Kurzgeschichte
Fremder Kuss

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"Fremder Kuss"
Veröffentlicht am 01. Mai 2013, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Fremder Kuss

Fremder Kuss

Die Einkaufsbelege liegen neben den prall gefüllten Einkaufstüten auf den Tisch. Marie sieht sich gerade einige Einzelstücke ihrer neuen Errungenschaften näher an. Hält sich den neuen kurzen weißen Sommerrock, mit einem feinen bunten Blumenmuster und feiner Spitze am Rand, an den Körper. Wunderschön! Allerdings nagt ihr Gewissen schon ein wenig an ihr, da sie doch ein kleines Vermögen, für die ganzen Sachen ausgegeben hat. Was wohl Harald dazu sagen wird?!

 

In Gedanken malt sie sich aus, dass er völlig von den Socken ist, sie in dem neuen Rock total sexy findet und sie sofort in seine Arme sowie in einem leidenschaftlichen Kuss zieht. So wie früher! Bei diesen Gedanken umspielt ein kleines Lächeln ihre Lippen und ihr Herz beginnt aufgeregt schneller zu schlagen. Sie war sich sicher, dass sie es schaffen würde!

 

„Mami!“, kommt es aus dem Wohnzimmer und reißt Marie aus ihren Gedanken. Nie hat sie richtig Zeit für sich! Mit einem Seufzer folgt sie der kleinen niedlichen Stimme ins Wohnzimmer und trifft dort auf ihren kleinen, 3 1/2 Jahre alten, Engel. Johanna sieht sie mit ihren großen blauen Kulleraugen an, ihre blonden Locken fallen ihr bis auf die Schultern. Sie sieht aus wie eine Miniversion von Harald, nur in einem rosa Sommerkleidchen!

 

„Was ist Liebes?“, fragt Marie mit einem Lächeln auf den Lippen. Johanna hüpft ihr in die Arme und schreit laut und lachend „Hunger!“ Marie gibt ihr einen dicken Schmatzer auf den Mund und stellt Johanna wieder auf ihre Beine. „Okay. Ich richte das Essen her!“, Johanna nickt zustimmend und geht in der Zwischenzeit wieder fröhlich zum Spielen.

 

Gerade als Marie mit dem Tischdecken fertig ist, hört sie wie die Haustür geöffnet wird. Harald ist da! „Papi, Papi!“, hört sie Johannas überschwängliche Begrüßung aus dem Wohnzimmer. Es dauert nur wenige Minuten, bis Harald, selbstverständlich mit Johanna auf dem Arm, in die Küche kommt. Jedoch bekommt Maries Freude sogleich einen gewaltigen Dämpfer, da Haralds Gesichtsausdruck ziemlich finster und fast zum Fürchten ist.

 

„Hallo!“, begrüßt Marie ihren Mann leise und unsicher. Sie muss schwer schlucken. Als Antwort erhält sie nur ein unverständliches maulendes Gebrummel, was Maries Herzen einen tiefen Stich versetzt. War Marie Harald nicht mal eine freundliche Begrüßung mehr Wert?! Vorsichtig setzt Harald Johanna auf ihren Stuhl ab. Währenddessen erblickt Harald die vollen Einkaufstüten in der Ecke und die Belege, die nun etwas seitlich auf dem Tisch liegen.

 

Marie kann sehen, wie seine Laune noch weiter in den Keller sinkt. Er wirft Marie einen entgeisterten und aufgebrachten Was-soll-das-Blick zu. Marie beginnt nervös auf ihrer Lippe herumzukauen. In letzter Zeit hatte Harald nicht sehr viel für ihre Shoppingtouren übrig! Im Grund hatte er in letzter Zeit für gar nichts, was Marie anging, viel übrig. Seit er seinen Job gewechselt hat, war er nur noch schlecht drauf!

 

„Ich war ein bisschen einkaufen!“, erklärte sie nach einigen Minuten, wieder beseelt von den Gedanken an den Kaufrausch, den sie am Nachmittag verfallen war, während sie die Brotzeit für Johanna auf den Teller herrichtet. Harald ist gerade dazu übergegangen, die Belege mit wütendem Blick durchzusehen. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr färbt sich sein Gesicht nun rot und eine seiner Adern am Kopf, beginnt hervor zutreten. Nicht gut!!! Gar nicht gut!!! „Lauter Sonderangebote!“, fügte Marie noch rasch hinzu und hofft, Harald damit etwas zu beruhigen.

 

Doch als Harald wieder von den Rechnungen aufsieht, funkelte er sie wütend an. „Marie, sag mal spinnst du?“, platzte es kalt mit einen bösen Unterton aus ihm heraus. „Wozu brauchst du den ganzen Scheiß? Wer soll das bezahlen?!“, er saugt kurz scharf Luft ein und legt zornig nach: „Such dir endlich einen Job!!!“ Bei den letzten zwei Worten wird er immer lauter und knallt die Belege zurück auf den Tisch.

 

Für Marie ist Harald Reaktion wie ein harter Schlag ins Gesicht. Mal wieder! Sie hatte ihren Beruf für seinen Traum von einer Familie aufgegeben, doch das zählte bereits seit langer Zeit nicht mehr. Außerdem, wenn man es genau nimmt, hatte Marie ihren 8-Stunden-Job gegen einen 24-Stunden-Job eingetauscht. Immer tut Harald so, als seien Haushalt und Kindererziehung im Vorbeigehen zu erledigen und sie nur faul zu Hause herum sitzen würde. Für Harald hatte Maries Arbeit keinen Wert

 

Johanna sieht nun schon ganz verschreckt drein! Natürlich bekommt sie bereits mit, dass ihre Eltern streiten. Was in letzter Zeit auch vermehrt vorkommt. Marie weiß gerade nicht, was und vor allem wie sie Harald antworten soll, also starrt sie ihn nur schuldbewusst an. Sie hatte sich hinreißen lassen! Fragte sich, warum sie die ganzen Sachen brauchte? Ganz einfach, damit sie sich besser fühlt! Vor allem aber hoffte sie, dass sie in den Sachen Harald wieder besser anspricht, damit er endlich wieder Notiz von ihr nimmt! Endlich wieder die Frau in ihr sieht, die er vor vier Jahren geheiratet hat.

 

Es gab tatsächlich mal Zeiten, da hatte Harald Marie ohne Worte verstanden. Zeiten, in denen er niemals so überreagiert hätte, wie jetzt, wie in letzter Zeit! Marie schluckt die aufsteigenden Tränen und die schwer auf ihrem Herzen liegende Enttäuschung hinunter. Versucht mit aller Kraft ihre Fassung zu bewahren. Da war sie wieder – die Distanz, das Unverständnis, die Kälte, die sich in der letzten Zeit, eigentlich in den letzten drei Jahren zwischen ihr und Harald eingeschlichen hat. Der sie immer wieder fast ohnmächtig gegenübersteht.

 

Ohne ein weiteres Wort bzw. das Essen auf den Tisch anzurühren, steht Harald auf und geht. „Wo willst du hin?“, ruft Marie ihm mit belegter Stimme hinter her. „In die Werkstatt!“, brummt er verdrossen und wütend. Jetzt kommt auch noch das allumfassende unüberwindbare Schweigen hinzu. Man kann mit Harald einfach nicht Streiten. Er steht einfach auf und geht! „Was?! Willst du nichts essen?“, Maries Stimme wird nun auch ein wenig lauter. „Nein!“, antwortet er gleichgültig und setzt seinen Weg fort.

 

So ein Idiot denkt Marie wütend. Ihr Herz, das gerade noch freudig und aufgeregt war, pocht nun schmerzhaft. Hilflosigkeit macht sich in ihr breit. Eine Ehe zu führen ist harte Arbeit, doch das wird in den Filmen nicht gezeigt. Die Enden immer beim Happy End, doch dass es im wahren Leben weitergeht, wird oft vergessen. Dennoch reißt Marie sich wegen Johanna zusammen, wie so oft in den letzten Tagen, obwohl sie am liebsten laut losgeheult hätte. Sie fühlt sich so machtlos, wenn sie mit Harald streitet.

 

Als Johanna, des ganzen Dramas zum Trotz, fertig aufgegessen hat, räumt Marie den Tisch ab und dabei fällt ihr Blick zufällig auf ihr Handy, das sie auf die Fensterbank verbannt hat. Eine ungeöffnete SMS blinkt auf. Ihre Haut beginnt überall zu prickeln und ihr bleibt kurz die Luft weg. Als sie den Absender liest, beginnt auch ihr Herz sofort wieder schneller zu schlagen und ungewolltes Verlangen rauscht durch ihre Adern.

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Hallo Süße! Sehen wir uns später? Du fehlst mir! D.

 

Eigentlich wollte sie auf diese SMS nicht mehr antworten. Nie wieder! Sie hat es sich ganz fest vorgenommen, es zu beenden – nein sie hatte es ja bereits beendet! Doch David ließ nicht so schnell locker. Irgendwie kämpfte er mit aller Macht um sie, obwohl sie es nicht wollte – oder vielleicht doch?! Seine Worte berührten sie tief in ihrer Mitte.

 

Wann hatte Harald, das letzte Mal so etwas Nettes zu ihr gesagt?! Wann hatte Harald sich zuletzt wirklich für sie interessiert?! Wann hatte Harald zuletzt um sie, ihre Aufmerksamkeit gekämpft bzw. sich darum bemüht?! Es fühlt sich an, als wäre es Ewigkeiten her. Tief einatmend schließt sie die Augen, um besser nachdenken zu können.

 

2 Wochen zuvor hatte Harald Marie bei ihrem letzten größeren Streit durch seine Beleidigungen und seine Ablehnung sehr verletzt. Nachdem Johanna endlich eingeschlafen war, ging Marie völlig aufgelöst in Richtung Wald spazieren, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Der Vollmond schien durch die Baumkronen hindurch und tauchte den Wald in eine beruhigende Atmosphäre. Es war still im Wald und roch herrlich nach Kiefern, Tannen und Birken! Ohne Ziel ging sie weiter in den halbdunklen Wald hinein.

 

Nach wenigen Metern hörte sie es plötzlich hinter sich knacken und sie zuckte vor Schreck zusammen. Die sofort aufgestiegene Angst rauschte in ihren Ohren und sie beschleunigte ihre Schritte. Irgendetwas war hinter ihr, jagte sie. Trieb sie noch weiter, noch tiefer in den Wald hinein. Sie atmete hektisch und abgehackt. Das Licht des Vollmonds wurde mit jedem Meter schwächer. Als sie immer mehr bedrohende Geräusche nur wenige Meter hinter sich wahrnahm, glaubte sie keine Luft mehr zu bekommen.

 

Dann stieß sie gegen einen, aus dem Nichts aufgetauchten, ganz dunkel gekleideten Mann. 1,85 m groß, mit breiten Schultern und wahnsinnig starken Oberarmen, dessen braune Haare ungekämmt zu allen Seiten ab standen. Um Marie vor einem Sturz zu bewahren, hatte sie der Fremde an ihren Armen festgehalten. Marie starrte hilflos vor Angst in die dunkelbraunen Augen des Fremden, die glänzten wie flüssige Zartbitterschokolade und es war als würde die Luft um sie herum zu knistern beginnen. Augenblicklich war ihre Angst verschwunden.

 

Sie fühlte sich auf unerklärliche Weise zu dem fremden Mann hingezogen. Es fühlte sich an, als würde sie ihn schon ein ganzes Leben lang kennen. Er zog sie ohne Worte in seine Arme und raubte ihr mit seinem leidenschaftlichen Kuss den Verstand. Ohne Marie zu kennen, wusste er, was Marie sich wünschte. Was ihr gut tat! Wonach sie sich sehnte! Vorsichtig zogen sie sich gegenseitig aus.

 

Als Marie ihm das T-Shirt ausgezogen hatte, war sie kurz von seinem Tattoo gefesselt. Eine Schlange mit leuchtenden Augen, die sich von seiner muskulösen Schulter bis auf den perfekt durchtrainierten muskulösen Oberarm hinab erstreckt und dabei einen verführerischen reifen saftigen Apfel umschlungen hält.

 

Eva wurde im Paradies von Schlange mit einem Apfel verführt, dachte Marie noch leicht erschrocken. Wenige Sekunden später ließ sie sich (genau wie Eva!) von diesem Traum von einem Mann willenlos verführen.

 

Der Glockenschlag der Turmuhr holt Marie wieder ins Hier und Jetzt zurück! Sie zuckt leicht zusammen. Seitdem hat Marie David regelmäßig jeden zweiten Tag getroffen und ihr Gewissen quälte sie dafür. Sehr sogar! Marie wusste, dass das was sie tat falsch ist. Doch fragt sie sich, warum etwas so grundlegend Falsches, sich nur so gut anfühlen kann?! Die Treffen mit David machten sie entspannter, glücklicher! Sie fühlt sich bei David lebendig und frei! Doch ihr Gewissen wird auch jedes Mal schwerer.

 

Sie weiß, dass sie damit Harald nur verletzt und das ist, bei allem, was zwischen ihnen beiden im Moment auch schief läuft, nicht ihre Absicht! Ganz und gar nicht! Aber vor allem ist Marie klar, dass es früher oder später in einer Katastrophe enden wird. Sie setzt für einen kurzen Moment des entspannten lustvollen Glücks und einer vorgegaukelten Freiheit ihre Familie auf Spiel. War es Ganze überhaupt Wert?!

 

Doch nun beginnt ihr Herz, ihre Seele, vor Sehnsucht nach David wieder schmerzhaft zu pochen. Es hat sie ihre ganze Kraft gekostet, David vor zwei Tagen zu sagen, dass sie sich nicht mehr mit ihm treffen wird. In Wahrheit fühlte es sich an, als ob man ihr das Herz in tausend Teile zerreißen würde. Doch ist Marie davon überzeugt, dass der Verlust ihrer Familie, der Verlust von Harald, noch viel schmerzhafter sein würde.

 

Sie hat sich dafür entschieden um Harald und um ihre Ehe zu kämpfen. Das war auch der Grund für ihren Kaufrausch. Marie ist davon überzeugt, dass sie, mit einigen neuen sexy Klamotten bewaffnet, den Kampf um ihre Ehe aufnehmen und auch gewinnen konnte.

 

Doch nach dem Streit von vorhin spürte sie wie ihr Vorsatz ins Wanken gerät. Sie ist im Moment viel zu schwach, um an ihren Vorsatz festzuhalten! Alles in ihr will David sofort antworten. Das Date für später bestätigen! Mit zittrigen Fingern beginnt sie, eine Antwort in ihr Handy zu tippen.

Just in diesem Moment steht Harald vor ihr. Vor Schreck fällt ihr das Handy aus der Hand und zerbricht auf dem gefliesten Boden in mehrere Teile.

 

Mit purem blanken Entsetzen starrt Marie auf die Überreste ihres Handys. Ihre Knie werden weich und ihr Magen dreht sich buchstäblich um. „Marie!“, seine blauen Augen ruhen auf ihr. Er sucht nach Worten! Ungläubig mit einer Mischung aus Wut, Freude, Unglauben, Furcht starrt sie Harald an. „Wir sollten miteinander reden!“, und in seiner Stimme schwingt eine nicht gekannte Traurigkeit mit.

 

Harald ergreift nun die Hand seiner Frau, die er über alles auf der Welt liebt. Auch er hat sich in den letzten Tagen so seine Gedanken gemacht. Die Veränderung an ihr ist ihm selbstverständlich nicht entgangen. Auch er will um ihre Ehe kämpfen. Daher ergreift er ihre Hand und sie gehen ins Wohnzimmer, um sich endlich auszusprechen!

 

 

 

 

 

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