Alles im Leben hat zwei Seiten. Außer es hat drei. Eine Geschichte, die noch erzählt werden muss. Von einem außergewöhnlichen jungen Mann, der Kunst und des Schicksals, das eine Welt für immer verändern sollte
Die Reise über die Grenze war beschwerlich gewesen. Darcon hatte für sie Beide warme Kleidung besorgt, aber selbst die sollte bald nicht mehr ausreichen, als sie von Venthron aus ihren Aufstieg über die Gipfle des Gebirges begannen. Schnee und Eis soweit das Auge reichte und Wind, der gnadenlos durch die Kleidung schnitt und jede Bewegung noch quälender machte als die Kälte.
Jeder Schritt brach entweder durch die nur oberflächlich gefrorene Schneedecke oder löste eine kleine Lawine aus. Aber sie hatten keine andere Wahl, als die Berge zu überqueren. Die Straßen und Handelswege wurden sowohl durch die Inquisition als auch durch die Männer aus Niob bewacht.
Fast einen Tag lang kämpften sie sich durch den Schnee, bis sie endlich wieder weiter hinabstiegen. Diesmal jedoch auf der anderen Seite der Grenze. In Niob.
Als sie den Schnee endlich hinter sich ließen, erlaubte Corinthis sich einen Moment stehen zu bleiben. Vor ihnen gingen die Berge langsam in eine flache Grasebene über, die sich bis zum Horizont erstreckte. Hier und da konnte er Wege erkennen, die sich durch die Landschaft zogen, wie die Spuren gewaltiger Räder. Und ganz in der Ferne…
,, Ist das eine Stadt ?“ , fragte er Darcon und deutete auf die Schemenhaften Umrisse am Horizont.
,, Dragonshire.“ , erwiderte der Inquisitor. ,, Glaube ich zumindest.“ Es war immer noch so kalt, das ihr Atem als Wolke in der Luft stand, aber zumindest hatten sie den Schnee hinter sich. Und auf den Grasfeldern unter ihnen schien die Sonne.
,, Wir haben es geschafft.“ , sagte Corinthis. Und zum ersten Mal wurde ihm klar, dass das tatsächlich stimmte. Sie waren hier. In Sicherheit wie es schien.
Vielleicht würde das alles jetzt endlich ein Ende finden.
Sie brauchten noch fast einen weiteren Tag, bis sie endlich den Fuß des Berges erreichten, aber das machte nichts mehr. Für Corinthis war ab diesem Moment klar, dass sie es tatsächlich geschafft hatten. Am Abend fühlte er sich ruhig, wie seit langem nicht mehr während er am Feuer saß und in die Flammen starrte. Er hatte nachgedacht.
,, Würdet ihr mir beibringen zu kämpfen ?“
Die Frage schien den Inquisitor zu überraschen. ,, Wozu ?“
,, Ich habe nicht vor für den Rest meines Lebens hier zu bleiben.“
,, Und stattdessen ?“
,, Ich weiß es nicht.“
,, Na ja ich kann euch sicher ein paar Grundlagen beibringen aber… ihr habt in Inglarion drei Inquisitoren getötet, bevor die sich auch nur rühren konnten.
,, Das war nicht ich. Das war der Nardor.“
,, Natürlich. Trotzdem…“
,, Vergesst es. War auch nur so ein Gedanke.“
Am nächsten Morgen Verliesen sie endlich die Hochebenen und Berge und erreichten die weiten Graslande, die Corinthis sofort wieder an die Gebiete um Inglarion erinnerten. Man konnte wörtlich Meilenweit sehen und die Stadt, bei der es sich um Darcons Aussage um Dragonshire handelte schien einfach nicht näher kommen zu wollen.
Noch dazu begegneten sie fast niemand. Abgesehen von einem einzelnen Händlertross, bestehend aus einem von einem einzelnen Ochsen gezogenen Wagen, schien es, als könnte die Welt leer sein.
Ruhig….
,, Ich weiß nicht, aber irgendwie ist es hier schon fast zu ruhig.“ , meinte Darcon nach einer Weile.
Corinthis nickte. Anfangs war die Stille willkommen gewesen, aber langsam wurde es beinahe unheimlich. Er blieb stehen und spürte. Der Wind fuhr durch die Grashalme. Aber da war noch etwas…
Darcon spürte es auch und zog sein Schwert.
Corinthis hingegen spürte wie der Nardor sich bemerkbar machte.
Wenn ihr kämpfen müsst…
Ihr helft mir?
Euer Tod wäre auch mein Ende.
Noch hielt sich der Geist auf Distanz.
Etwas raschelte im Gras hinter ihnen. Fast zeitgleich wirbelten Corinthis und der Inquisitor herum.
Etwas mit dunklem Gefieder flog auf. Ein Rabe, wie Corinthis feststellte.
Darcon begann zu lachen. ,, Der verdammte Vogel hat mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.“ , meinte er erleichtert und ließ die Waffe sinken.
,, Wartet einen Moment.“ Irgendetwas ließ Corinthis noch immer misstrauisch bleiben und langsam trat er näher an die Stelle, wo der Rabe aus dem gras aufgeschreckt war.
Er schreckte zurück. ,, Verflucht…“
,, Was ist ?“ Darcon lief rasch zu ihm herüber… und erstarrte ebenfalls.
Vor ihnen lag ein halbes Dutzend kaum mehr zu erkennender Leichen im Gras, das sich bereits Gelb färbte. Und es war nicht nur der eine Rabe, der sich hier eingefunden hatte…
Schwärme von Fliegen schlugen ihm entgegen.
Corinthis wendete sich ab.
,, Was ist hier passiert ?“ , fragte er.
,, Ich weiß es nicht. Aber…“ Darcon untersuchte einen der Toten. ,, Völlig Verbrannt.“ , stellte er überrascht fest.
,, Sie wurden Verbrannt ?“
Der Inquisitor nickte. ,, Durch Magie wie es aussieht. Ich kene zumindest nichts, was sonst solche Verletzungen verursachen würde. Das kommt davon, wenn man Zauberern überhaupt keine Grenzen setzt.“
,, Ich dachte Magier seien hier einfach nur frei . Und dann tut jemand so etwas?“
,, Macht ist hier alles und Magier haben genug davon.“ , erwiderte Darcon. ,, Zumindest ist das das, was der Inquisition beigebracht wird. Ich hatte gehofft, es wären lügen.“
,, Und ich glaubte wirklich, hier könnte es besser sein…“
Nach diesem Zwischenfall setzten sie ihren Weg schweigend fort, jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend.
Vor allem Corinthis fand keine Ruhe.
Weshalb war er hierhergekommen? Um den Einfluss des Kaisers zu entkommen und dessen Willkür vielleicht endlich hinter sich zu lassen. Wenn diese Entscheidung auch für Nehalenie zu spät kam, so hoffte er doch wenigstens darauf wieder etwas Frieden finden zu können…
Und jetzt sah es so aus, als wäre es hier auch nicht besser.
Seine Gedanken wanderten zurück zu einer Idee, die ihn seit Venthron verfolgte….
Aber wie sollte er so etwas umsetzen. Er wollte Gerechtigkeit doch fehlten ihm die Mittel, diese Einzufordern. Und Gerechtigkeit vergärt allzu oft zu Rache.
Vielleicht wäre es wirklich besser, einfach alles zu Vergessen und sich hier irgendwo niederzulassen.
In Gedanken bat er kurz Nehalenie um Verzeihung. Sein Versprechen würde er nicht halten können.
Gegen Nachmittag kam endlich Dragonshire näher. Corinthis betrachtete die hoch aufragenden Mauern ohne besonderes Interesse. Es war dasselbe wie in Inglarion oder in Venthron und vermutlich jeder anderen Stadt. Und mittlerweile begegneten sie auf der Straße auch wieder Reisenden. Händler mit ihren Karren, Bauern, Wanderer, Kutschen. Alles strebte in Richtung der großen Stadt.
Einen unterschied jedoch gab es: Eine kleine Gruppe bewaffneter Soldaten bewachte das Stadttor und überprüfte einzelne Reisende.
Eine der Männer hielt auch sie an und musterte vor allem Darcon einen Moment lang misstrauisch.
,, Ich seit nicht von hier, oder ?“ , fragte er düster.
Corinthis schätzte kurz ab, ob er sich eine Lüge würde leisten können. Aber so wie die Wachen dreinblickten, kannten sie die Antwort schon.
,, Nein, das stimmt. Wir kommen aus dem Kaiserreich Ert.“
,, Kaiserreich. Pah. Der Mann den ihr da als Kaiser bezeichnet ist nicht einmal den Titel Hund wert.“
,, Ich denke, da kann ich euch sogar zustimmen.“ , murmelte Corinthis.
,, Wir sind Flüchtlinge.“ , erklärte der Inquisitor.
Jetzt war der Wachmann erst recht misstrauisch. Seine Augen verengten sich zu schlitzen.
,, Flüchtlinge ? Das ist so ziemlich das erste Mal, dass ich so was höre. Wir hatten schon Händler, Spione und jede Menge Idioten, die einfach genug vom Kaiser hatten. Aber Flüchtlinge…“
Er musterte Darcon erneut. ,, Ich kenne euch irgendwo her, oder ?.“
,, Nicht das ich wüsste. Aber ich…“ , er zögerte, ,, war ein Mitglied der Inquisition.“
,, Ihr wart ?“ Darcons Worte schienen sein misstrauen nur noch zu steigern.
Das ist nicht gut, bemerkte der Nardor. Corinthis musste dem geist wiederwillig zustimmen.
Wem sagt ihr das?
Lasst mich mit ihnen sprechen.
Ach ja und gleich danach Verzeihe ich dem Kaiser alles.
,, Ich war es… wir…“ Der Wachmann schien drauf und dran ihn festnehmen zu lassen.
Du hast keine Wahl.
Ich weiß da sich das bereuen werde.
Corinthis trat plötzlich vor. ,, Wir hatten gute Gründe um zu gehen.“
In seiner Handfläche flackerte plötzlich eine Flamme auf. ,, Sehr gute Gründe.“
Die Wachen schreckten allesamt zurück.
,, Also, können wir jetzt rein ?“
,, Geht…Ihr alle beiseite mit euch.“ Die Wachen traten zurück und ließen sie endlich passieren.
Aber noch während sie die Tore durchquerten und auch noch eine ganze Weile danach spürte Corinthis ihre Blicke im Rücken. Der Nardor indes schien sich wieder in seinen Geist zurückgezogen zu haben.
Vielleicht würde all dies jetzt endgültig Enden. Er hatte genug.
,, Was werdet ihr jetzt tun ?“ , fragte Darcon als hätte er seine Gedanken gelesen.
,, ich weiß es nicht. Vielleicht eine Weile hier bleiben.“
Sie überquerten einen großen Platz, der Corinthis sofort an den Markt in Inglarion erinnerte. Sogar die Stände waren im gleichen Stil gebaut, wie in Ert. Nur eines war anders.
An der Nordseite des Platzes erhob sich ein riesiger Bau aus Stein. Ein wenig erinnerte es Corinthis an einen Tempel. Marmorne Säulen groß wie Bäume stützten ein großes Vordach unter dem zwei Haushohe Flügeltüren ins Innere das fensterlosen Gebäudes führten. Ein halbes Dutzend Bewaffneter stand davor, aber offenbar nicht um jemanden am Betreten der Halle zu hindern.
,, Was ist das ?“ , fragte Corinthis. Irgendetwas an dem Gebäude war merkwürdig und er spürte die Nervosität des Nardor. Konnte es sein…
,, Ich glaube fast eine Art Tempel . ich würde da allerdings nicht reingehen. Wir haben für heute genug Aufmerksamkeit…“
Corinthis hörte ihm schon nicht mehr zu, sondern hatte den Platz bereits halb überquert.
,, Oder aber wir rennen einfach blind drauf los.“ Darcon folgte ihm mit einem entnervten Seufzten.
Das seltsame Gefühl wurde stärker, sobald er die ersten Stufen des Tempelaufgangs erreichte. Corinthis erkannte es wieder. Ähnlich war es auch in der Festung der Magier gewesen. Dieser Ort schien Ruhe auszustrahlen, fast als würde er einem dazu zwingen nachzudenken… innezuhalten.
Keine der Wachen hielt ihn auf. Vermutlich standen sie genauso unter dem Einfluss dieses Ortes wie er grade.
Hier auch nur laut zu sprechen erschien ihm schon wie ein Frevel, an was auch immer sich hier verbarg. Aber Corinthis glaubte die Antwort zu kennen, als er das innere betrat.
Sein erster Eindruck, dass der Bau fensterlos war, erwies sich rasch als Täuschung. Eine große Öffnung in der Rückwand erlaubte einem Lichtstrahl den Einfall in das Gebäude.
Staub, der zufällig durch diesen Lichtstrahl driftete glühte einen Moment wie Gold auf nur um im nächsten wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Aber… es gab ein klares Muster.
Es war, als würde alles in diesem Raum auf das Zentrum hinstreben, dort wo der Lichtstrahl auf ein kleines Podest traf. Der Staub… selbst der schwache kaum wahrnehmbare Windhauch, welcher die sternebestickten Wandbehänge zum Flattern brachte…
Alles wurde zu dem kleinen Gegenstand auf dem Podest hingezogen.
,, Das ist es oder ?“ , fragte Corinthis leise. Und doch war ihm, als müsste seine Stimme für jeden im Raum hörbar sein.
Darcon gab keine Antwort.
Das Sternenauge. Corinthis verstand sofort, warum man keine bedenken hatte das Artefakt hier offen zu zeigen. Wer würde es wagen, sich diesem Gegenstand auch nur auf zwei Fuß zu nähern, müsste er doch befürchten vorher in Flammen aufzugehen.
Die Macht, die es ausstrahlte war, anders als beim Sonnenauge des Kaisers für jeden hier deutlich spürbar. Friedlich… aber das konnte sich ändern.
Corinthis schauerte bei dem Gedanken. Die Kanalisierte Macht von tausenden von Zauberern floss durch diesen Stein und erhielt von dort aus den Schleier aufrecht. Aber das war nicht alles nicht wahr…
Corinthis hatte am eigenen Leib erfahren müssen, wozu sich diese Steine noch nutzen ließen.
,, Gehen wir.“ , schlug der Inquisitor nach einer Weile vor.
Corinthis nickte.
Die Stille hier war nach einer Weile kaum noch zu ertragen und man wagte es fast nicht überhaupt noch zu atmen, aus Angst diese zu durchbrechen.
Langsam machten sie sich auf den Weg zurück aus dem Tempel und wieder auf den Platz davor.
Aber noch etwas erregte Corinthis Aufmerksamkeit. Der Nardor schwieg. Hatte während der ganzen Zeit im Tempel geschwiegen.
Kurz vermutete er, dass dies wohl ebenfalls mit dem Auge zusammenhängen musste. Wenn es dazu erschaffen war, die Nardnor hinter den Schleier zurück zu halten, was würde dann wohl passieren, wenn einer es berührte…