Biografien & Erinnerungen
Der letzte Sommer

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"Der letzte Sommer"
Veröffentlicht am 17. März 2013, 20 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Das Wichtigste in meinem Leben ist meine Familie, mein Mann, meine beiden Töchter, meine Schwiegersöhne und meine fünf Enkelkinder. Meine große Leidenschaft sind die Literatur und das Schreiben. Schon im Alter von sechs Jahren schrieb ich kleine Geschichten. Die ersten Gedichte folgten dann, als ich etwa zwölf war. An die Öffentlichkeit ging ich jedoch erst vor einigen Jahren. Nach zahlreichen Gedichten und Geschichten, die in Anthologien und ...
Der letzte Sommer

Der letzte Sommer

Du fehlst mir so sehr ...

Wir wussten es beide, damals, an jenem Abend auf La Palma. Ich stelle mir oft die Frage, warum wir nicht geredet haben, wo wir doch sonst immer Worte hatten – tröstende Worte, heitere und leichte, ironische oder auch banale, klärende, sachliche, verrückte, spielerische. Wenn einem von uns mal die Worte fehlten, der andere fand sie unter Garantie. Wir hatten Worte für das Leben, für Gefühle, für Gedanken, für die Liebe. Nur für den Tod und das Sterben hatten wir keine – damals nicht, nicht in diesem letzten

Sommer. Im Zimmer warfen die Möbel lange Schatten, das schwächer werdende Licht der Abendsonne tauchte den Raum in eine Atmosphäre, die geheimnisvoll anmutete. Wir saßen uns fern gegenüber, doch die Nähe war, wie so oft, fast mit Händen greifbar. Nicht, dass wir schwiegen, jedoch waren es die falschen Worte oder zumindest nicht solche von Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, die wir uns zuwarfen. Mitten im Rekapitulieren unseres Erlebnisses vom Vormittag – ein junges Pärchen hatte eine Katze mit an den Strand gebracht und das Tier steckte im

Rucksack, es fühlte sich unbehaglich, du regtest dich furchtbar auf – mitten in deinen ärgerlichen Worten tönte der Satz „Ich bin müde“ wie ein Donnerschlag in meinen Ohren und ich hörte nur heraus: „Ich kann nicht mehr“. Und nach einer kleinen Pause: „Ich möchte so viel tun, möglichst auf einmal, schade, dass man nicht in parallelen Spuren leben kann. „Ich – habe – keine – Zeit – mehr – ich - habe – keine ...", wie in einer Endlosschleife hörte ich hier nur diese Übersetzung. Ich hielt es nicht mehr aus, nicht das schwache Licht, die Schatten im Raum, die falschen Worte, deine ferne Nähe. Wortlos verließ ich das Zimmer und ging

hinaus, langsam erst, dann schneller werdend. Ich rannte, rannte, bis ich keinen Atem mehr hatte, meine Beine nicht mehr spürte.

Du fehlst mir so ...

Tagebuchaufzeichnungen Nun sitze ich hier an unserem Strand, fast allein. Wenige Menschen, wie hingetupft auf ihren bunten Handtüchern in weitem Abstand um mich herum. Hinter mir erhebt sich die monströse Felswand, deren bizarr zerklüftete Nase in das Meer hineinragt. Hier branden die Wellen meterhoch gegen das schwarze Gestein. Ich warte. Worauf? Dass sich alles auflöst in ein Gespinst aus Irrtümern? Gleich wird die Sonne im Meer versinken, immer war ich begierig,

dieses Schauspiel zu erleben, oft mit dir gemeinsam, als die Sommer noch lebendig waren. Nun bin ich allein und ich weiß, ich muss mich daran gewöhnen. Der gelbe Ball am blassblauen Himmel wechselt die Farbe im Zeitraffer – dunkler werdend, orange, rot. Und dann ist er da, der ersehnte Moment. Das Meer sprüht Funken, die vom Horizont in einer langen Bahn zum Ufer hintanzen und sich in den Schaumkronen der Wellen verlieren. Am Horizont ein schwacher Dunststreifen, in den der Feuerball hinabsinkt, um gleich darunter wieder aufzutauchen, dort, wo Himmel und

Wasser sich berühren. Mein Gesicht ist nass – von der aufspritzenden Gischt oder von Tränen, die so lange ungeweint. Es spielt keine Rolle. Die Glut versinkt allzu schnell im Meer. Ein zartes Rotgold breitet sich auf der Wasseroberfläche aus, dann wird das Meer grau wie mein Herz.

Du fehlst mir ...

Der Wind frischt auf und mich fröstelt. Zögernd ziehe ich das weiße Hemd über, das mir so viel zu groß ist. Ich habe jetzt eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen wird, ohne dich zu sein, und die Angst kriecht durch jede Zelle meines Körpers. Ich bohre meine Zehen in den Sand, heftig, tief, um einen Widerstand zu spüren, aber die lockeren Körnchen bieten keinen Halt. Bodenlos, das Gefühl. Und dann schreibe ich deinen Namen in den Sand, wieder und wieder und ich spüre dich mit jeder Faser meiner Seele. Deinen Namen werden die Wellen

auslöschen, du aber bist mir eingebrannt. In diesem Moment kommt ein Lächeln so absichtslos und natürlich in mir hoch, und ich spüre, es malt sich in mein Gesicht, als sei es schon immer da gewesen. Meine Tränen sind getrocknet, die Zeit zum Weinen wird noch kommen. Ich fühle mich so viel jünger, als meine Jahre es sind, wie ein Kind, das sich nach einer starken Hand sehnt. Aber ich weiß, dass ich diesen Weg allein gehen muss. Es ist Zeit, dir zu begegnen. Ich laufe am Strand entlang, ein letzter Blick auf das kleine Boot, gegen dessen rot-weiße Planken die heranrollenden Wellen in gleichförmigem,

wiederkehrendem Rhythmus klatschen. Ich warte, bis mein Pulsschlag diesen Rhythmus aufgenommen hat. Dann gehe ich.

Du fehlst ...

Du standest in der Tür, als ich zurückkam. Schautest mich in diesem Moment nicht an, sondern dein Blick verlor sich in der Ferne irgendwo hinter meinem Rücken. Ich drehte mich um, konnte aber nicht das sehen, was du sahst. Mein Panzer ist brüchig in solchen Momenten, ich bin weicher dann. Als ich dir näher kam, spürte ich mit jedem Schritt die Zärtlichkeit wachsen. Ich wusste: Die Nacht wird kommen und keine Lügen zulassen. Später saßen wir am Tisch, aßen, tranken wie gewohnt ein wenig Wein. Das Licht

der Kerzen umarmte unsere Haut, und es erfüllte mich mit Wärme. „Kann man lernen, in den Schatten das Licht zu sehen?“, fragtest du plötzlich. Worte, die ich nicht bereit war anzunehmen in diesem Moment. Ebenso wenig wie meine Worte „Ich ertrage es nicht, wenn du gehst“, die ich nicht einmal in meinen Gedanken haben wollte und sie bis zum Abgrund trug und ungesagt hineinwarf. Und so blieb ich stumm, sah meine Worte nur in deinen Augen. Die Nacht war endlos, ohne Schlaf, und unser Schweigen wenigstens ehrlich. Die nächsten Tage waren erfüllt von Urlaubsroutine. Ich fand dich oft im

Sand liegend, ausgebreitete Arme und in deinen Augen spiegelte sich der Himmel. Ich konnte dir nicht folgen, zum ersten Mal in all den Jahren. Wir wussten es beide, damals an jenem Abend. Ich spüre noch deine Hand an meiner Wange, und deine Worte klingen in mir nach: „Das Leben ist eine bittersüße Sinfonie, die du aber noch für dich komponieren musst.“ Ich musste dich gehen lassen. Werde leben, dieses bittersüße Leben mit all seinen Facetten. Du wirst nicht verblassen, aber ich spüre, dass der stechende Dorn seine Macht verliert und

die Erinnerung an dich mir nicht nur in meinen Träumen ein Lächeln in die Augen zaubert. DU …

Du ...

"Du darfst weinen, wie bei jedem Abschied. Diesmal werden deine Tränen ein Fluss sein, der mich sacht hinüberträgt." (Lara)

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Hörbuch

Über den Autor

Enya2853
Das Wichtigste in meinem Leben ist meine Familie, mein Mann, meine beiden Töchter, meine Schwiegersöhne und meine fünf Enkelkinder.
Meine große Leidenschaft sind die Literatur und das Schreiben. Schon im Alter von sechs Jahren schrieb ich kleine Geschichten. Die ersten Gedichte folgten dann, als ich etwa zwölf war. An die Öffentlichkeit ging ich jedoch erst vor einigen Jahren.
Nach zahlreichen Gedichten und Geschichten, die in Anthologien und Gemeinschaftsbüchern ihren Platz fanden, habe ich 2013 meinen Debütroman »Das Murmelglas« gemeinsam mit Victoria Suffrage veröffentlicht. Im März 2015 erschien das Kinderbuch »Die Abenteuer von Stups und Moni. Wenn freche Wölfe Nebel pupsen«, das ich ebenfalls mit Victoria Suffrage geschrieben habe.
Im Dezember 2017 erschien mein Roman »Julie. Am Ende ist Erinnern«, gefolgt von »Septemberblues«. Die Fortsetzung von »Julie« erschien im März 2020.
Wenn ich noch ein Ziel habe, was das Schreiben angeht, so ist es ein Psychothriller. Mal schauen.
Zur Zeit schreibe ich an einem (fast) autobiografischen Familienroman.
Meine Geschichten erzählen von menschlichen Grenzsituationen, die immer von einem Funken Hoffnung begleitet werden.
Ich habe Mathematik, Psychologie und Pädagogik studiert und war im Bildungsbereich tätig. Inzwischen genießen mein Mann und ich unser Rentendasein und die Beschäftigung mit unseren lebhaften Enkelkindern.


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erato 
Liebe Enya,
ein Glücksmoment... Dich hier nun gefunden zu haben.
Schon an Jahren gereift, auch viel literarisches durchstöbert,
ist dieser "Sommer" - für mich eine wahre Freude. Diese lockere,
auch malerische, gefühlvolle, verbal umfassende Schreibweise,
bekommt man nicht jeden Tag dargeboten.... Chapeau !!!
Mit herzlichstem Gruß
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Herzensdank, lieber Thomas, an dich. Fürs Lesen, Mitfühlen, das Worte-Finden. Mir ist es eine Freude, dir ein paar schöne Lesemomente geschenkt zu haben.
Liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
AnneSchrettler 
Wenn das Loslassen doch nicht so schwer wäre...

ach, liebe Enya
so viel Nähe, Wärme und Trauer, die du hier transportiert hast,
hat mich wieder total mitgenommen.
Auch ich bin fasziniert von deiner Schreibkunst
und traurig, dass es eine wahre Geschichte ist.

Auch wenn schon Jahre vergangen sind,
brennt es im Herzen, wenn die Erinnerung rüttelt.

Ganz liebe Grüße und eine Gedankenumarmung für dich
von Anne
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Liebe Anne,
manchmal wiegen die Erinnerungen schwer, ja, es brennt dann im Herzen. Oft ist es aber ein starkes Gefühl der Dankbarkeit für die geschenkte Zeit.
Ich glaube, so eine innige Seelenverwandtschaft findet man höchstens einmal im Leben.

Ich danke dir von Herzen für deine wieder so lieben Worte.
Alles Liebe und einen Herzensgruß
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Liebe Enya, Deine Schreibkunst fasziniert mich immer wieder, die Wortesinfonie, die einen in den Bann zieht. Hatte den zweiten Teil vor diesen gelesen und war ebenso überwältigt.
Es ist ein Abschied den man sich selber interpretieren kann. Warum, wieso muss eine große Liebe so enden.

Liebe Grüße sendet Dir
Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Liebe Bärbel, hab Dank fürs Lesen und deine so lieben Worte sowie die Geschenke.
Ja, warum muss eine Liebe so enden? Eine Frage, die wir wohl nicht beantworten können.
Ich bin inzwischen einfach dankbar, dass es mir vergönnt war, diese Liebe zu erleben.

Nochmals danke, auch für den Favo zum zweiten Teil.
Einen schönen Sonntag und liebe Grüße
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
matzetino So traurig... und so wunderbar formuliert.

Liebe Grüße
Mari
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Herzlichen Dank für alles, liebe Mari.
Ja, es war traurig, ist es immer noch, obwohl recht lange her.
Aber die schönen Erinnertungen überwiegen den Schmerz.
Lieben Gruß
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
*seufz*
Hier war ich sehr gern noch einmal, liebe Enya.
Das ist eines der "schönsten", wenn auch traurigsten Bücher von dir.
Mir fehlen auch heute noch die Worte ...
Lieben Gruß
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Auch "ohne Worte" kommt dein Empfinden bei mir an.
Ich danke dir von Herzen.
Liebe Grüße und einen schönen Tag.
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
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