Kurzgeschichte
Dunkelschwarze Geschichten

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"Dunkelschwarze Geschichten"
Veröffentlicht am 12. März 2013, 16 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Dunkelschwarze Geschichten

Dunkelschwarze Geschichten

Beschreibung

Einige düstere Kurzgeschichten, die sich mit den Themen Tod und Liebe sowie Einsamkeit beschäftigen.

Grabstein

Langsam schritt ich an den Gräbern vorbei. Mittlerweile kannte ich den Friedhof auswendig. Meine Füße trugen mich wie von alleine durch die Finsternis der Nacht. Licht brauchte ich nicht. Der schwere Geruch feuchter Erde stieg mir in die Nase. Nicht mal das leise zirpen der Grillen war zu hören – nur der Tod. Die Totenstille eines Friedhofes.

Der Hauptweg endete und ich bog nach links ab, auf einen schmalen Pfad. Überall lagen die Toten unter der Erde begraben, verwesend, ohne Leid. Ohne das Leid des Lebens, ohne die Einsamkeit der Welt. Ohne ein zerbrochenes Herz und einer verletzten Seele?

Ein leiser Windhauch, zartes Rascheln der Bäume. Ich schaute in den Himmel, zu den Sternen, zum Mond. Schwaches Funkeln, verstreut in der Unendlichkeit. Mussten Sterne leiden? Schreckliche Qualen durchstehen, um der Erlösung näher zu rücken?

Jetzt war ich fast da. Nur noch wenige Schritte trennten mich von Schmerz und Kummer, von Erleichterung und Hoffnung. Ich blieb stehen und betrachtete die Rose in meiner Hand. In dem Dunkel der nächtlichen Stunde sah ihr blutrot beinahe schwarz aus. War das Leiden meiner Seele auch nur eine Illusion? Oder die Hoffnung, die ich hegte, der schwache Lichtschimmer in einem schwarzen Meer?

Ich machte die letzten Schritte und kniete mich nieder. Kniete nieder vor dem Grab des einzigen Menschen, den ich je wirklich liebte. Dem Grab meiner Mutter. Ein paar Ranken umschlangen den Grabstein bereits, obwohl sie erst seit fünf Jahren dort lag. Fünf Jahre Einsamkeit, fünf Jahre Kummer.

Doch dem Konnte ich nun ein Ende bereiten. Ein einziger Stich würde genügen, ein einziger Stich und alles war vorbei. Aber war dem wirklich so? Konnte man sich auf einen blassen Schimmer Hoffnung verlassen? Vielleicht nicht, aber wo und wie ich litt war egal. Es bestand die Möglichkeit.

Vorsichtig legte ich die Rose zwischen die anderen, längst vertrockneten Blumen. Dann griff ich in meine Tasche, nahm das Taschenmesser heraus und klappte es langsam auf. Mit zunehmend klopfendem Herzen und wachsender Panik erhob ich das Messer, richtete dessen Klingenspitze direkt auf mein Herz und… ließ es fallen. Ich war entsetzt. Mein Blick war auf dem Grabstein neben dem meiner Mutter gelandet. Er sah noch ganz neu aus, als hätte man ihn gerade heute hier aufgestellt und es lagen auch noch keine Blumenkränze bei ihm. Doch der Grund meines plötzlichen Entsetzten war nicht der bloße Stein, sondern seine Aufschrift: „Lithia Morsé. 1559-1576“. Das war ich, meine Ruhestätte nach dem Tod. Aber ich war noch am Leben. Noch war ich nicht tot und erst Recht nicht begraben.

Ruckartig drehte ich mich um. Neben dem Rhododendronbusch, kaum zwei Meter entfernt, stand ein junger Mann. Außer seinem bleichen Gesicht konnte ich nicht viel erkennen. „Warum erschreckst du so? Du wolltest doch sterben.“, sagte er mit seidenweicher Stimme und unüberhörbarer Ironie. Ich rührte mich nicht, starrte ihn nur an, immer noch entsetzt. Als ich nicht antwortete, sprach er weiter: „So ein schönes Mädchen wie du sollte nicht einfach sterben. Es sollte auf Ewig blühen in einem nie endenden Frühling. Bitte komm mit mir, wenn du auf den Tod verzichten kannst. Wenn dir auch Liebe recht ist.“ In seiner Stimme schwang eine merkwürdige Trauer mit, die mein Herz weiter zerriss.

Ohne ihn aus den Augen zu lassen stand ich auf. Mein Herzklopfen hatte keinesfalls nachgelassen, was er zu wissen schien. „Hab keine Angst.“, sagte er und streckte mir seine ebenfalls bleiche Hand entgegen. Langsamen Schrittes ging ich auf ihn zu. Doch ich machte gut einen Schritt von ihm entfernt halt. War es ratsam mit einem Fremden mitzugehen? Wenn man nichts zu verlieren hatte?

Ich schaute ihm in die Augen und mit einem Mal schienen sie die Fenster zu seiner Seele zu sein. Sie war schön und rein und plötzlich spürte ich, dass wir verwandt waren. Seelenverwandt.

Ich streckte meine Hand aus und nahm die seine.

Ein letzter Blick zu dem Grab meiner Mutter und wir gingen fort.

Fort in eine neue Welt, in ein neues Leben.

Schrei, mein Kleines!

 

Der Tod sah mich an. Er blickte mir tief, so tief in die Augen. Ein eiskalter Schauer überschlug sich auf meinem Rücken, wollte fort von hier. Ich auch. Es war mir nicht geheuer, es war schrecklich. Denn er stand vor mir, direkt vor mir. Nackte Panik ergriff mich, so entblößt und hilflos wie mein Leben. Ich war verloren. Meine Beine gaben nach, ich sank auf die Knie. Gleich würde er seine knorrige, bleiche Hand nach mir ausstrecken, mich ergreifen. Mich hohlen. Sie hatte es vorausgesagt. Sie, diese grauenhafte Wahrsagerin, sagte es mir. „Der Tod wird dich hohlen, Kleines. Noch heute. Noch heute Nacht!“, gackerte sie immer noch in meinem Kopf.

Mein Herz fing an zu rasen, mit aller Macht schlug es gegen meine Brust. Ich wollte fort, fort von hier. Weg von dem Sensemann. Der schwarze Mann. Der Schrecken aller Kleinkinder. Welche Eltern mussten nicht des Nachts Ungeheuer verscheuchen? Doch sie kamen trotzdem. Dann, wenn die Eltern nicht hinschauten, wenn sie auch nur eine Sekunde zu lange nicht an ihr Kind dachten, dann kamen sie unaufhaltsam. So lange, bis man verrückt wird. Solange, bis man freiwillig panisch vor das nächste Auto läuft, sich vom nächsten Hochhaus stürzt. Tat man das nicht, kam er. Der Meister der Monster, der Herr des Grauens.

Dann geschah es. Seine kalten, klauenartigen Finger schlossen sich um mein Handgelenk.

 

 

 

 

Schweißgebadet schreckte ich hoch. Es war noch dunkel in meinem Zimmer. Es war nur ein Traum.

Erleichtert sank ich zurück aufs Kopfkissen. Nur ein Traum. Ich schaute zur Tür, die links von mir lag. Eine schwarz gekleidete Gestalt mit einem bunten Straus Blumen in der knorrigen Hand stand dort. „Die Zeit ist gekommen, Liebes. Ich habe dir auch Blumen mitgebracht.“, sagte der Tod.

Mein Schrei hallte durch das ganze Haus. Dann – war alles schwarz. Das letzte was ich hörte, war das gellende Lachen der Wahrsagerin.

Schwarze Rose

Es war schon dunkel. Finstere Nacht. Der süße Duft der Finsternis betörte meine Sinne. Der leichte Schimmer von Mond und Sternen machte die Bäume von dem Wald in dem ich stand erkennbar. Gerade ebenso. Schwarze Silhouetten im Dunkel der Nacht.

Stille. Nächtliche Stille im Wald. Ein Seelenfrieden den man sonst beinahe nirgends findet. Sacht wehte der Wind, spielte mit meinen langen Haaren, strich sanft meine Wange. Sekunden vergehen, Minuten fliegen dahin, getragen vom unaufhaltsamen Strom der Zeit.

Zwischen die Stille mischt sich hie und da das kaum hörbare Tip-Tap der Feldmäuse, verschmilzt mit dem harmonischen Rascheln der Blätter an den Bäumen. Ein stilles Konzert, eine tonlose Sinfonie, die Melodie meiner Seele.

Dann sah ich ihn. Ein Schatten zwischen vielen, und doch eine Sonne. Er blieb zehn Meter von mir entfernt stehen. Er sah mich an, stumm, sagte nichts, störte nicht die Stille, den Frieden.

Ich schaute zu den Sternen. Teilnahmsloses Funkeln, oder ein Sturm der Begeisterung? Zweifellos Schönheiten.

Er rührte sich immer noch nicht. Seine Miene war unbewegt, unmenschlich. Doch seine Augen schienen zu leben, sie tobten. Sie spiegelten meine Trauer wieder, meine Verzweiflung, meine Freude. Ein Gefühlschaos übernatürlichen Ausmaßes.

Warum ich? Warum nur ich? Warum nicht auch mein Bruder?

„Weil er nicht das ist, was du bist.“, las ich in seinen Augen. Es war so deutlich, wie das Licht der Sterne. Ich konnte es beinahe hören.

Dann sah ich ihn vor meinem inneren Auge, mein Bruder. Ich sah ihn, wie wir Verstecken spielten, wir waren sechs. Er spielte den Sucher, hat mich fast nie gefunden. Dann waren wir zehn. Er spielte stolz mit seinem kleinen Holzmann. Abends erzählte unsere Mutter uns eine Geschichte. Sie war so führsorglich, so lieb zu uns.

13 Jahre. Meine Mutter schenkte mir eine schwarze Rose. Drei Tage später war sie tot. Meine Mutter.

Wir waren allein. Nur noch mein Bruder und ich. Mein Vater starb, als wir zwei waren an einer Lungenendzündung. Mein Bruder arbeitete nun beim Bauern für etwas Mehl, während ich alles nötige im Haus tat.

Ein Sturm, wir waren 15 Jahre alt. Der größte Teil des kleinen Hauses wurde zerstört. Aber mein Bruder hielt das letzte bisschen in Takt. Er war immer bei mir. Darüber war ich mehr als glücklich. Doch konnte ich nie sein, wie ich war. Ich war anders. Ich war einfach nicht so wie alle anderen Menschen. Ich liebte den Wald, die Nacht, das Dunkle und ich dachte nach. Stundenlang saß ich manchmal draußen und dachte nach. Dachte nach über Leben und Tod, über den Sinn des Lebens, über Gut und Böse. Mein ganzes Leben lang fühlte ich Schmerz und Glück gleichzeitig.

Nun war ich 17, würde es für immer bleiben, würde meinen Bruder nie mehr sehen. Er würde sterben. Ja, er würde alt werden und sterben, und dann? Würde er in den Himmel kommen? Dort hätte er es sicher gut. Er könnte selbst aus einem Leben in der Hölle ein Freudenfest machen. Ihm würde es gut gehen.

Das Bild meines Bruders verschwand. Verschwand aus meinem Geiste um in meinem Herzen zu wohnen. So würde auch er ewig leben.

Ich sah ihn wieder an, wie er an einem Baum gelehnt stand und mich mit unendlicher Geduld und Verständnis anschaute. Er trat einen Schritt näher, dann noch einen und innerhalb von noch nicht einmal einer Sekunde lagen wir uns in den Armen.

Er war wie ich, er kannte mich, er verstand mich. Er war wie ich.

Seine Liebe umfing mich, streichelte mich tausendmal zarter als der Wind. Er war der Wind, die Nacht, der Wald und ich liebte ihn, liebte ihn mehr als alles auf der Welt zusammen.

Wir lösten uns aus der Umarmung, er nahm meine Hand und wir gingen fort.

 

Doch ich ging nicht ohne meinem Bruder Lebewohl zu sagen.

Am nächsten Morgen würde er eine schwarze Rose neben seinem Kopfkissen finden und eine Träne. Eine Träne so rot wie Blut.

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Hörbuch

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YokoNeko

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