Kurzgeschichte
Rain

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"Rain"
Veröffentlicht am 16. Januar 2013, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Rain

Rain

Beschreibung

Ein Mädchen auf der Rückbank eines Autos, Regen, ein Lied im Radio. Und ein Gedankenkarusell, das sich unaufhörlich dreht...

Rain

 

Mit einem leisen „plopp“ klopft der erste Tropfen ans Fenster. „Plopp – Plopp“ matt glänzen sie im schwachen Schein der Nebellampe des Autos hinter uns. Im Rückspiegel kann ich den Fahrer erkennen. Schwarzer Pulli, weißes Hemd. Dazu ein karierter Schal. Genervt fährt er sich über die Glatze, dann bewegt sich sein Mund. Wahrscheinlich hat er die Freisprechanlage vom Autotelefon eingeschaltet. Bestimmt ist seine Frau am Telefon und beschwert sich, dass er nicht einmal am Sonntag zuhause sein kann. Auf ihrem Schoß sitzt die gemeinsame Tochter und schreit. Sie hat von den ganzen Gummibärchen, die sie schon vor dem Mittagessen gegessen hat Bauchweh bekommen. Fast eine ganze Tüte mit bunten Kätzchen. Die Frau fährt sie an, dass sie still sein soll, aber die Kleine weint nur noch heftiger. Jetzt weiß sie wahrscheinlich selber gar nicht mehr warum eigentlich. Eigentlich sieht der Mann traurig aus. Traurig und verdammt müde.

Inzwischen bilden die Regentropfen, die immer heftiger an die Scheibe prasseln kleine Wasserläufe, schlängelt sich ihren Weg hinab. Mit einem kaum merklichen Seufzer schaltet die Frau am Steuer die Scheibenwischer an. Wild wischen sie über das nasse Glas. Wie Hunde, die mit dem Schwanz wedeln – nur das die sich bei diesem Wetter wohl eher auf dem Teppich vor dem knisternden Kamin zusammenrollen würden anstatt draußen rumzulaufen. „Wisch, wasch“, die beiden schwarzen Arme fahren immer schneller über das Fenster. Als wenn sie sich jagen würden. Immer hin und her – aber nie wird einer von ihnen gewinnen, egal wie sehr sie sich abmühen.

Das schwarze Leder des Rücksitzes ist hart und kalt. Neben mir auf dem Sitz liegt meine dunkelblaue Reisetasche. Ganz oben auf liegt das Bild meiner Eltern. Ich brauche es gar nicht rauszuholen. Oft genug haben meine Augen sich daran geklammert, jeden Zentimeter in mein Gedächtnis übertragen. Die Ecken sind abgegriffen, auf dem rechten Knie meiner Mutter sind die Farben verschwommen. Fast spüre ich noch das Gewicht der Kamera in den Händen; den warmen Sand zwischen den Zehen. Es war vor zwei Jahren gewesen, dass ich mit meinen Eltern am Strand von Kreta gestanden bin. Lachend hatte meine Mutter nach ihrem Hut gegriffen um ihn bei dem Wind vor dem Wegfliegen zu bewahren. Mein Vater hingegen hatte leicht gequält in die Kamera geblickt, er hatte es nicht gemocht fotografiert zu werden, meinte immer er würde auf jedem Foto total bescheuert gucken. Aber das war mir egal gewesen. Hätte ich gewusst wie egal es gewesen war.

Die Frau am Steuer dreht sich zu mir um, sieht mich an und lächelt „Du wirst sehen, es wird dir gefallen. Du bist nicht alleine!“ Zuerst will ich sie nicht ansehen, dann aber drehe ich meinen Kopf doch zu ihr. Dieser mitleidige Blick - ich kann ihn nicht mehr sehen. Schnell wende ich mich wieder ab, blicke zurück ins Leere. „Soll ich Musik anmachen?“ Die Frau tastet nach der Radiotaste. Ohne auf eine Antwort von mir zu warten dreht sie daran.

 

Rain falling from the skies
Like lonely tears through misty eyes
Rain streaming down my face
Brings memories my heart cannot erase

 

Frank Sinatra – “Rain”, denke ich. Meine Augen hängen sich an einen der Tropfen an der Scheibe. Regen fällt vom Himmel, wie meine einsamen Tränen aus verschleierten Augen. Der Regen strömt mein Gesicht hinunter und bringt Erinnerungen, die ich nicht vergessen kann. 

Draußen schlüpft eine kleine Scheune durch die Regenwand. Das morsche Holz ist durch das Wasser ganz dunkel geworden. Es scheint als würde es das schwere Strohdach kaum noch halten können. Jeden Moment kann es nachgeben und unter der Last begraben werden. Jeden Moment kann es „Knack“ machen und der alte Balken dort vorne bricht durch. Danach gibt der, der nun das Doppelte tragen muss auch nach und im nächsten Moment schon liegt da nur noch ein durchnässter Bretterhaufen. Und keiner würde es merken.

Ich lehne den Kopf gegen die Scheibe, schließe die Augen. Kaltes Glas an meiner Stirn.  

 

Here alone in all my sorrows
Waiting for the clouds to hurry by
Praying that a new tomorrow
Will put the sun back in the sky

 

Die Frau summt leise mit. Für sie ist das eine Fahrt wie viele Andere. Wahrscheinlich kennt sie jede Kurve und jede Unebenheit. Sie weiß, was sie am Ziel erwartet.

Vor uns schlängelt sich die Straße durch die triefende Hügellandschaft. Bis auf zwei weitere Scheunen und ein paar einsame Bäume ist die Welt wie ausgestorben. Was wenn sie ertrunken ist ohne, dass ich etwas davor gemerkt habe? Oder der Regen hat sie weggespült. Einfach so mitgenommen. Komische Vorstellung. Aber ist das denn so abwegig? Manchmal kann das Leben schnell ausgelöscht werden. Im einen Moment hört man es noch freudig lachen, dann ein „bumm“ und schwupps ist es nicht mehr da.

Hier allein mit allen meinen Sorgen, warte ich, dass sich die Wolken verziehen. Bete, dass ein neuer Morgen die Sonne zurück an den Himmel bringt.

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Lunamiz

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