Kurzgeschichte
Urlaub mit Benjamin

0
"Urlaub mit Benjamin"
Veröffentlicht am 25. Mai 2013, 26 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Das Schreiben hat mittlerweile Ausmaße erreicht, bei denen ich es nicht mehr als Hobby abtun kann. Es ist zur Krankheit geworden und ist gleichzeitig die Medizin. Problem und Therapie. Ich bin süchtig nach meinem Methadon, es ist mir mittlerweile wichtiger geworden als das Heroin. Die Worte sind Hunger und Brot zugleich. Sie halten mich nachts wach und machen mich tagsüber müde. Nichts liebe und hasse ich so sehr, wie das geschriebene Wort. Ich ...
Urlaub mit Benjamin

Urlaub mit Benjamin

Beschreibung

Eine Geschichte über zwei Brüder und einen ganz besonderen Urlaub. Eine Geschichte über den Tod und das Leben. Eine Geschichte darüber, dass auch Erwachsene manchmal Angst im Dunkeln haben.

Warum sie Benjamin in mein Zimmer gesteckt hatten, wusste ich nicht. Er war zehn Jahre alt, zeitlich gesehen, hatte er gerade mal halb so viel gelebt wie ich.

Die Therapie hatte ihn all seiner Haare beraubt und als ich ihn das erste mal sah, sagte er kein Wort, sondern saß in seinem Dragonball-Pyjama auf seinem Bett und las Comics, fast wie ein ganz normaler, zehnjähriger Junge.

„So einen ähnlichen Pyjama, hatte ich früher auch einmal.“

Als ich das sagte, schaute er nur kurz von den bunten Seiten, mit kleinen Bildchen und Sprechblasen, auf und sagte: „Das ist mein Reisepyjama.“

Dieser Aussage fügte er nichts hinzu, sondern ließ sie im Raum stehen, so als würde sie sich selbst erklären, so als wäre sie das selbstverständlichste auf der Welt gewesen.

„Was für eine Reise?“, fragte ich ihn, da ich seine Worte doch eher rätselhaft fand.

„Na, diese Reise hier. Du bist hier doch auch im Urlaub, oder?“

Diese Antwort schockte mich. Hatte er das ernst gemeint oder war dies nur die, ungeschickt gewählte, Metapher aus seinem Kindesverstand gewesen?

„Du bist doch auch im Urlaub hier, oder?“, fragte mich Benjamin noch einmal, lächelnd.

„Ja.“, murmelte ich leise, da ich nicht wusste, was ich ihm sonst antworten sollte.

„Wie lange hast du noch Ferien?“, fragte er DIE Frage und unabsichtlich hatte er sie so zynisch formuliert, wie man sie nur formulieren konnte.

„Drei Monate.“ Meine Stimme klang für mich jedes mal ein bisschen schwächer, wenn ich auf eine solche Frage antwortete. Wie lange noch? Ich ertappte mich oft dabei, wie ich mir diese Frage selbst stellte. Ich ertappte mich dabei, wenn ich auf Uhren oder auf den Kalender starrte, wenn ich Morgens aufwachte und merkte, dass mich der Traum ein weiteres Mal nicht zu halten vermocht hatte und dass ich wieder in die Zugabe, des immer gleichen Liedes über einen bleichen, tristen Tag gespien worden war.

„Und du?“, fragte ich den kleinen, kahlköpfigen Jungen.

„Weiß ich nicht genau. Meine Mama hat gesagt: So lange, bis ich wieder heim kann.“

Als Audrey Benjamin zum ersten mal sah, lächelte sie ihm zu. Doch ich merkte, dass sie sich dazu zwingen musste. Es bereitete ihr Unbehagen, ein Kind an einem solchen Ort zu sehen.

„Dieser Junge wird sterben.“ Diesen Gedanken blendete sie bei mir immer aus.

Wenn sie mit mir über die Umstände meines Aufenthaltes an diesem Ort sprach, blendete sie den Tod immer aus.

Sie umging ihn, so wie Eltern ein unangenehmes Gesprächsthema umgehen, wenn ihr Sprössling sie beim Frühstück fragt, was es mit den seltsamen Geräuschen, die letzte Nacht aus dem elterlichen Schlafzimmer zu hören waren, auf sich hat.

Das liegt daran, dass es einfacher ist zu sagen: „Mama hat schlecht geträumt.“ Es ist einfacher. Nicht für das Kind, sondern für die Eltern.

Es ist einfacher seinem Kind zu sagen, dass es nur einen Urlaub machen wird, als ihm zu sagen, dass in seinem Körper, ein Gebilde aus mutierten Zellen so lange wächst, bis es stirbt.

So war es auch einfacher für Audrey, diesen Vorgang „Die Krankheit“ zu nennen, statt es kurz und präzise „Krebs“ zu nennen.

Man will solche Dinge nicht aussprechen, weil sie sich dann nie mehr zurücknehmen lassen und man Angst davor hat, dass sich dadurch alles verändert.

Mittlerweile selbst eine Gefangene ihrer Happy-End-Halluziehnation geworden, sagte Audrey oft solche Dinge wie: „Wenn du gesund bist, dann fahren wir ans Meer.“

Ihr war einfach immer noch nicht klar geworden, dass ich dieses Krankenhaus nur zum Sterben verlassen würde.

Wie oft hatte ich schon den Wunsch verspürt, sie anzuschreien um ihr zu sagen, wie grausam das ist? Ich konnte es nie.

Sie würde weinen. Ich konnte es nicht ausstehen, Menschen weinen zu sehen.

Erst recht nicht Audrey.

Ich konnte es nicht über mein Herz bringen, ihr die Hoffnung zu nehmen, die ihre Augen immer wieder zum leuchten brachte.

So ertrug ich es, wenn sie über das Meer sprach, denn eigentlich liebte ich das an ihr.

Ich liebte es, dass ihre Augen strahlten, wenn sie über das Meer sprach. Ich wünschte mir nur, sie würde aufhören „wenn du gesund bist“ zu sagen.

Manchmal wurde ich dadurch nämlich sentimental.

Dann fing ich selbst an zu glauben, dass das salzige Meerwasser eines Tages, beim Tauchen in meinen Augen brennen würde.

In manchen Nächten träumte ich sogar davon, dass der Chefarzt der Onkologie an mein Bett treten würde um mir, ebenfalls mit leuchtenden Augen, zu verkünden, dass ich ihn dazu gebracht hätte, wieder an Wunder zu glauben.

Es war grausam, nach einem solchen Traum in einer Welt aufzuwachen, in der es keine Wunder gab, in der das einzige, was in den Augen der Onkologen leuchtete, die reflektierten CT-Scans waren.

Ich würde das Meer nie wieder sehen, sondern meinen letzten Urlaub mit Benjamin verbringen.

Ich weiß noch, wie mir zum ersten mal klar geworden war, dass ich sterben würde.

Nicht an dem Krebs, sondern einfach nur sterben. Das war vor zwölf Jahren gewesen.

Ich weiß noch, dass es geregnet hatte, es war in der Nacht auf meinen achten Geburtstag passiert. Ich hatte in meinem Bett gelegen, meine Gedanken hatten sich gerade noch voller Vorfreude mit dem nächsten Tag beschäftigt, und plötzlich wusste ich es.

Ohne Vorwarnung hatte sich dieser Gedanke enthüllt und bedrohlich, nach der Unbeschwertheit meiner Kinderseele gegriffen.

„Irgendwann liegst du zum letzten Mal so im Bett. Irgendwann gibt es zum letzten Mal Kuchen und Geschenke.“

Das zu wissen, war schrecklich gewesen.

Nichts ist so entsetzlich wie die erste Konfrontation mit dieser Wahrheit, denn sie ist kein imaginäres Monster unter deinem Bett, das du dir nur einbildest.

Sie ist die grausamste Angst, gegen die auch die tröstenden Worte der eigenen Mutter nicht helfen.

Man kann sie nicht bezwingen, man kann sie nur akzeptieren oder an ihr zerbrechen.

Als ich es geschafft hatte, mich mit meiner Sterblichkeit abzufinden, hatte ich mich wieder auf meine Geburtstage freuen können.

Nichts was danach kam, nicht einmal die Diagnose meines Onkologen, war so schrecklich gewesen, wie dieser eine Moment der Erkenntnis.

Trotz allem, hätte ich nie in einer Welt ohne Tod leben wollen.

Denn ohne Tod hat das Leben auch keine Bedeutung, denn erst die Schwere der Vergänglichkeit, gibt ihm seinen Wert.

Was zählt der Moment, wenn auf ihn unendlich viele weitere folgen?

Die Ewigkeit mordet jeden Traum und jede Leidenschaft und hinterlässt nur Gleichgültigkeit.

Schmerz, Freude, das alles wäre sinnlos.

Wir hätten umsonst gegen unsere Eltern rebelliert und sie hätten uns umsonst vorgeworfen, dass wir unsere Zeit verschwenden.

Zeit verschwenden, das ist Freiheit, das ist eines der größten Geschenke, die uns der Tod macht.

Es wäre schlimmer, einem Menschen Unsterblichkeit zu schenken als ihn umzubringen.

Ich wusste nicht, ob das was ich für Audrey empfand Liebe war. Ich konnte niemandem, auch nicht mir selbst, beweisen, dass ich jemals irgendjemanden geliebt hatte.

Aber ich wusste, dass ich gerne mit ihr alt geworden wäre. Ich hatte mir immer vorgestellt, wie sie eines Tages Witze, über das erste graue Haar auf meinem Kopfkissen machen würde.

Mit zwanzig Jahren hatte ich es nicht erwarten können, alt zu werden.

Ich hatte mir manchmal vorgestellt, Audreys Stirn zu küssen, die vom vielen Lachen und von den Jahren faltig sein würde.

Ich hatte mir vorgestellt, wie wir irgendwann, mit morschen Arthritis-Körpern, Hand in Hand am Meer sitzen würden, mit Knochen die bei jeder Bewegung knirschen würden, wie der Schnee unter unseren Schuhen im Winter.

Aber selbst als ich keine Haare mehr hatte, die hätten grau werden können, hätte ich nicht in einer Welt ohne Tod leben wollen.

Die nächtlichen Telefonate mit Audrey, wie ruhig ich danach schlief, dieses wunderschöne Schwindelgefühl, wenn sie mich anlächelte, ihre Stimme, die nach jeder Silbe, wie eine Feder meinen Körper kitzelte und dann mit der selben Leichtigkeit mein Trommelfell küsste...

oder eben der Glanz in ihren Augen, wenn sie über das Meer sprach.

Ich wusste nicht, ob ich diese wunderbare Schwerelosigkeit, die ich in diesen Momenten verspürte, „Liebe“ nennen durfte, aber ich wusste, dass ich sie sehr vermissen würde.

Ich würde Audrey mehr vermissen als alles andere.

Doch diese Momente, in denen wir aller Logik widersprechend, für einen Augenblick ewig blühen, das können wir nur tun, diese Momente gibt es nur, weil wir selbst nicht ewig sind.

Nur im vergänglichen Leben, findet man unsterbliche Momente.

In einem ewigen Leben, stirbt ein Moment, trostlos in den anderen.

Ja, obwohl es bedeutet hätte, Audrey irgendwann zu verlieren, hätte ich nie in einer Welt ohne Tod leben wollen, denn in einer solchen Welt hätte es Audrey nie gegeben.

Nur ein einziges Mal hätte ich mir fast diese Welt gewünscht, nämlich in der Nacht als Benjamin weinte.

Ein Schluchzen hatte mich geweckt, kein Zweifel. Der Junge im Bett neben mir weinte.

Ich richtete mich auf und schaltete das Licht ein. „Alles in Ordnung kleiner?“

Keine Reaktion, außer Schluchzen. Ich stand auf und wanderte mit dem Infusionsständer um mein Bett herum.

Als ich mich zu Benjamin setzte und die Arme um ihn schloss, verstummte er überrascht für einen Moment. Ich verkniff mir, ihm zu sagen, dass alles gut werden würde, denn das wäre eine Lüge gewesen.

Statt dessen sagte ich, obwohl ich es doch so sehr hasste, Menschen weinen zu sehen:

„Lass alles raus. Keine Angst, du bist nicht allein. Lass alles raus, es ist keine Schande zu weinen.“

Waren das die richtigen Worte gewesen?

Auf einmal spürte ich, wie sich dieser kleine Junge um meinen Hals klammerte und seine winzigen Kindertränen auf mein Nachthemd weinte.

Trotz der Traurigkeit, die im Raum lag, fühlte sich das gut an. Ganz kurz fragte ich mich, wie es wohl gewesen wäre, Vater zu werden.

Es war eine witzige Vorstellung und es war auch schön, mir Audrey als Mutter vorzustellen, aber bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte, riss mich die Stimme des kleinen Benjamins aus meinen Gedanken.

„Wir werden sterben, oder?“

Ich überlegte lange, ob ich denn mutig genug war, diese Wahrheit auszusprechen, die alles verändern würde. Hatte ich überhaupt das Recht dazu?

Doch an der Art auf die Benjamin mich ansah, erkannte ich, dass er ES wusste.

„Ja.“, sagte ich. „Wir werden beide sterben.“

Dann passierte etwas merkwürdiges. Benjamin hörte auf zu weinen. Woran es lag wusste ich nicht. Vielleicht daran, dass die Wahrheit erträglicher wird, wenn jemand den Mut findet sie auszusprechen? Daran, dass diese Worte nicht immer alles zum schlechten verändern?

„Was passiert mit uns, wenn wir sterben?“, fragte mich Benjamin, nun etwas ruhiger.

„Das weiß ich nicht. Das weiß niemand.“, antwortete ich ihm.

„Kann man etwas tun?“

„Mutig sein.“, antwortete ich dem Jungen in meinen Armen und deutete auf seinen Dragonball-Pyjama. „Du musst mutig sein, wie Son Goku.“

Benjamin machte eine trauriges Gesicht. „Aber ich bin überhaupt nicht wie Son Goku.“

„Stimmt.“, sagte ich lachend und legte meine Hand auf seinen kahlen Kopf.

„Du siehst eher aus wie Krillin, aber soll ich dir etwas sagen? Krillin ist der mutigste von allen! Er hat gegen jeden Gegner gekämpft, auch wenn dieser oft viel stärker war und Krillin das wusste. Krillin war immer für seine Freunde da. Das ist doch verdammt mutig, oder?“

„Stimmt.“, sagte Benjamin mit strahlenden Augen, die gerade noch über den Tod geweint hatten. Er war wieder ein kleiner Junge geworden.

„Hast du Geschwister?“, fragte er mich und ich verneinte. „Willst du mein großer Bruder sein?“

Ich nickte lächelnd und fragte ihn dann: „Glaubst du, du kannst jetzt schlafen?“

„Ja, aber können wir ein Licht anlassen? Ich kriege Angst im Dunkeln.“

Seine Stimme war ganz leise, man merkte dass es ihm peinlich war.

„Ich kann meine Lampe anlassen. Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“, fragte ich ihn als ich aufstand. „Ich habe auch manchmal Angst im Dunkeln.“

„Wirklich?“, fragte er mich voller Neugier und mit großen Augen.

„Wirklich!“, lächelte ich.

Als wir in unseren Betten lagen, hörte ich, wie Benjamin immer wieder murmelte:

„Ich bin mutig! Wie Krillin!“

Irgendwann flüsterte er mit einer ganz leise gewordenen Stimme:

„Gute Nacht großer Bruder.“

„Gute Nacht Benjamin.“

Aber er schlief schon und konnte meine Antwort nicht mehr hören.

 

„Du und mein Bruder, ihr werdet heiraten, oder?“, fragte Benjamin Audrey breit grinsend. Aber Audrey lachte nur und erwiderte: „Als ob ich jemals diesen Glatzkopf heiraten würde.“

Als ich das hörte, musste ich ebenfalls lachen.

„Aber irgendwie ist er doch ganz süß.“, fügte sie dann zwinkernd hinzu.

Bevor Benjamin etwas erwidern konnte, deutete ich auf die Uhr und sorgte so dafür, dass der Kommentar den er schon auf den Lippen hatte, vergessen war.

„Dragonball fängt gleich an, Benni.“, dann drehte ich mich zu Audrey und fragte sie lächelnd: „Bleibst du noch?“ Sie grinste. „Tut mir leid, aber ihr müsst wohl auf mich verzichten. Wenn die Schwester noch einmal sieht, dass wir uns zu dritt in ein Bett quetschen, dann darf ich euch wahrscheinlich nie mehr besuchen.“

Sie küsste mich zum Abschied und flüsterte: „Viel Spaß, ihr Kindsköpfe!“, wofür sie sofort ein „Psst“, von Benjamin erntete.

Als wir beide alleine waren, sagte er plötzlich:

„Eigentlich ist es schon ein bisschen wie Urlaub.“

„Bleibst du lange weg?“, fragte mich Benjamin, der einfach nicht aufhören wollte zu weinen.

Mittlerweile waren zwei Monate vergangen und wir beide waren uns ziemlich ans Herz gewachsen.

Zwei Monate. Das hieß, dass mir höchstens ein weiterer blieb.

Merkwürdigerweise merkte ich eine Sekunde später, dass in dieser Kenntnis überhaupt nicht die Schwere lag, die ich erwartet hatte. Hieß das, dass ich glücklich war?

„Nur das Wochenende.“, sagte ich lächelnd und umarmte ihn und freute mich darüber, dass mir das Leben, Benjamin für diesen letzten Weg zur Seite gestellt hatte.

Ein Wochenende würde reichen, um die Sachen zu klären, die irgendwann geklärt werden mussten.

Der Luxus meiner Erkrankung war, dass ich diese Dinge selbst in die Hand nehmen konnte und diesen Luxus wollte ich mir nicht nehmen.

Von der Musik, bis zum Essen danach, ich hatte eine genaue Vorstellung, wie meine eigene Beerdigung aussehen sollte. Wenn man lange in einem Krankenhausbett liegt, fängt man irgendwann an, über so etwas nachzudenken.

Ich wollte, dass sie zwei Songs spielen.

„Somewhere In The Between“, um zu zeigen, dass ich zufrieden gewesen war, auch in einem kurzen Leben. „Nights In White Satin“ für Audrey, weil es ihr Lieblingslied war und ich jedes Mal nur an sie hatte denken müssen, wenn dieser Song irgendwo gespielt wurde.

Außerdem würde ich zuhause meine Überraschung für Benjamin holen.

Meine Überraschung, die er nie sehen würde, denn ich hatte ihn zum letzten Mal umarmt und als ich am Montag in unser Zimmer trat, war sein Bett leer.

Seine Ferien waren zu ende gewesen und er war nach Hause gegangen.

Sein Sarg war bis zuletzt offen. Als ich zu ihm trat, holte ich meine Überraschung aus der Tasche, die eigentlich dazu gedacht war, seine Augen zum glänzen zu bringen.

Es waren sieben Dragonballs aus Glas, die ich zu meinem achten Geburtstag bekommen hatte.

Ich legte sie in den Sarg und beugte mich über ihn, so dass ich Benjamin ins Ohr flüstern konnte:

„Du hast drei Wünsche frei. Wenn du den weisen Drachen Shenlong siehst, dann erzähl mir später wie es war. Ich komme in einem Monat nach.“

Ich küsste ihn auf die Stirn, dann griff ich noch einmal in meine Tasche und brachte die kleine Taschenlampe darin zum Vorschein und schob sie unter seine, übereinander gelegten Hände.

„Damit es nie Dunkel ist kleiner Bruder. Danke für den schönen Urlaub.“

Als wir wieder im Auto saßen, sagte Audrey: „Du wirst also auch sterben!“

„Stimmt.“, sagte ich lächelnd. „Noch ein Monat. So langsam wird es ernst.“

Audrey fing an zu weinen. „Sei nicht traurig.“ Ich lächelte immer noch.

Ich wünschte du hättest auch gelächelt.

Der Tod ist nicht traurig Audrey.

Der Tod gehört nun einmal dazu.

Er ist das Kleingedruckte zu allem schönen.

Sei nicht traurig Audrey.

Sei nicht traurig weil ich krank bin,

denn du hast mich schon so oft geheilt.

Sei nicht traurig weil ich nicht mehr sein werde,

denn mit dir war ich schon mehr als einmal unsterblich.

„Aber was sollen wir tun?“, fragte mich die weinende Audrey.

„Lass uns ans Meer fahren.“

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_90842-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_90842-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111022.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111023.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111024.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111025.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111026.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111027.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111028.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111029.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111030.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111031.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111032.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111033.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111034.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111035.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111036.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111037.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111038.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111039.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111040.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111041.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111042.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111043.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1111044.png
0

Hörbuch

Über den Autor

weltenweiterw
Das Schreiben hat mittlerweile Ausmaße erreicht, bei denen ich es nicht mehr als Hobby abtun kann. Es ist zur Krankheit geworden und ist gleichzeitig die Medizin. Problem und Therapie. Ich bin süchtig nach meinem Methadon, es ist mir mittlerweile wichtiger geworden als das Heroin. Die Worte sind Hunger und Brot zugleich. Sie halten mich nachts wach und machen mich tagsüber müde. Nichts liebe und hasse ich so sehr, wie das geschriebene Wort. Ich kann nicht anders als es als meine Berufung zu sehen. Hermann Hesse trifft es mit seinen Worten am besten. Ich will Dichter werden oder Nichts.-Kerim Mallée

Leser-Statistik
103

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Gast Sehr schöner Text - hat mich bewegt. Ich bewundere Menschen, die sich so treffend ausdrücken können - und dein Bewusstsein auf eine Reise schicken können...
Ich bin auf diese Seite gestoßen und du wirst sicher viel damit anfangen können - mein Geschenk für deine schönen Werke.

http://www.xemanti.com

Weiter so, viel Spaß und schreib mehr!
Vor langer Zeit - Antworten
KatharinaK Re: Re: Da ... -
Zitat: (Original von weltenweiterw am 08.06.2013 - 15:11 Uhr)
Zitat: (Original von kraemerk am 28.05.2013 - 16:26 Uhr) ... wandert die Spucke mit jeder Zeile Richtung Tränenkanal. Wahnsinnig tiefe Zeilen, meisterlich geschrieben, das man die wenigen Fehlerchen überliest, als wären sie nicht da. Allerdings fällt es schwer, alles hintereinanderweg zu lesen.

Katharina

Der letzte Teil gab mir den Rest. Grandios erzählt. Liebe Grüße.


Ich versuche es das nächste Mal noch besser zu machen.
Liebe Grüße
Kerim


Lieber Kerim,

nochviel besser geht ja gar nicht,

Katharina
Vor langer Zeit - Antworten
weltenweiterw Re: Da ... -
Zitat: (Original von kraemerk am 28.05.2013 - 16:26 Uhr) ... wandert die Spucke mit jeder Zeile Richtung Tränenkanal. Wahnsinnig tiefe Zeilen, meisterlich geschrieben, das man die wenigen Fehlerchen überliest, als wären sie nicht da. Allerdings fällt es schwer, alles hintereinanderweg zu lesen.

Katharina

Der letzte Teil gab mir den Rest. Grandios erzählt. Liebe Grüße.


Ich versuche es das nächste Mal noch besser zu machen.
Liebe Grüße
Kerim
Vor langer Zeit - Antworten
weltenweiterw Re: Reise zum Meer -
Zitat: (Original von Zeitenwind am 27.05.2013 - 23:32 Uhr) Mann, diese Geschichte lässt einen nicht mehr so schnell los ...
Nicht nur die Story selbst, sondern auch Dein Schreibstiel ist überaus bemerkenswert. Für mich ein Favo.
Gruß vom Trollbär

Ich kann nur immer wieder sagen:
Danke für das ganze Lob.
Ich muss aufpassen, dass mich das nicht eitel werden lässt.
Liebe Grüße
Kerim
Vor langer Zeit - Antworten
weltenweiterw Re: -
Zitat: (Original von Rehkitz am 26.05.2013 - 18:46 Uhr) Ja, so ist das. Aber glaub mir, es gibt Wunder.
Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße Rehkitz


Das hätte ich nie bestritten.
Vielen Dank
Kerim
Vor langer Zeit - Antworten
KatharinaK Da ... - ... wandert die Spucke mit jeder Zeile Richtung Tränenkanal. Wahnsinnig tiefe Zeilen, meisterlich geschrieben, das man die wenigen Fehlerchen überliest, als wären sie nicht da. Allerdings fällt es schwer, alles hintereinanderweg zu lesen.

Katharina

Der letzte Teil gab mir den Rest. Grandios erzählt. Liebe Grüße.
Vor langer Zeit - Antworten
Zeitenwind Reise zum Meer - Mann, diese Geschichte lässt einen nicht mehr so schnell los ...
Nicht nur die Story selbst, sondern auch Dein Schreibstiel ist überaus bemerkenswert. Für mich ein Favo.
Gruß vom Trollbär
Vor langer Zeit - Antworten
Rehkitz Ja, so ist das. Aber glaub mir, es gibt Wunder.
Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße Rehkitz
Vor langer Zeit - Antworten
weltenweiterw Re: -
Zitat: (Original von Karimela am 26.05.2013 - 13:47 Uhr) Eine sehr berührende, tiefsinnige Geschichte, die den Leser nachdenklich zurücklässt. Deine Gedanken über Tod und Ewigkeit werden mich mit Sicherheit noch eine Weile beschäftigen, da ich das Thema so noch nicht betrachtet habe.
Du schreibst überdies sehr schön und weißt mit Worten umzugehen. Trotz des traurigen Themas hat mir dein Text wirklich gefallen und ich habe ihn gern gelesen.
Liebe Grüße
Karimela

Vielen Dank.
Das ist das was man sich als Autor wünscht:
noch eine Weile beim Leser im Gedächtnis zu bleiben.
Liebe Grüße
Kerim
Vor langer Zeit - Antworten
weltenweiterw Re: Vom Tod und nach Hause kommen -
Zitat: (Original von lenar2 am 26.05.2013 - 13:44 Uhr) Wunderschöne Geschichte, ich liebe sie.

Der Tod ist nicht immer traurig, er offenbart eine neue Welt.
Und auch wenn wir die Trauernden zurück lassen, werden wir sie alle wieder sehen.
Denn im Himmel sind alle gleich. Dort sind alle irgendwann zu Hause.

LG

Na ja, eigentlich verwahre ich mir ja eine Religiöse Erklärung.
Wenn man es genauer überlegt, ist ein Leben nach dem Tod sogar etwas, dass den Vorstellungen des Protagonisten widerspricht und
das er auch gar nicht will.
Aber ich verstehe was du meinst.
Danke für das Lesen und danke für dein Lob.
Liebe Grüße
Kerim
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
16
0
Senden

90842
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung