Kurzgeschichte
Die unglaublich uninteressante Erfolgsgeschichte - der Cantal Müller

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"Die unglaublich uninteressante Erfolgsgeschichte - der Cantal Müller"
Veröffentlicht am 23. März 2013, 14 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Über mich gibt es nichts interessantes. Aber jetzt auch mit schönen bunten Bildern.
Die unglaublich uninteressante Erfolgsgeschichte - der Cantal Müller

Die unglaublich uninteressante Erfolgsgeschichte - der Cantal Müller

DIE UNGLAUBLICH UNINTERESSANTE ERFOLGSGESCHICHTE DER CHANTAL MÜLLER





Das Leben der Chantal Müller hätte einen außerordentlich normalen Verlauf nehmen können, wenn ihre Eltern - Kevin und Jasmin Müller aus Köln - Porz sich nicht in ihre Solarium gebräunten Hohlbirnen gesetzt hätten aus ihrer Tochter eine Berühmtheit zu machen.
So verwundert es nicht das Chantal schon im Alter von vier Jahren zu allerlei Castings für Film - und Fotoaufnahmen gezerrt wurde. Dort saß sie dann mit anderen Kindern und ihren Ehrgeiz geplagten Eltern still und steif auf ungemütlichen Holzstühlen. Man dürfe nicht herumlaufen oder mit den anderen Kindern spielen, hatten ihre Eltern sie ermahnt, dass sei schlecht für ihr Make - up und das wunderhübsche Kleidchen das sie zu diesen Anlässen angezogen bekam.
Und Chantal gehorchte ihren Eltern. Denn sie liebte sie und wollte auf keinen Fall das ihre Eltern traurig, wütend oder gar enttäuscht über ihr Verhalten wurden.
Also hockte sie stumm und steif auf ihrem Stuhl und beguckte sich die anderen. Die sahen fast genauso aus wie sie: Blonde Haare, zu niedlichen Zöpfen geflochten, sauber geschrubbt und geschminkt. Sogar dem einzigen Jungen in diesem Raum hatten seine Eltern Rouge und Eyeliner draufgeschmiert. Und das nicht zu knapp - der Knirps sah aus wie die Karikatur eines kurzsichtigen Clowns. Doch Chantal verkniff sich gehorsam ein herzhaftes Lachen, ließ nur ganz kurz ihre Mundwinkel nach oben zucken. Was sogleich einen ermahnenden Blick und einen warnenden Zischlaut ihrer Mutter zur Folge hatte.

Eine Tür wurde aufgestoßen, aus der eine junge Frau mit einem Brett und allerlei Zetteln trat.
 "Nu aber rein mit den kleinen Nutten!" Hörte Chantal einen unsichtbaren Mann aus dem Raum rufen. Und noch ehe sie ihre Mutter fragen konnte, was denn eine Nutte sei, wurde sie auf die Füße gestellt, ihr Kleidchen glatt gestrichen und sie in diesen Raum geführt.
Dort war es sehr hell, und sehr warm. Und eine Menge ihr fremder Menschen wuselten hinter allerlei absonderlichen Geräten hin und her, während ein dicker Mann mit Brille und Glatze sie herzlich anschnauzte.
Man wies sie an, sich hier und dort hinzustellen, den Kopf mal nach Rechts oder Links zu drehen, ihre Arme mal nach oben dann wieder nach unten zu machen. Und das Wichtigste: Immer dabei zu Lächeln!
Denn das war das allerallerwichtigste, wie ihre Mutter immer und immer wieder sagte: Immer Lächeln, Herzchen! Auch wenn ´s nicht lustig ist, wenn dir langweilig ist oder dir was weh tut. Egal. Hauptsache Lächeln!
Und Chantal lächelte bis ihr kleiner Kiefer krachte und ihre Wangen schmerzhaft pochten.
Sie bekam den Job.
Nun hieß es zweimal in der Woche in einem Fotostudio zu posieren, anstatt im Kindergarten mit den anderen Vierjährigen zu spielen, Lieder zu singen oder zu Basteln.
Man zwängte Chantal in immer engere Kleider, in Hosen und T - Shirts und Schuhen und beknackten Mänteln, obwohl es doch immer sehr warm war bei diesen Fotoheinis.
Sogar in Unterwäsche ließ man sie herumhopsen, was Chantal doch irgendwie komisch und unangenehm fand, besonders dieses komische Glitzern in den Augen der Männer irritierte sie. Wenn ihre Mutter ihr nicht gut zugeredet hätte, wäre sie wohl einfach davongelaufen.

Doch mit der Zeit verlor sich ihr hinderliches Schamgefühl. Leider verlor sich auch die ausnehmende Niedlichkeit der kleinen Chantal.
Und in ihrem ersten Schuljahr erarbeiteten ihre liebevoll - fürsorglichen Eltern eine neue Strategie in Sachen medialer Dauerpräsenz ihrer so folgsamen Tochter.
Nachdem sie die doch sehr üppigen Honorare für das Modeln ihrer Tochter in ein neues Auto, neue Klamotten und Schuhe für sich investiert hatten, statteten sie jeder Agentur die auch nur im Entferntesten versprach jede talentfreie Fresse ins Fernsehen zu bringen, einen Besuch ab. Dort feilschten sie dann akribisch um Formate, Sendeminuten Plus Vergütungen. Nur den Inhalten dieser Sendungen widmeten sie kaum eine Minute.
"Die macht alles! Hauptsache Fernsehen! Denn schließlich soll sie es mal besser haben als ihre Eltern!" Wie ein überliefertes Zitat Kevin Müllers allzu deutlich machte.
Und so kam es, dass das deutsche Fernsehvolk bald darauf eine zuckersüße Siebenjährige anstarrte, die ihnen mit unnachahmlicher Mimik den genauso schmeckenden Joghurt, Bonbons, Fruchtsaft und Fast - Food feilbot.
Die Werbetreibenden waren begeistert.
Die Marketingabteilungen ebenso.
Und dem Fernsehvolk ging diese vorlaute Göre mit ihrem Getue bald gehörig auf die Nerven.
Die so vielversprechend angelaufene Karriere der kleinen Chantal geriet erneut kurz ins stocken.
Zum Glück herrschte in der Fernsehlandschaft reichlich Nachfrage an jungen Spatzenhirnen mit hübschem Gesicht und einem Minimum an Selbstachtung. Die kleine Chantal musste nur das Fach wechseln.
Fortan sahen die Leute die sich wirklich alles ansehen, die Minderjährige Laienmimin in reißerisch getürkten Doku - Soaps,  unglaublich unrealistischen Gerichtsshows und nervtötenden Talksendungen in denen die erstaunlich untalentierte Chantal sich durch ihren Text stotterte, sich bewegte wie ein bekiffter Besenstiel und an den unmöglichsten Stellen an zu lachen fing.
Doch die Produzenten fanden, dass sie das wirklich gut machte. Die Produzenten fanden die kleine Chantal ganz hinreißend, süß und soooo was von folgsam das sie kaum die Finger von ihr lassen konnten.
Dauernd wurde sie angefasst, getätschelt und befingert. Chantal fand das ja nun nicht so toll, doch ihre Eltern ermahnten sie inbrünstig still zu halten.
" Is doch nix bei, wenn dir einer n bisschen betatscht!" Sagte ihr Vater immer wenn sie von einem Drehtag nach Hause kam und ihm ihr kleines Herz ausschüttete. Wobei ihre Mutti über das gesagte nur bekräftigend mit ihrem kolossal geschminkten und absurd braun gegerbtem Gesicht nickte.

Also machte Chantal einfach weiter.

Und es fing an ihr zu gefallen. Nicht nur die ungläubig staunenden und mitunter neidischen Blicke ihrer Mitschüler wenn sie von ihrer "Arbeit" erzählte, nein, auch diese kleinen Aufmerksamkeiten und schmeichelnden Komplimente der Erwachsenen, die sie glauben ließen in der Welt der "Großen" angekommen zu sein vermittelten ihr ein sattes Gefühl von Stolz das sich von Tag zu Tag zu maßloser Arroganz steigerte. Ihre glaubhaft überlieferten Zitate aus dieser Zeit sind:
"Hol mir ne Cola!"
"Geh mir aus dem Licht!"
"Nimm die Finger da weg!"
"Mehr Lipp - Gloss!"
"Verschwinde du Nichts!"

In den seltenen Augenblicke die sie im schulischen Unterricht verbrachte blieben indes nur die zwei am häufigsten von ihr benutzten Worten in Erinnerung. Nämlich: "Keine Ahnung!"

Im Alter von gerade einmal 14 Jahren hatte Chantal dann den ultimativen Sinn des Lebens, ihrer Existenz, ihrer wahren Bestimmung entdeckt. Es war, zugegeben, ein recht einfacher und eindimensionaler Blick auf die Dinge die die Welt bewegen. Aber sie fand das sei genug und ihrem kümmerlichen Intellekt durchaus angemessen. Und fortan sah sie die Welt eben mit ihren Augen: Etwas Schönes ist gut! Schönheit ist Kapital und Lebenszweck! Schöne Menschen sind gut; Schöne Kleidung ebenso. Schöne Schuhe sind himmlisch! Wenn es auch noch glitzert umso besser! Alles Hässliche auf dieser Welt, egal ob Menschen, Hunger oder Krieg war schlecht, und  Wert das sie es ignorierte. Bei schönen weiblichen Wesen war sie sich noch nicht so sicher. Entweder bedeuteten sie Vorbild oder Konkurrenz. Da musste der Einzelfall entscheiden.

Mit 15 Jahren war es nun an der Zeit sich dem Standartbild - wie das die Verantwortlichen in der Fernsehwelt forderten - anzupassen. Schönheitsoperationen waren angesagt. Sie fanden eine Produktionsfirma die die Kosten übernahm und sich die Exklusivrechte an der Verwertung des produzierten Materials sicherte.
Also legte man Hand und Skalpell an das bis dahin recht durchschnittliche Gesicht der Chantal Müller. Sie bekam eine neue Nase, ihre leichten Segelohren wurden angelegt, ihre Wangen unterfüttert und das Kinn erhaben modelliert. Ihre Lippen wurden aufgespritzt und die Stirn geglättet. Das Ganze dauerte Wochen, stets begleitet von einem Kamerateam, und Chantal lächelte tapfer in jedes Objektiv, obwohl sie sich fühlte und auch so aussah als wäre sie gerade vom gesamten Fuhrpark der Kölner Verkehrbetriebe überfahren worden.

Als Dreingabe gab es obendrauf noch eine Korrektur ihrer Zahnstellung Plus kräftigem Bleaching, so das ihr Gebiss fortan heller strahlte als jede demütige Seele Weit und Breit.

Nun war Chantal wohl gerüstet um jedem Produzenten auf der Besetzungscouch selbstbewusst gegenüber zu liegen. Ihre sichtbare Oberfläche strahlte in frischem Glanz und ihre oberflächlichen Antworten auf Fragen zu ihrer Schulischen - und Beruflichen Ausbildung suchten ihresgleichen. So das sie weiterhin auf seriöse Angebote, die ein Mindestmaß an Schauspielkunst voraussetzten, verzichten musste. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als weiterhin im Verdauungstrakt der Fernsehunterhaltung zu wühlen. Und sie wühlte überall. Sie war Mitten im Leben, bei den strengsten Eltern der Welt und angebliches Opfer bei der sprachgestörten Richterin Salesch; sie war allein bei Zwei bei Kallwass, eine notorische Schulschwänzerin bei den Schul - Ermittlern. ( Eine Rolle, die nicht näher an der Realität hätte sein können.) Zu guter letzt ließ sie sich mit ein paar anderen im Leben gescheiterten aber gut aussehenden Dumpfbacken für ein paar Wochen in einen von Kameras überwachten Wohncontainer einschließen.
Die Gagen für diese Auftritte - die weder Welt bewegend oder zumindest halbwegs interessant waren - investierte ihr treusorgender Vater und auf Nachhaltigkeit setzender Manager in ein paar neuer Brüste für Chantal und in eine Anzahlung für eine Finca auf Mallorca für sich selber. Ein paar Hunderter blieben übrig, die dann an einen Skrupel - und Geschmacklosen Plattenproduzenten flossen, der umgehend ein flottes Liedchen mit der total unmusikalischen Chantal produzierte.
Der Song war schlecht: Vollkommen Nichtssagend und uninspiriert.
Und wurde umgehend ein Hit. Was wiederum unwiderlegbar bewies, dass der aktuelle Plattenkäufer für derartige Nicht - Musik durchweg entweder unter 10 Jahre alt war, oder einen Intelligenzquotienten von unter 60 Punkten aufwies.
Vielleicht aber spielte auch der Umstand eine Rolle, dass Chantal nun keine Gelegenheit mehr ausließ um ihre enormen Hupen in jedes auf sie gerichtete Objektiv zu halten.
Der Weg hin zu einem ewig währenden ruhmreichen Dasein im VIP - Bereich des Lebens war geebnet für die kleine Chantal Müller aus Köln - Porz.
Fortan wurde sie von allerlei Promi - Quiz - Sendungen, Promi - Koch - Show ´s und Eröffnungsfeiern von neuen Möbelmärkten eingeladen. Mit ihrem neuen Promi - Status änderte sich auch ganz automatisch ihre Berufsbezeichnung. Aus einer ungelernten Schulabbrecherin wurde ganz selbstverständlich eine Schauspielerin und Sängerin, eine Schmuckdesignerin oder einfach ein Multi - Talent, je nach dem Doofheitsgrad der Zuschauer dieser Sendungen funktionierte das ganz ausgezeichnet.

Momentan weilt Chantal Müller im Dschungel von Australien wo sie für die Aufzeichnung einer Show gebucht ist die davon lebt, potentielle Zuschauer durch unverhohlene Schadenfreude und angeblichen Ekel zum Kotzen zu bringen, indem man die anwesenden und angeblichen Prominenten zwingt, allerlei Insekten und obskure Körperteile von Tieren zu essen. Ein Format das sich selbstverständlich großer Beliebtheit beim Fernsehvolk erfreut. Und das uns vor Augen führt, dass die kleine Chantal nun endgültig im Enddarm der medialen Unterhaltung angekommen ist. Und dort noch für eine lange Zeit bleiben wird - ähnlich einem Tumor - der wächst und gedeiht.  
Doch bis dahin werden sich die Menschen an der schonungslos ehrlichen Autobiografie der Chantal Müller erfreuen können. Sie wird in diesen Tagen von einem unterbezahlten Lohnschreiber verfasst, der die kleine Frau Müller noch nie in seinem gesehen hat. Wir sind gespannt.

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HarryAltona
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Ameise Wie bewegt sich ein bekiffter Besenstil? Gut beschrieben das menschliche Heiligtum.
Vor langer Zeit - Antworten
HarryAltona Tausend Dank an die fleißige Ameise. Habe Zucker über meine Geschichten gestreut.
lg... harryaltona
Vor langer Zeit - Antworten
Ameise Ich genieße.
Vor langer Zeit - Antworten
urmelchen Nette Geschichte - über alle Chantals dieser Welt. Gut geschrieben, bitte noch Fehler korrigieren.

Ansonsten Grüßle

urmelchen
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Leider gibt es - viele dieser Chantals und auch diese Eltern, die aus ihren Kindern hörige Hohlköpfchen machen. Toller Text (wenn auch mit kleinen Fehlern), ist mir glat einen Favo wert.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
welpenweste hieß nicht Chantal Müller ursprünglich Konstanze?
Und wann bringt Chantal ihr Buch raus?
Amüsemont , Verzeihung Amüsement pur!
Günter
Vor langer Zeit - Antworten
Bleistift  DIE UNGLAUBLICH UNINTERESSANTE ERFOLGSGESCHICHTE - Ich weiß nicht, was Du gegen den schlechten Geschmack in den Medien hast...
Hat sich doch grade erst richtig gut etabliert und und unter uns gesagt, ist auch nicht mehr aufzuhalten oder gar wegzudenken, der ganze Mist, der da über die gesamte deutsche Medienlandschaft ausgekotzt wird...
Ich finde zum Beispiel diese Erfolgsgeschichte hier echt super!
Lacht*
LG Louis :-)
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Gelixx Ja, die Chantalle - und das Dschungelcamp, eine herrliche Geschichte lieber Harry, einen lieben Wochenendgruß sendet dir Geli
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