Krimis & Thriller
Der Tod der Kritikerin

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"Der Tod der Kritikerin"
Veröffentlicht am 25. Januar 2013, 16 Seiten
Kategorie Krimis & Thriller
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Der Tod der Kritikerin

Der Tod der Kritikerin

Beschreibung

Kritikerin und Autor privat

Der Eklat in der Pinte

Ich besuchte sie an jenem Tag. Dabei lud ich sie zu einem Umtrunk ein, obwohl sie nicht viel Zeit habe, wie sie beteuerte, dazwischengekommen sei etwas, leider, aber, na klar, auf einen Drink schon. Insgeheim nahm ich ihr diese unerwartete Einschränkung nicht ab, bloße Ziererei war das, um sich interessant zu machen und sich teuerer zu verkaufen.

Doch hatte sie erreicht, was sie beabsichtigte: ich fühlte mich gedrängt, spürte Zeitnot und führte sie daher in das nächstbeste Lokal an der Ecke, unglücklicherweise eine deutsche Eckkneipe. Niemals sonst hätte ich es ausgewählt. Wir fanden eine kuschelige Fensternische, abseits der um den Tresen und vor den Spielautomaten stehenden, Schulter klopfenden, schunkelnden und schwankenden Biertrinker.

Wenigstens gab es auch Wein, für mich und für sie.

Ich bin kein Weinkenner, aber was ich da zu trinken bekam, war wahrscheinlich Ethylalkohol statt Alkohol. Egal, Nachts frisst der Teufel auch Fliegen und wenn ich unter Stress stehe, trinke ich viel, um diesen besser auszuhalten, sprich mich zu betäuben. Und dann empfinde ich plötzlich Glück, Euphorie und Gelassenheit, die ihresgleichen sucht. In diesen Momenten habe ich stets die besten Ideen, manchmal auch nicht so gute. Die Krux beim Alkoholeinfluss ist die, dass, was unter Drogen gute Ideen sein mögen, in der Realität meist schlechte sind.

So kam es auch dazu, was angesichts dem, was ich bislang empfand, nämlich Abscheu, Ekel und Überdruss, schwer verständlich, ich weiß, sich ins Gegenteil verkehrte. Entweder das Gehirn eines Alkie oder der eines Phantasten kennt das, noch besser beim Glücksereignis der Kombination beider.

Jedenfalls trank ich immer mehr Wein und stolperte, flankiert von der nikotinverpesteten Luft um uns, in einen beschwingten Rauschzustand hinein. Gut, da spielte noch ein italienischer Gitarrist auf. Weiß der Teufel, wie ein Italiener in eine solche Pinte sich verirrt? Weniger dieser Umstand selbst, als vielmehr die Vorstellung, es hätte sich um einen deutschsprachigern Schlagersänger gehandelt, verpasste mir einen weiteren Kick. Zwar empfindet mein Ohr diese Sprache, das Italienische, auch alles andere als Wohlklang, jedoch die Inbrunst eine Bänkelsängers übertüncht auch die knarrendsten Töne und Laute.

Hin und weg, gepackt und weggerissen worden war ich und landete bald auf einer romantischen Insel Italiens. Mit wem zusammen? Mit einer mich verzaubernden Landpomeranze und jungfräulichen Senoriata. Eine bezaubernde Fee und keine kratzbürstige Kritikerin mehr.

Ich nahm einen großen Schluck aus dem Glas, einem groben Römerglas. Kein fragiles stilvolles Stielglas für einen guten Wein, das nicht.

Sie erschien mir hinwiederum wie eine verkleckerte, von Schmutz grindige Straßengöre, bösartig, hinterlistig und verdorben und, weil aus elender Ecke und verschmutzter Gosse entstiegen, meines Schutzes bedürftig. Sie, die da nicht richtig lieben konnte, musste gerettet werden, aus dem Sumpf gezogen, aus dem Elend ihres bedauernswerten Schicksal befreit werden von einem wie mich, einem heiligen Samariter und Don Juan.

Erneut trank ich, dabei denkend, ich sollte mich zurückhalten mit dem Trinken. Aber was man nicht alles denkt.

Dann eine überernste, rigide alte Jungfer, jenseits des Alters, wo sie noch einen Mann abkriegen konnte - auch deswegen bedurfte sie meiner Patronage, Fürsorge, Zuwendung und Liebe, jawohl!

Ich trank.

Um sie herum glitzerten das Aurora goldener Funken und das Geflimmere eines Scarletts, deren man nur Komplimente machen konnte, wenn man sich als Mann von Welt outen wollte und sollte. Das versuchte ich auch.

Der krude Wirt kam zwischendrein an unseren Tisch, schenkte wortlos und stur ein mit einer Zwei-Liter-Rotwein-Flasche vom Discounter um die Ecke und ging wieder zurück hinter den Tresen. Ein einziges Mal hatte er rhetorisch gefragt mit seinen blendend-weißen Raubtierzähnen: „Darf ich?“ Gönnerhaft erwiderte ich sofort: „Nur zu!“ Danach fragte er nicht mehr.

Die anderen Gäste, meist Fabrikarbeiter nach der Schicht oder zum Wochenende hin, in bombigster und ausgelassenster Stimmung, kicherten, brüllten, lachten, feixten, grölten, raunten, keckerten, prusteten usw. Der Lärmpegel schlug ungeheuer aus, überschlug sich schier, so dass wir oftmals kaum ein Wort verstanden, was bestimmt kein Desaster war. Nur um sein eigenes Wort verstehen zu können, musste man halt brüllen. Da gibt es nur eins: trink drauf!

Ein Hund stand inmitten der kreuz- und querstehenden Beine und hangelte sich an einem Bein hoch, dass er im Appetenzverhalten begattete. Nicht mal Hunde kommen zum Schuss, dachte ich ernüchtert. Aber der Anblick machte mich mehr an, als dass er mich abstieß. Der ein oder andere, der dieses Hundeverhalten bemerkte, deutete lachend und feixend mit den Finger auf den Armen und kippte sich zur Selbstbelobigung einen hinter die Binde.

Ich wendete mich wieder meiner Gesprächspartnerin zu.

Eine Flutwelle der Barmherzigkeit überschwemmte mich angesichts dieser spindeldürren Geierkrallen-Hände, dieses blaue Eisvogel-Augengesichtes und hohen herausstehenden Wangenknochen-Schädels. In ihr musste Leben gepumpt werden wie durch eine Kanüle flüssiges Essen bei einem Zwangs-Zu-Ernährenden oder über einen Blitzableiter die Elektrizität eines einschlagenden Blitzes wie bei Frankenstein hinein oder eben erfüllt und gefüllt wie ein Messbecher durch meine über alles gehende ungebändigte Nächstenliebe.

Ich weiß nicht, was sich mein weinüberschwemmtes Gehirnorgan in diesem Moment nicht alles ausphantasiert hatte, jedenfalls kam es zu folgenschwerer Reaktion meinerseits, dessen Ursache wegen meiner weinseligen Verträumtheit für ewig im Dunkeln verborgen bleiben muss.

Zunächst ging dem noch Folgendes vor.

Sie lachte; ich lachte zurück.

Sie zupfte an der roten Rose, die inmitten des Tisches halb hingewelkt den Kopf herabhängen ließ; ich zupfte von meiner Seite aus auch an einem Blättchen.

Sie zeigte ihre Zähne; ich die meinen.

Es war kein Sprechanlass da, vielmehr überbrückten wir unser Schweigen in verlegenen Gesten.

„Ich würde Sie jetzt gerne in den Arm nehmen wollen!“

Ich stellte mir zwei Fragen: Wie bin ich dazu gekommen? – siehe oben. Wie bin ich dazu gekommen, heute kopfschüttelnd mit nüchternem Kopf betrachtet. Ich bin dazu gekommen – das ist alles!

„Wie bitte? Wiederholen Sie noch einmal, was sie eben gesagt haben.“

Sie war wohl zu beschäftigt gewesen mit dem Zulauschen des Gitarrenspielers, der zu unserem Tisch hergekommen war und davor seine Akkorde entfaltete, das Bild evozierend, er tändelte um ein Liebespaar herum. Das waren wir zwei allerdings alles andere. Trotzdem ließ auch ich mich von der Atmosphäre einfangen. Wie sonst hätte ich mich zu solch einem deplazierten Schwachsinn hinreißen lassen können?

So wiederholte ich unschuldig und ohne Arglist gerne diese Worte: „Ich würde Sie jetzt liebendgerne in den Arm nehmen.“

In diesem Moment, so selten in meinem Leben, fühlte ich mich geborgen und sicher wie auf einer grünen Insel der Ruhe und Zeitlosigkeit, sonst hätte ich niemals soviel Mut aufbringen können.

Sie hielt inne im Weintrinken, indem sie das zum Trinken begriffene, auf den Mund zuführende Glas stoppte und sich erst einmal langsam den Sinn meiner Wort im Kopf zergehen ließ. Ich interpretierte zu allem Übel diese Gestik völlig konträr und beugte mich zu ihr hinüber, um ihr zuzuflüstern: „Ja, ich hätte Sie jetzt gerne auf meinem Schoß sitzen, damit ich sie besser umarmen könnte.“

Aus Zauberin wurde Hexe, aus Traumfrau skelettartiger Teufel. Eine furchtbare, erschreckende Fratze verzerrte ihre Gesichtszüge, bevor sie prustete und laut und widerlich aufwieherte wie ein Pferd, das überdies zur Untermalung dessen, was es intendiert, den Kopf nach oben reisst, diesen richtiggehend grotesk in den Nacken wirft, und schrill-hässlich über einen fürchterlich blöden Witz losbrüllt, krakelt und kichert, dass es einer Jungfrau das Häutchen zerreißen musste.

Das machte mich schlagartig wieder nüchtern. Andere Gäste blickten bereits her, als sie immer noch wie aus dem Häuschen bösartig, wie mir schien, kicherte, gluckste und gurgelte, wenn auch schon etwas verhaltender, aber dennoch nicht enden wollend.

Wie mir das peinlich war! Was wunder, dass mir der Alkohol im Hirn mit einem Schlag völlig verdunstet sein mochte, so ernüchtert fühlte ich mich. Ich befand mich in einem kalten, klirrenden Raum auf dem Nordpol, im Angesicht zu Angesicht mit einem wilden Eisbär oder im Weltall auf einer Apollo-Mission, ich und ein kalter, fremder Alien mir gegenüber, der mich auf Leben und Tod bedrohte, provozierte und herausforderte.

Aber mit einem Mal kicherte sie nur verhalten in sich hinein und versteckte ihre feuchten Lippen hinter der Serviette, um nicht zu auffällig zu wirken. Dann tupfte sie erneut mit dieser in den Mundwinkel den Wein ab - eine bloße Verlegenheitsgeste.

Konsterniert legte ich Messer und Gabel auf Halb Fünf ab, der ich gerade einen kalte Vesper verspeist hatte, das verknüllte Tischtuch rechts daneben und schielte versteckt aus den Augenwinkeln in die Runde. Die Anderen schienen längst wieder ihrem bierseligen Treiben zugewendet zu sein, kein herlugen, kein über uns unterhalten und munkeln. Courage, Disziplin und Kalkül! Noch ein paar Sekunden warten; nur keine übereilten Reaktionen; einmal daneben gegriffen zu haben genügte für heute Abend.

Meine Begleiterin hatte sich nahezu erholt und gefangen, stierte von mir weg irgendwohin, als konnte sie nicht glauben, was sich hier vor wenigen Sekunden am Tisch zugetragen hatte, tupfte dabei erneut sehr geziert, griff auch einmal nach hinten in ihre Hose, um ein Schnupftuch herauszuziehen und sich sehr verhalten und unterdrückt zu schnäuzen. Ich sah den Zeitpunkt gekommen, meine Absicht in die Tat umzusetzen und also hieb ich an zu sagen, sehr förmlich, sehr prononciert: „Sie entschuldigen mich einen Augenblick bitte!“ Ich hatte bereits meine Arme nach hinten zum Stuhlsitz gelegt, um beim Erheben den Sitzplatz nach hinten zu ziehen. In aller gebotener Form und Steifheit, als ich stand, rückte ich zudem den Sitzplatz in die Reihe und Ordnung zurück.

Natürlich ging meine Begleiterin davon aus, ich hätte mich nur zwecks Aufsuchens der Toilette erhoben. Sie ging davon aus, ich kehrte bald zurück und hatte arglos keinen Verdacht geschöpft, dass ich mich auf einmal so betont höflich, stilgerecht und ordentlich benahm. So rechnete sie mit Folgenden bestimmt nicht.

Günstig, dass mir auf dem Weg um den Tresen der Schankwirt begegnete. Ich meinte, ich müsste mich leider schnell verabschieden. Er deutete gelangweilt Richtung Klo. „Ich weiß. Ihre Begleiterin wird schon bezahlen!“ Dabei zwinkerte er wissend mit den Augen, frech und jovial, mit einem genervten Tonfall anfügend: „Dort können Sie auch klammheimlich den Abflug machen!“

 

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