Alles im Leben hat zwei Seiten. Außer es hat drei. Eine Geschichte, die noch erzählt werden muss. Von einem außergewöhnlichen jungen Mann, der Kunst und des Schicksals, das eine Welt für immer verändern sollte
Er hatte nicht viel Geschlafen und das merkte man ihm vermutlich auch an. Seine Gedanken waren langsam und zäh, während er aus der Hütte wankte und sich als aller erstes Wasser aus einem Fass auf dem Hof ins Gesicht spritzte. Zumindest würde das die Augenringe etwas mildern.
Kurz überlegte er, was er anziehen sollte. Viel besaß er ohnehin nicht, aber in seinem farbfleckigen Kittel beim Palast zu erscheinen würde sicher keinen guten Eindruck machen, brauchen würde er ihn später. aber vermutlich. Wenn Corinthis den Kämmerer richtig verstanden hatte, würde er sofort mit der Arbeit beginnen können.
Und auch seine anderen Malerutensilien. Die Farben, die er und Keltor noch am gestrigen Tag hatten erstehen können, lagerten bereits im extra dafür errichteten Schuppen. Corinthis nahm von jedem Farbstoff einen kleinen Beutel mit, einen Wasserschlauch aus Ziegenleder, um die Farben später an mischen zu können und die Staffelei, die er zusammengeklappt bequem unter dem Arm tragen konnte. Seinen Kittel tauschte er gegen den grünen Umhang ein, den er stattdessen tragen wollte. Es war nichts besonderes, er hatte nie viel auf teure Kleidung gehalten, sollte dem Anspruch aber genügen.
Den Klingenstab ließ er in der Baracke zurück. Er würde ihn nicht brauchen, hoffte er zumindest, und den Palast bewaffnet zu betreten, vor allem wenn diese Waffe versteckt war, kam einem Todesurteil gleich, sollte er erwischt werden.
,, Und , immer noch Zweifel ?“ Er drehte sich um und entdeckte die Gestalt von Keltor, die den Hof betrat.
,, Und ob.“ , antwortete er in Richtung des Händlers. Corinthis schloss die Fibel des Umhangs.
,, Stellt es euch doch einfach so vor, wenn ihr das hier zur Zufriedenheit des Kaisers beendet, und dessen bin ich mir sicher, denn ich kenne euch lange genug, gibt es für euch keine Grenzen mehr. Ihr werdet euch vor Anfragen und Aufträgen nicht retten können.“ Irgendwie klang die Stimme des Händlers nur halb erfreut darüber.
,, Und ihr werdet den ganzen Tag damit beschäftigt sein mich daran zu erinnern. Oder mich zu suchen, wenn mir das schlussendlich zu fiel wird.“ , meinte Corinthis lachend.
,, Ich bezweifle, dass ich dann dafür noch zuständig bin.“ Jetzt endlich verstand er, was Keltor zu schaffen machte.
,, Ihr glaubt ernsthaft, das ich gehe, wenn ich Erfolg habe ?“
,, Das würde jeder Vernünftige Mensch tun. Ihr braucht mich längst nicht mehr Corinthis. Ihr habt fast alles erreicht, was ihr erreichen konntet, das hier ist lediglich euer letzter Schritt. “
Der Maler schüttelte den Kopf.
,, Keltor, wie lange kennen wir uns jetzt ? Drei Jahre ?“
,, Und in diesen drei Jahren haben wir beide gute Geschäfte gemacht. Aber ihr seid mir längst voraus.“
,, Genau drei Jahre. Ich hätte schon nach dem ersten Selbstständig werden können. Und ihr glaubt, dass ich das jetzt tun werde? Ihr seid mehr als der Mann, der mich finanziert, ihr seid ein Freund.“
Er streckte dem Mann die Hand hin
,, Es.. freut mich das ihr das so seht,“ Der Händler ergriff die Angebotene Hand , ,, Freund.“
,, Also dann. Ich will den Kaiser von Ert lieber nicht warten lassen.“
,, Irgendwie seltsam, das ihr das tatsächlich könntet.“
Corinthis nickte. ,, Vielleicht, ist dies der Endpunkt eines langen Wegs. Aber wer weiß, was danach kommt.“
,, Wer weiß. Aber ihr werdet euren Weg finden, mit oder ohne mich, das weiß ich.“
Über ihnen flatterte ein Rabe von einem Dach auf und schwang sich in die Luft über Inglarion.
Kurz meinte Corinthis das Tier wiederzuerkennen, das er gestern beobachtet hatte, aber sicher konnte selbst er sich nicht sein.
Dafür war der Vogel zu schnell wieder verschwunden, entfernte sich über die Dächer der teilweise noch schlafenden Stadt, über die Armenquartiere in Richtung der offenen Ländereien davor.
Corinthis wäre ihm gerne gefolgt… einfach Sorgenfrei davongesegelt.
Der Zugang zum Palastbezirk wurde durch ein großes Tor begrenzt. Die Innschrift, Denke und Herrsche stand wie seit jeher klar leserlich über dem Torbogen unter dem eine breite Treppe hinaufführte. Die Stufen bestanden aus Marmor und boten genug Platz, das zwei Ochsenkarren nebenenander hätten hinauf gelangen können. Zwei offen stehende vergoldete Holztore erlaubten es, diesen Zugang jeder Zeit zu blockieren und auch auf diesen prangten unübersehbar, so wie überall das Sonnensymbol des Kaisers. Und hinter den Toren selbst, begann der eigentliche Palastbezirk. Ein großer Platz, so weitläufig, das man bereits bei schwachem Nebel nicht mehr von einem bis zum anderen Ende sehen konnte war das erste, das man sah, wenn man die Treppe hinter sich ließ. Komplett mit hellem Marmor belegt, war es an sonnigen Tagen beinahe unmöglich diesen zu überqueren ohne dabei geblendet zu werden. Die gesamte Welt schien dann etwas Surrealistisches zu haben und in diesen Momenten konnte Corinthis verstehen, wieso manche den Kaiser als Gott bezeichneten. Momentan jedoch war es noch früh genug, so dass die Sonne den Platz noch nicht in vollen Glanz tauchte.
Ein Ausladender Brunnen, gefertigt aus dunklerem Marmor, bildete den Mittelpunkt des Platzes. Vom beständigen plätschernd es kristallklaren Wassers abgesehen war es beinahe totenstill. Die Schritte einiger geschäftig hin und her laufender Diener, die auf der weiten Fläche verloren wirkten, das war alles. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis auch der Rest des Palastbezirks zum Leben erwachen und der Platz vor Menschen überquellen würde. In einer Ecke lagerten übereinandergestapelte Kisten, die zusammengenommen beinahe die Fläche eines Hauses einnahmen, gleichzeitig schein es, als hätte man damit begonnen eine Tribüne auf halbem Weg über den Platz aufzubauen. Kurz fragte er sich, wofür, als ihm natürlich das Fest des Jahrestags wieder einfiel, indirekt der Grund seines Hierseins. Der Kämmerer hatte gemeint, er solle zum Palast kommen, aber nicht genau wohin. Das Gelände war riesig, war doch der Platz nur der Anfang. Die unwichtigeren Wirtschaftsgebäude, wie Küchen, Bedienstetenquartiere und die Ställe waren auf der rechten Seite in einem Halbkreis angeordnet. Selbst in den Sitzen der herrschenden Adeligen der meisten anderen Stätte waren diese oft die einfachsten Holzbauten, die rein zweckmäßig gestaltet waren. Hier jedoch waren selbst diese aus hellgelbem Sandstein errichtet, der wohl extra aus den Gebirgen im Inland des Kaiserreichs hatte herangebracht werden müssen.
Auf der linken Seite wiederum befanden sich die wichtigeren Gebäude. Die Verwaltung des Palastes, die für so ziemlich alles in dieser Stadt in der Stadt zuständig war, von den Einkaufslisten der Köche bis hin zu Steinmetzarbeiten am eigentlichen Palast.
Und daneben…. Befanden sich die Kasernen der Inquisition. Zweihundert der diszipliniertesten und erfahrensten Inquisitoren waren genau in diesen Hallen stationiert, als persönliche Leibgarde des Kaisers, fielen diesen Männern die Bewachung und auch die Verteidigung des Bezirks und des Gottkaisers höchst selbst zu. Waren die normalen Inquisitoren schon unerbittlich in ihrer Jagd nach Magiern wie in ihrem Glauben, so waren diese Männer hier die fanatische Elite des Reichs.
Corinthis konnte nur Mitleid mit jedem haben, den das Unglück ereilte dieser Garde in die Arme zu fallen, ob zu Recht oder Unrecht.
Er wendete sich von diesen düsteren Mauern ab und lief ziellos über den Platz… in Richtung des eigentlichen Palastes,
Dieser lag dem Eingang gegenüber ganz am anderen Ende des Platzes, wodurch man gezwungen war letzteren in voller Länge zu überqueren. Dies hatte nicht nur den Zweck Eindruck zu schinde, wie der Rest der Anlage. Es war auch eine taktische Überlegung dahinter.
Die Dächer der den Platz umliegenden Gebäude waren allesamt begehbar und eine eventuelle feindliche Streitmacht, die bis hierher vordrang, würde sich beim weiteren Vorstoß Richtung Palast plötzlich in einer Todeszone wiederfinden. Bogenschützen auf den Dächern könnten jeden eventuellen Angreifer sofort ausschalten.
Vermutlich könnte man diesen Ort mit nur einer Handvoll Männer selbst gegen eine gewaltige Übermacht tagelang halten, bis der Bezirk letztlich fiel. Und bei zweihundert ausgebildeten Inquisitoren… Er bezweifelte, dass es je eine Armee weiter als bis hierhin geschafft hatte.
Er ging weiter in Richtung Palast, der sich fast wie ein Berg vor ihm erhob. Eine Treppe so breit wie die gesamte Front des Baus führte hinauf zu einer reich verzierten Flügeltür, die in die einzigen zwei Hallen führte, die Besucher betreten durften. Die erste davon bildete die Eingangshalle, ein langgezogener Flur, der einmal durch das gesamte Gebäude führte, das sich wie ein großer Kasten um einen weiteren Innenhof spannte. Der Gang führte direkt durch diesen hindurch und in den Thronsaal, der bis auf diesen Weg vom restlichen Palast durch den Innenhof, einen Park mit Seen und Bäumen, getrennt war. Im Thronsaal selbst war Corinthis bisher nicht gewesen, aber er hatte Stunden damit zugebracht, die Deckengemälde und ausgehängten Kunstwerke in der Vorhalle zu studieren, bis sich diese letztlich ebenfalls in jedem Detail in seinen Verstand brannten. So lief er heute einfach nur die endlose Halle ab, ohne diese Werke auch nur eines Blickes zu würdigen. So meisterhaft diese auch waren, in seinem Kopf existierten mindestens genau so gute Abbilder.
Er wusste, wo jedes davon hing und in welcher Entfernung zu den anderen.. deshalb…
Etwas ließ ihn innehalten. Genau vor einem der zahlreichen Bilder. Cortinthis erstarrte. Normalerweise hing hier eine Darstellung Inglarions zur Zeit der ersten Welt… eine düstere Zeichnung, die wohl in den letzten Tagen der Magier entstanden war.
Nun jedoch hatte dessen Platz etwas anderes eingenommen. Eines seiner Bilder, das er sofort wiedererkannte. Die Darstellung eines Adeligen aus Inglarion, der ihn vor Jahren mit der Zeichnung beauftragt hatte, noch während seiner Anfangszeit bei Keltor. Das hatte hier absolut nichts zu suchen…
Und doch war es hier, er konnte sogar sein Namenskürzel, dessen Verwendung er mittlerweile aufgegeben hatte, in der rechten Ecke des Bilds erkennen. Ein Rätsel, aber eines , das sich lösen ließ.
Hatte der Kammerherr nicht gesagt, er sei dem Kaiser empfohlen worden… vielleicht grade eben von diesem Adeligen. Und dann hatte der Kaiser das Bild gleich behalten?
Das ergab keinen Sinn… oder vielleicht doch. Er wusste nicht viel über Baratas. Die Kunst- Sammlung in diesen Hallen war über Jahrhunderte entstanden und von dutzenden Kaisern beständig erweitert worden, möglich also, das der jetzige diese Sammelleidenschaft geerbt hatte.
Und doch… machte es ihn erneut unruhig, das Bild hier zu finden.
,, Da seid ihr ja.“ , hörte er eine genervte Stimme hinter sich. Der Kämmerer, Qydro, stand hinter ihm und schien praktisch aus dem Boden gewachsen zu sein. Corinthis hatte ihn zuvor zumindest nicht bemerkt, als er den Flur entlanggelaufen war.
,, Ihr hattet nicht gesagt, wohin ich gehen sollte, also dachte ich…“
,, Spart euch die Luft zum Atmen, ich habe heute auch noch anderes zu tun. Der Kaiser wartet im Thronsaal, oder vielleicht auch nicht wenn ihr euch verspätet, dann erwartet euch eher die Inquisition. Also, lasst ihn nicht warten.“
Mit diesen Worten drehte sich der Kammerdiener um und verschwand den Gang hinauf.
Corinthis sah dem Mann einen kurzen Augenblick nach. Was hatte der für ein Problem?
Nachdem Qydro durch eine Tür in einen der gesperrten Teile des Palastes verschwand, machte er sich wieder auf den Weg.
Ihm war nicht danach herauszufinden, ob der Kämmerer seine Drohung im Falle einer Verspätung ernst gemeint oder ihm nur Angst hatte machen wollen. Corinthis lief die letzten paar Meter, auf denen sich der Flur öffnete und hohe Glasfenster einen beeindruckenden Rundumblick in den Garten erlaubten. Wäre der Stein nicht gewesen, man hätte meinen können im freien zu stehen. Die Bäume standen in kleinen Wäldchen zu fünf, Sech Exemplaren zusammen und zwischen diesen lagen weite offene Grasflächen, durch die sich künstlich angelegte Teiche und Bäche wanden.
Ein Reh lugte zwischen den Grashalmen hinaus und er fragte sich insgeheim, ob das Tier absichtlich hier war, oder sich durch eine seltsame Verirrung des Schicksals hier eingefunden hatte.
Doch schließlich hatte auch der künstliche Wald ein Ende und er gelangte an die letzte Tür, die ihm vom Thronsaal trennte. Eichenholz, Türgriffe aus Gold und natürlich das überall stets präsente Symbol der Sonne.
Corinthis hielt kurz inne. Egal, was er persönlich vom Kaiser hielt, er würde gleich der mächtigsten Person diesseits der Grenze gegenüberstehen. Einem Mann, der nur mit dem Finger schnippen musste, um ihn sterben zu sehen, sollte er das wünschen.
Es half alles nichts. Ein Zurück hatte es nie gegeben.
Er sammelte sich und zog die Tür auf