Kurzgeschichte
Gewitter in der Dämmerung

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"Gewitter in der Dämmerung"
Veröffentlicht am 25. April 2013, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Gewitter in der Dämmerung

Gewitter in der Dämmerung

Ich freute mich seit Wochen auf diesen Abend. Nach zwei Monaten war mein Ex endlich mal wieder in der Lage, unseren 3-jährigen Sohn für einen Abend zu sich zu nehmen.

Aber da es nun soweit war, die Sachen von Benjamin zusammenzupacken wich die Freude einem unguten Gefühl, das sich mit einem ziemlich schlechten Gewissen gepaart hat.

 

War es wirklich das Richtige heute Abend auszugehen?! Was wenn es wieder losgeht?!

Würde Martin mit Benjamin im Notfall zurechtkommen?! Seit einiger Zeit war zwar Ruhe, aber was ist, wenn´s es doch wieder losgeht? Was wenn es wieder losgeht und ich nicht bei Benjamin bin?

 

„Mami!“ reißt mich mein kleiner Sonnenschein aus meinen trüben Gedanken. „Was ist Benjamin?“, frage ich ihn, während er mir in die Arme springt. „Wann kommt Papi?“ und seine blauen Kulleraugen beginnen vor Freude zu leuchten, Benjamins ganzes Gesicht strahlt. Einen Blick in dieses kleine glückliche Kindergesicht und das schlechte Gefühl, die trüben Gedanken sind vergessen.

 

Ich lasse Benjamin meine Uhr betrachten und deute auf die Zeiger und Zahlen der Uhr. „In einer halben Stunde mein Schatz.“ Benjamins Gesicht wird sogar noch strahlender. Die restliche gemeinsame Zeit nutzen Benjamin und ich zum Spielen. Die halbe Stunde vergeht wie im Flug und gerade klingelt es an der Tür.

 

Hüpfend und vor Freude quietschend rennt Benjamin zur Tür und öffnet diese. „Papi!!!“, ruft Benjamin lauthals, springt seinem Vater, den er das letzte Mal vor 2 Wochen gesehen hat, in die Arme und küsst ihn. „Hallo kleiner Mann! Breit für unseren Männerabend?!“ Er lächelt und tätschelt Benjamin den Kopf, dann wendet er mir den Blick zu.

 

Martins himmelblauen Augen fixieren mich und sehen mich mit einem nicht zu deutbaren Ausdruck an. Wie immer verliere ich mich sofort in ihnen. Diese Augen bedeuteten früher den Himmel auf Erden für mich. Früher?! Mal wieder fragte ich mich, wie alles nur so schief laufen konnte. Mein Herz beginnt wie von selbst zu schmerzen.

 

„Hallo Julie!“ Die sanfte raue Stimme von Martin lässt mich leicht zusammenzucken, reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. Antworte!!! Fauchte mich mein Unterbewusstsein. „Hallo … Martin!“ meine Stimme ist leise und brüchig, schnell unterbreche ich den Blickkontakt und wende mich wieder dem Ergebnis unserer einstigen Liebe zu.

 

Etwas unsicher nähere ich mich Benjamin mit einigen Schritten, sodass ich seine Hände berühren kann. Martins Geruch steigt mir in die Nase und die Sehnsucht nach ihm und den glücklicheren Zeiten treibt mir vereinzelte Tränen in die Augen.

 

„Benjamin...“ Seine jetzt noch viel heller leuchtenden Kulleraugen sind wie eine Heilsalbe auf der Wunde meines Herzens. Noch immer auf den Armen seines Vaters beugt er sich zu mir und schlingt seine kleinen Ärmchen um meinen Hals. „... du bist ein braver Junge ja! Du hörst auf das, was Papa dir sagt, okay?!“ Mit ernstem entschlossenem Gesicht nickt Benjamin bestätigend. „Ja Mami!“

 

„Keine Angst Julie ...“ versucht mich Martin zu beruhigen, betont lässig natürlich. „wir kriegen das schon hin!“ Martins Gesichtsausdruck ist genauso ernst und mindestens genauso entschlossen wie der von Benjamin. Würde Martin im Ernstfall allein mit Benjamin tatsächlich klarkommen?! Erneut regt sich das ungute Gefühl tief in meinem Herzen und bringt es dazu schneller zu schlagen.

 

Cool bleiben, du fürchterliche Glucke!!! Schimpft mich mein Unterbewusstsein. Nervös gehe ich zur Garderobe, auf der die gepackte Reisetasche steht. Ich nehme sie und überreiche sie Martin mit den Worten: „Kleidung, Windeln für die Nacht und die Medikamente sind in der Reisetasche.“ Martin sieht mich nun genervt an und rollt mit seinen Augen.

 

Meine ständige übertriebene Fürsorge für Benjamin, und dass ich Martin so vieles einfach nicht zugetraut habe, waren einige der Gründe, warum wir uns trennten! Immer mehr Zweifel beginnen nun in meinen Unterbewusstsein zu nagen.

 

„Ich habe dir die aktuelle Medikation genau aufgeschrieben! Und hier ist der Bedarf für den Notfall!“ Ich drücke Martin die kleine silberne Packung mit roter Aufschrift Diazepam in die Hand. Am liebsten würde ich alles Absagen und bei Benjamin bleiben! „Ja ja. So wir müssen auch dann los!!!“ Ein freudiges Ja kommt aus Benjamins Mund.

 

„Also mach dir einen schönen Abend Julie!“ beginnt Martin sich nun zu verabschieden. „Wo geht ihr eigentlich hin, wenn man fragen darf?!“ Sein neugieriger Blick streift mich. „Ähm ... wir gehen in das Planet!“ als ich die Wörter aussprach, fühlte ich, dass ich eigentlich überhaupt keine Lust mehr zum Ausgehen habe.

 

„Ah der Club bei mir um die Ecke! Der ist nicht schlecht. Siehst du Benny-Schatz Mami ist nicht weit weg von uns.“ Martin streichelt liebevoll über Benjamins Kopf und zwinkert mir zu. „Also dann hab viel Spaß. Bis morgen!“ und damit ließen sie mich allein.

 

….

 

Es dröhnen gerade laut die Bässe von Pitbulls „Feel this Moment“ aus den Lautsprechern und der Rhythmus der Melodie reißt mich, meinen Körper vollständig mit sich; dringt tief in meinen Kopf, meine Seele ein und lässt mich all meine Sorgen, Zweifel, den Alltag vergessen. Meine Freundinnen und ich befinden uns auf der gut gefüllten Tanzfläche und tanzen als gäbe es kein Morgen mehr.

 

Die Endorphine rasen nur so durch meine Venen und ich bin in diesem Moment einfach nur glücklich. Ausgelassen feiern wir drei diesen Abend. Für ein paar Stunden habe ich keine Verantwortung zu tragen, muss nicht auf das Schlimmste warten.

 

Ein paar Typen gesellen sich zu uns mit eindeutigen Absichten. Sie sind Jäger auf der Jagd nach dem nächsten unverbindlichen Abenteuer. Teilweise leicht aufdringlich, jedoch im Gegenzug auch spendabel. Da ich aus der Partyphase meines Lebens eigentlich raus bin, steigen mir die zwei Prosecco, die mir einer der Typen – Tom ist glaub ich sein Name – spendiert hat, schnell zu Kopf.

 

Während Tom und ich eng zusammen tanzen macht sich wieder dieses ungute Gefühl in mir breit, bis ich Glaube Luft mehr zu bekommen. Ohne Kommentar lasse ich Tom einfach auf der Tanzfläche stehen, der mir nun ziemlich verwirrt hinterher Blick. So schnell es die Menschenmenge im Planet zulässt bahne ich mir meinen Weg zum Ausgang.

 

Einer der Männer vom Security lässt mich dankenswerterweise und ohne großes Tamtam an der Nebeneingangstür nach draußen. Die Dämmerung bricht gerade an. Unglaublich ich habe die ganze Nacht durchgefeiert. Die kühle Luft lässt mich wieder tief durchatmen. Ich gehe zunächst einige Schritte hin und her und versuche einen klaren Kopf zu bekommen; mich zu beruhigen.

 

Dann zieht es mich magisch etwas die Straße hinunter. Am Himmel stehen dunkle Wolken. Es zieht ein Gewitter auf und man hört es bereits in der Ferne donnern. Das plötzlich näher kommende ohrenbetäubende Sirenengeheul des mit eingeschaltetem Blaulicht vorbei rasenden Rettungswagen lässt mich vor Schreck zusammenzucken.

 

Ich sehe ihm mit weit aufgerissenen Augen nach. Mein Herz beginnt, sich zu überschlagen. Wenige Meter weiter bleibt der Rettungswagen um die Ecke stehen. Benjamin! Unwillkürlich steigt Panik in mir auf. Automatisch folgte ich hektisch und mit schnellen Schritten dem blickenden Blaulicht.

 

Das ungute Gefühl in mir wird immer schlimmer, immer beängstigender. Oh Gott bitte nicht! Ich schicke alle Stoßgebete, die ich kenne, stumm zu Himmel. Am Rande bemerke ich noch, wie der Wind frischt auf und die dunklen Gewitterwolken in unglaublicher Geschwindigkeit zu uns bringt. Es donnert drohend. Als ich um die Ecke biege, setzt mein Herz einen Schlag aus. Zumindest kommt es mir so vor.

 

Die Rettungssanitäter bringen gerade auf ihrer Trage meinen kleinen Benjamin herunter. Gefolgt von dem Notarzt und Martin. Ich halte kurz inne, dann rennen meine Beine ganz von selbst zu meinem Kind, dass gerade am ganzen Körper zuckend auf der Trage liegt. „Benjamin!!!“, schreie ich der Gruppe entgegen. Der Notarzt und Martin sehen sofort zu mir her.

 

„Julie ... es tut … mir leid!!!“, beginnt Martin zu stammeln, doch wird er vom Notarzt unterbrochen. „Sie sind die Mutter von Benjamin?!“, fragt mich der Notarzt ruhig und sachlich. „Ja!“ platzt es panisch und atemlos aus mir raus. Er nickt mir zu „Steigen sie ein!“ und deutet auf den Rettungswagen.

 

Zitternd steige ich in den Rettungswagen ein. Nicht zum ersten Mal! Mein Blick fällt auf mein Kind, das im Moment irgendwo anders ist nur nicht hier. Benjamins Gesicht ist gerötet, Speichel läuft unentwegt aus seinem linken Mundwinkel. Seine Augen sind geweitet, sodass das schwarz der Pupille das Blau seiner Augen fast ganz verdrängt hat, und nach rechts oben verdreht.

 

„Benjamin Mami ist hier.“, erzähle ich ihm, während ich ihm sanft über sein blondes Haar streiche, in der Hoffnung das er mich hört. Benjamins linke Seite, Arm, Bein zucken unkontrollierbar. Wiedermal muss ich hilflos mit Ansehen, wie der kleine Körper meines Sohnes vollständig von dem epileptischen Anfall eingenommen ist.

 

Die Hilflosigkeit lähmt mich und diese unbeschreibliche Angst um mein Kind lässt mich keinen klaren Gedanken fassen. Niemand weiß, ob Benjamin jetzt vielleicht Schmerzen hat; welchen Schaden der erneute Anfall in seinem Gehirn anrichtet!

 

Doch der Notarzt, der uns heute betreut, schafft es schnell eine Venüle (Venenzugang) bei Benjamin zu legen und ihm etwas zu spritzen, was ihn aus dem Anfall herauskommen und seinen Körper endlich wieder entspannen lässt. Als der Anfall vorbei ist, höre ich Benjamin tief aufseufzen, bevor er in einen tiefen Schlaf gleitet.

 

Nun setzt sich der Rettungswagen langsam in Bewegung und bringt uns in die Kinderklinik. Während der Fahrt betrachte ich nun das schlafende friedlich aussehende Gesicht meines Sohnes. Mein Gesicht ist Nass von meinen Tränen.

 

Auch wenn es nicht der erste große epileptische Anfall war, den Benjamin hatte, so fühlt es sich doch jedes Mal so an, als wenn ich ihn verlieren würde. Ich frage mich, ob ich es hätte verhindern können, wenn ich bei ihm gewesen wäre. Doch im Grunde weiß ich, dass man, wenn das Gewitter in Benjamins Kopf losgeht, einfach machtlos ist.

 

 

 

 

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hjwhite

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