Romane & Erzählungen
In einem anderen Land -Hommage an Ernest Hemingway

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"In einem anderen Land -Hommage an Ernest Hemingway"
Veröffentlicht am 21. November 2012, 14 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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In einem anderen Land -Hommage an Ernest Hemingway

In einem anderen Land -Hommage an Ernest Hemingway

Beschreibung

Ein Paar befindet sich im Urlaub im Ausland unter den widrigsten Umständen.

In einem anderen Land

 

 

 

Einer dieser verregneten, trüben Tage. Irgendwo tief in den französischen Alpen. Hohe Berge. Wolkenumhangen. Nebel und Regen. Inmitten einer verfallen wirkenden Stadt. In unserem Trübsinn dachten wir nur eins: Kaffee. Allerdings hatten wir keinen Schirm. Die schüttenden Kübel Wasser hätten jedes Gestell eh sofort zerstört. Und der Weg vom Parkplatz bis zum nächsten Café war kein Katzensprung. Was tun? Je länger wir warteten, umso abgefuckter fühlten wir uns. Und das im Urlaub!

 

Wir hatten uns nicht gekämpft durch Regen und Nebel. Es erschien wie ein Kampf um Leben und Langeweile. Wieso fällt mir diese Redewendung hierzu ein? Egal. Das Leben hatten wir verloren, schien mir. Dafür saßen wir mit unserer Langeweile in dieser  Blechkiste statt im edlen Etablisement und quälten uns weiterhin: mithilfe vielem Mucke-Fucks, allerdings selbstgebrauten, des Regens wegen. Wir machten uns nämlich den „Kaffee“ einfachhalber im Auto. Wir konnten uns gratulieren – zwar, unser Gesöff schmeckte immer schaler, je länger es in der Thermosflasche gor, das ja, aber wir waren nicht nass geworden. Wir taten also so, als könnten wir jubilieren, dass wir es geschafft hatten, dem Regen getrotzt, indem wir uns sich ihm nicht ausgesetzt und uns selbst ein Lebenselixier gebraut hatten. Trotzdem, es gab einfach nichts gegen einen frisch aufgebrühten Echten, in einem anständigen, schicken Cafe-Haus. Aber der Weg dorthin war uns vom Auto aus zu nass geworden. Dafür mussten wir nun büßen: schaler, kalter Chicorée-Kaffee. Kann sich einer etwas Beschisseneres vorstellen?

 

Wie hieß nochmals diese Stadt, fragte ich die Schnecke, als wir wieder on the road waren und die braune Kloake hinunterwürgten: Sankt Claude oder so ähnlich. Miststadt, dass es erst dort regnen musste, als wir einen Kaffee am nötigsten hatten. Von Heiligkeit alles andere als die Rede. Aber die Reise ging wenigstens weiter. Sehe es so, sagte ich mir, säßen wir dort in einem Cafe, tränken wir zwar frischen Kaffee, aber wären nicht hier, wo wir jetzt waren, ein Stück weiter voran um diese runde Welt, diese verkorkste.

 

Nachts im Zelt, das wir unter größten Mühen im strömenden Regen aufgebaut hatten, trommelte derselbe auf uns herab wie sämtliche afrikanische Bongos. Als ich meine Reisegefährtin umschlingen wollte, sagte sie: „Nicht so stürmisch!“ „Entschuldigung, bei dem Wetter!“ Sie ließ nicht locker. „Wir sind schon nass bis unter die Haut!“ „Dann ist es eh schon egal!“ Sie kicherte darüber, ganz Vollweib, das weich wird, wenn man aufs Ganze geht. Dann machte ich es auf die sanfte Tour. Geht auch. So konnten wir wenigstens bald einschlafen unter lautem Getrommle.

 

Meine Partnerin gesteht mir, dass sie froh sei, mit mir, einem männlichen Reisegefährten, unterwegs zu sein. „Bei den vielen Männern auf diesem Zeltplatz hier.“ Sie ergänzt und schränkt ihre Aussage folgendermaßen ein: „Wie sind zwar nicht der Hit auf diesem Zeltplatz...“ Ich sage: „Du vielleicht nicht...“

Alles an uns war nass: die Kleider, das Zelt und das Auto. Dass mittlerweile die Sonne herausgekrochen war, ließ die Dinge, widerwärtig an unserem Körpern haftend, klebrig und stockig anfühlen. Niemand wurde von diesem Anblick magnetisch angezogen. Der Abstand, den wir zu und von den anderen empfanden, war nachvollziehbar.

 

Meine Begleiterin erzählte von ihrem letzten Trip. Allein, zwei Frauen, in einem kleinen Zelt, umgeben von vielen jungen Männern, geriet sie in Panik. Wenn jetzt einige dieser Kerle mit scharfen Messern ihre Zelte aufschlitzten… Sie sprang aus dem Zelt, öffnete den Schlag ihres Autos und klemmte sich angstschlotternd hinter das Steuer, bereit jederzeit verbissen auf die Hube zu drücken, sollten die Vergewaltiger über sie herfallen. „Ich sag Dir, ich hatte selten solche Angst in meinem Leben!“ „Wie lange bliebst Du in dem Auto sitzen?“ Ich unterdrückte ein Gähnen, um nicht unhöflich zu erscheinen. „Bis die Angst wieder verfolgen war... Natürlich die ganze Nacht!“ Ich musste mich beherrschen, um nicht aufzulachen. „Bist du wenigstens darüber eingeschlafen?“ „Wo denkst Du hin?“ „Und Deine Begleiterin, gepoft wie ein Murmeltier unterdessen?“ „Ja“, kleinlaut. Ich konnte mich hinter vorgehaltener Tasse verbergen.

 

                                                        *

 

Das Wetter war uns günstig mittlerweile. Andere Umstände weniger. Die von Menschen verbrochenen nämlich. Denn plötzlich hatte sich alles um 100 Prozent verteuert. Die Folge: dass wir uns nunmehr keinen Kaffee mehr leisten konnten. Trotz des Regens! Ich kriegte mich schier nicht mehr ein. Waren wir auf einem anderen Planeten gelandet? Meine Begleiterin klärte mich auf, das hier war die Schweiz. Schweiz, Schweiz: Namen, nichts als Namen! Dann begann ich nachzudenken. Es gab Länder, die waren erheblich reicher als andere. Cool. Vielmehr Mist. Was sollte ich davon halten? Meine Gefährtin, das erste Mal, dass sie sich mir gegenüber überlegen fühlte, schmunzelte immerfort.

 

Ich kriegte diesen Namen „Schweiz“ nicht aus dem Kopf. Musste es solche Unterschiede auf unserem Planeten geben? Da stank zum Himmel, Kuhmist. Die „Schweiz“, was immer das sein sollte und hinter sich vereinte, war eine andere Welt. Interessant.

Meine Begleiterin klärte mich auf. „Hier gehen die Uhren anders, aber richtig!!“ Mir dämmerte allmählich, wie die Zusammenhänge waren, Kuhmist.

„Entweder, Du bist als Schweizer geboren, oder du stellst es besonders clever an und kannst dir die Schweiz leisten.“ Besonders clever anstellen – diese Formulierung stiftete viel Unruhe in mir. Was hieß dies?, verdamm mich. Was sollte übrigens dieser Belehrungston: sie lächelte immerfort so undurchdringlich wissend. Meine Nervosität machte einen Satz nach oben.

 

„Der Herr gab uns Wein, aber kein Brot!“ Hohe Priesterin des Orakels von Delphi hatte sich geoutet. Die Augen waren unnatürlich geweidet und sahen in der Ferne apokalyptische Reiter aufmarschieren. Mir verschlug es den Appetit. Doch der Hunger war stärker. Ein fahler Geschmack blieb zurück. Zu allem Ãœberdruss, der „Istanbul“-Wirt gab kein Wechselgeld heraus. Sei so üblich hier in Genf. Widerlegen konnten wir ihn nicht. Ich kochte: um zwei Euro geprellt. Daheim hätte ich dafür einen Döner gekriegt. Zu schwach zum Protestieren. (Zuhause führte mein erster Weg zum Dönerimbiss. Ich freute  mich wie ein Kind über das Preisschild. 2 Euro ein Döner. Doch gekauft habe ich mir keinen. Seitdem übrigens noch nicht. Kann mir das einer erklären?)

 

Schlagartig erinnerte mich das teure Pflaster hier an New York. Penner, Obdachlose, Alkoholiker drückten sich die Nase platt vor den dicken Scheiben der Pubs, in denen feixende Herrchen mit schwarzen Schlips auf weißem Hemden und schwarzen Hosen zähneweiß funkelnden. Hier beobachtete ich sie in den feinen Restaurants und auf den Straßen auf den Cafestühlen. Ich fühlte mich nicht existent durch ihre Blicke, die durch mich hindurchgingen. Ich drängte darauf, schnellstens zu verschwinden. Über die Grenze nach dem anderen, billigeren Euro-Land.

 

Meine Partnerin brauchte kaum etwas zu essen. Das konnte nur mit dem Teufel zugehen! Ich wurde vom Hunger geplagt, getrieben und spähte wie ein Habicht nach billigen Preisschildern aus, wohingegen sie sich ausschließlich an den Sehenswürdigkeiten gütlich hielt. Dabei unterdrückte ständig der dunkle Schatten eines Mitleidsblicks mich Schwächling und Getriebenen, der gleich einem schwebendem Greifvogel, über allem seine Kreise ziehend, nach einem schwachen Mäuschen Ausschau hielt - gleichzeitig aber der Mittelpunkt in einem Zielfernrohr war.

Doch konnte ich nicht anders, als Preisvergleiche herzustellen. Getrieben wie eine Raubkatze, schlich ich um jedes Restaurant, Cafe und Essenslokal, Ausschau haltend nach leichter Beute. Sie dagegen entzückte sich, zu ihrem Glück, stumm an anderen Dingen. Selbst auf einen billigen Döner verzichtete sich ungerührt. Ich begann sie aus den  Augenwinkeln heraus zu beobachten: biss sie nicht die Zähne zusammen wie ich? Als wären wir in einem stinknormalen Urlaub, lief sie entzückt angelockt von einer Schaufensteranlage zur anderen. Ich hasste das freudige Augenglänzen eines unschuldigen Kindes. Wie stark diese Frau sein konnte! Wie jämmerlich schwach ich war!

 

Den Todesstoß versetzte sie mir am Tage unserer Abreise aus diesem überteuerten Land. „Mir ist aufgefallen, dass du in letzter Zeit weniger coole Sprüche loslässt!“ Wir waren dabei, bald die imaginäre Grenze zu überqueren. Ich machte einen verhaltenen Schluck von dem lauen Getreidekaffee aus der Frischhalteflasche.

Mir fiel dazu nichts ein. Es war richtig. Einfach stimmte es. Schlichtweg. Jetzt eben auch!

Mein Blick fiel in den Spiegel auf der Sonnenschutzblende einige Zentimeter über mir. Angewidert verzog ich den Mund darin.

Ob diese Frau für mich die richtige ist auf Dauer?

Karikaturisten hätten die wahrste Freunde an diesem Bild gehabt.

Die Karikatur eines üblen Spottgesichtes im Spiegel war ich.

Das verbarg sich also hinter dem Namen „Schweiz“.

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