Krimis & Thriller
Der Tod der Kritikerin VI.

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"Der Tod der Kritikerin VI."
Veröffentlicht am 29. Januar 2013, 16 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Der Tod der Kritikerin VI.

Der Tod der Kritikerin VI.

Beschreibung

Autor und Kritikerin nähern sich privat

Beim Essen

 

Als wir uns erneut trafen, war ja noch immer etwas im Busch. Von daher gingen wir nicht gerade entspannt aufeinander zu. Es war vor ihrem Haus, am Gartentor. Ich lud sie zum Essen ein. Sie willigte ein.

Nachdem wir uns ziemlich atem- und sprachlos um ein paar Blocks getrieben hatten, landeten wir bei einem Italiener, der an jeder Ecke zu finden ist. Eine bestimmte Lokalität auszusuchen, fehlte uns die Geduld, einer auf des anderen Wort Acht haben zu können. Jeder suchte zwar danach, aber keinem kamen welche über die Lippen. Turbulenzen herrschten zwischen uns wie zwischen diesem Planeten im Weltall und seinem Mond, welche zwar ständig Zyklonwolken miteinander austauschen, trotz dem sie selbst Hunderte von Kilometer auseinander liegen und umeinander kreisen, doch sich vereinigen – Pustekuchen!

Wie war ich froh, endlich im Lokal angelangt zu sein und sogar darüber dankbar, dass mir der Wirt, den ich bislang noch nie in meinem Leben begegnet war, auf seine verbindliche Art die Hände schüttelte als wären wir alte Bekannte. Willkommen fühlend, legte ich so viel Gegendruck wie möglich in meine Hand.

Bloß merkwürdig, weshalb der Italiener so eigenartig grinste? Hatte er eine Ahnung? Blödsinn, ich bildete mir das bloß ein, solch einen hervorragender Psychologen gibt es gar nicht, wenn er ein Paar nur kurz sieht, dass er sofort Bescheid weiß, wie es mit ihnen steht. Selbst ein Italiener nicht. Oder aber suchten öfter solch traurige Gestalten in seinem Domizil Asyl?

Das Gleiche wie bei mir tat er freilich bei der „Signora“, während ich nach einem freien Platz ausschaute. Der Italiener, mir wurde er inzwischen schon unheimlich, schien meinen Blick richtiggehend aufgefangen zu haben, denn er deutete unfehlbar auf jenen freien Platz hin, den ich mir gerade als den günstigsten auserkoren hatte, nachdem er zunächst noch eine ausladende Geste in den Raum hineingemacht hatte, die wohl hätte besagen wollen: absolut zu ihrer freien Auswahl.

So auch grinste er noch unverschämter, schien es mir, als er uns in einer der hintersten Ecken, freilich mit Blick durchs Fenster ins Freie, auf den Boulevard, geleitete und uns formal die Plätze zuwies, die ich hätte sowieso allein ausgesucht.

Sei’s drum, bald verlor ich diesen etwas zu breit grinsenden Südländer wieder aus dem Sinn, sobald ich saß, denn selten auch, dass ich so froh war, endlich sitzen zu können und mich mit irgendetwas beschäftigen zu können.

Wir schützen uns voreinander, indem jeder für sich und für den anderen unsichtbar seinen Kopf in die Speisekarte vertiefte. Überflüssigste Gestik, denn welch Italiener bietet schon andere Speisen an als der andere?

Mit Wohlgefallen registrierte ich, dass unsere Bedienung jemand anderes als der von vorhin war.

Wir bestellten ganz etikettegemäß zuerst Getränke - ich ließ ihr natürlich jedes Mal den Vortritt - nach Erhalt in derselbigen Weise die Gerichte, wobei ich mich darüber freute, dass solch Rituale einem wie Brücken über unberechenbar strömende Sturzbäche helfen und navigieren konnten.

Es war fürwahr etwas in der Luft! Zum Schneiden dicke Luft, so dass jeden Moment sich hätten Blitze entladen können. Die Frage nur war, in welcher Form würde die Explosion sich entladen zwischen uns?

Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ, fiel mir auf, dass er sich von nichts von denjenigen unterschied, die ich bisher kannte. Die üblichen Bilder an den Wänden, von Venedig, Mailand, Roma oder von der Riviera-Küste. Aber halt, hier prangten Fotographien von italienischen Filmen aus den Sechzigern, in kruden Schwarz-Weiß-Raster aufgenommen: Fellini, Pasolini, Visconti und wie sie alle hießen.

Eigentlich ein günstiges Thema, um Halt und Zuflucht zu finden in einem meiner Gesprächspartnerin ebenso vertrauten Sujet, worüber wir nicht großartig nachdenken und verkrampft nach Worten, die unsere Gedanken schmücken könnten, suchen mussten, dachte ich.

Sicherlich, darüber hatten wir uns jeder schon Tausende Mal mit anderen unterhalten, keine Mühe bereitete das – was sich auch als Tatsache erwies. Die Gefahr bestand nur darin, dass normaler Weise es bald schnell einem aus dem Hals heraushing hinsichtlich Abgedroschenheit, noch mehr wegen Ausschließlichkeit. Aber in dieser noch unausgewogenen, eruptiven und unsicheren Stimmung zwischen zwei Unbekannten war es wie Treibgut, an das wir uns klammerten. Wenigstens brauchte ich mich nicht auf meine leicht über die Lippen kommenden Worte konzentrieren, dachte, würde mich nicht unbedacht in die Nesseln legen, keinen unerwünschten Faux pas erlauben und nicht ins Fettnäpfchen treten, so dass ich also getrost den davor geschalteten Zensor abschalten konnte. Allerdings bekam ich damit einen Blick frei für Dinge, die mich nur umso mehr elektrisierten und echauffierten. Insofern hätte ein wirklich anspruchsvolles Thema wiederum befreit.

Wenn zwei miteinander ausgehen, muss doch einmal das Thema auf die „Liebe“ fallen, vielleicht so nonchalant wie: „Und wie stets bei Ihnen mit der Liebe?“, eine Floskel vergleichbar der „Und wie gehen die Geschäfte?“ oder „Zu Hause alles in Ordnung? Kinder gesund, Ehefrau wohlauf?“ bei einem anderen Gesprächspartner als hier.

Ich getraute mich nicht im Ansatz. Ich dachte ein paar Mal daran, jetzt vielleicht wäre es passend, aber sobald ich ihr in die Augen sah, floss mein Mut dahin wie Kerzenwachs auf hoher Flamme.

Gleichzeitig ärgerte ich mich: was die mich vielleicht in Schach hält, verdammt! Ich fühlte mich nachgerade irgendwie vergewaltigt, nicht nur eingeschüchtert. Diese Burg würde ich niemals erobern können, verlor ich Mut und Courage zusehends.

 

Also, was liegt näher in einer Situation, deren man nicht Herr ist, als die Taktik des Abwartens einzuschlagen? Sich zunächst einmal versuchen zurückzunehmen, wäre ja gelacht, dieser Eisklotz würde schon noch zum Schmelzen gebracht werden. Aber, wenn sie so etwas wie lachte, dann zog sie robotergleich ihre blauen Augen von mir ab und grinste vor sich hin, als ob sie eine weise Brahmanin wäre, die mit dem Unendlichen Zwiesprache hielt, nur nicht mit mir.

Mich direkt anzulachen, Pustekuchen!

Ärgerlich, nicht einmal Freude war sie bereit zu teilen.

Höchstens erstauntes Ja.

Das war noch spontan. - Dann aber Pause.

Was sie wirklich dachte, verbarg sie geschickt. Die Mühle des Gehirns in ihrem Dickschädel mahlte offensichtlich, doch war evident, dass dort jedes Wort für Wort abgewogen wurde, bevor sie bereit war, es in die Welt hinauszulassen. Natürlich, konnte man sich doch einer peinlichen Selbstkompromittierung aussetzen! Das wäre doch das Ende.

Je länger sie brauchte, etwas über ihre Zollschranke Lippen zu bekommen, desto ungehaltener wurde ich. Musste das sein, diese unnötige Vorsicht, dieses Lav- und Takt- und mich Malträtieren, anders es nicht mehr gesagt werden konnte.

Wieso leugnete sie nur so vehement, dass ich alles tat, um sie aufzuheitern? Warum ließ sie nicht einen Funken Freude erkennen? Warum nur war sie so verbrettert und vernagelt?

Ich warf zufällig einen Blick auf die Poster, die reihum an der Wand hingen. Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus italienischen Filmen, teilweise mir bekannte Gesichter.

Mein Blick fiel auf den katholische Pfarrer und Ober-Schalk Don Camillo zusammen mit seinem Widerpart von Bürgermeister mit düsterem Blick in der Kirche. Erster verdrehte die großen Kulleraugen schelmisch nach oben gen dort hängendem Kruzifix. Ja, fühlte ich mit: das Leben ist schon ein Kreuz.

 

Endlich kamen die Speisen. Gelobt sei’s, dass man sich auf etwas stürzen konnte. Denn die Pausen häuften sich mittlerweile, trotz cineastischen Themas.

Die vermeintliche Hoffnung auf Ablenkung trog jedoch, denn ein Anblick quälte mich, weil niemals bislang sehen müssen.

Sie hatte sich einen Schweinebraten mit Soße und einem Kloß bestellt. Das war in der Ordnung, italienisches Einheitsgerichte konnten einem schließlich bald zum Hals heraushängen. Zunächst schnitt sie sich mit dem Messer das denkbar kleinste Stückchen herunter. Anstatt nun dieses aufgespießt auf der Gabel in die Soße zu tunken, lag es auf der Greiffläche wie bei einem Löffel. Dementsprechend musste umgekehrt vorgegangen werden, dass die Soße mit blankem Messer über dieses beidseitig auf der Gabel zu überstrichen war.

Wieso diese unpraktische, umständliche Prozession? Handelte es hierbei um Zeitschindung bei einer langweiligen Arbeitsstelle, oder um eine Situation, die man lange genug aussitzen musste, wie, wenn beispielsweise der Chef abwesend war?

Weiter stelle man sich vor, dass sie nun jedes der Gabelportionen derartig gemächlich in den Mund platzierte, als müsse sie jederzeit gefasst sein, ein heißes Eisen aufzunehmen und sofort wieder ausspucken. Mit der Zunge von einem Fehlalarm überzeugt, mahlte sie schließlich derartig langsam wie eine Mühle im stehenden Brackwasser.

Möglich, dass sie Hundert Mal gekaut hatte, vergleichbar einem Wiederkäuer oder einem radikalen Essensfetischist, als sie sich dann mit einer Serviette bestimmt 20Mal die Lippen abtippte, insbesondere die Mundwinkel.

Dieser Anblick war keine Augenweide. Auf einem Poster prangte in einem grauem Anzug auf weisen gebügelten Hemd und schwarzer Fliege ein Herr, dicker verschmierter Schnurrbart, der mit den Händen ein schaufelgroßes Paket Spaghetti geneigten Kopfes, um besser zubeißen zu können, in seinen weit aufgerissenen Mund, lächelnden Gesichtes und irr aufgerissenen Auges, stopfte. Hinter ihm stand eine Traube lachender Menschen.

Anders meine Tischpartnerin.

Diese machte sich mit der gleichen schildkrötenartigen Behäbigkeit wie vorhin ans Kloß. Ihre Gabel wagte kaum dasselbige durchzustoßen, weil es sich vielleicht um einen Blindgänger aus dem II. Weltkrieg handelte. Sie sickerte so langsam hinein wie Wasser in eine dicke Lehmschicht.

Mit dem Kloßstückchen verfuhr sie gleich dem Fleisch, Messer in die Soße getunkt, mit demselben links und rechts das auf der Gabel befindende Stückchen angefeuchtet, bis sie es endlich in zeitlupigstem Schneckentempo in ihr kaum geöffnetes Mündchen steckte.

Widerwillig verleibte sie sich Essbares ein, gleich einem mittelalterlichen Mundschenk, der auf alles gefasst sein musste, insonderheit heimtückischste Gifte, die man sich überhaupt vorstellen konnte in einer Welt, in der man niemanden und nichts trauen konnte.

Mir war diese Frau ein Rätsel und Ärgernis zudem!

Ich beging einen Fehler mit der Frage: „Schmeckt es Ihnen nicht?“

„Durchaus!“, kam es mit dünnem Strahl hervor. Ein düpierter, stierer Blick musterte mich, als müsse sie sich versichern, mit wem sie es hier zu tun habe.

Mich räuspernd, führte ich in meiner Verlegenheit die Serviette an den Mund, so als könnte ich das etwas deplaziert wirkende Räuspern damit wegwischen.

Was hatte ich falsch gemacht?

Durfte man nicht einmal danach fragen, wie der Begleiterin das Essen schmecke, das wir da in einem Restaurant zu uns nahmen? Es sollte doch ein Genuss sein. Es war doch ein Stelldichein, das alle Wünsche erfüllen sollte, alle Bedürfnisse befriedigen und nichts zu Wünschen übrig ließ, mag es dies hier auch etwas überromantisch klingen. Aber in diese Richtung zielte es.

Aber nein. Habe ich vielleicht indirekt auf ihr langsames Vertilgen des Essens mit dem Zeigefinger getippt und gefragt, warum kauen sie so lange? Habe ich möglicherweise unbedacht ausgerufen: was spielen sie so lange mit ihren Fleisch- und Kloßstücken auf der Gabel herum? Tunken sie es doch einfach in die Soße und führen es an ihr Essensorgan, das etwas weiter geöffnet sein sollte, empfangsbereiter und vertraulicher dem gegenüber, was sich ihr Körper von außen zuführt. Beileibe nicht!

Aber wahrscheinlich ist alles Äußere für diese Person eine Zumutung.

Ich wurde nicht schlau aus ihr. Ich bekam Kopfweh. Dabei kenne ich solche kaum. Selten, dass mein Kopf so lautstark Alarm schlägt.

 

http://www.pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm

 

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pentzw

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Markus Martin Walser schrieb sein Buch - Der Tod eines Kritikers, und bemerkte danach auf die Frage eines solchen, wie er wohl zu diesen stünde,
Ich komme gut mit ihnen zurecht, solange ich ihre Schreiberei nicht lese.
So kommt es mir in Deiner Kommentarliste vor.
Nun habe ich alle Teile gelesen, wegen der Neugier und fand es lesenswert.
Mit Kritik halte ich mich seit längerem zurück, das kommt nicht immer gut an
Nur einen klitzekleinen Punkt vieleicht: -kürzen, Dopplungen vermeiden
lieben gruss
markus
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