Krimis & Thriller
Der Tod der Kritikerin - XX. Teil

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"Der Tod der Kritikerin - XX. Teil"
Veröffentlicht am 04. März 2013, 10 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Der Tod der Kritikerin - XX. Teil

Der Tod der Kritikerin - XX. Teil

Zeuge eins

Als erstes an der Reihe ist die kleine Pinte um die Ecke.

Genau weiß ich auch nicht mehr, wo sie liegt und so fahren wir zunächst im Schritttempo einige Zeit durch dieses Fußgängerzone dieses Viertel, wo die Lage zu dezentral sein mag, um diese pseudo-fahrbefriedigte Straße an den sich kreuzenden Straßen mit weiß-roten Begrenzungsbohlen abzusperren. Dass in dieser Straße schließlich ein Combi parkt, älteren Baujahres, stört und kümmert hier niemanden.

Nur eine Tür zwischen zwei großen Schaufensterscheiben, die sperrangelweit offen ist, verkündet, dass hier etwas geöffnet ist. Noch ist nicht klar, ob dass die gesuchte Kneipe ist. Das einzig Auffällige ist ein Tisch mit zwei Rohrstühlen hier. Natürlich kann es einfach eine gemütliche Stellage eines Südländers vor seinem Einzelhandels-Laden sein, der es sich gerne in gewohnter Heimatsitte im Freien gemütlich macht. Nur dass oben über der Tür das Neonlogo der Eigentümer-Brauerei prangt, verweist eindeutig darauf, dass es sich um eine Spelunke im wahrsten Sinne des Wortes handelt , wie sich bald herausstellt.

Ich atme befreit auf, ist mir doch ziemlich mulmig zumute gewesen, ich würde diese Pinte nicht mehr finden und trete voran ein – und wäre am liebsten wieder zurückgetreten und von diesem Raum geflohen, denn mir wird schlagartig furchtbar schlecht. Der Kneipengröße nach zu urteilen, handelt es sich zwar um einen Ein-Mann- anstatt einem größeren Wirtschaftsbetrieb, aber angeruchs des beizenden, kalten Rauchs da träfe letzteres eher zu. Da musste gestern eine ganze Armeebrigade Einstand gehalten haben ungeachtet eines Plakates mir seinem rot-weißen Balken, das als Verkehrs-Verbotszeichen gang und gäbe ist und eindeutig und unmißverständlich schreiend verkündet: Nicht-Raucher Zone.

Ein Mann, der an der linken Wand mit einem Hebel einen der etlichen Spielautomaten bedient und daran herumkurbelt, scheint einen Schrecken zu bekommen, als er uns sieht, wohl den Uniformierten, und steht sofort auf, um sich aus dem Raum zu stehlen. Wir stehen kaum in der Mitte des kleinen Raumes, als er sich hinter unserem Rücken klammheimlich ins Freie schleicht.

Benommen und geblendet sind wir zunächst, zum einen von den rotierenden, blinkenden und lärmenden Spielautomaten links, dem flimmernden dröhnenden Flachbildschirm an der Ecke oben und wohl am meisten wegen des einerseits kalten Zigarettenrauches hier, andererseits der Arscheskälte des Hereinziehenden Luftzuges der offenen Eingangstür vorne und der Klotür hinten raus. Panik überkommt mich, so bald wie möglich wieder von hier zu verschwinden, aber, selten trifft dieses Sprichwort wie in diesem Fall zu, ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Dieser lehnt stehend mit seinem ganzen Körper an der Theke, als könne er sich nicht mehr aufrecht halten. Auf dem Tresen steht eine riesige Glas-Kanne, in der dunkelschwarzer, aber von der dunkelsten Tönung, Kaffee sich befindet. Daneben ein riesiger Humpen. Von Zeit zu Zeit wird dieser mit Kaffee aufgefüllt und in riesigen Schlucken konsumiert ungeachtet des Umstandes, dass das schwarze Gebräu wohl längst kalt geworden ist. Eindeutig, dem Konsumenten geht es nur um die Wirkung, nicht um den Geschmack, der Bekömmlichkeit oder so etwas Exotischem wie Aroma. Dieser raucht überdies eine derart dicke Zigarette ohne Filter, dass trotz Durchzugs sein Kopf von einem Ballon aus Zigarettenqualm umhüllt ist. Seine Augen blitzen jedoch wie Laserstrahlen daraus hervor, fixiert auf den riesigen, flimmernden Flachbildschirm oben in der Ecke.

Unsere Begrüßung verhallt ungehört. „Guten Tag!“

Aber der Polizist schreitet gleich zu direkteren Maßnahmen und baut sich unverdrossen ostentativ vor dem Angesprochenen auf. Er will damit der Begegnung einen formellen Charakter verschaffen.

Er kommt unmittelbar zur Sache. Diese sehe so aus, dass sie hier seien, um einen Mord aufzuklären, weswegen seine Zeugenaussage gefragt sei.

Schweigen.

Er prallt mit seinen Worten ab wie Wasser an manchen tropischen Pflanzen.

Doch ein Ermittler gibt so schnell nicht auf. Sein Zeigefinger weist auf mich und er fragt: „Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?“

Kein Wimperzucken. Aber ungerührtes Zuckeln an der Zigarette.

„Sie müssten Ihn kennen. Er war mit einer Frau vor vielleicht einem halben Jahr hier. Er hat sich in eine Ecke gesetzt mit ihr.“

Ich deute in die betreffende Ecke, mit dem Fenster zu Straße.

„Dann ist er aber vorzeitig gegangen. Ohne zu bezahlen. Bezahlt muss die Frau haben.“

Er macht eine Pause.

„Das müsste Ihnen auf jeden Fall erinnerlich sein. Ein Paar, Mann, Frau kommen in Ihre Kneipe. Der Mann verzieht sich vorzeitig, die Frau ist genötigt, die Zeche zu bezahlen.“

Ich ergänze: „Die Frau muss völlig überrascht gewesen sein. Sie hat nicht damit gerechnet, dass sie bezahlen muss. Also wird sie nach dem Mann, nach mir, gefragt haben. Wo ist mein Begleiter verblieben? Ach so, er ist schon gegangen. Na gut, dann bezahle ich eben die Zeche. – So wird die Frau gesagt haben.“

Der Polizist, eilfertig und voll Freude über meine Phantasie oder mein Einfühlungsvermögen, ergänzt enthusiastisch: „Genau, so ähnlich muss es abgelaufen sein. Das ist für jeden Kneipenwirt nicht alltäglich, das kommt nicht alle Tage vor, daran wird er sich noch nach Jahren erinnern.“

Scheinbar jedoch nicht dieser Wirt. Wenn überhaupt er sich an etwas erinnern dürfte, dann wann sein Lieblingsclub das letzte Mal den Pokal geholt hat. Weiter zurück wird sein Erinnerungsvermögen kaum reichen.

Prioritäten sind hier klar abgesteckt: zuerst kommt der Fußball. Unbeeindruckt starrt gerade dieser Gastgeber völlig gebannt auf ein menschengeschichtlich entscheidendes Schauspiel, das zu versäumen sträflich wäre. Zum Zerreißen angespannt ist das Spiel: eine Mannschaft greift an, die andere versucht abzuwehren.

Der Polizist schaut mir in die Augen, die besagen: „Was können wir schon anderes tun, als uns zu gedulden?“, und lässt die Arme hängen. Ich schniefe mit der Nase, als hätte sie eine Überdosis Koks abgekriegt.

Aber nachdem nur ein Torpfosten getroffen und die Werbung eingeblendet wird, antwortet der Kneipier nicht etwa endlich, sondern verschwindet in der anliegenden kleinen Küche. Fasziniert beobachten Polizist und ich ein anderes Schauspiel: die zurückgelassene Zigarette im Aschenbecher auf der Theke, wie sie sich zu Tode qualmt.

Man darf sich die Fortbewegung des Wirtes nicht als normale Bewegungsabläufe vorstellen. Es handelt sich um ein einzige Bewegung, wie wenn eine Rakete lossaust, die zwischen ihren Stationen keinerlei Takte, Zwischenspiele kennt, ein Strich, in perfekter Weise von A nach B gezogen, ohne Um-, Ab- oder sonstige überflüssige Wege. Selbst wenn er sich gleich auf den Barhocker setzt, darf man sich nicht ein Klettern auf diesen vorstellen, sondern ein Schießen daraufhin und ein Schweben darauf ab, blitzschnell, ohne Ruckeln und Unterbrechung.

Zweitwichtigstes wird nunmehr erst einmal versorgt: er bringt in einer blechernen Schüssel in der Hand ein paar Scheiben Wurst und Geschnetzeltes und pfeift und gurrt: „Wo ist den mein kleiner geiler Schlecker? Pffff.“ Der Hund, ein Spitz, so winzig wie ein Boxerhandschuh etwas, sich überhaupt noch nicht bemerkbar gemacht, kommt aus seiner Ecke gedackelt und wedelt mit dem Schwanz. Er reicht kaum über die Ess-Schüssel, bekommt aber glücklicherweise etwas davon ab, weil die Schüssel überfüllt ist.

„Gella, das tut Ihm aber gut, dem wilden Fiffi!“

Wir sind beeindruckt. Seinen Hund in der dritten Person Plural wie einen Adligen anzureden, lässt auf gute Kinderstube schließen.

Er ist schon wieder in die Küche entschwunden, um Drittwichtigstes zufriedenzustellen: seinen eigenen Hunger. Immerhin, als er zurückkommt mit einem gefüllten Teller in der Hand, belfert er etwas: „Ich kann mich an nichts mehr erinnern“, fliegt auf einen Barhocker, zündet sich erneut eine Zigarette an, an der er dann zieht, wenn er nicht gerade in das mitgebrachte überquellende Baguette hineinbeißt und mit vollsten Mund kauen muss. Dabei schaltet er sich wieder in den Stand-by-Modus, das Spiel verfolgend und völlig teilnahmslos gegenüber der Umwelt. Er selbst ist wie ein Bildschirm, auf dem jetzt alarmartig und grell die Worte blinken: „Bitte nicht stören! Ich will jetzt meine Ruhe haben. Dass das klar ist!“

Polizist und ich verziehen uns, ohne umständlicher und überflüssiger Höflichkeitsbezeigungen, ein Abschied, der uns leicht fällt und gleichzeitig erleichtert.

 

Buch erhältlich unter:

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