Biografien & Erinnerungen
Mein Schulweg

0
"Mein Schulweg"
Veröffentlicht am 09. März 2013, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
http://www.mystorys.de
Mein Schulweg

Mein Schulweg

Beschreibung

Ein einschneidendes Erlebnis, dass mein Leben für immer veränderte.

Zum ersten Mal fehlen mir die Worte. Wie soll ich beginnen, wie den Anfang machen? Wie soll man so etwas in Worte fassen, ohne zu übertreiben? Doch dann tanzen meine Finger wie von selbst über die Tastatur.

 

*

 

Nervös tänzelte ich an der Haustür herum und wartete ungeduldig, dass meine Mam endlich fertig wird. Heute ist der wichtigste Tag in meinem Leben, da bin ich mir hundertprozentig sicher. Denn sobald meine Mam mit mir und meinem Bruder aus der Haustür ist, werde ich zum ersten Mal, ganz allein zur Schule gehen. Es kommt mir vor, als wäre ich erst gestern eingeschult wurden und dabei liegt dieser Tag bereits zwei Wochen zurück. „Mam nun komm schon!“ Quengelte ich und hoffte, sie würde sich endlich beeilen. Nach weiteren endlos erscheinenden fünf Minuten ging es endlich los. Mein kleiner Bruder hing an Mam‘s Arm, als wollte er an ihm hinaufklettern, wie an einer Liane. Im Stillen kicherte ich über seine kläglichen Bemühungen. Am Gartenzaun verabschiedete sie sich von mir mit einem Kuss auf die Wange. Kaum das Sie sich rumgedreht hatte, wischte ich ihn ab und hoffte inständig, dass niemand von unseren Nachbarn, es gesehen hatte. Mein Schulweg war nicht lang, nur ein knapper Kilometer. Ich balancierte auf den Halbrunden Beeteinfassungen aus Stein und freute mich, wenn ich die ganzen vier Meter, ohne abzusteigen, schaffte. Auf dem Schulhof herrschte ein großes Gedränge, kleinere und größere Kinder liefen wild umher. Spielten hasche oder erzählten sich das Neueste vom Wochenende.

 

Ich gehörte nicht dazu, schon im Kindergarten war ich lieber für mich geblieben und so suchte ich mir auch diesmal eine stille Ecke. Ein paar Jungs aus der Oberstufe standen nicht weit von mir entfernt und unterhielten sich. Ich versuchte nicht allzu offensichtlich hinzustarren, doch mein Blick fiel immer wieder auf den Jungen mit dem dunklen, leicht lockigen Haar. Er war groß, muskulös und seine Augen erinnerten mich an Andrea. Tränen brannten in meinen Augen, als ich an meine Schwester dachte. Vor etwas mehr als einem Jahr, es hatte gerade Frisch geschneit, hatte ich sie zum letzten Mal gesehen. Sie hatte mich zum Kindergarten gebracht und wollte anschließend in dieselbe Schule gehen, in der auch ich jetzt war. Nur leider kam sie nie dort an. Das Läuten der Schulglocke riss mich aus meinen Erinnerungen. Eilig lief ich in meine Klasse. Nach Schulschluss ging ich nach Hause, diesmal durch den Park. Als Andrea noch lebte, hatten wir davon geträumt, bald zusammen diesen Weg zu gehen. Oft hatten wir uns in unserem Gebüsch versteckt und darüber gesprochen und uns alles bis ins kleinste Detail ausgemalt. Nun gaukelte mir meine Fantasie das Bild ihres Todes vor. Andrea, wie sie über den zugeschneiten Fußweg schlittert, doch er ist ihr nicht glatt genug und so schlittert sie auf der Straße weiter. Ich sehe, wie sie um die Kurve biegt, höre das Müllauto langsam näher kommen. Das Quietschen von Bremsen, ein dumpfes Hop und noch ein Knirschen.

 

-

 

Und dann absolute Stille. Kein Vogel schreit mehr, die Welt hält für einen Moment den Atem an, ehe der Tumult losbricht. Türen werden aufgerissen und zugeschlagen. Männerstimmen schreien wild durcheinander. Ich verstehe nicht was sie sagen, denn mein Verstand begreift nicht, was er sieht. Polizeisirenen durchbrechen das Chaos und durchtrennen meine Vorstellung. Die Bilder versinken in Nebel und verschwinden schließlich ganz.

Plötzlich höre ich Schritte hinter mir und drehe mich um. Es ist der Junge vom Schulhof, der Lockenkopf. Er lächelte mich an. „Bist du nicht die Schwester von Andrea?“ Fragt er, und ich nicke. Wir gehen eine Weile nebeneinander her, ohne dass jemand etwas sagt. Schließlich erzählt er von meiner Schwester. Ich hänge regelrecht an seinen Lippen, wie ein Schwamm sauge ich jede Information von ihm auf. Als er aufhört zu erzählen sehe ich mich um. Wir sind weiter gelaufen, als ich dachte. Denke ich noch, da packt er mich am kragen und zieht mich hinter ein Gebüsch. Noch immer habe ich keine Angst. Ich mag ihn und hoffe er wird mir ein Geheimnis über meine Schwester verraten, dass nur er kennt. Ich sehe in seine kalten Augen und mein Magen zieht sich zusammen, plötzlich erscheint mir die Welt viel dunkler. Ich versuche mich loszureißen, doch er drückt mich gegen eine Hauswand. Als ich den Mund aufmache, um zu schreien, legt er seine Hand darauf. „Wenn du schreist, wird es dir leidtun! Verstanden?“ Nun klingt seine Stimme nicht mehr lieb und freundlich. Ich zittere leicht, als ich mit einem Nicken zeige, das ich verstanden habe. Die eine Hand noch immer auf meinen Mund gepresst, wandert die andere Hand unter meine Jacke. Als seine eisigen Finger meine Haut streifen, quietsche ich vor Überraschung auf. Im nächsten Moment höre ich einen lauten Knall und noch, ehe ich begreife, woher das Geräusch kam, fängt meine Wange zu brennen an. „Halts Maul!“ Zischt er zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Wieder nicke ich. Seine Hand wandert zwischen meine Beine. Noch ehe mir bewusst wird, was er da tut, taucht ein Mann auf und der Junge rennt davon. Noch immer benommen und starr vor Angst, stehe ich an die Wand gepresst da. Erst Minuten später löst sich die Starre und ich gehe nach Hause. Meine Mam schimpft, weil ich so spät komme. Ich möchte ihr so gern den Grund sagen. Aber es kommt kein Ton über meine Lippen. Diese Nacht träume ich zum ersten Mal vom Fliegen und vom Fallen.

 

*

 

Rückblickend weiß ich, dass es viel schlimmer hätte kommen können. Ich hatte keine Ahnung, was er von mir wollte. Ich war einfach zu naiv. Heute mit meiner Lebenserfahrung und meiner übergroßen Fantasie mag ich mir nicht einmal vorstellen, was der Junge getan hätte, wenn der Mann ihn nicht unbewusst verscheucht hätte. Aber ich weiß, dass dieses Erlebnis mich geprägt hat. Denn noch heute, mehr als zwanzig Jahre später, bin ich fremden Menschen gegenüber misstrauisch und vorsichtig und selbst bei Menschen, die ich schon jahrelang kenne, passiert es, dass ich sie nicht an mich heranlasse. Dieses unbewusste Verhalten zwingt mich zur Einsamkeit. Denn in einer Stadt, die über 200 000 Einwohner hat, gibt es keinen, der mir meine Angst nehmen kann. Jahrelang habe ich gegen den Drang ankämpfen müssen, diesem „Leben“ ein Ende zu bereiten. Manchmal wünschte ich mir, ich würde den Kerl noch einmal wiedersehen. Ich würde ihn anlächeln und sagen. „Hey Arschloch! Ich lebe noch, mich kriegst du nicht klein. Nie mehr!“ Doch vermutlich würde er mich nicht einmal erkennen. Denn seit diesem Tag habe ich ihn nie wieder gesehen.

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_85610-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_85610-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1001745.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1001746.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1001747.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1001748.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1001749.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1001750.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_1001751.png
0

Hörbuch

Über den Autor

cathi245

Leser-Statistik
37

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
cathi245 Re: Schulweg -
Zitat: (Original von GerLINDE am 09.03.2013 - 21:34 Uhr) Oh Cathi, das ist sehr traurig, was Du erlebst hast. Denn Du schreibst diese Geschichte unter Biografien und Erinnerungen.
Dein Schreibstil gefällt mir. Schreibe bitte weitere Episoden, wahre Geschichten oder ausgedachte Geschichten uvm.
Man kann hier sogar an einem kleinen Schreibwettbewerb, der sich "Storybattle" nennt, teilnehmen. Da allerdings, schreiben wir nach Vorgabe.

Lieben Gruß
GerLinde

P.S. Dein Cover gefällt mir außerordentlich. Bäume mit einem Gesicht. Toll! Hast Du das gezeichnet?


Ja das Cover habe ich selbst gemalt und auch die Geschichte ist so passiert. Zumindest soweit ich mich erinnern kann. Denn damals war ich 6 Jahre jung. Ist also schon ein bisschen her.

Danke für deinen Kommi und die Bewertung Gerlinde.
Lieben Gruß und einen schönen Abend noch Cathi
Vor langer Zeit - Antworten
GerLINDE Schulweg - Oh Cathi, das ist sehr traurig, was Du erlebst hast. Denn Du schreibst diese Geschichte unter Biografien und Erinnerungen.
Dein Schreibstil gefällt mir. Schreibe bitte weitere Episoden, wahre Geschichten oder ausgedachte Geschichten uvm.
Man kann hier sogar an einem kleinen Schreibwettbewerb, der sich "Storybattle" nennt, teilnehmen. Da allerdings, schreiben wir nach Vorgabe.

Lieben Gruß
GerLinde

P.S. Dein Cover gefällt mir außerordentlich. Bäume mit einem Gesicht. Toll! Hast Du das gezeichnet?
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
2
0
Senden

85610
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung