Eine kleine Geschichte über einen kleinen Menschen
Alles umsonst …
© by Pinball
Wolfgang Omritz, von allen nur Wolli genannt, war ein sehr kontaktscheuer und auch einsamer Mensch. Er hatte sich nie getraut, eine Frau anzusprechen, was auch zum Teil daran lag, daß er mit seinen gerade mal 1,60 m Körpergröße in seinen Augen nicht gerade dem entsprach, was Frauen sich wohl so wünschten.
Er hatte zwar einen ziemlich großen Bekanntenkreis, ging mit Freunden gemeinsam Kegeln, war Mitglied in einem Sportverein und auch bei seinen Kollegen war er sehr beliebt. Viele Single-Frauen gehören zu diesem Kreis, aber er fand einfach nicht den Mut, eine von ihnen anzusprechen, zu groß war seine Angst vor einer Zurückweisung.
Eines Tages hatte er einen Zeitungsartikel gelesen über Kontaktbörsen im Internet und nach langem Zögern hatte er sich dort angemeldet. Er hatte sich so ehrlich wie möglich beschrieben, auch ein Foto eingestellt, allerdings nur ein Brustbild, weil er bewußt seine Körpergröße nicht angegeben hatte.
Viele Frauen hatte er angeschrieben, das fiel ihm leicht, weil er ihnen ja dabei nicht gegenüber stand. Einige Frauen hatten auch geantwortet, aber nach nur einigen gewechselten Mails hatte sich schnell herausgestellt, daß sie aus den verschiedensten Gründen nicht zusammen passen würden.
Aber eine, Anita, die hatte es ihm angetan!
Sie schrieben sich sehr oft und je mehr Mails sie wechselten, umso mehr Gemeinsamkeiten stellten sich heraus. Ja, sie könnte es sein, die Eine, die er suchte.
Sie hatte ihm auch ein Bild geschickt und er war begeistert gewesen, einfach nur hinreißend sah sie aus, lange dunkle Haare, wunderschöne dunkle Augen und auch eine Figur, die ihm sehr gefiel. Die Sache hatte nur einen einzigen kleinen Haken: sie hatte in ihrem Inserat angegeben, daß sie 1,70 groß sei und da war es wieder, sein Problem.
Und nun hatten sie auch noch ein Treffen verabredet, sozusagen die Stunde der Wahrheit.
Wolli überlegte, ob er das Treffen nicht doch unter irgend einem Vorwand absagen sollte, aber konnte es nicht übers Herz bringen, es klang alles einfach zu gut. Und da kam ihm die rettende Idee, ausgelöst durch ein kleines Inserat in der Zeitung. Schuhe, einfach nur ein paar Schuhe mit Einlagen, oder hohen Absätzen, die ihn größer erscheinen lassen würden, das war es doch!
Er rief auch sofort bei dem Laden an, der die Anzeige aufgegeben hatte und erklärte, er suche ein paar Schuhe, die ihn ca. 10 cm größer wirken lassen würden, aber es mußten schon solche Schuhe sein, denen man diese kleine Mogelei nicht ansehen würden.
Sein Gesprächspartner erklärte ihm, da werde sich bestimmt etwas finden lassen. Er ließ sich die Schuhgröße von Wolli geben und sie vereinbarten für den späten Nachmittag einen Termin, bis dahin sollten schon einige Schuhe, die in Frage kommen könnten, bereit gestellt werden.
In einer beschwingten Laune beendete Wolli das Telefonat. Er freute sich jetzt auf das Treffen mit Anita, das in zwei Tagen stattfinden sollte, schrieb ihr sofort eine Mail, daß er sich sehr auf sie freuen würde. Sie wohnte im Nachbarort und da Wolli mit dem Zug fahren würde, vereinbarten sie, daß sie sich am Bahnhof treffen würden.
Wolli konnte den Rest des Tages an nichts anderes mehr denken an diese Schuhe, die er nachher kaufen und die sein Problem lösen würden. Er machte sogar etwas früher als sonst Feierabend, um zeitig in dem Schuhladen sein zu können.
Im Schuhladen angekommen, wurde er auch schon von einem Verkäufer erwartet, der ihn in einen kleinen Nebenraum führte. Dort waren tatsächlich schon etliche paar Schuhe für ihn bereit gestellt worden.
Wolli ließ sich die Vor- und Nachteile der einzelnen Schuhe erklären und hörte mehr beiläufig auch den Hinweis des Verkäufers, er solle in jedem Fall die Schuhe erst in seiner Wohnung einlaufen, um sich daran zu gewöhnen, da es ein völlig anderes Laufgefühl für ihn sein werde.
Die Anprobe dauerte mehr als eine Stunde, bis Wolli sich für ein paar Schuhe entschieden hatte. Ein paar einfache schwarze Schuhe, aber so hervorragend gearbeitet, daß tatsächlich nichts davon zu sehen war, daß sie den Träger doch um einiges größer wirken ließen. Er war auch gern bereit, den doch nicht geringen Preis zu zahlen, 297,50 Euro kosteten ihn die Schuhe. Er zahlte mit seiner Bank-Karte, ließ sich die Schuhe einpacken und machte sich auf den Weg nach Hause.
Zu Hause angekommen, machte er sich schnell eine Kleinigkeit zum Essen, dann setzte er sich an den PC, um noch mit Anita zu chatten. Sie schrieb ihm, daß sie sich sehr auf das Treffen freuen würde und daß sie ihn betreffend ein sehr gutes Gefühl habe. Er wisse ja, daß sie schon länger auf der Suche nach einem Partner sei, aber so sicher, das es passen würde, so sicher war sie noch nie gewesen.
Ein Glücksgefühl durchströmte Wolli, er war aufgeregt und voller Hoffnung und hoffte, daß die beiden Tage bis zum Treffen ganz schnell vergehen würden.
Am nächsten Tag stürzte er sich in seine Arbeit, konnte sich aber kaum konzentrieren, weil seine Gedanken immer voraus eilten, zu dem Treffen, zu Anita.
Der Tag verging schnell, auf dem Weg nach Hause nahm er sich aus einem Imbiß etwas zum Essen mit, er wollte so schnell wie möglich an den PC und mit Anita schreiben. Stundenlang wurde gechattet und nochmals das Treffen bestätigt und Anita schrieb ihm auch, welche Kleidung sie tragen würde, damit er sie auch auf jeden Fall erkennen würde, außerdem tauschten sie noch ihre Handy-Nummern aus, falls sie sich doch verpassen würden.
Hundemüde aber glücklich fiel Wolli in sein Bett und schlief mit den Gedanken an Anita ein.
Am nächsten Morgen stand er etwas früher auf, als sonst, obwohl Sonnabend war und er nicht zur Arbeit mußte, aber er war einfach zu aufgeregt, voller Vorfreude und fühlte sich kribbelig bis in die Haarspitzen. Er bereitete sich ein Frühstück zu, las dabei die Tageszeitung und lies alles sehr ruhig angehen, obwohl er sich zur Ruhe zwingen mußte. Die Zeit verging ihm viel zu langsam, das Treffen sollte ja erst um 16.00 Uhr sein und bis dahin waren es noch einige Stunden.
Also wurstelte er in seiner kleinen Wohnung herum, räumte auf, putzte Staub, saugte überall, er tat alles, um sich irgendwie zu beschäftigen. Als es dann endlich 13.00 Uhr war, ließ er alles stehen und liegen und begab sich ins Bad. Er rasierte sich gründlich, duschte ausgiebig und nahm etwas von dem neuen Rasierwasser, das er sich extra gekauft hatte. Dann ging er an seinen Kleiderschrank und nahm sich die Sachen zum Anziehen heraus. Er hatte schon seit der Verabredung des Treffens genau überlegt, was er anziehen wollte: eine dunkelblaue Hose, ein kariertes Hemd dazu und darüber ein hellgraues Sakko. Keine Krawatte, das war ihm zu förmlich. So zog er sich rasch an, zum Schluß stieg er in die neuen Schuhe.
Schon bei den ersten Schritten hatte er ein komisches Gefühl, irgendwie lief er nicht rund, kam sich vor, als sei er leicht angetrunken.
Ihm fiel der Rat des Verkäufers ein, die Schuhe in der Wohnung einzulaufen und so lief er noch etwas auf uns ab. Die Schuhe saßen wie angegossen, nichts drückte oder zwickte, trotzdem war es ein seltsames Gefühl, als zöge ihn irgend etwas nach vorn herüber.
Wolli zuckte die Achseln, was soll’s, dachte er, das wird sich schon noch geben. Und so verließ er seine Wohnung und fuhr mit dem Bus zum Bahnhof. Er kaufte in dem kleinen Blumenladen im Bahnhof noch eine langstielige rote Rose und zog sich dann die Fahrkarte rasch am Automaten, ging zum Bahnsteig hinauf.
Dort lief er auf und ab und wartete ungeduldig auf den Zug. Als der Zug nach einigen Minuten ankam, stieg Wolli ein, er hatte Mühe, einen Sturz zu vermeiden, als er die beiden Stufen in den Waggon herauf stieg. Ich hätte auf den Verkäufer hören sollen, sagte er sich, aber jetzt ist es sowieso zu spät. Und außerdem, er hatte vor, mit Anita Essen zu gehen, möglichst wenig laufen und erst recht keinen langen Spaziergang.
Der Zug brauchte eine gute halbe Stunde und hatte auch noch einige Minuten Verspätung, es würde also sehr knapp werden, pünktlich zum Treffen zu sein. Endlich hielt der Zug an Wollis Zielbahnhof. Vorsichtig stieg Wolli aus dem Zug aus und ging mit raschen aber irgendwie seltsamen Schritten auf die Treppe zu, die zum Ausgang führte.
Nach zwei Stufen kam er ins Straucheln, versuchte verzweifelt das Gleichgewicht wieder zu finden, aber es gelang ihm nicht. Mit wild rudernden Armen, die Rose dabei krampfhaft festhaltend, fiel Wolli die Treppe herunter, überschlug sich dabei mehrfach und knallte heftig gegen die Treppenstufen.
Er hörte das heftige Knacken, fühlte den unglaublichen Schmerz in beiden Beinen – gebrochen – sagte er zu sich selbst, dann landete er wie endlich am Ende der Treppe auf dem Boden.
Dort lag er wie ein Maikäfer auf dem Rücken, völlig verdreckt, ein Ärmel von seinem Sakko war abgerissen, die Hose aufgerissen.
Die Rose hielt er immer noch in der Hand, die Beine waren seltsam verdreht und taten höllisch weh.
Er hörte kaum, wie die umstehenden Menschen sich erkundigten, ob ihm etwas passiert sei, wie jemand nach einem Arzt oder Krankenwagen rief, seine Augen versuchten den Menschenkreis um ihn herum zu durchdringen, er hielt nur Ausschau nach Anita!
Und dann teilte sich der Kreis aus Menschen um ihn herum, besser gesagt, er wurde geteilt, und zwar von einer Frau, die sich durch die anderen hindurch drängelte.
Wolli sah die dunklen langen Haare, sah in diese wunderschönen dunklen Augen, das konnte nur, das mußte Anita sein!
Und dann ließ er seine Augen an ihrer Gestalt herunter gleiten, über ihre Figur und das … nein … das konnte doch nicht wahr sein!!! Sie war höchstens, wenn überhaupt, 150 cm groß!
Alles umsonst, dachte Wolli, nein, nicht umsonst, 297,50 Euro!