Romane & Erzählungen
Klassentreffen XIII - *** ENDE (9 Seiten) ***

 

 

Es ist mir nun egal, dass dieses Gespräch im Gegensatz zu denen mit meinem Anwalt von der Vollzugsbeamtin mit gehört wird.  

„Es war ja auch nicht so, dass ich es geplant hatte. Aber was ich an jenem Morgen entdeckt habe, hat mich so wütend gemacht...“

Auch jetzt noch spüre ich etwas davon, dazu die Trauer darüber, dass meine Gefühle so ausgenutzt worden waren. Mit den Füßen zertrampelt. Ganz kurz erzähle ich Kerstin leise das Gespräch, an dessen Ende ich wütend auf Kai losgegangen war.

Dabei hatte ich wild gegen seine Brust geschlagen,

 

er war beim Zurückweichen gestolpert und plötzlich über die Brüstung gestürzt.

„Die Anklage gegen mich wird vermutlich auf Vorsatz plädieren, aber ich schwöre dir, es war nichts außer Wut und enttäuschter Hoffnung. Vielleicht noch ein wenig verletzte Eitelkeit, aber eigentlich nur Trauer über den Verlust meiner Liebe.“

Kerstin schweigt zunächst. „Ja, ich dachte mir so etwas. Ich hoffte es.“

Von der Tür kommt eine kalte Stimme. „Es tut mir leid, aber die Besuchszeit ist bald vorbei. Verabschieden Sie sich bitte.“

Die Zeit ist knapp, aber etwas muss ich noch los werden.

 

„Weißt du, was seine letzten Worte an mich waren?“, frage ich und natürlich schüttelt sie den Kopf.

„ ‚Mellie, dich mag ich doch auch ganz gerne’ “, zitiere ich tonlos und sehe das Flackern in ihren Augen.

Stumm legt Kerstin ihre Hand auf meine, dann erhebt sie sich und geht. Aber ich weiß, SIE hat mich verstanden. Sie weiß, welch tiefe Erniedrigung in diesem Satz für mich lag.

Die Beamtin führt mich wieder in meine Zelle. Die Polaroids sind als harmlos eingestuft, ich darf sie behalten, sie erwarten mich noch immer, als ich vom Abendessen zurück komme. 

 

 

18 Uhr, Einschlusszeit bis morgen früh um sechs. Das müsste reichen.

Glücklich presse ich das schönste der Bilder an meine Brust, lege es dann auf mein Kissen.

 

Daneben ein Foto von Kai. Es waren ja genügend in der Zeitung in letzter Zeit und für Geld und Zigaretten bekommt man so ziemlich alles hier. Was mir mein Vorhaben sehr erleichtert hat.  

 

Jetzt bleibt mir schließlich nur noch Eines zu tun.

 

 

Monique wird sicher auch ohne mich glücklich sein, man wird sich gut um sie kümmern.

Doch mein Kind soll nicht wissen, was rund um seine Geburt vorgefallen ist und deswegen ist es am besten, wenn ich ganz aus dieser Welt abtrete.

Sollen sie ihr halt etwas von einer Leihmutter erzählen, mehr war ich ja auch nicht.

Eine Leihmutter und eine hoffnungslos verliebte graue Maus.

 

 

 

 

                                                                          ""

 

 

 

Berlin, im April '98

 

Hier schicke ich dir Mellies Tagebuch, wie man es in der JVA vorgefunden hat, nachdem sie sich in der Nacht nach meinem Besuch das Leben genommen hat.

 

Offenbar will sie nicht, dass Monique von ihr weiß, aber letztendlich denke ich, dass diese Entscheidung nun am ehesten dir zukommt. Ich weiß oder kann es mir zumindest denken, was für eine schwere Zeit du durchmachst und noch durchmachen wirst.

 

Und ich bin froh, dass du Luca an deiner Seite hast. Im Grunde sind er und das Baby die einzig unschuldigen Opfer.

 

Bitte trage deinem Kind nicht nach, was seine Mutter getan hat und denke auch nicht nur schlecht über Melanie. Aber das tust du ja meiner Meinung nach auch gar nicht, denn hättest du mir sonst das Bild von dir mit Monique in deinem Arm gegeben? Oder wolltest du sie damit quälen?!

 

Sie liebte Monique, sie mochte auch deinen Freund, aber sie liebte eben auch dich so sehr, dass sie die Realität nicht sehen konnte.

 

Ich bin jedenfalls fest davon überzeugt, dass sie nur im Affekt gehandelt hat und dir nie wirklich schaden wollte. Und ganz sicher hat sie nicht verwunden, dass du seitdem im Rollstuhl sitzt! Du, Kai Zöller, die Liebe ihres Lebens.

 

Denn das warst du für sie, auch wenn du es nicht so recht gemerkt hast oder, wie ich nach der Lektüre schließe, es andererseits ein wenig für deine Zwecke ausgenutzt hast. Selbst wenn es in deinen Ohren sicher hohl klingt, auch Mellie war ein Opfer in dieser Geschichte und tut mir leid. Wer hätte gedacht, welch schlimme Dinge so ein Klassentreffen nach sich zieht?!

 

Ich hoffe, du ziehst die richtigen Schlüsse aus Mellies Zeilen und machst deinen Frieden mit ihr. Sei immer ein guter Vater für Monique und ein liebevoller Freund für Luca, er kann am wenigsten dafür.

 

In Freundschaft

Deine

Kerstin