, aber ich ahnte, dass da mehr dahintersteckte. Die Frage war nur: Was? „Komm, Süßer. Wir steigen jetzt in die Bahn. Er kann die nächste nehmen, wenn er unbedingt möchte.“ Konstantin

ergriff meine Hand und zerrte mich mehr oder weniger sanft zum Kartenhäuschen. „Hi, 2mal bitte.“ Das Lächeln, das Konstantin aufgelegt hatte, wirkte ein bisschen gezwungen und ich war traurig, dass unser schöner Ausflug wegen so einem Idioten wie Kevin am wanken war. „Hier, bitte. Kann ich euch mal was fragen?“ Der junge Verkäufer sah uns neugierig an. „Klar, schieß los.“, sagte ich. „Die Kleine da ist echt süß. Sorry, ist einer von euch ihr Freund? Der Große da bestimmt nicht. Der ist irgendwie komisch.“ Er zeigte auf Kevin und sah

uns abwartend an. „Wie heißt du?“ Wenn mein Freund es nicht geknurrt hätte, hätte ich ihn freundlich fragen können. „Chris?“ Ich konnte es ihm nicht verdenken, dass er bei diesem Blick eingeschüchtert war. „Ich, ehrlich, ich finde sie nur süß. Ich wollte niemandem zu nahe treten. Wenn du ihr Freund bist, dann ist die erste Runde umsonst.“ Er hatte wirklich Angst vor Konstantin. Dabei war der nur gereizt, weil Kevin so aufdringlich gewesen war. „Ich bin nicht >>der<< Freund, sondern ein guter Freund. Und ich möchte wissen, was genau du von Sammy willst.

Denn glaub mir, wenn du auch nur ein falsches Wort sprichst, kriegst du Ärger mit mir. Sie hat genug durchgemacht. “ Wow, ich hatte gar nicht gewusst, dass sie ihm so sehr ans Herz gewachsen war. „Hör zu, Chris. Mein Freund und ich, ich bin übrigens Jona und das ist Konstantin, hängen sehr an ihr und möchten nicht, dass sie ausgenutzt wird. Also, wenn du sie kennen lernen möchtest, dann solltest du dir bewusst sein, dass der große Wachhund hier, dir sehr weh tun wird, falls du ihr auch nur ein Haar krümmst.“ Ich lächelte ihn an und versuchte so meinen Worten die Schärfe zu nehmen. „Magst du zufällig Musik?“ Er

nickte. „Ich studiere Musikwissenschaften und spiele Schlagzeug und Gitarre.“ Er spielte nervös mit der Haut an seinem Daumennagel. „Sammy? Kommst du mal her?“ Sie trippelte zu uns und ihre goldenen Locken hüpften im Takt ihrer Schritte. Sie hatte ein leises Lächeln auf den Lippen, das mich an glückliche Kinder erinnerte. Es war schön, sie wieder so fröhlich zu sehen. Es hatte seine Zeit gebraucht, aber wie es aussah, hatte sie die Ben-Phase überwunden und war bereit weiterzuziehen. „Das ist Chris. Er studiert übrigens auch Musikwissenschaften. Vielleicht

kannst du ihn überreden uns die erste Runde zu spendieren?“ Ich lächelte sie breit an und sie schaute ein wenig verwirrt zurück. „Musik? Ich spiele Klavier und du? Ach so, du hast Jona gehört, ist eine Freifahrt drin? Bitte?“ Sie zog das letzte Wort in die Länge und sah ihn mit einem unwiderstehlichen Kulleraugenaufschlag an. Er nickte gönnerisch und insgesamt beglückwünschte ich mich zu meinem Kuppelversuch, denn wir waren längst abgeschrieben. Sie waren bereits in ein Gespräch vertieft, sodass ich mich räuspern musste, damit er auf uns aufmerksam wurde. „Oh, T‘schuldigung. Steigt ein.“ Chris

drückte in seinem Häuschen auf einen Knopf. Ein Wagen für vier Personen fuhr vor und wir setzten uns. Dummerweise nutzte Kevin genau diesen Moment, um sich auf einen der hinteren Plätze zu setzen. „Was zum…?“ Doch in dem Moment, wo ich ihn wieder rausschmeißen wollte, fuhr der Wagen los. „Was denn?“ Diesen unschuldigen Blick musste Kevin geübt haben, als ich ihn wütend anfunkelte. Das war meine! Fahrt mit Konstantin und er zerstörte gerade unsere Zweisamkeit. „Wie geht es eigentlich Dom? Ist er immer noch mit diesem Hübschling zusammen?“ Ich würde ihn einfach

ignorieren. Vielleicht hörte er dann von alleine auf. Ich lehnte mich mit der Schulter an Konstantin, der erstaunlich still war. Die Geisterbahn war nicht wirklich gruselig, aber ich wollte die Nähe zu ihm und tat einfach so, als ob ich Angst hätte. Der Wagen rüttelte die Schienen entlang und kurz bevor der nächste Geist kam, pustete mir Kevin von hinten in den Nacken. Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich empört um. „Lass das!“ Doch er grinste nur. „Dom würde wahrscheinlich schon kreischen. Er ist manchmal so ein Mädchen.“ Ignorier ihn Jona. Er will dich nur nerven.

Gönn ihm nicht die Genugtuung. Als der Wagen um die nächste Ecke bog, war ich dermaßen mit meinem eigenem Mantra beschäftigt, dass ich mich tatsächlich vor dem Zombie erschrak, der uns anbrüllte. Ich hüpfte halb auf Konstantins Schoß, der mich jedoch nicht fortließ, sondern näher an sich zog. Ich kuschelte mich an ihn, aber natürlich hatte die Nervensäge hinter uns auch etwas dazu zu sagen. „Gruppenkuscheln. Darf ich mitmachen?“ „Nein, du Spinner! Du warst überhaupt nicht eingeladen.“, giftete ich ihn an. „Ach, störe ich etwa bei einem

Stelldichein?“, das Augenbrauenwippen konnte er sich echt sparen. Ich war sowieso überrascht, dass er ein Wort wie Stelldichein kannte. „Und was wäre wenn? Verschwindest du dann?“, brummte es neben mir. „Dann verpasse ich ja den ganzen Spaß mit unserem Kleinen hier.“ Sein schmieriges Grinsen sagte wesentlich mehr als das aus. „Hör einfach nicht hin. Soll er doch Selbstgespräche führen.“, flüsterte Konstantin mir zu. Er küsste mich sanft und ich ging gern darauf ein. Die Gruselgestalten im Hintergrund waren sofort vergessen und ich genoss einfach das Gefühl seiner Lippen auf meinen.

Doch natürlich währte das nicht lange. „Wenn ihr jetzt am Rumknutschen seid, muss ich mir wohl eine Beschäftigung suchen. Mal sehen, wenn ihr es hier treibt, könnte das ganz spannend werden. Vielleicht überlegt ihr es euch anders und ich darf doch noch mitmachen. Zuschauen ist aber auch erst einmal unterhaltsam. Ich bin echt gespannt, wie du die kleine Jungfrau dazu bringen willst, dir mehr zu gestatten, als ein bisschen Gefummel und Geknutschte.“ In dem Moment setzte es bei mir aus. Kevins Gefasel hätte mir eigentlich am Arsch vorbeigehen sollen. Aber ich sah rot. Im nächsten Moment schmerzte meine Hand

und Kevin hielt sich seine blutende Nase. „Hast du sie nicht mehr alle!? Du hast mir die Nase gebrochen! Das wirst du mir büßen.“ Er sah mich wütend an und hob die Hand, aber Konstantin griff ein. „Wenn du eine Anzeige wegen sexueller Belästigung riskieren willst, bitte. Wem glauben die wohl eher. Jemandem, der bereits eine Stalkerklage am Hals hat oder uns?“ Kevin schwieg. „Klage?“ Ich sah Konstantin verwirrt an. Er zuckte mit den Schultern und holte aus seiner Tasche ein Taschentuch, mit dem er meine verletzte Hand notdürftig verarztete. „Dom meinte, ich soll es dir nicht erzählen. Aber er ist ihm schon länger

gefolgt und hat sich auch seine Telefonnummer besorgt und ihn terrorisiert. Deshalb hat er jetzt eine neue. Daraufhin hat er ihn angezeigt.“ Er deutete mit dem Daumen auf Kevin, der immer noch über seine gebrochene Nase jammerte. „Wie lange geht das denn schon so?“ Ich war völlig entsetzt, dass er mir nichts erzählt hatte. Sonst konnte Dom doch auch nicht den Mund halten. „Er wollte dich nicht verunsichern. Du machst dir sonst viel zu große Sorgen und mit dem halben Hemd werden wir schon fertig. Ich habe da ein paar nette Freunde, die ganz rein zufällig in einer Anwaltskanzlei arbeiten. Und einen

Richter kenne ich übrigens auch.“ Der letzte Satz war eine eindeutige Drohung. „Nur damit eins klar ist, Kevin. Du bist das widerlichste Ekelpaket, das ich kenne. Halte dich von mir und meinen Freunden fern und such dir deine Betthäschen woanders. Du hast Konstantin gehört. Das kann nicht gut für dich ausgehen.“ Ich starrte ihn an und sah ihm fest in die Augen, damit auch diesem Dummbatzen klar wurde, dass ich es ernst meinte. Doch er schwieg und sagte nicht dazu, sondern hielt sich nur die Nase, aus der Blut seine Hände hinunterlief. „Komm, Süßer. Wir gehen zum Notarzt. Das muss versorgt werden.

“ Guter Schlag!“ Konstantin sah mich stolz an und ich sonnte mich darin. Der Wagen fuhr wieder aus der Geisterbahn und wir hatten so gut wie nichts mitbekommen. „Wow, guck dir das Riesenteil an!“ Domenik bestaunte das Riesenrad und war ganz hibbelig es auszuprobieren. Es war zwar nicht das LondonEye, aber trotzdem nicht zu verachten. „Da müssen wir rein! Das ist ja sooooo romantisch.“ Philipp konnte ihm da nur Recht geben. Sie waren sonst sehr ausgelassen, für manche vielleicht zu sehr. Doch diese Momente, die nur ihnen

allein gehörten und auch eine andere Seite von ihnen zeigten, liebte er am meisten. „Dann holen wir uns Tickets und danach geht es dann zur Achterbahn.“ Philipp und Domenik liebten die Achterbahn. Der Rausch der Geschwindigkeit und der Kick, wenn sie aus der Höhe fast im neunzig Grad Winkel hinuntersauste. Als das Riesenrad am höchsten Punkt anhielt, quietschte der kleinere der beiden vergnügt. „Schau mal, da hinten irgendwo ist euer Haus! Und hier, da man kann es sogar sehen, ist meins. Wie geil. Es sieht fast so aus, als könnte man von hier mit

einem Fernglas in mein Schlafzimmer schauen. Irgendwie ist das ein geile Vorstellung.“ Domenik grinste zweideutig und Philipp ahnte, was er sich bei diesem Gedanken ausmalte. „Ich wusste gar nicht, dass du auf Voyeure stehst.“ Er fasste seine Hand und ließ seinen Daumen über Doms Handballen gleiten, weil er wusste, dass er davon Gänsehaut bekam. „Kommt drauf an, wer mich beobachtet.“ Philipp knuffte ihn liebevoll in die Seite und ergatterte sich einen Kuss. Da das jedoch immer ausartete, zog er sich nach kurzer Zeit wieder zurück. Immerhin hatten sie heute noch viel

vor. „Warum hörst du auf? Mehr!“ Domenik zog ihn wieder zu sich und Philipp ließ sich wider besseres Wissen darauf ein. Die Welt um ihn herum wurde trüb und das einzige, was zählte, waren die weichen Lippen, die sich auf seinen anfühlten wie Seide. „Ähem. Sie müssen aussteigen oder die nächste Runde bezahlen.“ Die Fahrkartenverkäuferin sah sie ein wenig genervt an, aber Dom und Philipp war es vollkommen egal. Sie stiegen aus und winkten ihr fröhlich zu. „Bis zum nächsten Mal!“ „Wo wollen wir jetzt hin?“ Philipp sah Dom an und dieser zuckte zuerst mit den

Schultern, aber plötzlich zog er ihn mit sich. „Wo wollen wir denn hin?“ Doch sein Freund gab ihm keine Antwort und zerrte ihn einfach hinter sich her. Als klar wurde, welches Ziel er anvisierte, musste Philipp ein breites Lächeln unterdrücken. Das war typisch sein Freund. Der Freie Fall hatte es ihm schon immer angetan und nun war er schon dabei Tickets zu holen. Als sie drin saßen und festgeschnallt wurden, zusammen mit den wenigen Freiwilligen, schlug sein Herz bis zum Hals. Er war kein Feigling, aber das Ding hatte es in sich. Denn es war eine Kombination aus mehreren Fahrgeschäften. Er überprüfte

gedanklich noch einmal, ob er seine Taschen geleert hatte. Sie hatten alles an der Garderobe abgegeben, denn wenn aus dieser Höhe etwas herausfiel, dann war es unter Garantie danach zerstört oder jemand machte sich mit der „gefundenen“ Beute aus dem Staub. Es ging immer höher und sein Adrenalinspiegel war bestimmt schon in einem ungesunden Bereich. Als sie ganz oben waren, hielt er die Spannung fast nicht mehr aus. Es half ein bisschen, dass Doms Hand in seiner lag, aber gleich würde er loslassen, damit er sich an den Sicherheitsbügeln festhalten konnte. Diese Sekunden, die der Freie Fall in der Luft hing, waren eine Tortur

für sein gehetztes Herz. Er war schon oft auf dem Jahrmarkt gewesen, aber es war immer wieder ein Abenteuer. Ganz langsam wurde seine Sicht auf den Kopf gestellt. Er schluckte hart und versuchte sein wummerndes Herz zu beruhigen, indem er einen halben Blick auf Dom riskierte. Dessen freudestrahlendes Gesicht war es wert gewesen, den Kopf auf sehr unbequeme Art verdrehen zu müssen. Der Himmel über ihnen war strahlend blau und er wartete darauf, dass sich die Bühne wieder um ein Stück drehte. Immer nur ein kleines Stückchen, dann anhalten. Als sie wieder nach vorn schauen konnten, in der Waagerechten, dachte er

schon ‚Ich bin vorbereitet, gleich fällst du.‘ Aber sie bewegte sich nicht in diese Richtung, sondern kippte immer weiter nach vorn. Ihm war schlecht vor Angst. War das Ding kaputt? Würden sie nun wegen einem Adrenalinkick sterben? Nach einer ca. 90 Grad- Neigung hielt es wieder an und er atmete auf. Die Aussicht war atemberaubend. Die Menschen klein wie Ameisen, kaum erkennbar aus dieser Höhe. Jetzt würden sie sicher wieder in die Ausgangsposition zurückgehen und dann würden sie fallen. Doch mit einem Mal quietschte es. Er merkte, wie ihm die Säure in die Kehle stieg. Soviel Angst hatte er in seinem ganzen Leben noch

nicht gehabt. Plötzlich. In Sekundenschnelle näherten sie sich dem Erdboden, mit dem Blick auf die Zuschauer, in der Angst, auf diese zuzurasen. Das Kreischen und Schreien der anderen Mitfahrenden klang dumpf in seinen Ohren. Philipp war speiübel. Genauso plötzlich, wie sie gefallen waren, hielten sie knapp vor dem Boden an. Seine Atmung ging flach und er dachte, er hätte das Schlimmste überstanden, aber die Bühne drehte sich wieder in ihre Ausgangsposition und stieg wieder in die Höhe. „Oh mein Gott. Nicht noch einmal.“ Er schloss die Augen, doch das machte es nur noch schlimmer. Er riss sie wieder

auf, nur im gleichen Moment – sie waren noch nicht auf der Hälfte der Höhe – wieder ein Fall. Er war nicht darauf vorbereitet. Ihm war immer noch kotzübel und so langsam hatte er die Befürchtung, dass er es nicht würde halten können. Sein Shirt war bereits durchgeschwitzt und er hoffte einfach nur noch, dass es bald vorbei war. Noch nie waren ihm vier Minuten so lang vorgekommen. Doch natürlich wurden seine Gebete nicht erhört. Stattdessen ging es noch einmal hoch. Und diesmal hielt die Bühne nicht an, sondern am höchsten Punkt fing sie an sich zu drehen. Einmal komplett um den Pfeiler und immer schneller. Als Philipp dachte,

dass er es keine Sekunde länger aushalten würde, sanken sie ganz langsam drehend ab – und wumm! ging es wieder schlagartig abwärts. „Man, das war der Hammer! Megageil! Da haben die sich was ausgedacht. So einen genialen Freien Fall hatte ich noch nie! Und dann wieder hoch und das Drehen und dann BÄM! wieder runter. Ich würde am liebsten gleich nochmal. Philipp? Alles in Ordnung? Du bist ein bisschen grün um die Nase.“ Dom sah seinen Freund skeptisch an. „Alles gut. Ich muss mich nur kurz beruhigen. Mir ist immer noch schwummrig.“ Er setzte sich hin und

starrte nur vor sich hin und hoffte, dass sein Blickfeld aufhörte sich zu drehen. „Komm, wir gehen zum Breakdance, wenn es dir wieder besser geht.“ „Ich bezweifel, dass das in den nächsten Stunden der Fall sein wird. Hattest du keine Angst?“ Philipp wusste zwar, was Dom antworten würde, aber es war trotzdem unglaublich. „Nö. Das war doch genial. Da müssen wir nachher nochmal mit Konstantin und Jona rein. Jona will bestimmt. Der steht total auf den Freien Fall, wenn man ihn auch sonst in nichts reinkriegt.“ Der Größere der beiden schüttelte nur den Kopf. „Ohne mich. Das steh ich nicht noch

einmal durch. Sorry, dass ich so eine Memme bin, aber mir ist wirklich schlecht und ich bin nur froh, dass es vorbei ist.“ Dom setzte sich auf seine Knie und hauchte ihm einen Kuss gegen die Stirn. „Willst du was trinken? Soll ich dir was holen?“ Philipp nickte und Dom lief völlig entspannt zum nächsten Shop. In Philipp war Chaos. Ihm war schlecht, sein Kopf fuhr Karussell und sein Herz raste immer noch. Seine Hände zitterten. Seine Knie waren Wackelpudding. Und er konnte es nicht leiden, wenn er seinen Körper nicht unter Kontrolle hatte. „Hier, Schatz.“ Dom hielt ihm eine

Flasche Wasser hin und in wenigen Schlucken hatte er sie vernichtet. „Danke. Los, gehen wir zum Breakdance. Das Schlimmste was passieren kann, ist, dass ich mich übergebe. Immerhin muss ich dort keine Todesangst haben.“ Das Breakdance machte beiden ungeheuren Spaß. Allerdings sorgte es nicht dafür, dass Philipp weniger schlecht war. Die ganze Dreherei, der laute Bass und das Gekreische von den anwesenden Mädchen, ließen seinen Kopf wummern und sein Blickfeld verschwamm immer mehr. „Ich glaube, wir sollten zum Erste-Hilfe-Zelt gehen. Du bist kalkweiß.“

Domenik sah ihn besorgt an und er nickte nur schwach. „Konstantin! Was ist los? Wo ist Jona?“ Dom lief auf Philipps großen Bruder zu, der nervös vor dem Ambulanzzelt auf und ab tigerte. „Der Arzt hat gesagt, dass ich draußen warten soll. Er untersucht gerade Jonas Hand. Er hat Kevin die Nase gebrochen.“ Der letzte Satz kam eher schadenfroh als mitfühlend heraus und Dom fragte sich, warum er immer die guten Szenen verpassen musste. „Ist der Idiot etwa auch da drin?“ Er sah Hünen an und dieser nickte. „Er muss ja auch versorgt werden.

Obwohl er meinetwegen auch Schlimmeres verdient hätte, als nur ein gebrochenes Nasenbein. Auf jeden Fall wird er sich demnächst nicht so schnell raus trauen. Die Haut über seiner Nase und auch das eine Auge, fängt schon an dick und blau zu werden.“ Den Stolz in seiner Stimme versuchte er erst gar nicht zu verstecken. Jona hatte ganze Arbeit geleistet. Die Hauptsache war nur, dass er sich nicht die Hand gebrochen hatte. Aber dann könnte er ihn gesund pflegen und verwöhnen. Der Arzt würde mindestens eine Prellung diagnostizieren, das war sehr schmerzhaft. Und dann konnte er auch alltägliche Dinge wie duschen und sich

anziehen nicht alleine machen. „Warum grinst du so dreckig?“ Philipps Kommentar kam kläglich über seine Lippen. Aber er erhielt keine Antwort. „Was ist überhaupt mit euch beiden? Warum seid ihr hier? Philipp sieht aus wie der Tod.“ „Wir waren im Freien Fall – diesem Mörderteil – und ich scheine das auf und ab nicht so gut zu vertragen.“ In dem Moment rannte er schön zum nächsten Gebüsch. „Freier Fall? Da wollte Jona auch hin. Ich glaube, das lassen wir dann mal lieber, außerdem habe ich unsere Wette gewonnen.“ „Welche Wette?“ Domenik lauschte

gespannt Konstantins Ausführungen und sie beschlossen, dass sie sich nicht wieder trennen würden, wenn immer so etwas Aufregendes passierte. Nachdem er fertig war und sie beide nervös auf Jona und Philipp warteten, der in der Zwischenzeit von einer netten Schwester entführt worden war, trat Kevin aus dem Zelt. „Na, hast du endlich das bekommen, was du verdient hast, Stalker?“ Doms gehässiger Kommentar war vielleicht nicht angebracht, aber für ihn befreiend. Dieser Typ war das Schlimmste, was ihm in seinem Leben passiert war und er würde in Zukunft sehr genau darauf achten, mit wem er

sich anfreundete. Außerdem hatte er Philipp, der jeden anderen Typen in den Schatten stellte. „Wenn ich gewusst hätte, dass die Jungfrau so zuschlagen kann, hätte ich ihn vielleicht nicht so gereizt. Diese Sandrine hätte mich ruhig warnen können, dass er so gewalttätig ist.“ In dem Moment wurde Konstantin hellhörig. „Sandrine? Du meinst seine kleine Schwester?“ „Ach, die sind verwandt? Sie hatte mich das letzte Mal nur auf ihn angesprochen, weil er meine Schwester so verletzt hatte und dem Haken konnte ich natürlich nicht widerstehen. Immerhin ist er Frischfleisch, das

bekommt man heutzutage nicht mehr so oft.“ Er zwinkerte Konstantin frech zu. „Möchtest du noch ein paar gebrochene Rippen?“ Der Unterton machte sogar Kevin klar, dass er seine Anzüglichkeiten unterlassen sollte. „Nun ja. Ich werde der Furie mal lieber aus dem Weg gehen. Bevor mich der große Wachhund doch noch beißt.“ Damit schlenderte er davon und Konstantin sah Domenik streng an. „Kein Wort über seine Schwester. Er muss nicht noch von ihrem Verrat erfahren und vielleicht ist dann endlich mal Ruhe.“ „Klar. Meine Lippen sind versiegelt.“ Er machte eine Reißverschlussbewegung

und Konstantin hoffte, dass er Wort hielt. „Konstantin! Dom! Wo ist Philipp?“ Ich umarmte meinen Freund und sah mich suchend um. „Erst einmal, möchte ich wissen, was der Arzt gesagt hat.“ „Verstaucht, also nur halb so wild. Aber er hat mir und Kevin eine ganz schöne Standpauke gehalten. Das wir besser mit unserem Ärger und unserer Gesundheit umgehen sollen.“ Das hätte sich der Arzt bei Kevin wirklich sparen können. Das ging zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. „Was machen wir als Nächstes?“ Ich

wollte noch mit dem Freien Fall fahren und war nach der ganzen Aktion umso mehr versessen darauf, Dampf abzulassen. „Liebling, wir müssen auf Philipp warten. Dem ist wirklich nicht gut und ich glaub nicht, dass er heute noch mit etwas fährt. Sonst wird er gleich wieder grün. Und wir sollten langsam mal rausbekommen, was mit Sammy ist.“ Konstantin war immer vernünftig und leider hatte er recht. Es war bestimmt nicht das letzte Mal, dass der Jahrmarkt hier war und mittlerweile auch spät geworden. „Ich ruf sie mal an.“ Ich wählte die Nummer und nach langer Zeit ging sie

ran. Das Kichern, das ihr immer wieder entschlüpfte, zeigte mir, dass sie sich anscheinend prächtig mit diesem Chris verstand und so wunderte ich mich auch nicht, als sie sagte, wir könnten ohne sie gehen. „Ich hol Philipp jetzt da raus!“ Bevor wir ihn aufhalten konnten, war er schon drinnen verschwunden und ich setzte mich zu Konstantin. „Ein aufregender Tag, oder?“ Ich kuschelte mich an ihn und erwartete keine Antwort. Ich war froh, dass Kevin weg war und wir endlich alleine. Zumindest für die nächsten fünf Sekunden, bis die beiden Chaoten aus dem Versorgezelt rausgeschmissen

wurden. „Gehen wir nun noch zum Freien Fall?“ Ich äußerte die Frage vorsichtig, doch Philipps entsetztes Gesicht sprach Bände. „Vielleicht lieber Autoscooter?“ Das wurde einstimmig angenommen und ich konnte Konstantin in voller Aktion in einem Autokrieg mit seinem Bruder bewundern. Sie schenkten sich nichts und dass ich dabei durchgerüttelt wurde, machte es nur lustiger. Auch wenn meine Hand wehtat, diesen Spaß war es wert.

Bonus 5 Weihnachtsspecial

Voll erwischt –Weihnachtsspecial Das Gewusel um Domenik und Philipp nahm mit jeder Stunde zu. Dom genoss es aus ganzem Herzen, denn diesen Tag hatten sie für sich allein. Auch wenn er Konstantin und Jona gern um sich hatte, waren sie in letzter Zeit doch ein wenig oft zusammen gewesen. Obwohl das Haus mehr als genug Platz bot, schafften sie es kaum allein zu sein. „Dom? Kommst du?“, rief Philipp und lächelte ihn strahlend an. Er stand vor einer Gruppe Glühweinsüchtiger, was um diese Jahreszeit nicht verwunderlich

war, wenn man sich auf einem Weihnachtsmarkt befand. Es war später Nachmittag und so langsam verabschiedeten sich die Familien mit den Kindern und neue Besucher kamen. „Also, ich will alle Marktbuden ganz in Ruhe ansehen, die Glühweinstände lassen wir links liegen und die mit den Süßigkeiten sehen wir uns ganz genau an.“ Domenik konnte nicht sehen, wie sehr seine Augen bei dieser Aussage leuchteten, aber Philipp nahm es umso mehr wahr. Wie sehr er ihn liebte. Das Energiebündel hatte ihn vollkommen erobert und er freute sich, dass es inzwischen mehr als gut zwischen ihnen lief.

„Das klingt nach einem guten Plan, Dom, aber ich würde schon gern einen Glühwein trinken, nur weil du den nicht verträgst, heißt das nicht, dass ich keinen möchte. Aber erst nachher. Komm wir suchen dir was Süßes.“ Philipp nahm Doms behandschuhte Hand in seine und sie schlenderten gemütlich drauflos. Der Weihnachtsmarkt zog sich eine lange Hauptstraße entlang, aber er interessierte sich für die weniger besuchten Seitenstraßen. Dort hatten allerlei Kleinkramläden geöffnet und er brauchte dringend noch Weihnachtsgeschenke. Seine Mütze mit der langen Bommel wurde plötzlich nach

unten gezogen und er sah sich nach dem Übeltäter um. Doch das Gekicher neben ihm zeigte gleich, wer sich da einen Spaß erlaubte. „Ey. Dom. Na, warte.“ Er schnappte sich seinen Freund und knautschte ihn zusammen mit seiner dicken Daunenjacke. Dieser quietschte vergnügt drauflos und fing erst an, sich zu wehren, als Philipp seine Hand Richtung Haare gleiten ließ. „Wehe, du zerstörst meine Frisur, da habe ich eine Stunde für gebraucht.“ Aber das war sowieso nicht Philipps Absicht, er umfasste Doms Gesicht mit seinen kalten Händen und sah, wie seine von der Kälte geröteten Wangen noch

einen tieferen Farbton annahmen. Zart drückte er seine Lippen auf die seines Freundes. Er küsste ihn solange, bis die kleinen Atemwölkchen nicht mehr nur von der Kälte kamen und sie zogen weiter. Nachdem er endlich etwas für seine Eltern gefunden hatte, schaute er nach einem Geschenk für Konstantin. Bei seinem Bruder war es am schwersten. Nun, da würde ihm schon etwas einfallen. „Philipp. Sieh mal, da gibt es kandierte Äpfel und Mandeln.“ Das war klar, dass das kleine Zuckermaul die Süßigkeiten zuerst entdeckte. Ihm war eher nach etwas Herzhaften zumute. Aber ein paar

Quarkkeulchen würden ihm sicher nicht den Appetit verderben. „Was willst du denn haben?“ Er wusste, dass das die falsche Frage war, aber Dom stürzte sich mit Freude auf die Auswahl. Zwanzig Minuten später waren ihre Taschen mit Tüten voller Bonbons gefüllt und jeder hielt eine andere Tüte mit Leckereien in der Hand. „Hihi, du bist voller Puderzucker.“, giggelte Dom. „Das können wir gern ändern.“ Philipp stupste seine Nase an Doms und nun war auch er mit einer weißen Schicht überzogen. Sie lachten beide herzhaft los. „Wir haben was vergessen!“, rief Dom

plötzlich. Er rannte noch einmal zum Stand und Philipp musste ein Grinsen unterdrücken. Die zwei übergroßen Lebkuchenherzen mit den Aufschriften „Mein Liebling“ und „Ich liebe dich“ passten kaum um ihre Hälse. „Damit willst jetzt über den kompletten Weihnachtsmarkt laufen, oder?“ „Natürlich! Die können alle mal neidisch gucken, was ich für einen tollen Fang gemacht habe.“ Sein schelmisches Grinsen war ansteckend und feixend gingen sie weiter. „Süßer, hast du nicht letztens gesagt, dass du eine neue Mütze brauchst?“, fragte ihn Dom beim nächsten Stand und zupfte seine Bommelmütze hinunter

und stülpte ihm ein Ungetüm mit Ohren über. „Jetzt fehlt nur noch die rote Nase, Rudolph. “ Er lachte ihn herzlich aus und bekam prompt die Quittung. Frisur hin oder her, Strafe musste sein. „So kleines Engelchen. Bitte trage dem Weihnachtsmann zu, dass ich mir die neue Playstation wünsche und diverse Spiel dafür. Außerdem wünsche ich mir, dass wir alle zusammen feiern können und dass alle glücklich miteinander sind.“ Dom sah Philipp streng an und blubberte leise vor sich hin, doch man sah, dass er es nicht ernst meinte.. „Ich und ein Engel, das ist ja lachhaft. Wo sind eigentlich die Flügel, wenn ich

hier schon mit einem Heiligenschein herumlaufe?“ Sein finsteres Gesicht hatte sich aufgehellt und ausgelassen kauften sie ihre Errungenschaften. „Die denken wahrscheinlich alle, dass wir voll einen an der Waffel haben.“ „Und wenn schon, wir haben Spaß, das ist alles, was zählt.“, sagte Philipp und er hatte vollkommen recht. „Sieh mal, die haben dort auch eine Eisbahn. Wollen wir?!“ Philipp zog ihn mit sich, ohne, dass er die Chance gehabt hätte, sich zu wehren. „Jetzt können wir mal schauen, ob ich was dazu gelernt habe.“ „Ja, an deine letzten Eislaufkünste kann ich mich sehr gut erinnern.“, feixte Dom

und zog seine Schnüre fest. Sie bewegten sich langsam auf der Eisbahn vorwärts, weil Philipp natürlich nichts dazugelernt hatte und jeder Schritt ein wenig wackelig aussah. Aber er hielt sich besser als Jona. Dom fuhr rückwärts vor ihm her und streckte ab und zu helfend seine Hand aus. Die Kinder fuhren in großen Kreisen um sie herum. Sehr clever. „Feierst du eigentlich mit deinen Eltern Weihnachten?“ Philipps Gesicht war vor Anstrengung und Konzentration ganz rot, als er die Frage herauspresste. „Nein, die geben nichts auf meine Anwesenheit. Ich werde wie jedes Jahr in einen Club gehen und keinen Gedanken

an sie verschwenden.“, stieß Dom giftig hervor. Das war gefährliches Terrain und das wusste Philipp eigentlich auch. „Nun, das hab ich mir fast gedacht. Wollte nur sicher gehen.“ Er hob abwehrend die Hände und strauchelte leicht. „Wah!“ Dom griff nach seiner Hand und hielt ihn fest. „Danke. Also weswegen ich eigentlich frage. Meine Eltern haben dich eingeladen. Wir verbringen die kompletten Weihnachtsfeiertage bei ihnen und ich hätte dich auch gern dabei. Biiitttteee?“ Dom ließ ihn los und rauschte wortlos davon. Na, toll. Das war genau die Reaktion, die er erwartet

hatte. Jedes Mal, wenn die Sprache auf die Festtage gekommen war, hatte Dom dicht gemacht und er wusste ja auch warum. Aber er verstand nicht, warum Dom sein Leben von Leuten bestimmen ließ, die ihn nicht verdient hatten. Dom umrundete ihn gerade und sein Gesicht sah aus wie eine Gewitterwolke. „Du musst doch nicht. Aber wir würden uns alle freuen.“ Aber sein Freund ignorierte ihn und lief weiter. Er nahm die Kurven so scharf und schnell, dass er einige Kinder in Angst und Schrecken versetzte. Warum hatte er nicht gewartet, bis sie allein waren, um zu fragen, schimpfte Philipp mit sich

selbst. „Meine Eltern sind nicht wie deine. Sie mögen dich wirklich.“ Das war doch affig. So würde er sich nicht weiter unterhalten, immer abwartend, bis Dom die nächste Runde an ihm vorbei kam. Er ging runter von der Eisbahn und packte ihr Zeug zusammen. Wortlos setzte er sich auf eine Bank an der Eisbahn, nachdem er sich eine heiße Schokolade geholt hatte. Dom raste mit einer Geschwindigkeit auf ihn zu, dass er Angst hatte, dass er durch die Bande brach. Ebenso wie einige andere Zuschauer, doch mit einer gekonnten Bewegung schürfte er das Eis mit den Kufen auf, als er

bremste. „In Ordnung. Ich komme mit. Aber erwarte nichts von mir. Ich hasse Weihnachten.“, brummelte er vor sich hin, aber Philipp war froh, dass er überhaupt zugesagt hatte. Er hatte sich bereits die ganze Zeit den Kopf darüber zerbrochen. Bei ihm war Weihnachten immer sehr harmonisch und er konnte es sich überhaupt nicht vorstellen, es in einem Club zu verbringen. „Verschwinde vom Eis, du Kinderschreck.“, eine ältere Dame kam drohend auf Domenik zu und ruhig fuhr er Richtung Ausgang. Schweigend setzten sie ihre Tour über den

Weihnachtsmarkt fort, aber irgendwie war die Stimmung angespannt. Es gab selten Momente, in denen es zwischen ihnen so ruhig war. „Du kennst meine Eltern doch. Sie würden dich nicht einladen, wenn sie dich nicht schon als Familienmitglied ansähen.“ Heißes Pflaster, sehr heiß, aber er musste es wagen. „Ja, und? Es geht ja auch nicht um deine!“, fuhr er ihn an. Wütend starrte er auf den Boden. „Und um deine auch nicht, Süßer.“ Nach einer Weile sah Dom ihn fragend an, nachdem er darauf nichts mehr gesagt hatte. „Es ist unser erstes gemeinsames

Weihnachtsfest und ich möchte es mit allen Menschen verbringen, die ich liebe. Und das deine Eltern Idioten sind, dafür kannst du doch nichts. Aber du solltest es dir von denen auch nicht versauen lassen. Du bestimmst, mit wem du deine Zeit verbringen möchtest und nicht sie.“ „Ich weiß.“, seufzte Dom niedergeschlagen. Jedes Jahr versuchte er sich davon selbst zu überzeugen und nur die Wut half, die Traurigkeit zu besiegen. „Aber ich würde sie schon gern besuchen.“ „Dann machen wir das doch! Wir stehen einfach bei Ihnen vor der Haustür.

Singen schräg irgendein Weihnachtslied und bringen selbst gebackene Plätzchen mit! Und wenn sie uns rausschmeißen, na und! Dann belagern wir den Vorgarten und machen unsere eigene Weihnachtsfeier draußen!“, rief Philipp euphorisch und zauberte ein kleines Grinsen auf Doms Gesicht. „Du weißt schon, dass ich nicht von hier komme, oder?“, grinste er zittrig. „Nicht?“ „Nein, fahr mal 500 Kilometer südlich in die tiefste Pampa zu den engstirnigsten Leuten unter der Sonne - nicht mal Jonas Mutter toppt die – und dann hast du meine Erzeuger.“ „Dann leih ich mir den Wagen. Oder pass

auf, wenn wir schon nicht fahren, dann drehen wir ein Video! Gleich hier und jetzt und lassen sie sehen, was sie alles verpassen!“ Philipp war gleich Feuer und Flamme für seinen ersonnenen Plan. Und Dom hatte keine andere Chance als mitzumachen. „Dom lächeln!“ Er verdrehte die Augen, aber eigentlich hielt er es für eine gute Idee. Es würde zwar nichts an der Situation ändern, aber es war ein Schritt in die richtige Richtung. Also sangen sie für seine Eltern verschiedene Weihnachtslieder, laut, falsch und fröhlich und kauften lauter Süßigkeiten, mit dem Hinweis, dass das ihre gewesen wären, doch aufgrund der

großen Entfernung dürften sie nicht zulassen, dass sie schlecht wurden und aßen sie selbst. Dom benutzte Philipp als sein persönliches Rentier, sehr zur Freude der Kinder auf dem Weihnachtsmarkt und Philipp bettelte das „Christkind“ um noch mehr Süßigkeiten an und darum, dass es schneite. Die kleinen Flöckchen, die daraufhin runterrieselten, untermalten das Theater noch, auch wenn es sich nur Puderzucker handelte. Sie hatten einen der Verkäufer bestochen. Ihr Video würde ein Meisterstück werden! „Mh, wie bekommen wir den Weihnachtsstern an den Baum?“, fragte

sich Philipp laut. Sie hatten zwischendurch Christbaumschmuck gekauft, den sie nun am großen Weihnachtsbaum aufhängen wollten. Um sie herum hatte sich eine kleine Traube gebildet und eines der Kinder piepste. „Rentiere können doch fliegen.“ „Da hast du Recht, aber ich finde, unser Engel sollte ihn anbringen.“ „Ja!“ „Philipp, nein….nein!“ Doch Philipp sah Dom nur auffordernd an. „Räuberleiter.“ Dom schüttelte noch einmal den Kopf. „Wenn der Baum auf dich drauf fällt, lass ich dich liegen, dass ist dir doch

klar?“ „Jetzt komm schon. Häng den Stern an.“ Philipp legte die Hände so zusammen, dass Dom einen festen Stand hatte und hievte ihn mit einem Ruck hoch. „Gut, dass du so klein bist.“ „Ach, halt die Klappe. Blödes Mistding. So, jetzt hab ich es.“ Dom plumpste in Philipps Arme und die Kinder um sie herum klatschen und jubelten. „Gut gemacht!“ „Ja, ja. Jetzt lass mich runter, die gucken schon ganz blöd.“ „Aber erst möchte ich einen Belohnungskuss, weil ich so ein gutes Rentier war.“, fragte Philipp. Doch

stattdessen bekam er nur eine Kopfnuss. „Zuhause. Aber was hältst du von einer Runde Kinderpunsch?“ „Okay. Und heute Abend machen wir vorweihnachtliche Bescherung?“ Er wackelte mit den Augenbrauen und er bekam prompt noch eine Kopfnuss. „Au. Tierquäler.“ „Na, klar, Rudolph. Komm wir holen jetzt Punsch und für dich Heu.“ Und kichernd zogen sie weiter. Das Handy griffbereit für weitere Aufnahme, um ein Weihnachtsvideo zu drehen, das Doms Eltern so schnell nicht vergessen würden.

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Hörbuch

Über den Autor

shiversixupi
Mmmmh, ich arbeite im Buchbereich, allerdings ohne die Möglichkeit dort meine Buchsucht auszuleben. Ich mag Science-Fiction, Fantasy, Romanzen und ganz besonders GayRomance. In diesem Bereich schreibe ich auch.
Hobbys: Lesen, singen, stricken, ab und zu zeichnen, ins Kino gehen, Geocaching...

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Karimela Hallo meine Liebe,
auch diese Geschichte habe ich jetzt "durch" - und das war ja vielleicht ein Durcheinander *lach. Da hast du deine Protagonisten aber ganz schön durch's Gefühlschaos wuseln lassen;-) Zum Glück hat letztendlich jedes Töpfchen sein Deckelchen abbekommen -so wie ich es gerne habe;-)
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Karimela
Vor langer Zeit - Antworten
shiversixupi Jaaaaaaaaaaaaaa!!!!!!!!!!! Friede Freude Eierkuchen! Da Jona mein Liebling ist, konnte ich ihn doch nicht so leiden lassen.
Vor langer Zeit - Antworten
Karimela Das war ja dann total nett von dir;-))
Vor langer Zeit - Antworten
Karimela Re: Re: Re: Re: Re: Re: Herzschmerz an allen - gut fast allen - Fronten -
Zitat: (Original von shiversixupi am 26.07.2013 - 19:32 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 26.07.2013 - 19:18 Uhr)
Zitat: (Original von shiversixupi am 26.07.2013 - 18:58 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 21:45 Uhr)
Zitat: (Original von shiversixupi am 25.07.2013 - 13:49 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 10:37 Uhr) Da hast du ja gleich mehrere "Baustellen" aufgetan in deiner Geschichte. Wobei wenigsten Dom und Philip sich einig zu sein scheinen. Bei den beiden anderen "Paaren" ist ja wohl noch eine Menge Handlungsbedarf angemeldet;-)
Ich bin gespannt, wie es hier weiter geht und ob am Ende jeder "Topf" sein "Deckelchen" bekommt.
Liebe Grüße
Karimela


Dom ist sich mit niemandem einig xD und schon gar nicht mit Philipp. Ich sollte hier vielleicht auch mal den Rest hochladen. Die Geschichte ist nämlich schon fertig ^^

UND...ich liebe Happy Ends ;) LG shivers



Wie, sie ist fertig? Wieso muss ich dann auf die Fortsetzung warten;-)))
Und was Dom und Phil angeht, war ich aber echt der Überzeugung, die beiden gehören zusammen.
Nu mach aber mal hinne und lad den Rest runter; ich will Antworten;.-)))
Und Happy-End ist Pflicht; finde ich auch;-)))
LG
Karimela



Ähm, ja schon länger *drop* momentan arbeite ich gerade an Ruby und wollte demnächst bei Flora und Fauna weiterschreiben(die habe ich hier noch nicht hochgeladen)
Philipp und Dom passt zusammen wie "Arsch auf Eimer" Aber so leicht habe ich es ihnen nicht gemacht. Da fliegen noch die Fetzen. Ich lade gleich mal ein paar mehr Kapitel hoch, damit du was zum lesen hast. Vielleicht komme ich dieses WE auch endlich mal zum lesen. Hatte in letzter Zeit ein bisschen wenig Zeit für mich selbst -.-

Liebe Grüße shivers



Na, geht doch;-))) Da kann ich dann am WE mal ein klein wenig weiterlesen; habe übrigens sofort abgecheckt, dass das noch nicht alles ist;-) tststs - Kopf schüttel.
Und kompliziert mag ich auch;-)) Fühl dich jetzt nur nicht unter Druck gesetzt, wegen der restlichen Kapitel; ich bin sicher, die kommen bald;-)) Dir ein schönes WE und bis hoffentlich bald.
LG
Karimela
Schönes Wochenende und n



Ich hab die Befürchtung, dass wenn ich zuviel hochlade der Server überlastet ist ;) es sind übrigens 19 Hauptkapitel und 4 Bonuskapitel (davon das vierte in zwei Teilen) und ich hab bei den anderen Geschichten auch wieder den aktuellen Stand hergestellt. Nur eine Nacht ist beendet und bei Ruby geht es jetzt erst richtig los. Sollte also genug Lesefutter für das heiße WE sein(kann man ja nur zu Hause ... vor dem Ventilator oder am See ertragen xD)

Schönes WE hoffentlich mit viel Eis und keinem Hitzschlag ^^



Braves Mädchen;-)) Und der Server hält bestimmt ne Menge aus;-))
Bis bald
LG
Kari
Vor langer Zeit - Antworten
shiversixupi Re: Re: Re: Re: Re: Herzschmerz an allen - gut fast allen - Fronten -
Zitat: (Original von Karimela am 26.07.2013 - 19:18 Uhr)
Zitat: (Original von shiversixupi am 26.07.2013 - 18:58 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 21:45 Uhr)
Zitat: (Original von shiversixupi am 25.07.2013 - 13:49 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 10:37 Uhr) Da hast du ja gleich mehrere "Baustellen" aufgetan in deiner Geschichte. Wobei wenigsten Dom und Philip sich einig zu sein scheinen. Bei den beiden anderen "Paaren" ist ja wohl noch eine Menge Handlungsbedarf angemeldet;-)
Ich bin gespannt, wie es hier weiter geht und ob am Ende jeder "Topf" sein "Deckelchen" bekommt.
Liebe Grüße
Karimela


Dom ist sich mit niemandem einig xD und schon gar nicht mit Philipp. Ich sollte hier vielleicht auch mal den Rest hochladen. Die Geschichte ist nämlich schon fertig ^^

UND...ich liebe Happy Ends ;) LG shivers



Wie, sie ist fertig? Wieso muss ich dann auf die Fortsetzung warten;-)))
Und was Dom und Phil angeht, war ich aber echt der Überzeugung, die beiden gehören zusammen.
Nu mach aber mal hinne und lad den Rest runter; ich will Antworten;.-)))
Und Happy-End ist Pflicht; finde ich auch;-)))
LG
Karimela



Ähm, ja schon länger *drop* momentan arbeite ich gerade an Ruby und wollte demnächst bei Flora und Fauna weiterschreiben(die habe ich hier noch nicht hochgeladen)
Philipp und Dom passt zusammen wie "Arsch auf Eimer" Aber so leicht habe ich es ihnen nicht gemacht. Da fliegen noch die Fetzen. Ich lade gleich mal ein paar mehr Kapitel hoch, damit du was zum lesen hast. Vielleicht komme ich dieses WE auch endlich mal zum lesen. Hatte in letzter Zeit ein bisschen wenig Zeit für mich selbst -.-

Liebe Grüße shivers



Na, geht doch;-))) Da kann ich dann am WE mal ein klein wenig weiterlesen; habe übrigens sofort abgecheckt, dass das noch nicht alles ist;-) tststs - Kopf schüttel.
Und kompliziert mag ich auch;-)) Fühl dich jetzt nur nicht unter Druck gesetzt, wegen der restlichen Kapitel; ich bin sicher, die kommen bald;-)) Dir ein schönes WE und bis hoffentlich bald.
LG
Karimela
Schönes Wochenende und n



Ich hab die Befürchtung, dass wenn ich zuviel hochlade der Server überlastet ist ;) es sind übrigens 19 Hauptkapitel und 4 Bonuskapitel (davon das vierte in zwei Teilen) und ich hab bei den anderen Geschichten auch wieder den aktuellen Stand hergestellt. Nur eine Nacht ist beendet und bei Ruby geht es jetzt erst richtig los. Sollte also genug Lesefutter für das heiße WE sein(kann man ja nur zu Hause ... vor dem Ventilator oder am See ertragen xD)

Schönes WE hoffentlich mit viel Eis und keinem Hitzschlag ^^
Vor langer Zeit - Antworten
Karimela Re: Re: Re: Re: Herzschmerz an allen - gut fast allen - Fronten -
Zitat: (Original von shiversixupi am 26.07.2013 - 18:58 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 21:45 Uhr)
Zitat: (Original von shiversixupi am 25.07.2013 - 13:49 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 10:37 Uhr) Da hast du ja gleich mehrere "Baustellen" aufgetan in deiner Geschichte. Wobei wenigsten Dom und Philip sich einig zu sein scheinen. Bei den beiden anderen "Paaren" ist ja wohl noch eine Menge Handlungsbedarf angemeldet;-)
Ich bin gespannt, wie es hier weiter geht und ob am Ende jeder "Topf" sein "Deckelchen" bekommt.
Liebe Grüße
Karimela


Dom ist sich mit niemandem einig xD und schon gar nicht mit Philipp. Ich sollte hier vielleicht auch mal den Rest hochladen. Die Geschichte ist nämlich schon fertig ^^

UND...ich liebe Happy Ends ;)

LG shivers



Wie, sie ist fertig? Wieso muss ich dann auf die Fortsetzung warten;-)))
Und was Dom und Phil angeht, war ich aber echt der Überzeugung, die beiden gehören zusammen.
Nu mach aber mal hinne und lad den Rest runter; ich will Antworten;.-)))
Und Happy-End ist Pflicht; finde ich auch;-)))
LG
Karimela



Ähm, ja schon länger *drop* momentan arbeite ich gerade an Ruby und wollte demnächst bei Flora und Fauna weiterschreiben(die habe ich hier noch nicht hochgeladen)
Philipp und Dom passt zusammen wie "Arsch auf Eimer" Aber so leicht habe ich es ihnen nicht gemacht. Da fliegen noch die Fetzen. Ich lade gleich mal ein paar mehr Kapitel hoch, damit du was zum lesen hast. Vielleicht komme ich dieses WE auch endlich mal zum lesen. Hatte in letzter Zeit ein bisschen wenig Zeit für mich selbst -.-

Liebe Grüße shivers



Na, geht doch;-))) Da kann ich dann am WE mal ein klein wenig weiterlesen; habe übrigens sofort abgecheckt, dass das noch nicht alles ist;-) tststs - Kopf schüttel.
Und kompliziert mag ich auch;-)) Fühl dich jetzt nur nicht unter Druck gesetzt, wegen der restlichen Kapitel; ich bin sicher, die kommen bald;-))

Dir ein schönes WE und bis hoffentlich bald.
LG
Karimela
Schönes Wochenende und n
Vor langer Zeit - Antworten
shiversixupi Re: Re: Re: Herzschmerz an allen - gut fast allen - Fronten -
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 21:45 Uhr)
Zitat: (Original von shiversixupi am 25.07.2013 - 13:49 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 10:37 Uhr) Da hast du ja gleich mehrere "Baustellen" aufgetan in deiner Geschichte. Wobei wenigsten Dom und Philip sich einig zu sein scheinen. Bei den beiden anderen "Paaren" ist ja wohl noch eine Menge Handlungsbedarf angemeldet;-)
Ich bin gespannt, wie es hier weiter geht und ob am Ende jeder "Topf" sein "Deckelchen" bekommt.
Liebe Grüße
Karimela


Dom ist sich mit niemandem einig xD und schon gar nicht mit Philipp. Ich sollte hier vielleicht auch mal den Rest hochladen. Die Geschichte ist nämlich schon fertig ^^

UND...ich liebe Happy Ends ;)

LG shivers



Wie, sie ist fertig? Wieso muss ich dann auf die Fortsetzung warten;-)))
Und was Dom und Phil angeht, war ich aber echt der Überzeugung, die beiden gehören zusammen.
Nu mach aber mal hinne und lad den Rest runter; ich will Antworten;.-)))
Und Happy-End ist Pflicht; finde ich auch;-)))
LG
Karimela



Ähm, ja schon länger *drop* momentan arbeite ich gerade an Ruby und wollte demnächst bei Flora und Fauna weiterschreiben(die habe ich hier noch nicht hochgeladen)
Philipp und Dom passt zusammen wie "Arsch auf Eimer" Aber so leicht habe ich es ihnen nicht gemacht. Da fliegen noch die Fetzen. Ich lade gleich mal ein paar mehr Kapitel hoch, damit du was zum lesen hast. Vielleicht komme ich dieses WE auch endlich mal zum lesen. Hatte in letzter Zeit ein bisschen wenig Zeit für mich selbst -.-

Liebe Grüße shivers
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Karimela Re: Re: Herzschmerz an allen - gut fast allen - Fronten -
Zitat: (Original von shiversixupi am 25.07.2013 - 13:49 Uhr)
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 10:37 Uhr) Da hast du ja gleich mehrere "Baustellen" aufgetan in deiner Geschichte. Wobei wenigsten Dom und Philip sich einig zu sein scheinen. Bei den beiden anderen "Paaren" ist ja wohl noch eine Menge Handlungsbedarf angemeldet;-)
Ich bin gespannt, wie es hier weiter geht und ob am Ende jeder "Topf" sein "Deckelchen" bekommt.
Liebe Grüße
Karimela


Dom ist sich mit niemandem einig xD und schon gar nicht mit Philipp. Ich sollte hier vielleicht auch mal den Rest hochladen. Die Geschichte ist nämlich schon fertig ^^

UND...ich liebe Happy Ends ;)

LG shivers



Wie, sie ist fertig? Wieso muss ich dann auf die Fortsetzung warten;-)))
Und was Dom und Phil angeht, war ich aber echt der Überzeugung, die beiden gehören zusammen.
Nu mach aber mal hinne und lad den Rest runter; ich will Antworten;.-)))
Und Happy-End ist Pflicht; finde ich auch;-)))
LG
Karimela
Vor langer Zeit - Antworten
shiversixupi Re: Herzschmerz an allen - gut fast allen - Fronten -
Zitat: (Original von Karimela am 25.07.2013 - 10:37 Uhr) Da hast du ja gleich mehrere "Baustellen" aufgetan in deiner Geschichte. Wobei wenigsten Dom und Philip sich einig zu sein scheinen. Bei den beiden anderen "Paaren" ist ja wohl noch eine Menge Handlungsbedarf angemeldet;-)
Ich bin gespannt, wie es hier weiter geht und ob am Ende jeder "Topf" sein "Deckelchen" bekommt.
Liebe Grüße
Karimela


Dom ist sich mit niemandem einig xD und schon gar nicht mit Philipp. Ich sollte hier vielleicht auch mal den Rest hochladen. Die Geschichte ist nämlich schon fertig ^^

UND...ich liebe Happy Ends ;)

LG shivers
Vor langer Zeit - Antworten
Karimela Herzschmerz an allen - gut fast allen - Fronten - Da hast du ja gleich mehrere "Baustellen" aufgetan in deiner Geschichte. Wobei wenigsten Dom und Philip sich einig zu sein scheinen. Bei den beiden anderen "Paaren" ist ja wohl noch eine Menge Handlungsbedarf angemeldet;-)
Ich bin gespannt, wie es hier weiter geht und ob am Ende jeder "Topf" sein "Deckelchen" bekommt.
Liebe Grüße
Karimela
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