Fantasy & Horror
In der Dunkelheit (Kapitel 2)

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"In der Dunkelheit (Kapitel 2)"
Veröffentlicht am 20. Dezember 2012, 50 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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In der Dunkelheit (Kapitel 2)

In der Dunkelheit (Kapitel 2)

Beschreibung

Dies ist das 2. Kapitel von "In der Dunkelheit". Den Prolog & das 1. Kapitle findet ihr hier: http://www.buch-schreiben.net/kurzgeschichte/lesen2.php?story=82038

2.

Allein

Es hämmerte immer noch leicht in meinem Kopf, als ich die Augen wieder öffnete. Ich blickte auf eine kahle Steindecke über mir. Wo war ich?
Mit meinen Händen betastete ich die Fläche auf der ich lag: Es war ein Bett. Ich erfühlte eindeutig ein Bettlacken und ich war zugedeckt, mit einer Decke. Mein Kopf lag auf einem bequemen Kopfkissen.
Das musste ein Traum sein. Oder war meine Begegnung mit Cale ein Traum gewesen? Eben gerade, oder vor Stunden – bevor ich in Ohnmacht gefallen war – hatte ich mich noch auf einem Friedhof befunden und nun lag ich in einem bequemen Bett.
Langsam setzte ich mich im Bett auf und hielt mit meinen Kopf.
Ich hatte eine Vision gehabt und die hatte mich scheinbar umgehauen. Es war ein plötzlicher Schmerz gewesen, der wie ein Blitz in meinen Kopf eingefahren war.
Ich sah mich im Zimmer um:
Das erste, was mir auffiel, war, dass es kein Fenster gab. Ich wollte nach draußen schauen, um mich orientieren zu können, aber der Raum war umschlossen von einer festen Mauer.
Neben dem Bett stand ein Nachttisch, auf dem eine kleine Lampe stand, die auch schien. Das Bett war groß. Ein Doppelbett.
Außerdem stand noch eine alte, durchgesessene Couch im Raum, vor der ein Fernseher stand, der allerdings ausgeschaltet war. Ich entdeckte keine Bilder, keinen Hinweis darauf, wer hier lebte.
Ein Teppich war ausgelegt, doch sah man an den Enden, dass der Boden dieses Raumes auch aus festem Stein bestand.
Dies war kein Haus.
Ich suchte nach einem Ausgang. Vor mir befand sich eine Art Durchgang, der wohl in einen Vorraum führte.
Der Schmerz lies langsam nach und ich stand aus dem Bett auf. Ich blickte auf den kleinen Tisch, der vor der Couch stand. Vom Bett aus hatte ich ihn nicht sehen können, doch nun fiel mir ein Glas auf, welches auf dem Tisch stand: Es war nicht abgewaschen und eine rote, dickgewordene Flüssigkeit war noch deutlich zu erkennen.
Ich hörte ein Geräusch und wirbelte herum in Richtung Durchgang:
Dort stand Cale.
Er hatte einen Pizzakarton in der Hand und darauf lag eine Flasche Saft.
Wir sahen uns einen Moment lang an, ehe er die Schultern zuckte und auf den Tisch zuging, vor dem ich stand.
„Hier.“, sagte er und stellte den Karton und die Flasche ab.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Pizza und Saft.“, antwortete er und sah mich so an, als hätte ich bei dem Aufprall auf dem Boden was am Kopf abbekommen.
„Ich meine…“
„Das ist für dich. Ich trinke keinen Saft und brauche mich nicht auf diese Art zu ernähren.“
Er sah mich einen Moment lang so an, als wüsste er selbst nicht, was er gerade tat, dann drehte er sich um und trat zu einer Stehlampe, die er anschaltete.
Skeptisch öffnete ich den Karton mit der Pizza. Es duftete wirklich gut und ich hatte Hunger.
Ich spürte, wie er mich beobachtete und sah ihn an. Als er das bemerkte, wechselte er seine Blickrichtung sofort und tat so, als würde er in den Durchgang schauen, durch den er gekommen war.
„Magst du das?“, fragte er plötzlich.
„Es riecht sehr gut.“, sagte ich „Aber ich weiß nicht, wie es schmeckt. Ich muss es probieren.“
Sein Blick verriet mir, dass er aus mir nicht schlau wurde, aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich setzte mich auf die Couch und nahm mir ein Stück Pizza. Ich hob es mit beiden Händen vor mich und der weiche Teig knickte ein wenig ein, bevor ich abbiss.
Es schmeckte wirklich gut. Aber es war ein seltsames Gefühl. Mein Magen fing sofort an ein wenig zu schmerzen, so als hätte er seit Ewigkeiten nichts mehr zu essen bekommen. Ich aß ein Stück und dann konnte ich nicht mehr.
Cale wunderte sich wohl, warum ich nicht mehr aß, aber er sagte nichts. Als ich mich auf dem Sofa zurücklehnte und ihn ansah nickte er nur und sagte:
„Und was hast du jetzt vor?“
Dies war Cales zu Hause, das war mir nun klar. Er hatte gesehen, wie ich zusammengebrochen war und mich mit zu ihm genommen. Und nun hatte er mir sogar Verpflegung besorgt! Scheinbar war er derjenige, dessen Kopf bei unserem Aufeinandertreffen nicht ganz heil geblieben war.
Ich öffnete die Saftflasche und trank. Die Flüssigkeit fühlte sich toll an, in meiner trockenen Kehle.
Warum hatte Cale mich nicht getötet? Das war es doch, was er gewollt hatte und nun hätte er doch leichtes Spiel gehabt. Oder schmeckten ohnmächtige Frauen ihm nicht?
„Warum lebe ich noch?“, fragte ich ihn gerade heraus ohne auf seine Frage zu antworten.
Er grinste.
„Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht. Ich hätte dich beißen sollen, hab' ich mir auch schon überlegt.“
Ich starrte auf die Saftflasche in meinen Händen.
„Schmecke ich besser, wenn ich Apfelsaft getrunken und Pizza gegessen habe?“
Plötzlich musste er lachen.
„Nein, ganz im Gegenteil! Apfelsaft hinterlässt immer einen ganz unschönen Nachgeschmack und Pizza ist viel zu fettig. Da schmeckt man den reinen Blutgeschmack gar nicht.“
Ich grinste. Dann hatte er sich ja ins eigene Bein geschossen.
Ich stand auf und trat vor ihn.
„Warum hast du mich nicht getötet?“, fragte ich íhn und er verstand, dass ich diese Frage vollkommen ernst meinte. Er blickte mich lange an, so als würde er nach einer Antwort suchen.
„Weil ich es nicht wollte.“, sagte er schließlich. „Außerdem wäre es nicht fair gewesen, deine Ohnmacht auszunutzen. Was war eigentlich mit dir los?“
Ich hätte es ihm gerne erklärt, aber ich wusste es selbst nicht genau. Es war eine Art Vision gewesen, das war sicher. Aber ob das nun was zu bedeuten hatte oder nicht, da war ich mir nicht ganz sicher. Irgendetwas sagte mir zwar, dass ich den Bildern in meinem Kopf vertrauen sollte, aber ich wusste sie nicht richtig einzuordnen.
Sollte ich nun nach dieser Frau suchen oder würde ich sie irgendwann von alleine treffen?
Er hörte mir aufmerksam zu, während ich versuchte, ihm meine Gedanken zu erklären. Ich sagte ihm auch, was ich gesehen hatte, in der Hoffnung, dass er einen Ort kannte, auf den meine Beschreibung zutraf aber er zuckte nur die Achseln, als ich ihn fragte:
„Sorry Kleines, aber erstens ist die Beschreibung ziemlich ungenau und zweitens kenne ich kein Haus mit einen Wetterhahn im Garten.“
Erschöpft setzte ich mich wieder auf die Couch. Es war nun an der Zeit zu gehen, das war mir bewusst, aber ich wusste nicht wohin.
„Ich danke dir für deine Hilfe, Cale.“, setzte ich an „ich hätte nicht gedacht, dass du mich wirklich am Leben lassen würdest aber nun bin ich hier. Ich werde dich dann jetzt auch nicht weiter belästigen und mich auf den Weg machen.“
„Wo willst du denn hin?“
Er ließ sich neben mir aufs Sofa fallen und blickte mich skeptisch an.
„Du weißt gar nicht wo du hingehen sollst, hab ich Recht?“
Wie sollte ich das verneinen? Ich blickte auf meine Hände, die ich unfreiwillig zu Fäusten geballt hatte und sah dann wieder zu ihm auf.
„Ich werde dieses Haus suchen.“, sagte ich plötzlich, ohne darüber nachzudenken. Ich hasste den Gedanken ohne Sinn auf dieser Welt zu sein. Ich hatte keine Familie, keine Freunde – zumindest keine, an die ich mich erinnern konnte - ich war ganz allein. Und ich brauchte eine Aufgabe, selbst, wenn sie noch so dumm war.
Cale nickte. Ich glaube, er wusste ganz genau ,was in mir vorging und er schien mich zu verstehen.
„Ich esse die Pizza nicht, also komm später wieder und iss sie, dass ich sie nicht wegschmeißen muss.“, sagte er gleichgültig und ohne mich anzuschauen. Dann schaltete er den Fernseher an.
Ich stand auf ohne etwas zu sagen und wandte mich zum Gehen. Ich hätte ihm in diesem Moment um den Hals fallen können. Aber warum wollte er mir helfen? Ich verstand es nicht.
Als ich den schmalen Durchgang passierte, durch den Cale vorhin hereingekommen war, wurde es immer deutlicher: Ja, wir befanden uns hier eindeutig in einem unterirdischen Raum, der mal als Gruft oder Grabstätte gedient haben musste. Das war also Cales zu Hause.
Im Vorraum befand sich ein schmales Fenster, welches für frische Luft in diesem Gewölbe sorgte. Ich blickte hinauf und nach draußen: Es war noch Nacht, das hieß, ich war nur für ein paar Stunden weggetreten. Das Fenster war von draußen sicherlich nicht zu sehen, es schien sich direkt hinter dem Stamm eines breiten Baumes zu befinden. Cale hatte es wohl lieber geschützt.
Als ich die Gruft verließ, war es angenehm, die frische Nachtluft einzuatmen. Obwohl es in Cales Gruft gemütlich war, lag doch ein leicht modriger Geruch von den alten Steinwänden in der Luft.
Ich sah mich um und überlegte, in welche Richtung ich gehen sollte.

 

Es dauerte nicht lange, da ging auch schon die Sonne auf und die Vögel begannen zu zwitschern. Als ich den Friedhof verließ, betrachtete ich die Häuser in den Straßen, die ich durchquerte. Ich schien mich in einer kleinen Vorstadt zu befinden. Als ich an ein paar kleinen Läden vorbeikam, sah ich in die Fensterscheiben und betrachtete mein Spiegelbild: Ja, so ungefähr hatte ich mir mich vorgestellt. Es war seltsam, aber ich hatte ein Bild vor Augen gehabt, dass meinem tatsächlichen Aussehen doch sehr ähnelte.
Ich dachte darüber nach, dass Cale mir Essen gebracht hatte und fragte mich, ob er sich von dem Pizzabäcker ernährt hatte. Und schlagartig wurde mir bewusst, dass ich nicht mal Geld besaß. Das brauchte man in dieser Welt, das fiel mir plötzlich wieder ein. Ich seufzte und setzte mich auf eine Bank, die vor einer Bäckerei stand, die allerdings noch geschlossen hatte.
Wie sollte ich mich in dieser Welt jemals zurecht finden? Meine Existenz war von dem Moment, an dem ich auf dem Friedhof aufgewacht war, zum Scheitern verurteilt gewesen:
Ich hatte keine Bleibe und auch kein Geld. Ich kannte in dieser Stadt niemanden der mir helfen könnte und ich wusste nicht mal, was ich hier überhaupt tun sollte.
Und selbst wenn ich doch irgendwas besitzen sollte, konnte ich mich ja nicht mehr daran erinnern, also half es mir auch nichts.
Ich stand auf und setzte meinen Weg fort. Ich kam an einigen Kleingärten und Wohnhäusern vorbei und suchte angestrengt nach dem Wetterhahn, den ich in meiner Vision gesehen hatte. Bei jeder blonden Frau sah ich genauer hin, aber ich konnte niemanden entdecken, der der Frau die ich gesehen hatte, auch nur ansatzweise ähnelte.
Es wurde immer deprimierender. Ich hatte keine Ahnung, wo genau ich suchen sollte und obwohl die Stadt nicht gerade groß zu sein schien, würde es sicher Wochen dauern, bis ich jedes Grundstück untersucht hatte. Und das schlimmste war: Ich wusste nicht einmal, ob es dieses Grundstück tatsächlich gab und wenn doch, ob es sich überhaupt in dieser Stadt befand!

Gegen Mittag wurde ich furchtbar müde. Ich hatte Hunger und meine Beine taten weh.
Ich überlegte einen Moment, was ich nun tun könnte. Ich konnte doch nicht tatsächlich zurück zu Cale gehen! Oder doch?
Er hatte es mir ja schließlich hintenherum angeboten. Es war mir auch egal, ob es eine Falle sein könnte. Wenn er mich hätte töten wollen, hätte er die Chance gehabt und wenn er wirklich auf einen anderen Zeitpunkt wartete, dann war es halt so.
Er war mein einziger Kontakt, das einzige Lebewesen, dass ich in diesem Moment kannte. Und ohne ihn, was mein derzeitiges Leben noch trostloser, also riskierte ich lieber meinen Tod, als darauf zu verzichten, zu ihm zurückzugehen.


Als ich in der Gruft ankam, rechnete ich damit, dass Cale schlafen würde. Vampire waren Geschöpfe der Nacht und schliefen am Tag, so sagte es mir eine Stimme in meinem Kopf.
Doch er saß vor dem Fernseher und reichte mir die Pizzaschachtel entgegen, ohne etwas zu sagen.
„Danke.“, sagte ich und aß ein weiteres Stück der inzwischen kalten Pizza. Lange würde die nicht reichen, aber immerhin knurrte mein Magen fürs erste nicht mehr.
Als ich aufgegessen hatte, legte ich den Pizzakarton auf eine Kommode, die hinter mir stand und blieb dann unbeholfen auf der Stelle stehen.
„Bist du müde?“, fragte Cale plötzlich, aber ansehen wollte er mich immer noch nicht.
„Ja.“, antwortete ich und kam mir furchtbar und komplett fehl am Platz vor.
„Du kannst das Bett benutzen.“, meinte er.
Ich bewegte mich kein Stück. Es war mir unangenehm und es war in Anbetracht der Tatsache, wie wir beide uns kennengelernt hatten, seltsam, sich nun wieder in sein Bett zu legen.
„Schläfst du nicht?“, fragte ich schließlich und trat einen Schritt näher.
„Brauch ich nicht.“ Endlich sah er mich an: „Das ist für mich nur Luxus. Es stärkt mich, aber ich bin auf den Schlaf nicht angewiesen wie ein Mensch. Du siehst allerdings sehr müde aus.“
Ja, das war ich auch. Ich zwang mich zu einem Lächeln, aber er deutete es wohl falsch:
„Du braucht dir keine Sorgen zu machen, ich werde dir nichts tun!“
Er sah mir direkt in die Augen und mir lief ein Schauer über den Rücken.
„Das hab ich auch nicht gedacht.“, sagte ich ehrlich, auch, wenn ich es zugegebenermaßen in Betracht gezogen hatte. Egal was passiert war, ich hatte keine Angst vor ihm. Das hatte ich von Anfang an nicht gehabt. Aber diesmal lag es nicht an der Tatsache, dass ich um meine Kräfte wusste. Es war einfach so ein Gefühl, vielleicht auch einfach Hoffnung.
Er schien mir zu glauben, aber erstaunt über meine Antwort zu sein. Er stand auf und stellte sich auf die andere Seite des Bettes:
„Du bist anders.“, sagte er „du bist nicht wie meine üblichen Opfer. Naive, dumme Menschen, die sich nur um sich selbst sorgen. Ich kann dich nicht töten, denn ich will es nicht. Du hast mich so angesehen, als würdest du mehr in mir sehen als nur das Monster, dass ich bin.“
Er schien sich einen Moment später darüber zu ärgern, dass er so offen mit mir gesprochen hatte. Er war in seinem Inneren genauso einsam wie ich, das wurde mir nun bewusst.
„Ich weiß nicht, wo ich hingehen soll.“, platzte es plötzlich aus mir heraus und er sah mich verwundert an. Ich griff nach der Bettdecke und umklammerte sie mit meinen Händen.
„Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Ich habe hier kein zu Hause, fürchte ich. Ich kenne hier auch niemanden.“
Ich blickte zu Boden und schämte mich. Ich zwang ihm meine Probleme regelrecht auf, aber ich musste mit jemandem darüber sprechen.
Einen Moment lang schien er nicht zu wissen, wie er reagieren sollte, dann kam er um das Bett herum , trat hinter mich und legte mir zögerlich seine Hand auf die Schulter.
„Ich hab dir doch gesagt, dass du erst mal hier schlafen kannst.“
„Aber das ändert doch nichts.“ Mein Griff wurde fester und meine Knöchel liefen weiß an. „Ich habe kein Geld oder irgendwelche finanziellen Mittel um mir eine Wohnung leisten zu können. Ich werde keinen Job bekommen, weil ich nicht mal einen Ausweis habe, geschweige denn einen Lebenslauf. Ich bin vermutlich gar nicht existent!“
„Doch.“, sagte er plötzlich und ich spürte seinen Atem auf meiner Schulter „ich höre dein Herz ganz deutlich. Es schlägt. Und ich spüre wie das warme Blut durch deine Adern läuft…“
Ich bekam eine Gänsehaut, wie er dort hinter mir stand und so mit mir sprach. Es lag etwas Bedrohliches in der Luft. Er konnte diesen Moment nutzen, um mir seine Zähne in den Hals zu hauen und dann würde er mich aussaugen, bis der letzte Tropfen Leben aus mir herausgezogen war.
Aber ich wusste, oder ich hoffte, er würde es nicht tun.
Er strich mein Haar zur Seite und ich schloss die Augen.
„Du lebst. Und du bist nicht alleine.“, sagte er. „Und was den Ausweis angeht…“ ich spürte, wie er grinste „den können wir auch fälschen!“

Ich blickte in Cales graue Augen und schlagartig wurde mir bewusst, wie absurd diese Situation tatsächlich war.
Er hatte sich zu mir auf das Bett gelegt und grinste mich nun an. Er war kein Monster, nicht für mich.
Ich wusste nicht, wie es dazu gekommen war, dass er mehr in mir sah als eine Blutspende. Vermutlich was es einfach das Wissen um ein unendliches Verständnis, welches wir füreinander hatten, seit ich ihm auf dem Friedhof zurücklassen wollte.
Ich konnte ihn nicht töten, weil ich, ohne es genau beschreiben zu können, etwas in seinen Augen erkannt hatte und er konnte mich nicht töten, weil er wusste, dass ich ihn verstand.
Sein Arm lag an meinem. Seine Haut war warm. Ich hatte damit gerechnet, dass sie eiskalt sein musste, aber so war es nicht.
Für diesen kurzen Moment, ich wusste nicht, wie lange er andauern würde, fühlte ich mich nicht einsam. Eine unglaubliche Wärme durchzog meinen Körper, es war schon fast eine Art Glücksgefühl, dass ich nun verspürte. Wer hätte gedacht, dass der blutrünstige Vampir, der mich vor kurzem noch aussagen wollte nun mein erster und bisher einziger Kontakt war?
Obwohl ich nicht wollte, dass dieser Moment endete, fiel ich bald in einen tiefen Schlaf.
Ich war erschöpft von meiner Suche und all den Eindrücken, die ich heute gewonnen hatte. Ich wusste nicht, wie es nun weitergehen sollte. Hier konnte ich ja nicht ewig bleiben, das würde Cale sicherlich nicht wollen. Ich musste mir etwas einfallen lassen und das so schnell wie möglich.
Ich träumte nichts. Ich wusste nur, dass es draußen helllichter Tag war und ich mich scheinbar schon, an die Vampir-Zeiten gewöhnt hatte.

Als ich aufwachte, spürte ich, dass ich beobachtet wurde und sich etwas direkt über mir befand. Ich öffnete die Augen und blickte in das Gesicht einer Frau. Sie hatte blaue Augen und dunkelbraunes Haar. Ich blinzelte sie an und drehte meinen Kopf zu Cale: Er schien zu schlafen.
Die Frau stand direkt über mir, ich hatte keine Ahnung wer sie war, aber sie sah ziemlich sauer aus.
„Morgen.“, grinste ich, weil mir scheinbar nichts noch blöderes einfiel und sie zog die Augenbrauen hoch.
„Soll ich dich gleich töten oder hat Cale mit dem Frühstück auf mich gewartet?“, fragte sie und ihre Stimme klang ziemlich sauer.
Cale begann sich zu regen, schien allerdings leicht geschockt, als er die Braunhaarige erblickte.
„Runa“, sagte er langsam. „was machst du denn hier?“
Okay, die beiden kannten sich. Vielleicht waren sie ja so was wie ein Paar?
„Was soll das hier?“ Daruna wurde immer ungehaltener und ich spürte, wie sie damit bemüht war, sich zusammenzureißen. Wenn sie ihrem Instinkt gefolgt wäre, hätte sie mir augenblicklich ihre Hauer in den Hals geschlagen. Ja, auch sie war eindeutig ein Vampir.
Sie trug Pumps mit ziemlich hohen Absätzen und eine enganliegende, dunkelblaue Jeans. Darüber ein dunkelgraues Top und eine schwarze Lammfelljacke. Es sah so aus, als wollte sie gerade zu einer Party aufbrechen, aber vermutlich lief sie immer so rum. Ihr Haar war leicht gelockt und fiel ihr bis auf den Rücken.
„Was soll was hier?“, Cale setzte sich auf „Was du hier willst, habe ich dich gefragt!“
„Ich wollte dich einfach nur besuchen, Cale. Die anderen Nächte hattest du ja auch nichts dagegen wenn ich die Tage hier verbracht habe.“ Sie sah mich triumphierend an und erwartete wohl, dass ich nun eifersüchtig sein würde. Langsam verstand ich: Sie dachte, ich wäre seine Affäre.
„Schläfst du nun immer erst mit deinem Essen bevor du es kostest?“ Sie fummelte in meinem Haar herum und behandelte mich, als wäre ich ihr Spielzeug. Cale schlug ihre Hand mit einem Ruck von meinem Kopf weg:
„Sie wird nicht getrunken. Sie nicht, Daruna.“
Daruna zog die Augenbrauen hoch und schien einen Moment lang keine Antwort zu wissen, dann begann sie fürchterlich zu lachen:
„Oh, entschuldige Cale. Du magst deine Menschen ja nicht ängstlich. Ich wusste aber nicht, dass Sex das Blut besser schmecken lässt!“
Daruna war ziemlich sauer und sie machte auch keinen Hehl daraus, es zu zeigen.
„Nein, ich meine es ernst.“, sagte Cale gleichgültig „Sie wird nicht getrunken. Aber du kannst es ja mal versuchen, deine Beißerchen bei ihr anzusetzen. Du hast schneller verloren, als ich.“
Daruna schien nach dem Witz in Cales Satz zu suchen, fand ihn aber offensichtlich nicht.
„Du bist doch total übergeschnappt, Cale.“, schloss sie schließlich. „Ich hau jetzt ab, ich habe Hunger! Kommst du mit?“
Sie sah ihn erwartungsvoll an. Ich sah es in ihrem Blick: Sie hatte etwas für Cale übrig. Deshalb hatte sie auf mich so reagiert.
„Daruna.“, sagte ich und sie blickte mich scharf an. „wie wäre es, wenn ich euch die Stärkung besorgen würde?“
Ich spürte Cales Blick im Nacken und Daruna begann von Neuem wild zu lachen. Ohne eine Antwort abzuwarten stand ich auf und verließ die Gruft. „Ich bin gleich wieder da!“, hörten sie mich noch rufen.

Schon beim Verlassen der Gruft, fiel mir auf, was für eine bescheuerte Idee das Ganze gewesen war. Eigentlich hatte ich nur nach einem Grund gesucht, verschwinden zu können, um die beiden alleine zu lassen, aber es ärgerte mich, dass mir keine bessere Ausrede eingefallen war. Ich hatte gesagt ich wollte ihnen „eine Stärkung“ besorgen. Wie sollte ich das anstellen? Ich konnte ja nicht mit Kaffee und Croissants zurückkommen. Mir war klar, dass die beiden jetzt erst mal eine Weile mit sich selbst beschäftigt sein würden, und da mir nichts besseres einfiel, machte ich mich auf den Weg in das Krankenhaus, welches mir heute Morgen auf meinem Weg durch die Straßen von Lamisolis aufgefallen war.
Ich hatte keine Ahnung, wo in einem Krankenhaus die Blutkonserven aufbewahrt wurden, aber meine erste Sorge war, dass jemand mich schon am Eingang aufhalten würde, weil die Nachtruhe schon begonnen hatte.
Ich schlich mich am Wärter vorbei und betrat den Eingangsbereich des Krankenhauses. Da saß eine Schwester am Empfang, die damit beschäftigt war, in einem Groschenroman zu lesen. Ansonsten war es hier wie ausgestorben.
Ich eilte durch die Gänge, bis ich schließlich an einen Raum kam, vor dem ein kleines Schild hing: „Vollblut“ stand darauf und darunter war ein elektronisches Thermometer, welches 5° C anzeigte.
Ich hoffte, dass die Tür nicht abgeschlossen war und versuchte, sie langsam zu öffnen.
Als ich den Raum betrat konnte ich gar nichts sehen, da meine Augen sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt hatten; der Krankenhausflur war hell erleuchtet gewesen. Aber ich hörte ein Geräusch und als ich ein kleines Licht in meiner Handfläche entstehen ließ, um besser sehen zu können, sah ich vor mir einen jungen Mann zwischen mehreren Blutreserven liegen, der sich offenbar bei meinem Eintreten ziemlich erschrocken hatte und an die Wand gerutscht war.
„Hallo“, sagte ich und ging an ihm vorbei auf das Regal zu. Ich wollte hier keine Zeit verlieren.
„Brennt deine Hand?“, fragte er mich und sah erstaunt zu mit hinauf.
Seine Haare waren braun mit hellen, gefärbten Strähnen darin und total verwuselt. Er trank aus einer der Blutkonserven während er mich weiter anstarrte.
„Nein, das ist nur ein Licht.“, erklärte ich „ich hab keine Reißzähne, so wie du, ich kenn' mich nur ein wenig mit Magie aus.“
Ich durchsuchte das Regal nach vollen Konserven, aber der Kleine hier hatte scheinbar schon ordentlich zugeschlagen.
„Du weißt, dass ich ein Vampir bin? Trinkst du auch Blut?“
„Ja und Nein.“
Ich spürte wie er hinter mir aufstand und die Hand ausstreckte.
„Ich bin Brandon, aber alle meine Freunde nennen mich Brey.“ Wir schüttelten uns die Hände und auch ich stellte mich ihm mit meinem Namen vor.
„Wir töten keine Menschen, wir ernähren uns von dem Krankenhausblut hier. Aber es ist nicht ganz das Selbe: Das Blut hier ist kalt. Und es hält sich nicht lange. Deshalb müssen wir ständig neuen Vorrat besorgen, da Vollblut schon nach kurzer Zeit seinen Geschmack verliert. Außerdem wird fast gar nichts mehr davon aufbewahrt. Es gibt fast nur noch diese Behälter, wo das Blut schon aufgeteilt wurde und das…“
„Brey, langweile sie doch nicht.“
Ich drehte mich um. Aus der Ecke ertönte eine gelangweilte Stimme, doch ich konnte nichts erkennen.
Langsam trat ich näher, das Licht hielt ich vor mich.
Dort stand ein schwarzhaariger junger Mann an die Wand gelehnt. Er wirkte ziemlich lässig. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, seine Augen geschlossen. Als er spürte, wie ich näher trat, hob er den Kopf und blickte mich an: Seine Augen waren braun und das Licht spiegelte sich darin.
„Hallo Jane“, sagte er und lächelte mich an. Plötzlich hörten wir ein Geräusch und Stimmen, die immer näher kamen.
„Sie haben uns gehört!“, flüsterte der schwarzhaarige und Brey griff so viele Konserven wie er konnte und schmiss sie aus dem Fenster, welches sich hinter ihm befand. Dann sprang er hoch und versuchte durchzuklettern, während der Schwarzhaarige ihm folgte.
Ich lief zu dem Regal hinüber und griff mir ebenfalls ein paar der Konserven. Dann machte ich, wie aus Reflex, eine Handbewegung wie einen Halbkreis und schon war ich aus dem Raum verschwunden und fand mich selbst draußen vor dem Fenster wieder. Das konnte ich also auch.
Die beiden Vampire starrten mich verdutzt an aber uns blieb keine Zeit für Erklärungen. Die Tür im Krankenhaus wurde bereits geöffnet und es brannte Licht in der kleinen Kammer für die Blutreserven. Wir rannten also durch den Hinterhof des Krankenhauses und kamen erst zum Stehen, als wir an dem kleinen Park angekommen waren, der an den Hinterhof anschloss.
Als wir stehenblieben, schnappte Brey nach Luft. „Wow, das war ja sowas von knapp, Leute!“, keuchte er. Der Schwarzhaarige und ich sahen ihn verdutzt an.
„Brandon ist erst seit ein paar Tagen Vampir und irgendwie denkt er immer noch, dass ein langer Lauf ihn anstrengen würde.“ Der Schwarzhaarige lächelte und sah mich an: „In Wahrheit können wir eine ganze Zeit lang laufen, ohne dass es uns anstrengt und normalerweise sind wir auch in ganz anderen Geschwindigkeiten unterwegs. Sonst wäre das Jagen ja unmöglich.“
Ich nickte. Ich war jedenfalls ein wenig aus der Puste.
Auf einmal wurde der Blick des Schwarzhaarigen ernst:
„Brey und ich haben beschlossen, keine Menschen mehr zu töten. Aber er ist ein junger Vampir und ziemlich stark, auch wenn es nicht so scheint. Du solltest aufpassen.“
Ich lächelte. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Brey mir etwas tun wollte. Er saß wie ein kleines, zufriedenes Kind auf dem Gras und nuckelte an seiner Blutkonserve.
„Ich glaube, ich versuche ebenfalls gerade, einen Vampir an Konservenblut zu gewöhnen, aber ich weiß nicht, ob er das mitmacht.“ Ich hielt die Beutel hoch, die ich in der Hand hielt und die rote Flüssigkeit waberte leicht darin herum.
Der Schwarzhaarige zuckte die Achseln.
„Wenn er es nicht von sich aus will, wirst du ihn vermutlich nicht dazu bewegen können. Vampire lieben die Jagd. Es liegt in unserer Natur.“
„Und warum trinkst du dann das hier?“ Ich stieß gegen den Blutbeutel, den er in seiner Hand hielt.
„Weil ich nicht mehr töten will. Brandon ist mit einem Menschenmädchen zusammen und ich will ihn dabei unterstützen, von ihr ablassen zu können. Das erfordert allerdings eine Menge Disziplin.“
Er sah mich an und lächelte traurig.
„Wo ist sie?“, wollte ich wissen.
„Sie wartet auf ihn.“, der Schwarzhaarige lachte „das muss Liebe sein, nicht wahr?“
Wir beide sahen uns an und spürten, dass niemand von uns beiden mehr wusste, was Liebe eigentlich war und bedeutete.
„Sein Erschaffer ist tot. Eine Jägerin hat ihn gekillt, kurz nachdem er Brandon töten wollte. Das war einer von diesen Drogen-Vampiren. Sie erschaffen neue Vampire, weil es sie scharf macht, wenn jemand ihr eigenes Blut trinkt. Du weißt wie Vampire erschaffen werden?“ Mein Blick verriet ihm wohl die Antwort, denn er fuhr fort:
„Erst musst du gebissen werden. Der Vampir ernährt sich von deinem Blut und kurz bevor dein Herz aufhört zu schlagen musst du das Blut eines Vampires trinken. Die meisten ritzen sich dazu den Arm auf. Und es ist nicht so, dass du dich in diesem Moment davor ekelst. Es ist wie eine Art Sucht und du hast das unglaublichste Verlangen nach diesem Blut, bis du schließlich umfällst und dein Herz aufhört zu schlagen. Dann dauert es eine Weile - und unglaubliche Schmerzen später, bist auch du ein Vampir.
Und Brandons Erschaffer hat viele Vampire erschaffen nur um sie anschließend zu töten. Jungvampire sind wild und unberechenbar, es hat ihm Freude bereitet, gegen sie zu kämpfen.“
Mir tat Brandon Leid, wie er da vor mir saß und Blut trank. Er hätte sein ganzes Leben noch vor sich gehabt und er passte nicht in die Rolle eines Vampires. Er wirkte so unschuldig und rein.
Wir beide standen da und betrachteten Brandon, der gar nichts um sich herum mitzubekommen schien.
„Es ist noch sehr schwer für ihn.“, wiederholte der Schwarzhaarige.
„Und für dich?“
Er lächelte.
„Oh, wenn du mich so fragst, hätte ich nicht wenig Lust dich ein wenig zu kosten. Aber es ist nicht so, dass mich dieser Gedanke umbringt. Ich kann hier auch neben dir stehen ohne gleich über dich herzufallen.“
Bei dieser Wortwahl mussten wir beide lachen.
„Ich bin übrigens Tyrone.“ Er reichte mir die Hand.
„Hey, Ty, du sollst da nicht rumflirten!“, rief Brey, der uns scheinbar wieder zu bemerken schien.
Ty lächelte, ohne den Blick von Brey abzuwenden. „Trink du lieber erst mal aus!“, gab er zurück.
Er ließ es sich nicht anmerken, aber Ty beobachtete Brey sehr genau. Er war jeden Moment darauf gefasst, dass Brey etwas Unüberlegtes zu könnte.
In der Ferne entdeckten wir plötzlich die Lichter eines Parkwächters und Ty schaltete schnell:
„Wir müssen nun gehen. Wir sehen uns Jane!“
Er zog Brey an der Schulter hoch und flüchtete mit ihm in den nahegelegenen Wald. Ich sah den beiden noch eine Weile nach, bevor ich mich auf den Rückweg zu Cales Gruft machte.
Wenn ich darüber nachdachte, was mich dort erwarten könnte, hätte ich lieber noch ein paar Stunden mit Ty und Brey im Park verbracht.

Als ich zurück an die Gruft kam, stand Daruna zu meinem Erstaunen vor dem Eingang und wartete bereits auf mich. Ich sah sie erstaunt an und blieb in einigem Abstand vor ihr stehen.
„Na.“, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. „Du bist also doch nicht seine Geliebte.“
Meine Anspannung ließ ein wenig nach. Die Situation war dennoch seltsam.
„Woher kommt die plötzliche Einsicht?“, fragte ich und kam ein wenig näher.
„Er hat gesagt du seist in Ohnmacht gefallen und er hätte dich aufgenommen.“ Sie blies den Rauch aus „Ehrlich gesagt, ist es mir scheiß egal, was zwischen euch ist.“
Sie sah erschöpft aus. Genauso wie Cale. Die beiden schienen harte Zeiten hinter sich zu haben und dennoch schien ihr mehr an ihm zu liegen als umgekehrt. Ja, sie schien sich in ihn verliebt zu haben, während er sie nur als eine Affaire betrachtete.
Ich fragte mich, ob Vampire Liebe empfinden konnten, aber Darunas Blick hatte es mir eigentlich schon verraten.
Daruna blickte in die Ferne während der Qualm vor ihrem Gesicht langsam dahinzog.
„Seid ihr ein Paar, du und Cale?“, fragte ich. Sie schnaubte.
„Macht es etwa den Anschein als wären wir ein Paar?“
Sie musste während meiner Abwesenheit etwas getrunken haben, denn sie lallte leicht beim Sprechen.
„Er lässt an mir doch nur seine Aggressionen aus!“ Sie lächelte und tat so, als würde ihr das gefallen, aber in ihren Augen sah ich, wie verletzt sie eigentlich war.
„Seit ich in dieses scheiß Kaff gekommen bin, hat Cale seinen Gefallen an mir gefunden. Aber er ist ja ständig lieber allein und schickt mich weg. Dann vergnüge ich mich eben woanders!“
Sie schwenkte die Hand mit der Zigarette und machte eine ausladende Bewegung. Daruna stand dort wie ein Häufchen Elend und sie startete noch nicht mal den Versuch, mich zu töten. Sie hätte einige Gründe dafür gehabt:
Einerseits hatte sie mich mit ihrem Geliebten im Bett erwischt, andererseits hatte sie sicherlich Hunger und ich war sozusagen die Lieferung frei Haus. Außerdem floss in meinen Adern nun mal Blut und ich glaubte nicht, dass sie während meiner Abwesenheit schon getrunken hatte. Hinzukam, dass sie mich offensichtlich nicht mochte und mein Tod ihr vermutlich pure Freude bereitet hätte.
Ich weiß nicht, warum sie es nicht versuchte. Entweder, weil sie gerade lieber reden als Essen wollte, oder weil sie Angst vor Cale hatte, der ihr sicherlich verboten hatte, mich anzurühren. Ich glaubte nicht, dass sie Cales Warnung vor meinen Fähigkeiten allzu Ernst nahm.
Ich trat ein paar Schritte auf sie zu und hielt ihr eine der Blutkonserven entgegen:
„Hier, das ist menschliches Blut.“, sagte ich und wartete ihre Reaktion ab.
Ihr Blick verweilte eine Weile auf der Konserve bevor sie mich anlachte:
„Ich soll das doch nicht etwa trinken, oder? Das ist eiskalt und schmeckt sicherlich furchtbar! Wie abgestandene Cola.“
Ich konnte das schon verstehen. Ich hatte keine Ahnung, wie Blut für Vampire schmeckte, aber es gab sicherlich einige feine Unterschiede, die man im Laufe seines Vampirdaseins zu beachten lernte.
„Wenn du hier jemanden davon abbringen willst, zu jagen und zu töten, bist du bei mir an der falschen Adresse, Jane.“
Sie schnippte ihre Zigarette weg, griff nach ihrer Handtasche und verschwand in der Nacht.
Es war eine dumme Idee gewesen. Wie hatte ich erwarten können, dass sie sich mit abgenommenem Blut zufrieden geben würden? Ich hätte eine junge Frau servieren sollen.
Doch während ich darüber nachdachte, wurde mir bewusst, dass es sehr wohl Vampire gab, die dem Töten abgeschworen hatten: Brey und Ty. Vielleicht sollte sich Cale ja mal mit denen unterhalten.

 

Unten in der Gruft, saß Cale nachdenklich auf dem Bett. „Da bist du ja wieder!“, murmelte er ohne den Punkt, den er gerade anstarrte, aus den Augen zu lassen.
Plötzlich kam ich mir unendlich dumm mit den Blutkonserven in der Hand vor. Es war, als würde ich jemandem verdorbenes Fleisch oder verschimmelten Käse reichen wollen.
Cale sah zu mir auf und grinste, als er die Konserven in meiner Hand entdeckte:
„Das verstehst du also unter Essen mitbringen.“
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, nahm er mir eine Konserve aus der Hand und saugte sie aus. Ich stand schweigend da und sah ihm zu.
„Es schmeckt nicht sonderlich gut.“, bemerkte er und zuckte mit den Achseln, stand dann aber auf und packte die restlichen Konserven in seinen Kühlschrank, nachdem er sie mir abgenommen hatte.
„Du willst mich doch jetzt nicht etwa vom Töten abhalten, oder?“, fragte er mich und sah mich belustigt an.
Ich wusste nicht, was ich wollte.
Eigentlich hatte ich nur nach einem Vorwand gesucht um Cale und Daruna alleine zu lassen aber nun, da dieser Gedanke einmal in meinen Kopf gekommen war, gefiel mir Cale fiel besser, wenn er nicht an der Halsschlagader irgendwelcher Menschen hing.
Ich zuckte die Achseln: „Das musst du doch wissen.“
Er sah mich skeptisch an. „Es geht auf jeden Fall.“, fügte ich an meinen Satz noch an und hoffte im nächsten Moment, dass Cale das nicht gehört hatte.
„Was geht?“
„Na…sich von Konserven zu ernähren.“ Ich zuckte die Achseln. Ich ging zu weit, dass wusste ich. Wir kannten uns kaum und schon stellte ich irgendwelche Ansprüche.
Ich lächelte ihn an und klopfte ihm auf die Schulter:
„Ach Cale, dass musst du doch selbst wissen. Jäger bleibt wohl Jäger!“
Schnell drehte ich mich um und verließ die Gruft, ich wollte unbedingt einem Streit aus dem Weg gehen.
Draußen setzte ich mich auf eine der Mauern und starrte in die Nacht. Ich gehörte hier gar nicht her. Ich war kein Vampir. Seitdem ich mich in dieser Stadt umgesehen hatte, hatte ich noch mit keinem einzigen Menschen gesprochen. Es wimmelte hier scheinbar nur so von Blutsaugern.

Die folgenden Tage sprach keiner von uns das Thema erneut an. Daruna ließ sich nicht mehr blicken und Cales Laune besserte sich langsam wieder.
In einer Morgendämmerung machte ich einen Spaziergang durch den kleinen Park, der neben dem Friedhof lag. Ich genoss die Stille, denn so konnte ich in Ruhe nachdenken. Ich versuchte, mich so genau wie möglich an die Bilder zu erinnern, die ich gesehen hatte. Diese junge Frau. Wer war sie nur?
Erst das unheimliche Knurren, welches die Stille plötzlich durchbrach, riss mich aus meinen Gedanken. Ich wirbelte herum und suchte nach dem Verursacher: Aus dem Boden kletterte eine Art Dämon. Er war grau und hatte zwei hornähnliche Stümpfe aus dem Kopf ragen. Seine Augen funkelten rötlich und seine Zähne waren spitz.
Er blieb vor mir stehen wie erstarrt und auch ich rührte mich nicht von der Stelle. Dann stieß er einen schrillen Schrei aus und flüchtete.
Just in diesem Moment sprang etwas von der Seite aus auf mich und riss mich zu Boden. Der stumpfe Aufprall schien einen Bewegungsmelder aktiviert zu haben, denn in der näheren Umgebungen schienen plötzlich zwei kleine Wegbeleuchter.
Ich ergriff den Angreifer am Kragen und wollte ihn gerade unsanft von mir weg scheuchen, als ich erkannte, wer mich da umgenietet hatte: Ich blickte in Breys treue Augen und lockerte augenblicklich meinen Griff.
„Wow!“, platzte es aus ihm heraus „Was war das denn für ein Ding? Wollte dich das angreifen?“
Ich blinzelte ein paar Mal und versuchte zu verstehen, was hier gerade vor sich ging.
Scheinbar war diese unsanfte Landung der Versuch gewesen, mich zu schützen. Plötzlich musste ich lachen. Brey war ein Vampir und hätte in so vielen Belangen gruselig sein sollen, aber er war knuddelig wie ein Teddybär und so unbeholfen wir ein Kind.
„Scheinbar hast du ihn vertrieben, Brey!“, grinste ich und tätschelte ihm auf den Kopf.
Er blickte sich um und sprang dann schnell auf die Beine um mir anschließend aufzuhelfen.
„Tut mir Leid, Jane. Ich dachte du wärst in Gefahr.“ Er kratzte sich am Kopf und verzog peinlich berührt das Gesicht.
„Danke, dass du mich retten wolltest.“ Ich lächelte und das schien ihn zu beruhigen.
Doch plötzlich überkam mich ein ganz seltsames Gefühl. Auch Brey schien etwas zu wittern, denn ich merkte, wie sein Körper sich anspannte.
„Pass auf!“, flüsterte er. „Ja, ich spüre es auch.“, gab ich zurück.

 

Mehrere Vampire umzingelten uns. Sie kamen aus dem Nichts, so schien es. Brey und ich stellten uns Rücken an Rücken.
„Willst du dein Frühstück nicht mit uns teilen?“, fragte einer der Vampire,an Brey gerichtet „Die Sonne geht gleich auf und wir hatten diese Nacht noch nichts zwischen den Beißerchen.“
„Tut mir Leid.“, meinte Brey „Ich teile ungern.“
Das wollten die Vampire natürlich nicht hören. Ich wusste, dass sie nur nach einer Gelegenheit suchten, um mich anzugreifen.
„Sie sind ebenfalls jung.“, hauchte Brey „Sie sind so unkontrolliert.“
Die Jungvampire streiften eine Weile wie Raubkatzen um uns herum. Sie würden Brey töten, wenn er ihnen in die Quere kommen würde, so viel war sicher.
„Wo ist eigentlich Ty?“, fragte ich beunruhigt und verfolgte die Schritte unserer Besucher.
„Ich hab ihm versichert, dass ich gleich zurück bin, wollte nur eine Runde joggen.“, begann Brey und ich verstand sofort, dass Ty nicht in der Nähe war um uns zu helfen.
Ich wusste nicht, ob ich es mit so vielen Vampiren gleichzeitig aufnehmen konnte. Ich zählte, während sie um mich herumtanzten: Es waren fünf.
Im nächsten Moment griff mich einer der Vampire an. Er versuchte sofort an meinen Hals zu gelangen. Ich nutzte meine Kraft um ihm einen heftigen Energieball entgegen zu schleudern, der ihn in die Luft hob. Die anderen Vampire wirkten erschrocken, ließen sich aber nicht davon abhalten, in den Angriff mit einzusteigen.
Brey stand mir zur Seite und griff sich einen der fünf. So unbeholfen und niedlich er doch war, eins musste man ihm lassen: Er war ein guter Kämpfer. Es dauerte nicht lange, da hatte er seinem Gegner das Genick gebrochen, ihn mit einem Tritt zu Fall gebracht und ihm schließlich mit einem Pflock, den er zu meinem Erstaunen bei sich trug, den Gnadenstoß versetzt. Der junge Vampir versteinerte und löste sich kurz darauf in Staub auf und Brey war sofort wieder auf den Beinen, um sich den nächsten zu greifen.
Obwohl wir es nun nur noch mit Vieren zu tun hatten, waren wie immer noch in der Unterzahl und die Jungvampire waren ziemlich stark. Nochmal würde Brey sicherlich nicht so eine Glanzleistung gelingen. Ich liest eine riesige Energiewelle frei, die den Angreifern den Boden unter den Füßen nahm und sie zu Fall brachte; doch Brey und ich konnten jeweils nur einen der Vampire angreifen, während die anderen darauf setzten konnten, dass wir unsere Deckung vernachlässigen würden sobald wir mit einem ihrer Kollegen beschäftigt waren.
Ich hievte einen der Vampire vom Boden auf und drückte ihn gegen einen der Bäume. Er versuchte mich zu beißen, aber ich stieß ihm mein Bein in den Magen und drückte zu.
„Ich brauche einen Pflock!“, rief ich Brey zu, aber der war gerade anderweitig beschäftigt. Ich sah, wie die beiden verbliebenen Vampire auf mich zukamen und biss mir auf die Lippe: Was sollte ich jetzt tun.
Plötzlich spürte ich einen Windzug und der Vampir, den ich eben noch festgehalten hallte, löste sich in Staub auf. Auf der Höhe, wo sich eben noch sein Oberkörper befunden hatte, steckte nun ein Pflock aus Holz. Ohne zu hinterfragen, griff ich den Pflock und pfählte einen der zwei Vampire, die auf mich zukamen.
Der andere fiel ruckartig nach vorne, prallte auf den Boden und ehe ich mich versah, beugte sich eine blonde, junge Frau über ihn, um ihm ebenfalls den Rest zu geben.
Als sie sich wieder aufrichtete warf ich einen Blick auf ihr Gesicht und konnte es kaum fassen: Das schien eindeutig die Frau aus meiner Vision zu sein! Ich starrte sie einen Moment lang an, ehe ich merkte, was ich da eigentlich tat.
„Danke.“, sagte ich und gab ihr den Pflock zurück „Der gehört wohl dir.“
Sie nickte aber hielt ihn mir direkt wieder hin:
„Wenn du keinen hast, wirst du sicherlich einen brauchen.“

 

Wir lächelten uns einen kurzen Moment an, ehe ich los lief, um Brey zu helfen. Er hielt den Vampir fest und ich pfählte ihn mit meinem neuen Pflock. Ich sah, wie die blonde Frau auf Brey zuging und stellte mich schnell schützend vor ihn:
„Ihn nicht.“, sagte ich ernst.
Sie zog eine Augenbraue hoch und starrte an mir vorbei auf Brey.
„Ich mache normalerweise keine Ausnahmen.“, sagte sie emotionslos, aber sie ließ die Hand mit dem Pflock sinken.
Dann wandte sie sich wieder an mich und reichte mir die Hand.
„Du scheinst ja ganz gut auf dich aufpassen zu können. Ich bin Prea.“
Während ich mich und Brandon vorstellte, starrte ich sie an und konnte immer noch nicht fassen, dass die Frau aus meiner Vision vor mir stand. Irgendwas musste das zu bedeuten haben.
„Du solltest langsam verschwinden.“, sagte Prea an Brey gewandt und deutete nach oben. Die Sonne war gerade dabei, aufzugehen.
„Ich muss jetzt auch los!“, meinte sie und machte sich auf den Weg „Wir sehen uns!“
Ich sah ihr hinterher und fragte mich, was diese Begegnung zu bedeuten hatte. Brey stand mit gekreuzten Armen hinter mir und meinte:
„Von der würde ich mich lieber fernhalten, das ist eine Jägerin!“

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ElisabethBlack Gefällt mir. Besonders die Charaktere wie Cale. Dein Schreibstil ist echt gut.
Bis irgendwann einmal, ElizabethBlack
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