Biografien & Erinnerungen
Erlebniswelt DDR - Der 5. Teil

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"Erlebniswelt DDR - Der 5. Teil"
Veröffentlicht am 09. November 2012, 26 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Erlebniswelt DDR - Der 5. Teil

Erlebniswelt DDR - Der 5. Teil

Beschreibung

Für die freundliche Mitarbeit bedanke ich mich bei meinem Mitschreiber PorterThomson

Götterdämmerung

"ALARM!!!" und das alles durchdringende, sonore und schnarrende Dröhnen der Alarmsirene auf dem Kompanieflur ließ mich und meine neun Kameraden auf der Bude aus unserem gut antrainierten leichten Schlaf schrecken. "Och ne nich schon wieder!" waren meine ersten Gedanken, als ich mechanisch wie eine Maschine aus dem Doppelstockbett sprang und damit begann mich gekonnt und in windeseile meines Schlafanzuges zu entledigen um ebenso schnell wieder in meine ein Strich kein Strich Felddienstuniform herrein zu kommen.

"Die Idioten!" rief einer im Zimmer, "Das wäre heute der dritte Alarm in dieser Woche! Die spinnen doch wohl!"

Da flog die Tür unserer Bude auf und unser Unterfeld, ein Schleifer vor dem Herrn, stand in der Bude. "Beeilung! Beeilung! Beeilung!!!" brüllte er, anders kannten wir ihn nicht "Das ist keine Übung! E-Fall! X + fünf Minuten volle Gefechtsausrüstung vor der Waffenkammer!!!"

Der Schleifer verschwand wieder. Jetzt war nichts mehr mit mechanischer Stoischkeit. Aufgeschreckt wie ein paar Hühner purzelten wir durch die Bude und wollten alle gleichzeitig an unsere Spinde. Die Monate lange Übung war dahin! In wievielen nächtlichen Alarmübungen haben wir diesen Fall geübt? Beinah jedes mal stellten wir einen neuen Zeitrekord auf, dazu war uns unsere spärliche Freizeit zu wertvoll! Und jetzt? Schiere Panik hatte uns erfasst. Wahrscheinlich schoß uns allen der selbe Gedanke durch den Kopf. "E-Fall! haben wir jetzt Krieg? Müssen wir jetzt 15 Minuten die Grenze halten, bis der Russe da ist? So hat man uns das die letzten zwei Monate eingebläut.

Vielleicht hätte der Schleifer besser daran getan uns mit diesem E-Fallgequatsche vorerst in Ruhe zu lassen, dann wären wir vielleicht schneller gewesen. Trotz aller Panik und all des Durcheinanders auf der Bude, standen wir in wirklich knapp 5 Minuten geschlossen vor der Waffenkammer. Einige zurrten zwar noch den Stahlhelm fest und richteten ein wenig die Uniformjacke unter dem Koppel etwas her. Aber wir standen geschlossen, in Reih und Glied vor der Waffenkammer. Dort empfingen wir unsere zweite Frau, die Kalaschnikow, ein volles Magazin, die Magazintasche mit vier weiteren Magazinen und das Seitengewehr, ein Kampfmesser, welches auch als Bajonet oder Drahtschere zu gebrauchen war. Wähernd wir bewaffnet wurden brüllte uns der Schleifer zusammen, dass wir nach dem Erhalt der Bewaffnung unten auf dem Appellplatz an unserem Platz Aufstellung beziehen sollten. Kaum hatten wir unsere Ausrüstung komplett rannten wir auch schon die vielen Treppen des Kompaniegebäudes herunter. Das ganze Gebäude war in heller Aufregung und einige Offiziere niederen Ranges versuchten die Flut von hunderten Soldaten auf den Treppen in einigermaßen kontrollierten Bahnen zu lenken, um Mord und Totschlag zu verhindern. Scheinbar hielten es einige Genies in der Führungsebene es für nötig, alle drei Kompanien dieses Gebäudes, also rund dreihundert Mann, gleichzeitig ausrücken zu lassen. Über diesen einen besch... Treppenflur! Manchmal war ja der Zeitdruck bereits so hoch...?

Mein Zug kam irgendwie heile auf dem Appellplatz an. Uns erwatete eine schaurige Kulisse. Es war noch finstere Nacht, arschkalt und das gesamte Grenzausbildungsregiment in Halberstadt war von unzähligen Flutlichtern hell erleuchtet. Soweit das Auge reichte standen W50 Truppentransporter auf den Kolonnenwegen. Wie befohlen bezogen wir auf dem Appellplatz Aufstellung. Die fünfte Kompanie wartete nun was geschehen würde und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie bereits andere Kompanien samt ihrer Gefechtsausrüstung und Munitionskisten auf diese LKW verladen wurden.

"Wie spät ist es eigentlich?" fragte ich meinen Nebenmann leise. In der Eile hatte ich meine Uhr vergessen.

Er schaute unauffällig an sich herunter auf sein Handgelenk. "Zehn vor halb vier!" raunte er zurück

"Da haben die uns punkt drei raus gepfiffen. Das war schon länger geplant!"

"Glaub auch!"

Das kam mir eigenartig vor konnte man einen Angriff so genau vorhersagen?

"Vielleicht ist es ja doch kein Krieg?"

"Weiß ich nich!" raunte der Kamerad kurz angebunden rüber. Unterhaltungen waren ja nicht erlaubt.

Schließlich fuhren auch vor uns drei W50, ein LO-Kleinlaster und ein UAS Geländewagen vor.

Unser Kompanieführer, Major seines Zeichens, trat vor. "Fünfte Kompanie!!" brüllte er über den Appellplatz. "Sie haben zwei Monate ihrer Grundausbildung absolviert! Nun müssen Sie beweisen was sie gelernt haben! Also aufsitzen! Mit Zug eins beginnend!"

Na toll! dachte ich mir. Nun sind wir viel schlauer darüber was eigentlich passiert ist!

Augenblicklich begannen die Zugführer, so auch Schleifer, wieder zu brüllen und trieben uns auf die W50. Ich kam auf den zweiten LKW nahm wie ich es gelernt hatte Teil 1 und Teil 2 vom Rücken um es zwischen meinen Beinen zu verstauen. Mit dem Rücken lehnte ich gegen die Plane des LKW. Schnell war die Ladefläche voll.

"Rücken sie zusammen!!!" brüllte Schleifer von draußen "Hier müssen noch wenigstens acht Mann rauf!!! Los nun macht schon!!!"

Wir rückten so dicht zusammen wie es nur eben ging. Doch Schleifer schien nicht zufrieden. Der LKW fuhr an, rollte ein paar Meter und legte plötzlich eine Vollbremsung hin. Wir Soldaten wurden schmerzhaft zusammen gestaucht und stöhnten laut auf. Doch die vom Schleifer gewünschten acht Soldaten passten noch rauf.

Gegen 3.30Uhr dieses ausgesprochen kalten Oktobermorgens fuhren die LKW los. Wir saßen eingepfercht wie die Ölsardinen mangt unseren Sachen. Schon bald war das innere unseres Wagens erfüllt vom der ausgeatmeten Luft der Kameraden. Die Heckplane hatte man herunter gelassen. Vielleicht um das bisschen Wärme der Kameraden im inneren des Wagens zu halten, oder vielleicht, damit uns die Zivilbevölkerung nicht zu Gesicht bekam. Wir wussten es nicht. So wie wir rein garnichts wussten. Niemand hielt es für nötig uns aufzuklären, warum man an uns in dieser Nacht, Anfang Oktober 1989 auf die ganzen LKW verlud und uns durchs Land fuhr. Als wir nach drei Stunden noch nicht am Ziel zu sein schienen wussten wir auf jeden Fall, dass wir nicht an die Westgrenze fuhren. Wohin brachte man uns? Wir merkten auch, dass wir keine Autobahnen oder größeren Fernverkehrsstrassen benutzten. Sie schaukelten uns scheinbar über die Dörfer. Wir waren ratlos.

Irgendwann ließ sich die frostige Kälte nicht mehr draußen halten und durchdrang unsere klammen Felddienstuniformen. In dem nebeligen Dunst im inneren des LKW´s konnte man bestenfalls drei kameraden weit sehen. Am Heck waren durch ein paar Ritzen in der Plane zu erkennen, dass es draußen bereits hell wurde, als der LKW aufeinmal langsamer wurde. Mein Nebenmann schaute auf die Uhr. "Gleich um acht!"

Der LKW hielt an. Wenig später wurde die Heckplane hoch geschlagen und Schleifer gab uns auf seine eigene Art zu verstehen, abzusteigen. Er brüllte es! Gerne kamen wir diesem Befehl nach und sprangen von der Ladebritsche des LKW ins freie. Wir befanden uns auf einem Parkplatz entlang einer breiteren Landstraße. Auch wenn uns ein eisiger Wind entgegen schlug, genossen wir die Möglichkeit uns endlich mal wieder zu recken und zu strecken. Man möchte es kaum glauben, aber Stunden lang eingeengt zu sitzen und sich nicht bewegen zu können tut gemein weh! Ich nutzte die Gelegenheit und schaute mich um, während die anderen sich eilig eine Zigarette ansteckten. Erstaunt stellte ich fest, dass die Fahrzeuge der fünften Kompanie scheinbar die einzigen hier waren. Noch etwas machte mich stutzig. Irgendwie kam mir dieses ganze Terrain seltsam bekannt vor, diese Straße, dieser Parkplatz und auch das ganze Umland! Ich überlegte wo ich das hinstecken sollte. Bis es bei mir Klick machte. Na klar! Hier bin ich schon so oft vorbei gefahren, wenn ich mit dem Bus von Halle nach Wettin an die Schäferschule gefahren bin.

"Fünfte Kompanie!!" rief unser Major, der aus dem Geländewagen kletterte. "Am LO können Sie sich ihre Essensration und heißen Tee für ihre Feldflaschen abholen!"

Militärisch geordnet stellten wir uns an. Mein Kamerad mit der Uhr stand vor mir.

"Das müssen die von langer Hand geplant haben! Woher kommt der heiße Tee?"

"Weiß ich nich!"

Mir war schon klar, dass er sich warum auch immer nicht unterhalten wollte. Aber ich hatte das dringende Bedürfniss mich mitzuteilen. Also musste er sich meine geistigen Ergüsse antun, ob er nun wollte oder nicht.

"Außerdem fahren wir gerade streng nach Osten! Wir sind hier in der Nähe von Könnern bei Halle! Ich kenne diese Gegend!"

"Mhmm!"

"Ja Danke auch!" Nun war auch für mich zunächst das Gespräch beendet.

Wir bekamen jeder eine Büchse Brot, eine Büchse Rotwurst und heißen Tee in unsere Feldflasche. Man gab uns sogenanntes Komplektefutter. Das waren Lebensmittel aus der militärischen Notreserve. Ab und an wurden die Bestände aufgefrischt. Dann gab es einmal im Monat sogar im Regiment nur Dosenfutter, den ganzen Tag. Man konnte ja nichts weg schmeissen!

Wir kletterten wieder auf die LKW und setzten uns gleich so, damit alle rein passten. Aus Teil 1 holte ich mein Feldbesteck und öffnete die Dosen. Während ich dieses widerliche Vollkornbrot aus der Dose, welches wir auch Elefantenscheiße nannten, und diese fade Rotwurst hinterkaute und dabei ein paar Schlucke vom typischen Hängolintee trank, hingen meine Gedanken bei der Tatsache, dass wir hier in unmittelbarer Nähe von Könnern waren, in der Nähe von Wettin, der Schäferschule! Und schon war ich bei dem Mädchen, meiner ersten schmerzvollen Liebe. Schlagartig war alles wieder da! Wir waren zwar immernoch Freunde, wir waren ja leider auch nie mehr, doch zu tief saß der Schmerz, dass sie ihre Liebe, die ich so gerne für mich gehabt hätte, jemand anderem schenkte. Es war nun etwas mehr als zwei Monate her seitdem wir uns das letzte mal gesehen haben. Wir haben gerade unsere Lehre abgeschlossen, noch ein paar Tage in Jänickendorf gearbeitet, als ich mich auch schon in Potsdam beim Grenzkomando melden musste. Wir schrieben uns auch fleißig Briefe, doch es waren halt nur Briefe unter Freunden und an einen Besuch bei mir war auch nicht zu denken, geschweige denn, dass ich Sie mal hätte besuchen können. Hallo? Wir und Ausgang oder Heimaturlaub?

Plötzlich waren die Wunden, die gerade hauchdünn mit einer zarten Schicht des Vergessens bedeckt waren, wieder offen und brannten in meiner Seele. Mussten wir auch gerade auf diesem blöden Parkplatz anhalten? Voll Schmerz fluchte ich in mich hinein.

Nach und nach bekam ich meine Emotionen wieder in den Griff und konnte meine Gedanken wieder auf die aufregenden Geschehnisse der letzten Nacht lenken. Was zum Teufel ist nur passiert? Von jetzt auf gleich werden die Streitkräfte mobilisiert! Warum nur haben wir nichts im Vorfeld erfahren? Es war doch immer alles ruhig gewesen! Auch in der allabendlichen aktuellen Kamera, die wir uns anschauen mussten war nichts dramatisches aus unserem Land zu hören gewesen. Auch im Neuen Deutschland oder der Volksarmee (die Soldatenzeitung) war nichts zu lesen. Warum fuhren wir jetzt nach Osten? Haben sich manchmal im unruhigen Polen die Zustände so dramatisch verschärft, dass wir jetzt sogar die Ostgrenze vor den Polen sichern müssen? Oder gab es in der CSSR einen Militärputsch oder sowas? Sollte gar in der DDR, warum auch immer, plötzlich ein Bürgerkrieg entflammt sein, und mussten wir unter Umständen auf unsere eigenen Leute schießen? Solche und andere Spekulationen kursierten auf dem LKW. Erst jetzt merkten wir, dass wir in den letzten zwei Monaten der Grundausbildung von der Außenwelt abgeschottet waren und scheinbar nur das erfuhren, was wir auch erfahren durften. Dieses unheimliche Nichtwissen machte uns Soldaten sichtlich nervös. Sollten wir wirklich unwissend in irgendeinen Kampf ziehen, ohne unseren Gegner zu kennen?   

Nach insgesamt elf Stunden zuckiliger LKW-fahrt, um etwa 14.30Uhr, erreichten wir durchgefroren und mit fast gelähmten Knochen unser Ziel. Wir waren an der Offiziershochschule "Ernst Thälmann" in Zittau im tiefsten Sachsen, ganz in der Nähe des Dreiländerecks Polen, CSSR und DDR. Was hatten wir hier zu suchen? Allenthalben schaute ich in fragende Gesichter unter meinen Kameraden. Wir schauten uns um. Der Anblick war erschreckend. Überall auf den Objektstrassen und Wegen standen Panzerfahrzeuge, Große Tatra LKW mit Raketenwerfern und andere LKW mit Kanonen und anderen Geschützen zur Abfahrt bereit. Uns wurde angst und Bange. Später erfuhren wir von den Offiziersanwärtern, sollte es zu offenen Kampfhandlungen kommen, wäre die Offiziershochschule "Ernst Thälmann" dafür bestimmt gewesen auf Dresden los zu marschieren. Heute kann ich sagen, zu jener Zeit damals stand unser Land wirklich nur einen winzigen Deut vor einem brutalen Bürgerkrieg. Zum Glück wurde Erich Honecker noch rechtzeitig entmachtet.

Unsere Zugführer ließen uns wort und stimmgewaltig antreten. Der Major trat vor.

"Genossen! Auf Grund von schweren politischen Unruhen und wiederholter Grenzverletzungen durch kriminelle Elemente, entlang der Oder/Neiße Friedensgrenze und der Grenze zur CSSR, haben wir vom obersten Befehlshaber der Grenztruppen der DDR Genosse Generaloberst Baumgarten den Befehl erhalten, die Friedensgrenze entlang der Neiße zu sichern. Der Befehl tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Folgende Genossen werden zu Postenführern ernannt."

Der Major rief nun einige Namen auf, darunter meinen. Ich erhielt von meinem Zugführer ein paar grüne Streifen für meine Schulterstücken und war von da an Postenführer. Warum nun gerade ich? Keine Ahnung!

Die kurze Ansprache war vorrüber, ich war nun Postenführer und wir wurden in einem großen Block unseren Quartieren zugeteilt.

Die Offiziersanwärter waren extra wegen uns zusammen gerückt und hatten uns eine komplette Etage des großen Blockes frei geräumt.

Ich konnte noch gerade eben mein Quartier beziehen, und wollte mich eigentlich ein paar Minuten aufs Ohr hauen, weil ich total geschafft war, als ich auch schon wieder zum Kompanieführer befohlen wurde. Es kam wie es kommen musste, ich wurde nach dieser ermüdenden LKW-fahrt zur ersten achtstündigen Grenzschicht eingeteilt. Ich bekam einen Posten zugeteilt. Anschließend wurden wir vergattert, das heißt wir bekamen unsere explizieten Dienstbefehle. Unsere Aufgaben sollten sein, Passanten entlang der Neiße zu kontrollieren und Grenzverletzer zu stellen, sollten uns denn welche in die Arme laufen. Beim Entzug der Kontrolle oder Festnahme durch Flucht hatte ein dreimaliger Warnruf mit exakt folgendem Wortlaut zu erfolgen

"Grenztruppen der DDR! Halt stehen bleiben oder es wird geschossen!"

Sollte der Flüchtige sich noch immer einer Kontrolle oder Festnahme entziehen hatte ein Warnschuß in den Himmel in Verbindung mit dem Standardspruch zu erfolgen. Sollte der Flüchtige noch immer nicht stehen bleiben, hatte man expliziet auf die Beine zu schießen. 

Das war unser Dienstbefehl, verbunden mit der Dienstvorschrift, die man mit viel Fantasie auch als den sogenannten Schießbefehl bezeichnen könnte. Uns wurde natürlich nie befohlen die Menschen zu erschießen.

Wir wurden unter leichter Bewaffnung, also nur Kalaschnikow, volle Munitionierung und Seitengewehr mit einem LO, also so ein Robur - Kleinlaster, in meinen neuen Grenzabschnitt gefahren. Ich war doch so totmüde!! Mein neuer Abschnitt verlief von Grenzpfahl 1 bis Grenzpfahl 3, also genau vom Dreiländereck bis etwa in Höhe des alten Klosters Mariental. Das bedeutete der Grenzabschnitt den wir zwei Hansels zu überwachen hatten war knapp zwei Kilometer lang. Man kann sagen, unsere Grenzsicherung war löchrig wie ein Schweizer Käse, bestenfalls! Und die Neiße war dort bequem zu durchlaufen. Das hieß legten es die Leute darauf an, brauchten sie sich nur geschickt hinter irgend einem Busch verstecken und warten, bis wir vorbei gelaufen waren und außer Sichtweite waren. Dann hatten Sie genug Zeit, um nach Polen zu kommen. Schlimmstenfalls wurden sie von polnischen Grenzorganen aufgegriffen, mit denen die DDR-Grenztruppen ein Auslieferungsabkommen hatten. Unsere erste Schicht verlief ruhig und ohne besondere Vorkomnisse. Nur eine ältere Dame haben wir kontrolliert, die auch ohne zu schimpfen ihre Personalausweis zeigte. Um Mitternacht war die Schicht endlich vorüber und ich freute mich auf mein Bett. Doch daraus wurde nichts. Kaum in Zittau angekommen, erfuhr ich dass sich der Schicht eine achtstündige Bereitschaft anschloß. In dieser Zeit hatten wir uns mit Kaffee voll zu pumpen und auf anderweitige Befehle zu warten, welcher denn auch prompt so gegen 3.00Uhr in der Frühe kam.

Wir, das waren ich und zwei weitere Kameraden erhielten den Befehl von der Grenzübergangsstelle in Görlitz eine Gruppe von Personen von den polnischen Grenzorganen zu übernehmen und der Kreisstelle der Staatssicherheit zu zu führen. Wir erhielten den ausdrücklichen Befehl keine Gespräche mit den Gefangenen zu führen.

Och! Na das sollte doch kein Problem sein! Dachten wir uns. Wir erwarteten ein paar finstere kriminelle Gestalten zu übernehmen und sie zur Stasi zu bringen. Doch sollte sich das schon bald als fataler Irrtum erweisen.

Wir kamen mit unserem W50 an die Gü.-st. und fuhren vor das Gebäude direkt an der Brücke. Als auch schon die "kriminellen Gestalten" heraus geführt wurden. Im ersten Moment war ich geschockt und wusste nicht was ich machen sollte. Da standen keine Verbrecher vor mir! Das müssen mehrere Familien gewesen sein! Da standen vor mir völlig verängstigt, vier Männer, vier Frauen und vier kleine Kinder!!! Darauf hatte man uns in der harten Grundausbildung nicht vorbereitet. Mein Gott Frauen und Kinder! Ich war wie gelähmt und fühlte mich außer Stande, wie es vorgeschrieben war, die Maschinenpistole in Anschlag zu bringen. Wortlos und geschockt ließen wir unsere Waffen auf dem Rücken und öffneten die Heckklappe des LKW. "Steigen Sie bitte auf!" sagte ich in einem ruhigen Ton und wir halfen den Kindern und den Frauen auf den LKW zu kommen. Nun saßen wir alle auf der Pritsche des W50 zwei von uns sicherten die Heckklappe und der Kamerad mit der Uhr saß am Fahrerhäuschen, wo sich ein Alarmknopf befand. Die Szenerie war schrecklich und wird mir wohl mein Leben lang in Erinnerung bleiben. Die Menschen waren völlig verängstigt, die Frauen heulten und die kleinen Kinder schrien panisch, da sie mit dieser Situation hoffnungslos überfordert waren. Die Mütter versuchten mit weinerlicher Stimme leise ihre Kinder zu beruhigen. Sie hatten wohl eine höllen Angst vor uns mit den Maschinenpistolen. Ich war wohl den Tränen nahe, konnte mich aber noch geradeso zusammen reißen. Irgendwann fragte einer der Männer ängstlich, er hatte dunkelblondes Haar, einen Schnauzer und trug eine hellblaue Stonewash Jeansjacke mit weißem Schafwollimitat

"Was passiert denn nun mit uns! Wo kommen wir nun hin?"

Aus der Ausbildung wusste ich wie mit gefassten Grenzverletzern in der Regel verfahren wurde. Da mir diese armen Leute leid taten, und ich spüren konnte, wie sie diese Ungewissheit schier um den Verstand bringt verstieß ich gegen den Befehl und antwortete

"Sie werden jetzt zur Staatssicherheit gebracht, kommen für einige Zeit in Haft und werden dann in den Westen abgeschoben!" Was mit den Kindern passieren würde vermochte selbst ich damals nicht zu beantworten. Würden Sie auch ins Gefängnis kommen oder in ein Heim? Würden sie auch später abgeschoben oder nicht? Ich konnte es nicht wissen. Wie gessagt, niemand hatte uns auf ein solches Drama vorbereitet.

Eine Art von vorsichtiger Erleichterung machte sich unter den Erwachsenen breit, was auch die Kinder ein wenig zur Ruhe kommen ließ. 

Wie befohlen, lieferten wir die Leute bei der Stasi ab. Als die Schicht zu Ende war begab ich mich auf meine Bude und wollte endlich nach beinahe dreißig Stunden nur noch ins Bett fallen, als ich zum Major befohlen wurde. Ich wurde so richtig zusammen gefaltet, warum ich gegen den Dienstbefehl verstoßen hätte und mit den Gefangenen gesprochen habe. So schnell wie ich diese grünen Postenführerstreifen bekommen habe war ich sie auch wieder los. Stattdessen bekam mein Kamerad mit der Uhr die Balken. Irgendeiner meiner kameraden muss mich beim Major verpfiffen haben, doch kann ich nichts beweisen.

Wir blieben nicht ganz zwei Wochen an der Ostgrenze, bekamen zwischendurch noch einen Crashkurs im Umgang mit der Pistole, da sich die Bürger von Görlitz darüber beschwerten, dass Soldaten mit Stahlhelmen und Kalaschnikow durch die Strassen von Görlitz patroulierten. In den westlichen Medien wurde wohl skandiert, die NVA ginge gegen das eigene Volk vor.  Fortan patroulierten wir mit der Makarovpistole und unserer Schirmmütze von der Ausgangsuniform die Neiße entlang. So sollte man uns eindeutig als Grenzschützer und nicht als Soldaten identifizieren. Lach!

Wie schon gesagt, wurde nach nicht ganz zwei Wochen die Abriegelung der Ostgrenze wieder aufgehoben und wir fuhren zurück nach Halberstadt. Fast alle Kameraden außer ich wurden zu Gefreiten befördert und waren stolz wie Oskar. Doch sollten ihnen schon bald ihre Gefreitenbalken auf den Schulterstücken zum Verhängnis werden. Der böse Zauber hatte Ende und wir wurden vom Ausbildungsregiment in unsere eigentlichen Grenzkompanien entlang der innerdeutschen Grenze versetzt. ... 

 

Porter Thomson  

 

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pyrmonter Die besch... Zeit - Ich hab mit großem Interesse gelesen
Für einen dem 40 Jahre szialistische Erfahrung fehen, war das alledings nicht ganz unbekannt.

Der W 50 war bei uns der NATO-Ford, aber auch nicht besser.
Der LO oder WAS was immer damit geint ist, das war der Borgward-Kübel für die Dienstgrade. Auf jeden Fall wurden auch hier die Knochen geschunden.
Zwar mussten wir an dem Friedenszaun keine Wache schieben, aber dafür hatten sie andere Scherze.
Auf jeden Fall mussten wir dem "Peter" einen auf das Fell brennen, wenn er denn gekommen wäre.
Deutsche gegen Deutsche!
Was bin ich froh, dass der Weg ist.
Also gib ein Bier aus!

sagt
p.

Vor langer Zeit - Antworten
Brigitte Genau wie das andere sehr authentisch und interressant. Liebe Grüße Brigitte
Vor langer Zeit - Antworten
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