Herr Mommsen macht die Mücke
„Und das wäre dann ihr Zimmer, Herr Mommsen.“ Sagt der Mann in dem billigen blauen Anzug und dem schlecht sitzenden Toupet neben ihm. Der Anzug – Mann hat ihm vor ungefähr zehn Minuten seinen Namen verraten, doch den hat Herr Mommsen längst wieder vergessen.
Er guckt sich das Zimmer an.
Da steht ein Tisch, ein massives Bett aus Krankenhausrestbeständen, ein Stuhl und ein Nachttisch; Wände und Decke sind weiß gestrichen, der Boden aus Pflegeheim - leichtem PVC. Geblümte Vorhänge vor den Fenstern. Es riecht nach Mottenkugeln und Bohnerwachs.
„Ischa gediegen!“ Entfährt es Hinnark Mommsen, ehemaliger Fischer und zukünftiger Bewohner dieser Zelle, sofern es nach dem Anzug – Mann geht - ein fest eingeplanter Neuzugang im „Seniorensitz zum seligen Deichgraf.“
„Is doch n schönes Zimmer, Vadder, noch n paar Bilder anne Wand, Blumen auffen Tisch, dein Lieblingssessel und dein Fernseher, und schon isses richtig gemütlich. Fast wie Zuhause inne gute Stube, wa?“
Herr Mommsen guckt die Frau an, die da gesprochen hat. Er erkennt sie kaum wieder. Sicher, er weiß dass sie seine Tochter ist. Doch was die da sabbelt, das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich, das kennt er ja noch gar nicht. Und von ihm hat sie das bestimmt nicht gelernt.
Der blaue Anzug spricht erneut:
„Wir pflegen bei uns auch allerlei beliebte Aktivitäten. Montags stehen Brettspiele auf dem Programm, Dienstags ist Vorleseabend, Mittwochs altersgerechte Gymnastik, Donnerstags singen wir gemeinsam und Freitags veranstalten wir Bastel – oder Handarbeits – Nachmittage. Des weiteren machen wir verschiedene Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten in der näheren Umgebung. Und es gibt Filmvorführungen, je nach Ansage und an den Wochenenden.“
„Und sonst?“ Fragt der Herr Mommsen den beflissenen Anzug.
„Nun ja, es gibt drei Mahlzeiten am Tag, alles frisch zubereitet in unserer Hauseigenen Küche. Natürlich auch Kaffee und Kuchen jeden Nachmittag. Selbstverständlich bieten wir Ihnen auf Wunsch auch Diätkost, Laktose freie Gerichte, Ganz nach Ihren Wünschen und Bedürfnissen.“
„Soso, und wo bleibt der Spaß an der Sache?“
„Spaß…? Also… wir bieten Ihnen Sicherheit, medizinische und Pflegerische Betreuung und Fürsorge, das ist doch Spaß genug.“
„Nee, ich mein so richtig Spaß. Mit Musike, Schnaps und Weibern, n bisschen Knutschen, n bisschen Ficken und Feiern. Das is Spaß!“
„Also, Herr Mommsen… das hier ist ein christliches Haus, und Feierlichkeiten solcher Art sind bei uns nicht üblich.“
„Schade, könnt n dufter Laden sein, wenn ihr nich so schrecklich staubig und altbacken wärt.
„Aber Vadder, so was sacht man doch nich. Und dann auch noch vor dem Direktor!“
„Soso… so was tut man also nich sagen hier! Dann is ja kein Wunder dass das hier so ´n schimmeliger Laden is in dem nix Spaßiges passiert!“
Die Frau, Mommsens Tochter, wendet sich mit flehendem Blick und ebensolchem Ton in der Stimme an den Mann im Anzug.
„Entschuldigen Sie Herr Direktor, Mein Vater ist eben alt, etwas verwirrt und… na, Sie wissen schon…“
Und sie hebt die Hand, fährt den Zeigefinger aus und kreist damit über ihre rechte Schläfe. Der Direktor guckt auf sie herab, ganz verständnisvoll und erhaben über solch familiären Firlefanz.
„Ich verstehe!“ Sagt er, und fummelt sein Toupet zurecht. „Das Zimmer ist ja reserviert, klären Sie die kleinen Unstimmigkeiten mit Ihrem Herrn Vater und am nächsten Ersten kann er einziehen. Sie werden sehen, sobald er sich etwas eingelebt hat – sich sozusagen akklimatisiert hat – wird es ihm schon gefallen. Er wird dann gar nicht mehr weg wollen. Ich wünsche einen schönen Tag!“
Dann wendet er sich ab und geht. Sein billiger blauer Anzug schmeißt Falten durch den Korridor.
„Du Luder!“ Herr Mommsen, nun alleine mit seiner Tochter, lässt jegliche Zurückhaltung - die ihm familiäre Gepflogenheiten und eine gewisse Zuneigung bisher auferlegten – fahren.
„Du schetterige Planschkuh, du hast wohl n Ballerkopp, du gewissenlose olle Hecks! Verhökerst mich hier an so n dammeligen Antoch, du asich Raffkater!“
„Aba Vadder… !“
„Nix aba Vadder!”
“Ach Vadder, nu hör doch ma´.”
„Da gibt dat nix mehr to hör ´n!“
Und Herr Mommsen marschiert aus diesem gastfreundlichen Grab, lässt sie da stehen, diese Tochter, diese Frau, die er nun nicht mehr kennt. Er marschiert die Straße runter, hat n flotten Schritt aufgelegt und die Sonne scheint auf ihn runter und ne frische Brise kühlt seinen Zorn etwas ab. Er fühlt sich gut und stark und wie damals als er noch n Buttje war und auf seinen ersten großen Törn ging. Das war zwar ne wirklich aasige Schinderei, aber er hatte es überstanden. So wie er alles Schlechte überstanden hat in seinem Leben. Den frühen Tod seiner Frau, den Tod so vieler Kollegen auf See, ja sogar seinen eigenen Tod. Denn seit seinem erzwungenen Eintritt ins Rentnerleben vor einem Jahr fühlte er sich alles andere als lebendig. Er wollte ja auch nicht inne Rente, hatte sich lange dagegen gewehrt. Doch die Zeiten für kleine selbstständige Krabbenfischer waren mehr als schlecht, die Quoten und die gut organisierte Konkurrenz verhinderten ein einigermaßen reelles Einkommen. Da war es schon klüger in die Rente zu gehen anstatt dauernde Verluste einzufahren. Notgedrungen hatte er sich in seinem neuen untätigen Leben eingerichtet; hatte sich sogar ein Hobby zugelegt.
Und jetzt das.
In ein Seniorenschließfach wollte sie ihn abschieben. In ein Mumienheim, in dem er langsam Muscheln ansetzen sollte, ganz morsch und mürbe und staubig werden würde. So das sie sich endlich sein Häuschen unter die lackierten Nägel reißen konnte, und alles was er sonst noch so besitzt.
Das war die Höhe.
Aber nich mit ihm.
Mit Hinnark Mommsen konnte man solchen miesen Verschub nich machen, das is mal sicher.
Herr Mommsen ist fleißig, trotzdem hat es den ganzen Nachmittag gedauert bis er all das Wichtige aus seinem Besitz auf die „Isabella“ geschafft hat. Nun ist der kleine Kutter vollgepackt und zugestellt. Mit Proviant, zweckmäßiger Kleidung, zwei Kisten Rum und seiner Sammlung handgefertigter Buddelschiffe. Er überprüft noch einmal mit selbstsicherem Blick die Instrumente, registriert zufrieden das der Tank so gut wie voll ist, die Positionslichter brennen und das sämtliche Elektronik summt, blinkt oder leise zirpt. Er stellt den Hebel in den Leerlauf und startet den Diesel. Der Motor spuckt einmal, hustet, dann läuft er an. Tuckert gleichmäßig dröhnend vor sich hin. Herr Mommsen verlässt das Steuerhaus und geht nach Steuerbord um die Leinen einzuholen. Als er den Blick hebt, entdeckt er in der nunmehr heraufgezogen Dunkelheit einen hellen, orangeroten Schein in etwa vierhundert Meter Entfernung. Es ist sein Haus das da brennt. Lichterloh schlagen vereinzelt Flammen gen Himmel. Gute Arbeit, denkt Herr Mommsen, die Feuerwehr wird nicht viel zu löschen haben, dafür hat er gesorgt. Und als der erste Kanister mit lautem Knall explodiert, holt er die Leinen ein, stelzt zurück ins Steuerhaus und schiebt bedächtig aber bestimmt den Gashebel nach vorn. Der Kutter zittert, bäumt sich scheinbar auf, und nimmt dann Fahrt auf. Herr Mommsen setzt Kurs Nord – West und gönnt sich den ersten Becher Rum. Der schmeckt ihm seeeeehr gut, und Herr Mommsen fühlt sich gut und ist mächtig zufrieden mit sich und seinem Leben. Eine Möwe begleitet ihn noch ein Stück weit, dann verschwindet der Kutter langsam hinter dem Horizont.
+++++
Text: HarryAltona
Cover: Klaus Steves/www.pixelio.de