Science Fiction
Project Albagan [2x10] Imprint

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"Project Albagan [2x10] Imprint"
Veröffentlicht am 07. Juni 2013, 32 Seiten
Kategorie Science Fiction
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Project Albagan [2x10] Imprint

Project Albagan [2x10] Imprint

Beschreibung

In der Datenbank der Chibigo findet das Team einen sehr interessanten Eintrag: Offenbar kannten die Chibigo ein Volk, welches innerhalb kürzester Zeit eine riesige Armee ausheben kann - eine nützliche Hilfe im Kampf gegen die Fuetron. Was sie nicht wissen, ist in welcher Gefahr dieses Volk birgt...

Inistra

Jan seufzte zufrieden, als er die wärmenden Strahlen der Morgensonne auf seinem Gesicht spürte. Er hatte sich auf die Terrasse des Inistra-eigenen Restaurants gesetzt, ein mit hellen Holzbohlen belegtes Ponton auf dem kristallklaren Wasser des Bergsees. Es war angenehm warm, und Jan war nicht der einzige, der Lukas Rütlis köstliches Frühstück in der Sonne genoss. Der Schweizer, der eigentlich als Chemiker nach Inistra gekommen war, war Zeit seines Lebens Hobbykoch gewesen und hatte nach dem tragischen Tod des Feldkoches, der eigentlich diese Position innehatte, die Küche übernommen. Seitdem war Inistra das genaue Gegenteil sämtlicher anderer Militärbasen auf der Welt: Wer für seinen Urlaub ging, sehnte sich schon bald nach dem Basisessen zurück, eine Einmaligkeit, vor allem da Rütli zwischendurch immer wieder mit lokalen Gewächsen und Rezepten experimentierte, die er in der Datenbank gefunden oder von verbündeten Völkern erhalten hatte. Jan biss in sein butterzartes Croissant, während Abby mit einigen wissenschaftlichen Hilfskräften weniger Meter entfernt ein erstes Bad im See für dieses Jahr nahm. Dem freudigen Gekreische der kleinen Gruppe hatten sie trotz des noch vergleichsweise kalten Wassers einen Heidenspaß.

Eine Stimme riss Jan aus seinen Gedanken. Es war Mary Lu.

„Schmeckt‘s?“, fragte sie und deutete auf Jans ausladenden Frühstücksteller. Jan nickte.

„Möchtest du was?“

Mary Lu schüttelte den Kopf.

„Danke, keine Zeit. Du übrigens auch nicht, Major Hedgefield hat eine Konferenz angesetzt.“

Jan seufzte.

„Meinst du ich kann ihn mit einem Diogenes-Zitat davon überzeugen mich hier bleiben zu lassen?“

Mary Lu schmunzelte.

„Ich glaube kaum, dass es auch den geringsten positiven Effekt hat, wenn du ‚Geh mir aus der Sonne‘ zu ihm sagst.“

Jan seufzte erneut ergeben und stand auf, nahm seinen Teller und folgte Mary Lu nach drinnen.

„Was macht eigentlich dein Protegé?“, fragte sie.

„Vogel? Der ist mit McGarrett und ein paar anderen Leuten auf einer Expedition. Sie wollen irgendein magnetisches Phänomen untersuchen.“

Mary Lu schmunzelte.

„Wenn es ein Phänomen ist, warum bist du dann nicht dabei?“

„Weil nicht jedes Phänomen auch phänomenal ist, und nur wenige Phänomen so phänomenal sind wie ein paar Tage Ruhe.“

„Ich fürchte fast es hat sich was mit deiner Ruhe“, lachte Mary Lu als sie den Konferenzraum betraten, „wir haben ein in der Datenbank ein Volk gefunden, welches uns vielleicht einen entscheidenden Vorteil im Kampf gegen die Fuetron bescheren könnte.“

„Und wie das?“, fragte Jan interessiert, während er sich setzte.

„Indem Sie innerhalb kürzester Zeit eine gewaltige Armee ausheben können“, antwortete Major Hedgefield über den Rand des Papierstapels, den er in der Hand hielt, hinweg.

Jan runzelte die Stirn.

„Und wie soll das gehen?“

„Das konnten wir noch nicht herausfinden. In der Datenbank steht nur der Verweis darauf, dass es möglich ist, nicht wie. Was uns aber jedenfalls vorsichtig machen sollte, ist die Tatsache, dass die Chibigo auf Inistra anscheinend kurz nachdem dieser Eintrag verfasst wurde den Kontakt abbrachen.“

Lieutenant Ray Charleston hob die Augenbrauen.

„Warum sollten sie das tun? Eine gewaltige Armee wäre den Chibigo doch genauso gelegen gekommen wie uns!“

Major Hedgefield nickte.

„Der Meinung bin ich auch. Also sollten wir besser herausfinden, was es mit dieser Armee auf sich hat. Charleston, nehmen Sie sich ein Team Marines mit, dazu die Doktoren Rosenthal und Ferden. Gute Reise.“

Jan stöhnte.

„Warum muss ich eigentlich immer mitkommen? Ich dachte ich hätte Urlaub!“

Mary Lu grinste, während der Major ihn mit einem Blick zwischen Unverständnis und Säuerlichkeit ansah.

„Erstens entscheide ich, wann Sie Urlaub haben, und zweitens brauchen wir Sie falls auf der anderen Seite ein Problem mit dem Albagan auftritt. Zufrieden?“

„Nein“, knurrte Jan zwischen den Zähnen.

„Dann ist ja alles in Ordnung.“

Er wandte sich zu dem Mikrophon in der Wand.

„Zoe, trag die Mission für in einer halben Stunde ein.“

„Aye“, bestätigte die Frau im Computer.

 

Exakt 30 Minuten später stand das voll ausgerüstete Team vor der sich pulsierend aufbauenden Kugel des Albagans. Wenige Augenblicke später transportierte das nach wie vor technisch nicht gänzlich erschlossene Gerät ihre dematerialisierten Körper zu ihrem Ziel, tausende von Lichtjahren entfernt von Inistra.

Auf der anderen Seite angekommen traten sie aus dem Albagan heraus in eine hochmodern wirkende Halle. Hellweißfarbene, filigrane Säulen trugen ein hoch über ihrem Köpfen angesiedeltes Glasdach, welches in Form eines Prismas die gesamte Fläche der gut 60 Meter langen und 20 Meter breiten Empfangshalle abdeckte. Sich leicht im Wind bewegende Textilposter hingen zwischen einigen Säulen, die meisten lächelnde Gesichter tragend, die mit Stichworten wie „Fortschritt“, „Wissen ist Macht“ oder „Du für dein Volk“ betitelt waren.

Die Halle wirkte verlassen, und jeder ihrer Schritte hallte von den hohen Wänden wieder.

„Sieht ja schick aus“, meinte Jan, während sie die Halle durchquerten. Mary Lu sah hoch und blickte durch das Glas auf einige leichte Wolken, die über einen azurblauen Horizont glitten. Sie nickte.

Im selben Moment trat eine Gestalt durch eine Glastür am Ende der Halle auf die Gruppe zu.

„Willkommen, Reisende!“, rief er ihnen in einem breiten Chibigo-Dialekt zu, „ich dachte mir doch, dass ich das Albagan gehört hatte.“

Der Fremde trug einen eng anliegenden schwarzen Anzug, der zwar mehr wie ein Spandex-Sportzeug aussah, ob seines kleinen Namensschildchens links auf der Brust offenbar seine Dienstkleidung darstellte.

„Mein Name ist Bido, Maj Bido. Ich bin Forschungsleiter hier auf Aiwa Echola.“

Jan stellte sich und das Team vor, und verschwendete keine Zeit, indem er Bido direkt nach der Armee fragte, die in der Datenbank der Chibigo verzeichnet war.

Bido lächelte, nicht ohne Stolz.

„Ja,“ erklärte er, „wir haben die Kapazität für ein Heer von sehr hilfreicher Größe. Wir werden in der Tat von allen in Ruhe gelassen, den Fuetron, den Piraten… wir haben es hier schön ruhig!“

Charleston lächelte erwartungsfroh. Jan hingegen war skeptisch.

„Wäre es möglich mehr über diese Heereskapazität zu lernen?“, fragte er. Bido nickte.

„Aber natürlich, bitte, kommt doch mit!“

Unter seiner Führung stieg die Gruppe in ein kugelrundes Gefährt, welches sich, nachdem sie die Tür geschlossen hatten, auf einer filigranen Schiene rasch vorwärts bewegte. Aus einem kleinen Fenster in der Tür blickten sie auf die glitzernde Skyline einer hochmodernen Stadt.

„Die Tatsache, dass wir uns ungehindert entwickeln konnten hat uns in den letzten paar hundert Jahren sehr weit gebracht“, erklärte Bido, während er auf die Skyline deutete.

„Von der Basis an Technologie ausgehend, die unsere Vorfahren, die Rebellen, von den Fuetron gestohlen hatten, sind wir weit gekommen. Unsere Imprint-Technologie war da natürlich auch von Vorteil.“

Jan horchte auf. Da klingelte etwas bei ihm. Auch Mary Lu, die Jans Aufmerken bemerkt hatte zog die Augenbrauen zusammen.

„Imprint-Technologie?“, fragte sie skeptisch.

Die Kugel hielt und Bido führte sie zu einem Gebäude, welches hauptsächlich aus einer großen Glaskuppel zu bestehen schien.

„Wir haben vor vielen Jahren schon eine Technologie perfektioniert, welche uns den direkten Zugriff auf das Gehirn erlaubt.“

Mit der Hand deutete er auf einen mannshohen metallenen Ring.

„Ich würde euch gerne mit unserem Regierungsstab bekannt machen, aber ich muss darum bitten, dass ihr eure Waffen nicht mitnehmt und euch einer Sicherheitsprüfung unterzieht. Keine Sorge, es tut nicht weh und dauert nicht lange, dieses Gerät prüft nur, ob ihr versteckte Waffen bei euch tragt.“

Jan nickte verstehend und begann seine Ninja-Sterne auszupacken, während Charleston seinen Männern zu bedeuten gab der Bitte Folge zu leisten. Jan trat als erster in den aufrecht stehenden Ring. Es zischte leise, und ein Lauflicht lief einmal um die gesamte Längsseite des Ringes. Es piepte, und Bido bedeutete ihm aus dem Ring zu treten. Einer nach dem anderen traten sie durch die futuristische Sicherheitsschleuse.

Sichtlich beruhigt, dass die Gruppe offenbar keine versteckten Waffen bei sich trug und nicht vorhatte den Planeten zu überfallen, führte Bido sie eine weite Treppe hinauf und in ein edel eingerichtetes Konferenzzimmer.

„Die Technologie des Imprints erlaubt es uns, Informationen direkt in das Gehirn einzuschleusen, ohne den wenig effektiven Weg des zeitaufwendigen Lernprozesses durchlaufen zu müssen. Möchte also jemand Mediziner werden muss er nicht jahrelang studieren, und möglicherweise scheitern, weil er zwar ein hervorragender Chirurg wäre aber nicht sämtliche biologischen Zusammenhänge des Gehirns herbeten kann. Ein Praktiker, dessen Hände Wunder vollbringen könnten, kann sich die nötigen theoretischen Zusammenhänge einfach in sein Gehirn laden lassen, ohne ein Vermögen für eine lange Ausbildung ausgeben zu müssen. Und wenn sich Wissenschaftler mit einem Thema befassen, laden sie sich einfach die nötigen Informationen ins Gehirn – so geht kein Wissen verloren, und unsere Gesellschaft kann sich stetig weiter entwickeln.“

Jan musste zugeben, dass der Reiz einer solchen Technologie enorm war. Aber wo Licht ist, fällt nun mal auch Schatten, und gerade bei einer solch Invasiven Technologie war die nächste Frage, die Jan stellte beinahe unausweichlich:

„Ein technologisches Meisterwerk, ohne Zweifel, aber stellt eine solche Technologie nicht auch ein großes Potential für Unterdrückung dar? Ohne euch als Gesellschaft zu nahe treten zu wollen, aber die Erfahrung, die wir auf unserem Planeten gemacht haben, ist, dass die Kontrolle über das Denken der Menschen sich auf Dauer meist zu ihrem Nachteil auswirkt – Stichwort Gleichschaltung – und zudem die Gefahr bestünde ihnen etwas aufzuzwingen – einen Herrscher, beispielsweise – der nur aus seinen eigenen, selbstsüchtigen Motiven handelt.“

Bido nickte ernst.

„Das ist natürlich vollkommen korrekt. Bis heute halten sich auch in manchen Kreisen der Gesellschaft Vorbehalte gegen diese Technologie, aber ich versichere, dass sie unter strikter Kontrolle mehrerer, voneinander völlig unabhängiger Übersichtsorgane steht.“

Bido führte noch ein wenig weiter über die Kontrolle aus, doch Jan und Mary Lu hörten nicht weiter zu, und unterhielten sich stattdessen schweigend über ihre Neurotransmitter.

‚Mir gefällt das irgendwie nicht‘, dachte Jan, nur für Mary Lu hörbar.

‚Ja, irgendwas verheimlicht der Typ uns. Aber was?‘

‚Keine Ahnung. Aber ich fürchte, wir werden es nicht herausfinden, indem wir hier sitzen.‘

Mary Lu schwieg einen Moment.

‚Ich habe eine Idee‘, dachte sie, und unterbrach, nun wieder sprechend, Bido, der Lieutenant Charleston gerade von ihren perfekt ausgebildeten Supersoldaten vorschwärmte.

„Es tut mir ausgesprochen Leid, und ist mir auch ein wenig peinlich“, meinte sie, ohne auf den säuerlichen Blick des Lieutenants zu achten, „aber gibt es in diesem Gebäude so etwas wie eine Toilette?“

Bido lächelte, offensichtlich beruhigt, dass es sich nur um so eine Bagatelle handelte. Er deutete zur Tür und beschrieb ihr einen Weg um zwei Ecken, woraufhin Mary Lu sich unter den wütenden Blicken Charlestons entfernte.

Draußen vor der Tür schlug sie den Weg ein, den sie gekommen waren. Wenige Minuten später trat sie hinaus ins Sonnenlicht. Mary Lu blieb für einen Moment stehen und blickte sich um. Sie befand sich am Rand einer wenig befahrenen Allee, wobei der Verkehr hauptsächlich in eine Richtung zu gehen schien. Gespannt machte sie sich auf den Weg in dieselbe Richtung.

Nach einer knappen Viertelstunde erreichte sie einen Trapezförmigen Platz, der die Aufmerksamkeit des Besuchers auf ein hohes, mit silbrig glänzendem Stahl verkleidetes Gebäude lenkte. Mary Lu schritt darauf zu und entzifferte ein Schild, welches über dem Eingangsportal hing. Offenbar handelte es sich um eine zentrale Einrichtung für die von Bido so begeistert angepriesenen Imprints. Neugierig hielt sie darauf zu. Die wenigen Umherstehenden beachteten sie nicht, also ging sie nach dem selben Prinzip auf das Gebäude zu, was das nach dem sie dereinst erfolgreich einen warmen Mantel gestohlen hatte, damals, als ihre einzige Alternative der Kältetod im ungeheizten Keller des Bordells gedroht hatte. Der Trick, so erinnerte sie sich, war so auszusehen als wäre man unzweifelhaft im Recht, Carry it out like you owned it.

Als Mary Lu durch die hohe Glastür trat, wehte ihr ein klinischer kalter Hauch entgegen. Es war beunruhigend still, die wieder zugefallene Tür blockte den Außenschall komplett, sodass Mary Lu kaum mehr als ihren eigenen Atem und das Geräusch ihrer Schritte auf dem polierten Steinboden hören konnte. Die verlassene Eingangshalle war der Halle, in der sie angekommen waren vom Stil her sehr ähnlich, doch diesmal wirkte es gekünstelt, als sei das alles nur Fassade.

Zügig durchschritt sie den verlassenen Saal und fand sich kurze Zeit später vor mehreren Türen wieder. Die eine war groß und eindeutig für den Publikumsverkehr gedacht, während die andere  ein dickes Schild mit der Aufschrift ‚Vaghe Kurka‘ trug – Betreten verboten. Probeweise drückte Mary Lu die Klinke herunter und – siehe da – die Tür öffnete sich. Flink schlüpfte sie herein und schloss leise die Tür hinter sich.

Vor ihr erstreckte sich ein langer Gang mit wenigen Türen, hinter denen es summte wie von einem oder mehreren großen Generatoren. Mary Lu schlüpfte durch eine weitere Tür, die einzige, die unverschlossen war, und stieß auf einen weiteren Gang, der diesmal aber überhaupt keine Seitentüren aufwies, stattdessen aber leicht anstieg. Leise lief Mary Lu hindurch, bis sie plötzlich einen markerschütternden Schrei hörte.

Mary Lu zuckte zusammen. Der Schrei klang gedämpft, wie durch mehrere Wände hindurch, aber trotzdem konnte sie die Verzweiflung und Qual deutlich heraushören. Mary Lu beeilte sich, trat durch zwei weitere Türen, und fand sich unversehens in einer großen, halbkreisförmigen Halle wieder. Die Tür, durch die sie getreten war, mündete in einen umlaufenden Gang, der etwa fünf Meter oberhalb der Bodens der Halle das komplette Halbrund erschloss, und von dessen Brüstung aus sie einen guten Überblick auf das hatte, was sich in der Halle abspielte.

Über die gesamte Fläche zogen sich, entlang mehrerer Gänge, die der Form des Halbrunds folgten, kleine, deckenlose Räume, die beinahe aussahen wie Zellen, und die kaum größer als zwei mal drei Meter sein konnten, und die Hauptsächlich aus einer beinahe aufrecht stehenden Liege bestanden. Über den Zellen waren Metallschienen gespannt, auf denen sich ein übermannslanger hydraulischer Arm von einer Zelle zur nächsten bewegen konnte. Momentan saß er allerdings bewegungslos über einer der Zellen, wobei das Ende des Arms, soweit Mary Lu das erkennen konnte, den Kopf einer jungen Frau umschloss, die auf der Liege festgenschnallt war. Als sie plötzlich aufschrie war Mary Lu klar, dass es die Schreie der Frau gewesen waren, die sie gehört hatte. Unfähig irgendwas zu unternehmen musste sie mit ansehen, wie die Schreie der Frau erst schwächer wurden, und dann ganz erstarben. Schließlich fuhr der Arm mit einem hydraulischen Zischen nach oben. Die Frau stand auf, etwas wackelig, aber immerhin und dann – Mary Lu traute ihren Augen kaum – schüttelte sie den beiden Männern, die mit ihr in der Zelle standen die Hände und trat hinaus auf den Gang.

Mary Lu beobachtete, wie die Frau zielstrebig den Gang entlang schritt, während der hydraulische Arm in entgegengesetzter Richtung zur nächsten Zelle bewegte.

„Interessant, nicht wahr?“, sagte plötzlich eine schneidende Stimme von hinten. Mary Lu zuckte zusammen und fuhr herum. Sie war offenbar so in ihre Beobachtung versunken gewesen, dass sie nicht gesehen hatte, wie sich zwei Wachmänner und jemand, der aussah wie ein Beamter hinter sie geschlichen hatten. Die Wächter griffen nach ihren Armen und drehten sie auf den Rücken, sodass Mary Lu keine Chance hatte sich zu wehren.

„Ich gebe zu,“ fuhr der Beamte mit steinerner Miene fort, „es ist ein wenig… aufreibend den Imprint-Prozess das erste Mal zu sehen. Aber ich versichere Ihnen, die Auswirkungen auf das Volkswohl sind phänomenal. Ein Jammer, ich würde es Ihnen zu gerne aus nächster Nähe demonstrieren, aber ihrem Hirn fehlt das nötige jahrelange Training unserer Schüler. Schade, Ihnen entgeht die Erfüllung all Ihrer Lebensträume.“

Er wandte sich den beiden Wachmännern zu.

„Abführen!“, befahl er.

Mary Lu strampelte hilflos mit den Beinen, konnte sich aber nicht gegen ihre Häscher wehren.

„Meine Leute werden mich vermissen. Sie werden ohne mich diese Welt nicht verlassen!“

Der Beamte lächelte nachsichtig.

„Das sollte ein lösbares Problem sein…“

Er nickte mit dem Kopf und die Wächter zogen Mary Lu mit sich fort.

 

Im Konferenzraum wurden die Anwesenden hingegen so langsam unruhig ob Mary Lus Verschwinden. Sie war bereits über eine Dreiviertelstunde unterwegs – so lange konnte ihr Gang doch nicht dauern! Jan hatte ein ganz mieses Gefühl bei der Sache. Er schreckte aus seinen Gedanken hoch, als mit einem Mal die Tür aufflog und eine stämmige junge Frau hereinschneite, der blonde Pagenschnitt leicht durcheinander – offenbar hatte sie sich ziemlich gehetzt hier her begeben.

„So, da bin ich wieder“, verkündete sie und setzte sich neben Jan auf Mary Lus freien Stuhl.

Die Delegation der Erde runzelte kollektiv die Stirn. Jan legte sich auf Chibigo gerade die richtigen Worte zurecht, um sie zu fragen, wer sie denn sei, als ihm plötzlich aufging, dass die Frau Englisch gesprochen hatte. Er spürte, wie sich seine Schulter verspannte, als er sie, auf Englisch, fragte, wer sie sei. Die Blondine sah ihn mit großen Augen an.

„Jan, ich bin’s,“, antwortete sie, „Mary Lu!“

Hedgefields Augen quollen ihm bald aus den Höhlen, während es Jan kalt den Rücken hinablief. Er ahnte bereits, was geschehen war.

„Wer auch immer du bist, du bist nicht Mary Lu…“, antwortete er.

„Aber natürlich, wer soll ich denn sonst sein?“

Die Szene hatte geradezu etwas komisches, als alle sie von oben bis unten begutachteten, einer nach dem anderen sicherstellend, dass es sich ganz bestimmt nicht um Mary Lu handelte.

„Dr. Rosenthal, haben Sie letztlich in den Spiegel geguckt?“, fragte der Major.

Die Blondine sah an sich herab.

„Stimmt irgendwas nicht?“, fragte sie leicht pikiert.

Jan wandte sich an Bido.

„Sie haben sie ausgetauscht, nicht wahr?“, fragte er ihn. Bido sah ihn stirnrunzelnd an.

„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Ich weiß ja nicht wen Sie hier hergeschickt haben, aber die Tatsache, dass ein Mensch der nur noch ein anderes Geschlecht haben müsste um optisch das genaue Gegenteil von der zu verkörpern die sie vorgibt zu sein lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder sie ist geisteskrank oder Sie und ihre Imprint-Technologie hatte die Finger im Spiel!“

„Aber bitte,“ meinte Bido, recht perplex, „vor uns steht doch Dr. Mary Lu Rosenthal, ihr Geist hat sich doch nicht verändert! Das Gefäß mag ein anderes sein, aber an ihr selbst hat sich doch nichts verändert!“

„Was soll das heißen? Jan, was geht hier vor?“, fragte die Blondine, die offenbar Mary Lu und nicht Mary Lu war.

„Er hat deinen Geist transferiert, in einen anderen Körper, und dabei offenbar dein Gedächtnis so verändert, dass du es nicht gemerkt hast. Was den Schluss nahe legt, dass die echte Mary Lu etwas entdeckt hat, dass sie nicht hätte sehen sollen, und sie unauffällig ihr Verschwinden vertuschen wollten. Zu dumm, dass wir eben auch auf den Körper achten und nicht nur auf den Geist.“

Hedgefield sprang auf.

„Ist das wahr!?“

Bido breitete die Arme aus.

„Sie sind intelligenter als wir dachten. Gratulation. Können wir nun mit den Geschäften fortfahren?“

Während Mary Lu sich mit großen Augen sammelte, ging Hedgefield langsam auf Bido zu.

„Ihre Geschäfte können Sie sich sonstwohin stecken, ich will mein Team-Mitglied zurück haben, auf der Stelle!“

„Ich fürchte, das wird nicht möglich sein“, entgegnete Bido kalt.

„Sie Schwein!“, brüllte in dem Moment Lt. Charleston, der von seinem Sitz hinter Hedgefield hervorgeprescht kam und Bido an die Wand drückte.

„Wo ist Dr. Rosenthal?“, keifte er, während er Bido am Hals fassend die Wand hoch drückte.

„Pfeifen Sie ihren Hund zurück“, giftete der keuchend zu Hedgefield.

„Mit dem größten Vergnügen. Sobald Sie uns verraten haben, wo Rosenthal gefangen gehalten wird.“

„Ich werde es Ihnen gerne zeigen“, krächzte er, und trat mit einem seiner in der Luft hängenden Füße eine Vase um. Sofort heulte eine Sirene durch den Raum, und wenige Sekunden später waren sie von einer Wachmannschaft umzingelt.

„Schade eigentlich,“ meinte Bido während er sich den Hals rieb, „dabei hätten wir so gute Geschäfte machen können.“

 

Ein herrisches Kopfnicken später fanden sie sich in einer dunklen Zelle wieder. Immerhin, eine Sorge hatten sie weniger: Mary Lu befand sich bereits in dem Kerkerraum, als sie hineingeführt wurden. Die ‚falsche‘ Mary Lu hingegen hatte man woanders hingebracht, Jan vermutete, um ihr Hirn neu zu programmieren. Ihm schauderte bei dem Gedanken daran.

„Fragt sich nur noch, wie wir hier wieder rauskommen“, meinte Hedgefield nach einigen Minuten des Schweigens. Jan blickte durch den gut 20 Quadratmeter großen Raum. Auf den ersten Blick sah es ziemlich hoffnungslos aus, es gab kein Fenster, die Tür war nicht nur der einzige Weg nach draußen sondern auch noch allem Anschein nach extrem verstärkt. Dann jedoch fiel Jans Blick auf die kleine Wandnische, in der einige Badutensilien angebracht waren, und er wusste was zu tun war.

 

Wenige Minuten später hämmerte Mary Lu wie wild gegen die Tür. Kurze Zeit später wurde der Sichtriegel weggeschoben und ein mürrischer Wächter blickte durch das kleine Fenster in die Zelle.

Schnauze! Was soll der Scheiß!?“, keifte er. Mary Lu blinkte mit den Augen.

„Einer von uns hat sich aus dem Staub gemacht… ich dachte vielleicht könntest du ein gutes Wort für uns einlegen, wenn wir bescheid sagen…“

Der Wächter lachte trocken auf.

„So dumm bin ich nicht, hier kommt keiner raus!“

Mary Lu hob eine Augenbraue.

„Dann zähl‘ doch nach“, sagte sie und trat einen Schritt zur Seite, sodass der Wächter durch die Tür ins Innere der Zelle sehen konnte. Erschrocken stellte er fest, dass tatsächlich jemand fehlte – nämlich Jan, der sich so geschickt in der Nische verkrochen hatte, dass man ihn von der Tür aus nicht sehen konnte. Denn zwar war die Zelle grundsätzlich so gebaut, dass man von der Tür auch in die Nische blicken konnte, Mary Lu hatte sich jedoch so geschickt positioniert, dass es von der Tür aus zwar so aussah, als habe man die ganze Nische im Blick, der Teil in dem Jan sich verkrochen hatte aber durch Mary Lu verdeckt wurde.

Der Wächter, dem vor allem ein gehöriger Respekt vor seinen Oberen einprogrammiert worden war bekam es mit der Angst zu tun, was passieren würde, wenn unter seiner Aufsicht ein Gefangener verschwunden wäre. Einen Moment lang überlegte er sich, ob er Verstärkung holen sollte, verwarf den Gedanken aber, nachdem ihm auffiel, was passieren würde wenn er jetzt den großen Alarm schlagen würde und er sich am Ende nur verzählt hätte.

Es war dieser Moment, in dem alle Zelleninsassen krampfhaft versuchten sich nicht anmerken zu lassen, dass sie Blut und Wasser schwitzten.

Dann entschied sich der Wächter zum Nachzählen und schloss die Tür auf. Dabei nahm er die Hand von der Pistole, um den schweren Schlüssel zu drehen, und das war sein Fehler. In dem winzigen Moment, den er brauchte, um nachdem er die Tür aufgestoßen hatte wieder zu seiner Waffe zu greifen, hatte Mary Lu ihm diese mit einer blitzschnellen Bewegung aus der Tasche gezogen. Einen Moment lang sah sie der Wächter verdutzt an, dann blähte sich sein Brustkorb, während er offensichtlich Luft holte um nach Hilfe zu rufen. Ohne groß nachzudenken schoss Mary Lu ihm mitten ins Gesicht. Die Waffe gab ein leises Zischen von sich, und einen Lidschlag später klaffte ein fingernagelgroßes Loch im Kopf des Wächters, der daraufhin mit einem letzten erstaunten Blick tot zusammenbrach.

Ohne Zeit zu verlieren schlüpfte Major Hedgefield in die Uniform des Wächters, nahm Mary Lu die Waffe ab und schob die Gruppe zur Tür heraus.

Da sie ja scheinbar in Begleitung eines entsprechenden Offiziellen waren beachtete niemand die Gruppe, jedenfalls bis sie auf das Gebäude zusteuerte, in dem sich mit dem Albagan ihr Ticket nach Hause befand. Zwei Wächter standen vor dem Tor und passten offensichtlich auf, dass niemand sich unerlaubt dem Albagan näherte. Unauffällig blickte sich Mary Lu um, sah aber keine weiteren Wächter in der Nähe. Es war eine schnelle Entscheidung, ein schneller Blick zu Hedgefield, der sofort verstand, und die beiden Wächter kurzerhand über den Haufen schoss. Es war eine schlechte Entscheidung, vielleicht notwendig, aber dennoch mit dem Ergebnis, dass ein Zeuge des Geschehens anfing wie am Spieß zu brüllen. Davon abgesehen war ihre Flucht wohl doch nicht so unbemerkt geblieben, in nicht allzu weiter Ferne konnten sie bereits das Stiefelgetrappel einer größeren Gruppe Uniformierter hören.

In Windeseile schlüpften sie durch die Tür in die Halle mit den filigranen Säulen. Mary Lu stürzte zum Wählcomputer, während im selben Moment die ersten Wächter durch die Tür folgten. Hedgefield gab ein paar Schüsse ab, womit er zwar die Wächter ein wenig in Deckung zwang, dennoch war es offensichtlich nur eine Frage der Zeit, bis die Wächter die überwältigt hätten.

Im Sirren und Zischen der Waffen versuchte Mary Lu von ihrer Deckung hinter dem Wählcomputer die Albagan-Adresse Inistras einzugeben, während immer wieder kleine Stein- und Metallteilchen auf sie herabregneten.

Hurry!“, brüllte Hedgefield, dessen Waffe inzwischen angefangen hatte rot zu blinken, was nur ein schlechtes Zeichen sein konnte.

Dann zischte es jedoch kurz, und mit einem Summen baute sich die Albagan-Kugel auf. Mary Lu hechtete hinüber zum Rest der Gruppe, war aber nicht schnell genug als dass nicht einer der Schüsse ihr Bein erwischte. Mit einem Schrei ging sie zu Boden, war aber schon weit genug gekommen, dass Jan und Ray sie rechtzeitig in Sicherheit ziehen konnten. Dann war die Verbindung fertig aufgebaut, und mit einem finalen Schuss aus der fremden Waffe retteten sie sich in die blaue Kugel.

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