Krimis & Thriller
Der Tod der Kritikerin IV.

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"Der Tod der Kritikerin IV."
Veröffentlicht am 01. Februar 2013, 14 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Der Tod der Kritikerin IV.

Der Tod der Kritikerin IV.

Der Gestank

Plötzlich hörte ich etwas. Sie kam und ich, ich musste sie mit einem erwartungsvollen Blick empfangen, so in etwa: und nun, blättern Sie mal die nächste Seite auf, ich Leser bin schon ungeduldig. Schließlich bin ich hier der Gast.

Aber was muss ich zu meiner Beschämung sehen, nach einem Geräusch, das eigentlich eindeutig war: eine Katze schlich sich durch den Türspalt herein und kratzte ihren Rücken an der Türkante.

Ich kriegte mich schier nicht mehr ein. Wartest auf eine Person, was erscheint aber: eine verlauste Katze. Was für ein Blödmann du doch bist, indem du dich zum totalen Affen mit deinen verkorksten Erwartungen machst, ma bella ami, zieh ich mich.

Ich saß da. Ich beobachtete mich, wie ich dahockte holzklotzartig und dachte gleichzeitig: „Wie ein begossener Pudel!“

Plötzlich kam sie aber doch wieder hereingeschossen, blieb abrupt stehen, schnupperte angewidert wie ein Tier, das einen Braten röche und blies aus: „Ach, wenn es Sie nicht stört, machen Sie doch das Fenster auf. Ich fürchte, es muffelt hier ein bisschen“, stellte erneut etwas auf den Tisch und flog wieder aus dem Zimmer.

War das nicht eine indirekte Anspielung darauf, der Verursacher dieser hier herrschenden schlechten Luft gewesen zu sein?

Ich riss mich zusammen: sei vernünftig und logisch! Denk nach!

Ich saß hier im Raum, wie lange nun, einige Minuten zwar, okay, dann kommt sie herein und behauptet, der Raum sei mit schlechter Luft angefüllt. Als ob meinem Körper schlechte Luft entwiche, wie, wie einem Schwein, nein, wie, wie einem räudigen, verfilzten, ungewaschenen Straßenköder, den sie auf der Müllhalde aufgelesen hatte und ihr nun die saubere Bude vollstänke.

Ich spürte, wie ich zitterte ob dieser Unverschämtheit. War das nicht ein Wink mit dem Zaunpfeil? Hielt sie mich vielleicht genauso wie ihren Ex-Mann für einen stinkenden Ekelbatzen?

Das war unerhört, schrie es in mir.

Es war aber klug, sich erst einmal zu gedulden und abzulenken, beschwichtigte ich mich. So stand ich auf und öffnete ein Fenster.

Wie ausgestorben. Zunächst drang kein einziger menschlicher Laut aus der verdunkelnden Fassade der unzähligen Reihenhäuser ringsum hervor. Zudem, überall, wo ich Häuser sah, waren die Fenster dunkel. Anzunehmen, die Menschen tummelten sich irgendwo auf einem großen Event. Samstagabend im gediegenen Vorort einer Großstadt.

 In weiter Ferne heulte jetzt eine Erste-Hilfe- oder Feuerwehr-Sirene durch die Nacht. Auch Geräusche da und dort brachen sich mit einem Mal Bahn, am markantesten und als einzige Menschenstimme die hysterische Lache einer Frau irgendwo weit in diesem nächtlichen Schwarz, bei der man sich nicht sicher sein konnte, ob sie nun lachte oder schluchzte. Bei der man sich fragen musste, ob sie bedroht wurde oder ob sie andererseits mit Lachen und Kichern dem zu vermutenden Bedränger gefügig, milde stimmen und vom Halse halten wollte?

Ich lauschte angestrengter, ohne mir jedoch einen Reim darauf bilden zu können.

Plötzlich erschrak ich darüber, als hätte mir jemand kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt und fand dieses gepresste, unterdrückte, voller Ängstlichkeit durchsetzte Lachen abstoßend und widerwärtig und trat angewidert davor einen Schritt zurück ins Zimmer. Dann wandte ich mich träge wieder dem Sitzplatz zu.

 

Und die Wut kochte jetzt wieder auf, ohne genau zu wissen, woraufhin, oder besser wohl, auf alles, was ich erfahren musste: Menschen, die sich ekeln, haben zusammen eine Partnerschaft und wenn das so ist, wie konnte man sich noch sicher sein, sobald man eine Frau berührte, ob sie dies überhaupt mochte, angerührt zu werden?

Es blieb einem im Grunde nichts anderes übrig, als einem dies egal sein zu lassen.

Aber mir ist es nicht gleichgültig.

Ich stand auf, ich setzte mich, erhob mich wieder und verharrte vor Ungeduld auf meinen Beinen einige Minuten. Ich hutschte dabei mit meinen Füßen am Boden, als scharrte ich nach etwas, konnte mich aber nicht wegbewegen. Dann wurde ich auf ein Mal wieder salzsäuligstarr, wobei ich angestrengt horchte, ob sie denn endlich wieder käme und setzte mich erneut. Ein paar Mal in der Weise. Meine Gedanken rotierten, spielten JoJo mit mir, schier nicht mehr wissend, wo unten und oben war.

Wer spielte überhaupt hier die erste Geige, frage ich mich ärgerlich.

Dann wieder regte ich mich in anderer Richtung auf: Warum erschien sie nicht; was hatte sie dort in der Küche so lange zu werkeln?

Wartete bloß darauf, ich etwas in ihrer Wohnung entdeckt zu haben, welches mich in Bann schlug und denken ließ; toll, welch eine Persönlichkeit wohnt in diesen Gemächern? Wie in einem Theater. Jawohl, zum Teufel mit dieser Theaterspielen!

Mochte auch alles inszeniert sein, mochte ich dies auch durchschauen, so konnte ich mich doch nicht davon freimachen, nagende und peinigenden Zweifel aufkommen zu spüren: Ob ich ihr das Wasser reichen konnte, ich kleiner Wurm. Ja, kleiner Wurm, der ich bin, denn kann ich malen?

Mein Blick fiel instinktiv auf dieses ganz und gar unfertige Bild von ihr.

Nein! Malen konnte ich auch nicht. Und damit hatte es sich.

Ich starrte vor mich hin.

Was konnte ich überhaupt?

Das einzige, was ich konnte, meines Erachtens, war das Schreiben. Was aber dachte sie darüber? Klischee, Stereotype, narzisstisches Um-mich-selbst-Kreisen! Ha! Aber sie war ja bloß Berufskritikerin. Was das bedeutete, weiß man allerdings nur zu gut und genau: stets das Haar in der Suppe eines Autoren zu suchen.

Ach was!

Aber ich musste überhaupt auf der Hut sein, war doch damit zu rechnen, mich ansonsten wieder triumphierend und jubilierend zu überraschen. Das Heft in die Hand zurückbekommen, sonst würde sie mir gehörig auf dem Dach herumsteigen, ja das musste ich.

So kreisten die Gedanken Minuten lang hin und her.

 

Mein Blick fiel auf die Überschrift einer Zeitung: MEHR FRAUEN ALS MÄNNER MEDIKAMENTENSÜCHTIG. Da hatten wir es wieder. Frauen sind zwar nicht anders als Männer, aber Männer sind direkter, ehrlicher und aufrechter! Frauen nehmen es in Kauf, sich selbst zu zerstören, nur um die Fassade und den Glimmer der heilen Welt aufrechtzuerhalten – nichts anderes sagte diese Studie aus.

Mit einem Mal, ich hatte sie gar nicht hereintreten sehen, setzte sie sich neben mich, schlug galant einen Oberschenkel über den anderen, nahm dabei das Stielglas in die Hände und richtete es gegen mich: „Chears!“

Ich war überrascht von ihrem lautlosem Kommen. Geistesgegenwärtig ergriff ich schnell mein Glas und erhob es - jedoch nur unter Mühen, denn was ich sah, verschlug mir total den Atem.

Sie trug eine fast durchsichtige rote Netzbluse, hinter der sich ihre Büstenhalterträger in schwarzen Striemen und Bandagen abzeichneten. Die Ärmel waren so kurz gehalten, dass die kahlen, rasierten Achseln schamlos nackt hervorschimmerten.

Ich schluckte.

Ich sagte mir, dass sie sich offenbar unterdessen etwas frisch gemacht und den Pulli gewechselt hatte.

Das war ja zu offensichtlich.

Also, was sagst Du Dir das extra, schalt ich mich insgeheim.

Doch lugte ich weiter nach dem mir sich bietenden Erscheinungsbild einer verführerischen Amazone oder Hexe oder Was-auch-Immer.

Hinter ihrer Bluse war deutlich eine Magerkeit erkennbar, die sämtliche Knochen, Knorpeln und skelettartigen Erhebungen hervorhob.

Damit war ich zum zweitenmal sprachlos.

Je mehr ich verstohlen ihren Oberkörper durch das netzartige Gewebe erkundete, desto mulmiger wurde mir zumute. Mit solch einem Tod hatte ich nicht gerechnet.

Sie lachte auf, indem sie auf den Artikel Bezug nahm: „Ha, glauben Sie dieser Studie wirklich und...?“

Ich spitzte zunächst die Ohren, weil eine Frage an mich gestellt worden war, aber nach dem Bindewort fühlte ich mich daran gebunden, auf den zu vollendenden Satz zu warten.

Zunächst kam aber nichts.

Schon wollte ich etwas dazu sagen, aber ihre Körperhaltung deutete eindeutig an, mit etwas anderem beschäftigt zu sein. So hielt ich mich wieder zurück.

„Und dass das nicht doch eher eine propagandistisch ausgelegte Erhebung sein mag, denn...“

Zwar hatte sie wieder eine Frage gestellt, aber mit dem nächsten Bindewort mich wieder zur Zurückhaltung gedrängt.

So ging das noch einige Sätze lang . Jedes Mal mich aufgerufen, wurde ich stracks wieder in die Schranken verwiesen.

Als sie sich ausgesprochen hatte oder die Argumente ausgegangen waren, muss man schon sagen, dann wendete sie sich von mir ab, Breitseite zeigend, indem sie auf dem Boden eine Fusel aufhob. In der Seitenansicht zeichneten sich der Bergrücken und –kamm wie ein Relief ab. Die spitz herausstakenden Knochenwölbungen offenbarten eine abgemagerte, androgyne und fragile Frau, die, wenn man ihrem Skelett näherkam, bestimmt sofort in ihre Einzelteile zerfiele. Kaum Fetzen Fett und Fleisch auf dem Körper - das war eine noch unbekannte Variante einer Frau, die mir in meiner Sammlung fehlte.

Erneut blieb mir die Sprache weg, denn sowohl an- als auch abgestoßen war ich.

Dieser Anblick, kein Wunder, deswegen schon kein Wort hervorzubringen!

Aber neben dem Körperlichen hing noch die „Unds“, „Denns“, „Abers“ in der Luft.

Ich darf zitieren, womit es begann: „Ha, glauben Sie dieser Studie wirklich und...?“

Es lag nicht daran, dass ich nicht zum Reden kam. Aber ihre Art zu reden: herangelockt, sogleich wieder abgeschmettert, versetzte mich am Ende gar in besinnungslose Rage. Diese künstlichen Pausen entstehen zu lassen, während sie Zeit gewann zu überlegen, was sie als nächstes folgen lassen konnte, und ich, höflich wie ich war, hielt mich artig zurück, hätten den stärksten Mann oder Menschen umgehauen.

Immerhin, diese erzwungene Zurückhaltung brachte mich dazu, mich eingehender mit ihrer Körperlichkeit auseinander zu setzen, leider, muss ich allerdings sagen.

Denn diesem schlotterndem Gestell musste man sich so vorsichtig nähern, wie gegenüber einem morbiden, abbruchreifen, alten Holzhaus. Beruhigend, käme ich doch einem stürmischen Wind gleich, der so über es hinweg- und hineinfegen würde, das Gebälke sich zu krümmen und zu ächzen, woraufhin jedermann Angst bekäme. Diese Vorstellung stärkte mich.

Wie fühlte es sich an, sie zu berühren? Bestimmt behutsam musste ich vorgehen, um ihr nichts zu brechen. Konnte man sich auf diesem Körper überhaupt ausruhen, war er überhaupt zu greifen oder rutschte man stattdessen daran ab? Vergebens wahrscheinlich suchte man nach einer Nische, um es sich bequem zu machen, weil einem erneut unversehens etwas Knochiges aufspießen würde.

Einerseits wusste ich, diese Fragen basierten nur auf einer starken Verunsicherung und ich kann jeden verstehen, der darüber nur den Kopf schüttelt oder sich ihn sich hält.  Andererseits beschäftigte mich die Vorstellung, wie überhaupt unter diesen Umständen Sex stattfinden konnte? Musste man größtmöglichen Abstand zu ihrem Körper wahren, um sie nicht zu verletzen? Und sich selbst auch nicht zu verletzen? Wie war das praktizierbar? Aha, die Karnickel-Stellung, da hatten wir es wieder!

Welch aufregende Fragen, die mich ziemlich wild machten, aber auch bis zur Scham verunsicherten. Mir wurde richtig mulmig zumute. Herrlich!

Ich spitzte die Ohren auf: knackte da nicht etwas, während sie ihr Knochengerüst gerade bewegt hat? Eigentlich musste es quietschen, knarren, ächzen und und und, schließlich war da doch kaum Fett zwischen Knorpeln, Gelenken und Knochengetrieben. Das ging doch gar nicht anders!

Nun eben, ich würde ja sehen.

 

http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm

 

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